Davernos – Julie. Eine Meisterin der Liebe

Früh übt sich, was ein Meister, pardon: eine Meisterin werden will: Julie. Schon als Heranwachsende verspürt die hübsche Julie heftiges Liebesverlangen. Zunächst sind es noch recht harmlose Spiele, die sie mit anderen Mädchen erprobt. Bald aber geht sie zu den viel interessanteren der Erwachsenen über und sammelt bei ihnen, unermüdlich aktiv, die reizvollsten Erfahrungen.

Bisexuell veranlagt, verführt Julie in der Folge Jungen und Mädchen auf jede nur denkbare Weise: die unschuldige Judith, John, den Bruder ihrer „Spielgefährtin“ Maud, und seine Kameraden. Sie treibt es mit der Erzieherin Germaine und dem Gärtner Bacchio und schließlich, nach dem Spiel zu zweit, zu dritt, zu viert, in schrankenloser Ausgelassenheit mit einem halben Dutzend junger Burschen… (Verlagsinfo Goldmann)

Die Autorin

Über die Autorin mit dem Pseudonym „Davernos“ ist nichts bekannt.

Diese Ausgabe ist mit 14 Zeichnungen von Bruno Gerstner aus dem Jahr 1928 ausgestattet (s.u.). Es gibt zwei weitere Ausgaben: eine Neuausgabe in der Edition ars amandi des Melcior Verlages, 2015 in Wolfenbüttel (ISBN 9783942562263) mit 12 Zeichnungen und bei Passion Publishing 2014 (nur als Kindle-Ebook).

Handlung

Julie ist in der Klosterschule erzogen worden, hat ihre Eltern verloren und wird nun von ihrem Onkel als Vormund „verwaltet“. Erzogen wird sie ab 14 Jahren vom Leben, wie es eben im abgeschiedenen Mädchenpensionat stattfindet. Vor allem die nur zwei Jahre ältere, blonde Engländerin Maud führt sie in sexuelle Spiele ein und verführt mit ihr schon mal ein elfjähriges Opfer. Erstaunlich, wie heftig eine Elfjährige kommen kann, finden die beiden Sappho-Jüngerinnen. Sie finden die weibliche Ejakulation ganz normal.

Aber immer nur Frauen? Das ist langweilig. Schon früh blasiert, erspähen die beiden Tribaden im 50-jährigen Gärtner Bacchio ihr nächstes Opfer. Aber da geraten sie an den Richtigen. Er legt die beiden vorwitzigen Mädchen übers Knie, bevor er sie entjungfert. Aua! Von alten Knackern haben sie erst einmal genug.

Nach England

Maud wird zurück nach England in ihr adliges Elternhaus gerufen. Sie lädt Julie, mit ihr zu leben. Julies Vormund, der Onkel, ist mit einer heimlichen Geliebten beschäftigt, daher hat Julie keine Gewissensbisse, um die Erlaubnis, bei Maud zu leben, zu bitten. Sie wird ihr gnädig gewährt, denn der Onkel hat offensichtlich gerade andere Prioritäten.

Maud hat einen feschen Bruder namens John, in den sich Julie verguckt. Aber man darf den Mannsbildern nicht alles auf dem Silbertablett servieren, wie sie bereits weiß. Sie lässt Jonny erst einmal nach ihr schmachten, bevor er sie küssen darf und sie ihn richtig verwöhnt. Rechtzeitige Scheidenspülungen verhindern, dass sie schwanger wird.

Geschwisterliebe

Da hat sie eine brillante Idee, für die sie auch Johnny gewinnen kann: Wir wäre es, wenn sie mit Maud einen flotten Dreier feiern könnten? Johnny hat offenbar gegen Geschwisterliebe nichts einzuwenden (ein Schelm, wer Böses dabei denkt), Maud dagegen viel. Mit einem Trick gelingt es Julie jedoch. Sie lässt Maud einen Dildo in gebrauch nehmen, doch gerade als sie ihn einführen will, schaltet Johnny das elektrische Licht aus (merke: dies ist ein ultramodernes Haus). Im Dunkeln ist gut munkeln, denkt er sich, und ersetzt den Dildo durch dessen lebendige Gegenstück, das ihm Gott Priapus verliehen hat. Maud macht auch von diesem Instrument weidlich Gebrauch, doch da schaltet Julie das Licht wieder ein. Entsetzt starrt Maud ihren Bruder an, der gerade auf ihr liegt. Nachdem sie sich wieder beruhigt hat, folgt eine schöne Zeit zu dritt. An deren Ende ist der gute Johnny ganz vom Fleisch gefallen und abgemagert. Nur das Ende der Sommerferien rettet vermutlich sein Leben.

Eine reine Seele

Die inzwischen volljährige Maud ist von ihren Eltern reich bedacht worden und kann sich eine kleine Wohnung in der nächsten Stadt leisten. Klar, dass Julie sie besuchen kommt. Zusammen gehen sie auf die Pirsch, um sich ihr nächstes Opfer zu suchen. Diesmal gelüstet es sie nach einer reinen Seele. Sie finden sie unter den puritanischen Quäkern: Judith heißt die auserkorene Unschuld.

Um das edle Wild nicht zu verschrecken, werfen sich die beiden Jägerinnen in die düstere Kluft, die bei den Quäkern als Standardkleidung durchgeht: ein schwarzes Kleid, ein grobes Hemd, ein Korsett und – kaum zu glauben – Hosen! All dies werden sie später Judith vom Leib fetzen, um freizulegen, was der Göttin der Wollust gehört. Hosianna, singen die beiden zunächst und beten aufs frömmste.

Judith ist sehr angetan von ihnen und lässt sich einladen, mit ihnen in ihrer Privatkapelle dem Schöpfer zu huldigen. Flugs bringt ein Wagen das fromme Trio dorthin. Doch Mauds „Kapelle“, die sie in ihrer Wohnung eingerichtet, verwandelt sich vor den Augen der entsetzten Judith flugs in eine Folterkammer. Doch diese Folter ist süßer, als sie sich je hätte vorstellen können…

Mein Eindruck

Im weiteren Verlauf ihrer amourösen Erlebnisse bis zum 20. Lebensjahr lernt Julie eine Italienerin kennen, die ihre 13-jährige Tochter Lucette über alles liebt. Damit wird das Thema des Inzests weitergeführt. Anschließend lernen Julie und Maud mit Germaine eine üppige Gouvernante kennen, mit der sie ausschweifende lesbische Spiele veranstalten.

Das wichtigste aber an Germaine ist ihre Erzählung davon, wie sie in jungen Jahren im Nonnenkloster von der Mutter Oberin und einem Priester systematisch verführt und verderbt wurde. Der Plan der beiden Erwachsenen bestand darin, Germaine, wie schon unzählige Kinder vor ihr, für den Gebrauch durch den Priester bereitzumachen. Zu diesem Zweck griffen die beiden auf die Dienste eines bereits verführten Chorknaben zurück, der den Hintereingang zu Germaines Leib öffnen und derart verbreitern sollte, dass auch der Abbé schließlich, mit ein wenig Hilfe der Oberin, seinen Zauberstab in Germaines Hintereingang praktizieren konnte.

Diese Episode kommentiert die Autorin ausdrücklich mit einem Verweis auf Alfred de Mussets verbotenen Roman „Gamiani oder Zwei tolle Nächte“ (siehe meine Besprechung). Dort findet ebenfalls eine Verführung in einem Kloster statt. Lesbische Spiele sind im Roman an der Tagesordnung und führen schließlich zur „Liebesraserei“. Bei Davernos ist die Rede vom „Liebeswahnsinn“, was fast aufs selbe hinausläuft, allerdings ohne die tödlichen Folgen von Gamianis Raserei. Man könnte resümieren, dass die katholische Kirche gleichbedeutend mit Verderbtheit und der Verführung Minderjähriger ist. Ein beträchtlicher Teil der französischen Erotika beschäftigt sich damit.

Das Finale

Zurück auf Mauds elterlichem Anwesen dürfen Julie und Maud gleich sechs Jungs inkl. Johnny verführen, die so zwischen 15 und 16 Jahre alt sind. Wieder findet eifrig Inzest zwischen Maud und ihrem Bruder statt. Diesmal werden die Liebesspiel durch zwei Leistungswettbewerbe gekennzeichnet: erst Wichsen mit der Hand, dann Ablutschen – welche Frau bringt wie viele Jungs am schnellsten zu abspritzen? Die Blowjobs sind aufregender als die Handjobs, das ist klar. Der Unterschied zwischen den Frauen, die fast auf Gleichstand kommen: Julie spuckt das Ejakulat wieder aus, Maud schluckt es genüsslich runter.

Sobald Maud mit 21 Jahren großjährig wird und erben darf, wird sie ohne Umschweife heiratet. Diesen herben Verlust versucht Julie durch viele Freundschaften auszugleichen, zieht aber stets weibliche Geliebte vor.

Die Übersetzung

Die Übersetzung stammt aus dem Jahr 1928, wirkt aber wie aus der Vorkriegszeit. Das Vokabular ist dementsprechend gewöhnungsbedürftig. Es ist direkt putzig, wie sich die Beschreibungen der Kindersprache bedienen. Da ist von Popochen, Fötzchen und Knöpfchen (Klitoris) die Rede. Der Leser kommt sich vor wie im Kindergarten. Wenigstens ist nie Vulgärsprache in Gebrauch. Ausdrücke wie „Arsch“, „Möse“ oder „Titten“ wird man vergebens suchen.

S. 89: „Sieh nur zu, dass du i[h]n zu uns bringst.“ Das H fehlt.

S. 99: Verweis auf Alfred de Musset.

Die Illustrationen

Die Zeichnungen in der Goldmann-Ausgabe stammen von einem Künstler namens Bruno Gerstner. Er hat die Beteiligten an dem jeweiligen Liebesspiel nur wie ein Spiel aus Licht und Schatten dargestellt. Das macht es schwierig, reale Details zu erkennen. Der Eindruck entsteht, dass nur die Positionen der Beteiligten zählen, aber die Umgebung noch die Mienen der Liebenden. Außerdem hat die Position einer Zeichnung nichts mit der gerade geschilderten Szene zu tun – ein völliges Durcheinander ist die Folge.

Hinweis

Nach den ersten 20.000 Exemplaren druckte der Goldmann-Verlag, der sehr unter Indizierungen seiner Titel zu leiden hatte, keine weiteren Auflagen mehr, daher ist diese Ausgabe extrem selten. Glücklicherweise gibt es ja seit 2014 zwei andere Ausgaben, die im Internet leicht zu bekommen sind.

Unterm Strich

Julie erzählt von ihren sexuellen Erlebnissen, die sie zwischen dem 14. und 20. Lebensjahr Anfang des 20. Jahrhunderts (es gibt Elektrizität und Autos) hatte. Obwohl bisexuell wie ihre Freundin Maud veranlagt, neigt sie doch stark zu lesbischen Gespielinnen. Vielfach kommt es zu weiblichen Ejakulationen. Diese Gespielinnen sind mal jünger, mal weitaus älter. So auch Germaine, die Gouvernante, die als Rückblende eine literaturhistorisch bemerkenswerte Episode beisteuert.

Ein Hauch von Gamiani

Wie sie in einem Nonnenkloster von der Oberin, dem Abbé und einem Chorknaben verführt wurde, ist ein Meisterstück planvoller Verführung Minderjähriger. Ähnlich wie in Mussets „Gamiani“-Roman ist das Mädchen das Opfer der Machenschaften des katholischen Klerus. Dieser kulturelle Hintergrund ist Gegenstand zahlreicher weiterer Erotika. Anno 1731 kam es sogar zu einem aufsehenerregenden Prozess, der die Vorlage für den bekannten Roman „Die philosophische Therese“ lieferte.

Anandrie

Durch die Bevorzugung gleichgeschlechtlicher Gespielinnen reiht sich der Roman in eine seit der Antike bestehende Tradition der lesbischen Liebe ein, die am schönsten wohl von der Dichterin Sappho auf der Insel Lesbos besungen wurde. Zwischen 1770 und 1789 gab es in Paris in höchsten sozialen Kreisen sogar zwei lesbische Sekten. Eine davon nannte sich „Anandria“ – das „Land ohne Männer“. Die andere Sekte erlaubte ihren Mitgliederinnen Männerliebe – „pfui, Ketzerei!“, schrien die wahren, strenggläubigen Tribaden. Mehr darüber findet sich in dem Roman „Das Haus der Sappho“ (O-Titel: Anandria), der bei Heyne und anderswo erschienen ist.

Der vorliegende Julie-Roman liest sich flott, humorvoll, zuweilen spannend (Judiths Verführung, Germaines Verführung) und meistens ziemlich anregend. Die Illustrationen hätten indes hübscher und vor allem passender sein können.

Taschenbuch: 128 Seiten
ISBN-13: 9783442060139

www.randomhouse.de

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