Warum hat Lady Edgware den verhassten Gatten erdolcht, obwohl der mit der Scheidung einverstanden war? Meisterdetektiv Hercule Poirot muss seine „kleinen grauen Zellen“ mächtig anstrengen, um einem (beinahe) perfekten Mordkomplott auf die Schliche zu kommen … – Der siebte Poirot-Roman bietet klassische britische Krimi-Kunst vom Feinsten; die Verfasserin lockt ihre Leser geschickt und gleich mehrfach auf falsche Fährten: ‚Gemütlicher‘ geht Mord wirklich nicht!
Das geschieht:
Dieses Mal ist es (zunächst) kein Kriminalfall, in dem Hercule Poirot zu Rate gezogen wird. Jane Wilkinson, eine berühmte Schauspielerin, bittet ihn in einer delikaten Sache um Unterstützung: Sie will fort von ihrem Gatten, dem 4. Lord Edgware, der ein lasterhafter Schurke am Rande des Wahnsinns sei und ihr boshaft die Scheidung verweigere. Werde ihr Poirot nicht helfen, müsse sie Edgware wohl umbringen.
Captain Hastings, Poirots ‚Assistent‘ und Chronist, ist höchst erstaunt, dass der Detektiv einwilligt. Etwas hat dessen Interesse geweckt, und es steigert sich, als Edgware Poirot wissen lässt, dass er längst in die Scheidung eingewilligt habe. Jane Wilkinson ist begeistert und dankbar, als ihr dies berichtet wird – und ist am nächsten Tag verhaftet, weil sie Lord Edgware in der Bibliothek seines Hauses erstochen hat!
Warum hat sie das getan? Inspektor Japp von Scotland Yard ist nicht begeistert, als Poirot Zweifel am Tathergang äußert. Zu seinem Verdruss behält der Detektiv wieder einmal recht: Lady Edgware hat ein Alibi; sie aß in der Mordnacht mit zwölf Freunden auswärts.
Wie konnte man sie als Mörderin verdächtigen? Die Ermittlungen ergeben, dass sich offenbar eine Doppelgängerin Einlass in das Edgware-Anwesen verschafft hat. Damit fällt der Verdacht auf Carlotta Adams, eine Bühnenkomikerin und Imitatorin, die auch Jane Wilkinson großartig nachahmen kann. Ein Verhör ist allerdings unmöglich, denn Miss Adams wird tot aufgefunden; sie hat offenbar versehentlich eine Überdosis Schlafmittel genommen.
Was steckt hinter den beiden Todesfällen? Während Japp im Dunkeln tappt, erkennt Poirot erst den Zusammenhang und schließlich ein Mordkomplott, das nur ein Zufall zum Einsturz bringen kann …
Das Problem des ‚unmöglichen‘ Mordes
1933 hatte sich Agatha Christie zu einer festen Größe der zeitgenössischen Kriminalliteratur entwickelt. Ihre handwerklichen Fähigkeiten ergänzten einen Einfallsreichtum, was zu einer Kette rasch aufeinanderfolgender, von der Kritik wie vom Publikum gut bis hervorragend aufgenommener Romane führte. Noch war Christie nicht in Routine erstarrt, sondern suchte und fand komplizierte aber zumindest logisch wirkende Fälle, in denen vor allem Hercule Poirot brillieren konnte, der als Figur gleichermaßen skurril wie einprägsam war – ein Glücksfall, da Poirot zu einem Mythos wurde, von dem auch und gerade Christie in ihren späten Jahren zehren konnte.
„Dreizehn bei Tisch“ ist der eigentlich irreführende Titel dieses Romans, der ihn in seiner US-Inkarnation erhielt. Jenseits des Atlantiks griff man dafür auf eine Episode zurück, in der die verdächtige Lady Edgware Gast einer Tischrunde ist, die aus dreizehn Personen besteht; eine Zahl, die aus Sicht abergläubischer Zeitgenossen Unheil nicht nur signalisiert, sondern heraufbeschwört. Christie selbst blieb wie so oft nüchterner: „Lord Edgware stirbt“ nannte sie ihren Roman, der zunächst in England erschien. Dieser Titel trifft den Kern des Geschehens nicht nur deshalb, weil es den genannten Lord in der Tat erwischt, sondern bereits auf das Motiv anspielt: Christie greift hier zeitgenössische Konventionen auf, die diesen Mord quasi unumgänglich machen. Dabei erstaunt ihr Talent, dies so darzustellen, dass es noch heute einleuchtet.
Als Krimi gehört „Dreizehn bei Tisch“ dem Genre „Whodunit“ an. Zur Abwechslung findet man Edgwares Leiche nicht in einem von innen verschlossenen Raum, in dem ihn keineswegs jemand hätte umbringen können. Christie wählt eine Variante und präsentiert uns einen angeblichen Mörder, der die Tat auf keinen Fall begehen konnte, weil er (bzw. sie?) definitiv an einem anderen Ort war. Natürlich gab es doch eine Möglichkeit.
Zu viele mögliche Mörder mit Alibi
Die Suche nach der Lösung ist der Treibriemen, der die Handlung in Schwung hält. Christie gibt von Anfang an ein hohes Tempo vor. Längen bleiben aus, wenn man die Gemächlichkeit der Ermittlungsarbeit ausklammert, die indes für den klassischen Rätselkrimi typisch ist. Generell drehte die Welt sich um 1930 noch ein wenig langsamer, weshalb sich Poirot nur dann beeilt, wenn er davon überzeugt ist, dass Lebensgefahr droht – eine Einschätzung, die sich zu seinem Kummer dieses Mal gleich zweifach bestätigt; zu allem Überfluss kommt ihm der Mörder jedes Mal zuvor.
Da Lady Edgware dem unglücklichen Inspektor Japp vom Haken springt, müssen Polizei und Detektiv sich im Umfeld der Gemeuchelten umhören. Wie es sich für einen Krimi dieser Art und Epoche gehört, gibt es entweder keine bzw. ausschließlich Verdächtige/n. Christie unterstreicht die prekäre Lage, indem sie jede Person, die Poirot befragt, offen zugeben lässt, Lord Edgware gehasst zu haben. Tot wollten ihn alle gern sehen, und ein echter Mistkerl war er tatsächlich (auch wenn es Christie hier bei Andeutungen belässt), der sein Schicksal sogar verdient hat. Aber Poirot gibt zu bedenken, dass Selbstjustiz nicht die Lösung sein kann, zumal dem ersten Mord oft ein zweiter folgt, der bereits leichter fällt und das Töten zur Gewohnheit werden kann: eine Ansicht, die sich in der Auflösung bestätigen wird.
Gleichzeitig erschwert eine Verdächtigen-Schar die Untersuchung beträchtlich. Christie ist kein (guter) Trick zu schade, um ihren Lesern Sand in die Augen zu streuen. Sie spielt mit uns, die wir uns nach 100 Seiten völlig sicher sind zu wissen, wer was und wieso getan hat, bevor die Autorin uns final in Kenntnis zu setzen gedenkt. Man kann Christies Grinsen förmlich spüren, wenn sie unsere Gedankengänge exakt nachvollzieht – und die ‚Lösung‘ von Poirot genüsslich in kleine Stücke reißen lässt: Wieder einmal hat man uns hereingelegt – und wir sind begeistert!
Poirot in Bedrängnis
Gern wirft Inspektor Japp Poirot vor, er säße nur in seinem bequemen Sessel und denke nach, statt tatkräftig selbst nach Indizien und Motiven zu fahnden. Poirot gibt ihm sogar Recht und singt das Loblied vom „armchair detective“, der seine Gedanken wandern lässt und trotzdem den Strolch entlarvt. Tatsächlich ist Poirot ziemlich aktiv; es ist die Ungeduld seiner Mitmenschen, die ihn lethargisch wirken lässt. Vor allem Captain Hastings, der in den Poirot-Romanen den Watson gibt und in seiner Rolle aufgeht, indem er dumme Fragen stellt, voreilige Schlüsse zieht und umständliche Erklärungen fordert, sorgt dafür, dass Poirots Credo umso nachhaltiger wirkt: Fakten müssen nicht nur gesammelt, sondern ausgewertet und notfalls neu bewertet werden – eine Fähigkeit, die Inspektor Japp als Klischee-Polizist abgeht, weshalb er wie üblich dorthin eilt, wo der Mörder ihn sehen will.
Dieses Mal ist Poirot, der üblicherweise sehr von seinen Fähigkeiten überzeugt ist, freilich unzufrieden mit sich. Der Täter kann es mit ihm aufnehmen und sogar zwei Zeugen vor seiner Nase ausschalten. Leider ist es unmöglich, die dahintersteckende Raffinesse zu würdigen, ohne zu verraten, wie dieser Fall gelöst wird – was angesichts der Qualität dieses Krimis ungerecht denen gegenüber wäre, die ihn noch lesen möchten. Das übliche Stochern im Nebel, das den Mittelteil eines Rätselkrimis ausmacht, gewinnt dadurch an Überzeugungskraft: Poirot, der oft schlicht für sich behält, was er herausgefunden hat, irrt sich hier tatsächlich mehrfach.
So ist es ein Zufall, der ihm endlich die Spinnweben aus dem Hirn bläst. Es spricht abermals für Christie, dass sie diesen Zufall, der ansonsten im „Whodunit“ als fauler Trick verpönt ist, plausibel ins Geschehen einfließen lässt. Endlich hat Poirot jenen Ansatz gefunden, der ihm ermöglich, das Lügengespinst des Täters aus den Angeln zu heben! Als der auf den Henker wartet, nimmt er sich deshalb die Zeit für einen Brief an Poirot, in dem er u. a. den Fehler bedauert, sich mit diesem gemessen zu haben. Diese Erkenntnis kommt zu spät, trifft aber zu und wird vom altmodisch oder besser: klassisch sowie prächtig unterhaltenen Leser gern unterschrieben.
„Dreizehn bei Tisch“ im Film
Da Agatha Christie mit diesem Buch ein echter Bestseller gelungen war, dauerte es nur kurze Zeit, bis das Kino den Stoff aufgriff. Bereits ein Jahr nach der Erstveröffentlichung inszenierte Henry Edwards (1882-1952) „Lord Edgware Dies“ nach einem Drehbuch von H. Fowler Mear (1888-1985). Wie schon in „Alibi“ und „Black Coffee“ (beide 1931) spielte Austin Trevor (1897-1978) Hercule Poirot. Eigentlich sollte diesem Film eine ganze Serie folgen, doch das Projekt starb, als der erhoffte Kassenerfolg ausblieb.
Deutlich besser geriet 1985 der TV-Film „Thirteen at Dinner“, denn dies war einer jener sechs Filme, in denen Peter Ustinov (1921-2004) Poirot nicht nur spielte, sondern regelrecht verkörperte. Die weibliche Hauptrolle der Lady Edgware übernahm Faye Dunaway.
Nachdem er im gerade genannten Film noch die Nebenrolle des Inspektor Japp übernommen hatte, stieg David Suchet (*1946) vier Jahre später zu DEM Hercule Poirot auf, den er zwischen 1989 und 2013 in der legendären Fernsehserie „Agatha Christie’s Poirot“ insgesamt siebzig Mal spielte.
Autorin
Agatha Miller wurde am 15. September 1890 in Torquay, England, geboren. Einer für die Zeit vor und nach 1900 typischen Kindheit und Jugend folgte 1914 die Hochzeit mit Colonel Archibald Christie, einem schneidigen Piloten der Königlichen Luftwaffe. Diese Ehe brachte eine Tochter, Rosalind, aber sonst wenig Gutes hervor, da der Colonel seinen Hang zur Untreue nie unter Kontrolle bekam. 1928 folgte die Scheidung.
Da hatte Agatha (die den Nachnamen des Ex-Gatten nie ablegte, da sie inzwischen als „Agatha Christie“ berühmt geworden war) ihre beispiellose Schriftstellerkarriere bereits gestartet. 1920 veröffentlichte sie mit „The Mysterious Affair at Styles“ (dt. „Das fehlende Glied in der Kette“) ihren ersten Roman, dem sie in den nächsten fünfeinhalb Jahrzehnten 79 weitere Bücher folgen ließ, von denen die Krimis mit Hercule Poirot und Miss Marple weltweite Bestseller wurden.
Ein eigenes Kapitel, das an dieser Stelle nicht vertieft werden kann, bilden die zahlreichen Kino und TV Filme, die auf Agatha Christie Vorlagen basieren. Sie belegen das außerordentliche handwerkliche Geschick einer Autorin, die den Geschmack eines breiten Publikums über Jahrzehnte zielgerade treffen konnte (und sich auch nicht zu schade war, unter dem Pseudonym Mary Westmacott sechs romantische Schnulzen zu schreiben).
Mit ihrem zweiten Gatten, dem Archäologen Sir Max Mallowan, unternahm Christie zahlreiche Reisen durch den Orient, nahm an Ausgrabungen teil und schrieb auch darüber. 1971 wurde sie geadelt. Dame Agatha Christie starb am 12. Januar 1976 als bekannteste Krimi Schriftstellerin der Welt. (Wer mehr über Leben und Werk der A. C. erfahren möchte, wende sich hierher.)
Taschenbuch: 288 Seiten
Originaltitel: Lord Edgware Dies (London : Collins Crime Club/William Collin’s Sons 1933/New York : Dodd, Mead & Co. 1933)
Übersetzung: Giovanni u. Ditte Bandini
www.atlantik-verlag.de
eBook: 1237 KB
ISBN-13: 978-3-455-17034-4
www.atlantik-verlag.de
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