Dan Brown – Sakrileg. Illustrierte Ausgabe

Das Universum der Zeichen

Der Museumsdirektor des Louvre wird in der weltberühmten Galerie kaltblütig erschossen. Er stellt sich als Oberhaupt eines uralten Geheimbundes heraus, denn mit seinem letzten Atem hat er eine Geheimbotschaft geschrieben: den Da-Vinci-Code. Zur selben Zeit setzt eine Gesellschaft des Vatikans alles daran, die größte Macht in der Christenheit zu erlangen. Ein Wettlauf gegen die Zeit und eine rasante Schnitzeljagd durch die Symbolkunde des Abendlandes beginnt.

Bei der vorliegenden Ausgabe handelt es sich um ein Hardcoverbuch im Lexikonformat, das auch ein entsprechendes Gewicht mitbringt – das verwendete hochwertige Papier, das für die Reproduktionen benötigt wurde, ist ziemlich schwer, jedenfalls viel schwerer als Taschenbuchpapier. Der Preis ist fünf Euro höher als bei der nicht illustrierten Harcoverausgabe.

Der Autor

Dan Brown war genau wie Stephen King zuerst Englischlehrer, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. „Als Sohn eines mehrfach ausgezeichneten Mathematikprofessors und einer bekannten Kirchenmusikerin wuchs er in einem Umfeld auf, in dem Wissenschaft und Religion keine gegensätze darstellen“, meint die Verlagsinformation. „Diese Kombination ist es auch, die den weltweiten Erfolg des Autors begründet. ‚Illuminati‘, der erste in Deutschland veröffentlichte Roman von Brown, gelangte innerhalb kürzester Zeit auf Platz 2 der Bestsellerliste.“ Auf welche, wird nicht verraten. Vielleicht weiß Ford Prefect mehr. „Brown ist verheiratet und lebt mit seiner Frau, einer Kunsthistorikerin, in Neuengland.“ Na, das klingt doch direkt nach einer Ko-AUTORIN!

Handlung

Robert Langdon, ein Symbolkundler der Harvard University, weilt gerade in Paris, um dort an der Amerikanischen Universität einen Vortrag über sein Fachgebiet zu halten. Er freut sich, endlich den Museumsdirektor des Louvre kennen zu lernen, der die höchste Autorität in Sachen heidnische Verehrung der göttlichen Weiblichkeit sein soll. Da reißt ihn ein nächtlicher Anruf aus dem Schlaf.

Die Chef der Staatspolizei wünscht Langdons Anwesenheit im Louvre. Dort steht Langdon wenig später reichlich erschüttert: Die Leiche des Museumsdirektors Jacques Saunière liegt verrenkt und ermordet unweit der „Mona Lisa“. Er wurde in den Bauch geschossen und hatte noch 15 bis 20 Minuten Zeit, eine Geheimbotschaft mit Schwarzlichtschreiber auf den Boden zu kritzeln, die nur bei UV-Licht sichtbar wird – eine übliche Praxis in Museen.

War diese Botschaft schon rätselhaft, so ist die Leiche auch noch so angeordnet, dass sie aussieht wie da Vincis berühmteste Skizze: die der Proportionen des Menschen in einem Kreis. Gleich darauf taucht Sophie Neveu, die Kryptografin der Staatspolizei, am Tatort auf und warnt Langdon indirekt, dass der Hauptmann der Staatspolizei, ihn, Langdon, als Hauptverdächtigen betrachte. Klar, dass unser Mann aus Boston reichlich von den Socken ist: Sophie scheint nicht viel von Gehorsam gegenüber ihrem Chef zu halten. Außerdem zeigt sie ihm noch, dass man ihn verwanzt hat. Und verrät ihm, dass der Ermordete ihr Großvater war.

Zusammen knobeln die beiden heraus, dass der Museumsdirektor der Großmeister einer Bruderschaft war, der Prieuré de Sion, die 1099 gegründet wurde. Sie kämpft gegen die Verdammung und Diffamierung der Maria Magdalena, Jesu Ehefrau (!), durch die römisch-katholische Kirche, die zu den Hexenjagden führte. Auch das Renaissance-Genie Leonardo da Vinci, der Maler Sandro Botticelli, der Romancier Victor Hugo und der Künstler Jean Cocteau waren Großmeister der Bruderschaft.

Doch der Erzfeind der Bruderschaft, ein Bischof des mächtigen katholischen Ordens Opus Dei, schläft auch nicht. Er holt in derselben Nacht zum entscheidenden Schlag aus. Und deshalb mussten der Museumsdirektor und drei seiner Hauptleute in der Bruderschaft sterben. Aber vielleicht gibt es auf beiden Seiten noch weitere Hintermänner. Saunière hat jedenfalls seiner Enkelin und Alleinerbin eine Reihe von verschlüsselten Hinweisen hinterlassen – schließlich hatte er ihre Ausbildung zur Codeknackerin in die Wege geleitet.

Wer nun wem welches Geheimnis wo, wann und wie abjagt, darum drehen sich die restlichen 450 Seiten. Wer aus dieser Schnitzeljagd lebend hervorgeht und wie die Lösung des Rätsel lautet, erfährt man (natürlich) erst ganz am Schluss. Wie es sich gehört.

Die Ausstattung der Illustrierten Ausgabe

Nach dem Schutzumschlag, den das Buch mit der bisherigen Hardcoverausgabe teilt, folgt die Innenseite des Kartons und die erste Seite des Buches. Auf dieser Doppelseite – wie auch auf dem Pendant am Schluss – finden sich die Abbildung einer Abhandlung von Leonardo da Vinci – wie passend! Heißt das Buch doch im Original „The Da Vinci Code“. Die Schrift kann leider nur ein Experte lesen, denn es handelt sich um winzige Spiegelschrift. Die Zeichnungen scheinen Maschinen der Hydrodynamik zu beschreiben, aber da bin ich kein Fachmann. Es handelt sich um den Codex Leicester, der sich im Besitz von Bill Gates befindet oder befand. Der Codex ist kleiner nochmals auf S. 319 abgedruckt.

Bei dem ersten Bild, das bezeichnet wird (im Bildnachweisverzeichnis des Anhangs), handelt es sich um eine der Schriftrollen vom Toten Meer, auf denen eines der Evangelien aufgezeichnet wurde. Davor gibt es die Abbildung einer schwungvollen Schrift, die aber nirgendwo bezeichnet ist. Das erste Bild, das über eine Bildunterschrift verfügt, ist Caravaggios „Tod der Jungfrau“ – ein sehr ungewöhnliches Motiv. Andere Bilder zeigen Stiche, Holzschnitte oder sogar Ausschnitte aus einem Zeichentrickfilm („Arielle, die Meerjungfrau“).

Ich will aber jetzt nicht alle abgebildeten Gemälde herbeten, sondern einen Eindruck davon vermitteln, welchen Mehrwert die Illustrierte Ausgabe bietet, um ihren höheren Preis zu rechtfertigen.

Eine wertvolle Orientierungshilfe bilden beispielsweise Grundrisse von Gebäuden, die – wie anfangs der Louvre – eine wesentliche Rolle in der Handlung des Romans spielen. Der Louvre-Grundriss, obwohl recht klein im Maßstab, vermittelt eine genaue Vorstellung davon, wo die erste Szene stattfindet. Der Grundriss der Temple Church ist auf Seite 361 abgebildet. Die anderen Gebäude, wie etwa die Westminster Abtei und Roslyn Chapel, werden nicht mit Grundriss, sondern in vierfarbigen Fotos gewürdigt. Auch Stadtpläne wie etwa von London (seite 352) finden sich, auch wenn sie auch kaum zu lesen sind, weil der Maßstab ziemlich klein ist. Eine Lupe leistet hier gute Dienste.

Da in „Sakrileg“ alle Gebäude ihren eigenen Code darstellen, legt die Auswahl der Bilder großes Gewicht auf die Darstellung von architektonischen Details, die Zugang zu diesem Code gewähren, so etwa Torbögen, Deckenreliefs, Säulenformen, bemalte Kirchenfenster und vieles mehr. Natürlich sind auch so wichtige Details wie die „Rosenlinie“ in der Pariser Kirche Saint-Sulpice abgebildet zu finden.

Ständig fragen Sophie und Robert: „Was hat das zu bedeuten?“ Die halbe Welt besteht nämlich aus Geheimcodes, wenn es nach Robert Langdon (und seinem Schöpfer) geht. Folglich sollte es nicht verwundern, wenn nicht nur Inschriften in fremden Sprachen zu finden sind, sondern auch die Codes, die sie bilden, selbst. Auf Seite 216 gibt der Autor das praktische Beispiel des „Caesar-Quadrats“ als eine antike Verschlüsselungsmethode. Auf Seite 335 ist ein weiterer Code abgebildet. So lässt sich relativ leicht nachvollziehen, wie die Romanfiguren zu den Lösungen der Rätsel kommen.

Jede Kapitelüberschrift ist künstlerisch hervorgehoben, denn sie steht umrahmt vor einem Hintergrundmuster, bei dem es sich um einen rotbraunen Stein handeln könnte. Das ist recht geschmackvoll entworfen. Jedes Kapitel beginnt mit einer riesigen Initiale, die in Schreibschrift gehalten ist. Bei „Robert Langdon“ in Kapitel 1 finden wir also ein riesiges R vor.

Mein Eindruck

Ich habe diesen spannenden und sehr leicht zu lesenden Roman in nur wenigen Tagen ausgelesen. Sehr einfach zu lesen ist das Buch deshalb, weil die doch recht vielschichtige geschichtliche Materie, um die es geht, stets fein säuberlich erklärt wird. Was der Symbolologe Langdon nicht versteht, erklärt ihm die Codespezialistin Sophie Neveu. Und umgekehrt.

Als beide zu einem Spezialisten fahren, den Langdon kennt, kommen noch tiefe historische Dimensionen hinzu. Wenn alle drei nicht mehr mit ihren Entschlüsselungsversuchen weiterkommen, gibt es ja immer noch Spezialbibliotheken, auch solche auf dem modernsten technischen Stand.

Und wenn selbst das nicht mehr hilft, um die Rätselsprüche, die Jacques Saunière hinterlassen hat, aufzuklären, muss die gute alte Eingebung und Intuition herhalten. Denn nicht jeder Freund, der sich als solcher ausgibt, stellt sich am Ende auch als solcher heraus. Und wenn man in die Mündung einer Pistole schaut, bringt das die kleinen grauen Zellen ungemein auf Trab.

Die Akteure

Auch die Charakterisierung der drei oder vier Hauptfiguren ist recht schlicht gestrickt. Langdon ist unser ganz normal naiver Harvardprofessor mit einer Phobie vor engen Räumen – Fahrstühlen beispielsweise. Sophie lernen wir am besten kennen, denn ihre Familiengeschichte und ihre Ausbildung stellen sie an eine ganz besondere Position innerhalb des Themas, das ich bislang noch nicht verraten habe und auch nicht werde.

Schließlich sind da noch die Schurken: Der körperlich außergewöhnliche Mörder des Museumsdirektors, ein Albino, ist ein williges Werkzeug zweier Meister. Der eine davon ist der Opus-Dei-Bischof, doch der andere ist lediglich als „der Lehrer“ bekannt. Um die Spannung aufrechtzuerhalten, bleibt dessen wahre Identität lange Zeit im Dunkeln, nur um dann umso stärker zu schockieren. Das ist sauber ausgetüftelt.

Good old Europe

Ohne nun das zentrale Thema zu verraten, kann man doch sagen, dass einem amerikanischen Leser der alte Kontinent Europa wie das reinste Kuriositätenkabinett dargeboten wird. Dies erfolgt in Form einer Schnitzeljagd: ein gelöstes Rätsel führt zum nächsten und so weiter, immer tiefer in die Vergangenheit: von der Kreuzigung über die Kreuzzüge und Tempelritter bin hin zu modernen Geheimbünden.

Der Autor macht den Leser selbst zum Codeknacker, Symbolkundler, Rätsellöser – kurzum: zum Geheimdienstler à la NSA oder CIA. Wir sind dann alle kleine oder große Spykids, genauso wie es die Großmeister der Bruderschaft stets waren. Leonardo da Vinci, auch ein Spykid, verschlüsselte seine Botschaften, wie es schon die alten Juden zu Jesu Zeiten taten. Und der Museumsdirektor des Louvre, in da Vincis Nachfolge, baute die codegeschützten Nachrichtenbehälter da Vincis nach.

Donald Rumsfelds spitzes Wort gegen „das alte Europa“, auf das die europäische Intelligentsia so hochmütig selbstbewusst reagierte – hier, in Dan Browns Roman, nimmt es für jeden Amerikaner Gestalt an. Und wenn wundert’s da noch, dass es am Schluss der Ami Langdon ist, dem doch noch die Lösung des Rätsels in den Schoß fällt. Wenigstens erweist er der Offenbarung seine Reverenz. Na, das ist doch schon mal was.

Mein Eindruck von der Ausstattung der Illustrierten Ausgabe

Alle oben genannten Bilder, Stadtpläne und Codebeispiele mussten natürlich mit Bildunterschriften versehen werden, damit sie dem Leser auch etwas bedeuten. Die Übersetzung erfolgte in aller Regel fehlerfrei, mit einer Ausnahme. Auf Seite 243 ist einer der zahlreichen Wasserspeier der Kirche Notre-Dame zu sehen. Allerdings bezeichnet ihn die Bildunterschrift als „Gargoyle“. Das ist das englische Wort für „Wasserspeier“.

Warum wurde es nicht übersetzt? Vielleicht weil es eine Fernsehserie über „Gargoyles“ gab und dieses Wort in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen sein könnte? Nun, ich habe jedenfalls das Wort „Gargoyle“ in den letzten fünf Jahren nirgends in deutschen Texten gefunden, würde also meinen, dass es keineswegs in den Sprachgebrauch übergegangen ist. Dann hätte man „Gargoyle“ übersetzen sollen. Unter „Wasserspeier“ kann sich auch der Architektur-Laie etwas vorstellen. Und das Bezeichnete ist ja daneben abgebildet.

Insgesamt gibt der abgedruckte Kosmos an Gemälden, Architektur, Fotos und sonstigen Bildern einen Eindruck davon, von welcher Fülle an bedeutungsvollen Zeichen wir ringsum umgeben sind – falls wir uns einmal trauen sollten, den Blick von der Bildüberflutung in der Glotze zu heben und mal in eine Galerie oder ein Museum zu gehen.

Das ist der eine Nutzeffekt. Der andere besteht natürlich in der anschaulichen Instruktion des Lesers. Er lernt (zumindest im Ansatz), mit den Romanfiguren rätselhafte Codizes zu entschlüsseln und den Geheimnissen, die die Welt bereithält, auf den Grund zu gehen. Dabei ist es gleichgültig, ob diese Rätsel erfunden oder real existent sind – es kommt auf den Spaß an, sie zu entschlüsseln.

Und ganz nebenbei stößt man, wenn man Brown folgt, auf ein mächtiges verborgenes Rätsel innerhalb der christlich-jüdischen Religion: Jesus war verheiratet, hatte Kinder und irgendwo leben vielleicht noch heute seine Nachkommen. Was eigentlich nur besagt, dass in jedem Kind der heilige Gral manifestiert ist. Das wiederum dürfte den Papst ganz enorm freuen, entspricht es doch ganz seiner Doktrin gegen die Empfängnisverhütung.

Unterm Strich

Als hätte ihm seine werte Gattin, die Kunsthistorikerin, die geistige Feder geführt, liefert Dan Brown zwar wieder mal einen routinierten Mystery-Thriller ab. Doch dieser spielt mit so vielen geschickt verpackten Hinweisen aus der Kunstgeschichte, dass sich der Leser nicht wie in einem Seminar vorkommt, so wie bei einer sehr anschaulichen Führung durch die Museen und Bibliotheken Europas. Dass dabei noch Mörder, Geheimbünde und die Polizei sowieso hinter den Helden herjagen, tut der Spannung gut, die bis fast zum Schluss aufrechterhalten bleibt.

Die „Illustrierte Ausgabe“ von „Sakrileg“ ist eine sehr schöne Buchausgabe des Bestsellers, die nicht nur sehr viel Anschauungsmaterial bietet, sondern obendrein auch noch Lern- und Orientierungshilfen. Somit ergänzen die unterschiedlichen Bildelemente den Text auf optimale Weise und machen das Buch zu einem Weihnachtsgeschenk.

Dadurch wird die Illustrierte Ausgabe zu einem Mittelding – oder einer Kombination – aus Roman und Kunstführer inklusive Rätsellösungsband. Bekanntlich gibt es letzteres Werk bereits, und zahllose amerikanische Touristen suchten 2004 und 2005 Europa mit eben diesem Führer auf den Spuren des „Da Vinci Codes“ heim. Leider ist die Illustrierte Ausgabe ein wenig zu gewichtig, um sie als Führer zu den erwähnten Stätten des Romans sinnvoll benutzen zu können.

Seit September 2005 gibt es übrigens auch die illustrierte Ausgabe von „Illuminati“ in den deutschen Buchläden, ebenfalls herausgegeben vom |Lübbe|-Verlag.

Gebunden: 480 Seiten.
Originaltitel: The Da Vinci Code – Special Illustrated Edition, 2004
Aus dem US-Englischen von Piet van Poll.
ISBN-13: 978-3785722275.

www.luebbe.de

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