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Maupassant, Guy de – HR Giger\’s Vampirric 4 – Der Horla

In der vierten Folge von HR Giger´s Vampirric findet sich die Vampir-Geschichte „Der Horla“ von Guy de Maupassant. Es liest Torsten Michaelis. H. R. Giger spricht persönlich das Vorwort und läutet so auf seine ganz persönliche Art das Grauen ein.

_Der Autor_

Guy de Maupassant lebte von 1850 bis 1893. „Der aus lothringischem Adel stammende, in der Normandie aufgewachsene Maupassant war nach Jurastudium und Teilnahme am Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 im Marine-, dann im Unterrichtsministerium tätig. Nach dem Erfolg der Novelle „Boule de suif“ (1880, dt. „Fettklößchen“, 1900) widmete er sich ganz der Schriftstellerei.

Die Bandbreite seiner fast 300 Novellen reicht von traditionellen schwankhaften Dreiecksgeschichten über die seit der Romantik beliebten Schauernovellen und phantastischen Erzählungen, meist tragisch endende Liebesgeschichten bis hin zu sozialkritischen Novellen. Er veröffentlichte sechs Romane, von denen „Bel Ami“ (1885) verfilmt wurde. In seinem Stilwillen und seiner Freiraum lassenden Erzählhaltung kommt Maupassant seinem literarischen Ziehvater Gustave Flaubert nahe, mit dem er auch die pessimistische Weltsicht teilt.“ (zitiert nach: Harenbergs Lexikon der Weltliteratur, S. 1945/46). Er fürchtete sich vor einem eingebildeten Doppelgänger und schrieb darüber in der Novelle „Lui“. Auch „Der Horla“ weist in diese Richtung.

|Der Sprecher|

Ich kenne Torsten Michaelis als den Synchronsprecher von Wesley Snipes. Durch sein Spektrum an verschiedenen Klangfarben wird er für die unterschiedlichsten Rollen eingesetzt. Er kann auf über 400 synchronisierte Filme zurückblicken.

Neben Wesley Snipes leiht er seine markante Stimme auch Martin Lawrence, Sean Bean, Don Cheadle, Thomas C. Howell, Jason Scott Lee, Salvatore Marino, Sergio Rubini, James Russo, Chris Tucker, Brandon Lee. Kein Scherz – das steht in seiner Selbstbeschreibung.

_Handlung_

Die Geschichte folgt der Form eines Tagebuchs. Der erzählte Zeitraum erstreckt sich über einen Sommer, von Mai bis September. Der Ich-Erzähler erzählt am 8. Mai von seiner ländlichen Heimat in der Nähe von Rouen, von wo er die Glocken der großen Kathedrale läuten hört. Unweit der idyllischen Ufer der Seine befindet sich der elterliche Landsitz. Auf der Seine betrachtet er die schönen Schiffe, darunter welche aus dem fernen Brasilien …

Nur wenige Tage später verspürt er eine seltsame Traurigkeit, Gereiztheit und später Fieber. Ihn beschleicht das Gefühl drohender Gefahr und er macht sich Gedanken um das „Mysterium des Unsichtbaren“: Der Mensch kann weder das unsichtbar Kleine, etwa Mikroben, noch das unendlich weit Entfernte sehen, etwa Galaxien.

Nach einem ergebnislosen Arztbesuch hat er einen Albtraum, dass ihn ein Dämon würgt, der ihm auf der Brust sitzt und den er nicht abzuschütteln vermag. Dies wiederholt sich Nacht für Nacht, bis ihn sogar tagsüber das Gefühl beschleicht, verfolgt zu werden. Wird er wahnsinnig?

Auf einer Kurreise zum Mont St. Michel erzählt ihm ein Mönch von Geisterstimmen. Nach der Rückkehr – es ist Anfang Juli – geht der Albtraum von Neuem los. Als er bemerkt, dass seine Wasserkaraffe am nächsten Morgen leer ist, fragt er sich, ob er nicht selbst ein Schlafwandler ist. Einfache Versuche mit der Karaffe bestätigen ihm jedoch, dass es ein anderes Wesen sein muss, das das Gefäß leert.

Doch welche Art von Wesen vermag zugleich unsichtbar zu sein und ihm die Lebenskraft auszusaugen?

_Mein Eindruck_

Die berühmte Erzählung thematisiert den Horror, der damit verbunden ist, dass eine unsichtbare, fremde Macht parasitär Besitz von einem Menschen ergreift und ihn zu Taten zwingt, die er gar nicht begehen will. Wohlgemerkt, hier geht es nicht nur um den Entzug von Lebenskraft, wie ihn der altbekannte, inzwischen schon heimelig wirkende Vampir praktiziert. Hier geht es vielmehr auch um die Inbesitznahme von Willen und Verstand des Opfers. Der solcherart Besessene wird quasi ferngesteuert, nur mit dem Unterschied, dass der Steuernde im Kopf seines Instrumentes sitzt.

Der Autor zieht die damals bekannten Techniken der psychischen Steuerung heran, nämlich die als Mesmerismus etc. bekannte Hypnose, insbesondere den posthypnotischen Befehl, etwas zu einem bestimmten Zeitpunkt auszuführen. Der Erzähler wird selbst Zeuge eines solchen Psycho-Experiments an seiner Schwester, als er in Paris weilt, wo man den Dingen des Unsichtbaren normalerweise abgeklärt gegenübersteht. Als er seine eigene Notlage erklären will, um Hilfe zu erlangen, wird er daher ausgelacht.

Auf sich selbst zurückgeworfen, muss er umso angestrengter danach trachten, seinen Meister, den er inzwischen den „Horla“ nennt, zu besiegen. Sein Anstrengungen kann man einfach nur heldenhaft und einfallsreich nennen, wenn sie auch auf tragische Weise Neben-Opfer fordern. Was aber, wenn der Horla unsterblich ist und selbst den letzten Vernichtungsversuch überleben könnte?

Ein Aspekt, der in meinen Augen diese Geschichte aus dem Umfeld der Vampirstorys heraushebt, ist die Überlegung, dass der Horla a) der Nachfolger der Spezies Mensch auf der Erde ist und b) von den Sternen kommt. Beide Vorstellungen sind bislang der Science-Fiction vorbehalten geblieben, doch Maupassant hat sie bereits geäußert, lange bevor H. G. Wells 1898 seinen Invasionsroman „Krieg der Welten“ veröffentlichte, der fortan das Klischee vom Alien-Monster bestimmen sollte.

|Der Sprecher|

Manche Sprecher lesen eine Geschichte nur vor, manche aber spielen sie vor. Torsten Michaelis gehört mit „Der Horla“ zur zweiten Kategorie. Da der Schurke im Stück ja unsichtbar und quasi un(an)greifbar ist, gehört eine Menge Darstellungsvermögen dazu, die Reaktionen auf dieses Un-Wesen herauszustellen, um wenigstens auf diesem indirekten Wege den Horror, den es verbreitet, zu vermitteln. Und Michaelis gelingt dies auf sehr eindringliche Weise.

Man würde auch nicht unbedingt annehmen, dass sich die Form des Tagebuchs für eine dramatische Schilderung von Horror eignet. Doch hier ist eben der Knackpunkt: Der Horror ist rein psychologisch statt äußerlich (außer an einer Stelle). Deshalb ist es umso wirkungsvoller, dass Michaelis bestimmte Passagen im Tempo ebenso moduliert wie in der Tonlage und der Tonstärke. Mal liest er langsam, mal schnell, dann wieder leise oder laut. Auf diese Weise erzielt er nicht nur den gewünschten eindringlichen Effekt, sondern hält auch unsere Aufmerksamkeit wach.

_Unterm Strich_

Die beiden wirkungsvollsten und besten Erzählungen in der Vampirric-Reihe sind zweifellos [„Das Grabmal auf dem Père Lachaise“ 583 und „Der Horla“. Welche von den beiden nun die „bessere“ ist, hängt von der individuellen Vorliebe des Hörers ab. „Das Grabmal“ ist anschaulicher, szenischer aufgebaut und bedient weitaus mehr Klischees aus der Vampirliteratur.

Mit Vampiren dieser Art hat „Der Horla“ nichts am Hut. Auch die Bezeichnung „Vampir“ fällt kein einziges Mal. Und doch geht „Der Horla“ weiter als „Das Grabmal“, indem er den Horror, der von der Besessenheit durch ein Fremdwesen von den Sternen ausgeht, nicht nur zu einem globalen, aber weltimmanenten Grauen aufbauscht, sondern es sogar zu einem kosmischen Grauen à la Lovecraft ausbaut. Die Horlas werden Menschen ablösen – gibt es eine größere Horrovision? Und all dies ist mit einer Stilsicherheit erzählt und mit anschaulichen Beispielen gespickt, dass auch der Durchschnittsleser noch etwas damit anfangen kann (sofern er nicht Splatterfan ist).

Der Sprecher Torsten Michaelis macht mit seiner Präsentationskunst „Der Horla“ praktisch schon zu einem Hörspiel, und Geräusche und Musik kann man sich leicht hinzu denken, denn die Erzählung ist dafür anschaulich genug. Schaurig, so vermittelt es der Sprecher, ist auch das Finale der Novelle, wenn der Erzähler die letzte Konsequenz aus dem Erfahrenen erkennt und zieht. Das hat Klasse.

_Der Herausgeber_

HR Giger wurde 1940 in Chur, Schweiz, geboren. Im zweiten Stock des Elternhauses befand sich sein legendäres schwarzes Zimmer. Die fortschreitende Transformation aus einem Jugendzimmer zu einer Werkstätte, in eine Waffenschmiede, bis hin zu einer ägyptischen Grabkammer wurde zur ersten Kostprobe der Kreativität Gigers. 1977 erscheint sein Bildband „Giger´s Necronomicon“. Daraufhin folgt der weltweite Durchbruch. 1980: Oscar für „Alien“. Seit 1981: Arbeit an Projekten wie Poltergeist 2, Species und Alien 3. 1988: Eröffnung der Giger-Bar in Tokio. 1991: Sein Bildband ARh+ erscheint in sieben Sprachen. Seit Mitte der Neunziger Jahre arbeitet HR Giger unermüdlich an seinem Museum. Dies befindet sich im mittelalterlichen Schloss Saint-Germain in Gruyères, Schweiz. Das Museum beherbergt Gigers persönliche Kunst-Sammlung, seine eigenen Bilder und Skulpturen. Das jetzige Museum ist die erste Stufe eines umfassenden Gesamt-Kunstwerkes. HR Giger ist einer der bedeutendsten modernen Künstler weltweit. (Verlagsinformation)

|Umfang: 78:32 Minuten auf 1 CD|

Strobl, Karl Hans – HR Giger\’s Vampirric 3 – Das Grabmal auf dem Père Lachaise

In der dritten Folge von HR Giger´s Vampirric findet sich nur eine Vampirgeschichte, aber die hat es in sich: „Das Grabmal auf dem Père Lachaise“ von Karl Hans Strobl. Es liest David Nathan. Das Vorwort spricht HR Giger. „Es ist eine unvergessliche Horrorgeschichte über Gier, Wahnsinn und Alpträume, die sich jeder selber macht“, behauptet der |Festa|-Verlag.

_Der Autor_

HR GIGER: „Dieses Mal erwartet Sie bei Vampirric eine Geschichte von Karl Hans Strobl, der zu Lebzeiten einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Autoren war. Strobl, ein Österreicher, der zusammen mit Meyrink und Ewers zu den wichtigsten deutschen Phantasten des frühen 20. Jahrhunderts zählt, starb 1946. Es ist eine Geschichte über die teuflische Gier, das menschliche Übermaß und den Wahnsinn. Zu welchen Taten den Mensch ein wenig schnöder Mammon nur treiben kann! … Eine wirklich böse Story! Und ich mag böse Storys – Sie nicht auch?“

Zum Herausgeber schreibe ich am Schluss etwas.

_Handlung_

„Das Grabmal auf dem Père Lachaise“ besteht im Wesentlichen aus den Tagebuchauszügen des Wissenschaftlers Ernest, der sich, da er bettelarm ist, auf einen äußerst merkwürdigen Deal einlässt: Die am 13.3.1913 – also wenige Jahre zuvor – verstorbene Gräfin Anna Feodorowna Wassilska hat in ihrem Testament verfügt, dass demjenigen Mann zweimal hunderttausend Franken aus ihrem Nachlass gegeben werden sollen, der es schafft, ein Jahr in ihrem marmornen Grabmal auf dem bekannten Pariser Friedhof Père Lachaise zu leben. Hier sind ja etliche Künstler begraben, darunter nicht zuletzt auch Jim Morrison.

Wir brauchen aber für Ernest, den Ich-Erzähler, keinerlei Mitleid zu hegen, denn er ist ein von sich selbst sehr überzeugter Jünger der optischen Physik. Im Grabmal schreibt er sein erstes Buch, das unter anderem auf seinen Aufzeichnungen im Grabmal basieren soll. Hier will er eine Theorie des Lichts aufstellen und untermauern. Von dem nicht unbeträchtlichen Lohn plant er eine Vortragsreise sowie einen Urlaub mit seiner Frau Margause zu finanzieren.

Um Verpflegung während des einen Jahres braucht er sich keine Sorgen zu machen. Iwan, ein „borstiger Tatar“, hässlich wie die Nacht und seiner nun toten Herrin noch immer treu ergeben, versorgt Ernest mit den exquisitesten Speisen, doch soll dies gemäß Testamentsbestimmungen der einzige Kontakt sein, den der Wissenschaftler pflegen darf. Schon bald nimmt der Leibesumfang des Grabbewohners erheblich zu. Soll er etwa gemästet werden? Der Tatar gibt keinen Piep von sich. Er erinnert Ernest lieber an die Geschichte vom nekrophilen Sergeanten, der auf dem Friedhof sein Unwesen treiben soll.

Doch auch das in der Gruft bestattete Frauenzimmer verdient unser Mitgefühl nicht. Ein Vamp bleibt eben ein Vamp. Die Madame Wassilska muss nach dem Bild, das Ernest uns zeichnet, nicht nur mannstoll wie Katharina die Große gewesen sein, sondern obendrein reichlich brutal und grausam. Einen Bäckerlehrling biss sie beispielsweise zweimal, so dass er lieber Reißaus nahm. Ihren Bediensteten, etwa wehrlosen Kammerzofen, trieb sie Nadeln ins Fleisch. Auf ihrem Foto fallen Ernst die ungewöhnlich „grausam weißen“ Zähne auf …

In der Gruft ereignen sich unerklärliche Phänomene. Obwohl kein Wind ging, sind Ernests zahlreiche und wohlsortierte Notizzettel durcheinander gewirbelt. Ein grünliches Leuchten geht vom Stein des eigentliches Grabes und der bronzenen Grabplatte aus – sehr interessant, gerade für einen Optophysiker. Handelt es sich etwa um Röntgenstrahlen oder gar um den mysteriösen Äther? Wirken hier intermolekulare Kräfte? Die Steinstruktur selbst scheint sich regelmäßig um Mitternacht in Gallert zu verwandeln. Der Gallert brennt auf der Haut. Das ist für Ernest aber auch nichts Neues, denn polnische Experimente im galizischen Lemberg beschreiben ein ähnliches Phänomen.

Richtig ernst wird’s für Ernest aber erst, als er nicht mehr durch den schmalen Zugang zur Gruft passt: Er ist so gemästet worden, dass er zum Gefangenen der Gruft geworden ist. Nach dem Allerseelentag stellt er fest, dass er gebissen und ausgesaugt wurde. Geradezu elend fühlt er sich, als er einen Zettel findet, auf dem eine Botschaft steht: „Der Atem der Katechana“.

Iwan verrät ihm auf seinen Drängen hin, dass es sich bei der „Katechana“ um die Gräfin handelt: „eine, die nie genug haben kann vom Opfer der Mannheit, bis jenseits des Todes“. Ernest beschleicht ein übler Verdacht: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Verflüssigung der Grababdeckung, dem grünen Leuchten und den allnächtlich wiederkehrenden Bissen in seinem Hals?

_Mein Eindruck_

Na, servus! Mit Physik hat dies wohl weniger zu tun als vielmehr mit Metaphysik. Schon solche antiquierten Begriffe wie der noch um 1900 herum postulierte „Äther“ als universelles Trägermedium kennzeichnen den Wissensstand des „Helden“ als einen Physiker, der immer noch auf der Schwelle zur Metaphysik steht. Und wenn es nicht um sehr viel Geld ginge, das ihn korrumpiert, hätte er sich wohl kaum auf eine solch makabre Forschungsstätte eingelassen, die eines echten Physikers schwerlich würdig ist.

Der eng umgrenzte Raum des Grabmals ist ein exzellentes Experimentierfeld: Hier treffen zwei Zeiten und Kulturen aufeinander. An der Nahtstelle zwischen modernem Leben und uralter Totenkultur treffen sich der wissenschaftlich-rational orientierte Westen mit dem weitaus mysteriöseren Osten des europäischen Kontinents, mit den alten legenden Asiens von den Vampyri. Von diesen Wesen hat Ernst offensichtlich noch nichts gehört, denn alle seine Erklärungsversuche und haltlosen Theorien betreffen nur Bildungsbruchstücke, gehen aber an dem eigentlichen Phänomen weit vorbei. Umso genauer treffen sie den Leser bzw. Hörer, der sich allmählich seinen eigenen Reim darauf machen muss. Umso wirkungsvoller ist das Grauen, das sich im Hörer unterschwellig breitmacht.

Bereits die Charakterisierung der Gräfin sollte Ernest einen wichtigen Hinweis liefern: eine männermordende Nymphomanin mit grausamen Zügen; mit „grausam weißen“ Zähnen und „Fingern wie Klauen“. Dazu passen die klassischen Versatzstücke wie etwa die Gruft, Nekrophilie, ewiger Hunger über den Tod hinaus, Bissmale, sich zersetzende Materie, der stumme Diener, ein Todeshauch, unheimliches Leuchten und dergleichen mehr. Doch der Vampir selbst ist, wie sich zeigt, weit mehr als nur ein materielles Phänomen. Er dringt in den Verstand seines Opfers und beschwört allerlei Trugbilder.

Ernst ist jedoch beileibe kein tumbes Opferlamm. Natürlich darf zwar der actionreiche Schluss nicht verraten werden, aber der als Opfer Auserkorene weiß sich durchaus wirkungsvoll seiner lädierten Haut zu wehren. Obwohl die Ereignisse im Grabmal auf eine Krise zutreiben, so verblüfft doch das Ausmaß der nun gebotenen Action den auf sachten Grusel eingestimmten Zuhörer.

|Der Sprecher|

David Nathan ist Regisseur und gilt außerdem als einer der besten Synchronsprecher Deutschlands. Im deutschsprachigen Kino erlebt man ihn als Synchronstimme von Johnny Depp, „Spike“ oder Christian Bale. Auch auf den Webseiten zu den „Drei ???“ findet man seinen Namen einschlägig erwähnt. Nathan hat für |LPL records| bereits eine Erzählung auf der Hör-Anthologie „Necrophobia 1“ gesprochen, außerdem tritt er auf „Das Ding auf der Schwelle“ und „Der Schatten über Innsmouth“ in Erscheinung. „Das Grabmal“ wird von ihm souverän und mit einer zunehmenden Eindringlichkeit vorgetragen, der man sich nur sehr schwer entziehen kann.

Ich konnte nur einen Aussprachefehler feststellen: Müsste der Name des bekannten Physikers und Mathematikers Henri Poincaré nicht französisch statt englisch ausgesprochen werden?

_Unterm Strich_

In seinem Aufbau ist „Das Grabmal“ offensichtlich an viele der Frauenerzählungen von Edgar Allan Poe angelehnt. Ob nun die vampireske Lady Ligeia, Morella, Eleonora oder wie sie alle heißen – es ist eine unheimliche Frauengestalt, die durch ihren Bann den ihr psychisch oder emotional ausgelieferten Mann erst um den Verstand und dann um sein armseliges Leben bringen wird. Das psychische Band ist jedoch bei Strobl durch physikalische bzw. metaphysische Phänomene ersetzt, was die Story zwar moderner, aber weitaus weniger romantisch macht.

Die andere Komponente, die Poe entspricht, ist die Bemühung der Hauptfigur, all die seltsamen Phänomene, die er beobachtet oder am eigenen Leib erfährt, wegzurationalisieren (im Sinne von „ratiocination“ à la Auguste Dupin), indem er die Erkenntnisse der Naturwissenschaft anführt. Diese geistigen Waffen gegen Geister einzusetzen, erweist sich selbstverständlich (und ironischerweise) als völlig zwecklos. Die immaterielle Welt obsiegt über die kläglichen Versuche, sie mit Erkenntnissen aus der materiellen Welt zu erklären. Insofern ist diese Erzählung wiederum zutiefst romantisch.

Stellt man Modernität und Romantizismus nebeneinander, so ergibt sich der Eindruck einer Erzählung, die einer Zeit des Übergangs entspricht. Gut möglich, dass sie unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs entstand, als die alte, so wohlgeordnet erscheinende Welt der Monarchien und des Großbürgertums unter den Stiefeltritten faschistischer und kommunistischer Bewegungen verschwand. Es dürfte wohl kein Zufall sein, dass die Gräfin Wassilska als Vertreter eines absolut herrschenden Adels genau im Vorjahr des Kriegsausbruches das Zeitliche segnete und fortan ihre Grabinsassen als Vampir beehrt – böser Schatten einer versunkenen Welt. Adieu, belle epoque!

Das Hörbuchs inszeniert diese reichhaltige Erzählung mit angemessenen Mittels. Besonders der Sprecher David Nathan vermittelt die unterschwellige Botschaft ausgezeichnet mit seinem Vortrag.

Innerhalb der Vampirric-Serie ist „Das Grabmal …“ mit Sicherheit ein Höhepunkt. Noch besser gefiel mir allerdings [„Der Horla“, 584 weil dort die horrible Vision des Autors geradezu kosmische Dimensionen annimmt.

_Der Herausgeber_

HR Giger wurde 1940 in Chur, Schweiz, geboren. Im zweiten Stock des Elternhauses befand sich sein legendäres schwarzes Zimmer. Die fortschreitende Transformation aus einem Jugendzimmer zu einer Werkstätte, in eine Waffenschmiede, bis hin zu einer ägyptischen Grabkammer wurde zur ersten Kostprobe der Kreativität Gigers. 1977 erscheint sein Bildband „Giger´s Necronomicon“. Daraufhin folgt der weltweite Durchbruch. 1980: Oscar für „Alien“. Seit 1981: Arbeit an Projekten wie Poltergeist 2, Species und Alien 3. 1988: Eröffnung der Giger-Bar in Tokio. 1991: Sein Bildband ARh+ erscheint in sieben Sprachen. Seit Mitte der Neunziger Jahre arbeitet HR Giger unermüdlich an seinem Museum. Dies befindet sich im mittelalterlichen Schloss Saint-Germain in Gruyères, Schweiz. Das Museum beherbergt Gigers persönliche Kunst-Sammlung, seine eigenen Bilder und Skulpturen. Das jetzige Museum ist die erste Stufe eines umfassenden Gesamt-Kunstwerkes. HR Giger ist einer der bedeutendsten modernen Künstler weltweit. (Verlagsinfo)

|Umfang: 78:22 Minuten auf 1 CD|

Stein, Leonhard / Long, Amelia Reynolds – HR Giger\’s Vampirric 2 – Der Vampyr / Der Untote

In der zweiten Folge von HR Giger´s Vampirric finden sich die Vampir-Geschichten: „Der Vampyr“ von Leonhard Stein und „Der Untote“ von Amelia Reynolds Long. Beide Storys liest Helmut Krauss. Die Vorworte spricht wieder HR Giger. (Mehr zum Herausgeber am Schluss.)

_Autor #1_

HR GIGER über DER VAMPYR: „Zwischen 1918 und 1920 erschienen einige Erzählungen eines gewissen Leonhard Stein. Niemand weiß bis heute, wer dieser Autor war, vielleicht war der Name sogar ein Pseudonym, wer weiß. Auf jeden Fall werden Sie seine Geschichte über ein recht seltsames Arbeitsverhältnis nie vergessen, da bin ich mir sicher!“

_Handlung von „Der Vampyr“_

Den Anfang macht mit „Der Vampyr“ eine fast schon kafkaeske Horrorgeschichte, die sich auch als Parabel auf die Arbeitswelten der modernen Zivilisation lesen lässt.

Die Hauptfigur ist Herr Samassa, ein „schöner Mann“ und Genussmensch, der in der Anwaltskanzlei Dr. Herzfeld arbeitet. Er plant, demnächst die schöne Klara Gärtner zu ehelichen und eine Familie zu gründen. Privat wie beruflich dürfte ihm der Erfolg sicher sein.

Doch es soll anders kommen. Er lehnt die Annäherungsversuche der neuen Tippse ab, ist sie doch viel zu unansehnlich, schlecht gekleidet und verhärmt: ein Inbild des Misserfolgs. Zu seinem Verdruss muss er feststellen, dass sie in die Wohnung neben seiner eingezogen ist. Wie kann sie sich die denn leisten? Sie hat rotes Haar und betörende grüne Augen, die ihn, als sie im Nachthemd auftritt, in Versuchung führen. In einem Alptraum, so kommt’s ihm vor, saugt sie ihm das Blut aus den Adern. Er fühlt seltsamerweise keinen Schmerz, nur eine „tiefe Ermattung“. Schlaf und ein gutes Steak bringen Erhohlung, doch fortan wiederholt sich das nächtliche Phänomen.

Während die Tippse schön und proper gedeiht, verblasst ihr Wirt zusehends. Vergeblich bittet er um Entlassung des Vampirs, wird aber abschlägig beschieden. Nach einem Zusammenbruch bei Klara wird er ins Hospital eingeliefert. Er sieht nur einen Ausweg aus der Misere: Kurz vor seiner Hochzeit mit Klara quartiert er sie zwischen seiner Wohnung und der des Vampirs ein. Nachdem Klara den Löffel abgegeben hat, ist Samassa wieder an der Reihe. In dem Kollegen Iglseder findet er einen würdigen Nachfolger für die arme Klara.

Doch der Strom der Opfer, die er dem Vampir zuführen muss, um selbst überleben zu können, reißt nicht ab und nimmt Formen an, die eines Jack the Ripper würdig wären. Bevor er von der Polizei gestellt wird, sieht er nur noch einen Ausweg: Der Vampir muss dran glauben. Doch wie tötet man einen Unsterblichen?

_Mein Eindruck_

Der Vampir in Gestalt der hexenhaft gezeichneten Frau ist das genaue Gegenteil der wohlanständigen Heiratskandidatin Klara Gärtner, nämlich das Inbild hemmungsloser Lust und Sinnlichkeit. Diese Lust kennt jedoch keine Grenze, als wäre sie ein Traumbild. Vielmehr ist ihr Hunger unersättlich und erfordert immer neue Opfer. Bis schließlich nichts mehr ausreicht, will der Träumer Samassa nicht seine körperliche Existenz vollends verlieren. Ergo muss der Vampir sterben. Dass Samassa einen Teil von sich tötet, dürfte klar sein. Die Folgen sind dementsprechend.

Ein Hörer hat die Geschichte als Reflektion der modernen Zivilisation und ihrer Arbeitsverhältnisse interpretiert. Ein Marxist und Sozialtheoretiker könnte dies tun, würde aber dabei die psychoanalytischen Erkenntnisse eines gewissen Sigmund Freud sowie von dessen Schüler C. G. Jung außer Acht lassen. Der bekannte Wiener Arzt hat ja gerade solche Traumbilder und Extreme ebenso untersucht, wie Jung Archetypen postuliert hat. Eine rothaarige, grünäugige Frau von verlockender Sinnlichkeit und unersättlichem Blutdurst dürfte sämtliche Klischees furchterfüllter Männer mit Kastrationsangst befriedigen. So kommt man dem Kern der Sache schon näher, wie mir scheint. Und ein bajuwarisch-austriakischer Name wie Iglseder verlegt den Schauplatz sehr wahrscheinlich in die gleiche Großstadt, in der Freud wirkte: Wien.

Ähnlich wie „Der Golem“ von Gustav Meyrink oder die Romane „Nachts unter der steinernen Brücke“ und „Zwischen neun und neun“ von Leo Perutz baut die Geschichte sorgfältig ein Spannungsfeld auf zwischen Alltag und Normalität einerseits und nächtlichem Irrsinn andererseits auf. Dass diese Entwicklung in eine Katastrophe münden muss, erscheint folgerichtig. Sie spiegelt die Katastrophe des 1. Weltkriegs wider, der den Untergang der alten Monarchien zur Folge hatte.

|Zweite Story: Amelia Reynolds Long: „Der Untote“|

_Autorin #2:_

Über das Leben und Werk der Autorin Amelia Reynolds Long ist mir nichts bekannt. Ihre Geschichte folgt klassischen Mustern englischer Spukgeschichten.

HR GIGER über DER UNTOTE: „Während der Arbeit an Vampirric habe ich viel über das Thema Vampire nachgedacht – und über Blut. Ich erinnere mich an eine merkwürdige Vision während einer Autofahrt durch Zürich …“

_Handlung von „Der Untote“_

Henry Thorne erzählt seinem Besucher (und Ich-Erzähler) Michael, der der „Gesellschaft für psychologische Forschung“ angehört, zunächst von seinem verstorbenen Halbbruder, dem Baronet James Thorne, dann von seinem zurückgezogen in einem Turm des Herrenhauses lebenden Bruder George Thorne. Henry selbst hat ein nervöses Leiden, das er kuriert zu haben wünscht. Er fühle sich nämlich bedroht vom Schatten einer großen Fledermaus, von der ihm träume.

Dem Manne kann geholfen werden, denkt Michael. Er erwacht eines Nachts, erblickt auf dem Gang eine Gestalt, die in einen Lederumhang gehüllt ist und eine Laterne trägt. Vor allem ihr weißes Gesicht verstört Michael und er folgt der Gestalt, die in der Bibliothek verschwindet. Doch gleich nebenan liegt Sir Henrys Schlafzimmer. Dort beugt sich das Schattenwesen über den Schlafenden, doch Michaels Eintreten verscheucht es.

Anderntags werden zwei Tote in der Umgebung gefunden: ein Irrer und ein Junge. Handelt es sich um Opfer eines Vampirs? Michael schwant nichts Gutes und stellt dem nächtlichen Eindringling eine Falle.

_Mein Eindruck_

Die Zutaten der Kurzgeschichte von Amelia Reynolds Long sind derart klassisch, dass die Geschichte abläuft, als handle es sich um ein Uhrwerk. Allzu vorhersehbar sind die nächsten Ereignisse, als dass sie dem Kenner noch einen Anreiz bieten würden, neugierig das Ende zu erwarten. Es gibt keinerlei Überraschungen für den, der zwei und zwei zusammenzählen kann und nicht auf fünf kommt.

Selbst Helmut Krauss mit seiner charismatischen Stimme kann nicht viel mehr aus der Geschichte herausholen. Giger selbst, der Herausgeber, trägt nichts Erhellendes oder Reizvolles bei, denn seine Einleitung ist irrelevant.

_Der Sprecher_

Helmut Krauss ist seit Jahrzehnten ein vielbeschäftigter Schauspieler. In Filmen schenkt er Marlon Brando und Samuel L. Jackson seine sonore, beeindruckende Stimme.

Helmut Krauss erweist sich als wahres Stimmwunder, wenn er nicht nur Stimmungen und Atmosphäre in seine rauchigen, getragenen Vortrag legt, sondern er erweckt tatsächlich einen Charakter zum Leben, erschafft eine ganze Stadt um ihn herum und schickt ihm und den Hörer dann einen fleischgewordenen Alptraum hinzu.

_Unterm Strich_

„Der Vampyr“ ist eine ganz besondere Geschichte für alle Freunde älterer Horrorkunst, die noch ohne viel Blutvergießen auskam. Giger hat hier eine echte Perle ausgegraben.

Nicht ganz so überzeugend wie die [erste CD 581 der „Vampiric“-Reihe, ist das Hörbuch doch immer noch weit jenseits der allermeisten anderen Horror-Hörbuchproduktionen und auf alle Fälle ein Kauftipp. Mit der titelgebenden Geschichte hat Giger eine wahre Meistererzählung vor dem Vergessen bewahrt. Dass „Der Untote“ den äußerst positiven Gesamteindruck schmälert, fällt da eigentlich nicht weiter ins Gewicht.

_Der Herausgeber_

HR Giger wurde 1940 in Chur, Schweiz geboren. Im zweiten Stock des Elternhauses befand sich sein legendäres schwarzes Zimmer. Die fortschreitende Transformation aus einem Jugendzimmer zu einer Werkstätte, in eine Waffenschmiede, bis hin zu einer ägyptischen Grabkammer wurde zur ersten Kostprobe der Kreativität Gigers. 1977 erscheint sein Bildband Giger´s Necronomicon. Daraufhin folgt der weltweite Durchbruch. 1980: Oscar für „Alien“. Seit 1981: Arbeit an Projekten wie Poltergeist 2, Species und Alien 3. 1988: Eröffnung der Giger-Bar in Tokio. 1991: Sein Bildband ARh+ erscheint in sieben Sprachen. Seit Mitte der Neunziger Jahre arbeitet HR Giger unermüdlich an seinem Museum. Dies befindet sich im mittelalterlichen Schloss Saint-Germain in Gruyères, Schweiz. Das Museum beherbergt Gigers persönliche Kunst-Sammlung, seine eigenen Bilder und Skulpturen. Das jetzige Museum ist die erste Stufe eines umfassenden Gesamt-Kunstwerkes. HR Giger ist einer der bedeutendsten modernen Künstler weltweit.

|Umfang: 78:32 Minuten auf 1 CD|

Thomas Ligotti / Horacio Quiroga – H. R. Giger’s Vampirric 1 – Die verloren gegangene Kunst des Zwielichts

Der Schweizer Multimediakünstler H.R. Giger ist am besten bekannt für seine Kreation des Alien-Monsters in Ridley Scotts gleichnamigen Science-Fiction-Horror-Film. Sein Museum befindet sich in Gruyères in der Schweiz – und natürlich auch im Internet. Siehe auch den Schluss dieses Artikels.

In der ersten Folge von H.R. Gigers vierteiliger „Vampirric“-Reihe finden sich folgende zwei Vampir-Geschichten: „Die verloren gegangene Kunst des Zwielichts“ von Thomas Ligotti und „Das Federkissen“ von Horacio Quiroga. Beide Storys liest Lutz Riedel. Die Vorworte spricht HR Giger.

Thomas Ligotti / Horacio Quiroga – H. R. Giger’s Vampirric 1 – Die verloren gegangene Kunst des Zwielichts weiterlesen

Lumley, Brian – Necroscope 5 – Totenwache

_Necroscope:_

Band 1: [„Erwachen“ 779
Band 2: [„Vampirblut“ 843
Band 3: [„Kreaturen der Nacht“ 2371
Band 4: [„Untot“ 2963
Band 5: [„Totenwache“ 3000
Band 6: [„Das Dämonentor“ 4368
Band 7: [„Blutlust“ 4459
Band 8: [„Höllenbrut“ 4610

Nachdem in den vergangenen zwei Bänden von Brian Lumleys „Necroscope“-Reihe hauptsächlich Historisches referiert wurde und der Leser (bzw. Hörer) ganz viel über die Vampire Thibor und Fetor erfahren durfte, zieht die Handlung in Band 5, „Totenwache“, deutlich an. Lumley nimmt die Zügel auf, schnalzt mit der Zunge und bringt in diesem durchaus dicht konstruierten Teil einige Handlungsstränge zu Ende, die über die vergangenen Bände mitgeschleift wurden. Das hat Vor- und Nachteile …

Doch zunächst zur Handlung: Nachdem es in der Vergangenheit so aussah, als könnte die Zusammenarbeit zwischen englischem und russischem Geheimdienst tatsächlich von Erfolg gekrönt sein, reißt Lumley nun das Ruder merklich herum. Denn während der Chef der Russen zusammen mit den Engländern in Rumänien versucht, Thibors Grab (und alles, was sich noch darinnen befinden könnte) endgültig auszuräuchern, plant seine Vertretung im heimischen Bronitzi heimlich den Aufstand: Ivan Girenko hält nämlich gar nichts von dieser neu erwachten Völkerfreundschaft und hält Krakowitsch für einen Verräter. Drum hintergeht er dessen Pläne, entführt Alec Kyle und lässt diesem durch eine Mischung aus Drogen und Telepathie all seine Geheimnisse entlocken.

Währenddessen versuchen die Agenten an der englischen Heimatfront endlich Yulian Bodescus habhaft zu werden. Zu diesem Zweck starten sie einen großangelegten Angriff auf dessen Elternhaus. Doch Yulian wäre wohl kein ordentlicher Vampir, wenn er nicht irgendwie entkommen könnte. Bis die Engländer seine Spur wieder aufnehmen können, ist es allerdings schon fast zu spät: Denn Yulian hat es auf den Sohn von Harry Keogh abgesehen und überfällt die Wohnung von dessen Mutter. Die dort platzierten Agenten werden praktisch überrannt und die Lage scheint aussichtslos. Doch Klein Harry hat auch ein paar Talente. Und obwohl er noch ein Baby ist, gelingt es ihm, sich selbst und seine Mutter zu retten. Den Rest darf dann der Papa übernehmen, der mit den eilig herbeigerufenen Toten Klarschiff macht.

„Klarschiff machen“ könnte fast der Untertitel dieses Hörbuchs sein, denn viele Handlungsstränge, die Lumley in den vergangenen Teilen aufgebaut hat, werden nun zu einem Höhepunkt – und dann eben einem Ende geführt. Sicherlich lässt er sich auch das ein oder andere Schlupfloch, denn schließlich ist hier ja noch lange nicht das Finale von „Necroscope“ erreicht. Und dennoch hat man das Gefühl, nun eine erste Etappe abgeschlossen zu haben. Was jedoch etwas irritiert, ist die Tatsache, dass Lumley das Wort „Ende“ wohl immer wörtlich nimmt. Der Abschluss eines Handlungsstrangs bedeutet bei ihm in der Regel, den Großteil des Personals umzubringen. Das geschieht zwar immer mit einem großen Knall, viel Action und literweise Blut. Trotzdem kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier teilweise das Potenzial von Charakteren verschenkt wird. Denn diese werden durchaus lange vorbereitet und eingeführt, um dann nie wirklich mehr zu werden als ein kurzes Zwischenspiel für eine Actionszene. Da darf die Frage schon gestattet sein, warum Charaktere so detailverliebt eingeführt werden, wenn sie dann nie eine tragende Rolle spielen dürfen. Das grenzt an Verschwendung und ist außerdem ein sehr abruptes Ende für die bisher aufgebaute Spannung.

Ebenfalls zu bemängeln ist Lumleys dilletantischer Umgang mit weiblichen Charakteren. Für ihn (und für seine Figuren) scheinen Frauen nur für zwei Dinge gut zu sein: entweder, um sie zu vergewaltigen oder um sie vor der Schlechtigkeit der Welt zu bewahren. Letzteres impliziert, das sie eben nicht selbst mit der bösen Realität umgehen können und möglichst im Unklaren gelassen werden müssen, was tatsächlich vor sich geht. Schlimmer noch: Lumleys Frauen haben in der Regel auch gar kein Interesse, irgendwie gestaltend in die Handlung einzugreifen. Das ist besonders bei Brenda, Klein Harrys Mutter, ärgerlich. Nun muss es nicht immer gleich Sarah Connor sein – die Übermutter, die ihren kriegswichtigen Sohn vor kampfeslustigen Terminatoren beschützt. Aber ein bisschen Einsatz wäre schon von Vorteil. Was könnte man aus Brenda nichts alles machen?! Aus der naiven, jung verheirateten Frau, die plötzlich Witwe wird und mit einem kleinen Sohn allein da sitzt. Die feststellt, dass dieser Sohn seltsame Fähigkeiten hat. Die schließlich selbst beim Geheimdienst aktiv wird. Stattdessen erfährt man nichts, aber auch gar nichts über Brenda. Sie ist eine langweiliger, nichtssagender Charakter, damit auch ja nicht die Gefahr besteht, der Fokus könne für einen Moment auf jemand anderen als die heldenhaften russischen und englischen Geheimagenten fallen. (Wobei diese nicht immer wirklich heldenhaft sind, sondern sich meist mit abstrusen Plänen selbst in Gefahr bringen, doch das nur nebenbei.) Wohl gemerkt: „Necroscope“ darf ruhig Männerliteratur bleiben – mit viel Blut und Gemetzel. Doch eine etwas realistischere Charaktergestaltung ist auch kein zu hoch gegriffener Wunsch.

Bleibt zu sagen, dass Lutz Riedel wieder eine reife Leistung abliefert. Seine Stimme ist tief und markant – wie gemacht für einen Stoff wie „Necroscope“, der hart und gnadenlos rüberkommen muss. Darüber hinaus ist die Tatsache, dass es diesmal schlicht mehr Handlung gibt, natürlich ein Pluspunkt. Besonders die beiden großen Actionszenen – einmal der Angriff auf Yulians Haus und dann Yulians Eindringen in Brendas Wohnung – bieten Spannungsliteratur pur. Dass Lumley außerdem so viele losen Enden zu einem abschließenden Ende bringt, stimmt natürlich auch den Leser versöhnlich. So kann man neugierig in den nächsten Band einsteigen und gespannt sein, in welche Richtung Lumley das Ruder nun drehen wird. Im Moment jedenfalls ist alles offen.

|313 Minuten auf 4 CDs
ISBN-13: 978-3785732069|
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_Brian Lumley auf |Buchwurm.info|:_
|Titus Crow|
Band 1: [„Sie lauern in der Tiefe“ 893

Lumley, Brian – Necroscope 4 – Untot (Lesung)

In Band 3 von Brian Lumleys Endlossaga „Necroscope“ breitete der Autor die Lebensgeschichte von Thibor Ferenczy vor dem geneigten Leser aus und erläuterte ausführlich, wie dieser vor tausend Jahren zum Vampir wurde. Wer jetzt allerdings glaubt, dass damit in Band 4 nun die Geschichte um Harry und das E-Dezernat weitergehen kann, der irrt. Denn Lumley hält noch mehr Backstory für den Leser bereit.

Zwar ist Thibor mittlerweile ein Vampir, doch war er noch nie der Typ, der sich leicht unterordnen kann. Und so begehrt er sofort gegen seinen „Meister“ Fetor auf, der ihn daraufhin in den Kerker wirft und durch ein wenig Hungerfolter zur Vernunft bringen will. Doch so leicht ist Thibor natürlich nicht einzuschüchtern. Er harrt aus und wartet auf seine Chance, bis es ihm gelingt auszubrechen und Fetor zu überwältigen. Doch ist er Fetor tatsächlich für immer los? Und was ist eigentlich Fetors Geschichte?

Wie gut, dass Harry mit den Toten kommunizieren kann, denn so ist es ihm ein Leichtes, Fetor zu finden und auch seine Version der Geschichte zu hören. Und nachdem Brian Lumley dann en detail alles über walachische Untote erzählt hat, was der Leser jemals wissen wollte (oder eben auch nicht), darf es auch wieder zurück ins Jahr 1977 gehen.

Denn das englische E-Dezernat fürchtet immer noch eine vampirische Bedrohung. Und so wird ein geheimes Treffen mit dem russischen Pendant arrangiert, um herauszufinden, was die jeweiligen Abteilungen wissen und ob der Gefahr nicht irgendwie beizukommen ist. Man bedenke: Wir befinden uns mitten im Kalten Krieg, da ist es schon beachtlich, dass Ost und West so zusammenarbeiten. Doch scheinbar gehen beide Seiten von der Maxime „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ aus und erkennen in den Vampiren das größere Übel. Trotzdem ist dieses Treffen natürlich mehr als geheim. Es wird beschlossen, gemeinsam nach Rumänien zu fahren, um an der Quelle zu forschen.

Laut Harry geht die Gefahr aber nicht nur von Thibor und Fetor aus. Denn auch Yulian, mit Thibors Blut infiziert, fällt im heimischen Devon immer mehr dem Wahnsinn anheim. Im elterlichen Keller stellt er blutige Experimente an und übernimmt bald eine Gewaltherrschaft über den Haushalt. Zwar wird er vom Geheimdienst überwacht, doch sobald er dies bemerkt, hetzt er dem armen Agenten seinen Bluthund Vlad auf den Hals. Und so wird bald klar: Yulian ist abgrundtief böse. Allerdings hat diese Bosheit bisher kein wirkliches Ventil, kein Ziel. Er verletzt und tötet aus einer Art kindlichen Neugier, doch vermutlich braucht es noch die Kontaktaufnahme durch Thibor, um Yulians Niederträchtigkeit eine Richtung zu geben. Doch wehe, wenn er losgelassen …

_Wieder passiert nicht viel_ in diesem Teil der Serie. Es gibt die drei beschriebenen Handlungsstränge: Das Treffen der russischen und englischen Geheimdienste, Yulians beginnender Blutdurst und Thibors bzw. Fetors Geschichte. Letztere bilden den Hauptteil von „Untot“ und auch wenn der Showdown zwischen Thibor und Fetor auf dessen Burg durchaus spannend daherkommt, so möchte man doch Lumley irgendwann zurufen, mit diesen historischen Einschüben endlich fertig zu werden. Zwar ist es durchaus interessant, mehr über Thibor zu erfahren, doch treten nach insgesamt 8 CDs mit Thibor’schem Größenwahn beim Hörer dann doch Ermüdungserscheinungen auf. Irgendwann wirkt dieser Handlungsstrang schier endlos und man wünscht das Ende herbei.. Dass Lumley trotzdem nicht davon lassen mag, immer und immer wieder auf Fetors Burg zurückzukehren, nimmt das Tempo aus der Erzählung und den Fokus weg von der eigentlichen Handlung, die im Jahr 1977 spielt. Diese Zeitebene tritt zunehmend in den Hintergrund, was schade ist, da mit Yulian ein viel versprechender Bösewicht in den Startlöchern sitzt, der aber einfach nicht zum Zug kommen darf. Ein echtes Manko.

In dieser Unausgewogenheit und dem Fehlen eines zentralen Konflikts äußert sich dann auch die Tatsache, dass „Untot“ zusammen mit „Kreaturen der Nacht“ und „Totenwache“ eigentlich einen Band bildet (nämlich „Wamphyri!“). Die Geschichte künstlich auseinanderzureißen, hat dem Roman (bzw. den Romanen) nicht gut getan.

Auch für Harry Keogh wird sich Lumley wohl demnächst etwas einfallen lassen. Eine Figur, die jeden Toten befragen kann – und dadurch praktisch alles weiß – ist natürlich für einen Autor verlockend, doch birgt sie auch die Gefahr, jedes Problem des Plots einfach lösen zu können. Und das ist irgendwann für den Leser nicht mehr zufriedenstellend, weil zu einfach. Doch vielleicht wird Harry gar nicht mehr lange in seiner momentanen Form erhalten bleiben. Er ist an seinen Sohn gebunden, doch in dem Maße, wie dessen kognitive Fähigkeiten wachsen, verdrängt er Harry. Überhaupt der Sohn: Welche Fähigkeiten wird er wohl von seinem Vater geerbt haben? Wird auch er ein Necroscope sein? Oder werden Vater und Sohn miteinander verschmelzen? Fragen und über Fragen und damit genug Stoff für weitere Bände.

Lutz Riedels Interpretation des Stoffes ist ein absoluter Ohrenschmaus. Zwar überzeugt sein russischer Akzent nicht ganz, doch das ist auch schon der einzige Kritikpunkt, der dem Hörbuch anzulasten ist. Riedels tiefe, fast kratzige Stimme verleiht der Handlung die Ecken und Kanten, die sie braucht. Er ruft mit Leichtigkeit Grauen beim Leser hervor. Kurzum: Seine Stimme eignet sich hervorragend fürs Horrorgenre. Bitte mehr davon!

_Abschließend lässt sich sagen_, dass Thibor und Fetor nun hoffentlich endlich abgehakt sind. Wir haben genug Geschichte über uns ergehen lassen. Jetzt wird es Zeit, dass es im nächsten Band mal wieder etwas Action gibt!

|306 Minuten auf 4 CDs
Aus dem Englischen übersetzt von Hans Gerwien
ISBN-13: 978-3785732052|
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http://www.andymatern.de/

_Brian Lumley auf |Buchwurm.info|:_

|Necroscope|

Band 1: [Erwachen 779
Band 2: [Vampirblut 843
Band 3: [Kreaturen der Nacht 2371
Band 4: [Untot 2963
Band 5: [Totenwache 3000
Band 6: [Das Dämonentor 4368
Band 7: [Blutlust 4459
Band 8: [Höllenbrut 4610

|Titus Crow|

Band 1: [Sie lauern in der Tiefe 893

Lumley, Brian – Necroscope 3 – Kreaturen der Nacht

Buch 1: [„Das Erwachen“ 779
Buch 2: [„Vampirblut“ 843

Die große Schlacht ist geschlagen und Schloss Bronitzi liegt in Trümmern. Und eigentlich hat der Angriff der Tatarenzombies, mit dem der Vorgängerband [„Vampirblut“ 843 endete, auch alle bisher wichtigen Charaktere von Brian Lumleys „Necroscope“-Reihe dahin gerafft. Doch man kennt das ja aus Literatur und Film … manchmal kommen sie eben wieder.

_Und so startet_ das dritte Hörbuch der Reihe, „Kreaturen der Nacht“, vergleichsweise gemächlich. Auf Schloss Bronitzi wird aufgeräumt. Da gerade zufällig zur Stelle, wird Felix Krakowitsch von Breschnew persönlich zum neuen Leiter des E-Dezernats ernannt. Seine Aufgabe ist es zunächst, die Zombies aus dem Weg zu schaffen und Dragosanis Leiche sorgfältig zu verbrennen. Allerdings ist Breschnews nächster Auftrag reichlich seltsam: Krakowitsch soll mit dem englischen Gegenstück zum E-Dezernat Kontakt aufnehmen. Und das mitten im Kalten Krieg!

Währenddessen ist Harry Keogh, der Necroscope, zwar tatsächlich immer noch tot, aber da er schon vor seinem Ableben das Reisen im Möbius-Kontinuum gemeistert hatte, ist er eben doch immer noch irgendwie gegenwärtig. Momentan lebt er im heranwachsenden Körper seines eigenen Sohnes weiter und in dieser geisterhaften Erscheinung stattet er auch Alec Kyle, dem Chef der englischen Psi-Abteilung, einen Besuch ab. Harry hatte nämlich viel Zeit und Gelegenheit, mit den Toten zu sprechen und so hat er Kyle einiges über die Vampire im allgemeinen und Tibor Ferenczy im besonderen zu berichten.

Und so springt die Handlung um einige Jahrhunderte in die Vergangenheit, um zu verfolgen, wie der aus einer Bauernfamilie stammende Tibor sich zum Soldaten hoch arbeitet. Schließlich schickt ihn sein Dienstherr auf die Burg des Fetor Ferenczy. Doch auf dieser Burg gehen seltsame Dinge vor sich. Und Tibor, der zunächst noch meint, die Oberhand zu haben, muss schnell feststellen, dass er gegen Fetor nicht ankommen kann. Dieser ist nämlich ein Vampir und hat beschlossen, Tibor sein einziges Ei einzupflanzen.

_Dass Tibor letztendlich_ gefangen in einem Grab in der Walachei enden wird, weiß der Leser aus den vorhergehenden Bänden. Was neu ist, ist das Wissen, dass er nicht nur Dragosani seinen Stempel aufgedrückt hat. Denn 1977 verunglückte ein Ehepaar nicht weit von seinem Grab. Der Mann verblutete, doch die Frau wurde nur ohnmächtig. Tibor tut sich an ihr gütlich – und an ihrem ungeborenen Kind. Dieses Kind, die Mutter wird ihn Julian nennen, entpuppt sich als ein wahrer Damien. Er ist sonderbar, wird von der Schule geworfen, ist einsiedlerisch und versucht sich offensichtlich an seltsamen Experimenten im elterlichen Keller. Mit Julian wird also noch zu rechnen sein!

An die neue Gangart in „Kreaturen der Nacht“ muss man sich erst einmal gewöhnen. Dragosani ist hinüber (endgültig?), Harry agiert nur als Wissensvermittler, Kyle wieder nur als Zuhörer. Lumley hat einen großen Teil seines Personals in der Schlacht um Schloss Bronitzi ins Gras beißen lassen und so konzentriert er sich nun entweder auf neue Charaktere oder auf Hintergrundinformationen zu bekannten Figuren wie Tibor. Das gibt dem Hörbuch eine andere Richtung und man muss sich zunächst einmal damit abfinden, dass die Handlung um die E-Dezernate kaum voran getrieben wird, bevor man sich auf die historischen Ereignisse um Tibor einlassen kann. Wobei diese nun nicht besonders spannend sind. Sicher, in einer Endlosserie wie „Necroscope“ darf es dem Autor auch gestattet sein, die Vergangenheit der Charaktere zu beleuchten. Doch die Vampirwerdung Tibors schreitet recht langsam voran. Bevor er überhaupt auf Fetor trifft, hat man als Hörer den Eindruck, der Großteil des Hörbuchs wäre damit vorüber gegangen, wie Tibor den Berg zu dessen Burg hinauf läuft. Eine recht unnötige Verzögerungstaktik, die die Spannung so lange hinauszögert, bis sie vollkommen verloren gegangen ist.

Interessanter ist da schon Julian, dessen Platz im großen Ganzen bisher noch nicht erkennbar ist, der aber offensichtlich selbst schon einige Ambitionen hat. Lumley liefert nur die Draufsicht, zeigt nur, wie andere Charaktere Julian wahrnehmen, und das ist eine ungemein effektive Technik, um beim Hörer ein unbestimmtes Grauen zu erzeugen. Julian wird hoffentlich in zukünftigen Bänden noch eine tragende Rolle spielen!

_Abschließend lässt sich_ sagen, dass „Kreaturen der Nacht“ vom Hörer eine Neuorientierung verlangt. Plötzlich sind nicht mehr die Spionage-Abteilungen der Mittelpunkt der Handlung (zumindest für den Moment), sondern es geht ausschließlich um Hintergrundinformationen zu verschiedenen Charakteren – hauptsächlich Tibor und Julian. Das verlangt vom Hörer eine Umstellung in seiner Erwartungshaltung. Daran muss man sich also erst gewöhnen. Auch daran, dass dem Hörbuch dadurch ein zentraler Konflikt fehlt. Und so scheint „Kreaturen der Nacht“ entweder ein Lückenfüller oder eine Brücke zwischen den einzelnen Bänden zu sein. Das Hörbuch ist teilweise langatmig, doch gibt Lumley mit seiner weit ausholenden Erzählung auch eine erste Ahnung davon, welch umfassendes Universum er mit seiner Romanreihe schaffen möchte.

Lovecraft, H. P. – Fall Charles Dexter Ward, Der (Hörbuch)

_H. P. Lovecraft_ hat, obwohl ansonsten durchaus produktiv, nur drei (Kurz)Romane verfasst. Einen davon, [„Berge des Wahnsinns“, 4779 veröffentlichte das Hörbuchlabel |LPL records| bereits im Jahr 2008. 2009 folgte dann „Der Fall Charles Dexter Ward“, wieder mit David Nathan als Sprecher, der mittlerweile wohl zur deutschen Stimme von Lovecraft avanciert ist. Über sechs Stunden lang darf man als Hörer in die unglaubliche und beunruhigende Welt Lovecrafts eintauchen, schließlich präsentiert |LPL| hier eine ungekürzte Lesung des 200 Seiten starken Textes. Und schon bald wird klar: „Der Fall Charles Dexter Ward“ ist eine von Lovecrafts ambitioniertesten und komplexesten Erzählungen.

Doch worum geht es? Lovecraft rollt seine Geschichte von hinten auf. Erzähler ist Marinus Bicknell Willett, der Arzt der Familie Ward. Er kennt Charles Ward, den Protagonisten der Erzählung, schon von Kindesbeinen an und muss nun leider berichten, dass dieser nach einer mysteriösen psychischen Erkrankung in ein Sanatorium eingewiesen wurde, aus dem er mittlerweile verschwunden ist. Niemand wisse, worunter Charles gelitten habe, die Symptome seien seltsam und geradezu abnormal gewesen. Tatsächlich jedoch hat Willett viel mehr Einblick in das Seelenleben Wards als er zunächst zugibt. Im Folgenden rekapituliert er nämlich den „Fall Charles Dexter Ward“ und zeichnet die Geschichte eines wissbegierigen jungen Mannes nach, der schließlich der schwarzen Magie verfällt und Dinge heraufbeschwört, deren Kontrolle ihm schon bald aus den Händen gleitet.

Charles, schon immer wissensdurstig, stößt zufällig auf einen Vorfahren, dessen Lebenswandel Charles’ Interesse weckt: Joseph Curwen lebte gegen Ende des 17. Jahrhunderts in Providence (er war von Salem dorthin geflohen, um den berüchtigten Hexenprozessen zu entgehen). Und obwohl er sich in die Gemeinschaft der Stadt einbringt, bleibt er doch auch immer ein Einsiedler. Neben seinem Stadthaus unterhält er etwas außerhalb eine Art Farm, über die die wildesten Gerüchte im Umlauf sind. Nachts flackern dort Lichter, es gibt seltsame Geräusche … kurzum, Curwen ergeht sich in schwarzer Magie, um aus den „essentiellen Salzen“ von Toten diese wiederzuerwecken. Die Bewohner von Providence kommen ihm zwar nicht wirklich auf die Schliche, doch sie sind beunruhigt genug, um seine Farm zu überfallen und ihm den Garaus zu machen.

Und so stirbt Curwen 1771 und wird praktisch aus der Familiengeschichte getilgt, bis Charles Ward wieder auf den illustren Vorfahren stößt. Fortan vergräbt Charles sich in seinem Studierzimmer. Er durchforstet die Friedhöfe von Providence nach dem Grab Curwens. Er entdeckt das alte Stadthaus seines Ahnen und macht dort eine Entdeckung, die ihn noch tiefer in die Geheimnisse Curwens eintauchen lässt.

Man ahnt es schon: Charles Wards Manie wird zu keinem guten Ende führen. Doch, was es tatsächlich mit Curwen auf sich hat und wie der Erzähler Marinus Willett in die Geschichte verwickelt ist, das muss schon jeder selbst hören.

_“Der Fall Charles Dexter Ward“_ gehört zum Cthulhu-Mythos (der Gott Yog-Sothoth wird hier beispielsweise zum ersten Mal erwähnt), doch spielen das Necronomicon und die dazugehörigen Götter nur eine untergeordnete Rolle. Das liegt nicht zuletzt am Erzähler: Lovecraft hat sich eines literarischen Kniffes bedient, um die Spannung zu erhöhen. Er lässt eine Nebenfigur, nämlich den Arzt der Familie, erzählen. Dieser erscheint zwar durchaus vertrauenswürdig und seine erzählte Geschichte ist auch schlüssig. Trotzdem kann man ihm nicht uneingeschränkt trauen, denn einen Großteil der Geschichte kennt er nur aus zweiter Hand. Er hat sie zusammengetragen oder sich zusammengereimt. Nur im letzten Teil der Geschichte ist er selbst Handlungsträger. So müssen gewisse Teile der Handlung oder Motivationen der Figuren im Dunkeln bleiben, was naturgemäß das Interesse des Lesers nur noch erhöhen dürfte. Dieser ist nämlich eingeladen, jedes Wort Willetts auf die Waagschale zu legen und die dunklen Ecken der Handlung mittels der eigenen Fantasie zu füllen.

Auf diese Weise bleiben die beiden Protagonisten Ward und Curwen letztendlich obskure Charaktere, derer man als Leser nie wirklich habhaft werden kann. Das liegt auch daran, dass es Lovecraft seinem Publikum nicht gerade leicht macht. Sein Text enthält eine ungeahnte Fülle an Fakten, Handlungssträngen und verschachtelten Zeitebenen. Hat man es sich eben noch im frühen 20. Jahrhundert des Charles Ward gemütlich gemacht, katapultiert einen Lovecraft prompt ins ausgehende 18. Jahrhundert. Und so geht es immerfort. Da heißt es für den Leser: Dranbleiben, es lohnt sich!

Dass Ward nicht als böser Alchemist geboren wurde, macht Willett mehr als klar. Dass selbiges auch für Curwen zutrifft, wird zumindest impliziert. Und so erzählt „Der Fall Charles Dexter Ward“ zweimal exemplarisch, was exzessives Forschen ohne moralische und ethische Grundlage anrichten kann. Denn Ward ist nicht nur äußerlich ein Spiegelbild seines Urahnen Curwen. Auch ihre Lebensgeschichten verlaufen parallel. Zwei Mal zeigt Lovecraft, was passiert, wenn Menschen an den ältesten Geheimnissen der Welt rühren – wenn sie nämlich das, was tot sein sollte, nicht tot sein lassen. Naturgemäß passieren dann nämlich schauerliche Dinge. Und um die Welt wieder ins rechte Lot zu rücken, muss der Schöpfer vernichtet werden, mitsamt seiner Schöpfung (siehe [„Frankenstein“). 3132

Das Sitzfleisch, das man für die 5 CDs dieses Hörbuchs investieren muss, lohnt sich in jedem Fall. Allen modernen Horrorfreunden demonstriert Lovecraft hier nämlich, wie man einen Leser das Grauen lehrt ohne schnelle Szenenwechsel und übergroße Effekte. Für heutige Leser mag Lovecrafts gemächlicher Stil fast schon behäbig wirken. Und doch stellt sich der vom Autor gewünschte Effekt mit Sicherheit ein: Ein unangenehmes Kribbeln im Rücken, das signalisiert: „Mich gruselt’s.“ Und mit Lovecraft macht das Gruseln einfach ganz besonderen Spaß!

|ISBN-13: 978-3-7857-4245-7
5 CDs im Box-Set|
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_Mehr von und über H. P. Lovecraft auf |Buchwurm.info|:_

[„H. P. Lovecraft – Eine Biographie“ 345
[„Der Schatten über Innsmouth“ 424 (Hörbuch)
[„Schatten über Innsmouth“ 506
[„Der Cthulhu-Mythos“]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=524 (Hörbuch)
[„Berge des Wahnsinn“ 3652 (Hörspiel)
[„Berge des Wahnsinns“ 4779 (Hörbuch)
[„Berge des Wahnsinn“ 72
[„Das Ding auf der Schwelle & Die Ratten im Gemäuer“ 589 (Hörbuch)
[„Der Fall Charles Dexter Ward“ 897
[„Der Fall Charles Dexter Ward“ 4851 (Hörspiel)
[„Der Fall Charles Dexter Ward“ 5991 (Hörbuch)
[„Die Katzen von Ulthar und andere Erzählungen“ 1368
[„Cthulhu: Geistergeschichten“ 1421
[„Der kosmische Schrecken“ 1821
[„Der Ruf des Dämon“]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=1823 (Hörbuch)
[„Der Flüsterer im Dunkeln“ 1961 (Hörbuch)
[„Vom Jenseits“ 2096
[„Der Schatten aus der Zeit“ 2358 (Hörbuch)
[„Jäger der Finsternis“ 3450 (Hörbuch)
[„Das schleichende Chaos“ 3459
[„Necronomicon“ 4521
[„Necronomicon“ 5278 (Hörbuch)

Lovecraft, H. P. – Berge des Wahnsinns (Hörbuch)

Der Geologe Willam Dyer ist 1931 Teil einer groß angelegten Expedition in die Antarktis. Mit zwei Schiffen, vier Flugzeugen, einer ganzen Horde Schlittenhunde und neuartigen Bohrern machen sich die Wissenschaftler um Dyer auf ins ewige Eis.

Zunächst geht auch alles glatt. Es werden Bohrungen in tiefe Eisschichten vorgenommen. Die Teilnehmer der Expedition stellen Erkundungsflüge an, man katalogisiert und beobachtet. Schließlich bricht Professor Lake mit einigen Mitstreitern und Hunden zu einer Expedition in westlicher Richtung auf. Bei dem Flug dorthin stößt er zunächst auf ein Gebirge gigantischen Ausmaßes – höher als alle Bergkämme der bekannten Welt. An den Felshängen meint er jedoch, seltsame Formationen auszumachen, als wäre der Stein bearbeitet worden.

Lake errichtet ein Basislager, in dem die neuartigen Bohrer zum Einsatz kommen. Bald stößt man bei den Bohrungen auf eine Höhle, in der sich vierzehn völlig unbekannte Lebensformen finden. Einige der Körper sind stark beschädigt, doch sechs sind in sehr gutem Zustand, und so kann Lake erste Untersuchungen vornehmen und seine Ergebnisse an Dyer funken. In dieser Nacht wütet ein schwerer Eissturm und am nächsten Morgen ist es den Leuten um Dyer unmöglich, Lake per Funk zu erreichen. Da die Vermutung naheliegt, dass Lakes Camp während des Sturm beschädigt wurde, organisiert man eine Rettungsmannschaft. Als die verbliebenen Expeditionsteilnehmer jedoch in Lakes Camp eintreffen, finden sie es vollkommen verwüstet vor. Sowohl die Hunde als auch die Menschen sind tot, und jeweils einer jeder Art fehlt. Es finden sich seltsame Begräbnisstätten, und die besser erhaltenen Lebensformen sind verschwunden. Die Expedition, die so vielversprechend begonnen hatte, hat sich zur Katastrophe entwickelt.

Dyer und der Student Danforth beschließen, mit einem Flugzeug die neu entdeckte Bergkette zu überfliegen, und stoßen auf der anderen Seite auf eine riesige, urzeitliche Stadt. Auch wenn ihnen das grauenvolle Schicksal von Lakes Expedition noch gegenwärtig ist, so weckt der Anblick doch ihr wissenschaftliches Interesse. Sie beschließen zu landen und die Gegend zu Fuß zu erkunden. Doch was, wenn die Stadt gar nicht so verlassen ist, wie es zunächst den Anschein hat?

H. P. Lovecrafts „Berge des Wahnsinns“ (engl. „At the Mountains of Madness“) ist mit 150 Seiten eine seiner längsten Erzählungen. Verfasst wurde sie 1931 und Lovecraft beschreibt sie als „the most serious work I have ever attempted“. Der Erzählung war zunächst jedoch kein einfaches Schicksal bestimmt. Vom damals allgegenwärtigen Magazin „Weird Tales“ wurde sie abgelehnt, wohl aufgrund der beträchtlichen Länge. Lovecraft, immer ein Pessimist, schrieb daraufhin, „it is altogether too slow for the cheap artificial market“. Erst 1936 fand „Berge des Wahnsinns“ eine Heimat bei „Astounding Stories“.

|LPL| hat nun in seiner Reihe „H. P Lovecraft – Bibliothek des Schreckens“ auch „Berge des Wahnsinns“ als Hörbuch herausgebracht. Wie auch schon in vergangenen Veröffentlichungen, nimmt sich Sprecher David Nathan der Geschichte in einer ungekürzten Fassung an. In gewohnter Manier geht seine Interpretation unter die Haut. Er füllt Dyers Bericht mit Leben (obwohl dieser sich mit seinen langen wissenschaftlichen Monologen stellenweise durchaus trocken liest), macht den Schrecken der Wissenschaftler erlebbar und geleitet den Hörer auch sicher durch die eher anspruchsvollen wissenschaftlichen Passagen, in denen von urzeitlichen Wesen und versteinerten Farnen die Rede ist.

Lovecraft hatte mit seiner selbstkritischen Einschätzung durchaus recht: „Berge des Wahnsinns“ ist langsam. Die Geschichte gibt sich den Anschein eines wissenschaftlichen Berichts. Dyer, der über die Ereignisse in der Antarktis lieber geschwiegen hätte, fühlt sich dazu verpflichtet, die Schrecken der Expedition wiederzugeben, um zu verhindern, dass neue Forscher mit neuem Gerät in diese Gefilde vordringen und so eventuell etwas auf den Plan rufen, für das die Menschheit nicht bereit ist. Dyers Worte sind also Bericht und Warnung zugleich – er will dem Leser ein Lehrstück liefern und lockt ihn immer wieder mit dem zu erwarteten Schrecken, ohne diesen über weite Strecken einzulösen. Lovecraft ist hier ein großer Verzögerer; er verlangt dem Leser viel Geduld ab und fordert ihn auf, sich währenddessen doch auszumalen, was alles passiert sein könnte. Das führt nun dazu, dass die Geschichte für den heutigen Leser, der mehr Action und schnelle Handlungselemente gewöhnt ist, reichlich behäbig daherkommt. Doch machen der unglaubliche Detailreichtum und Lovecrafts fundierte Beschreibung wissenschaftlicher Erkenntnisse vieles davon wieder wett.

Es ist augenscheinlich, dass Lovecraft viel recherchiert hat, um Dyers Aussage authentisch wirken zu lassen. Und so darf man sich als Leser mitgenommen fühlen auf eine Expedition ins Ungewisse. Man teilt die anfängliche Begeisterung, den Unglauben ob der ersten Beobachtungen, die Neugierde auf das Unbekannte. Diese Teile der Erzählung scheinen von echtem Forscherdrang durchzogen. Später konzentriert sich Lovecraft eher auf seinen Cthulhu-Mythos und macht eine breit angelegte Geschichte der Großen Alten auf, bei der man als Leser aufmerksam bleiben muss, um nicht den Überblick zu behalten.

„Berge des Wahnsinns“ ist ein groß angelegtes Panorama, bei dem es viel zu entdecken gibt. Es ist kein einfaches Stück Literatur, dafür ist es zu wenig auf den Effekt hin konzipiert und ergeht sich viel lieber in detailreichen Beschreibungen und theoretischen Erläuterungen. Trotzdem: Eine Empfehlung für alle, die schon immer wussten, dass in den unerforschten Teilen unserer Welt ungeahnte Gefahren lauern.

|Originaltitel: At the mountains of madness, 1936 (gekürzt), 1939 ungekürzt
Aus dem US-Englischen übersetzt von A. F. Fischer
346 Minuten auf 5 CDs|
http://www.lpl.de
http://www.luebbe-audio.de

Wilson, F. Paul – Handyman Jack – Die Gruft (Folge 3)

Handyman Jack bringt Dinge in Ordnung. Doch handelt es sich bei diesen Dingen keineswegs – wie Ottonormalverbraucher vermuten würde – um Abflüsse, Regenrinnen oder klemmende Türen. Stattdessen widmet sich Jack diffizilen Problem, die sonst keiner lösen will: Er beschafft Dinge wieder, befreit Geiseln und treibt auch schon mal Geld ein. Dabei verhält er sich zwar in der Regel durchaus moralisch (man könnte ihn mit einem modernen Robin Hood vergleichen), doch trotzdem bewegt er sich außerhalb des Gesetzes. Und damit er nicht auffällt, ist er „ausgestiegen“. Jack hat weder ein Bankkonto noch eine Sozialversicherungsnummer – er hat noch nicht mal einen Nachnamen.

Und genau aus diesem Grund hat sich seine Freundin Gia von ihm getrennt. In einem Anfall von Putzwut hatte sie einst in Jacks Wohnung aufgeräumt und war dabei auf ein ganzes Arsenal beeindruckender Waffen gestoßen. Als sie Jack zur Rede stellte und er erörterte, was er für seinen Lebensunterhalt tut, hat sie das Weite gesucht; zusammen mit ihrer kleinen Tochter Vicky, die Jack geradezu abgöttisch liebt.

Doch nun scheint es so, als bräuchte Gia gerade Jacks „besondere“ Hilfe. Ihre Tante ist verschwunden und die Polizei zeigt nicht viel Einsatz bei dem Versuch, sie wiederzufinden. Hier soll nun also Jack weiterhelfen, doch auch er findet zunächst keine heiße Spur außer einem ominösen unetikettierten Fläschchen, in dem sich angeblich Abführmittel befinden soll.

Zur gleichen Zeit wird er von dem Inder Kusum Bakti engagiert, um eine Halskette wiederzubeschaffen. Laut Bakti gehört die Kette seiner Großmutter, die nachts zuvor überfallen worden war. Nun ist das Schmuckstück kaum wertvoll, besteht es doch nur aus Eisen, doch es handelt sich um ein Familienerbstück und Bakti versichert, dass er es unbedingt wiederhaben müsse. Jack bezweifelt, dass es möglich sei, eine einzelne Kette in ganz New York wieder aufzutreiben, aber Bakti bietet ihm selbst für den Versuch einen ganzen Batzen Geld.

Es kommt, wie es kommen muss: Jack findet zwar (oh, Wunder!) die Kette wieder, doch es stellt sich heraus, dass Gias Großmutter tot ist. Tatsächlich ist Baktis Erscheinen daran nicht ganz unschuldig, doch wie Bakti in die ganze Sache verwickelt ist und vor allem, worin sein Motiv besteht, das gilt es fortan herauszufinden. Als dann auch noch die kleine Vicky in die Schusslinie gerät, ist für Jack Schluss mit lustig und er fährt die ganz großen Geschütze auf.

„Handyman Jack“ ist mittlerweile eine der Hausmarken von Lars Peter Luegs Hörbuch-Label |LPL records|. Das hier vorliegende Hörbuch „Die Gruft“ ist schon die dritte Veröffentlichung, letztes Jahr erschienen bereits die Kurzgeschichtenanthologien „Der letzte Ausweg“ und „Schmutzige Tricks“, beide dazu angetan, den geneigten Hörer anzufüttern und ihm Lust auf mehr zu machen. Mit „Die Gruft“ liefert |LPL| nun genau das; nämlich den ersten Roman um den Handyman, von Autor F. Paul Wilson ursprünglich 1984 veröffentlicht.

Wilson huldigt in seinen Handyman-Jack-Geschichten der Action und der Spannung. In der Regel muss Jack zwar auch „einen Fall lösen“, doch ist dieser kriminalistisch meist nicht besonders raffiniert. Stattdessen strebt die Handlung immer auf die nächste Actionsequenz oder die nächste Schießerei zu. Jack dabei zu beobachten (oder zu belauschen), wie er höchst professionell und in der Regel beeindruckend kaltblütig seine Aufträge erledigt, macht einfach Spaß – es ist nicht besonders anspruchsvoll, aber dafür spannend und flott erzählt.

In „Die Gruft“ fügt Wilson dem Action- und Krimiplot allerdings noch einen Schuss Horror hinzu. Er erfindet buchstäblich ein Monster, dass es erst zu identifizieren und dann zu töten gilt. Letzteres gestaltet sich selbstverständlich schwierig, da das Monster – wie jedes ordentliche Monster – praktisch unverwüstlich ist, doch gerade im Überwinden des Unmöglichen liegt ja der Reiz einer solchen Geschichte.

Nun tritt |LPL| sich leider ein wenig selbst auf die Füße, da auf dem bereits erschienenen Hörbuch „Schmutzige Tricks“ eine Fortsetzung zu „Die Gruft“ zu finden war. Wer „Schmutzige Tricks“ also kennt, wird in Bezug auf das Monster hier kaum Überraschungen erleben. Dabei besteht ja gerade ein Teil der Spannung von „Die Gruft“ darin, herauszufinden, worum es sich handelt und wie es zu töten ist. Zwar lässt auch Wilson dem Leser immer etwas Vorsprung, da er teilweise aus Baktis Perspektive erzählt und man so bereits in dessen Pläne eingeweiht ist, als Jack noch völlig im Dunkeln tappt. Doch möchte Wilson natürlich, dass man Jacks Schock und Unglauben teilt, wenn er das erste Mal auf die Monster trifft. Wer nun aber „Schmutzige Tricks“ kennt, ist so ungläubig nicht mehr … abgebrüht träfe es da schon eher. Daher Punktabzug für die seltsame Reihenfolge der Veröffentlichungen.

Trotzdem lohnt sich das Hören natürlich. Betrachtet man nur die Geschichte, so ist diese spannend bis zum letzten Atemzug. Betrachtet man dann aber noch die Leistung des Sprecher Detlef Bierstedt, so wird „Die Gruft“ vollends zum Hörgenuss. Bierstedt gibt den Titelhelden taff und unglaublich männlich. Seine tiefe Stimme suggeriert sofort ein Alpha-Tier, und wohl nicht nur als Frau würde man ihm sofort das Auffinden der verschwundenen Oma anvertrauen. Jacks schiere Präsenz, seine zupackende Art und seine Zuversicht, jegliche Situation lösen zu können – all das wirkt durch Bierstedts Stimme um so glaubhafter. Die Devise lautet hier also: hören statt lesen, auch wenn die Hörbuchfassung gegenüber der Romanveröffentlichung gekürzt ist.

|372 Minuten auf 5 CDs
ISBN-13: 978-3-7857-3710-1|
http://www.lpl.de
http://www.luebbe-audio.de
http://www.festa-verlag.de
http://www.andymatern.de

F. Paul Wilson auf |Buchwurm.info|:

[„Handyman Jack – Schmutzige Tricks“ 4939 (Folge 1)
[„Handyman Jack – Der letzte Ausweg“ 5129 (Folge 2)
[„Das Kastell“ 795
[„Tollwütig“ 2375
[„Die Gruft“ 4563

Wilson, F. Paul – Handyman Jack – Der letzte Ausweg (Folge 2)

_Das Hörbuch_ [„Schmutzige Tricks“ 4939 stellte den Actionliebhaber Handyman Jack vor, den Mann, der nie existierte. Jack lebt außerhalb der Gesellschaft. Er besitzt etliche Pässe, aber keinen echten Nachnamen. Er hat keine Sozialversicherungsnummer und keine Rentenansprüche. Er zahlt keine Steuern, es gibt von ihm keine Fingerabdrücke und er hat offensichtlich keinen ordentlichen Beruf gelernt. Jack ist nämlich ein Mann für alle Gelegenheiten: Ihn ruft man an, wenn man erpresst wird, wenn die geliebte Ehefrau entführt wurde, wenn man Schutzgeld bezahlen soll oder wenn verlorene Dinge wieder aufzufinden sind. Kurzum, wenn Probleme nur noch mit Gewalt und Schießpulver zu lösen sind, dann ist Handyman Jack genau der richtige Mann für den Job!

|LPL records| bringt mit „Der letzte Ausweg“ nun eine weitere Sammlung mit Abenteuern um Handyman Jack zu Gehör. Wiederum finden sich auf den drei CDs (mit ansprechenden dreieinhalb Stunden Laufzeit) drei Geschichten, in denen Jack seine vielen Talente unter Beweis stellen darf.

_Los geht es diesmal_ mit der Kurzgeschichte „Der lange Weg nach Haus“ (engl. „The long way home“, 1992), in der Jack – mal wieder ganz zufällig – in einen Überfall verwickelt wird. Er will einfach nur sein Sixpack Bier nach Hause tragen und sich einen gemütlichen Abend machen, als er aus Costins kleinem 24/7-Laden einen Schuss hört. Da vor dem Laden bereits ein Streifenwagen parkt, ist Jack versucht, einfach weiterzugehen, denn Begegnungen mit den Bullen sind auf jeden Fall zu vermeiden, wenn man offiziell gar nicht existiert. Doch bevor er sich’s versieht, ist eine der Kanaillen tot, während Jacks Hand knöcheltief im Hals des Cops steckt, um die stark blutende Schlagader abzudrücken. Klar, dass dies eine ziemlich kompromittierende Position und die eintreffende Verstärkung daran interessiert ist, Jack erstmal festzunehmen. Nun muss Jack die Polizei von seiner Unschuld überzeugen und schlussendlich auch noch die Geiselnahme im Laden beenden. Und als er nach einem ereignisreichen Tag dann endlich zu Hause eintrifft, muss er natürlich feststellen, dass sein Sixpack Bier dabei auf der Strecke geblieben ist.

„Der letzte Rakosh“ (engl. „The last Rakosh“, 1990) schlägt in eine ganz andere Kerbe als die bisherigen Geschichten um Jack. Wir treffen seine Freundin Gia und deren Tochter Vicky wieder, die schon einen kurzen Auftritt in „Ein ganz normaler Tag“ hatten. Diesmal machen die drei einen Sonntagsausflug zu einem Kuriositäten-Kabinett. Jack debattiert zwar kurz mit sich, ob zusammengewachsene Zwillinge und Männer mit Ganzkörperbehaarung wohl der richtige Zeitvertreib für die kleine Vicky sind, doch das Mädchen besteht lautstark darauf, die Show zu besuchen. Zunächst gibt es das Übliche: Schlangen- und Krokodilmenschen sowie einen Jungen, der menschliche Stimmen überzeugend echt nachmachen kann. Jack ist bereits fast überzeugt, dass es doch keine so schlechte Idee war, das Kuriositäten-Kabinett zu besuchen, als ein gellender Schrei von Vicky ihn vom Gegenteil überzeugt. In einem Käfig hat sie einen Rakosh entdeckt, ein Ding, das halb Hai, halb Mensch ist, und an das sie keinerlei guten Erinnerungen hat!

Die letzte Erzählung des Hörbuchs ist auch die längste. „In der Mangel“ (engl. „The Wringer“, 1996) konfrontiert Jack mit dem Angestellten Mounir Habib, dessen Frau und Sohn von einem vermeintlich Irren entführt worden sind. Der Mann verlangt kein Lösegeld von Mounir, stattdessen zwingt er ihn ständig, sich in peinliche und moralisch fragwürdige Situationen zu bringen. Er zwingt den gläubigen Moslem, Schweinefleisch zu essen oder an einem öffentlichen Platz zu urinieren. Kommt Mounir den Forderungen nicht nach, droht der Entführer, seiner Familie Gewalt anzutun. Durch seinen Nachbar kommt Mounir an Jacks Telefonnummer. Dieser ist zunächst nicht von dem Fall angetan und will Mounir stattdessen zur Polizei schicken, die seiner Meinung nach besser im Stande ist, Mounirs Frau und Sohn zu befreien. Doch der weinerliche Mounir ist nicht mehr loszuwerden, und so findet sich Jack bald mitten in dem Entführungsfall wieder und muss nun auf eigene Faust die Identität des unbekannten Entführers herausfinden.

_Wie bereits das Auftakthörbuch_ „Schmutzige Tricks“, so steigt auch „Der letzte Ausweg“ geradlinig ein. „Der lange Weg nach Haus“ ist kaum kompliziert, bietet dafür aber einen gut aufgelegten Jack, der es gern ordentlich krachen lässt. Außerdem darf der Leser erleben, was passiert, wenn Jack doch zufällig in die Hände der Polizei gerät, wobei es etwas weit hergeholt wirkt, dass der diensthabende Offizier ihn schlussendlich tatsächlich wieder laufen lässt. Einen Typen mit fünf verschiedenen Ausweisen, unauffindbaren Fingerabdrücken und nicht zugelassenen Waffen? So einen einfach wieder auf die Gesellschaft loszulassen, erscheint etwas abwegig, und man fragt sich zwangsläufig, ob die amerikanische Polizei gern solche haarsträubenden Bauchentscheidungen trifft. Natürlich weiß der Hörer, dass Jack durchaus die Freiheit verdient hat, und dieser beweist seine Loyalität auch sofort, indem er versucht, die Geiselnahme in dem kleinen Laden zu beenden. Trotzdem erscheint es mehr als seltsam, dass die Polizei einen einsamen Rächer, der offensichtlich Lynchjustiz betreibt, einfach laufen lässt.

Die zweite Geschichte, „Der letzte Rakosh“ ist ein ziemliches Rätsel. Zuerst einmal bezieht sie sich offensichtlich in weiten Teilen auf eine frühere Geschichte, in der die kleine Vicky von dem Haimenschen, den sie nun im Kuriositäten-Kabinett sieht, entführt und bedroht worden ist. Schon diese Tatsache führt dazu, dass man sich als Hörer etwas allein gelassen fühlt, schließlich kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass einem wichtige Hintergrundinformationen fehlen. Viel schwerer wiegt jedoch, dass sich auf der CD nur ein Auszug aus der Erzählung findet. Wir erfahren nur, dass Jack den Haimenschen wiedersieht, von dem er dachte, er wäre tot. Was passiert dann? Geht er nach Hause und nimmt sich ein Bier? Bricht er nachts in das Kabinett ein und liefert sich einen blutigen Kampf mit dem Rakosh? Befreit sich das Ding von selbst und macht sich auf die Suche nach Vicky? Man wird mit einem Stück Geschichte angefüttert und dann hängen gelassen. Hoffentlich handelt es sich dabei um ein Experiment, das |LPL| nicht wiederholen wird, denn dieser Einfall ist gründlich in die Hose gegangen!

„In der Mangel“ ist geneigt, den Hörer wieder versöhnlicher zu stimmen. Es gibt einige kleine Schockmomente, die für wohlige Schauer sorgen dürften, außerdem ein genüssliches Katz-und-Maus-Spiel zwischen dem Entführer und Mounir. Und es bereitet dem Hörer ein – zugegebenermaßen – sadistisches Vergnügen, wenn Jack den Entführer endlich gefasst hat und ihn seinerseits in die Mangel nehmen kann. Da fällt kaum ins Gewicht, dass die Identifikation des Entführers sich eigentlich schon zu einfach gestaltet – offensichtlich will Wilson mit echter detektivischer Arbeit keine Zeit verschwenden. Es ist praktisch ein Glückstreffer, und man ist fast überrascht, als sich schlussendlich herausstellt, dass es sich bei der vermuteten Person tatsächlich um den Täter handelt. Aber mit solchen Kleinigkeiten hält sich Jack nicht auf. Seiner Vorstellung von Gerechtigkeit ist genüge getan.

„Der letzte Ausweg“ bleibt leicht hinter „Schmutzige Tricks“ zurück, vor allem auch wegen des vollkommen verpatzten Mittelteils mit „Der letzte Rakosh“. Doch mit der letzten Geschichte, „In der Mangel“ kann das Hörbuch wieder Boden gutmachen.

|3 Stunden und 34 Minuten auf 3 CDs
Aus dem US-Englischen übersetzt von Michael Plogmann|
ISBN-13: 978-3-7857-3580-0|
http://www.lpl.de
http://www.luebbe-audio.de
http://www.festa-verlag.de

_F. Paul Wilson auf |Buchwurm.info|:_

[„Das Kastell“ 795
[„Tollwütig“ 2375
[„Die Gruft“ 4563
[„Handyman Jack – Schmutzige Tricks“ (Folge 1) 4939

Wilson, Paul F. – Handyman Jack – Schmutzige Tricks (Folge 1)

_Ein Handyman_ ist im englischen Sprachraum ein Mann für alles, und so finden sich auf dem Anrufbeantworter von F. Paul Wilsons Antihelden Handyman Jack auch reichlich Nachrichten, in denen es ums Heimwerken und Reparieren geht. Dabei ist Jack zwar tatsächlich ein Kerl fürs Grobe, doch in seinem Werkzeugkoffer findet sich eher ein umfangreiches Waffenarsenal. Für Geld beseitigt er nämlich Probleme, die ohne Gewaltanwendung nicht mehr zu lösen sind. Wenn man also selber nicht mehr weiter weiß und die Polizei nicht interessiert ist zu helfen, dann ist die letzte Adresse wohl Handyman Jack. Zumindest wenn man in New York lebt.

Dass man mehr über den geheimnisvollen Handyman Jack erfahren darf, ist dem amerikanischen Autor F. Paul Wilson zu verdanken, der die Figur vor über zwanzig Jahren erfand und seitdem nicht müde wird, dessen Abenteuer zu schildern. |LPL records| stellt mit „Schmutzige Tricks“ drei Kurzgeschichten um Jack als Hörbuch vor.

_In der Auftaktgeschichte_ „Zwischenspiel im Drugstore“ bekommt der Hörer als Einstimmung eine geradlinige und schnelle Knall- und Schießgeschichte geboten. Jack, der zufällig auf seine alte Bekannte Loretta trifft, die ihn sofort in einen Drugstore schleppt, da sie einen Heißhunger auf Eis verspürt, findet sich plötzlich in einem klassischen Überfallszenario wieder: Eine kleine Gang schließt Kunden wie Angestellte in dem Laden ein, um den Geldtransporter zu überfallen, der wöchentlich die Einnahmen abholt. So eine Situation kann Jack natürlich nicht so einfach hinnehmen, doch sieht er sich mit einem ungewöhnlichen Problem konfrontiert: Da er zum jährlichen King-Kong-Tag aufs Empire State Building gestiegen ist, auf dem Waffen tabu sind, hat er keine Knarre parat. Er muss also improvisieren, und so schleicht er durch die Gänge des Drugstore, um zusammenzusammeln, was auch nur im Entferntesten als Waffe geeignet sein könnte. Der Leser darf gespannt sein, welche unscheinbaren Produkte in Jacks Hand zu tödlichen Geschossen werden können!

Die zweite Geschichte „Ein ganz normaler Tag“ verlangt sowohl dem Hörer als auch dem Protagonisten schon etwas mehr ab. Es ist die längste Geschichte des Hörbuchs und kann mit einer recht verschachtelten Handlung aufwarten, die des Hörers Aufmerksamkeit ständig fordert. Jack wurde von dem Barbesitzer George angeheuert, um ein paar mafiöse Geldeintreiber zu beseitigen, die von George Schutzgeld erpressen wollen. Doch dieser recht einfache Job verkompliziert sich schlagartig, als ein Scharfschütze versucht, Jack in seinem (geheimen!) Hotelzimmer gekonnt zu durchlöchern. Haben die Kleinkriminellen also jemanden auf ihn angesetzt? Hat jemand Jacks Identität herausgefunden? Oder geht es um etwas ganz anderes? Genüsslich widmet sich Jack dem Puzzle, das sich ihm da präsentiert, und natürlich führen schlussendlich alle Spuren zusammen, um in einem actionageladenen Showdown zu kulminieren.

In der letzten Geschichte „Familiennotdienst“ verlässt Autor F. Paul Wilson das sichere Revier der Schwarzweißmalerei. Bisher waren Bösewichte und Helden (selbst Antihelden) recht eindeutig zu identifizieren, doch nun betreten wir die berüchtigte Grauzone moralischen Handelns. Jack wird von Oscar Schaffer engagiert, dessen Schwester von ihrem Mann regelmäßig brutal verprügelt wird. Immer wieder redet er auf sie ein, diesen Schläger doch zu verlassen, doch sie entschuldigt die Gewaltätigkeit ihres Mannes und macht keine Anstalten, sich aus dessen Fängen zu befreien. Oscar weiß keinen anderen Rat mehr als Jack zu engagieren, um dem Schwiegersohn eine Portion seiner eigenen Medizin zu verpassen. Jack soll ihn ein wenig verprügeln, gerade nur so, dass er im Krankenhaus landet. Vielleicht sieht er dann, was er seiner Frau antut. Und vielleicht landet er im Krankenhaus ja zufällig in den Fängen eines Psychiaters, der ihn wieder geraderücken kann. So einfach, wie Oscar sich das ausgemalt hat, wird die Sache schlussendlich natürlich nicht. Nur eines ist sicher – wenn die Geschichte zu Ende ist, wird Gus nie wieder eine Frau verprügeln.

_Mit Handyman Jack_ hat F. Paul Wilson, Jahrgang 1946 und wohnhaft im beschaulichen New Jersey, eine unglaublich vielseitige, actionlastige und unterhaltsame Figur geschaffen. Man erfährt kaum etwas über ihn, und sein auffälligstes Merkmal ist wohl seine komplette Unauffälligkeit. Zwischen den ganzen Schlägern, Kleinkriminellen und Dieben sieht er einfach nur normal aus. Normal gebaut, normal gekleidet, normale Frisur, unscheinbares Gesicht. Als Krönung kommt er in „Ein ganz normaler Tag“ plötzlich heim zu Frau und Kind, und um die Beschaulichkeit der Diskussion ums Abendbrot komplett zu machen, würde nur noch der weiße Lattenzaun fehlen. Jacks Normalität ist Tarnung – niemand vermutet hinter der unscheinbaren Fassaden einen so erfolgreichen Schläger. Und erfolgreich ist er in jedem Fall! Neben Jack sehen nämlich Größen des Genres wie John McClane oder Rambo – die schließlich auch nicht schlecht darin sind, ihre Umgebung in Schutt und Asche zu legen – ziemlich alt aus. Und dazu ist Jack auch noch ein irgendwie netter Kerl, dessen Herz trotz der umfangreichen Waffensammlung doch am rechten Fleck sitzt.

Der Fairness halber sollte vielleicht gesagt sein, dass die drei Geschichten des Hörbuchs nicht chronologisch aufeinanderfolgen. Offensichtlich wurden sie nicht nach Erscheinungsdatum, sondern nach Gefallen und sicherlich auch Länge ausgewählt. „Zwischenspiel im Drugstore“ („Interlude at Duane’s“), die Auftaktgeschichte, ist die neueste im Bunde – 2006 erstveröffentlicht. „Ein ganz normaler Tag“ („A Day in the Life“) dagegen ist von 1989. Die letzte Geschichte, „Familiennotdienst“ („Home Repairs“) ist wieder jünger, nämlich von 1996. Allerdings tut die scheinbar wahllose Zusammenstellung dem Hörgenuss keinen Abbruch. Alle Geschichten funktionieren unabhängig voneinander, und man kann in jeder spannende Details über Jack lernen, die man am Ende des Hörbuchs zusammensetzen kann, um sich ein umfassenderes Bild über dieses Enigma Jack zu machen.

„Schmutzige Tricks“ ist ein dreieinhalbstündiger Actionkracher, fabelhaft vorgetragen von Detlef Bierstedt. Routiniert gibt er den taffen Typen (schließlich leiht Bierstedt auch George Clooney seine Stimme) und dreht so richtig auf, wenn er Nebenfiguren Dialekte und Marotten verleihen kann. Besonders gelungen ist ihm dabei ‚Ecuador‘, einer der Kleinkriminellen aus „Zwischenspiel im Drugstore“, dessen Akzent so überzeugend rüberkommt, dass man eigentlich ständig nur zurückspulen möchte, um sich diese Passagen wieder und wieder anzuhören. Hörer, die wollen, dass es in einer Geschichte so richtig zur Sache geht, sind bei Handyman Jack an der richtigen Adresse. Hier wird geschossen, verprügelt und erstochen, bis auch noch der letzte Bösewicht blutleer ist. Und dann tritt Jack dem Toten noch einmal gegen’s Schienbein; man weiß schließlich nie, vielleicht zuckt der Gegner ja doch noch! Pures Hörvergnügen für alle Liebhaber von Action und Pulp!

|3:30 Stunden auf 3 CDs
Übersetzung vom Festa-Verlag
ISBN 978-3-7857-3552-7|
http://www.lpl.de
http://www-luebbe-audio.de
http://www.festa-verlag.de

F. Paul Wilson auf |Buchwurm.info|:

[„Das Kastell“ 795
[„Tollwütig“ 2375
[„Die Gruft“ 4563

Lueg, Lars Peter / Keller / Wilson / Smith / Fowler / Masterton – Necrophobia 3

[„Necrophobia 1“ 1103
[„Necrophobia 2“ 1073
[„Necrophobia – Meister der Angst“ 1724

Bereits zum dritten Mal haben sich Hörbuchproduzent Lars Peter Lueg sein Musikfachmann Andy Matern zusammengetan, um dem geneigten Hörer eine Horroranthologie zu präsentieren. Wieder einmal hat Lueg fünf Gruselgeschichten ausgesucht, vorgetragen von Sprechern der A-Riege, die in Deutschland wohl hauptsächlich durch ihre Synchronarbeit bekannt sind.

Leider werden die hohen Erwartungen, die der Hörer an „Necrophobia“ stellt, von der ersten Geschichte zunächst enttäuscht. David H. Kellers „Da unten ist nichts“ („The Ting in the Cellar“, 1952) ist zu banal und vorhersehbar, um mehr als ein müdes Lächeln hervorzurufen: Klein Tommy fürchtet sich vor der Kellertür, schreit und wimmert, sobald jemand die Tür auch nur angelehnt lässt. Als der Kleine in die Schule kommt, beschließt sein Vater, es sei genug mit dem kindischen Verhalten, und schleppt den Jungen zu einem Arzt. Dieser gibt den eher unprofessionellen Rat, Tommy bei geöffneter Kellertür allein im Zimmer zu lassen. Doch man ahnt schon, dass diese Rosskur dem armen Tommy eher schaden als nützen wird.

„Da unten ist nichts“ ist eine Geschichte ohne Überraschungen oder Twists. Sie spielt die alte Mär vom Monster im Keller von vorn bis hinten durch, ohne mit ihr zu spielen. Der Autor versucht sich damit zu retten, dass er nie aufklärt, was (oder ob überhaupt) sich nun in diesem ominösen Keller befindet, doch auch dieser Kniff kann den Hörer kaum dauerhaft fesseln. Zu schwer wiegt die Tatsache, dass die Charaktere absolut blass und schablonenhaft bleiben und damit ihre Wirkung beim Hörer verfehlen.

Nun trifft es sich, dass David H. Keller (1880-1966) Psychiater war. Wahrscheinlich soll man seine Geschichte als ein Lehrstück dafür lesen, wie man seine Kinder nicht erziehen sollte. Nur ist diese Erkenntnis weder neu noch ihre Ausführung gruselig. Auch der Sprecher Joachim Udo Schenk lässt wenig Begeisterung für sein Thema erkennen. Er liefert ein solides Ergebnis ab, doch kann auch er der Vorlage nicht mehr Tiefe verleihen.

Besser ausgewählt ist da schon F. Paul Wilsons Geschichte „Zart wie Babyhaut“ („Foet“, 1991). Hier geht es um die moralischen Abgründe, die sich auftun, wenn eine Gesellschaft einfach alles hat. Wenn man alles kaufen kann, zu welchem Mittel muss man dann greifen, um doch noch irgendwie besonders zu wirken? Mann kennt das ja: Frauen sind verrückt nach Handtaschen. Und so ist es nur natürlich, dass der Protagonistin beim Wiedersehen mit einer alten Freundin sofort deren absolut außergewöhnliche Tasche auffällt. So eine muss sie auch haben, das wird ihr sofort klar. Und da bereiten ihr der Preis und die moralischen Gewissensbisse ob der Herkunft des Leders auch nur kurzfristig Kopfzerbrechen. Es geht hier schließlich um ein „mutiges Fashion Statement“, da kann man sich nicht von Kleingeistigkeit beeindrucken lassen.

Wilsons (Jahrgang 1946) Geschichte erinnert in der starken Fetischisierung von Mode und Marke ein wenig an [„American Psycho“ 764. Man (oder frau) muss sich abheben, muss teuer gekleidet sein, muss geschmackvoll sein, muss besonders sein, muss „was Besseres“ sein. Doch schlussendlich rückt dieses Ziel in immer weitere Ferne, je schneller man ihm nachzueilen versucht.

Bei „Zart wie Babyhaut“ braucht es keine Monster oder Dämonen. Der Schrecken hier ist subtiler, naheliegender. Er ergibt sich aus der Frage, wo moralische Grenzen verlaufen und wie fließend sie vielleicht sind – oder interpretiert werden können. Sprecherin Marie Bierstedt kennt man in Deutschland als die Stimme von Kirsten Dunst. Als shoppingwütige Amerikanerin macht sie ihre Sache durchaus gut.

Die dritte Geschichte, „Necropolis – Das Reich der Toten“ von Clark Ashton Smith („The Empire of the Necromancers“, 1932) ist die älteste im Bunde. Man merkt ihr die zusätzlichen Jahre an, und das ist in diesem Fall positiv zu bewerten. Mit „Necropolis“ ist somit auch die klassische Gruselerzählung vertreten, komplett mit fernen Ländern, untoten Mumien und zwei unmoralischen Nekromanten.

Es überrascht nicht, dass Smith (1893-1961) mit H. P. Lovecraft befreundet war, dringt dessen Geist doch aus jeder Pore dieser Erzählung. Smith schafft es geschickt, zwei klassische Themen des Genres zu verbinden: Mumien und Zombies. Er lässt zwei Nekromanten eine ganze Mumienstadt wiedererwecken, damit sie ihnen zu Diensten sind. Das geht zunächst auch gut. Den Untoten fehlt ein wacher Geist, eine Erkenntnis ihrer Existenz, und so dienen sie ohne Wehklagen und huldigen den beiden Nekromanten. Doch letztendlich bekommen die beiden genau das, was sie verdient haben. Am Schluss ist der Gerechtigkeit Genüge getan, auch wenn der Hörer mit einem unguten Bauchgefühl zurückbleibt. Reinhard Kunert lässt der Geschichte den nötigen Respekt angedeihen. Seiner Darstellung zu lauschen ist eine wahre Freude.

Ein Titel wie „Die langweiligste Frau der Welt“ („The Most Boring Woman in the World“, 1995 von Christopher Fowler) lässt nichts Gutes erahnen. Doch weit gefehlt! Es handelt sich um die beste Geschichte der Anthologie, was wohl auch der exzellenten Interpretation durch Arianne Borbach zu verdanken ist.

Fowler widmet sich hier dem Wahnsinn des ganz alltäglichen Vorstadtlebens. Sie, Hausfrau, verheiratet, hat zwei Kinder und einen Hund. Ihre Tage laufen immer gleich ab, wie das eben so ist bei Hausfrauen. Doch da gibt es ein paar Kleinigkeiten. Die Schnapsflasche unter der Spüle. Die Kippe, die sie sich anzündet, wenn die Kinder in der Schule sind. Der Tag, an dem sie zum ersten Mal Koks probiert und die Lasagne anbrennen lässt.

Über weite Strecken ist die Geschichte damit nicht gruselig, aber doch beunruhigend. Immer hat man das Gefühl, dass die Handlung unweigerlich auf eine Katastrophe zusteuert. Am Schluss, wenn die Katastrophe dann eingetreten ist, wird die Erwartungshaltung des Hörers sowohl bestätigt als auch enttäuscht und man bleibt verstört zurück. Marianne Borbach als Ich-Erzählerin lotet gekonnt die Tiefen der nicht ganz wahnsinnigen, aber auch nicht ganz normalen Protagonistin aus. Manchmal klingt sie gelangweilt, manchmal resigniert, manchmal überschlägt sich ihre Stimme. Einfach ein echter Ohrenschmaus!

Die letzte Geschichte im Bunde ist „Die graue Madonna“ („The grey Madonna“, 1995) von Graham Masterton. Eine Frau wird ermordet aufgefunden und ihr Mann ist am Boden zerstört. Es finden sich weder ein Mörder noch ein Motiv. Die Polizei hat nichts weiter als einen Zeugen, der gesehen haben will, wie die Frau kurz vor ihrem Tod mit einer Nonne in grauer Tracht sprach. Nur lässt sich diese Nonne nicht auffinden. Und überhaupt, es gibt gar keine Nonnen in grauem Habit.

„Die graue Madonna“ ist eine Geschichte über Schuld und Selbstzweifel. Sie lebt vom psychologischen Horror, den der Autor verbreitet. Und so bleibt es letztlich dem Hörer überlassen zu entscheiden, ob es sich hier um ein übernatürliches Phänomen handelt oder um einen Mann, der Extremes tut, weil seine Schuldgefühle ihn zerfressen.

Die dritte „Necrophobia“-Anthologie schwächelt zunächst etwas, kann sich dann aber doch noch auf gewohnt hohem Niveau einpendeln. Grusel entsteht diesmal hauptsächlich im Kopf, da wirklich Übernatürliches in den ausgewählten Geschichten eher in der Unterzahl ist. Die Erzählungen psychologisieren oder halten den Finger schmerzhaft auf Wunden unserer Gesellschaft. Nur „Necropolis“ ist eine Gruselgeschichte im klassischen Sinne.

Doch bekanntermaßen kann Horror ja aus den banalsten Situationen entstehen. Und so muss der geneigte Hörer wohl selbst herausfinden, welche der fünf ausgewählten Geschichten ihm den wohligsten Schauer über den Rücken laufen lässt.

|144 Minuten auf 2 CD|
http://www.lpl.de
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Lumley, Brian / Festa, Frank / Lueg, Lars Peter / Matern, Andy – Necroscope 7 – Blutlust

_Action in der Wamphyr-Welt_

1989 im russischen Uralgebirge. Der britische Spion wurde durch ein Dimensionstor in eine andere Welt gestoßen. Während in seiner Welt die Vampire versuchen, erneut auf der Erde Fuß zu fassen, erforschen Simmons, seine telepathische Gefährtin Zak und sein Verfolger Karl die fremde Welt, aus der die Vampire stammen. Steile Felstürme mit mächtigen Festungsanlagen, eine Sonnen- und eine Sternseite, Krieger auf Drachenschwingen greifen an. Aus den Schatten versuchen die Fangarme der Wamphyri nach den Eindringlingen zu haschen. Ist ein Überleben unter diesen Bedingungen möglich?

_Der Autor_

Brian Lumley wurde 1937 in England geboren. 1981 beendete er mit 44 Jahren seine Militärkarriere. Seither arbeitet er als freier Schriftsteller. Seine ersten Veröffentlichungen standen ganz unter dem Einfluss von H. P. Lovecrafts |Cthulhu|-Mythos. 1986 schuf Brian Lumley mit seiner Vampir-Saga „Necroscope“ eine der erfolgreichsten Horror-Serien der Welt.

Alleine in den USA haben sich seine Bücher weit über zwei Millionen Mal verkauft. So wie Brian Lumley den Vampir darstellt, hat es noch kein Autor zuvor gewagt. Mittlerweile hat Brian Lumley mehr als 50 Bücher veröffentlicht und schreibt fleißig weiter. Er und seine Frau Barbara Ann leben in Devon im südwestlichen England. (Verlagsinfo)

Band 1: [Erwachen 779
Band 2: [Vampirblut 843
Band 3: [Kreaturen der Nacht 2371
Band 4: [Untot 2963
Band 5: [Totenwache 3000
Band 6: [Das Dämonentor 4368
Band 7: Blutlust
Band 8: Höllenbrut

_Der Sprecher_

Lutz Riedel ist ein hochkarätiger Synchron-Regisseur und die deutsche Stimmbandvertretung von „James Bond“ Timothy Dalton. Er war auch „Jan Tenner“ in der gleichnamigen Hörspielserie. Ich schätze besonders seine Interpretation von H. P. Lovecrafts Schauergeschichten wie etwa [„Das Ding auf der Schwelle“. 589 Er zeigt hier seine herausragenden Sprecher-Qualitäten, die den Hörer mit schauriger Gänsehaut verzaubern.

Der Berliner Schauspieler hat u. a. Timothy Dalton (James Bond) und Richard Hatch (Kampfstern Galactica) synchronisiert. Auch Richard Gere, Samuel L. Jackson und Christopher Walken hat er schon gesprochen. Lutz Riedel ist mit seiner Kollegin Marianne Groß verheiratet.

Riedel liest einen von Frank Festa bearbeiteten und gekürzten Text. Für Regie, Produktion und Dramaturgie zeichnet Lars Peter Lueg verantwortlich, für Schnitt, Musik und Tontechnik Andy Matern.

_Der Regisseur Lars Peter Lueg_

Der Verlag in eigenen Worten: „Nach 10 erfolgreichen Jahren in der Musik- und Medienbranche als Musikproduzent, Künstlermanager, Leiter von Multimediaprojekten und Tontechniker in verschiedenen Tonstudios war es an der Zeit die vorhandenen Kontakte und Erfahrungen zu nutzen, um eine vollkommen neue und andersartige Firma zu gründen.

Ein kompetentes Netzwerk von ca. 20 spezialisierten Unternehmen lässt LPL sehr effektiv und unabhängig arbeiten. Durch eine Passion für Filme, (Hör)Bücher und (Hör)Spiele, die sich dem Thema Horror verschrieben haben, sind Lars Peter Lueg und seine Partner mit viel Herzblut dabei. LPL stellt ausschließlich Produkte her, hinter denen der Verlagsleiter auch zu 100 % steht.“

_Der Komponist_

Andy Matern wurde 1974 in Tirschenreuth, Bayern geboren. Nach seiner klassischen Klavier-Ausbildung arbeitete er einige Jahre als DJ in Clubs. Seit 1996 ist er als freiberuflicher Keyboarder, Produzent, Remixer, Songwriter und Arrangeur tätig. Er kann trotz seiner jungen Jahre bereits mehr als 120 kommerzielle CD-Veröffentlichungen vorweisen. Darunter finden sich nationale und internationale Chart-Platzierungen mit diversen Gold- und Platin-Auszeichnungen.

Bereits Andy Materns erste Hörbuch-Rhythmen erreichten schnell Kultstatus bei den Fans und der Fachpresse. Durch seine musikalische Mitarbeit wurde [„Der Cthulhu-Mythos“ 524 zum besten Hörbuch des Jahres gewählt (Deutscher Phantastik Preis 2003). Seine Arbeit zum Hörbuch „Illuminati“ erreichte 2007 zweifachen Platinstatus. Andy Matern lebt und arbeitet in München. (Verlagsinfos)

_Vorgeschichte (Necroscope 6)_

Michael „Jazz“ Simmons ist ein britischer Spion, der es bis ganz tief ins Herzland der Sowjetunion geschafft hat. Mit Hilfe von ein paar ukrainischen Dissidenten, die sich als Pelztierjäger und Fischer im Ural durchschlagen, ist es ihm gelungen, bis auf den Pass zu gelangen, der in die radioaktiv strahlende Schlucht hinunterführt, in der das ominöse Perchorsk-Institut liegt. Es verbirgt sich seit rund fünf Jahren hier, hineingebaut in den Untergrund, und ein Staudamm versorgt es mit Elektrizität. Doch zu welchem Zweck? Kam von hier wirklich jenes Objekt, das die Amerikaner über der Hudson Bay abschossen?

Leider ist auch Simmons‘ Glückssträhne zu Ende. Den ersten Angreifer kann er zwar noch erwischen, doch der zweite ist zu schnell. Und die Annäherung des dritten bekommt er schon gar nicht mehr mit. Wochen später, tief unten im Perchorsk-Institut. Jazz erwähnt die Monster, die von hier kämen. Sicherheitschef Tschingis Kuf entgegnet: Nein, sie kommen von einer anderen Welt! Er führt ihn ins verbotene, abgeschottete und schwer bewachte Innerste des Perchorsk-Instituts. Hier unten muss eine Kernschmelze oder dergleichen stattgefunden haben. Der Fels ist nämlich zu Magma erstarrt. Hier entwickelte ein genialer Kernphysiker einen Energieschirm gegen aus den USA anfliegende Raketen. Doch der Test ging schief und erzeugte ein Dimensionstor in einer andere Welt. Das Tor liegt in der schwer bewachten Lichtkugel, die Kuf Simmons zeigt.

Woher man denn wisse, dass es sich um ein Tor handle? Ganz einfach, meint Kuf, etwas ist durchgekommen. Und zwar nicht ein- oder zweimal, sondern fünfmal in drei Jahren. Von vier „Begegnungen“ bekommt Simmons Filme gezeigt, doch einen „Besucher“ bekommt er live zu sehen. In einem Glaskäfig schlängelt und windet sich ein schwarzes Ding, das Formen von irdischen Wesen wie Wolf, Fledermaus usw. nachahmen kann. Und es ernährt sich ausschließlich von blutigen Fleischabfällen. Nach dem zu urteilen, was der Krieger, der fünfte Besucher, geschrien hat, steht es in Zusammenhang mit den „Wamphyri“. Ist es ein Vampir? Der Verdacht liegt nahe.

Was soll Tschingis Kuf nur mit seinem britischen Gast anfangen? Er verfällt auf eine hübsche Methode, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Mr. Simmons wird eine Reise ohne Rückfahrschein antreten. Jazz bleibt keinerlei Wahl, als ihm Kufs baumstarker Gorilla Karl Vjotsky einen Rucksack mit Camping-Ausrüstung auf den Rücken packt. Natürlich will er wissen, wohin die Reise gehen soll. Dreimal darf er raten …

_Handlung_

Jazz Simmons marschiert unter einer sengenden Sonne, die sich ungewöhnlich langsam bewegt, auf eine Bergkette zu. Er befindet sich immer innerhalb der Sphäre, als Karl Vjotsky ihn einholt, und zwar auf einem Motorrad. Doch als Karl und Jazz aufeinander feuern, bewegen sich ihre Waffen sehr ungewöhnlich, und damit hat Karl nicht gerechnet. Er wird vom Motorrad geworfen, das sich Jazz sofort schnappt und davonrast.

Nach wenigen Minuten gelangt er an den Rand der Sphäre und betritt die eigentlich Anderwelt. Leider hat Jazz nicht mit dem Höhenunterschied an der Schwelle gerechnet. Der Sturz verbeult das Vorderrad und weil das Bike kein Werkzeug an Bord hat, muss Jazz es aufgeben und zu Fuß weitergehen. Auch sein Walkie-Talkie ist nach einem Kommunikationsversuch nichts mehr wert, und er wirft es weg.

Karl hat ein wenig mehr Glück. Er kann das Bike mit seinem Werkzeug reparieren, und mit seinem Walkie-Talkie erhält er sogar Empfang mit einem weiteren Menschen, der aus seiner eigenen Welt kommt. Es ist Zekyntha Föner, genannt Zek, eine Telepathin des russischen E-Dezernats, die man hierher verbannt hat. Wie es ihr wohl geht, kann Karl nicht herausfinden, denn die Verbindung reißt ab. Karl fährt auf Jazz‘ Spur, bis er an einen Wall gelangt und südwärts muss. Die Landschaft ist karg und von felsigen, kahlen Bergen beherrscht. Da erspäht er etwas, das sich von den Felsen erhebt und auf ihn zufliegt. Er kennt dieses Vieh von den diversen Begegnungen am Dimensionstor. Es ist ein Riesendrache, und ein Reiter lenkt das Flugwesen genau auf Karl zu …

|Die Nomaden|

In der Nähe einer Bergfestung, die einen Pass über den zentralen Gebirgszug bewacht, stößt auch Jazz auf Zek Föner. Sie hat einen großen Wolf bei sich, der ihr aufs telepathische Wort gehorcht. Zek erklärt dem Neuankömmling ein paar Dinge über diese Welt, gesteht aber auch, dass sie gerade in der Tinte sitzt. Ihr Beschützer und der Nomade, mit denen sie lebt, ein gewisser Lardis, ist auf eine Expedition aufgebrochen, und nun will dessen zweiter Mann, ein gewisser Arlek, Zek an einen der Wamphyri-Fürsten verkaufen, die über das Land herrschen und mit ihren teuflischen Kräften jeden Unbewaffneten in einen zombiehaften Untergebenen verwandeln.

Kaum gesagt, sind die beiden auch schon von Arleks Leuten umzingelt und bedrohen sie mit Armbrüsten. Jazz muss seine Waffen abgeben und wird niedergeschlagen. Als er wieder erwacht, ist er gefesselt. Später trifft ein Unterhändler Arleks ein, mit einer Botschaft des Wamphyri-Lords Saitis. Saitis wisse bereits vom Eintreffen Michael Simmons‘ in dieser Welt. Aber woher? Diese Frage klärt sich gleich darauf, als Zeks Walkietalkie zum Leben erwacht. Es ist Karl Vjotsky. Er wurde von Lord Saitis‘ Krieger gefangen genommen. Gleich darauf ist Saitis selbst zu hören. Arlek verlangt im Austausch für die beiden „Magier“ – er meint Zek und Jazz -, künftig von Saitis in Ruhe gelassen zu werden. Saitis ist einverstanden, kann aber nicht für die zwanzig anderen Wamphyri-Lords sprechen. Und er will auch die Waffen des Eindringlings. Arlek ist einverstanden.

Es dauert nicht lange, und drei Gestalten tauchen in der Nacht auf, um sich Zek und Jazz zu nähern, die Arlek als Beute für Saitis zurückgelassen hat. Die drei sind Saitis selbst sowie zwei seiner furchterregenden Krieger. Jazz erinnert sich an ein Video, das ihm Kuf gezeigt hat. Ein solcher Krieger brach einmal durch das Dimensionstor, und die Wächter hatte erheblich Mühe, ihn zur Strecke zu bringen. Die drei nähern sich vorsichtig und kreisen ihre Beute ein.

Zeks Wolf gelingt es, Jazz‘ Fesseln durchzubeißen, so dass er gleich darauf Zek befreien kann. Jetzt muss er nur noch an seine Maschinenpistole gelangen. Und schon bald wird die Sonne aufgehen. Doch da ist auch schon einer der Krieger heran und bedroht Jazz mit seinem klingenstarrenden Kampfhandschuh. Vielleicht sollte Jazz doch lieber auf die Sonne warten …

_Mein Eindruck_

Bislang bewegte sich der neue Unterzyklus um Michael Simmons auf dem relativ festen Boden der sattsam bekannten Spionageromane und Agenten-Action. Mit dem Einführen der Sphäre und dem Dimensionstor betrat die Geschichte das Terrain der Science-Fiction, mit dem schwarzen Wamphyrwesen in Perchorsk das des Horrors. Nun kommt jedoch noch ein weiteres Genre hinzu: Fantasy.

Denn wofür sonst sollen wir die Wamphyr-Fürsten sonst halten als für Kollegen jedes Unterweltherrschers, der je die Seiten von Conan-Geschichten, des walisischen Mabinogion oder des „Herrn der Ringe“ zierte? Der Herr von Annwn, der walisischen Unterwelt, kann kaum grausamer sein als Lord Saitis, erzeugt er doch selbst mit einem schwarzen Kessel eine Armee von Zombiekriegern – man schlage in Lloyd Alexanders TARAN-Zyklus nach. Lord Saitis erschafft aus normalen Menschen durch Infektion mit seinem Wamphyr-Parasiten entsprechende Zombiekreaturen. All dies erklärt die Telepathin Zekyntha ihrem neuen Lover Jazz Simmons in allen Einzelheiten.

Saitis und seinesgleichen reiten nicht auf Motorrädern, sondern selbstredend auf Drachen. Sie bewegen sich von Festung zu Festung, als wären sie Nazgûl auf der Pirsch. Aber anders als die Neun sind sie untereinander zerstritten und neiden einander das Territorium und die Untergebenen. Zu diesen zählen hünenhafte Krieger, aber auch Höhlenbewohner und andere unterlegene Wesen.

Kein Wunder, dass sie auch an Magie glauben. So bezeichnen sie Telepathie und andere Künste wie etwa das Weissagen. Das Einzige, was sie vereint, ist der Hass auf einen Eindringling, den Zek als den „Herrn des westlichen Gartens“ bezeichnet. Wie es scheint, steht dieser mysteriöse Mann in Verbindung mit Berlin in der DDR (man schreibt das Jahr 1989). Das bedeutet wohl, dass es noch ein Dimensionstor auf dieser Welt geben muss …

|Action|

Nach dem anfänglichen Kampf gegen Karl Vjotsky sieht sich Michael Simmons etwa zur Halbzeit den oben genannten drei Wamphyri-Gestalten gegenüber. Diese Art von Action durchzieht erfreulicherweise die ganze Geschichte, wobei es wie zu erwarten am Schluss zu einer dramatischen Zuspitzung der Lage unserer beiden Helden Zek und Jazz kommt. Nur durch eine überraschende Wendung gelingt es ihn, mit heiler Haut davonzukommen. Wie es zu dieser Wendung kommt, macht den Leser bzw. Hörer gespannt auf die Fortsetzung (s. u.).

Die Action kann aber auch nur ein simpler Sparringkampf sein. Jazz hat offenbar im Verlauf seiner Agentenausbildung auch einige Trainingsstunden in Kampfsport investiert, doch leider wird uns nicht verraten, in welcher Disziplin. Da er Handkantenschläge einsetzt, tippe ich mal auf Karate, denn sie kommen in verteidungsorientierten Disziplinen wie Aikido und Jiu-Jitsu nicht vor.

|L’amour|

Weibliche Leser und Hörer kommen ebenfalls auf ihre Kosten. Es wird sie freuen zu erfahren, dass Zekyntha nicht nur eine amouröse Beziehung zu Jazz anfängt, sondern auch des langen und breiten von ihrer Bekanntschaft mit der Wamphyri-Lady Karén erzählt. Dieser diente sie mit Hilfe ihrer Gedankenleserei, bei der sie herausfand, dass die männlichen Wamphyri-Lords ein Komplott gegen die Lady planen. Zum Dank ließ die Lady Zek wieder frei.

|Der Sprecher|

Lutz Riedel liefert wieder eine beachtliche Leistung ab. Er ruft, wenn es angebracht ist, dramatische Aktion oder Anspannung darzustellen. Flüstern deutet Geheimniskrämerei an. Doch als er die Sprechweise des autoritären Lord Saitis umzusetzen hat, muss Riedel seine tiefste und kräftigste Stimmlage hervorkramen, um sowohl Majestät als auch Unerbittlichkeit und Grausamkeit auszudrücken. Und dies nicht nur einmal, sondern mehrere Male. Das direkte Gegenteil dazu ist die Stimmlage Zeks, die ein klein wenig höher angesiedelt ist als die von Michael Simmons, der ganz „normal“ spricht.

Am Anfang der Handlung gilt es, einen Befehl so langsam auszusprechen, wie dies durch die Zeitdilatation im Dimensionstor verursacht wird. Da ruft Riedel ganz langsam – eine besondere Leistung, die eine gute Atemtechnik erfordert. Für einen geübten Sprecher wie Riedel allerdings ein Kinderspiel.

|Die Musik|

Geräusche gibt es keine, aber dafür eine gut abgemessene Menge an Musik. Diese ist nicht in den Hintergrund verbannt, sondern dient (außer als Intro und Extro) der Abgrenzung der einzelnen Kapitel wie auch deren Unterabschnitte. Diese Abschnitte sind aufgrund der nichtlinearen Erzählstruktur oftmals mit Rückblenden durchsetzt. Die Musik Andy Materns tritt sehr selten im Hintergrund in Erscheinung, höchstens als Übergang zur Pause.

In meinen Notizen habe ich überall das Auftreten von Pausenmusik eingetragen, und dabei stellt sich ein deutliches Muster heraus. Sobald eine Szene ihren Höhepunkt erreicht hat, wird sie oftmals abgebrochen, damit sie sich in der Vorstellung des Lesers bzw. Hörers fortspinnen lässt. Sofort setzt Musik ein, die diesen Vorgang auf emotionaler Ebene steuert und stützt. Auf einer geistigen Ebene tritt hier allerdings eine kleine Verschnaufpause ein …

Man sollte auch bedenken, dass wir es diesmal mit einer gekürzten Fassung zu tun haben. Statt der vorherigen sechs CDs sind es diesmal nur noch vier. Abgebrochene Szenen sind zwar mitunter sehr wirkungsvoll, aber wer weiß, was dabei alles verschwiegen wird.

_Unterm Strich_

Während mich die Grundstory in „Necroscope 6: Dämonentor“ stark an Lovecrafts „Berge des Wahnsinns“ erinnerte und entsprechend kalt ließ, so eröffnet das Dimensionstor nach dem Muster von „Stargate“ ein paar aufregende Möglichkeiten, einen ordentlichen Actionplot zu beginnen. Der Kampf mit dem Krieger aus der Anderwelt, eine Szene in „Dämonentor“, war schon mal ein guter Anfang. Die Action wird in Band 7 noch einmal ordentlich ausgebaut, ohne jedoch zu einem bestimmenden Element zu geraten. Ebenso wichtig ist es für Jazz, mehr über die Verhältnisse auf dieser Welt zu erfahren, auf der die Wamphyri eine dominierende Bedrohung darstellen.

Alles in allem gibt es hie und da gute Action, die in einem spannenden Finale gipfelt. Das bedeutet einen klaren Schnitt mit den vorangegangenen Bänden, was auch durch die zeitliche Kluft von acht Jahren ausgedrückt wird. Dass die Sowjetunion immer noch existiert, legt die Vermutung nahe, dass sich die Ereignisse vor dem Jahr 1989 abspielen, in dem das Buch erstmals veröffentlicht wurde. Damals begann der Untergang des Sowjetregimes und die Entstehung der heutigen GUS-Staaten. „Interessante Zeiten“ also, real wie auch fiktiv.

Der Sprecher Lutz Riedel stellt wieder einmal seine Engagiertheit für die Horrorliteratur unter Beweis, ebenso wie die Flexibilität seines Sprechorgans und seiner Darstellungskraft. Am Schluss wendet er sich direkt an den Hörer, um die Fortsetzung „Höllenbrut“ anzukündigen.

|300 Minuten auf 4 CDs
Aus dem Englischen übersetzt von Hans Gerwien|
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Lovecraft, H. P. – Flüsterer im Dunkeln, Der

H. P. Lovecraft (1890-1937) war zu Lebzeiten keineswegs ein erfolgreicher Schriftsteller. Mit seinen eigenen Geschichten verdiente er längst nicht genug zum Überleben, stattdessen hielt er sich mit seinem spärlichen Erbe und als Ghostwriter über Wasser. Dass er seine Erzählungen selbst nie wirklich ernst genug genommen hat, um eine Publikation mit Nachdruck zu verfolgen, mag heute, da der Name Lovecraft als Synonym für subtilen Horror steht, unglaublich erscheinen. Und doch trat Lovecrafts Werk seinen Siegeszug erst nach dessen Tod an.

In die Riege der Bewunderer reiht sich |LPL records| nahtlos ein, die sich mit liebevoll produzierten Horrorhörbüchern einen Namen gemacht haben. Wer sich gepflegt gruseln will, der ist bei |LPL| an der richtigen Adresse. In loser Folge bringt der Hörbuchverlag seit 2003 in der Reihe „H.P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens“ Erzählungen des Großmeisters als Hörbücher heraus und verursacht damit garantierten Nervenkitzel.

Der vierte Teil der Reihe – nach „Der Cthulhu-Mythos“, „Der Schatten über Innsmouth“ und „Das Ding auf der Schwelle“/“Die Ratten im Gemäuer“ – ist nun erschienen: „Der Flüsterer im Dunkeln“, eine weitere im Cthulhu-Universum angesiedelte Geschichte.

Die Handlung beginnt 1927 in Neu-England. Hochwasser lassen die Flüsse über die Ufer treten, und nach den Überschwemmungen meint die abergläubische und ungebildete Landbevölkerung der Gegend, seltsame Leichen in den Flüssen treiben zu sehen. Literaturprofessor Albert Wilmarth findet das alles reichlich faszinierend, interessiert er sich doch schon seit langem für die Legenden der Gegend. Doch als Wissenschaftler und Rationalist nimmt er die umgehenden Schauermärchen nicht für bare Münze und tut sie als bloße Fantasterei der naiven Bewohner ab.

In den Zeitungen entspinnt sich eine rege Diskussion über die seltsamen treibenden Leichen und auch Wilmarth beteiligt sich mit Verve – bis ihn ein Leserbrief von Henry Akeley erreicht, der seine Sicht der Tatsachen gründlich auf den Kopf stellt. Akeley behauptet, Beweise für eine Rasse Außerirdischer zu haben, die die Berge bewohnen und dort Mineralien fördern. So abgehoben Akeleys Erläuterungen auch zunächst klingen, Wilmarth erfährt seinen neuen Briefpartner als vernünftigen und gelehrten Mann. Es entwickelt sich ein regelmäßiger Briefwechsel und Wilmarth taucht immer tiefer ein in verbotenes Wissen und geheime Gesellschaften.

Das Zwiegespräch zwischen Wilmarth und Akeley (wir hören die Erzählung aus Wilmarths Perspektive, mit einigen eingeschobenen Briefen von Akeley) wirkt wie ein Kammerspiel – es beginnt unschuldig genug, die Handlung spitzt sich aber zunehmend zu und endet schließlich im Chaos und der überstürzten Flucht Wilmarths. Wie der Ich-Erzähler misstraut man zunächst den Erklärungen Akeleys. Sie klingen zu wirr und fantastisch, um auf der Realität zu fußen. Doch Wilmarths Interesse ist geweckt und er ist ein dankbarer Empfänger für all die Botschaften von Außerirdischen und fremden Planeten. Akeley verspricht Beweise für seine Annahmen: Fotos, Tonaufnahmen und einen seltsamen schwarzen Stein. Doch die überzeugendsten Beweise gehen auf dem Postweg verloren: Eine Verschwörung? Oder haben die Beweise nie existiert? Überhaupt sind zum Zeitpunkt, da Wilmarth die Geschichte niederschreibt, alle Briefe Akeleys vernichtet. Welche „Beweise“ bleiben also? Was erzählt uns Lovecraft in „Der Flüsterer im Dunkeln“ eigentlich? Die Geschichte von Außerirdischen, die heimlich auf der Erde umgehen? Oder doch die Fabel eines Geistesgestörten, der zwischen Realität und Fantasie nicht mehr unterscheiden kann? Lovecraft hält sich beide Optionen offen, die Entscheidung liegt also beim Hörer.

Das wahre Grauen liegt, wie meist bei Lovecraft, im Nicht-Gesagten und Halb-Verschwiegenen. Geheimlehren und verschwundene Bücher werden erwähnt, doch nie erläutert. Das Gleiche gilt für die alten Gottwesen, die immer wieder in seinen Cthulhu-Geschichten auftauchen. Subtil offenbart sich auch das Unbehagen in der Landschaft Neu-Englands. Der Städter Wilmarth fühlt sich auf der Fahrt zu seinem einsam wohnenden Freund Akeley sofort in eine andere Realität versetzt: dräuende Wälder, reißende Flüsse, düstere Landschaften. All das beeinflusst die Grundstimmung der Erzählung.

Und dann sind da natürlich noch die Sprecher. David Nathan als Wilmarth ist eine exzellente Wahl, doch der wahre Star des Hörbuchs ist Torsten Michaelis als Mr Akeley. Michaelis, als Synchronstimme von Wesley Snipes chronisch unterfordert, ist in letzter Zeit bei einigen Hörbuchproduktionen positiv aufgefallen. Besonders auf [„Necrophobia 2“ 1073 konnte er als Sprecher die ganze Bandbreite seiner Fähigkeiten zeigen – als religiös verwirrter kindlicher Massenmörder, keine einfache Rolle. Auch Mr Akeleys Gefühlswelten kann er in den wenigen Auftritten, die er hat, suggestiv gestalten und überzeugt so als nüchterner Forscher wie auch als halbverrückter Irrer.

Als besonderes Extra gibt es eine Bonus-CD, auf der Dagmar Berghoff als Muriel E. Eddy ihre Erinnerungen an Lovecraft zu Gehör bringt. Zwischen Lieblingsessen und literarischen Arbeitsweisen schafft sie es so, ein lebendiges und gar unterhaltsames Bild von dem großen Unbekannten Lovecraft zu zeigen. Als Schmankerl hat |LPL| noch den „Soundtrack des Schreckens“ beigegeben: zehn Tracks von Andy Matern, dessen beunruhigende Klangwelten seit jeher die |LPL|-Hörbücher vervollkommnen. Es handelt sich hierbei ausschließlich um Tracks von vorherigen Lovecraft-Produktionen, Fans von |Necrophobia| oder |Necroscope| werden sich wohl noch gedulden müssen. Vielleicht werden Materns gesammelte Tracks auch dort einmal zu hören sein. Sie alle als einen Soundtrack auf einer Extra-CD zu veröffentlichen, ist zumindest eine geniale Idee und wird bei Langzeitfans des Labels sicher auf viel Gegenliebe stoßen.

„Der Flüsterer im Dunkeln“ ist erneut eine gelungene Gruseltour aus dem Hause |LPL|, die den Hörer diesmal sogar noch mit einer Bonus-CD beglücken kann. Da bleiben doch keine Wünsche offen!

|Die ersten drei LPL-Veröffentlichungen dieser Reihe:|
[„Der Cthulhu-Mythos“ 524
[„Der Schatten über Innsmouth“ 424
[„Das Ding auf der Schwelle“ & „Die Ratten im Gemäuer“ 589

http://www.lpl.de

Hodgson, William Hope / Newman, Kim / Busson, Paul / Lovecraft, H. P. / Somtow, S. P. / Lueg, Lars P – Necrophobia 2

Bereits zum zweiten Mal spielt Andy Materns Jingle zu „Necrophobia“ auf und lädt den geneigten Hörer ein, sich die „besten Horrorgeschichten der Welt“ zu Gehör zu führen. 2003 enthielt die erste Ausgabe von [„Necrophobia“ 1103 Geschichten von Lovecraft und Laymon und auch 2005 hat Mastermind Lars Peter Lueg wieder eine illustre Mischung auf zwei CDs gebannt. Fünf Geschichten darf der Hörer genießen, deren Bandbreite so groß ist, dass für jeden etwas dabei sein dürfte: eine gruselige Seemannsgeschichte, ein fanatischer Sammler, ein lebendig Begrabener, ein wandelndes Monster und ein religiöser Serienmörder haben in „Necrophobia“ ihren großen Auftritt.

Den Anfang macht William Hope Hodgons „Die Stimme der Nacht“ („The Voice in the Night“, 1914) mit einem durchaus interessanten Setting. Zwei Seeleute machen in einer finstren und nebligen Nacht eine außergewöhnliche Begegnung. Durch den Nebel hören die beiden ein „Schiff Ahoi“ auf sie zutreiben und machen kurz darauf in der Dunkelheit der Nacht ein Boot aus. Der Insasse weigert sich standhaft, nähert ans Licht zu kommen, bittet aber um etwas Proviant für die Dame, die er auf der Insel zurückließ. Die beiden Seemänner haben Mitleid, lassen ihm frische Früchte zukommen und im Gegenzug erzählt der mysteriöse Fremde seine Geschichte. So konnte er sich nämlich mit seiner Frau gerade so von einem sinkenden Schiff retten. Doch die Insel, auf die sie sich retten konnten, scheint von einem seltsamen und abstoßenden Pilz überwuchert zu sein, der vor nichts Halt macht. Die beiden harren zwar zwangsweise auf der Insel aus, doch sind sie dort gefangen und dem Pilz hoffnungslos ausgeliefert …

Hodgons Erzählung mäandert etwas dahin und bietet kaum unerwartete Überraschungen. Sie lebt vielmehr von dem beunruhigenden Gefühl, in völliger Freiheit eingesperrt zu sein und keine Hoffnung auf Rettung zu haben. Das junge Ehepaar kann nirgendwohin ausweichen, ihr Feind verfolgt sie überallhin. Und auch wenn sie es nicht wissen, als sie die Insel betreten, so sind sie doch bereits zum Tode verurteilt, als sie den Fuß auf den Strand setzen. Die Geschichte spielt mit der alten Frage, was sich alles da draußen in dieser Welt befindet; welche Schätze und Grauen noch nicht entdeckt sind. Und auch wenn wir heute meinen, uns die Welt untertan gemacht zu haben, so gibt es immer noch Flecken wie diese Insel, die böse Überraschungen bereithalten können.

Helmut Krauss bildet den Anfang als Sprecher auf dieser Höranthologie. Krauss (Synchronsprecher von Marlon Brando & Samuel L. Jackson) liest oft und viel für LPL und seine tiefe dräuende Stimme verfehlt nie ihre Wirkung. Hier überzeugt er vor allem als krächzender und lebensmüder Erzähler, dem man die Verzweilfung und Hoffnunslosigkeit anhört.

Weiter geht es mit dem totalen Gegenprogramm, Kim Newmans „Der Mann, der Clive Barker sammelte“ („The Man who collected Barker“, 1990), einer Erzählung, die zwischen böser Parodie und wohl temperiertem Schrecken hin und her pendelt. Die Ich-Erzählerin trifft auf einen Mann, dessen Lebensinhalt das Sammeln von Pulp-Autoren ist. Erstausgaben, signiert, mit persönlicher Widmung schmücken seine Privatbibliothek, die so eingerichtet ist, dass die Bücher möglichst nicht verblassen oder sonstwie Schaden nehmen. Der Sammler stellt sich schnell als fanatischer Spinner heraus (daher ja auch das Wort „fan“ von „fanatic“) und Kim Newman zielt und platziert genüsslich einen Seitenhieb nach dem anderen auf all die Berufsfans da draußen, diese Geeks, die so weit in ihrem Fandom aufgehen, dass sie darüberhinaus kein Leben haben. Newman schreibt damit das genaue Gegenprogramm zu Nick Hornbys Hymne an Fans und Sammler und Geeks moderner Popkultur, und dass er zunächst in seiner Beschreibung des Sammlers kaum überzeichnet, setzt der ganzen Sache die Krone auf. Doch als er die Ich-Erzählerin in den Schrein für Clive-Barker-Erstausgaben führt, wird es zusehends abstruser. Da gibt es Ausgaben in Menschenhaut gebunden, auf Papyrus gedruckt und mit Blut signiert. Eine Sonder-Sonderausgabe ist grauenhafter als die nächste und die Krönung seiner Sammlung ist die Ausgabe … doch das soll hier natürlich nicht verraten sein.

Newmans Erzählung ist eine wunderbar spritzige und dabei bitterböse Abrechnung mit fanatischen Fans aller Art. Die gesammelten Objekte sind ein Fetisch, ein Kunstwerk in sich und es wäre ein Sakrileg, würde der Sammler sie aus dem Regal nehmen und tatsächlich lesen. Ja, er habe sich Barkers [„Bücher des Blutes“ 538 mal aus der Bibliothek ausgeliehen und die Geschichten seien auch gut gewesen. Aber gehen wir lieber zu dieser Sonder-Sonderausgabe über … Das Objekt der Begierde kann vollkommen willkürlich gewählt sein, denn es scheint nicht, dass unser Sammler eine besondere Vorliebe für Pulp hat – offensichtlich liest er ja nicht mal. Doch wenn das Objekt erst einmal gewählt wurde, dann muss es besessen und beherrscht werden.

Marianne Groß (bekannt als Synchronstimme von Angelica Huston, Merryl Streep, Whoopie Goldberg) ist neu als Sprecherin bei LPL und nach ihrem Debüt auf „Necrophobia“ möchte man doch hoffen, dass sie den Hörbuchfans lange erhalten bleibt. Mit spitzer Zunge referiert sie die gesammelten Absurditäten der Barker-Sammlung und man hört ihr die Verachtung für derartiges Fanverhalten geradezu an. Ein wahres Fest!

Abgeschlossen wird CD1 mit einer kurzen Erzählung über ein altes Thema: „Rettungslos“ (1903) von Paul Busson beschreibt aus der Ich-Perspektive einen Mann, der lebendig begraben wurde. Neu ist an dieser Idee kaum etwas, doch schafft es Busson zumindest, das Grauen durch seinen Stil greifbar zu machen. Da dem Protagonisten nur noch sein Gehör zur Verfügung steht, schildert er hauptsächlich diese Eindrücke. Das Schließen des Sargdeckels, das Geräusch, als die Trauernden Erde auf den Sarg fallen gelassen wird – und erst dann, begraben unter ein Paar Metern Erde, kann er endlich zwei seiner Finger wieder bewegen. Doch natürlich zu spät.

Lutz Riedel, ebenfalls seit langem für LPL tätig, liest „Rettungslos“. Leider ist die Geschichte so schnell vorbei, dass man sich kaum eingehört hat. Doch Riedel (Stimme u. a. von Timothy Dalton; mit Marianne Groß liiert) schafft es, den eindringlichen Bewusstseinsstrom des Protagonisten ebenso eindringlich wiederzugeben. Ein beunruhigendes Finale für die erste CD der Anthologie.

Auf CD2 geht es mit dem Altmeister subtilen Horrors weiter, nämlich mit „Der Außenseiter“ („The Outsider“, 1926) von H.P. Lovecraft. Wer nicht ohnehin schon die Lovecraft-Hörbuchreihe von LPL im Regal stehen hat, der wird hier ordentlich angefüttert. Ein recht geheimnisvoller Ich-Erzähler – geheimnisvoll in dem Sinne, dass er sich nicht erinnern kann, wie wo und mit wem er eigentlich aufgewachsen ist -, versucht seiner Umgebung zu entrinnen. Er wohnt nämlich in einem unheimlichen Schloss, das so von Bäumen umstanden ist, dass er noch nie Sonne oder Mond gesehen hat. Also steigt er auf den höchsten Punkt des Schlosses, öffnet eine Falltür und … muss mit einer ziemlichen Überraschung fertig werden.

Der Erzählung merkt man schon nach den ersten Sätzen den Lovecraft’schen Stil an und nie verfehlt er seine Wirkung. Surreale Settings, lauernde Schatten, offene Fragen – all das verbindet Lovecraft mit einer Meisterschaft, die auch heute noch menschliche Urängste anspricht und zum Vorschein bringt. Man kann sich also eines unfreiwilligen Schauderns nicht erwehren, auch wenn man die Pointe der Geschichte schneller durchschaut als der Ich-Erzähler. Lovecrafts genialer Einfall, die Geschichte aus der Innenansicht des vermeintlichen Monsters zu erzählen, verwischt die sonst so klaren Grenzen einer Horrorgeschichte und trägt zum Gruselfaktor unbedingt bei.

David Nathan (Johnny Depp, „Spike“, Christian Bale,) als Sprecher ist ebenfalls seit einiger Zeit bei LPL dabei – zu Recht, versteht sind, denn seine Bandbreite weiß immer wieder zu überraschen. Mit viel Einfühlungsvermögen gibt er den Bericht des Außenseiters wieder und schafft Balance zwischen Mitgefühl und Abscheu.

Den Abschluss bildet die grausig-schwüle Slashergeschichte „Summertime“ („Fish are Jumping, and the Cotton is High“, 1996) von S. P. Somtow, die idyllisch genug beginnt: Vater und Sohn verbringen wie jedes Jahr den Sommer damit, durch das amerikanische Hinterland zu fahren und zu fischen. Doch schon bald stellt sich heraus, dass an der ganzen Sache nichts idyllisch ist. Zum einen führen die beiden das Skelett ihrer toten Oma in einem Koffer mit, stauben sie regelmäßig ab und behängen sie mit Wunderbäumen (gegen den Gestank natürlich). Zum anderen handelt es sich bei „fischen“ um einen Euphemismus dafür, Huren zu entführen, sie brutal zu foltern und dann zu töten. Alles im Namen des Herrn, versteht sich. Denn der Serienmörder ist ein religiöser Fanatiker.

Somtow liefert eine durchdachte Geschichte, die zwar große Mengen Blut produziert (und damit die hartgesottenen Fans begeistern dürfte), aber nicht vergisst, den beiden Hauptcharakteren ausreichend psychologischen Hintergrund mitzugeben, um die Geschichte zu tragen. Wenn Somtow also in die völlig zerstörte Psyche des Protagonisten eintaucht, dann ist das abwechselnd absurd, komisch, schockierend und eklig. „Summertime“ bildet einen wunderbaren modernen Gegensatz zu so polierten Erzählungen wie Lovecrafts „Der Außenseiter“ und trägt „Necrophobia“ sowohl thematisch als auch stilistisch ins 21. Jahrhundert.

Torsten Michaelis (als Synchronstimme von Wesley Snipes offensichtlich total unterfordert) liest hier aus der Perspektive des Sohnes des Serienmörders und fängt dessen gestörte Wahrnehmung der Realität grandios ein. Mit kindlicher Naivität findet er es ganz selbstverständlich, die tote Oma im Auto mitzuführen und die knackigen Hinterteile der toten Huren zu essen (um die Leichen zu entsorgen und weil das Fleisch dort am leckersten ist).

Über einen Anspruch wie „die besten Horrorgeschichten der Welt“ wird man immer streiten können. Doch ohne Frage überzeugt die Auswahl der Geschichten, sind sie doch in Thema und Stil jeweils sehr unterschiedlich und bieten somit für jeden Geschmack etwas. Abgerundet wird die Anthologie von hochkarätigen Sprechern, die die 146 Minuten Spielzeit zu einem unheimlichen Vergnügen machen!

http://www.lpl.de

Stoker, Bram – Draculas Gast

Bei |LPL records| kennt man sich mit gepflegtem Grusel ja aus. In schöner Regelmäßigkeit werden dort ansprechende Hörbücher mit hochkarätigen Sprechern produziert und der Slogan von LPL, „Gänsehaut für die Ohren“, ist keineswegs ein leeres Versprechen. Bei LPL hat man schon Lovecraft oder Lumley auf CD gebannt, den Zuhörer mit Gruselmärchen unterhalten und HR Giger für eine Zusammenarbeit gewonnen. Bei so viel Gruselpotenzial darf natürlich auch ein Altmeister des gotischen Grauens nicht fehlen: Bram Stoker, wohl am besten (und fast ausschließlich) für seinen [„Dracula“ 210 bekannt, hat eine durchaus stolze Anzahl Romane und Kurzgeschichten geschrieben. Es gibt also keinen Grund, dem Hörer noch eine Interpretation des „Dracula“ zu bieten (die gibt es schon zur Genüge), stattdessen hat man sich bei LPL für drei Kurzgeschichten entschieden.

In „Draculas Gast“, der titelgebenden Geschichte, treffen wir auf Jonathan Harker, der auf seiner Reise nach Transsilvanien gerade einen Stopp in München einlegt. Von der Abenteuerlust gepackt, begibt er sich auf eine Ausfahrt, um die Gegend zu erkunden – die Warnungen seines Kutschers nicht beachtend. Dieser nämlich stirbt fast vor Angst, ist doch grad Walpurgisnacht. Dem Engländer allerdings bedeutet der kontinentale Volksglauben im katholischen Bayern überhaupt nichts, und so treibt er seine Erkundungstour nötigenfalls auch ohne den schlotternden Kutscher voran. Allerdings nicht, bevor dieser ihm eine unheimliche Geschichte von einem verlassenen Dorf ganz in der Nähe erzählt hat, dessen Bewohner offensichtlich Vampiren zum Opfer fielen. Jonathan lacht dem Kutscher – und der Gefahr – ins Gesicht, schickt die Kutsche zurück zum Hotel und geht zu Fuß weiter. Bald trifft er auf einen Friedhof, auf ein seltsames Grab, auf einen starken Schneesturm und und einen viel zu zutraulichen Wolf … Selbst dem überhaupt nicht abergläubischen Jonathan wird es da mulmig.

„Draculas Gast“ ist eigentlich das verworfene erste Kapitel von Stokers großem Roman über den Grafen der Vampyre und damit merkt man der Geschichte den Expositionscharakter auch an. Eigentlich wirft die Geschichte nämlich mehr Fragen auf als sie klärt, besonders nach dem ominösen Schluss (der hier natürlich nicht verraten wird). Stoker nimmt sich viel Zeit, seinen Handlungsort zu schildern und den Leser auf die kommenden unheimlichen Ereignisse einzustimmen. Und auch hier, stärker noch als später im Roman, wird dem Protagonisten seine überhebliche Haltung gegenüber dem Glauben und den Gebräuchen seines Reiselandes zum Verhängnis – offensichtlich ein beliebtes Thema für Stoker, wie die beiden anderen Kurzgeschichten zeigen werden. Zu Hochform läuft Stoker auf, wenn er die aufgewühlte Natur während des Schneesturms beschreibt. Wald und Wetter werden zum personifizierten Gegner, zu einem Charakter innerhalb der Geschichte, der zu großen Teilen für das Unwohlsein seines Zuhörers verantwortlich ist. Harker dagegen ist nur ein Spielball größerer Mächten – sein aufgeklärter Rationalismus hilft ihm angesichts solcher Ereignisse nicht weiter.

In „Das Haus des Richters“ geht es traditioneller und geordneter zu. Der Student Malcolm Malcolmson zieht sich aufs Land, genauer ins Städtchen Benchurch, zurück, um dort ungestört für sein Mathematikexamen lernen zu können. Er mietet sich in einem leer stehenden Haus ein, das im Ort nur als „das Haus des Richters“ bekannt ist, was bei der Gastwirtin hysterische Anfälle auslöst, ohne dass sie erklären könnte, was es mit dem Haus genau auf sich hat. Doch Malcolm, genauso rational veranlagt wie Jonathan Harker, lässt sich von einem neurotischen Frauenzimmer nicht schrecken und macht es sich in dem Haus bequem. Zunächst kommt er mit dem Lernen auch gut zurecht und lässt sich selbst von den zahlreich vorhandenen Ratten nicht stören (er ist eben sehr stoisch). Zwar befindet sich unter den Ratten auch ein besonders großes Exemplar, das sich ganz selbstverständlich auf einem Sessel niederlässt, doch kann er das Tier vertreiben, indem er es mit Büchern bewirft (was für eine Taktik). Nun sollte ihm zu denken geben, dass seine Mathematikbücher keine Wirkung zeigten und die Ratte sich nur durch die geworfene Familienbibel vertreiben ließ – doch Malcolm ist wie gesagt Rationalist und fröhnt keinesfalls dem Aberglauben.

Natürlich wird ihm letztendlich genau diese Einstellung zum Verhängnis und das Haus des Richters macht seinem Namen alle Ehre. Und so hat der arme Malcolmson ganz umsonst für sein Examen gelernt, stellt sich doch letztendlich heraus, dass die riesige Ratte gar keine Ratte ist.

„Das Haus des Richters“ ist eine klassische Gruselgeschichte über ein Spukhaus, das dennoch (oder gerade deswegen) seine Wirkung nicht verfehlt. Zwar bleiben einige Fragen offen, doch überzeugt Stoker gerade in der Beschreibung der Abgeschiedenheit seines Handlungsortes. Und natürlich läuft sein Protagonist Malcolmson sehenden Auges in sein Unglück, sodass man nur begrenztes Mitleid für ihn entwickeln mag.

Die dritte Geschichte, „Die Sqaw“, ist gleichzeitig der makabre Höhepunkt des Hörbuchs. Ein Ehepaar in den Flitterwochen (doch ihre romantischen Neigungen halten sich in Grenzen) befinden sich auf Sightseeingtour in Nürnberg. Ihnen schließt sich der Amerikaner Hutcheson an, der das Ehepaar durch seine Anwesenheit fortan nicht nur vom Streiten abhält, sondern es auch mit Abenteuergeschichten unterhält. Die beiden fressen, aus irgendeinem unverständlichen Grund, sofort einen Narren am laustarken und überheblichen Hutcheson, der beweist, dass das Stereotyp des unverdient selbstbewussten Amerikaners nicht erst eine Erfindung des 20. Jahrhunderts ist. Und so stellt sich Hutcheson selbst zwar als liebenswürdig und empfindsam dar, beschreibt die Indianer seiner Heimat aber als brutale Barbaren und ist sich nicht zu schade, eine Geldbörse aus Menschenhaut bei sich zu tragen. Kurzum: Dem Leser stößt Hutcheson mehr und mehr auf. Und das geht auch einer Katze so, auf die das Trio auf der Nürnberger Burg stößt. Hutcheson erschlägt – ganz aus Versehen natürlich – deren Junges mit einem Stein und spätestens seit Poe wissen wir, dass mit Katzen nicht zu scherzen ist. Hutcheson wird sein Ende finden, und es wird besonders blutig und besonders unangenehm sein.

Wieder ereilt den Protagonisten, der unfähig ist, andere Kulturen zu verstehen und zu akzeptieren, ein tödliches Schicksal. Doch wo Harker und Malcolmson noch Sympathien beim Leser hervorrufen konnten, da sieht man sich in „Die Sqaw“ unversehens auf der Seite der Katze wieder, die geschickt Rache an Hutcheson nimmt und so den Tod ihres Nachwuchses rächt. Das Ende, das Hutcheson ereilt, wird von Stoker lange und genüsslich vorbereitet und der Leser weiß längst, welchen Ausgang die Geschichte nehmen wird, als Hutcheson sich noch lautstark amüsiert.

Es ist wirklich eine Bereicherung, mal etwas anderes von Stoker genießen zu können als immer nur „Dracula“, wenn natürlich, der Gerechtigkeit halber, hinzugefügt werden muss, dass „Dracula“ sein bestes und suggestivstes Werk bleiben wird. Doch Stokers gotische Kurzgeschichtenschrecken vermögen auch heute wohlige Schauer hervorzurufen, gerade wenn sie von einem so patenten Sprecher wie Lutz Riedel vorgetragen werden. Mit Freude arbeitet er jeweils auf den Höhepunkt der Geschichte hin, um diesen dann ausgiebigst auszukosten. Billige Effekte braucht es da nicht. Stimme und Wortgewalt reichen vollkommen aus. Abgerundet wird das Hörbuch wie immer durch die Musik von Andy Matern, dessen dräuende Melodien dem Hörer wohlige Schauer über den Rücken laufen lassen werden. Mal wieder ist |LPL| damit ein Treffer ins Schwarze gelungen!

Taylor, Stephen B. / Lueg, Lars Peter – Gruselmärchen mit Alptraumgarantie

|“Wie kommt man in der heutigen Zeit dazu, alptraumhafte Gruselmärchen zu schreiben?
Die Antwort liegt auf der Hand!
Nichts ist so fesselnd wie die pure Angst, die ein jeder Mensch auch heute noch in sich trägt. (…)“| (Lars Peter Lueg)

Und so verfassten Stephen B. Taylor und Lars Peter Lueg ihr erstes Hörbuch. Es entstand ein _“Gruselmärchen mit Alptraumgarantie“_ – vielmehr sieben an der Zahl, die geeint zu einer schaurigen Geschichte in diesem Hörbuch vertreten sind.

In einer Unwetternacht verunglückt ein junger Schriftsteller in einer abgelegenen, ländlichen Gegend mit dem Auto. Er entdeckt ein einsames Haus in der Nähe des Waldes, dessen Fenster hell erleuchtet sind. Dem jungen Autor scheint das Glück hold, gewährt ihm der Herr des Hauses doch Zuflucht am warmen Kamin und bietet ihm sogar an, ihn am folgenden Morgen mit in die Stadt zu nehmen. Dankbar ob der Gastlichkeit erklärt unser Gestrandeter sich bereit, aus seinem Manuskript vorzulesen – sechs schaurige Märchen hat er zusammengetragen, doch das siebente, welches ihm sein Gastgeber im Morgengrauen erzählt, wird sein ganzes Leben verändern …

_|Grusel| und |Märchen| – wie das wohl zusammenpasst?_

|Uns ist in alten mæren wunders vil geseit
von helden lobebæren, von grôzer arebeit,
von freuden, hôchgezîten, von weinen und von klagen,
von küener recken strîten muget ír nu wunder hœren sagen.|
Aus: Der Nibelunge Not (um 1200)

Hier gilt es wohl, zunächst ein wenig erklärend auszuholen: Das Wort Märchen ist ein Diminutiv zu dem heute veralteten Nomen |Mär| oder |Märe| (‚Kunde‘ oder ‚Nachricht‘) und wurde bis ins 19. Jahrhundert in der Bedeutung von ‚kleine Erzählung‘, aber auch im Sinne von ‚Gerücht‘ gebraucht. Der Wortstamm lässt sich jedoch bis zu den alten Germanen zurückverfolgen, deren Adjektiv |mar| so viel bedeutete wie ‚groß‘, ‚bedeutend‘, ‚berühmt‘. Im Alt- und Mittelhochdeutschen finden wir die Verben |maren| (ahd.) und |mæren| (mhd.), die man mit ‚verkünden‘ oder ‚rühmen‘ übersetzen kann.

Märchen sind frei erfundene kürzere Geschichten, die zumeist von wunderbaren Begebenheiten erzählen. Sie haben üblicherweise keinen direkten Bezug zu historischen Ereignissen, Orten oder Personen und sind zeitlich nicht festgelegt, wodurch sie sich von Sagen und Legenden unterscheiden. Das phantastische Element tritt in Form von sprechenden Tieren, verwunschenen Menschen in Tier- oder Pflanzengestalt, Hexen und Zauberern, Zwergen, Riesen oder Fabelwesen (Drachen, Einhörner etc.) in Erscheinung. Inhaltlich steht in der Regel eine heldenhafte Gestalt im Mittelpunkt, die sich mit natürlichen und übernatürlichen Ausprägungen des Guten wie auch des Bösen auseinandersetzen muss, um mit Herz und Geschick einem glücklichen Ausgang des Märchens entgegenzustreben. Diese Hauptfigur wird stets so beschrieben, dass die Zuhörerschaft sich mit ihr zu identifizieren vermag.

Alle volkstümlichen Märchen bedienen sich einer einfachen, eindimensionalen Erzählform, die es ermöglichte, die Geschichten von Generation zu Generation weiterzugeben. In vielen Märchen finden sich daher Sprichwörter und Redensarten.

Märchenhafte Erzählungen finden sich bei allen Völkern und waren ein wichtiger Bestandteil der kulturellen Ausprägung. Wie alt Märchen tatsächlich sind, ist jedoch nicht geklärt.

Nun mag mancher denken, |Ich kenne die Kindermärchen der Gebrüder Grimm, die waren doch nicht gruselig, da hat immer das Gute gesiegt!|, und soweit es Kindermärchen betrifft, ist das wohl auch richtig, enden die meisten doch mit dem Satz |“Und so lebten sie glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende.“| oder |“Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.“|. Diese Kindermärchen sind jedoch nur ein geringer Teil der Volksweisen, die überliefert wurden. Viele Märchen richteten sich an Heranwachsende und Erwachsene und dienten – neben einer vielleicht zu übermittelnden Botschaft – überwiegend der Geselligkeit.

Und so ist es in der heutigen Zeit kaum verwunderlich, dass auch das |Grauen| in einigen neueren Märchen seinen Platz findet. Während die klassischen Gespenstergeschichten eher den Mythen oder Legenden zuzuordnen sind, kann man die kurzen Geschichten eines H. P. Lovecraft durchaus als moderne Horror-Märchen bezeichnen.

_Gebrüder Grimm goes Horror_

Inspiriert von einer Originalausgabe der |Grimmschen Kinder- und Hausmärchen| aus dem Jahre 1812 kam Stephen B. Taylor (mit bürgerlichem Namen Steffen Schneider) die Idee zu diesem „Gruselmärchen mit Alptraumgarantie“. Für die Umsetzung stieg er tief hinab in die Katakomben seines Selbst, um dort die verborgenen Ängste zu ergründen und ans Tageslicht zu bringen. Zur besseren ‚Vorlesbarkeit‘ überarbeitete Lars Peter Lueg zusammen mit Stéphane Bittoun die Texte noch einmal und übernahm neben der Produktion auch die Regie. Die durchweg passende musikalische Untermalung stammt von den |Mountain Birds|.

Mit diesem Debüt-Werk, das im Herbst/Winter 2001 auf den Markt kam, fiel der Startschuss zu einer Reihe außergewöhnlicher Horror-Hörbücher aus der Schmiede von |LPL records|. Lars Peter Lueg wählt die Geschichten persönlich aus und sorgt für die notwendige dramaturgische Aufbereitung. Während er in den folgenden Jahren Oliver Rohrbeck, Sven Hasper und Frank Gustavus für die Regie verpflichtete, übernimmt er seit 2004 wieder selbst das Steuer.

_Eine Stimme, als käme sie direkt aus dem Fegefeuer_

Zum größten Teil verzaubert Stéphane Bittoun das Publikum und entführt die Hörerschaft in eine Welt des Grauens und der Angst. Dem |Gastgeber| jedoch leiht Lars Peter Lueg höchstpersönlich seine Stimme. Auf die Frage, wie es zu dieser Besetzung kam, antwortete LPL in einem Interview: |“Ich war schon für den Hessischen Rundfunk als Sprecher tätig, aber noch nie als Schauspieler! Aus Kostengründen war es uns einfach nicht möglich eine(n) weiteren Sprecher(in) zu engagieren. Daher musste ich einspringen. Da aber meine Stimme klingt, als käme sie direkt aus dem Fegefeuer war die Besetzung doch recht gelungen. Es hat sich jedenfalls noch niemand beschwert. ;-)“|
Dem habe ich nichts entgegenzusetzen, denn Anlass zu Beschwerden birgt dieses Hörbuch in keiner Weise. Ausgenommen vielleicht einer schlaflosen Nacht, wenn eine zart besaitete Seele dieses Märchen kurz vor dem Schlafengehen zu hören wünscht.

|Stéphane Bittoun| (geboren am 12. Februar 1970) ist seit 1997 für Rundfunk, TV und Film tätig. Neben Regie und Schauspielerei begeistert er sich auch für das Erzählen spannender und lebendiger Geschichten. Mit viel Liebe kleidet er sich in die verschiedenen Rollen und haucht ihnen Leben ein. Seine deutsch-französische Herkunft eröffnet ihm viele Möglichkeiten und so arbeitet er unter anderem für schauspielfrankfurt, ARTE, den Hessischen Rundfunk und das ZDF.

Lars Peter Lueg lebt und arbeitet in einem kleinen hessischen Dorf an der |Deutschen Märchenstraße|. Dort hört er „die verlorenen Seelen in der Ferne schreien, wenn der Wind des Nachts über die Dächer streicht.“ Nach erfolgreichen Jahren als Freier Mitarbeiter beim HR, Tourmanager und Musikproduzent entschied sich LPL letztendlich, die Menschen das Fürchten zu lehren und verzaubert uns seither mit seiner „Gänsehaut für die Ohren“.

Ich komme nicht umhin: Dieses Gruselmärchen wirkt wie eine gelungene Synthese aus alten Mären und dem subtilen Grauen eines H.P. Lovecraft. Zu guter Letzt bleibt mir nur noch, euch einen schaurigen Hörgenuss zu wünschen.

_CD1_
Der Anfang |(03:09)|
Eine Nacht auf dem See |(16:13)|
Der Trank |(16:14)|
Gevatter Tod |(24:24)|

_CD2_
Drei Uhr |(00:30)|
Frisches Fleisch |(14:01)|
Bruder Lukas |(17:49)|
Furcht |(36:25)|
Das Ende |(03:07)|

Lumley, Brian – Necroscope 2 – Vampirblut

„Vampirblut“, das ist der zweite Teil von Brian Lumleys Mammut-Vampirsaga „Necroscope“. Während im ersten Teil, [„Das Erwachen“, 779 hauptsächlich Figuren und Settings eingeführt wurden, geht in „Vampirblut“ nun endlich die Handlung los. Zunächst werden die Erzählungen der beiden Gegenspieler wieder aufgegriffen. Da wäre auf der einen Seite der Engländer Harry Keogh. Er selbst bezeichnet sich als Necroscope – als jemand, der mit den Toten reden kann. Da er weltweit offensichtlich der einzige Lebende mit dieser Gabe ist, sind die Toten geradezu wild darauf, mit ihm zu reden. Sie bezeichnen ihn als Freund und versuchen, ihm in schwierigen Situationen zu helfen. Demgegenüber steht der für den russischen Geheimdienst arbeitende Nekromant Boris Dragosani. Seit seiner Kindheit hat er einen außergewöhnlichen Mentor, nämlich den in seinem rumänischen Grab gefangenen Vampir Thibor Ferenczy. Dessen Weltübernahmepläne fangen langsam an auf seinen Schützling abzufärben, sodass Dragosani beschließt, seinen Vorgesetzten Borowitz aus dem Weg zu räumen, um das sowjetische E-Dezernat (eine geheime Einrichtung zur Spionage mittels übersinnlicher Fähigkeiten) selbst zu übernehmen.

Während im ersten Band die Geschichten um Keogh und Dragosani noch nebeneinander herliefen und keine Berührungspunkte aufwiesen, so wird dieser Makel in „Vampirblut“ mehr als behoben. Lumley flicht nämlich ein kompliziertes Netz von Beziehungen und Abhängigkeiten zwischen den englischen und sowjetischen Geheimdiensten und gibt der gerade startenden Handlung damit Pepp und Potenzial. Keogh beschließt, seinen Stiefvater Viktor Shukshin zu töten, der für den Tod von Harrys Mutter verantwortlich ist. Um diesen Mord nach seinen Wünschen ausführen zu können, trainiert er hart und wird während seiner Vorbereitung vom englischen E-Dezernat kontaktiert. Dessen Chef, Keenan Gormley, möchte Harry anwerben, da dessen Fähigkeiten einzigartig und herausragend sind.

Doch nun fängt der sowjetische Geheimdienst an dazwischenzufunken. Dragosani und sein neuer Partner Max Batu werden nach England geschickt. Sie sollen ebenfalls Shukshin elegant um die Ecke bringen, da es sich bei ihm um einen getürmten sowjetischen Spion handelt. Bei dieser Aktion stoßen sie allerdings unfreiwillig mit Harry Keogh zusammen, der somit die Aufmerksamkeit des sowjetischen E-Dezernats auf sich zieht. Als Dragosani dann auch noch Gormley beseitigen lässt, fühlt sich Harry persönlich beleidigt und beschließt, etwas gegen die sowjetischen Angriffe zu unternehmen …

„Vampirblut“ bietet für jeden etwas. Liebhaber von Spionage-Romanen werden hier geeignetes Lesefutter finden. Lumley verwebt englischen und sowjetischen Geheimdienst auf interessante Weise und die Beziehungen und Animositäten zwischen beiden werden in den zukünftigen Bänden sicher noch anwachsen. Mit der Idee des E-Dezernats gibt er den Geheimdiensten einen übersinnlichen Touch, um seine Figuren exotischer und abwechslungsreicher gestalten zu können.

Auch Fans des klassischen Horrors kommen auf ihre Kosten. In „Das Erwachen“ war von Vampiren ja noch nicht viel zu sehen, doch das ändert sich hier schlagartig. Thibor Ferenczy wird als Charakter weiter ausgebaut und Dragosani trifft auf einen rumänischen Vampirexperten, der Licht auf die Unklarheiten wirft, die der erste Band aufgeworfen hat. Lumley gelingt es, einen völlig entromantisierten Vampir zu präsentieren, indem er Vampirismus zu einer medizinischen Pathologie macht. Der Vampir selbst ist ein Parasit, ein ekliges Ding, das in seinem Wirt Eier legt und daraufhin im menschlichen Körper komplett neue innere Organe ausbildet. Diese Vorstellung ist gewöhnungsbedürftig, aber gleichzeitig originell. Vor allem führt sie auch dazu, dass man Thibor als Charakter kaum einschätzen kann. Lügt er Dragosani ständig an? Oder hat er vor, seine Versprechen zu halten?

Der dritte große Themenkomplex, der in „Das Erwachen“ ebenfalls nur angedeutet wurde, sind Mathematik und Physik. Harry scheint ein besonderes Interesse für Formeln und Zahlen zu besitzen und so macht er sich auf zum Grab des Mathematikers Möbius, um von ihm das Teleportieren zu lernen. Wie man dies mit Zahlen und Schleifen erreichen kann, wird zwar irgendwie erklärt, der Sinn hinter diesen Ausführungen wird den meisten Lesern aber sicherlich verborgen bleiben. Für Mathe-Analphabethen sind diese Passagen von „Vampirblut“ unverständlich und damit langatmig. Sie bringen die ansonsten spannende und zügige Handlung zu einem Stillstand und führen zu einigen Hängern in der Story.

Doch trotzdem kann man sich von „Vampirblut“ gut unterhalten lassen. Lumleys Erzählung gewinnt im zweiten Teil auffallend an Fahrt und Komplexität, was Hör-Spannung garantiert und für zukünftige Bände hoffen lässt. Natürlich verdankt das Hörbuch auch dem Sprecher Helmut Krauss, dass es beim Hörer den beabsichtigten Grusel erzeugt. Krauss ist unter anderem als deutsche Stimme von Marlon Brando bekannt und seine maskuline und selbstbewusste Stimme gibt dem Text andere Akzente als es sein Vorgänger in „Das Erwachen“ tat (dort sprach Joachim Kerzel). Gerade Thibor Ferenczy ist hier eher ein zweideutiger Charakter denn ein geradliniger Bösewicht. Auf die markanten und beunruhigenden Ausrufe Thibors („Ahhhhhh, Dragosaaaaani!“), die Joachim Kerzel im ersten Teil mit Spaß auf den Silberling brachte, hofft man hier allerdings vergebens. Ebenfalls trägt die Musik von Andy Matern zur Atmosphäre bei, der ein Thema auf immer wieder neue Weise variiert. Gut gelungen!

„Vampirblut“ ist der eigentliche Anfang der Serie um Harry Keogh, denn erst hier setzt die Handlung richtig ein. Die Story ist flott erzählt (der Roman wurde für die Hörbuchfassung leicht gekürzt) und endet mit einem echten Paukenschlag, der sofort Lust macht, sich den dritten Band vorzunehmen.

Lumley, Brian – Necroscope 1 – Das Erwachen

Brian Lumleys „Necroscope“ ist eine Mammut-Romanreihe, deren Umfang kaum noch zu überblicken ist. In Deutschland hat sich der |Festa|-Verlag der Bücher angenommen und ist immerhin schon beim 15. Band angelangt. Allen, denen ob solcher Massen bedruckten Papiers schwach in den Knien wird, kann geholfen werden. |LPL records| nämlich veröffentlicht nach und nach die einzelnden Romane als Hörbücher. Und bei den Spezialisten für gepflegten Hörror ist Lumleys Necroscope-Saga wirklich gut aufgehoben.

LPL hat das erste Hörbuch der Reihe, „Das Erwachen“, mit dem Eyecatcher „Die ultimative Vampirsaga“ versehen. Doch zunächst muss man sich eine Weile gedulden, bis ein Blutsauger in der Geschichte auftaucht. Lumley beginnt nämlich erst einmal mit der Prämisse der PSI-Geheimdienste. Sowohl die USA als auch die Sowjetunion haben in ihren Geheimdiensten Unterabteilungen, die versuchen sollen, mit Hilfe von außergewöhnlich begabten Menschen (Hellsehern beispielsweise) Spionage zu betreiben und sich somit einen Vorteil gegenüber der anderen Großmacht zu verschaffen. Diese Vorstellung ist nicht so abwegig, wie sie vielleicht klingen mag, da die Großmächte tatsächlich PSI-Forschung auf militärischem Sektor betrieben haben. Allerdings waren die Ergebnisse dort weniger spektakulär als bei Lumleys Protagonisten.

Da wäre auf der einen Seite Harry Keogh, den wir anfangs durch seine Jugend begleiten und später als Teenager wiedertreffen. Harry ist an seiner Schule in einer englischen Kleinstadt ziemlich unbeliebt. Er ist schlecht in sämtlichen Fächern und seine Klassenkameraden machen sich über ihn lustig. Doch dann verändert sich Harry schlagartig. Er entwickelt ein unglaubliches mathematisches Talent, löst Aufgaben intuitiv und stellt gar eigene Formeln auf. Und auch nach der Schule verhält sich Harry anders. Wo er sich früher von Mitschülern herumschubsen lassen musste, wehrt er sich nun mit gut platzierten Kinnhaken. Was das mit dem verstorbenen Sportlehrer und dem ebenfalls toten Vater des Mathelehrers zu tun hat, wird erst einmal nur angedeutet. Doch als wir Harry wiedertreffen und er zwar erst 18, aber trotzdem ein erfolgreicher Autor von Kurzgeschichten ist, lüftet sich das Gehemnis vollends. Harry ist es möglich, mit den Toten zu kommunizieren. Deren Körper verwesen zwar, doch ihr Geist existiert irgendwie weiter. Und da sie sich langweilen, führen sie fort, was sie auch zu Lebzeiten getan haben: Musik komponieren, Bücher schreiben, philosophieren ect. Und nur Harry kann mit ihnen reden: Er selbst nennt sich der „Necroscope“.

Parallell dazu wird die Geschichte von Boris Dragosani, einem Mitarbeiter des sowjetischen PSI-Geheimdienstes, erzählt. Er wiederum ist ein Nekromant. Zwar kann er offensichtlich weder Leichen animieren, noch ihnen seinen Willen aufzwingen. Dafür kann er einer Leiche mittels eines Rituals deren Wissen entziehen. Dieses Talent verdankt er einem außergwöhnlichen Mentor, über den er in seiner Kindheit förmlich gestolpert ist. Seine Heimat ist nämlich Rumänien, genauer gesagt die Walachei. Der informierte Leser horcht hier natürlich schon auf. Doch nein, Dracula wird nicht schon wieder bemüht, vielmehr ein Zeitgenosse Draculas, der für diesen dessen Siege auf dem Schlachtfeld errungen hat. Scheinbar überwarf er sich jedoch mit seinen Vorgesetzten und so wurde er in einem Grab mitten im Wald beigesetzt, das er nicht verlassen kann. Denn natürlich ist er untot und darauf erpicht, seinem Gefängnis unter der Erde zu entfliehen. Vor 400 Jahren, so meint er, habe es noch ausgereicht, über die Walachei zu herrschen. Aber heute, wo die Welt viel kleiner geworden ist, müsse es schon der ganze Erdball sein! Und genau dazu braucht er Dragosani. Er weiht ihn häppchenweise in das Geheimnis seiner Existenz ein, hält aber immer genügend Informationen zurück, um Dragosani und den Zuhörer bei der Stange zu halten und hofft dabei merklich auf den Moment, in dem er Dragosanis Hilfe nicht mehr nötig haben wird.

Lumley hat „Das Erwachen“ offensichtlich als Exposition geplant. Es bleibt offen, wie die Geschichten von Dragosani und Harry zusammenhängen und was es mit den Geheimdiensten auf sich hat. Zwischen den Handlungsebenen gibt es bis jetzt keine Berührungspunkte. Trotzdem, oder gerade deshalb, macht das Hörbuch Lust auf mehr. Lumley schreibt zügig voran und scheut sich auch nicht vor deftigen Szenen. Ob Dragosani da nun in den Eingeweiden eines Toten herumwühlt oder seine Unschuld mit einem rumänischen Mädchen verliert – Lumley schaut fasziniert hin und schildert dem Leser bzw. Hörer aufs Genaueste, was er sieht. Gerade auf dem Gebiet der Vampirliteratur, das im Moment romantisch relativ verseucht ist, ist sein Stil sehr erfrischend. Denn er bringt den Vampir dahin zurück, wo er seit Anne Rice nicht mehr war. Er ist weder blass und gutaussehend noch langhaarig und grünäugig. Von Dragosanis Vampir sieht man ohnehin bisher nichts als einen widerlichen Fangarm, der kurz aus der Erde ragt. Doch dieses Wesen ist keineswegs ein Melancholiker und verkappter Romantiker. Er ist ein brutaler, egoistischer Feldherr aus dem Mittelalter, der sich aller nötigen Mittel bedient, um seine Ziele zu erreichen. Er ist skrupellos und das ist von Anfang an zu merken.

Dass dies auch in der Hörbuchfassung so überzeugend klingt, liegt zu großen Teilen am Sprecher Joachim Kerzel, der unter anderem Jack Nicholson, Dustin Hoffmann, Jean Reno oder Sir Anthony Hopkins die Stimme leiht. Er liest sehr konzentriert und durchdacht und kann mit seiner prägnanten und maskulinen Stimme besonders punkten, wenn es um die Darstellung des in der Erde gefangenen Vampirs geht. Diese Szenen klingen fast wie ihm auf den Leib geschneidert und man hat an der sadistischen Ader des Vampirs seine helle Freude.

LPL hat „Das Erwachen“ auf sieben CDs als ungekürztes Hörbuch von 465 Minuten Spielzeit herausgegeben. So muss man nicht das Gefühl haben, gegenüber der Lektüre etwas zu verpassen. Ohnehin ist die Handlung relativ straff durchkomponiert und es kommt weder zu Hängern noch Längen. Wer also auf toughen und spannenden Horror steht, der ist bei „Necroscope“ genau an der richtigen Adresse.