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Lueg, Lars Peter / Keller / Wilson / Smith / Fowler / Masterton – Necrophobia 3

_Das Verhängnis der Nekromanten_

Wieder mal hat Lars Peter Lueg als Regisseur, Produzent und Dramaturg ein Fest für Horrorfans vorbereitet. Sein Adlatus Andy Matern steuerte die Musik, den Schnitt und die Tontechnik bei. Zu den Autoren der neuen Storys gehören die bekanntesten Vertreter des Genres, darunter Christopher Fowler und Altmeister Clark Ashton Smith, ein Freund von H. P. Lovecraft.

|Erzählung # 1: _David H. Keller: Da unten ist nichts!_ (1952)|

Unter dem Haus der Tuckers liegt ein Keller, der sich viel weiter erstreckt, als sie ahnen, und der viel älter ist als ihr gemietetes Häuschen. Der Zugang zu diesem düsteren Keller ist nur durch die Küche möglich, und er wird durch eine wuchtige Eichentür verschlossen, die mit schmiedeeisernen Scharnieren und Riegeln verstärkt ist. Soll diese massive Tür etwas drin halten oder jemanden draußen?

Schon als der Sohn der Tuckers, Tommy, noch ein kleines Baby ist, weint er immer nur in der Nähe dieser Tür, also immer in der Küche, sonst aber nirgends. Als er sprechen kann, versucht er zu erklären: Ist der Riegel vorgelegt, ist er still, doch ist die Tür nur geschlossen, aber nicht verriegelt, empfindet er Angst. Am schlimmsten ist es für ihn natürlich, wenn die Tür geöffnet ist. Er weigert sich, den Keller auch nur zu betreten.

Als seine Eltern, einfache Arbeitergemüter, ihn zur Schule schicken wollen, meinen sie, man müsse etwas wegen dieses Verhaltens unternehmen. Sein Vater möchte am liebsten aus Tommy einen richtigen Mann machen. Der Hausarzt Dr. Hawthorne ist zwar kein Psychologe, gibt aber in seiner Unwissenheit den gut gemeinten Rat, Tommy dem vollen Effekt der offenen Tür auszusetzen – alleine. Der Vater überwindet den heftigen Widerstand des Jungen und setzt ihn dem offenen Keller aus.

Doch Hawthorne kommen Zweifel ob seines Rats und befragt einen Freund, der wirklich ein Fachmann ist. Dieser kann sich vorstellen, dass die Sinne dieses Kindes feiner sind als die eines Erwachsenen. Vielleicht ist da unten im Keller wirklich etwas, oder Tommy glaubt es zumindest. Hawthorne fährt zu den Tuckers, um sich nach dem Wohlergehen Tommys zu erkundigen. Inzwischen ist die volle Stunde der „Schocktherapie“ vergangen, und der Vater erklärt sich bereit, die Tür zur Küche zu öffnen, damit Hawthorne sich Tommy ansehen kann.

Was Hawthorne vorfindet, ist ein Bild des Grauens …

|Mein Eindruck|

Die Ursache des Horrors ist in dieser Geschichte nie zu sehen, und nur das Resultat des Grauens lässt darauf schließlich, dass da etwas sein muss – da unten im Keller. Horror kann mitunter nur in der Vorstellung, vielleicht auch in verschärfter Wahrnehmung entstehen, wie schon Poe zu berichten wusste. Das „Unnennbare“ – hier schlägt es wieder mal zu. Und wieder mal glauben die normalen Spießbürger keine Sekunde lang an seine Existenz. Das hat verhängnisvolle Folgen. Wer auf Splattereffekte wartet, ist hier aber an der falschen Adresse.

|Der Sprecher|

Udo Schenk ist die deutsche Stimme von Gary Oldman. Er moduliert seine Stimme nach oben und unten, um die verschiedenen Stimmlagen von Frauen und Männer anzudeuten, und er gibt die situationsbedingten Ausdrucksweisen des ängstlichen Tommy wieder. Eigentlich nichts Besonderes, aber solide Sprecherarbeit.

|Erzählung # 2: _F. Paul Wilson: Zart wie Babyhaut_ (1991)|

Denise ist gerade beim Shopping in Downtown Manhattan, als ihr ihre frühere Freundin Helen Ryder über den Weg läuft. Wow, was für ein klasse Outfit, staunt Denise. Helen lädt Denise zum Tee im Waldorf Astoria ein, man gönnt sich ja sonst nix. Offenbar hat es Helen gut getroffen, wohingegen Denises Mann Brian sich mit brotlosen Sozialprojekten abgibt, ach je!

Und was für eine obergeile Handtasche Helen da trägt! So weich, so zart, und aus lauter kleinen Stückchen zusammengenäht, offensichtlich teure Handarbeit, womöglich sogar italienisch, hat bestimmt ein Schweinegeld gekostet, oder? Höchst exklusiv, versichert Helen geschmeichelt, und als eine Japanerin mit einer schwarzen Ausführung dieser Tasche vorbeitrippelt und anerkennend nickt, ahnt Denise, dass Helen Mitglied eines exklusiven Klubs ist, zu dem sie unbedingt auch gehören will.

Es gibt nur einen kleinen Haken. Die Tasche ist aus der Haut von menschlichen Föten, die abgetrieben wurden, und in die entsprechenden Verkaufsabteilungen der exklusiven Boutiquen gelangt man nur auf Empfehlung hin. Die ihr ihre Freundin selbstredend gerne gibt, sobald Denise ihren Schock überwunden hat. Doch ob Brian für eine Fötenhandtasche Verständnis aufbringen kann, wagt Denise ernsthaft zu bezweifeln.

Doch wenn eine Frau ein ernsthaftes Fashion Statement machen möchte, verschiebt sie gerne die Grenze dessen, was okay ist …

|Mein Eindruck|

Und um diese moralische Grenze geht es in der Tat. Was wird den „total Reichen“ (John Brunner) noch alles einfallen, um in Sachen Mode eine Aussage zu machen und zu zeigen, dass sie sich über die Maßstäbe von Lieschen Müller und Otto Normal hinwegsetzen können? Heute gehört es für Heidi Klum & Co. zum guten Ton, einen begehbaren Schrank, so groß wie ein Kinderzimmer, nur für Schuhe zu besitzen und mindestens ein Wohnzimmer nur für die Garderobe, die da Gucci, Armani, D&G sowie Donna Karan liefern. Für Herren gilt selbstverständlich das Gleiche.

Doch die wahren Reichenklubs insistieren natürlich auf exklusivsten Accessoires. Doch woher nehmen, wenn nicht stehlen? Die menschliche Haut – eine schier unerschöpfliche Ressource, besonders dann, wenn die Inder so billig liefern können. Da kann der Lagerkommandant von Auschwitz mit seinen Lampenschirmen aus Menschenhaut einpacken.

Die Story thematisiert die Ausbeutung der Dritten Welt durch die besitzende Klasse der westlichen Welt, aber das Feindbild basiert bereits auf überholten Besitzverhältnissen. Inzwischen sitzen auch in Moskau, Schanghai und Neu-Delhi Milliardäre, die sich Fötenhauthandtaschen aus der Portokasse leisten können.

|Die Sprecherin|

Marie Bierstedt, Jahrgang 1974, trat ab Mitte der 80er Jahre in TV-Serien wie „Praxis Bülowbogen“ oder „Ein Heim für Tiere“ auf. Sie ist u. a. die deutsche Stimme von Kirsten Dunst („Spider-Man“), Kate Beckinsale und Natalie Portman. Sie ist vielen Deutschen als deutsche Stimmbandvertretung von Alyson „Willow“ Hannigan in „Buffy“ vertraut.

Ganz natürlich klingt bei ihr, wie sich die zwei alten Freundinnen über die grausigsten Dinge austauschen können, solange es dabei nur um Mode geht. Freilich vermag Denise ihre Vorbehalte gegen Fötenhaut nicht zu verbergen und spricht sie auch aus, doch Helen beruhigt: Der Oberste Gerichtshof hat es doch erlaubt, also was soll die Aufregung?

Natürlich klingen Denises Mann Brian und der Verkäufer der Handtaschen ganz anders, tiefer, männlicher. Aber das sind nur vorübergehende Randfiguren, dann sind die Damen mit ihrem schauderhaften Accessoire wieder unter sich.

|Erzählung # 3: _Clark Ashton Smith: Necropolis – Das Reich der Toten_ (1932)|

Es waren einmal zwei hervorragende Nekromanten in der Welt Zothique, welche da hießen Madmour und Sodossma. Leider wussten die Bewohner des Landes Tinarat ihre Künste und Fertigkeiten wenig zu würdigen und vertrieben sie. Auf der einsamen Straße durch die Wüste von Zinkor begegnen den beiden Totenbeschwörern diverse Skelette von Pferden und ihren Reitern. Stante pede treffen sie eine Übereinkunft, wonach sie diese lohnende Beute gerecht unter sich aufteilen. Und so dauert es nicht lange, und sie gelangen mit einem stattlichen Tross von knochigen Reitern als Sklaven nach Yepirion.

Aus den Grüften wecken sie die Sklavenarbeiter und betreten mit ihrer Totenarmee die Hauptstadt, welche von einer schrecklichen Pest aller menschlichen Wesen beraubt wurde. Sie erobern ohne Kampf den herrlichen Palast und schwelgen in dessen Pracht. Etwas keck geworden, erwecken sie sogar die toten Nimbod-Herrscher wieder zum Scheinleben und lassen sich von ihnen auf dem alten Doppelthron huldigen. Der erste Nombodherrscher, Hestaion, krönt sie höchstselbst. Ach, es ist ein gar fürstliches Leben, finden sie, und genießen die Pracht und die weiblichen Dienerschaft in vollen Zügen. Nekrophilie ward nie herrlicher zelebriert als hier.

Doch die dienstbaren, zum Leben erweckten Geister sehnen sich nach der Ruhe des Todes. Der letzte Nimbod mit Namen Elairo erinnert sich, wie’s früher war, und hasst die beiden Despoten. Während diese ihrerseits nachlässig und träge werden und ihren nächsten Krieg planen, organisiert Elairo den Aufstand der unzufriedenen Geister, um sich für die Tyrannei zu rächen. Hestaion war einst ein Zauberer und erinnert sich einer Prophezeiung. Man müsse die Statue des Erdgottes zerschlagen, eine Tür in den tiefsten Grüften öffnen und so den Weg zum tiefsten Abgrund unter dem Palast bereiten.

Gesagt getan, nun frisch ans Werk! Die Rache der Toten ist schrecklich – und dauert ewig …

|Mein Eindruck|

Eine wundervoll altmodische Geschichte, wie „ein Märchen aus uralten Zeiten“, und mit einem herrlichen Schluss, welcher der ausgleichenden Gerechtigkeit wieder Geltung verschafft. Smith ist weitaus weniger auf das kosmische Grauen bedacht als sein Brieffreund Lovecraft und erweist sich immer wieder als großer Romantiker in der Art von Lord Dunsany, den auch Lovecraft anfangs verehrte und nachahmte. Die Erzählung ist eindeutig ein Glanzpunkt in dieser Auswahl.

|Der Sprecher|

Reinhard Kuhnert ist die deutsche Stimme von Pierce Brosnan. Es gelingt ihm, nicht nur die beiden überheblichen Totenbeschwörer zu porträtieren, nein, auch die Toten, allen voran der alte Hestaion, erhalten ein Profil.

Doch wie sprechen die Toten? Das ist eine knifflige Frage, die sich durch empirische Befunde leider nicht beantworten lässt (alldieweil die Toten gemeinhin nicht sprechen). Da schafft Hollywood zum Glück Abhilfe durch eine gewisse Inspirationshilfe. Man denke etwa an das Heer der Toten im dritten Teil von Peter Jacksons „Herr der Ringe“-Verfilmung. Die Toten sind heiser, hauchen leise, wodurch sinnfällig wird, dass ihnen ein Kehlkopf fehlt. Was an Dialogen daher fehlt, macht die wunderbar genaue Beschreibung der Vorgänge wieder wett.

|Erzählung # 4: _Christopher Fowler: Die langweiligste Frau der Welt_ (1995)|

Die Ich-Erzählerin ist eine ganz normal frustrierte Hausfrau aus Süd-London und behauptet, sie sei die langweiligste Frau der Welt. Wie möchten es ihr gerne glauben, doch irgendwie fallen schon die ersten Begebenheiten, von denen sie aus ihrem Leben berichtet, etwas aus dem Rahmen dieses Bildes. Anno 1964 stürzte ihr Vater die Kohlenluke im Haus hinunter und starb an einem Herzinfarkt. Zwei Cousins starben durch Unglücke, und ihr erster Lover John Perry brach ihr die Nase. Ihre Schwiegermutter hielt sie deshalb für verflucht – bevor sie selbst einen Schlaganfall erlitt und den Löffel abgab.

Erst nahm sie gegen die tödliche Langeweile nur Valium, aber inzwischen ist sie schon bei Speed (Amphetaminen) angekommen. Als sie herausbekommt, dass ihr Mann Derek sie mit einer gewissen Gigi betrügt, killt sie den Nachbarshund. Offenbar hat sie auch Blackouts, von denen sie ihr Mann, ihr Sohn Jason und die beschränkte Tochter Emma in Kenntnis setzen. Hm, kann schon sein, na und? Sie wittert eine Verschwörung und Paranoia macht sich breit.

Als Derek ihr eines Abends verkündet, er wolle ausziehen und sich scheiden lassen (um es mit Gigi zu treiben, logo), dreht sie durch und haut ihm die Bratpfanne über den Schädel. Sie verteilt ihn auf drei Müllbeutel und entsorgt die Leiche in der Kiesgrube. Oder ist das nur zusammenfantasiert? Und wenn schon. Eines Tages könnte sie es ja wirklich tun. Fragt sich nur – schon bald oder …

|Mein Eindruck|

Der Autor Christopher Fowler, ein bekannter britischer Horrorliterat („Über den Dächern von London“ u. v. a.), schildert das ganz normale Grauen, wie es sich anfühlt, lebendig begraben zu sein – in einer spießbürgerlichen Ehe, welche die Erzählerin schon mit sechzehn einging, danach kamen die Kinder, nie auch nur das geringste Fünkchen Selbstverwirklichung. Und schwupps, kehren sich erst der Mann und dann die Kinder gegen sie selbst. Kein Wunder, dass da Mordphantasien aufkommen. Ob solche Existenzen heute überwunden sind? Ich würde nicht darauf wetten. Da lauert noch jede Mordpotenzial.

|Die Sprecherin|

Arianne Borbach ist die deutsche Stimme von Catherine Zeta-Jones. Borbach lässt die Erzählerin alle Gefühlsregungen durchlaufen: von der gruftigen Langeweile über Eifersucht und Hass bis hin zu rasender Wut – und dann wieder zurück zu lethargischer Apathie. Diese Entwicklung ist von Borbach fabelhaft flexibel und sehr bewusst gestaltet, doch nie übertrieben. Und in seiner Glaubwürdigkeit ist dieses Porträt einer zerstörten Existenz umso bedrohlicher.

Die Erzählung lebt nur von der inneren Bewegung und Entwicklung, und wenn einmal ein Mord geschieht, dann entpuppt er sich als eingebildet. Daher könnte diese Story den einen oder anderen Hörer frustrieren. Es ist ein Stück für Leute mit psychologischem Einfühlungsvermögen. Und sie wissen Borbachs Darstellungsleistung zu würdigen.

|Erzählung # 5: _Graham Masterton: Die graue Madonna_ (1995)|

Der Amerikaner Dean Wallace ist nach Brügge in Belgien zurückgekehrt, weil ihm ein winziges Detail nicht aus dem Kopf geht. Als seine Frau Karen hier starb, erwähnte ein Kutscher eine seltsame Beobachtung: Karen habe vor ihrem Tod mit einer Nonne gesprochen, die graue Gewänder getragen habe. Wieso sollte Karen mit einer Nonne streiten? Man fand Karen später in einem der Kanäle, welche die Stadt durchziehen, um den Hals einen Strick aus Hanf. Hatte sie sich erhängt? Vielleicht wegen ihrer Abtreibung?

Die Polizei bestreitet, dass es solche Nonnen gebe. Wallace spürt den Kutscher auf und gegen ein ordentliches Trinkgeld führt ihn der junge Mann zu jener Stelle, wo er Karen zuletzt sah. Ja, Karen schrie die Nonne an und fragte sie: „Was habe ich getan?“ Die Nonne sah genauso aus wie die zahllosen Madonnen, die an den alten Brügger Bürgerhäusern die Fassade zieren. Und alle halten ein Jesuskind im Arm. Jetzt sieht es auch Wallace, und ihm wird mulmig. Überall Madonnen, an jedem Haus. Und Teufelsfratzen! Was hat das zu bedeuten?

Der Kutscher erzählt ihm von der Pest im 14. Jahrhundert, die so lange wütete, dass sich die Menschen als Sünder betrachteten und an die heilige Muttergottes ein Hilfeersuchen richteten, das sie als verbindlichen Vertrag ansahen. Maria vergibt, doch die Madonnen bestrafen. Der Kutscher äußert eine merkwürdige Ansicht. Die Bürger schufen die Statuen mit falschen Hoffnungen: Für die Erschaffung der Statuen werde ein Preis gefordert. Aber welcher?, will Wallace wissen. Beleidigt man die Madonnen, werde man bestraft.

Wallace erklärt den Kutscher für verrückt und geht seines Weges. Doch überall sind diese Madonnen mit ihren Kindern im Arm. Er denkt an den armen abgetriebenen Charlie … Als er in einer Bar sitzt, sieht er draußen eine graue Nonne vorübergehen. Sofort folgt er ihr. Weiß sie etwas über Karen? Sie eilt in den Glockenturm des Belfrieds, er hinterher, an der Pförtnerin vorbei, die nichts gesehen haben will. Immer höher, den hörbaren Schritten nach, hunderte von Stufen.

Auf der obersten Plattform holt er die Nonnen in Grau endlich ein. Doch die Begegnung erweist sich als verhängnisvoller Fehler. Denn die graue Madonna hat ein Hanfseil dabei …

|Mein Eindruck|

Diese lange Erzählung ist die meisterliche Verschränkung des unterbewussten Schuldkomplexes um die Abtreibung eines Kindes mit dem Motiv der Schutzgöttinnen von Brügge. Diese Madonnen haben offenbar die Aufgabe, die Sünder, die sich der Kindstötung schuldig gemacht haben, ihrer gerechten Strafe zuzuführen: Sowohl Karen als auch ihr Mann müssen dran glauben.

Man kann sagen, dass diese Story von einem Abtreibungsgegner geschrieben worden sein muss, aber ich kenne die Schuldgefühle, die eine Abtreibung hervorruft, von einer früheren Freundin selbst. Diese Gefühle können schwere Depressionen hervorrufen – warum sollten sie nicht zu einer Illusion wie jener wandelnder Madonnen führen? Der Rest ist dann nur eine Frage des Einfallsreichtums des Autors.

|Der Sprecher|

Till Hagen ist die deutsche Stimmbandvertretung für Filmstars wie Kevin Spacey, Billy Bob Thornton und Kevin Kline. Er absolvierte die Schauspielschule in Berlin und war am Theater in Dortmund und Bielefeld engagiert. Seit 1977 ist der professionelle Rundfunksprecher beim RBB und anderen ARD-Sendeanstalten tätig. Er hat beispielsweise alle Krimis von Arne Dahl vorgelesen.

Es gibt nur zwei Hauptfiguren, die Hagen zu porträtieren hat: Den Ich-Erzähler Dean Wallace kann er mit ganz normaler Stimmlage sprechen, doch er lässt ihn auch rufen und sich empört und wütend äußern. Der Kutscher Jan de Keizer erfordert etwas mehr Darstellungskunst. Der Ex-Junkie spricht leise, zögerlich, geradezu schwächlich, außer dann, als er voll Überzeugung von den Madonnen Brügges und ihrer besonderen Rolle und Bedeutung mit insistierendem Tonfall erzählt.

Im dramatischen Finale der Handlung erklingt die Glocke des Belfrieds nicht weniger als viermal im Hintergrund, was andeutet, dass sich das Schicksal unserem Erzähler mit schnellen Schritten nähert. Die Hintergrundmusik ist inzwischen verklungen und nur der Klang der Glocken begleitet die Stimme des Erzählers bzw. Sprechers.

_Unterm Strich_

In dieser Auswahl gefielen mir am besten Smiths Erzählung vom Untergang der beiden despotischen Nekromanten und die letzte Erzählung, in der Graham Masterton meisterlich die Themen Abtreibung, Schuldgefühle und Sühne miteinander verknüpft. Schade, dass die anderen Geschichten nicht das gleiche Niveau erreichen. Splatter und Action gehören diesmal nicht zum Repertoire.

Die Sprecher sind allesamt kompetent und Könner ihres Fachs. Die Musik von Andy Matern variiert von Story zu Story, mal langsam, mal schnell, aber stets anders instrumentiert. Die Musik hält sich stets dezent im Hintergrund und stört den Vortrag des Sprechers zu keiner Zeit. Mit rund 20 Euro ist die Doppel-CD deutlich teurer als der Durchschnitt, aber das dürfte wohl auf die solide Produktion mit bekannten Sprechern und qualitätsvoller Musik zurückzuführen sein. Ein Sammlerstück.

|144 Minuten auf 2 CD|
http://www.lpl.de
http://www.luebbe-audio.de
http://www.festa-verlag.de
[„Necrophobia 1“ 1103
[„Necrophobia 2“ 1073
[„Necrophobia – Meister der Angst“ 1724

Lumley, Brian / Lansdale, Joe R. / Lovecraft, H. P. / Meyrink, Gustav / Laymon, Richard – Necrophobia 1

Sechs Horrorgeschichten versammelt dieses Hörbuch, darunter einige Spitzenkräfte des Genres wie etwa H. P. Lovecraft.

Es handelt sich um ein „inszeniertes Hörbuch“. Das heißt, es wurde mit Musik und dezenten Toneffekten wie Hall oder Stimmverzerrung produziert. Das Ergebnis ist fast ebenso perfekte Unterhaltung wie ein Film, nur viel näher am Original, wie es der Autor beabsichtigt hat.

_Die Autoren_

Brian Lumley wurde 1937 in England geboren. Seit 1981 seine Militärkarriere endete, lebt er als freier Schriftsteller. Zunächst eiferte er H. P. Lovecraft (s. u.) nach, doch mit seiner großen Vampir-Saga [„Necroscope“ 779 gelangte er zu Bestsellerehren.

Joe R. Lansdale, geboren 1951 in Texas, war zunächst Gelegenheitsarbeiter, bevor er sich 1981 ausschließlich dem Schreiben widmete. Er schrieb Western, Fantasy, Abenteuerbücher, Krimi, Horror und Thriller. Jedes seiner Werke sei originell und unverwechselbar, schreibt der Verlag. Aus dem Geheimtipp sei ein renommierter Erfolgsautor geworden. Leider ist er in Deutschland noch unterrepräsentiert.

H. P. Lovecraft (1890-1937) wird allgemein als Vater der modernen Horrorliteratur angesehen. Obwohl er nur etwa 55 Erzählungen schrieb, hat sein zentraler Mythos um die Großen Alten, eine außerirdische Rasse bösartiger Götter, weltweit viele Nachahmer und Fans, und zwar nicht nur auf Lovecrafts testamentarisch verfügten Wunsch hin.

Gustav Meyrink (1868-1932) zählt zu den Klassikern der deutschsprachigen Phantastik (und galt zu Lebzeiten als äußerst streitbar und politisch engagiert). Seine unheimlich-grotesken und esoterischen Werke wie „Der Golem“ und „Walpurgisnacht“ sind trotz vieler Nachahmungsversuche unerreicht geblieben.

Richard Laymon wurde 1947 in Chicago geboren. Erste kürzere Werke erschienen zu Beginn der 70er Jahre. Der Roman „The Cellar“ (1980) entwickelte sich zum weltweiten Bestseller. Laymon hatte etwa 50 Romane geschrieben, als er am Valentinstag, dem 14.2.2001, völlig unerwartet an einem Herzanfall starb.

Graham Masterton wurde 1946 im schottischen Edinburgh geboren. Zunächst arbeitete er als Journalist, seit 1970 lebt er als freier Schriftsteller. So veröffentlichte er sehr erfolgreiche Ratgeber zum Thema Sexualität und Partnerschaft. 1975 landete er mit dem unheimlichen Roman [„The Manitou“ 754 einen Bestsellererfolg, der auch verfilmt wurde. Seither hat er etwa 45 weitere Horrorromane veröffentlicht.

_Die Sprecher_

Joachim Kerzel ist der Synchronsprecher von Hollywoodstars wie Jack Nicholson und Dustin Hoffman. Durch zahlreiche Bestseller-Lesungen – etwa von Ken Follett und Stephen King – hat er sich einen Namen gemacht.

Lutz Riedel ist die deutsche Stimme von Timothy Dalton und stellt hier wieder mal seine herausragenden Sprecherqualitäten unter Beweis.

Nana Spier leiht neben „Buffy“ auch Drew Barrymore ihre Stimme und überzeugt durch völliges Eintauchen in die jeweilige Rolle.

David Nathan ist Regisseur und gilt zudem als einer der besten Synchronsprecher Deutschlands, u. a. von Johnny Depp. Schade, dass man ihn nur sehr kurz mit einer einzigen Story zu hören bekommt: mit „Mein toter Hund Bobby“.

_Die Geschichten_

– |Brian Lumley: In der letzten Reihe| (1988; 21:26 Min.): Ein alter Mann geht mal wieder in sein Lieblingskino, weil ihn das an seine verstorbene Frau erinnert. Doch diesmal kann er sich nicht auf den Film konzentrieren. In der Reihe hinter ihm ist ein junges Pärchen heftig mit Liebesdingen beschäftigt und zwar so laut und eindeutig, dass er sich schließlich umdreht, um die beiden zur Ruhe zu gemahnen. Was er als Antwort hört, ist jedoch ein warnendes Knurren! Erst am Schluss der Vorstellung wagt er wieder, sich den beiden Radaubrüdern zuzuwenden. Was er erblickt, lässt ihm das Blut in den Adern gefrieren. Aber die eigentliche Pointe erfolgt erst mit den letzten Wörtern der Story.

– |Joe R. Lansdale: Mein toter Hund Bobby| (1987, 3:46 Min.): Selten eine derart makabre Story gehört! Ein Junge spielt mit „seinem toten Hund Bobby“, genau, nur dass dieser wirklich tot ist und der Junge ziemlich üble Dinge mit ihm anstellt. Danach kommt der Hund wieder in die Gefriertruhe, wo schon die tote Mutti wartet …

– |H. P. Lovecraft: Pickmans Modell| (1927, 43:18 Min.): Der Großmeister des Horrors bemüht diesmal keine Großen Alten mit unaussprechlichen Namen, sondern ein paar simple Maler. Denkt man. Der Malerverein von Boston, Massachusetts, steht offenbar kurz davor, sein Mitglied Pickman auszuschließen. Seine Ansichten sind ja schon absonderlich, doch seine Motive sind – ja was? – grauenerregend. +++ Doch ein Kollege namens Thurber, der Ich-Erzähler, hält zu Pickman durch dick und dünn. Und so wird ihm die Ehre zuteil, Pickmans anderes Haus besuchen zu dürfen. Es liegt in einem uralten und verwinkelten Viertel, dem North Hill, nahe dem Copse Hill Friedhof. Man sagt, das Viertel stamme aus dem 17. Jahrhundert, als im nahen Salem die Hexen gehängt wurden. Pickmans Ahnin sei eine davon gewesen, bestätigt der Künstler. +++ Die Motive der Gemälde und Studien, die Thurber zu sehen bekommt, sind noch um einiges erschreckender als bislang Gesehene: Leichenfresser einer Spezies von Mischwesen aus Mensch, Hund und Ratte, die Schläfern auf der Brust hocken (à la Füßli) und sie würgen. +++ Das Beste wartet aber im Keller, wo sich ein alter Ziegelbrunnen befindet, der möglicherweise mit den alten Stollen und Tunneln verbunden ist, die North Hill und den Friedhof durchziehen. Hier fallen Revolverschüsse, und Thurber gelingt es, ein Foto zu erhaschen, das die Vorlage zu Pickmans neuestem Gemälde zeigt. Was Thurber bislang für Ausgeburten einer morbiden Fantasie gehalten hat, ist jedoch konkrete, unwiderlegbare Realität …

– |Gustav Meyrink: Das Präparat| (1913, 14:40): Im Prag der Jahrhundertwende besprechen zwei Freunde namens Ottokar und Sinclair das Problem, dass ihr Freund Axel verschwunden ist. Aber sie haben einen Hinweis darauf erhalten, wo er sich befinden könnte: im Haus eines persischen Anatomen. Der Entschluss ist schnell gefasst; mit einem Trick haben sie den Mediziner fortgelockt. Im Haus selbst finden sie Axel – oder vielmehr das, was von ihm noch übrig ist. Viktor Frankenstein wäre stolz auf dieses „Präparat“ gewesen. Herz, Lungen, Adern sind noch vorhanden. Und der Kopf kann sprechen. – Leider fehlt dieser Story irgendwie die Pointe.

– |Richard Laymon: Der Pelzmantel| (1994, 23:08). Anfang und Mitte der neunziger Jahre machten militante Tierfreunde Jagd auf Leute, die Pelze trugen. In dieser Story treten sie in Gestalt zweier rabiater Frauen auf, die Janet, eine 36-jährige Witwe angreifen, weil sie einen Hermelinpelzmantel trägt. Obwohl Janet diese kostbare Erinnerung an ihren geliebten verstorbenen Gatten mit Klauen und Zähnen verteidigt und eine lange Verfolgungsjagd liefert, unterliegt sie am Ende doch. Allerdings geben sich die beiden Verfolgerinenn nicht damit zufrieden, wie sonst den Pelzmantel und das Haar der Trägerin mit roter Farbe zu besprühen. Sie wollen mehr. Schließlich werden ja auch die Tiere, die um ihres Fells wegen getötet werden, letztendlich gehäutet … – Diese Story geht wirklich bis zum Äußersten, konsequent bis zur entscheidenden Andeutung.

– |Graham Masterton: Ein gefundenes Fressen| (1990, 31.21): Die Brüder David und Malcolm sind Schweinezüchter im Gebiet zwischen Nordengland und Südschottland. Allerdings läuft das Geschäft sehr schlecht. Als David aus der Stadt in den Stall zurückkehrt, schaltet er die Lichter und die Futtermaschine ein. Ein markerschütternder Schrei ertönt! Die Schreie hören nicht auf, denn sie kommen aus der Futtermühle, einem sehr zuverlässigen deutschen Fabrikat. Malcolm steckt darin, und ist, bis David den Stopp-Knopf findet, bereits halb von den Scherblättern zermahlen. +++ Statt in Schmerzen zu vergehen, behauptet Malcolm jedoch, himmlische Ekstase zu empfinden. David tut ihm den Gefallen, ihn vollständig zu zermahlen. Tage später fällt David den Zähnen des tückischen alten Ebers Jeffries zum Opfer. Hoffnungslos zerbissen und blutend sehnt er sich nach der Ekstase, die Malcolm im Augenblick des Sterbens erfahren hat. Leider erlebt er eine böse Überraschung. – Auch diese Story geht bis zum Äußersten, liefert aber noch eine witzige Pointe am Schluss.

_Die Sprecher_

Joachim Kerzel ist ein Meister, der die Kunst, eine effektvolle Pause an der richtigen Stelle zu machen, perfektioniert hat. Daher sind die Geschichten, die er vorträgt, von höchster Wirkung, der sich niemand entziehen kann.

Lutz Riedel verfügt über eine ähnlich tiefe Stimme wie Kerzel und vermag den entsprechenden Gruseleffekt mühelos hervorzurufen. Nana Spier liest die Geschichte „Der Pelzmantel“, in der fast nur Frauen auftreten, mit Überzeugungskraft und ohne Zögern bei den intimeren weiblichen Details – die Geschichte ist nämlich auch sehr erotisch. David Nathans Auftritt ist, wie gesagt, leider viel zu kurz, aber einwandfrei.

Andy Materns Musik wird den Texten selbst sehr dezent unterlegt. Leise Pianotöne setzen an den Stellen ein, in denen die Story auf die Zielgerade gelangt. Dies steht im krassen Gegensatz zur Pausenmusik, die bombastischen Horror beschwört. Na ja.

_Unterm Strich_

Ob dies wirklich „die besten Horrorgeschichten der Welt“ sind, weiß ich nicht, aber sie gehören sicherlich in die oberste Liga, allen voran die klassische Story „Pickmans Modell“ von Lovecraft. Man kann auch nicht sagen, es wäre eine schwache darunter, allenfalls Meyrinks Geschichte kommt in diese Region, denn die Pointe scheint zu fehlen.

Die zweite CD geht mit den beiden jüngsten Geschichten weg vom subtilen Psychohorror und richtig ans Eingemachte. Das Einzige, was die Blutrünstigkeit der Masterton-Story noch übertreffen könnte, wäre eine Story von Clive Barker, etwa „Jacqueline Ess – ihr Wille und Vermächtnis“ oder „Das Leben des Todes“ aus den [„Büchern des Blutes“. 538

Und wieder einmal fehlt eine Geschichte von einer Frau. „Die gelbe Tapete“ von der Amerikanerin Gilman wäre nicht schlecht.

|137 Minuten auf 2 CDs|

[Necrophobia 2 1073 erschien im März 2005.

Hodgson, William Hope / Newman, Kim / Busson, Paul / Lovecraft, H. P. / Somtow, S. P. / Lueg, Lars P – Necrophobia 2

Symphonie des Grauens: Scherzo und Finale furioso

Wieder mal hat Lars Peter Lueg als Regisseur, Produzent und Dramaturg ein Fest für Horrorfans vorbereitet. Sein Adlatus Andy Matern steuerte die Musik, den Schnitt und die Tontechnik bei. Zu den Autoren der neuen Storys gehören die bekanntesten Vertreter des Genres, darunter der unsterbliche Magier aus Providence, H. P. Lovecraft, dann aber auch einige Neutöner wie etwa S. P. Somtow, dessen Story „Summertime“ den Hörer einfach umhaut.

Erzählung #1: William Hope Hodgson: Die Stimme aus dem Nichts

Der Autor

William Hope Hodgson (1877-1918) war ein englischer Autor, der von 1891-99 bei der Handelsmarine arbeitete. Viele seiner Storiys stützen sich daher auf seine Seefahrer-Erlebnisse, beziehen das Unheimliche oder Übernatürliche ein, seine Romane „Das Haus an der Grenze“ (1908) und „Das Nachtland“ (1912) sind herausragende Beispiele für unheimliche Visionen in eine erschreckende Zukunft der Erde. „Die Stimme aus dem Nichts“ erschien zuerst 1907 unter dem Titel „The Voice in the Night“.

Der Sprecher

Der Synchronsprecher Helmut Krauss schenkt seine sonore und imposante Stimme u. a. Marlon Brando und Samuel L. Jackson. Krauss wurde am 11. Juni 1941 in Augsburg geboren. Nach seiner Schauspielausbildung machte er an diversen Theatern erste Bühnenschritte, studierte nebenher Pädagogik. 1963 übersiedelte er nach Berlin und arbeitete beim Rundfunk. Es folgten Engagements bei Fernsehen, Theater, Musical, Kabarett, Film und Synchron. Seit 1980 hört und sieht man Krauss als Nachbar Paschulke in Peter Lustigs ZDF-Kinderserie „Löwenzahn“.

Handlung

Ein Segler ist im Pazifik in eine Flaute geraten. Die Langeweile an Bord wird durch penetranten Nebel noch verstärkt. Während sein Freund Will schläft, hört der Ich-Erzähler eine Stimme aus der Nacht erschallen: „Schiff ahoi!“ Doch der Besitzer der Stimme, offenbar ein alter Mann, will sich nicht zeigen, schon gar nicht im Lampenlicht, sondern bittet lediglich für sich und seine kranke Frau um Proviant.

Der wird ihm selbstverständlich gewährt, und so kehrt er in der nächsten Nacht zurück, um seine Geschichte zu erzählen. Und um diese geht es im Grunde. John erlitt mit dem Passagiersegler „Albatros“, der von Newcastle nach San Francisco unterwegs war, Schiffbruch. Nach vielen Strapazen und Fährnissen strandeten er und seine Verlobte an einer seltsamen Insel unweit der südamerikanischen Küste.

Deren Boden ist von einem merkwürdigen, grauweißen Pilz bedeckt: Dieser Pilz kann sich bewegen und menschlichen Formen wie etwa Arme bilden. Nach vier Monaten der Bekämpfung zeigt sich der erste Übergriff des Pilzes auf menschliches Gewebe. John ertappt seine Frau dabei, wie sie von dem Pilz isst, als ob er ihr wirklich schmecken würde. Nicht lange, und ihm geht es genauso. Eine Umwandlung beginnt …

Mein Eindruck

Die Atmosphäre ist von Anfang an etwas unheimlich, doch als der Unbekannte aus der Nacht mit seiner Geschichte auftaucht, nimmt die Stimmung eine eindeutig bedrohliche Note an. Pilze, die wie Menschen aussehen und sie übernehmen? Klingt nicht sehr lustig, und die allerletzte Zeile – die „punch-line“ – verpasst dem Leser denn auch einen ordentlichen Tiefschlag, eben einen „punch“.

Der Sprecher

Helmut Krauss bringt mit seiner tiefen Stimme das Grauen dieser Begebenheit zur vollen Wirkung. Es fängt ganz langsam an, wird aber dann immer bedrohlicher, bis der Schrecken mit der letzten Zeile unvermittelt zuschlägt.

Erzählung #2: Kim Newman: Der Mann, der Clive Barker sammelte

Der Autor

Kim Newman, geboren 1959, ist ein britischer Schriftsteller, Kritiker und Radiosprecher, der früher mal im Kabarett auftrat. Zum einen verfügt Newman über ein umfassendes Wissen über phantastische (Horror etc.) Filme, zum anderen über einen bissigen Humor. Und selbstverständlich kennt er alle wichtigen Genre-Autoren in seinem Land, von Clive Barker über Neil Gaiman bis hin zu Paul McAuley. „The Man Who Collected Clive Barker“ erschien 1990.

Die Sprecherin

Bekannt wurde Marianne Groß als die deutsche Stimme von Anjelica Huston und Cher. Außerdem ist sie laut Verlag eine herausragende Synchronregisseurin und Dialogbuch-Autorin. 2004 wurde sie zweifach mit dem Deutschen Synchronpreis ausgezeichnet.

Handlung

Salley Rhodes, eine von den Serienhelden des Autors, ist eine Privatdetektivin, die sich gerne mit unheimlichen und okkulten Dingen befasst. Im Auftrag des „Australiers“ besucht sie den Buchsammler David Ringham in seinen Geschäftsräumen. Diese sind hypermodern eingerichtet, was Sally reichlich verblüfft: Dave sammelt nämlich die alten Schwarten und Hefte, die man als „Pulp“ bezeichnet, also wirklich unterste Schublade. Wie kann er sich diese moderne Einrichtung bloß leisten?

Dave ist Sammler mit Leib und Seele, er kennt alle seine Autoren und behandelt selbst Pulphefte wie Heiligtümer. Das Herzstück seiner Sammlung bildet Clive Barker. Er hat einfach alles von ihm. Aber nicht nur die normalen Ausgaben, die Hinz und Kunz im Laden kaufen können, sondern die wirklich wertvollen Sonder-Sonderausgaben, Sie wissen schon: mit Widmung, Spezialausstattung und so. Da wäre beispielsweise jene Ausgabe der „Bücher des Blutes“, die ganz in Menschenhaut gebunden ist und – nebst einer Widmung des Autors – mit dessen Blut gekennzeichnet ist. Doch es ist nicht die Haut irgendeines x-beliebigen Menschen, nein, meine Lady, sondern die mexikanischen Spender der Haut haben sich vor ihrem Ableben die Titelseite in ihren Rücken eintätowieren lassen – das nennt man Hingabe, was! Leider ist die Buchbinderin seitdem spurlos verschwunden …

Sally Rhodes interveniert und zückt ihren Ausweis als Detektivin: „Wissen Sie, wo Clive Barker ist?“ fragt sie streng. Dave lässt sich jedoch nicht beirren. „Schauen Sie mal, was ich hier als Krönung meiner Sammlung habe …“

Mein Eindruck

David Ringham, der Sammler, ist der lebende Beweis dafür, dass Passion, also Leidenschaft, in Obsession, in Besessenheit, umschlagen kann, ohne dass es der Betroffene überhaupt merkt. Das Fiese an der Story ist ja, dass der Leser / Hörer schon eine Weile vor dem Ende merkt, wie der Hase läuft, aber einfach nicht glauben kann, dass es wirklich so ist: Wo ist Clive Barker? Mit Daves stolzem Blick schauen wir genau darauf … Die Story ist ein schlagendes Beispiel dafür, dass auch das Makabre bestens funktioniert, wenn nämlich der wider besseres Wissen ungläubige Leser / Hörer gnadenlos über die Kante des Abgrunds gezerrt wird.

Die Sprecherin

Marianne Groß vermittelt in gleichem Maße die wachsende Begeisterung des Sammlers für das Herz-Stück (sic?) seiner Sammlung, die einhergeht mit einer wachsenden Ungläubigkeit seitens Sally Rhodes‘, die schließlich in Entsetzen umschlägt. Genau so muss die Story gelesen werden. Da hilft es nicht, zimperlich zu sein und ins Stocken zu geraten, sondern der Hörer müssen volle Kanne mit auf die Fahrt in den Abgrund des Grauens mitgenommen werden. Bravourös!

Erzählung #3: Paul Busson: Rettungslos

Der Autor

Es liegen mir keine Informationen zum Autor vor. Die Geschichte erschien zuerst im Jahr 1903.

Der Sprecher

Lutz Riedel ist die deutsche Stimme von Timothy Dalton (James Bond u.a.). Er zeigt auf diesem Hörbuch seine „herausragenden Sprecherqualitäten, die den Hörer mit schauriger Gänsehaut verzaubern“. Er war auch „Jan Tenner“ in der gleichnamigen Hörspielserie.

Handlung

Schon zwei Tage liegt der Scheintote bei vollem Bewusstsein in diesem Sarg, kann sich aber weder rühren noch verständlich machen, wenn seine Gattin um ihn weint oder der Priester die letzte Ölung vornimmt. Dann wird der Sarg ins kühle, dunkle, stille Grab hinabgelassen und Erde daraufgeworfen. Endlich gelingt es dem Bestatteten, zwei Finger seiner rechten Hand zu bewegen. Ein ganz klein wenig zu spät.

Mein Eindruck

Tja, was würde ich tun, wenn ich scheintot, aber bei vollem Bewusstsein im Sarg läge? Ich würde wahrscheinlich (vergeblich) versuchen, mich in den Hintern zu treten, dass ich so blöd war, mich überhaupt in diese Lage zu bringen. Als ob das irgendwie helfen würde! Die Story hat mich nicht beeindruckt, vielleicht auch deswegen, weil sie so kurz ist. Sie passt genau an den Schluss der ersten CD, weswegen sie wohl ausgewählt wurde: als Füllsel.

Der Sprecher

Dennoch legt der Sprecher Lutz Riedel all seine beträchtliche Ausdruckskraft in den Vortrag der Geschichte. Wider Willen ist der Hörer fasziniert von der absonderlichen Situation des Lebendigbegrabenseins des Ich-Erzählers und ein leises Grauen beschleicht ihn. Über die Schlusspointe kann man entweder zusammenzucken oder laut auflachen, je nach Mentalität des Hörers.

Erzählung #4: H. P. Lovecraft: Der Außenseiter

Der Autor

Howard Phillips Lovecraft (1890-1937) wird allgemein als Vater der modernen Horrorliteratur angesehen. Obwohl er nur etwa 55 Erzählungen schrieb, hat sein zentraler Mythos um die Großen Alten, eine außerirdische Rasse bösartiger Götter, weltweit viele Nachahmer und Fans gefunden, und zwar nicht nur auf Lovecrafts testamentarisch verfügten Wunsch hin. „The Outsider“ wurde 1926 veröffentlicht.

Der Sprecher

David Nathan gilt als einer der besten Synchronsprecher hierzulande. Seine Erzählkunst erweckt den Horror zum Leben. Im Kino erlebt man ihn als Stimmbandvertretung von Johnny Depp und Christian Bale.

Handlung

Der Story ist ein Motto von John Keats, einem englischen Dichter der Romantik, vorangestellt. – Ein unbekannter Ich-Erzähler berichtet uns, dass er sein bisheriges Leben tief unter der Erde in den Gewölben eines uralten Schlosses, ohne Kontakt mit der Außenwelt, verbracht hat.

„Ich weiß nicht, wo ich geboren wurde, außer dass das Schloss unendlich alt und unendlich grauenvoll war, voller dunkler Gänge und mit hohen Decken, an denen das Auge nur Spinnweben und Schatten wahrnehmen konnte. Die Steine in den verfallenden Korridoren schienen immer schrecklich feucht, und überall war ein widerwärtiger Geruch wie von den übereinander gestapelten Leichen toter Generationen. Nie war es hell, so dass ich manchmal Kerzen anzündete und sie still betrachtete, um mich zu trösten; auch schien draußen niemals die Sonne, denn die schrecklichen Bäume wuchsen weit über den höchsten zugänglichen Turm hinaus. Es gab einen einzigen schwarzen Turm, der über die Bäume hinaus in den unbekannten äußeren Himmel ragte, aber dieser war teilweise eine Ruine, und man konnte ihn nicht ersteigen, es sei denn, man hätte das schier Unmögliche vollbracht, Stein für Stein die senkrechten Wände emporzuklimmen.“

Letztlich beschließt der Außenseiter doch, seine Behausung zu verlassen und den finsteren Turm zu ersteigen. Er gelangt auf den festen Erdboden und befindet sich auf einem verlassenen Friedhof. Nach einer nächtlichen Wanderung erreicht er ein anderes Schloss, das ihm irgendwie bekannt vorkommt. Aus den offenen, erleuchteten Fenstern dringt ihm der fröhliche Lärm eines Festes entgegen.

Die plötzliche Erscheinung des Fremden versetzt die Festgesellschaft in panischen Schrecken, und sie ergreift in wilder Hast die Flucht. In einem Rahmen erblickt der Fremde ein dunkles Ungeheuer, das wie ein Kadaver aussieht, und erschrickt. Er taumelt und berührt das Monster an seiner Klaue, denn er hat noch nie in seinem Leben einen Spiegel gesehen …

Mein Eindruck

Bei keinem Zuhörer wird diese grausige Story ihre Wirkung verfehlen. Allein schon der Moment der Erkenntnis für den Fremden ist einfach purer Horror. Anfang und Stil der Geschichte erinnern an Edgar Allan Poe, bei dem ebenfalls Figuren und Erzähler vorkommen, die aus einem „uralten und dekadenten Geschlechte“ stammen. Sehr wirkungsvoll ist natürlich der Kunstgriff, die Geschichte aus der Perspektive des Phantoms – anscheinend ein auferstandener Leichnam oder ein Ghoul – zu erzählen.

Das Erscheinen des unheimlichen Gastes auf dem Fest ruft Assoziationen zu Poes klassischer Erzählung „Die Maske des roten Todes“ hervor. Bekanntlich bewunderte HPL Poe als Meister des Unheimlichen ohne Ende und eiferte ihm anfangs fleißig nach. Diese Story stammt aus dem Jahr 1926, also vom Ende der ersten zehnjährigen Schaffenszeit HPLs (die zweite dauerte von 1927 bis zu seinem Tod 1937).

Die albtraumhafte Erzählung lässt sich psychoanalytisch interpretieren, und Prof. Dirk Mosig hat dies im Sinne C. G. Jungs erfolgreich unternommen („The Four Faces of the Outsider“, in „Nyctalops“, Vol. II, 1974, S. 3-10); unter anderem regt er eine autobiografische Deutung an.

Wie auch immer man die Story auffasst: Sie gehört zu den wirkungsvollsten und am häufigsten abgedruckten Geschichten des Meisters aus Providence.

Der Sprecher

Zum Glück liegt der Lesung nicht die alte Übersetzung von H. C. Artmann zugrunde, sondern die moderne von Andreas Diesel und Frank Festa. So kann es gelingen, dass die unzähligen Adjektive wie unheilvoll, grausig, finster, düster, modrig usw. usf. nicht völlig veraltet daherkommen, sondern halbwegs modern. (Zudem hat Artmann nicht immer hundertprozentig werkgetreu übersetzt.)

Wie auch immer, jedenfalls klingt David Nathan an keiner Stelle wie Johnny Depp. Statt dessen relativ heller und sanfter Synchronstimme hat Nathan eine recht dunkle, tiefe Stimmlage gewählt, die besser zur der albtraumartigen Geschichte passt. Aufgrund der Struktur der Story dauert es aber eine ganze Weile, bis das Grauen ordentlich zuschlägt.

Erzählung #5: S. P. Somtow: Summertime

Der Autor

S. P. Somtow ist das Pseudonym des 1952 geborenen Thai-Schriftstellers, Komponisten und Filmemachers Somtow Papinian Sucharitkul. Unter diesem Namen schrieb er zunächst in den 1980ern Science-Fiction, danach schwenkte er zu Fantasy um, die von der „Encyclopedia of Fantasy“ als „originell“ bezeichnet wird. 1984 veröffentlichte er seinen ersten Horrorroman: „Vampire Junction“, der angeblich die Splatterpunk-Bewegung vorweggenommen hat. (Fortgesetzt in „Valentine“, 1992, und „Vanitas“, 1995.) Die Story erschien unter dem Titel „Fish are Jumping, and the Cotton is High“ (vgl. George Gershwin) erstmals 1996. Andreas Diesel hat sie in Deutsche übertragen.

Der Sprecher

Torsten Michaelis ist der Synchronsprecher von Wesley Snipes. Durch sein Spektrum an verschiedenen Klangfarben wird er für die unterschiedlichsten Rollen eingesetzt. Er kann auf über 400 synchronisierte Filme zurückblicken.

Handlung

Der zwölfjährige Jody und sein Dad sind wie jeden Sommer unterwegs, um Fische zu fangen. Diese besondere Spezies der Fische jedoch ist weiblich und geht auf zwei Beinen, trägt meist einen Minirock und ein winziges Handtäschchen. Man kann diese Fischart ziemlich leicht erspähen, und so ist die Jagd meist erfolgreich. Jody und Dad sind Menschenfischer, zwei moderne Apostel. Im Kofferraum begleitet sie Großmutter. Ihre Gebeine liegen in einem Koffer, so dass sie es stets schön warm hat.

In dem Städtchen Sweetwater werfen Jody und Dad den Köder aus, denn die Fische sind manchmal misstrauisch und hüpfen nicht gleich an den Haken. Sobald sich der Fisch über den scheinbar verwundeten Jody beugt, braust Dad mit seinem Wagen heran und fängt die Frau mit einem Lasso ein. Sie wird verschnürt und geknebelt, in der Scheune eines verlassenen Bauernhofes findet dann das Gericht statt.

Dabei liest Jody zunächst passende Stellen aus der heiligen Schrift vor, um der Sünderin klarzumachen, worum es überhaupt geht. Durch verschiedene handgreifliche Maßnahmen bringt sein Dad dann die Sünderin dazu, Gott um Vergebung anzuflehen. Dann erlöst er sie von ihrem Dasein und führt ihren Körper seiner natürlichen Bestimmung zu. Und wieder einmal erzählt er seinem Sohn, warum sie das Menschenfischen jeden Sommer unternehmen müssten und wie alles damit anfing, dass Dad seine Mutter beim Sündigen ertappte.

Leider klappt ihre Jagdmethode immer weniger gut, je weiter Jody und Dad ihr Jagdrevier durchstreifen und je mehr Aufsehen ihr Treiben erregt. Und so stoßen sie eines Tages auf einen sehr hübschen Fisch, der leider selbst ein Köder ist …

Mein Eindruck

Dass das Grauen auch furchtbar viel Spaß machen kann, beweist diese herrlich makabre Geschichte, bei der einem glatt das Lachen im Halse stecken bleibt, wenn man nicht die richtige Art von schwarzem Humor mitbringt. Außerdem sollte man ordentlich abgebrüht sein, was die Darstellung sinnlicher Details anbelangt, und wissen, was wohl mit der „Milch der Gnade“ gemeint ist, wenn zwei Männer davon reden …

Natürlich ist „Summertime“ – der Titel verweist auf Gershwins Idylle vom amerikanischen Süden – eine waschechte Satire. Ihr Ziel ist die frömmelnde Bigotterie, mit der fundamentalistische Christen gegen die Vertreter der Sünder, hier als „Hure von Babel“ bezeichnet, zu Felde ziehen. Der Autor spielt lediglich durch, wie es wäre, wenn es nicht mehr bei Hetzreden bliebe, sondern sich einer dieser Männer nach einem einschneidenden Erlebnis (à la Ödipus mit seiner Mutter) dazu berufen fühlte, selbst zur Tat zu schreiten.

Besonders makaber: Nur wenn das Opfer um Vergebung seiner Sünden fleht, kann ihm Erlösung gewährt werden. Alles andere ist hingegen Mord. So hat es Dad seinem Sohn beigebracht. Bis zu jenem verhängnisvollen Tag, als Jody quasi vom Glauben abfällt. Aber erst, nachdem Dad selbst den seinen schon verloren hat. Man sollte nun hoffen, dass Jody später geheilt werden kann. Aber alles, was weiblich ist und nach Fisch riecht, so beharrt seine Erinnerung, muss eine verkappte „Hure von Babel“ sein. Dieses Detail liefert denn auch noch einmal eine Pointe, die den Leser umhaut.

Wäre eigentlich nur noch die Frage zu klären, wie es kommt, dass Jody Dads leiblicher Sohn ist, wenn Dad doch alle Frauen als des Teufels betrachtet hat. Ob wohl die Gebeine von Großmutter in ihrem „Koffer“ die Antwort kennen? Ein Grund, den „Summertime Blues“ zu kriegen.

Der Sprecher

Torsten Michaelis vermag es ausgezeichnet, die enervierend makabre Geschichte mit völliger Aufrichtigkeit vorzutragen. Denn es ist der gläubige Jody, der sie uns erzählt. Dessen naive Einstellung spiegelt sich in seiner hellen Kinderstimme wider.

Dagegen nimmt sich die Stimme seines Dads, der schon lange auf der Fischjagd ist, viel dunkler, schleppender, unheilvoller aus. Wenn einmal ein „Fisch“ angebissen hat, so klingt auch die reichlich aus dem Häuschen geratene Lady entsprechend hoch und kreischend. (Nicht so jedoch der weibliche Köder.) Will heißen, dass der Hörer jederzeit klar unterscheiden kann, wer gerade spricht.

Unterm Strich

Eine „Symphonie des Grauens“ könnte man mit Murnau diese Sammlung von Horrorstorys nennen. Sie fängt ganz leise, verhalten und vielfältig (Scherzo inklusive) an, um dann auf der zweiten CD mit zwei Glanzstücken zu prunken, die in einem höchst makabren und actionreichen Finale enden. Man kann dem Hörer nur einen robusten Magen wünschen!

Besonders die zweite CD macht deshalb richtig Laune, und man möchte gleich wieder von vorne anfangen, um sich die Schmuckstückchen noch einmal in allen Details zu Gemüte zu führen. Wer jetzt noch kein Freund von Horror gewesen ist, wird es spätestens mit dieser schönen, vielseitigen Kollektion werden.

146 Minuten auf 2 CDs
ISBN-13: 9783785714836

www.lpl-records.de

Der Autor vergibt: (4.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Lueg, Lars Peter / Keller / Wilson / Smith / Fowler / Masterton – Necrophobia 3

[„Necrophobia 1“ 1103
[„Necrophobia 2“ 1073
[„Necrophobia – Meister der Angst“ 1724

Bereits zum dritten Mal haben sich Hörbuchproduzent Lars Peter Lueg sein Musikfachmann Andy Matern zusammengetan, um dem geneigten Hörer eine Horroranthologie zu präsentieren. Wieder einmal hat Lueg fünf Gruselgeschichten ausgesucht, vorgetragen von Sprechern der A-Riege, die in Deutschland wohl hauptsächlich durch ihre Synchronarbeit bekannt sind.

Leider werden die hohen Erwartungen, die der Hörer an „Necrophobia“ stellt, von der ersten Geschichte zunächst enttäuscht. David H. Kellers „Da unten ist nichts“ („The Ting in the Cellar“, 1952) ist zu banal und vorhersehbar, um mehr als ein müdes Lächeln hervorzurufen: Klein Tommy fürchtet sich vor der Kellertür, schreit und wimmert, sobald jemand die Tür auch nur angelehnt lässt. Als der Kleine in die Schule kommt, beschließt sein Vater, es sei genug mit dem kindischen Verhalten, und schleppt den Jungen zu einem Arzt. Dieser gibt den eher unprofessionellen Rat, Tommy bei geöffneter Kellertür allein im Zimmer zu lassen. Doch man ahnt schon, dass diese Rosskur dem armen Tommy eher schaden als nützen wird.

„Da unten ist nichts“ ist eine Geschichte ohne Überraschungen oder Twists. Sie spielt die alte Mär vom Monster im Keller von vorn bis hinten durch, ohne mit ihr zu spielen. Der Autor versucht sich damit zu retten, dass er nie aufklärt, was (oder ob überhaupt) sich nun in diesem ominösen Keller befindet, doch auch dieser Kniff kann den Hörer kaum dauerhaft fesseln. Zu schwer wiegt die Tatsache, dass die Charaktere absolut blass und schablonenhaft bleiben und damit ihre Wirkung beim Hörer verfehlen.

Nun trifft es sich, dass David H. Keller (1880-1966) Psychiater war. Wahrscheinlich soll man seine Geschichte als ein Lehrstück dafür lesen, wie man seine Kinder nicht erziehen sollte. Nur ist diese Erkenntnis weder neu noch ihre Ausführung gruselig. Auch der Sprecher Joachim Udo Schenk lässt wenig Begeisterung für sein Thema erkennen. Er liefert ein solides Ergebnis ab, doch kann auch er der Vorlage nicht mehr Tiefe verleihen.

Besser ausgewählt ist da schon F. Paul Wilsons Geschichte „Zart wie Babyhaut“ („Foet“, 1991). Hier geht es um die moralischen Abgründe, die sich auftun, wenn eine Gesellschaft einfach alles hat. Wenn man alles kaufen kann, zu welchem Mittel muss man dann greifen, um doch noch irgendwie besonders zu wirken? Mann kennt das ja: Frauen sind verrückt nach Handtaschen. Und so ist es nur natürlich, dass der Protagonistin beim Wiedersehen mit einer alten Freundin sofort deren absolut außergewöhnliche Tasche auffällt. So eine muss sie auch haben, das wird ihr sofort klar. Und da bereiten ihr der Preis und die moralischen Gewissensbisse ob der Herkunft des Leders auch nur kurzfristig Kopfzerbrechen. Es geht hier schließlich um ein „mutiges Fashion Statement“, da kann man sich nicht von Kleingeistigkeit beeindrucken lassen.

Wilsons (Jahrgang 1946) Geschichte erinnert in der starken Fetischisierung von Mode und Marke ein wenig an [„American Psycho“ 764. Man (oder frau) muss sich abheben, muss teuer gekleidet sein, muss geschmackvoll sein, muss besonders sein, muss „was Besseres“ sein. Doch schlussendlich rückt dieses Ziel in immer weitere Ferne, je schneller man ihm nachzueilen versucht.

Bei „Zart wie Babyhaut“ braucht es keine Monster oder Dämonen. Der Schrecken hier ist subtiler, naheliegender. Er ergibt sich aus der Frage, wo moralische Grenzen verlaufen und wie fließend sie vielleicht sind – oder interpretiert werden können. Sprecherin Marie Bierstedt kennt man in Deutschland als die Stimme von Kirsten Dunst. Als shoppingwütige Amerikanerin macht sie ihre Sache durchaus gut.

Die dritte Geschichte, „Necropolis – Das Reich der Toten“ von Clark Ashton Smith („The Empire of the Necromancers“, 1932) ist die älteste im Bunde. Man merkt ihr die zusätzlichen Jahre an, und das ist in diesem Fall positiv zu bewerten. Mit „Necropolis“ ist somit auch die klassische Gruselerzählung vertreten, komplett mit fernen Ländern, untoten Mumien und zwei unmoralischen Nekromanten.

Es überrascht nicht, dass Smith (1893-1961) mit H. P. Lovecraft befreundet war, dringt dessen Geist doch aus jeder Pore dieser Erzählung. Smith schafft es geschickt, zwei klassische Themen des Genres zu verbinden: Mumien und Zombies. Er lässt zwei Nekromanten eine ganze Mumienstadt wiedererwecken, damit sie ihnen zu Diensten sind. Das geht zunächst auch gut. Den Untoten fehlt ein wacher Geist, eine Erkenntnis ihrer Existenz, und so dienen sie ohne Wehklagen und huldigen den beiden Nekromanten. Doch letztendlich bekommen die beiden genau das, was sie verdient haben. Am Schluss ist der Gerechtigkeit Genüge getan, auch wenn der Hörer mit einem unguten Bauchgefühl zurückbleibt. Reinhard Kunert lässt der Geschichte den nötigen Respekt angedeihen. Seiner Darstellung zu lauschen ist eine wahre Freude.

Ein Titel wie „Die langweiligste Frau der Welt“ („The Most Boring Woman in the World“, 1995 von Christopher Fowler) lässt nichts Gutes erahnen. Doch weit gefehlt! Es handelt sich um die beste Geschichte der Anthologie, was wohl auch der exzellenten Interpretation durch Arianne Borbach zu verdanken ist.

Fowler widmet sich hier dem Wahnsinn des ganz alltäglichen Vorstadtlebens. Sie, Hausfrau, verheiratet, hat zwei Kinder und einen Hund. Ihre Tage laufen immer gleich ab, wie das eben so ist bei Hausfrauen. Doch da gibt es ein paar Kleinigkeiten. Die Schnapsflasche unter der Spüle. Die Kippe, die sie sich anzündet, wenn die Kinder in der Schule sind. Der Tag, an dem sie zum ersten Mal Koks probiert und die Lasagne anbrennen lässt.

Über weite Strecken ist die Geschichte damit nicht gruselig, aber doch beunruhigend. Immer hat man das Gefühl, dass die Handlung unweigerlich auf eine Katastrophe zusteuert. Am Schluss, wenn die Katastrophe dann eingetreten ist, wird die Erwartungshaltung des Hörers sowohl bestätigt als auch enttäuscht und man bleibt verstört zurück. Marianne Borbach als Ich-Erzählerin lotet gekonnt die Tiefen der nicht ganz wahnsinnigen, aber auch nicht ganz normalen Protagonistin aus. Manchmal klingt sie gelangweilt, manchmal resigniert, manchmal überschlägt sich ihre Stimme. Einfach ein echter Ohrenschmaus!

Die letzte Geschichte im Bunde ist „Die graue Madonna“ („The grey Madonna“, 1995) von Graham Masterton. Eine Frau wird ermordet aufgefunden und ihr Mann ist am Boden zerstört. Es finden sich weder ein Mörder noch ein Motiv. Die Polizei hat nichts weiter als einen Zeugen, der gesehen haben will, wie die Frau kurz vor ihrem Tod mit einer Nonne in grauer Tracht sprach. Nur lässt sich diese Nonne nicht auffinden. Und überhaupt, es gibt gar keine Nonnen in grauem Habit.

„Die graue Madonna“ ist eine Geschichte über Schuld und Selbstzweifel. Sie lebt vom psychologischen Horror, den der Autor verbreitet. Und so bleibt es letztlich dem Hörer überlassen zu entscheiden, ob es sich hier um ein übernatürliches Phänomen handelt oder um einen Mann, der Extremes tut, weil seine Schuldgefühle ihn zerfressen.

Die dritte „Necrophobia“-Anthologie schwächelt zunächst etwas, kann sich dann aber doch noch auf gewohnt hohem Niveau einpendeln. Grusel entsteht diesmal hauptsächlich im Kopf, da wirklich Übernatürliches in den ausgewählten Geschichten eher in der Unterzahl ist. Die Erzählungen psychologisieren oder halten den Finger schmerzhaft auf Wunden unserer Gesellschaft. Nur „Necropolis“ ist eine Gruselgeschichte im klassischen Sinne.

Doch bekanntermaßen kann Horror ja aus den banalsten Situationen entstehen. Und so muss der geneigte Hörer wohl selbst herausfinden, welche der fünf ausgewählten Geschichten ihm den wohligsten Schauer über den Rücken laufen lässt.

|144 Minuten auf 2 CD|
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