Frauke Buchholz – Skalpjagd (Ted Garner 03)

Skalpjagd in Kanada

Nachdem ihn sein letzter Fall beinahe das Leben kostete, beschließt der kanadische Profiler Ted Garner den Polizeidienst zu quittieren und eine psychotherapeutische Praxis zu eröffnen. Bei einem Therapeutenkongress lernt er Dr. Hofstätter kennen und lässt sich von ihr zu einer nächtlichen Zeremonie mit einem indigenen Medizinmann überreden. Nach einem Horrortrip erwacht Garner in einem einsamen Tipi. Neben ihm eine skalpierte Leiche, in seiner Hand ein blutiges Messer.

Anstatt sich zu stellen, lassen ihn Zweifel und Misstrauen selbst ermitteln. Die Spur führt ihn immer tiefer in die kanadische Wildnis von British Columbia und die indigene Welt. Doch die Polizei ist ihm dicht auf den Fersen. Ted Garner, ein geachteter Profiler der Royal Canadian Police, ermittelt in Mordfällen, die ihn von großen Metropolen, durch ungezähmte Wildnis, bis in die Reservate der indigenen Stämme führen. Dabei muss er sich nicht nur mit Kriminellen auseinandersetzen, sondern auch mit seinen eigenen Abgründen. (Verlagsinfo)

Die Autorin

Frauke Buchholz wurde 1960 in der Nähe von Düsseldorf geboren. Sie studierte Anglistik und Romanistik in Köln, Heidelberg und Aachen und promovierte über zeitgenössische Literatur indigener US-AutorInnen.

Sie liebt das Reisen und fremde Kulturen und hat einige Zeit in einem Cree-Reservat in Kanada verbracht. Heute lebt sie in Aachen und schreibt Romane und Kurzgeschichten, die in Anthologien und Literaturzeitschriften erschienen sind. Ihre Geschichte „Barfly“ wurde 2020 mit dem 1. Preis der Gruppe 48 ausgezeichnet.

Frostmond“ war ihr erster Kriminalroman. „Frostmond“ erhielt im September 2021 den „Harzer Hammer“ und im April 2022 den „Stuttgarter Krimipreis“ für das beste Debüt. (Webseiteninfo) Danach folgte 2022 „Blutrodeo“, Ted Garners zweiter Fall (siehe meinen Bericht).

Handlung

Der kanadische Profiler Ted Garner besucht einen Psychologenkongress in Vancouver an der kanadischen Westküste. Er fühlt sich ausgebrannt und kann dem interessanten Vortrag der österreichischen Traumatherapeutin Dr. Claudia Hofstätter kaum folgen, denn ihre sanfte Stimme lullt ihn ein. An der Bar des Kongresshotels sagt sie ihm auf den Kopf zu – er hat schon drei Whiskys intus -, dass er eine dunkle Aura habe und vermutlich unter einem Trauma leide. Sie ahnt nicht, wie groß sein Trauma wirklich ist: Die Mutter hat er bei der Geburt verloren, den Vater kürzlich bei einem etwas „brenzligen“ Fall, er selbst hat schwere Verbrennungen davongetragen. Hofstätter schlägt ihm vor, es mal mit indigenen Therapiemethoden bei einem einheimischen Freund zu versuchen.

Das Ritual

Halbherzig begleitet er Claudia, als sie ihn zu einer abgelegenen Wiese am Fraser River fährt. Hinter einer dichten Hecke steht ein von einem Lagerfeuer erleuchtetes Tipi, aus dem der Klang einer Trommel und ein indianischer Gesang ertönen. Claudia geht voraus, er folgt zögerlich. Was für ein abgefahrener Scheiß, oder? Aber immerhin sind bereits über ein Dutzend Menschen dem Ruf des „Schamanen“ Vernon Sun Dog gefolgt. Nachdem er seine Teilnahmegebühr entrichtet hat, verfällt er fast in betrunkenen Schlaf, doch dann nimmt er ebenfalls zwei von den halluzinogenen Peyote-Pilzen.

Er hat einen echt schlimmen Trip, in dem ihn eine riesige Schlange bedroht, doch er schlägt mit einem Schwert zu, um sie zu töten. Dann schläft er ein. Als er erwacht, liegt eine skalpierte Frauenleiche neben ihm: Frau Dr. Claudia Hofstätter. In der Hand hält er ein Jagdmesser. Er ahnt, wie das aussehen muss: Er sei der Täter. Sofort macht er, dass er wegkommt, doch vorher versucht er, die Blutstropfen von seinem Jackett abzuwaschen. Es ist früher Morgen, und der Tau liegt auf dem Gras der Wiese. Kein Mensch weit und breit, außer einem Angler. Sein Handy sagt ihm, wie er zur nächsten Vorortsiedlung gelangt. Sich dort ein Taxi zum Hotel zu nehmen, dürfte nicht weiter auffallen.

Die Ermittler

Der geschiedene Ermittler Frank Lombardi hat schon einiges hinter sich. Er stellt sich die vielen Leichen, mit denen es er bei der Mordkommission von Vancouver zu tun bekommt, wie ein Gemälde von Hieronymus Bosch vor. Außerdem vermisst er seine Tochter Gina, die verschwunden ist, nachdem sie ihn ausgenommen hatte. Bei ihrer Mutter ist sie jedenfalls nicht.

Er sitzt gerade morgens in der Bar und zieht sich einen Fernet Branca rein, als seine Kollegin Nora Jackson anruft: Die Leiche einer Weißen wurde von zwei Jungs im Kanaka Creek Regional Park in einem Tipi gefunden. Frank bittet sie, ihn abzuholen. Mit einigen Promille intus kann er nicht Auto fahren. Nora wiegt um die 120 Kilo und passt gerade noch so in den Fahrersitz.

Der Anblick der skalpierten Weißen schlägt Frank derart auf den Magen, dass dieser den Rückwärtsgang einlegt – direkt auf den Fundort. Nora ist nicht begeistert, und Frank geht gleich nach draußen. Die Sache stinkt nach Rassismus, warnt ihn Nora später: Eine weiße Frau nimmt an der Zeremonie von Indianern teil und wird von einer schwarzen Kriminalbeamtin gefunden. Frank freut sich jetzt schon auf den Bericht und die Pressemitteilung, die bestimmt ein gefundenes Fressen für alle möglichen Aktivisten werden dürfte.

Der Gerichtsmediziner erklärt ihnen die Sache mit der Décolletage – dem Skalpieren – und dem Mageninhalt der Frau: Sie hatte halluzinogene Peyotl-Knollen eines bestimmten Kaktus eingenommen. Sonst gibt es keine Hinweise auf ihre Vergangenheit, außer dass sie nie einen Zahnarzt nötig hatte: Sie war wohlhabend und kerngesund.

Ted Garner

Obwohl seine Seele nach Flucht und Entkommen verlangt, zwingt sich Ted Garner, genau das Gegenteil zu tun. Er reinigt sich im Kongresshotel, zieht sich um und checkt vorzeitig aus. Dann fährt er nach Chinatown, versteckt seinen auffälligen BMW und nimmt ein billiges Hotelzimmer. Erst einmal ausschlafen, denn erst nachdenken. Er braucht einen Plan, um sich zu entlasten, sollte ihn die Polizei doch noch aufspüren.

Die Ermittler

Ein Mann von Hofstätters Autovermietung meldet sich auf den Aufruf der Polizei hin. Nora Jackson quetscht ihn aus und erfährt, wo die Frau übernachtet hat. Die Rezeptionistin des Kongresshotels hat die Habseligkeiten Hofstätters aufbewahrt, denn sie weiß noch nichts vom Tod ihres Gastes. In einer Schachtel findet Jackson Peyote-Pilze: Bingo!

Ted Garner

Garner hat ebenfalls Glück. Über das Internet stößt er auf eine Indianerfamilie, die esoterische Erfahrungen am Fraser River anbietet. Als er dort vorspricht, kann er die Frau dazu bringen, ihm den Wohnort von Vernon Sun Dog zu verraten, doch ihr Mann schickt Garner weg und hetzt sogar seinen Dobermann auf ihn. Garner erschießt den Hund kurzerhand mit seiner Glock und tritt den Rückzug an. Sein Weg führt ihn mit der Autofähre auf die Vancouver-Insel, wo sich ein Nationalpark an den anderen reiht. In Tofino soll Vernon Sun Dog leben.

Die Ermittler

Die Österreicherin ist nicht vorbestraft, angesehen und offenbar eine Koryphäe ihres Fachs. Über den Barmann und die Rezeptionistin erfahren Frank und Nora, wer Hofstätters letzter Begleiter war: ein gewisser Ted Garner. Seine DNS-Spuren sind überall, sowohl im Mietwagen, als auch im Tipi, dem Fundort der Leiche. Als sie seine Nummer anrufen, erreichen sie seine Frau Pat: Sie habe seit einer Woche nichts mehr von ihm gehört. Und auch der Chef des lokalen RCMP-Büros von Regina in Saskatchewan wüsste gerne, wo Ted steckt. Ted ist auch eine Koryphäe, findet Frank heraus, und wäre in Calgary fast ums Leben gekommen. Er schwebt in großer Gefahr, erkennen sie, und schreiben ihn zur Fahndung aus.

Ted Garner

Garner hat seine Spur verwischt, aber seinen guten alten BMW behalten. In dem kleinen, entlegenen Kaff Tofino wäre der Wagen ganz schön auffällig, deshalb parkt er abseits. Es ist ein kleines Örtchen mit nur wenigen Häusern, aber es hat einen Laden mit beeindruckenden Ausstellungsstücken und einer jungen, auskunftsfreudigen Verkäuferin. Sie weiß nichts von einem Vernon Sun Dog, aber sie verweist ihn an ein paar Bootsbauer. Deren Ältester kennt einen Sunny Russell, auf den die Beschreibung passt, und empfiehlt Garner, ein Wassertaxi zu nehmen.

Auf der nächsten Insel, Meares Island, ist es noch stiller, und die Stimmung zwischen Land, Meer und Himmel ist unwirklich. Auch Sunny Russells Haus ist sehr still. Zu still. Als Garner die Tür offen findet, zieht er seine Waffe. Die ersten Blutstropfen auf dem Boden alarmieren ihn, doch dann folgt eine Blutspur. Sie führt ins Schlafzimmer…

Mein Eindruck

Auch dieser dritte Krimi mit Ted Garner stellt unter Beweis, dass sich die Autorin bestens mit kanadischen Örtlichkeiten und Menschengruppen auskennt. Vielfach gibt verweist sie auf Gegensätze, seien sie nun offenkundig oder ungesehen. Sie reizt die Gegensätze aus, um ihrer Geschichte etwas Pfeffer zu verleihen.

Skalpieren? Jeder Karl-May-Fan weiß, dass nur die „Rothäute“ so eine grausame Trophäenjagd praktizierten. Nun aber findet Frank Lombardi bei seiner Internetrecherche heraus, dass schon das vorderasiatische Volk der Skythen, die einst Herodot beschrieb, die Skalpjagd betrieben: Skalps waren Ehrenzeichen eines Kriegers. Verblüfft liest er, dass es die Europäer ab 1700 waren, die in der Neuen Welt eine Prämie zahlten, wenn ihre indianischen „Verbündeten“ – die Huronen praktizierten die Décolletage ab 1535 – ihnen Skalps der gegnerischen Kämpfer ablieferten. Auch die Mexikaner sammelten eifrig Skalpe und schmückten damit Altäre. Mit einem gelinden Schock liest er, dass noch im späten 19. Jahrhunderts die Regierung von Idaho stattliche Kopfgelder für getötete Indianer zahlte. Nur ein Skalp zählte als Beweis, auch der von Kindern und Frauen.

Man sieht, dass die Autorin keineswegs zimperlich ist, wenn es um solch barbarische Praktiken geht. Erstaunt liest man, dass auch Weiße eifrig mit dem Skalpiermesser bei der Hand waren. Doch die Unterdrückung der indigenen Völker hält bis heute an, wie Ted Garner herausfindet. Sunny Russell (Vernon Sun Dog) und sein Bruder Leonard mussten beide eine Internatsschule der Weißen besuchen und ihre eigene Sprache und Religion vergessen. Solche Entfremdung führt häufig zu einem psychischen Trauma, das nicht selten mit einer Drogen betäubt wird – oder zur Absonderung führt.

Daher sind Drogen eines der Generalthemen dieses dritten Garner-Falls. Damit sind nicht nur die Peyotl-Pilze gemeint, sondern vor allem die Drogen, die „der weiße Mann“ nimmt: Alkohol, Tabak, Kaffee – sie machen Frank Lombardis tägliches Frühstück aus. Doch er fürchtet, seine vermisste Tochter Gina sei der Droge Fentanyl zum Opfer gefallen, die hundert Mal stärker als Morphin wirkt. Nur wenige Straßen hinter dem Touristen-Hotspot von Vancouver liegen die Opioid-Opfer auf der Straße. Frank selbst wird von einer jungen Nutte auf Entzug angebettelt, damit sie mit einer sexuellen Dienstleistung etwas Geld verdienen kann: 70 Dollar ohne Kondom.

Wo Drogen sind, sind die Drogenhändler und ihre Vollstrecker nicht weit. Lombardi und Jackson erfahren, dass sich eine neue Drogenbande aus Montreal mit brutalen Methoden in Vancouver breitmacht. Es sollen Mafiosi sein. Eine Spur führt nach Süden in ein Indianerreservat an der US-amerikanischen Grenze. Dort steht ein Indianer-Kasino – sie müssen keine Steuern zahlen – das von Sunny Russells Bruder Lenny betrieben wird. Die Mafiosi setzen ihn offenbar unter Druck, ihnen das Geschäft mit den Drogen zu überlassen und ihr Geld im Kasino zu waschen. Garner gerät zwischen die Fronten und ruft Lombardi an, um Hilfe zu erhalten. Gleich darauf landet sein Auto in einem reißenden Wildbach…

Textschwächen

S. 112: „Es gibt noch eine weitere Person, dessen Checkout-Zeit nicht erfasst wurde.“ Da „die Person“ weiblich ist, muss auch das im Genitiv stehende Relativpronomen weiblich sein: „deren“.

S. 187: Das Gleiche in Grün. „Im Reservat einer dieser kleinen Stämme“. Da „der Stamm“ männlich ist, muss auch „ein“ ein Maskulinum: „eines“.

S. 193: „machte einen Press-Check“ an einer Pistole: Wird nicht erklärt. Vielleicht handelt es sich um eine Magazin- und Verschluss-Prüfung: Ob im Magazin und im Lauf (Verschluss) jeweils Patronen in ausreichender Zahl vorhanden sind.

S. 260: „Triumpf“ statt „Triumph“.

Unterm Strich

Dieser dritte Garner-Krimi ist der deutliche Beweis dafür, dass die Autorin immer besser und routinierter im Einsatz ihrer erzählerischen Mittel wird. Der Titel des Buches ist schon die erste Irreführung: Der klischeebeladene Leser denkt sofort, dass nur ein „Indianer“ so grausam sein kann, Skalps zu nehmen. Falscher Irrtum, wie sich am Schluss erweist.

Die Handlung verläuft mehrsträngig. Nicht nur Garner tritt durchgehend auf, sondern auch zwei klar gezeichnete Ermittler: der melancholische Frank Lombardi und die schwergewichtige „Dampfwalze“ Nora Jackson. Aber auch eine dritte Figur lernt der Leser kennen, und zwar aus einer sehr persönlichen Perspektive, die die Nennung von Namen überflüssig macht. Es ist ein Mann – möglicherweise ein Indianer -, der eine schwere Kriegsverletzung davonträgt, ins Leben zurückkehrt und von einer Mafiafamilie in New York City ein zweites Leben gestattet bekommt: als Vollstrecker. Erst in einem obskuren Casino südlich von Vancouver findet er seinen Meister.

Beeindruckend reichhaltig und vielfältig sind die kenntnisreichen Beschreibungen der Orte und Menschen in und um Vancouver. Wo die Stadt mit Drogentod in der Gosse droht, so erwartet den Besucher im Fjordland im Norden eine überirdische Stimmung, die vollständig von der Natur dominiert wird. Hier braucht der Mensch keine Pilze, um in einen spirituellen Zustand zu gelangen. Der alte Indianer, mit dem Lombardi und Jackson die beiden Russells sprechen, nennt die Weißen „hohle Menschen“ und zeigt, dass ein spiritueller Weg nach der alten Tradition der Indigenen auch zu erfüllenden Einsichten und Erkenntnissen führen. Er vertraut Lombardi ein Geheimnis an, das diesen förmlich elektrisiert.

Alle diese Beschreibungen dienen dem sog. Realismus der Geschichte. Aber sie haben stets den Vorteil, absolut authentisch zu wirken. Es ist ein Vergnügen, solch eine spannende Geschichte zu lesen und dabei noch vieles zu lernen.

Taschenbuch: 286 Seiten
ISBN-13: 978386532-8663

www.pendragon.de
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