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Maupassant, Guy de – HR Giger\’s Vampirric 4 – Der Horla

Die letzte CD aus HR Gigers Viererpack „Vampirric“, einer Hörbuch-Anthologie mit Vampirgeschichten, bietet noch einmal ein echtes Erlebnis. Dem Gruselfreund wird hier nämlich Guy de Maupassants „Der Horla“ (frz. „Le Horla“, 1887) vorgelesen, ein Klassiker der Vampirliteratur und ein Schmuckstück psychologischen Grusels.

Man verfolgt die Tagebucheintragungen eines zunächst lebensfrohen und naturverbundenen jungen Mannes: Er wohnt am Fluss in einem Häuschen, winkt den vorbeifahrenden Schiffen und spatziert durch die Wälder. Doch diese Idylle wird immer mehr gestört, als sich unser Protagonist Jean zunehmend schlapp und unwohl fühlt. Er schäft schlecht und leidet unter Albträumen. Letztlich beschließt er, dass er sich auf eine Erholungsreise begeben sollte. Ein weiser Entschluss, denn bei seiner Rückkehr fühlt er sich gesund und wohl. Doch schon nach der ersten Nacht im eigenen Haus stellen sich die Symptome wieder ein. Bald vermutet er sogar, dass er schlafwandelt, da aus seinem Krug des Nachts Wasser verschwindet, ohne dass er sich erinnern kann, es getrunken zu haben. Er fürchtet, wahnsinnig zu werden, doch bemerkt er, dass sich etwas anderes in seinem Haus herumtreibt, ein Wesen, das ihn nachts heimsucht und sich offensichtlich von Milch und Wasser ernährt, andere Speisen aber verschmäht. Gleichzeitig entzieht es Jean offensichtlich die Lebensenergie und zwingt ihm seinen Willen auf. Dieser Horla, so stellt sich das Wesen im Laufe der Erzählung vor, ist offensichtlich Teil einer Rasse, die evolutionär über dem Menschen steht und sich ihn Untertan macht. Jean pendelt daraufhin zwischen Verzweiflung und Wahn; ein Versuch, den Horla zu vernichten, schlägt fehl. Mit der Ausweglosigkeit der Situation konfrontiert, bleibt Jean nur noch eine Möglichkeit, sich dem Zugriff des Wesens zu entziehen: der Selbstmord.

Guy de Maupassant (1850-1893) ist dem Liebhaber französischer Literatur sicher kein Unbekannter. Als frischgebackener Beamter machte er seine ersten zögerlichen Schritte in der Schriftstellerei, war aber mit seinem Debüt „Fettklößchen“ gleich so erfolgreich, dass er sich fortan nur noch dem Schreiben widmete und einer der beliebtesten Autoren seiner Zeit wurde. Er war mit so bekannten Namen wie Flaubert oder Turgenev bekannt, bei Maupassants Tod 1893 hielt kein Geringerer als Emile Zola die Grabrede. Maupassants Leben endete in Wahnsinn. Schon früh litt er an einer Nervenkrankheit, die die damalige Medizin nicht zuordnen konnte: Sehstörungen, Angstzustände, Depressionen und partielle Lähmungen stellten sich in Schüben ein. Als sein Bruder durch ein ähnliches Leiden im Wahnsinn starb, war für Maupassant klar, dass ihm das gleiche Schicksal blühen würde. Unter diesem Licht lässt sich „Der Horla“ auch als Maupassants Auseinandersetzung mit dem fortschreitenden Wahnsinn lesen. Jean fragt sich an mehreren Stellen, ob er denn wahnsinnig geworden sei. Anstatt das Unmögliche und Unglaubliche zu akzeptieren, zieht er zunächst den Gedanken vor, selbst nicht mehr zurechnungsfähig zu sein. Dann, als das Unmögliche unwiderruflich bestätigt ist, drängt ihn gerade diese Gewissheit weiter an den Rand des Wahnsinns. Die Vorstellung, der Mensch sei nicht die Krönung der Schöpfung und nur Sklave eines höheren Wesens, raubt ihm den Seelenfrieden. Jeans Ringen um sein inneres Gleichgewicht zeigt Maupassant unverblümt in den schmerzhaft glaubwürdigen Tagebucheintragungen des Geplagten.

Gelesen wird die Geschichte diesmal von Torsten Michaelis, der sonst Wesley Snipes seine Stimme leiht. Dass er damit offensichtlich hoffnungslos unterfordert ist, beweist er hier eindrucksvoll. Mit samtener Stimme zieht er den Hörer in seinen Bann und klingt dennoch mit zunehmender Sprechzeit (und zunehmendem Wahnsinn) gehetzter, unkontrollierter und gebrochener. Innerhalb der 78 Minuten des Hörbuchs kann er damit eine ungeheure Bandbreite beweisen – und das mit nur einer Geschichte!

Qualitativ liegt diese CD ungefähr gleichauf mit „Das Grabmahl auf dem Père Lachaise“, das sich auf dem dritten Hörbuch findet. Welche Geschichte letztendlich das Rennen macht, ist Geschmackssache, beide jedoch bieten eine spannende Studie über das Innenleben eines vermeintlich Wahnsinnigen. Wer nicht alle vier CDs der Sammlung kaufen will, sollte sich jedoch zumindest diese beiden anschaffen. Jeweils eine gute Stunde gepflegten Nervenkitzels und Gruselns sind garantiert.

Wer nach dem Genuss von „HR Giger’s Vampirric“ immer noch nicht genug von vampirischen Geschichten hat, der kann sich das dazu passende Buch (erschienen bei |Festa|) zulegen. Für die Hörbücher wurden nämlich nur einige Erzählungen ausgewählt (sechs insgesamt), die Anthologie selbst bietet noch eine ganze Reihe mehr, nämlich insgesamt 23 Geschichten.

Alle vier Hörbücher im Überblick:

[HR Giger’s Vampirric 1: 581
Thomas Ligotti „Die verloren gegangene Kunst des Zwielichts“ und
Horacio Quiroga „Das Federkissen“

[HR Giger’s Vampirric 2: 582
Leonard Stein „Der Vampyr“ und
Amelia Reynolds Long „Der Untote“

[HR Giger’s Vampirric 3: 583
Karl Hans Strobl „Das Grabmahl auf dem Père Lachaise“

HR Giger’s Vampirric 4:
Guy de Maupassant „Der Horla“

Strobl, Karl Hans – HR Giger\’s Vampirric 3 – Das Grabmal auf dem Père Lachaise

HR Gigers Anthologie von Vampirgeschichten, die 2003 bei Festa unter dem Titel „HR Giger’s Vampirric“ erschienen ist, erlebt in Auszügen eine Neuauflage in vier Hörbüchern. Auf dem dritten Hörbuch findet sich Karl Hans Strobls Vampirerzählung „Das Grabmahl auf dem Père Lachaise“ – das Tagebuch eines Hunger leidenden Naturwissenschaftlers, der ein Jahr in einem Mausoleum auf eben jenem Pariser Friedhof zubringen will.

Ernest erfüllt das Testament einer offensichtlich übermäßig exzentrischen Russin. Diese Anna Feodorowna Wassilska hat nämlich verfügen lassen, dass derjenige zweimal 100.000 Franc erhält, der ein Jahr in ihrem Grabmahl zubringt. Ernest beschließt, dieses Jahr zur Beendigung seines Opus Magnus zu nutzen, mit dem er unsterblichen Ruhm in der Welt der Wissenschaft zu erringen sucht. Doch natürlich lockt den armen Privatgelehrten auch das Geld, mit dem er seiner Freundin Margot ein Leben in Sorglosigkeit bescheren könnte. Und die zwei üppigen Mahlzeiten, die ihm der einzige Diener der Wassilska – ein pockennarbiger Tatar namens Iwan – auf einem Wägelchen vorbeibringt, sind auch nicht zu verachten.

Ernest fragt sich immerhin, was diese außergewöhnliche Russin, die er nicht persönlich kennen gelernt hat, mit dieser seltsamen Verfügung bezwecken wollte. Jemanden in der Nähe zu haben, falls sie lebendig begraben wurde? Ein Schutz vor Grabräubern? Oder die sadistische Befriedigung zu wissen, wie sich jemand ein Jahr lang auf einem Friedhof quält? Diese Möglichkeit scheint Ernest am wahrscheinlichsten, nach allem, was er über die Wassilska in Erfahrung bringen konnte. Eine sinnenfrohe Frau aus der weiten Ferne Russlands, die in Paris offensichtlich Vergnügen und das Absonderliche suchte und auch nicht davor zurückschrecke, dem Bäckerlehrling Geld zu bieten, um ihn beißen zu dürfen. Spätestens hier schrillen bei Horrorkennern die Alarmglocken, doch Ernest ist ein zu treuer Naturwissenschaftler, als dass er sich von solchen Geschichten beunruhigen lassen würde. Er schwört, die Zeit im Grabmahl sinnvoll zu nutzen und sich von absonderlichen Begebenheiten nicht schrecken zu lassen.

Und tatsächlich schwant dem Hörer bald, dass im Grabmahl der Wassilska nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Die Zettel, die Ernest als Denkhilfen für sein Buch ordentlich sortiert hat, werden des nächtens im ganzen Grabmahl verstreut. Außerdem machen ihn das üppige Essen und die mangelnde Bewegung so fett, dass er in einem Augenblick der Klarheit erkennt, dass er wie eine Gans gemästet wird. Doch das Seltsamste ist wohl das grüne Licht, das sich Nacht für Nacht einstellt und den Marmor des Grabmahls weich macht.

Doch anstatt sich vor solchen Erscheinungen zu fürchten, lässt sich Ernest von Iwan Gerätschaften und Prismen bringen, um das Licht zu untersuchen. Eines Morgens jedoch findet er unter seiner auf einem Notizzettel notierten Frage nach der Natur dieses seltsamen Lichts die Antwort: „Es ist der Atem der Katechana“ – in seiner eigenen Handschrift. Halb wahnsinnig von dem Gedanken herauszufinden, was hier gespielt wird, bombardiert er Iwan mit Fragen nach dem unbekannten Begriff, während Margot immer öfter sein Grabmahl heimsucht, um ihn zum Abbruch dieses Jahres zu bewegen. Doch es kommt, wie es kommen muss. Ernest stellt fest, dass es sich bei der Wassilska um einen Vampir handelt, der nun jede Nacht in wilden Küssen über ihn herfällt und das Blut aus seinen fetten Adern saugt. Er lauert ihr auf, um sie zu vernichten… Doch bleibt der Hörer ohne letzte Gewissheit zurück: Ist Ernest tatsächlich wahnsinnig? Bildet er sich die Vampirin Wassilska nur ein? Oder handet es sich tatsächlich um eine Untote und tat Ernest das einzig Richtige?

Der Österreicher Karl Hans Strobl (1877- 1946) zählt zusammen mit Hanns Heinz Ewers zu den bedeutendsten Autoren deutscher Phantastik zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Neben dem „Grabmahl auf dem Père Lachaise“ verfasste er mit „Das Aderlassmännchen“ noch eine weitere Vampirgeschichte, die in ihrer Komposition jedoch komplizierter als „Das Grabmahl auf dem Pere Lachaise“ ist. Strobls Erzählung ist innerhalb der Hörbuchreihe „HR Giger’s Vampirric“ ein wahrhaftes Highlight, wozu auch der Sprecher David Nathan – unter anderem als die deutsche Stimme von Johnny Depp bekannt („Savvy?“) – viel beiträgt. Nathan gibt der tagebuchartigen Erzählung Ernests Charaktertiefe. Auf der einen Seite ist er der forschungswütige, überspannte und an leichter Überschätzung leidende Physiker. Dann wieder ist er der geldgeile Egoist, der die Absonderlichkeit des Testaments der Wassilska erfolgreich verdrängt, um am Ende des Jahre die ausgesetzte Unsumme und täglich zwei warme Mahlzeiten zu kassieren. Und gegen Ende der Erzählung scheint durch Nathans Interpretation auch deutlich Ernests zunehmender Wahnsinn durch – gerade hier kann David Nathan brillieren und dem Zuhörer mit Leichtigkeit Schauer über den Rücken laufen lassen.

Wirklich unheimlich und gruslig wird Strobls Erzählung erst gegen Ende. Bis dahin resultiert das Gefühl des Unwohlseins beim Hörer hauptsächlich aus dem ungewöhnlichen Setting und den seltsamen Begebenheiten, denen Ernest aber mit positivistischer Einstellung gegenübertritt. Diesen subtilen Grusel jedoch kann Strobl über die gesamte Erzählung hinweg aufrechterhalten, sodass „Das Grabmahl auf dem Père Lachaise“ keine Längen aufweist und konstant Spannung erzeugt wird. Dieser Teil der „Vampirric“-Reihe ist definitiv der Höhepunkt der vier Hörbücher. Daher heißt es: Kaufen, kaufen, kaufen!

Alle vier Hörbücher im Überblick:

[HR Giger’s Vampirric 1: 581
Thomas Ligotti „Die verloren gegangene Kunst des Zwielichts“ und
Horacio Quiroga „Das Federkissen“

[HR Giger’s Vampirric 2: 582
Leonard Stein „Der Vampyr“ und
Amelia Reynolds Long „Der Untote“

HR Giger’s Vampirric 3:
Karl Hans Strobl „Das Grabmahl auf dem Père Lachaise“

[HR Giger’s Vampirric 4: 584
Guy de Maupassant „Der Horla“

Stein, Leonhard / Long, Amelia Reynolds – HR Giger\’s Vampirric 2 – Der Vampyr / Der Untote

„HR Giger’s Vampirric“ – eine Sammlung von vier Hörbüchern mit Vampirkurzgeschichten, die jeweils einzeln erhältlich sind -, wartet mit einigen Überraschungen auf. So finden sich auf der zweiten CD zwei Erzählungen von Autoren, die heute fast vollkommen in Vergessenheit geraten sind. Den Anfang macht Leonhard Steins „Der Vampyr“ (1918), gefolgt von der etwas kürzeren Geschichte „Der Untote“ (amerik. „The Undead“, 1931) der Amerikanerin Amelia Reynolds Long, die für sich in Anspruch nehmen kann, eine der ersten weiblichen Science-Fiction-Autoren gewesen zu sein.

In Steins Erzählung trifft der Hörer auf den nur leidlich sympathischen Büroangestellten Hermann Samassa. Samassa führt ein kleinbürgerliches Leben, ist geizig und so gefühlsarm, dass er selbst für seine Verlobte keine echte Begeisterung aufbringen kann und mit ihren Liebesbezeugungen hoffnungslos überfordert ist. Samassa nun trifft seinen Untergang in Form der neuen Schreibkraft in seinem Büro – ein abstoßendes Weibsbild mit strähnigen Haaren und einem Buckel. Ihr rotes Haar und ihre funkelnden grünen Augen markieren sie sofort als eine diabolische Frau und tatsächlich hat sie es offensichtlich auf den kleinlichen Büroangestellten abgesehen. Das Zettelchen, das sie ihm zukommen lässt, zerknüllt dieser entsetzt. Doch stellt er bald fast, dass die Neue im gleichen Haus wohnt wie er und ihn fortan jede Nacht heimsucht, um ihm ihren einen langen beinernen Zahn in die Brust zu stoßen. Der Arme wird zusehends schwächer und versucht, den Blutverlust mit herzhaftem Essen und starken Rotweinen auszugleichen. Gleichzeitig wird die Vampirin immer schöner – die strähnigen Haare wandeln sich in eine Mähne und der Buckel verschwindet ganz. Samassa erweist sich als Hasenfuß. Anstatt es mit der Vampirin aufzunehmen, bringt er sich selbst aus der Schusslinie, indem er ihr seine Verlobte Clara als Futter zuschanzt. Doch damit stürzt er nur alle Beteiligten ins Unglück.

Über Leonhard Stein ist heute nichts mehr bekannt, doch seine Geschichte mutet typisch für die Zeit an, in der sie entstanden ist. Stein verlegt die Handlung in ein modernes Ambiente – ein Büro – und konfrontiert den Leser mit einer Menagerie entfremdeter Charaktere. Die Vampirin lebt offensichtlich nur für den nächtlichen Bluttrunk. Und Samassa selbst ist so entmenschlicht, dass er seine Verlobte in den Tod schickt, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Allerdings verwendet Stein trotz dieses modernen Settings auch altbekannte Elemente: Rote Haare und grüne Augen weisen die Vampirin als Hexe und Femme Fatale aus. Je mehr Blut sie zu sich nimmt, desto mehr erblüht auch ihre Schönheit, während ihr Opfer immer mehr dahinsiecht. Auch das Motiv, dass sie im Moment des Todes so etwas wie inneren Frieden zu finden scheint, wird in vielen Erzählungen verwendet. Besonders interessant ist jedoch ihr einzelner Vampirzahn (überhaupt der einzige Zahn in ihrem Mund), der mit seinen eindeutig phallischen Konnotationen mehr als beunruhigend anmutet. Steins Erzählung bietet ein gutes Beispiel dafür, wie man sich den Vampir zu Beginn des 20. Jahrhunderts vorstellen muss: Keine verwunschenen Schlösser, sondern profane Bürogebäude. Keine alten Münzen, die wie bei [„Dracula“ 210 einfach so in der Ecke rumliegen, sondern die proletarische Vampirin, die für ihre Miete arbeiten muss. Und ein unfreiwilliger Vampirjäger, der kleinbürgerlich und überängstlich ist.

In „Der Untote“ geht es um das Brüderpaar Henry und James. James, der im Sterben liegt, teilt seinem Bruder mit, dass er noch einen Zwillingsbruder George habe, dem er das Anwesen vererben würde. Sollte George sechs Monate nach James’ Tod noch nicht eingetroffen sein, so würde das Erbe an Henry fallen. Sagte es … und starb. Henry ist verwirrt, hat er doch noch nie etwas von diesem George gehört. Dieser trifft aber tatsächlich etwas später ein, gibt bekannt, dass er im Turm zu leben wünsche und ward nicht mehr gesehen. Stattdessen werden in der Umgegend zunehmend Personen vermisst und später tot aufgefunden. Und dann findet Henry auch noch ein Buch, das davon berichtet, wie man Tote wieder zum Leben erwecken kann. Ist dieser geheimnisvolle George vielleicht hier, um James wiederzuerwecken?

„Der Untote“ erinnert in einigen Motiven stark an Byrons „Fragment“: Wie bei Byron wird dem Protagonisten ein Schwur abgerungen, der die Identität und damit das Überleben des Vampirs sichern soll. In beiden Geschichten wird der (zukünftige) Vampir von einer siechenden Krankheit befallen, die ihn scheinbar das Leben kostet. Byrons Fragment endet an dieser Stelle, doch für Amelia Reynolds Long ist dies nur die Ausgangsposition. Und tatsächlich wird die Umgebung nach Georges Ankunft von mysteriösen Toden heimgesucht. Doch braucht Henry eine Weile, bis er die Identität dieses lange verschollenen Bruders entschlüsseln kann. Und gerade darin liegt das Problem der Erzählung. Ein heutiger Leser durchschaut sofort die Lösung des Rätsels, lange bevor Henry auch nur in die Nähe der Antwort kommt. Die Geschichte kommt einfach nicht schnell genug voran, um mit der Kombinationsgabe des Lesers (oder Hörers) mitzuhalten und so sticht sich der Grusel selbst aus, indem er einfach zu leicht zu durchschauen ist.

Die beiden Geschichten auf dieser CD könnten kaum unoriginellere Titel haben. Es muss unzählige Erzählungen und Kurzgeschichten geben, die „Der Vampyr“ oder „Der Untote“ heißen. Und tatsächlich bleiben Stein und Long kaum im Gedächtnis des Hörers zurück. Einige Passagen wirken durchaus gelungen, besonders in Steins Geschichte. Doch vor allem Longs Erzählung wirkt auf den modernen Leser antiquiert und uninspiriert. Helmut Krauss, der unter anderem Marlon Brando und Samuel L. Jackson seine Stimme leiht, macht das Beste aus den Texten und klingt gewohnt maskulin.

Alle vier Hörbücher im Überblick:

[HR Giger’s Vampirric 1: 581
Thomas Ligotti „Die verloren gegangene Kunst des Zwielichts“ und
Horacio Quiroga „Das Federkissen“

HR Giger’s Vampirric 2:
Leonard Stein „Der Vampyr“ und
Amelia Reynolds Long „Der Untote“

[HR Giger’s Vampirric 3: 583
Karl Hans Strobl „Das Grabmahl auf dem Père Lachaise“

[HR Giger’s Vampirric 4: 584
Guy de Maupassant „Der Horla“

Thomas Ligotti / Horacio Quiroga – HR Giger’s Vampirric 1 – Die verloren gegangene Kunst des Zwielichts

HR Gigers Zusammenstellung von Vampirkurzgeschichten, die 2003 unter dem Titel „HR Giger’s Vampirric“ in Buchform bei Festa erschienen ist, ist nun auch in vier einzeln erhältlichen Hörbüchern bei LPL records auf den Markt gekommen. Eine Auswahl von insgesamt sechs Erzählungen (also eine Art „Best-of“ der Anthologie) soll beim Hörer für gepflegten Grusel sorgen – der Slogan des Verlags lautet schließlich nicht umsonst „Gänsehaut für die Ohren“. Zwei dieser Kurzgeschichten finden sich auf dieser ersten CD: „Die verloren gegangene Kunst des Zwielichts“ (amerik. „The Lost Art of Twilight“, 1989) von Thomas Ligotti und „Das Federkissen“ (dem Band „Cuentos de Amour, de Locura y de Muerte“ von 1917 entnommen) von Horacio Quiroga. Eingeleitet werden beide Geschichten jeweils von einem kurzen Vorwort des „Meisters“ Giger selbst.

Thomas Ligotti / Horacio Quiroga – HR Giger’s Vampirric 1 – Die verloren gegangene Kunst des Zwielichts weiterlesen

Lovecraft, H. P. / Carter, Lin / Howard, Robert E. / Smith, D. R. / Aster, Christian von – Cthulhu-Mythos, Der

Im Jahr 2002 begann |LPL records| mit der Hörbuchreihe „H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens“. Der hier vorliegende erste Teil, „Der Cthulhu-Mythos“, wurde mit dem |Deutschen Phantastik-Preis 2003| als _Bestes Hörbuch/Hörspiel des Jahres 2002_ ausgezeichnet.

_Lovecrafts Werk und Vermächtnis_

Howard Phillips Lovecraft war zu Lebzeiten leider kein ernst zu nehmender schriftstellerischer Ruhm vergönnt, auch wenn die Gründung der Zeitschrift |Weird Tales| im Jahre 1923 ihm einen einigermaßen beständigen Absatzmarkt eröffnete. Posthum hat sein Lebenswerk, der |Cthulhu-Mythos|, jedoch eine recht anschauliche, weltweite Leserschaft gefunden. Dass wir heute überhaupt in den Genuss seiner Werke – leider nur etwa 40 Kurzgeschichten und 12 längere Erzählungen – kommen, verdanken wir zum Einen der |United Amateur Press Association|, der er im Jahre 1914 beitrat, als auch seiner Entdeckung des Schriftstellers |Lord Dunsany| (mit vollem Namen Edward John Moreton Drax Plunkett) im Jahr 1919. Der rege Austausch gegenseitiger Kritik und Ermunterungen unter den Mitgliedern der UAPA ermöglichte es ihm, sich der schlimmsten archaischen Züge und Unbeholfenheiten seines Stils zu entledigen. Aus der Mitte dieser eingeschworenen Gemeinschaft kam dann auch die Bitte, er möge doch mit dem Schreiben unheimlicher Geschichten fortfahren, worauf er 1917 eine Geschichte über den Meeresgott „Dagon“ verfasste, die auch in diesem Hörbuch vertreten ist. Die Werke Lord Dunsanys verliehen seiner Schriftstellerei gewaltigen Auftrieb und animierten ihn, ein künstliches Pantheon mit einer eigenen Mythenwelt zu erschaffen – den |Cthulhu-Mythos|.

|“That is not dead which can eternal lie, yet with strange aeons even death may die.“| – „Das ist nicht tot, was ewig liegt, denn in fremder Zeit wird selbst der Tod besiegt.“ war Lovecrafts Bitte an die Nachwelt, seine Kreaturen nicht sterben zu lassen, derer sich nicht nur seine Freunde annahmen. Bis heute finden sich immer wieder Autoren bereit, den Mythos zu bereichern und am Leben zu erhalten. Wie Mosaiksteinchen zusammengesetzt, weisen diese Geschichten unseren Blick zu den nahezu unerforschten Gebieten des menschlichen Geistes – dem Wahnsinn und den Nachtmahren, in denen das Grauen leibhaftig wird.

_Die Vorlage_

Frank Festa (|Festa|-Verlag) nahm sich des Lebens H. P. Lovecrafts und seiner Werke an und veröffentlichte u. a. „Der Cthulhu-Mythos“, eine zweibändige Sammlung ausgewählter Erzählungen von Lovecraft und anderen Meistern des Schreckens, die sich um den kosmischen Mythos der |Großen Alten| drehen – Cthulhus dämonische Brut, die zu einer Zeit von den Sternen in unsere Welt drang, da die Sonne noch jung war und die Erde noch kein eigenes Leben beherbergte. In dem vorliegenden Hörbuch sind sechs dieser Geschichten enthalten.

_Die Erzählungen_

|“Der Ruf des Cthulhu“ – H. P. Lovecraft (1928)|
Übersetzt von Andreas Diesel

Den Auftakt übernimmt das zentrale Werk Lovecrafts: die Geschichte um einen uralten Schrecken, der seit Aeonen – tot und doch nicht tot – auf dem Grund des Meeres lauert, um einst wieder aufzusteigen und erneut seine (unsere) Welt zu beherrschen. |“Ph’nglui mglw’nafh Cthulhu R’lyeh wgah’nagl fhtagn“| – „In seinem Haus in R’lyeh wartet träumend der tote Cthulhu“.

Als der Großneffe des verstorbenen George Gammel Angell – emeritierter Professor für semitische Sprachen an der |Brown University| von Providence – dessen Hinterlassenschaft sichtet, stößt er auf eine verschlossene Schatulle, deren Inhalt den Anfang einer Kette grausiger Erkenntnisse bildet. Er entdeckt ein abscheuliches Basrelief, das einen gebeugten humanoiden Körper mit oktopodem Kopf und Drachenflügeln darstellt. Die uralten Schriftzeichen, die sich unter dieser Abbildung befinden, stehen jedoch im Widerspruch zu dem recht geringen Alter dieser Scheußlichkeit. Weiterhin beinhaltet die Schachtel ein in seines Großonkels Handschrift verfasstes Manuskript, das in peinlich genauen Buchstaben mit |Cthulhu-Kult| überschrieben ist. Neugierig ob des scheinbar verwirrten Geisteszustandes des alten Mannes, beginnt er mit seinen Nachforschungen und fördert einen Kult zutage, dessen Anhänger im Verborgenen auf die Auferstehung ihres träumenden Gottes warten. Doch was er dann in Folge seiner weiteren Ermittlungen in Erfahrung bringt, lässt ihm schier das Blut in den Adern gefrieren …

|“Der Schwarze Stein“ – Robert E. Howard (1931)|
Übersetzt von Eduard Lukschandl

_Robert Ervin Howard_s (* 22. Januar 1906, + 11. Juni 1936) bekannteste Schöpfung ist wohl |Conan, der Barbar|, doch auch die Geschichten um |Kull von Atlantis| oder |Solomon Kane| stammen aus seiner Feder.
Seine eigene psychische Labilität spiegelt sich in seinen latent depressiven Helden durchaus wider. Leider nahm sich der langjährige Brieffreund H. P. Lovecrafts im Alter von 30 Jahren – nach dem Ableben seiner Mutter – selbst das Leben. Lovecrafts Einfluss auf Robert E. Howards Werke, wie auch die enge Freundschaft, die beide verband, spiegeln sich zum Beispiel in dem gelungenen Versuch der folgenden Horrorgeschichte wider, die ganz klar in den |Cthulhu-Mythos| gehört.

Ein schwarzer Monolith bildet den Kern dieser Geschichte. Nachdem der Erzähler in mehreren Quellen auf die schrecklichen Legenden gestoßen ist, die sich seit altersher um den schwarzen Felsen ranken, reist er selbst nach Ungarn, um das Quentchen Wahrheit zu ergründen, das in jeder Legende verborgen ist. Er bringt zwar Interessantes über Land und Leute in Erfahrung, doch über den schwarzen Stein mag niemand so recht reden. Als die Mittsommernacht – welche häufig in diesen Legenden Erwähnung findet – bevorsteht, begibt er sich zu der Berglichtung, in deren Mitte der schwarze Monolith aufragt. Der Albtraum, dessen er in dieser Nacht gewahr wird, bringt ihn an den Rand des Wahnsinns …

|“Die Glocke im Turm“ – H. P. Lovecraft & Lin Carter (1989)|
Übersetzt von Ralph Sander

_Lin Carter_ (mit vollem Namen Linwood Vrooman Carter) wurde am 09. Juni 1930 in St. Petersburg, Florida, geboren und verstarb am 07. Februar 1988 in Montclair, New Jersey. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit nahm er sich einiger zu Unrecht vergessener oder unbekannter Juwelen der Fantasy an, bereitete sie liebevoll auf und gab sie in der |Adult Fantasy|-Reihe (erschienen bei |Ballentine Books|) neu heraus.
Zusätzlich zu seinen eigenen Serien, die in allen Bereichen der Phantastik beheimatet sind, arbeitete er in den sechziger Jahren – zusammen mit |L. Sprague de Camp| – vor allem an der |Conan|-Reihe und nahm sich Robert E. Howards |Kull|-Fragmenten an. Sein Werk umfasst über 50 Bücher wie auch Biographien und Sekundärliterarisches aus der Phantastik (z. B. |LOVECRAFT: A Look Behind The Cthulhu Mythos|).
Er nahm sich – wie auch einige andere – ebenso der Fragmente und Notizen aus Lovecrafts Hinterlassenschaft an und suchte diese in einer posthumen Gemeinschaftsarbeit im Stil H. P. Lovecrafts zu vollenden. Eines dieser Werke ist die folgende Erzählung – wenn ich auch anmerken muss, dass Carter zumeist nicht an die düstere Atmosphäre und den hintergründigen Schrecken des |Einsiedlers aus Providence| heranreicht.

Nachdem er endlich das |“Necronomicon“| – das verbotene Buch des Abdul Al Hazred – in einer staubigen kleinen Buchhandlung erstanden hat, muss Williams leider feststellen, dass er mit der Übersetzung des altertümlichen Lateins seine Sorgen hat. Kurzerhand eilt er über den Flur, um mit Hilfe des Nachbarn – eines zurückgezogen lebenden, alten Sonderlings – die Geheimnisse seines neuen Besitzes zu ergründen. Lord Northam ist dem Wahnsinn nahe, als der junge Williams ihm das |“Necronomicon“| präsentiert und rät dem jungen Besucher dringend vom Studium dieses unheiligen Buches ab. Auf dessen Drängen hin erzählt der Alte dann aber doch von seinen eigenen Erfahrungen mit dem Buch und berichtet auch von den Schrecken, die ihn seither heimsuchen …

|“Warum Abdul Al Hazred dem Wahnsinn verfiel“ – D. R. Smith (1950)|
Übersetzt von Alexander Amberg

Das |“Necronomicon“| des wahnsinnigen Arabers Abdul Al Hazred, der im 7. Jahrhundert n. Chr. lebte, ist so sehr in die Horror- und Fantasyliteratur eingegangen wie kein anderes Buch. Lovecraft verweist in seinen Geschichten selbst darauf und nimmt es als Beleg für Beschwörungsformeln und Rituale.
Den Quellen zufolge soll |Al Hazred| um 700 in Sanaa im Jemen geboren worden sein. Nach einer langen Reise durch die innerarabische Wüste ließ er sich in Damaskus nieder und schrieb sein Buch |“Kitab Al’Azif“ (Vom Heulen der Wüstendämonen)|, welches später als das „Necronomicon“ bekannt wurde. Dieses Buch enthält Informationen über die Älteren Wesen – z. B. die |Großen Alten| – und ihre Zivilisation zur Zeit der Entstehung der Erde. Es ist voller verschlüsselter Andeutungen und Doppeldeutigkeiten, zwischen denen geschickt verschiedene magische Anweisungen verborgen sind. Der Legende zufolge wurde |Al Hazred| kurze Zeit nach Vollendung des Buches im Jahre 738 auf einer Straße in Damaskus von einem unsichtbaren Ungeheuer verschlungen.
Tatsächlich handelt es sich bei dem „Necronomicon“ um ein Werk aus der Feder H. P. Lovecrafts selbst. In seinen Erzählungen verweist er immer wieder auf unterschiedliche Bücher, um den Geschichten eine glaubwürdige Note zu verleihen. Manche dieser Bücher existieren wirklich, andere finden in Legenden Erwähnung und einige – wie eben auch das |Necronomicon| – wurden von ihm selbst erdacht.

_D. R. Smith_ (nicht zu verwechseln mit Clark Ashton Smith) – über den ich leider nichts in Erfahrung bringen konnte – erzählt hier vom römischen Feldherrn Marcus Antonius, der sich mit seinen Soldaten in den Alpen verirrt. Der Geschichte zufolge sind diese Geschehnisse im letzten Kapitel des „Necronomicon“ niedergeschrieben.
In einem Bergtal entdeckt die kleine Armee neben einem Bach den Eingang zu einer finsteren Höhle, aus der der Pesthauch des Todes hervorströmt. Neugierig begibt sich Marcus Antonius in die Höhle, um ihrem Geheimnis auf die Spur zu kommen – kurz darauf ertönt Kampflärm aus der dunklen Öffnung …

|“Dagon“ – H. P. Lovecraft (1917)|
Übersetzt von Andreas Diesel

In seiner autobiographischen Schrift „Einige Anmerkungen zu einer Null“ (aus dem Jahr 1933) äußert sich H. P. Lovecraft über unheimliche Literatur: |“Ich bin der Ansicht, daß die unheimliche Literatur ein ernst zu nehmendes Genre darstellt, das der besten literarischen Künstler wert ist, obwohl sie zumeist ein ziemlich eng begrenztes Gebiet ist, das nur einen kleinen Ausschnitt der unendlich vielfältigen Gemütsverfassungen des Menschen spiegelt. Gespenstergeschichten sollen realistisch und stimmungsvoll sein – sie sollen ihre Abweichung von der Natur auf die eine ausgewählte übernatürliche Bahn beschränken und nie aus dem Auge verlieren, daß Szenenschilderung, Stimmung und Naturerscheinung bei der Vermittlung des zu Vermittelnden weit wesentlicher sind als Charaktere und Handlung. Die ‚Wucht‘ einer wahrhaft unheimlichen Geschichte ist einfach die Aufhebung oder Überschreitung eines unumstößlichen kosmischen Gesetzes – eine phantasievolle Flucht aus der erdrückenden Wirklichkeit. Denn Naturerscheinungen, nicht aber Personen sind ihre logischen ‚Helden‘. Das Grauen sollte originell sein – der Rückgriff auf alltägliche Mythen und Legenden mindert nur seine Wirkung.“|
Getreu diesem Credo schrieb Lovecraft sechzehn Jahre zuvor eine Geschichte, die wohl als die erste des |Cthulhu-Mythos| gelten muss.

|“Ich schreibe dies unter beträchtlicher geistiger Anspannung, (…) Wenn Du diese hastig hingekritzelten Seiten gelesen hast, magst Du zwar erahnen, aber nie gänzlich begreifen, warum ich das Vergessen oder den Tod suche.“| Dann schildert der Erzähler, was er als junger Seemann im ersten Weltkrieg erfahren musste. Er war der Gefangenschaft auf einem deutschen Kriegsschiff entkommen und irrte in einem kleinen Rettungsboot über den Pazifik. Als er eines Morgens erwachte, fand er sich mitsamt seinem Boot auf einem Eiland wieder – von den brausenden Wogen des Meeres war jedoch nichts mehr zu sehen oder zu hören. Die Ebene war von einem schwarzen, fauligen Morast überzogen, in den der junge Mann halb eingesunken war. Er verbrachte den Tag und die folgende Nacht in seinem Boot und bemerkte, dass die Hitze der Sonne den Boden so weit ausgetrocknet hatte, dass er sich auf eine Erkundungstour über dieses unheilvolle Eiland begeben konnte. Die Schrecken, die ihm nach einem mehrtägigen Weg über diese ungastliche Insel begegneten, trieben ihn in den Wahnsinn …

|“Ein Portrait Torquemadas“ – Christian von Aster (2002)|

Der deutsche Schriftsteller _[Christian von Aster]http://www.vonaster.de _betätigt sich in vielen Bereichen der Literatur. Zudem bereicherte er in der Vergangenheit einige Anthologien mit seinen Werken, darunter |“Yamasai – des Fürchterlichen fürchterlichstes Kind“| in „Die Saat des Cthulhu“ und |“Ein Portrait Torquemadas“| in „Der Cthulhu-Mythos 1973 – 2002“.
Von Asters Geschichte versetzt den |Cthulhu|-Mythos in die Gegenwart und bereichert ihn um einige zeitgenössische Verschwörungstheorien. Seine Erzählung erreichte bei einem |Cthulhu|-Schreibwettbewerb den ersten Platz.

Der Dominikanermönch Cajetanus sitzt am Krankenbett des Kunsthistorikers Felix Ney und blättert in dessen Aufzeichnungen. Dem Vatikan, in dessen Auftrag Cajetanus unterwegs ist, liegt nichts ferner, als dass diese Schriften an die Öffentlichkeit gelangen. Ney war offensichtlich bereits dem Wahnsinn verfallen, als er in der münchener Pinakothek ein Bild des florentinischen Malers Delcandini zerstörte.
Während der Dominikanermönch die Unterlagen durchsieht, kommt er einer Verschwörung auf die Spur, die seinen Glauben in den Grundfesten erschüttert …

_Über die Hörbuchproduktion_

Nachdem die Buchreihe „H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens“ (erschienen im |Festa|-Verlag) geradezu Kultstatus erlangt hat, war es abzusehen, dass die Werke des |Großmeisters der Angst| und die seiner getreuen Nachfolger als Ohrenschmaus mit Gänsehautgarantie aufbereitet werden. Für die gelungene Umsetzung zeichnen sich neben Lars Peter Lueg, dem Produzenten und Verlagsleiter von |LPL records|, die Regisseure Sven Hasper (die deutsche Stimme von Michael J. Fox und Christian Slater) und Oliver Rohrbeck (bekannt als |Justus Jonas| von den „drei ???“) verantwortlich. Die beiden waren u. a. auch für die deutsche Fassung der Filme „Sleepy Hollow“ und „The Game“ zuständig.

Frank Festa legte bereits bei seiner Buchreihe großen Wert darauf, die ungekürzte Fassung der Erzählungen in neuer Übersetzung zu veröffentlichen, wovon nun auch die Hörbücher der gleichnamigen Reihe profitieren.

Die Rolle des Erzählers übernimmt kein Geringerer als Joachim Kerzel – einer der besten Sprecher Deutschlands. Auf unnachahmliche Weise gelingt es ihm, die grauenerregende Atmosphäre der Geschichten einzufangen und dem geneigten Hörer einen eisigen Schauer über den Rücken laufen zu lassen. Das Grauen und der Wahnsinn nehmen beinahe eine leibhaftige Gestalt an.
Der Schauspieler Joachim Kerzel (* 1941 in Oberschlesien) ist heute überwiegend als Synchronsprecher und -regisseur tätig. Neben Jack Nicholson lieh er sein Stimme u. a. auch Robert DeNiro und Sir Anthony Hopkins. Die zahlreichen Bestseller-Lesungen und die Rolle des Erzählers in diversen Hörspielen und Hörbüchern brachten ihm einen rapide wachsenden Hörerkreis ein. Seine leidenschaftliche Arbeit an den Projekten ist Garant für eine |Gänsehaut für die Ohren|.

Durch dieses Hörbuch geleitet uns David Nathan, der mit einer ironisch distanzierten Stimme Howard Phillips Lovecraft seinem Grab entsteigen und wieder zum Leben erwachen lässt. Zwischen den einzelnen Erzählungen weiß er einige interessante Details über Lovecrafts Leben und die Geschichten zu berichten. Die Texte stammen allesamt aus der Feder von Lovecraft-Verleger Frank Festa und fügen sich mit den Geschichten nahtlos zu einem Ganzen zusammen.
David Nathan (* 1971) arbeitet als Regisseur und Synchronsprecher. Er ist u. a. die Synchronstimme von Johnny Depp und |Spike| (aus der TV-Serie „Buffy“), doch auch aus Werbung und Computerspielen ist seine Stimme nicht mehr wegzudenken.

Die Einleitung spricht Franziska Pigulla, die deutsche Stimme von Gillian Anderson (aus „Akte X“).

Für die passende musikalische Untermalung sorgt Andy Matern (|Sonic Piracy|). Die eigens für dieses Hörbuch komponierte Musik besticht durch ihre düstere Atmosphäre und lässt die abendlichen Schatten zu den ungeahnten Schrecken heranwachsen, die sich nachts in unseren Albträumen erheben.

Zu guter Letzt beinhaltet die letzte CD auch noch eine vierzehnminütige Hörprobe aus dem zweiten Hörbuch dieser Reihe, „Der Schatten über Innsmouth“, die dem geneigten Hörer Lust auf mehr macht.

|Umfang: 275 Minuten auf 4 CDs|

_Abschlussbetrachtungen_

Den absoluten Tiefpunkt bildet sicherlich die Geschichte von D. R. Smith. Der Versuch, das Pantheon der |Großen Alten| bis ins Kleinste aufzuschlüsseln, wie auch die Frechheit zu behaupten, dass ein Mensch den Kampf mit einem von ihnen unbeschadet überstehen könnte, überzeugen genauso wenig wie die Art der Erzählung selbst. Meines Erachtens hätte diese Unflätigkeit auch gerne in der Versenkung verschwinden können – aber es ist ja glücklicherweise die kürzeste Erzählung.

Die Geschichten von Lin Carter, Robert E. Howard und Christian von Aster passen nicht nur inhaltlich in den |Cthulhu-Mythos|, sie beinhalten auch eine ähnlich düstere Atmosphäre und wurden sicherlich äußerst gut gewählt.
Lin Carters Vollendung dieses Fragments verkörpert durchaus den Geist von H. P. Lovecrafts Horrorgeschichten. Man könnte fast meinen, die beiden hätten zusammen an diesem Werk gearbeitet – aber eben nur fast.
Robert E. Howard nimmt sich – ähnlich wie Lovecraft – viel Zeit, um in die Begebenheiten einzuführen. Er beruft sich auf Quellen und Legenden, die er näher erläutert und glaubhaft vermittelt, bevor sein Erzähler eigene Erfahrungen macht, die ihn schier in den Wahnsinn treiben. „Der Schwarze Stein“ ist eine sehr gelungene und atmosphärische Geschichte, die Lovecraft sicher gefallen hat.
Christian von Asters Geschichte hat mir – sieht man einmal von den beiden Geschichten |des Meisters| ab – allerdings am besten gefallen, wenn auch am Schluss der unausweichliche Wahnsinn, dem Lovecrafts Erzähler zumeist sehr nahe sind, fehlt. Dennoch vermittelt die Geschichte in makelloser Form einige andere Aspekte von Lovecrafts Geschichten – den Fatalismus und die Erkenntnis, dass es kein Entkommen gibt. Dass von Aster sich in seiner Geschichte durchaus bei anderen großen Autoren bedient (ich sehe da z. B. einige Aspekte aus „Der Club Dumas“ von Arturo Perez-Reverte), stört dabei überhaupt nicht.

Mit „Der Cthulhu-Mythos“ war der Startschuss zu einer äußerst gelungenen und durch Wissen um den Autor angereicherten Hörbuchreihe gegeben. Es folgten [„Der Schatten über Innsmouth“]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=424 sowie „Das Ding auf der Schwelle & Ratten im Gemäuer“. Leider ist Lovecrafts Lebenswerk nicht gerade umfangreich, doch es bietet noch genügend Erzählungen, um diese Reihe weiterzuführen. Vielen Dank an die Verantwortlichen!

Byron, Lord / Polidori, John William / Gustavus, Frank – Vampyr, Der – oder Gespenstersommer am Genfer See

1816 ereignete sich in der Villa Diodati am Genfer See ein Geschehen, das auch heute noch als literarische Anekdote in Vampiranthologien und Frankenstein-Nachwörtern regelmäßig Eingang findet. Damals nämlich verbrachte eine illustre Gesellschaft den verregneten Sommer in der Villa: Der englische Dichter Percy Shelley, seine spätere Frau Mary Wollstonecraft, deren Stiefschwester Claire (wohl die Einzige in der Runde ohne literarischen Nachruhm), der englische Dichter und Lebemann Lord Byron und dessen Leibarzt John William Polidori. Die Gruppe verbrachte einen angeregten Abend beim Lesen deutscher Gespenstergeschichten und aus einer Laune heraus schlug Byron vor, die Anwesenden sollten sich jeweils selbst an einer Geistergeschichte versuchen. Was aus Percy Shelleys Beitrag geworden ist, bleibt unbekannt. Mary Wollstonecraft jedoch begann ihre Arbeit am weltberühmten „Frankenstein“, Byron verfasste eine Fragment gebliebene Kurzgeschichte und Polidori, nicht nur Mediziner, sondern auch aspirierender Schriftsteller, trug sich mit einer Geschichte über eine Frau, der ein Totenkopf auf den Schultern sitzt.

Nun war die Beziehung zwischen dem exzentrischen Byron und seinem Leibarzt Polidori keineswegs eine harmonische. So kam es, dass Polidori bald aus Byrons Diensten entlassen wurde, doch die in der Villa Diodati geschriebenen Geistergeschichten ließen ihn scheinbar nicht in Ruhe. Er baute auf Byrons „Fragment“ auf und verfasste seine eigene Novelle: „The Vampyre, A Tale“ (dt. „Der Vampyr“). Sie erschien 1819 unter dem Namen Lord Byrons, der sofort die Urheberschaft bestritt. Doch der Siegeszug des „Vampyr“ war nicht mehr aufzuhalten, es folgten Übersetzungen, mehrere Auflagen und sogar Bühnenadaptionen. Mit „Der Vampyr“, so mittelmäßig die Novelle in ihrer literarischen Qualität auch sein mag, brach eine neue Ära für die Vampirliteratur an. Sicher, es hatte schon vorher Vampire in der Literatur gegeben (sogar große Namen wie Goethe waren sich nicht zu schade, sich mit den Untoten zu beschäftigen). Doch Polidoris Vampir, der aristokratische Lord Ruthven, war kein in Lumpen gehüllter Zombie mehr, der auf Friedhöfen lauerte. Stattdessen sucht er die Salons der Großstädte heim und macht sich an holde Jungfrauen heran, um sie ins Unglück zu stürzen. Er ist schön, blass, kaltherzig, reich, weltgewandt, grausam, aber auch charmant – das genaue Ebenbild Lord Byrons. Die Bedeutung von Polidoris Erfindung für spätere literarische Vampire lässt sich kaum unterschätzen, ist die Anziehungskraft des Byronschen Vampirs doch auch heute noch ungebrochen (man denke nur an Anne Rices Lestat oder Laurell K. Hamiltons Jean-Claude).

Mit „Der Vampyr“ hat |Ripper Records| in Zusammenarbeit mit |Lübbe Audio| nun ein liebevoll produziertes Hörspiel auf den Markt gebracht, das sich den Ereignissen am Genfer See widmet. Dass die beiden CDs den Titel von Polidoris Novelle tragen, zeigt gleich, wo die Sympathien von Frank Gustavus liegen, der für Buch und Regie zuständig war. Man folgt Polidoris Sicht der Dinge, wenn er am Totenbett einem namenlosen Journalisten seine Geschichte erzählt: Wie er von Byron angestellt wird und mit ihm auf den Kontinent reist. Wie er mit den anderen Schriftstellern in der Villa Diodati zusammentrifft und deren Spott über seine mittelmäßigen literarischen Werke ertragen muss. Wie er nur in Mary Shelley eine Freundin findet und schließlich den „Vampyr“ verfasst, nur um ihn unter Byrons Namen veröffentlicht zu sehen. Diese Katastrophe wird sich fatal auf sein Leben auswirken. Der Streit um die Urheberschaft ruiniert ihn, andere seiner Werke werden verrissen oder gar nicht erst verlegt. Desillusioniert nimmt er sich mit 26 das Leben, ohne je literarischen Ruhm erreicht zu haben. Ironischerweise hat sich sein im Hörspiel geäußerter Wunsch, seinen Namen einmal neben Byrons zu sehen, mittlerweile mehr als erfüllt. In Anthologien stehen die Erzählungen Byrons und Polidoris in der Regel nenebeneinander und literaturgeschichtlich markiert Polidoris Novelle die Geburt des modernen Vampirs.

Frank Gustavus verbindet gekonnt Teile der Erzählungen (man hört Auszüge aus Byrons „Fragment“, Polidoris „Der Vampyr“, Coleridges „Christabel“, aber auch Abschnitte aus Briefen und Tagebucheintragungen) mit überlieferten Tatsachen (so stimmt es tatsächlich, dass Shelley bei der Rezitation von „Christabel“ einen Nervenzusammenbruch erlitt) mit frei erfundenen Teilen (beispielsweise die Ausgangssituation des Hörspiels, in dem Polidori seine Geschichte einem Reporter erzählt). Sämtliche Sprecher erwecken ihre Charaktere überzeugend zum Leben, allen voran natürlich Andreas Fröhlich als Polidori und Joachim Tennstedt als Byron. Fröhlich, der seine Stimme auch schon Edward Norton lieh, lässt seinen Polidori zwischen dem jungen Naiven in der Gesellschaft von hochgebildeten Literaten und dem vom Leben enttäuschten und vollkommen desillusionierten Selbstmörder changieren. Joachim Tennstedt, der unter anderem auch John Malkovich synchronisiert, lässt Byron wie einen manischen Irren klingen und macht es dem Zuhörer damit leicht, diesen genialen, aber menschlich wohl unleidlichen Dichter leidenschaftlich zu hassen. Unterstützt werden beide von atmosphärischer Musik und überzeugenden Soundeffekten.

Wer die jeweiligen Erzählungen von Byron und Polidori kennt, der wird im Hörspiel von |Ripper Records| eine engagierte und lohnende Bearbeitung der Ereignisse um die Entstehung der Geschichten finden. Allen anderen wird „Der Vampyr“ garantiert Lust auf mehr machen: mehr Hörspiele, mehr Vampirgeschichten, vielleicht ein wenig „Frankenstein“. |Ripper Records| ist ein kleines Juwel mit hohem Unterhaltungswert gelungen, in dem eine bekannte Anekdote zu neuem Leben erweckt wird. Die Geschichte zieht den Hörer sofort in ihren Bann und man mag keine Sekunde von Polidoris Erzählung verpassen. Die Handlung ist spannend, unterhaltsam, gruselig, aber auch mit Witz aufgearbeitet worden, deswegen gibt es eine ganz klare Empfehlung: Kaufen, hören, genießen!

(p.s.: Falls nun jemand nach dem Hören auf die beiden Geschichten von Byron und Polidori neugierig geworden sein sollte, so kann demjenigen natürlich geholfen werden. Beide Erzählungen finden sich in einer hervorragenden Anthologie von Dieter Sturm und Klaus Völker, die sich bereits seit Jahrzehnten als Standardwerk behauptet: „Von denen Vampiren oder Menschensaugern“ enthält zahlreiche Gedichte und Kurzgeschichten, aber auch historische Dokumente. Im Dezember erscheinen übrigens bei |Ripper Records| die kompletten „Vampyr“-Erzählungen als Hörbuch, gelesen von A. Fröhlich und J. Tennstedt.)