Susie Bright (Hrsg.) – The Best American Erotica 2001. Erotische Erzählungen

Werfen Sie Ihre Hemmungen über Bord. Um die sinnlichste, provokativste Literatur lesen zu können, brauchen Sie nur einen Blick in die Anthologie „The Best American Erotica 2001“ zu werfen, Susie Brights neue Jahresanthologie. , Marge Piercy, die Autorin von „Vida“ und „Die Frau am Abgrund der Zeit“ (dt. bei Heyne), stellt uns den Nerd Kid Sex Club vor, Nathan Englander erforscht die süchtigmachende Anziehungskraft einer (antiken) Peep Show.

Jerry Stahl berichtet von einer Herausforderung durch eine sehr anspruchsvolle Freundin, und Dani Shapiro beweist, dass es einen Unterschied zwischen Phantasie und Realität gibt, wenn es um den Verlust der Jungfräulichkeit geht. Die 22 amerikanischen AutorInnen in „The Best American Erotica 2001“ bieten jedem etwas. (Verlagsinfo)

Die Herausgeberin

Susie Bright sammelt seit 1993 in ihrer jährlichen Anthologie „Best American Erotica“ genau das: die besten erotischen Texte, die in Nordamerika jeweils im Jahr zuvor produziert wurden. Möglich wurden diese Anthologien erst nachdem die Prüderie der Reagan- und Post-Reagan-Ära durch liberalere Werte abgelöst worden war. Und so konnte Bright nicht nur hetero-, sondern auch homosexuelle Autoren und Autorinnen zu Wort kommen lassen. Damals hatte sie das Problem: „Wo finde ich erotische Schriftsteller?“

Heute, so beklagt sie sich im Vorwort zur Ausgabe von 2001, werden jeden Tag mehrere tausend Stories ins Internet hochgeladen, und erotische Literatur ziert manche Buchläden in Regalen, die bis zur Decke reichen (heute nicht mehr!). Das Problem sei jetzt, so Bright, diejenigen Schriftsteller herauszusieben, die sich durch eine rare Eigenschaft aus der Masse der Produktion herausheben: Aufrichtigkeit (sincerity).

Wer schon einmal so ein Rezeptbuch für einen „romantischen Roman“ in der Hand gehabt hat, weiß, dass man in solchen Romanzen Aufrichtigkeit des Autors als letztes erwarten darf. Um einen „erotischen Roman“ daraus zu machen, braucht man nur das Vokabular ein wenig zu verschärfen bzw. nichts Deutlichkeit in der Schilderung zu wünschen übrig lassen. Auch das hat nichts mit Aufrichtigkeit zu tun, wie man leicht einsieht.

Die Geschichten, die Bright auswählt, sind jene, die sich nicht um Konventionen scheren und solche, denen man es abnehmen würde, wenn sie direkt aus dem Leben des Autors, der Autorin entnommen wären. Diese Stories sind frei von Hemmungen, verdeckenden Euphemismen und blumigen Stilverrenkungen, sondern erzählen meist geradeheraus. Sie sind oft ernst, manchmal auch komisch und witzig. In der Anthologie konnte ich nur eine einzige Geschichte mit nur einer kurzen Passage finden, die so auch in „Penthouse Letters“ stehen könnte – und das spricht für die Qualität der hier gesammelten Erzählungen. Von den 280 Seiten des Vorjahres sind nur noch 180 Seiten übriggeblieben, so streng war diesmal die Auswahl.

Die Erzählungen

Zu den Beiträgern zählen diesmal Todd Belton, Marge Piercy, Cara Bruce, Matt Bernstein, Sycamore Tsaurah Litzky, Nathan Englander, Ginu Kamani, Joe Maynard, Wendy Becker, Jerry Stahl, Dani Shapiro, Dodie Bellamy, Dan Taulapapa McMullin, Claire Tristram, James Williams, M. J. Rose, Damian Grace, Wade Krueger, Rosalind Christine Lloyd, Charles Flowers, Hanne Blank und Jack Murnighan.

Der Versuch, alle 22 Stories nachzuerzählen, würde den Leser ebenso ermüden wie mich beim Schreiben. Daher beschränke ich mich nur auf die bemerkenswertesten Texte und Autoren.

Expansion à l’americaine

Den Reigen eröffnet Todd Belton mit „Expanding on an idea“. Diese satirisch gehandhabte Idee ist die Phantasie vom großen Busen. Märchenhaft wächst die Brust der beobachteten Frau so weit, bis sie vorüberfällt, ein hilfloses Opfer ihrer Oberweite. In dieser Lage ist sie ein leichtes Opfer für die Annäherungsversuche des Beobachters, der all dies phantasiert.— Diese Story ist eine Zurückweisung konventioneller Erwartungen an das, was „erotisch“ zu sein hat, etwa Playboy-Playmates mit Oberweite 96.

Von anderem Kaliber ist da schon die bekannte Autorin Marge Piercy mit einem Auszug aus ihrem Roman „Three Women“. Zwei Teenager nehmen in ihre unkonventionelle Hetero-Beziehung ein weiteres Mitglied auf, einen Jungen, mit dem sie beide schlafen.—Die Story erkundet das, was man heute noch unter dem Wertbegriff „Treue“ verstehen könnte.

Cara Bruce und Nathan Englander wählen beide als Schauplatz der erotischen Begegnung die Peep bzw. Strip Show. Während Englanders braver verheirateter Bürger die Schwelle zur „Sünde“ übertritt, erfreut sich Bruces Stripperin am Begehren der Männer, findet sich aber verblüfft auch von einer Frau begehrt und benutzt. In beiden Geschichten ereignet sich eine überraschende Wendung, die das Leben der Hauptfiguren im sexuellen Kontext bereichert.

Toys

Sexspielzeuge sind in den USA genauso beliebt wie das, was Beate Uhse unters Volk bringt. Häufig ist es sogar das gleiche, wie einer kürzlichen erschienenen Ausgabe des „Stern“ zu entnehmen ist. Doch wer testet solche Toys? In der irrsinnig komischen Story „Fleshlight“ opfert sich der Autor für die heroische Aufgabe, eine Taschenlampe mit der Funktion einer künstlichen Vagina für die nächste Ausgabe seines Sex-Magazins auf Funktionstüchtigkeit und Benutzerfreundlichkeit zu prüfen. Wie sich herausstellt, kann er froh sein, seinen Job zu behalten und am Leben zu bleiben…

Therapien

Ein weiterer skurriler Auswuchs moderner Sexualität spielt in „Lip Service“ von M.J. Rose eine Rolle. Eine junge Frau übernimmt den Job, „Sexualtherapie“ per Telefon zu vermitteln. Die frisch Angelernte hat noch ihre liebe Not damit, die Rolle der Therapeutin von ihrem eigenen Ich zu trennen und kommt so schwer in die Bredouille.

Eine Therapeutin ganz anderer Art ist Ginu Kamanis Heldin in „Waxing the thing“. „The thing“ ist die Muschi reicher indischer Gattinnen, die sich vor lauter Langeweile selbige mit Wachs enthaaren lassen. Diese im Orient offenbar weit verbreitete und reichlich schmerzhafte Praxis wird mit cooler Professionalität geschildert. Doch die Story prangert auf sanfte Weise das Kastendenken an: Die Depilitorin nämlich ist ein Mädchen der unteren Kasten. Als sie sich selbst enthaart und diese Tatsache nicht vor den Kundinnen verbirgt, wird sie getadelt und gescholten, dieses Privileg komme einer wie ihr nicht zu.

In weiteren Stories treten hetero- wie homosexuelle HeldInnen und Beziehungen auf. Häufig ist die Liebe dabei mit einer bewundernden Verehrung gemischt, die sich mitunter in ganz besonders intensiv ausgeführten Oden auf bestimmte Körperteile des/der Geliebten äußert, wie etwa der Titel „Jason’s Cock“ verrät. Geschickt schaffen es die Stories, jede konventionelle, verschämte Schlüpfrigkeit zu vermeiden.

Abschluss

Den Schluss bietet ein wunderbar bewegendes Stück Prosa von Jack Murnighan, dem Herausgeber von „Nerve“, einem der besten erotischen Online-Magazine überhaupt. In „Rooster“ beklagt die greise Hauptfigur das Hinscheiden seiner übr 70-jährigen Ehefrau. Das ist überhaupt nicht weinerlich realisiert, sondern mit einem zwinkernden Auge nach dem Motto: „Was haben wir nicht alles miteinander erlebt -–und dabei hab ich sie laufend mit anderen betrogen!“

Anhänge

Vier Anhänge liefern sehr hilfreiche Informationen über die Quellen, die AutorInnen und wichtige Erotik-Publikationen (Magazine und Verlage) in den USA und Kanada. Den Fragebogen kann der Leser auch online auf Brights Homepage ausfüllen.

Unterm Strich

Ich konnte immer nur höchstens drei Geschichten auf einmal lesen. Denn jede ist so unverwechselbar und eigen-artig, dass ich sie gerne so in Erinnerung behalten möchte.

Es ist etliche weitere Anthologien, so etwa im Stil der „Allerneuesten klassischen Sau“. Aber BAE ragt aus der Masse stets aufgrund der hervorragenden Qualität heraus. Ich habe auch die Ausgaben von 1999 und 2000 gekauft. So habe ich nun einen breiten Zugang auf hohem Level zum innovativsten (und größten) Markt in der erotischen Literatur.

Michael Matzer © 2019ff

Taschenbuch: 208 Seiten
Originaltitel: The Best American Erotica 2001
ISBN-13: 9780684869148

www.simonandschuster.com

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