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G. K. Chesterton / Wakonigg, Daniela – Mann, der zu viel wusste; Der

_Geniale Spürnase mit Macken_

Während eines friedlichen Angelausflugs fällt Horne Fisher ein Auto direkt vor die Füße. Das Auto ist von einem Abhang gestürzt. Der Fahrer ist tot. Was ist geschehen? Zusammen mit seinem Begleiter, dem Journalisten Harold March, geht er der Spur des Autos nach und stellt fest: Es war gar kein Unfall …

_Der Autor_

Gilbert Keith Chesterton wurde 1874 geboren und starb 1936. Nach seiner Ausbildung arbeitete er als Journalist, doch bekannt wurde er mit seinen Romanen, den anarchistischen Phantasien „The Napoleon of Notting Hill“ (1900) und „The Man who was Thursday“ (1908). Insgesamt veröffentlichte er mehr als hundert Werke. Da er ein Liberaler war, geißelte er in seinen Schriften Dekadenz und Nihilismus und kritisierte Imperialismus, Konservativismus, Skeptizismus und Sozialismus, also praktisch alles, was damals in Mode war. Zu seinen Gegnern gehörte der Sozialist und Dramatiker George Bernard Shaw.

Ein bedeutender Einfluss ist seinem Freund John O’Connor zuzuschreiben, einem Priester, der ihn dazu brachte, 1922 zur römisch-katholischen Kirche überzutreten. (Deshalb rechnet ihn die Inklings-Gesellschaft zur Gruppe um J. R. R. Tolkien und C. S. Lewis.) O’Connor lieferte auch das Vorbild für einen von Chestertons größten Erfolgen: den gleichermaßen liebenswerten wie schlauen [Father Brown. 2362 Als einer der fleißigsten Schreiber aller Zeiten veröffentlichte Chesterton von 1925 bis zu seinem Tod seine eigene Zeitung, die „G. K.’s Weekly“. G. K. Chesterton war kinderlos verheiratet mit Frances Blogg. Er hatte ein große Vorliebe für Zigarren und gutes Essen, Letzteres ließ sich auch an seiner stattlichen Leibesfülle ablesen.

„The man who knew too much“ eröffnete 1922 die Serie mit Geschichten um Fischer und March. Das Ungewöhnliche an Fisher ist, dass er eigentlich gar kein Detektiv ist. Die kriminalistischen Geheimnisse kreuzen einfach zufällig seinen Weg und werden von ihm mit charmanter Trägheit enträtselt. Untertitel dieser ersten Episode: „Das Gesicht auf der Zielscheibe“.

_Der Sprecher_

Karlheinz Tafel liest die ungekürzte und mit Geräuschen und Musik angereicherte Textfassung.

Regie führte die Übersetzerin Daniela Wakonigg, die Tontechnik und Musikeinspielungen steuerte Peter Harrsch.

_Handlung_

Die 1920er Jahre: Der Journalist Harold March wandert zu dem Landsitz Torwood Park, um einer Einladung des Finanzministers nachzukommen. Der Minister will einige Sozialreformen initiieren, was einige politische Folgen haben dürfte. Doch die wunderbare Naturszenerie lenkt March von dem Objekt seiner beruflichen Neugier ab.

Die Schlucht eines Baches neben der Straße ist so malerisch, dass er sie sich genauer anschaut. Sein Blick fällt auf einen Zeitgenossen, der sich einer merkwürdigen Beschäftigung hingibt. Er fängt Fische mit einer Art Kescher, wirft sie aber alle wieder zurück ins Wasser. Der Mann bemerkt March und antwortet in einem sonderbar teilnahmslosen Tonfall, dass er das Phänomen der Phosphoreszenz untersuche, also die biologische Leuchtkraft bei Fischen usw. Dass er gebildet ist, belegt er durch einen kenntnisreichen und kritischen Vortrag über die Kubisten.

Allerdings wird sein Redeschwall jäh unterbrochen, als ein Quietschen, Scheppern und Krachen ertönt, erst oben von der Straße, dann den Steilhang herab, um sodann in einem Mordskrach zu ersterben. Das Auto verfehlt Mr. Fisher, wie er sich vorstellt, nur um Meter. Gleichmütig schaut er sich die Sache genauer an. Ein Toter liegt im Auto, so, so, offenbar Schädelfraktur, hm. Der Visitenkarte entnimmt Fisher unschwer den Namen des geräuschvoll zu Tode gekommenen Opfers: Sir Humphrey Turnbull, seines Zeichens ehemaliger Richter in London, der sich besonders für die Verfolgung von Ausländern einsetzte.

Fisher ersteigt den Steilhang und verfolgt oben die Spuren des Autos zwischen Felsen. Handelt es sich um Selbstmord oder um einen Unfall, fragt sich March. Haben die Bremsen versagt – oder wollte Turnbull seinem Leben ein Ende setzen? Weder das eine noch das andere, meint Fisher, erläutert das aber nicht weiter. Die Frage sei vielmehr, was Turnbull – oder „Puggy“, wie er neckisch genannt wurde – in Torwood Hall wollte. Der Landsitz gehört nämlich nicht dem Finanzminister, sondern einem der von Turnbull gehassten Ausländer, dem Kanadier Jefferson Jenkins, der sich für eine Grundstücksreform einsetzt.

Fisher geht auf das Haus zu, aber das ist eine Meile entfernt. Sie passieren einen Großwildjäger, der zur Jagd hier ist: John Burke. An dem Jäger und einem Wäldchen vorbei betreten sie eine Wirtschaft. Hier ließ sich der Verunglückte ein Paket Sandwiches machen. Warum, so fragt sich March, wenn Turnbull doch erwarten musste, dass er auf Torwood Hall ein Abendessen bekommen würde? Fisher gibt March Recht, aber was, wenn Turnbull nicht damit rechnete und die Sandwiches für den Notfall einpackte?

Der Finanzminister tritt ein. Auch er war auf der Jagd und lästert über seinen Gast Jenkins (wohlgemerkt: den Hausbesitzer), der ein miserabler Schütze sei. Doch die Beispiele, die er anführt, legen eher das Gegenteil nahe, findet Fisher. Zu Marchs Erstaunen behauptet Fisher dann ein Stück weiter die Straße hinauf: „Hier wurde Puggy wohl erschossen“. Auf Schleichwegen begibt sich Fisher sodann nicht zum Haupteingang, sondern in den hinteren Garten des Landsitzes, wo die zwei Besucher auf einen seltsam antiquierten Anblick stoßen: eine uralte Zielscheibe. So etwas benutzten nur die längst verschwundenen Viktorianer.

Aber etwas ist merkwürdig daran. Die Einschusslöcher sind frisch – und sie ergeben ein Muster: ein Gesicht. March beobachtet verdutzt, wie Fisher ein Fläschchen aus seiner Tasche holt und eine chemische Substanz in eben diese Einschusslöcher schmiert. Sodann begibt sich Fisher dahin, wo auch Marchs Bestimmungsort liegt: ins Innere des Hauses. Er benutzt jedoch nicht die Tür, sondern ein Fenster. Kuck an: eine Waffenkammer voller Gewehre. Was mag Fisher wohl noch alles finden, fragt sich March. Und wann er wohl endlich damit anfängt, ein paar Erklärungen für sein sonderbares Benehmen zu liefern.

_Mein Eindruck_

Henry Fisher ist zwar ein genialer, aber auch ein rätselhafter Schnüffler. Er scheint jede der hochgestellten Persönlichkeiten selbst zu kennen, und diese reden auch ungeniert mit ihm, doch welchem Beruf Fisher nachgeht, erfahren wir nicht. Auch scheint er ungewöhnlich teilnahmslos gegenüber den kriminellen Machenschaften auf Torwood Hall zu sein. Das hindert ihn aber nicht daran, dem Journalisten genau nachzuweisen, dass Humphrey Turnbull a) ermordet, b) gezielt erschossen, c) der Mord aber von niemandem bemerkt wurde und d) von niemandem aufgeklärt werden wird – außer von ihm. Und er könne nichts beweisen. Kein Wunder also, so Fisher, wenn er angesichts der Unantastbarkeit des Mörders – und seiner Komplizen? – jedes Interesse an dieser Klasse, diesem Fall und der Politik im Allgemeinen verloren habe.

Es ist schon ein trauriges Los, das Fisher gezogen zu haben scheint. Er verfügt über den nötigen Scharfsinn, um den Verbrechern auf die Schliche zu kommen, kann aber nichts gegen sie unternehmen, genauso wenig wie die Polizei, falls man sie einschaltet. Doch die Verbrecher sind nicht irgendwer. Es handelt sich um einen Sozialreformer und um den Finanzminister, der ebenfalls – wohl nicht ohne Grund – eine Reform plant. Beides sind Politiker, die sich vordergründig der Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse verschrieben haben, aber im Hintergrund offenbar nicht vor der skrupellosen Beseitigung eines lästigen Kritikers zurückschrecken. Das lässt nichts Gutes für die Zukunft der politischen Klasse erwarten.

Der Liberale Chesterton hatte für Sozialisten (s. o.) wie George Bernard Shaw und H. G. Wells (beide Mitglieder der Fabian Society) nichts übrig, er selbst befürwortete die Bodenreform und Umverteilung des Eigentums aus einer katholischen Perspektive (und stand deshalb gedanklich den Inklings um Tolkien und Lewis nahe, wenn er auch nicht zum Kreis dieser Autoren gehörte).

Andererseits stellt er aber Humphrey Turnbull, das Mordopfer, als einen Kritiker – er war Ex-Richter – dieser feinen Herrschaften hin. Warum beschreibt er ihn aber dann so negativ, indem er ihm das Gesicht eines „intellektuellen Affen“ verleiht? Chestertons Sympathien scheinen bei niemandem zu liegen, und das ist der hauptsächliche Schwachpunkt der Story.

Chestertons bekannteste Spürnase ist Father Brown, doch anders als Fisher hat Brown wenig mit Politikern zu tun, sondern mehr mit ganz „gewöhnlichen“ Bürgern (obwohl sich dazu ebenfalls Gegenbeispiele finden ließen). Unter seine verirrten Schäflein gerät aber ab und zu auch mal ein gestandener Verbrecher, z. B. in „Das blaue Kreuz“. Brown hat zwar keine Bekehrungsabsichten, aber doch eine enge Beziehung zu Moralvorstellungen der christlichen Lehre.

Dies geht Horne Fisher offenbar völlig ab. Er scheint im Gegenteil ein richtiger Nihilist zu sein. Und gegen diese Leute hatte Chesterton ebenfalls etwas. Es ist ziemlich ungewöhnlich, dass ein Autor seinen Schnüffler der Kritik preisgibt. Aber nicht Fisher liefert die Perspektive auf diesen Fall, sondern ein Journalist. Dieser hält sich zwar mit kritischen Bemerkungen zurück, aber seine Distanziertheit ist nicht zu übersehen. Wenn Fisher abschließend sagt: „So laufen die Dinge eben“, so dürfte March und dem Hörer fast der Kragen platzen. Genau dies liegt in der Absicht des Autors.

|Der Sprecher|

Da in dieser Geschichte keinerlei weiblichen Figuren auftreten, hat der Sprecher Karlheinz Tafel relativ leichtes Spiel. Er muss lediglich den diversen männlichen Figuren eine jeweils markante Sprech- und Ausdruckweise verleihen, damit der Hörer sie auseinanderhalten kann. Klingen der Finanzminister und John Burke eigentümlich wie „alte Knaben“ à la Sir John in den Edgar-Wallace-Verfilmungen, so bietet Horne Fishers Stimme das Kontrastprogramm: Er spricht langsam, müde, schwach und völlig teilnahmslos, als habe er gerade einen Schlaganfall überlebt. Das ist aber gerade das Trügerische an ihm. So verdeckt er seinen Scharfsinn und überlistet besagte Herrschaften, indem er sie aus der Deckung lockt. Bis er dann den Schockeffekt einsetzt, und sie sich verraten. Eine raffinierte Taktik, die man diesem teilnahmslosen Schnüffler nicht zugetraut hätte.

Ein erhebliches Verständnisproblem konnte auch der ausgezeichnete Vortrag nicht verhindern. Wie heißt denn nun der Finanzminister? Mal heißt er Hoggs, dann wieder Howard Horn. Und mal heißt Turnbull „Puggy“ und John Burke einmal „Jack“. Wenigstens Jenkins bleibt stets Jenkins. Und was ich als „Tallwood Park“ notierte, heißt eigentlich laut Booklet „Torwood Park“. So habe ich es auch in der Inhaltsangabe geschrieben.

|Geräusche und Musik|

Der Vortrag wird von klassischen Instrumenten untermalt, die aber ungewöhnlich eingesetzt werden. Oboe oder Klarinette spielen ruhige, melancholische Kadenzen, aber die Streicher zupfen Pizzicati. Dann gibt es noch ein Instrument – vermutlich ein elektronisches – das ich mal als „Glasharfe“ bezeichnen möchte und das für die Erzeugung einer geheimnisvollen Stimmung zuständig ist.

Die Geräusche sind teils der Natur entnommen und teils der Technik. Der Kontrast ist zutiefst symbolisch und vom Autor sicherlich gewollt. Die idyllische Szenerie aus Insektengezirpe und Froschgequake wird jäh unterbrochen durch ein Quietschen, Scheppern und Krachen. Dabei fällt mir auf, dass das Qietschen – vermutlich von Bremsen – völlig unlogisch ist. Wenn Turnbull nämlich schon tot war, als sein Wagen in einer Kurve die Straße verließ, geradeaus weiterfuhr und den Abhang hinabraste, kann er auch keine Bremsen getreten haben. Auch die Reifen scheiden aus, weil sie nur quietschen, wenn eine Auto in die Kurve geht. Genau dies tat es aber nicht. Wie können sie also quietschen?

Sehr hübsch wird das Vergehen des Tages durch die sich ändernde Geräuschkulisse der Natur nachgebildet. In der Schlucht sind kaum Vögel zu hören, oben im Wald um Torwood herum aber jede Menge, insbesondere die diebischen Elstern (sehr passend). Als es Abend wird, ruft in der Dämmerung – reichlich früh – das Käuzchen. Sobald Fisher und March wieder in die Schlucht zurückgekehrt sind, sind wieder keine Vögel zu hören, weil es Nacht ist. Stattdessen erschallen das Quaken von Fröschen und das Zirpen von Insekten.

|Das Booklet|

Das vierseitige Booklet erfreut mit umfassenden Informationen über den Autor Chesterton (s. o.) und einer Inhaltsangabe, die nicht zu viel verrät. Als i-Tüpfelchen verrät das Booklet auch, wann und wo der Text zuerst erschien und gedruckt wurde – so viel Service findet man bei 1-CD-Hörbüchern selten. Ob der Text etwas mit der von Hitchcock zweimal verfilmten Story „Der Mann, der zu viel wusste“ zu tun hat (hat er nicht), wird nicht einmal der Erwähnung für würdig befunden.

Die Titelillustration zeigt einen Mann, der mit Pfeil und Bogen auf eine bemalte Zielscheibe zielt. An diesem Bild stimmt so einiges nicht. Der Mann zielt meilenweit vorbei, und der Winkel, in dem die Zielscheibe zu ihm steht, ist zu weit nach links gedreht. Der Bogen erscheint mir zu klein und die Sehne zu dick – allerdings fällt dies unter „künstlerische Freiheiten“.

_Unterm Strich_

Diese inszenierte Lesung hat mir wenig Spaß gemacht und einige Probleme bereitet – mehr dazu in den obigen Ausführungen. Horne Fisher ist allerdings ein Schnüfflername, den man sich merken sollte. Der Mann ist als Spürnase genial und in seinem Charakter ziemlich einmalig, wenn ich mich auch ein wenig an den behäbigen Nero Wolfe erinnert fühlte. Aber Wolfe verkriecht sich in seiner Wohnung und lässt seine(n) Assistenten die Fußarbeit erledigen – Fisher kraucht selbst durchs Unterholz und steigt in Häuser ein, die ihm nicht gehören. Dafür, dass er, wie er behauptet, „zu viel weiß“, wirkt er aber noch relativ ungefährdet. Vielleicht liegt es an seinem Nihilismus. Sympathisch ist er mir jedenfalls nicht. Aber der Autor hat es ja sowieso auf kritische Distanz zu ihm angelegt.

Das Hörbuch mit der inszenierten Lesung hat zwar einen hervorragend Sprecher zu bieten, aber verstanden habe ich den wirklichen Namen des Finanzministers dennoch nicht auf Anhieb. Und das Geräusch quietschender Bremsen oder Reifen ist völlig unlogisch, weil im Stück niemand lebendig genug ist, um auf das Bremspedal treten oder die Reifen in eine Kurve lenken zu können. Das Einzige, was inhaltlich für das Hörbuch spricht, sind der Fall, der Ermittler und der Sprecher, sonst aber wenig.

|Originaltitel: The man who knew too much, 1922
Aus dem Englischen übersetzt von Daniela Wakonig
60 Minuten auf 1 CD|
http://www.stimmbuch.de

Chesterton, Gilbert Keith – Father Browns Einfalt (Teil 1)

Wer sich mit der Evolution der Detektivgeschichte befasst, kommt an dem Namen G. K. Chesterton kaum vorbei. Zwar war der englische Autor (1874-1936) auch als Essayist, Romancier, Poet und Zeitungsmacher tätig, doch das breite Publikum kennt und schätzt vor allem seine 52 Kurzgeschichten um den Kriminalfälle lösenden Geistlichen Father Brown. Steinbach Sprechende Bücher hat sich nun vorgenommen, diese Kurzgeschichten mit Michael Schwarzmaier als Sprecher auch für krimibegeisterte Hörer erfahrbar zu machen. Der erste Band Kurzgeschichten, „Einfalt“, ist bereits in vier Teilen als Doppel-CD erschienen. Die restlichen Geschichten werden hoffentlich nach und nach folgen.

|“Einfalt 1″| bietet auf zwei CDs die ersten drei Geschichten um Father Brown. Den Auftakt bildet das „Blaue Kreuz“, in dem der Hörer sich zunächst im falschen Film wähnt. Tatsächlich übersieht man den titelgebenden Protagonisten zunächst, die Geschichte wird nämlich aus der Perspektive des französischen Polizeichefs Valentin erzählt. Dieser wird dem Hörer ganz unbescheiden als der größte Kriminologe seiner Zeit vorgestellt – unzählige Fälle hat er schon gelöst und ebenso viele Verbrecher dingfest gemacht. Doch einer ist ihm bisher immer wieder durch die Lappen gegangen: Hercule Flambeau ist ein Meisterdieb, aber auch jemand, der seiner Profession mit Originalität und einem gewissen anachronistischen Charme nachgeht. Und genau dieser Flambeau soll sich in London aufhalten. Valentin ist fest entschlossen, ihn nun endlich in die Finger zu bekommen.

Augen und Ohren des Polizeichefs entgeht nichts und tatsächlich verfolgt er scharfsinnig Spuren, wo andere Zufälle vermuten würden. Denn als er in einem Café feststellt, dass Zucker und Salz vertauscht wurden, führt ihn das (und die eilends herbeigerufene Verstärkung von der Londoner Polizei) tatsächlich auf die Spur Flambeaus. Doch wer hat die Spur ausgelegt? Sicherlich nicht der Verbrecher selbst!

Und hier kommt dann endlich die Titelfigur ins Spiel. Denn es ist kein Geringerer als Father Brown, den Flambeau bestehlen wollte, da der Geistliche ein wertvolles silbernes Kreuz bei sich trug. Doch stellt er sich als viel gewitzter heraus, als der Meisterdieb angenommen hatte …

|“Das blaue Kreuz“| ist eine pfiffige und schlau konstruierte Geschichte. Nicht nur taucht der „Held“ erst ganz am Schluss auf, auch ist er überhaupt nicht so, wie man sich einen Detektiv in der Regel vorstellen würde. Father Brown ist eben das – ein Geistlicher: Kurz und rund, in abgetragener Kleidung und mit unscheinbarem Äußerem. Er gibt sich stets bescheiden, eine Tatsache, die Figuren in seinem Umfeld wiederholt dazu verleitet, ihn entweder vollkommen zu ignorieren oder für naiv und einfältig zu halten. Auch Flambeau macht in „Das blaue Kreuz“ diesen Fehler und wird ihn bitter bereuen. Denn von einem einfachen Priester übers Ohr gehauen worden zu sein, kratzt sicherlich am Ego eines Berufsverbrechers! Derart überrumpelt von Father Browns kriminellen Tricks und Kniffen, entfährt ihm dann auch die verzweifelt ungläubig Frage, wie denn Father Brown all diese Dinge wissen kann. Ganz einfach, meint der Katholik: Wenn man sich tagein, tagaus in der Beichte mit den Niederungen der menschlichen Seele befassen muss, lernt man so einiges. Und man lernt eben auch, wie man einen Dieb so richtig auflaufen lässt!

Auch Valentin zeigt sich beeindruckt, offensichtlich genug, um den Kontakt mit Father Brown aufrecht zu erhalten. Die zweite Geschichte spielt nämlich in Paris, in Valentins Privathaus und auch Father Brown ist anwesend. Gerade noch musste Valentin eine Hinrichtung abnicken und das führt dazu, dass er sich zu seiner eigenen Party verspätet. Zu Hause wartet nämlich eine kleine Gesellschaft auf ihn, um mit ihm zu Abend zu essen, doch das Ereignis wird jäh gestört, als sich im Garten eine enthauptete Leiche findet. Das ist nun ein Problem, denn der Garten liegt hinter dem Haus und ist von Mauern umgeben. Der einzige Zugang führt also durch das Haus, was die Vermutung nahelegt, dass einer der Anwesenden den Mord begangen haben muss. Und überhaupt: Der Ermordete war gar nicht eingeladen. Wie ist also er dort hingelangt? Fragen über Fragen und auch hier wird es Father Brown sein und nicht der hochdekorierte Polizeichef Valentin, der den Fall löst.

|“Der verborgene Garten“| bietet eine interessante Variation des Locked-Room-Puzzle, einem Subgenre der Detektivgeschichte, in dem ein Verbrechen unter unmöglichen Umständen stattfindet, in der Regel eben in einem geschlossenen Raum. Gleichzeitig beschränkt dies die Zahl der Tatverdächtigen – es kommen eben nur jene Personen infrage, die bei Valentin zum Abendessen eingeladen waren. Und tatsächlich hält sich die Abendgesellschaft lange damit auf, verschiedene Personen zu verdächtigen, nur um den Verdacht dann wieder zu verwerfen. Schlussendlich stellt sich – natürlich – heraus, dass die unverdächtigste Person den Mord begangen hat. Dabei ist die Auflösung durchaus elegant und gewitzt, einzig das Motiv des Mörders steht auf reichlich wackligen Füßen.

In der letzten Geschichte, |“Die sonderbaren Schritte“|, droht dann die absurde Komik von Chestertons Gesellschaftskritik gar die eigentliche Kriminalgeschichte zu überlagern. Tatsächlich ist das Verbrechen eher ein Nebenschauplatz – ein geschickt entwendetes Silberbesteck. Viel mehr Aufmerksamkeit schenkt Chesterton seinem Setting und den darin handelnden Personen. Beim Setting handelt es sich um das Vernon Hotel, ein ziemlich exklusiver Laden, der einfach nur deshalb so exklusiv ist, weil das Restaurant derart winzig ist, dass man nie einen Platz bekommt. Und bei den Personen handelt es sich um die Zwölf Wahren Fischer, einen Club von Gentlemen, die jedes Jahr einmal im Vernon Hotel zu speisen pflegen und dabei allerlei skurrile Rituale vollführt. Chesterton nimmt sich viel Zeit für die Beschreibung der Lebensferne dieser gehobenen Stände, denn schlussendlich wird die Enthüllung des Verbrechens darauf fußen, dass für einen echten Blaublüter ein simpler Kellner eben wirklich und wahrhaftig unsichtbar ist. Und so entlarvt Father Brown am Ende nicht nur das Verbrechen um das gestohlene Silberbesteck, sondern eben auch die Abgründe menschlichen Verhaltens mit all seinen Borniertheiten und Vorurteilen. Das ist so amüsant, dass man darüber glatt vergisst, dass es hier um das Aufdecken eines Diebstahls geht.

_Steinbach Sprechende Bücher_ hat sich mit dem Father-Brown-Projekt wirklich eine große Aufgabe aufgeladen, doch schon die erste Doppel-CD verspricht 2,5 Stunden wahrstes Hörvergnügen mit einem unwahrscheinlichen Detektiv und seinem meisterhaften Erfinder. Und wer nach dem Genuss der Doppel-CD immer noch nicht genug hat, für den hält Steinbach Sprechende Bücher eine wirklich gut gemachte Webseite zum Thema Chesterton und Father Brown bereit, die viele Hintergrundinfos zum Beispiel auch zur neuen Übersetzung bietet. Ein Besuch ist auf jeden Fall zu empfehlen!

|2 Audio-CDs
Spieldauer: 157 Minuten
Gelesen von Michael Schwarzmaier
ISBN-13: 978-3-86974-010-2|
[www.sprechendebuecher.de]http://www.sprechendebuecher.de/titel.php?id=632
[www.father-brown.de]http://www.father-brown.de

_Gilbert Keith Chesterton bei |Buchwurm.info|:_
[„Father Brown“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=2362
[„Der Mann, der zu viel wusste“ (Lesung)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4166
[Pater Brown – Edition 4″ (Lesung)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5813