Ellery Queen – Willkommen, Mr. Fox

Queen Fuchs Cover Heyne 1990 klein
Das geschieht:

Davy Fox ist ein Kriegsheld, der in seinem Heimatstädtchen Wrightsville von den Bürgern, die ihn seit seiner Geburt kennen, von seiner Familie und von Gattin Linda ungeduldig bzw. sehnsüchtig erwartet wird. Hoch dekoriert aber tief bekümmert kehrt Davy zurück, denn was er auf den Schlachtfeldern des II. Weltkriegs erlebt hat, verstärkte noch sein Nervenleiden: Als Davy zehn Jahre alt war, musste er miterleben, wie die Polizei seinen Vater abführte. Bayard wurde beschuldigt, seine Gattin Jessica vergiftet zu haben. Obwohl er dies abstritt, sprachen die Beweise so eindeutig gegen ihn, dass Bayard 1933 zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt wurde.

Davy glaubt, des Vaters Mörder-Gen geerbt zu haben. Im Krieg hat er sich abreagiert, indem er die bösen Japse scharenweise niedermähte. Nun liegt er in jeder Nacht wach neben Linda im Bett und kämpft gegen den Impuls an, ihr den Hals zuzudrücken. Als er ihm unterliegt, kommt Linda nur knapp mit dem Leben davon. Sie hält zu Davy und glaubt nicht an einen Familienfluch. Stattdessen bittet sie einen alten Freund, den Mordfall Jessica Fox wieder aufzurollen: Ellery Queen, Kriminalschriftsteller und Privatdetektiv, soll Bayards Unschuld beweisen, um damit Davys Komplex ad absurdum zu führen.

Trotz der Aussichtslosigkeit des Unterfangens stimmt Queen zu. Es gelingt ihm sogar, Bayard für die Dauer der Ermittlungen aus dem Gefängnis zu holen: Queen will die Tat in Wrightsville und in dem seit 1933 leer stehenden Fox-Haus detailgetreu rekonstruieren, um Fehler in der Beweisführung zu finden. In der Tat kommt es zu einer Überraschung: 1933 hatte Bayard seinen Bruder Talbot mit Jessica erwischt. Ebenfalls erst jetzt gesteht Emily, Talbots Frau, von der Affäre gewusst zu haben. Weitere Lücken tun sich im Tathergang auf, was Queen ebenso freut wie Sorgen bereitet: Sollte der wahre Täter fürchten, nach vielen Jahren noch ertappt zu werden, müsste er (oder sie) aktiv werden, um mögliche Zeugen zum Schweigen zu bringen – und genauso geschieht es …

Der Kriminalroman wird ungemütlich

Ellery Queen hatte 1945 als Figur eine bemerkenswerte Entwicklung hinter sich: Gestartet war er 1928 als klassischer Gentleman-Detektiv, der sich reich und blasiert dazu herabließ, Verbrechen nicht deshalb aufzuklären, weil die Polizei zu dumm war, sondern weil es ihn interessierte. Die langweiligen Attitüden des realitätsfernen Laffen legte Queen rasch ab. Er verdiente sich seinen Lebensunterhalt selbst (wenn auch als Kriminalschriftsteller), legte mit dem Standesdünkel jegliche Berührungsängste ab und mischte sich unters Volk.

Ende der 1930er Jahre gingen die Vettern Frederic Dannay und Manfred B. Lee, die sich hinter dem Schriftsteller-Pseudonym „Ellery Queen“ verbargen, einen großen Schritt weiter. Hatte das Lösen eines Kriminal-Rätsels bisher eine recht mechanische, auf die Ermittlung als Kunst und Handwerk zentrierte Handlung bedingt, schloss dieser Vorgang nunmehr ausdrücklich das psychologische Element ein: Morde und andere Untaten werden nicht aus heiterem Himmel begangen. Verbrechen haben eine Vorgeschichte, in welcher Menschen und ihre Taten wichtige Rollen spielen.

Der II. Weltkrieg und die damit einhergehenden Umwälzungen machten die Erkenntnis, dass das Böse vor allem im Menschenhirn wurzelt, zum Allgemeingut. Selbst Hollywood konnte sich dem nicht mehr verschließen. Die 1940er Jahre wurden zur großen Zeit des „Crime Noir“, der Krimis der „Schwarzen Serie“, deren Protagonisten nichts Menschliches mehr fremd war.

Kleinstadt-Hölle auf Erden

Der Ellery Queen des Jahres 1945 konnte sich in diesem gewandelten Umfeld gut behaupten. Auch er schreckt nicht mehr vor ‚unangenehmen‘ Wahrheiten zurück, zu denen die Anerkennung eines Phänomens gehörte, das lange „Kriegsneurose“ genannt aber vor allem vom Militär als Lappalie abgetan wurde: Soldaten sollten kämpfen. Wurden sie verwundet, flickte man sie wieder zusammen, damit sie ihren Job fortsetzen konnten. Wer sich dem verweigerte, obwohl ihn weder Beine, Arme oder Augen fehlten, galt als Drückeberger und Schwächling.

Doch gegen den armen Davy Fox fahren Dannay & Lee noch schwerere Geschütze auf. Schon in Friedenszeiten und Kindertagen hat sein Gemüt Schaden genommen. Der eigene Vater hat die Mutter umgebracht. Er wird verhaftet und landet für immer im Gefängnis. Für die Familie gilt er als tot, über Bayard Fox wird nicht gesprochen. Die ‚Schande‘ ist dennoch allgegenwärtig, denn die Familie Fox lebt in Wrightsville, einer Kleinstadt, die nur oberflächlich alle Eigenschaften einer Dorfidylle zeigt.

Faktisch ist Wrightsville eine Brutstätte der unbilligen Neugier, des unterdrückten Hasses und der üblen aber heimlichen Nachrede. Da man eng aufeinander hockt, versucht man, die Bosheiten nicht ausbrechen zu lassen. Stattdessen kocht man sie im eigenen Saft und steigert nur ihre Intensität. Stets steht man unter nachbarlicher Aufsicht, werden Worte und Taten kommentiert. Im Guten und vor allem im Bösen bleibt die Ortschronik lebendig: Nicht einmal tot kann man Wrightsville entkommen.

Verbrechen als Familienerbe?

In diesem Klima wuchs Davy Fox auf – und entwickelte eine eigene Wahnvorstellung: Er glaubt, von einem Mörder-Gen befallen zu sein, das ihm sein Vater vererbte. Die Vorstellung vom Bösen, das quasi wie ein Virus weitergegeben wurde, hatte 1945 schon eine lange Tradition im Kriminalroman. Sie war angenehm logisch, denn obwohl ihr jegliche wissenschaftliche Basis fehlte, ‚erklärte‘ sie, was man nicht verstand und verstehen wollte: Selbst dort, wo Familienstand, Vermögen und Erziehung es doch verhindern sollten, wurden Menschen kriminell. Wo man in früheren Zeiten vielleicht einen Fluch verantwortlich gemacht hätte, konnten nun böswillig den Familienstammbaum heimsuchender Fremdlinge mit „bösem Blut“ haftbar gemacht werden.

Träfe dies zu, wäre Davy Fox verloren. Glücklicherweise glaubt Ellery Queen nicht an Kleinstadt-Psychologie, sondern an harte Fakten. Der Teufel steckt dieses Mal buchstäblich im Detail. Selten sah sich der Detektiv einer so lückenlosen Indizienkette gegenüber wie im Fall Bayard Fox. Jedes Glied nimmt er unter die Lupe – und wird jedes Mal enttäuscht: Die Behörden haben einst gründlich gearbeitet.

Haben sie natürlich nicht, denn sonst fände diese Geschichte ein rasches und trauriges Ende. In der dicht verwobenen Beweisfolge gibt es eben doch Lücken. Sie werden von denen, die mit Queen den Fall neu aufrollen, als Lappalien abgetan. Der erfahrene Rätselkrimi-Leser weiß, dass dem ganz sicher nicht so ist und Queen hier den Strohhalm gefunden hat, mit dessen Hilfe er langsam aber sicher jenes Beweisgebäude niederreißen wird, das Polizei und Justiz vor zwölf Jahren aufwändig errichteten.

Wird er oder wird er nicht?

Die Spannung wird dieses Mal dadurch geschürt, dass nicht nur der Leser Ellery Queen über die Schulter schaut: Ein ganzes Rudel verzweifelter Füchse hängt buchstäblich an seinen Lippen. Vor allem Linda, Davys Gattin, macht aus ihrem Herzen nie eine Mördergrube. Aus heutiger Sicht ist sie sogar kontraproduktiv mit ihrem ständigen Greinen und Händeringen, weil es mit Bayards Rehabilitierung nur schleppend vorangeht.

Hier zeigt sich das Alter dieses Kriminalromans nicht nur nostalgisch, sondern negativ. Welcher Unterhaltungswert wohnt Frauen inne, die primär als Nervensägen agieren? Die Zeitgenossen sahen dies natürlich anders. Mit dem gesellschaftlichen Status ihrer Männer steht und fällt die Position der Fox-Frauen. Sie kennen es nicht anders, weshalb auch die düpierte Emily beim einst untreuen Talbot Fox bleiben wird.

Ellery Queen lässt sich nicht drängeln. Er wird dadurch zum ausgleichenden Element, das der Handlung gut bekommt. Unter der modernen Psychologie kommt immer wieder die altbekannte Frage zum Vorschein: „Whodunit?“ – Wer ist es gewesen. Nicht immer konnten Dannay & Lee den Seifenoper-Gehalt der späteren Queen-Krimis so gut unter Kontrolle halten wie dieses Mal. Mit „Willkommen, Mr. Fox“ ist ihnen eines ihrer Glanzstücke gelungen. Die Spannung steigt bis zum Finale, das wider Erwarten & den gesunden Menschenverstand die scheinbar festgefügte Indizienkette sprengt, damit Queen die Einzelteile in neuer Reihenfolge zusammensetzen kann. Jetzt plötzlich springt dem kunstvoll genas geführten Leser ins Gesicht, wo seine Denkfehler lagen.

Das Tüpfelchen auf diesem I bietet ein Finaltwist, der genau diese Erkenntnissicherheit noch einmal umwirft: Es war alles ganz anders. Solche Tricks gelingen selten bzw. selten so gut wie hier. Kein Wunder, dass nicht nur Literaturkritiker diesen 17. Band der Serie für einen der besten Ellery-Queen-Romane überhaupt halten!

Autoren

Mehr als vier Jahrzehnte umspannt die Karriere der Vettern Frederic Dannay (alias Daniel Nathan, 1905-1982) und Manfred Bennington Lee (alias Manford Lepofsky, 1905-1971), die 1928 im Rahmen eines Wettbewerbs mit „The Roman Hat Mystery“ als Kriminalroman-Autoren debütierten. Dieses war auch das erste Abenteuer des Gentleman-Ermittlers Ellery Queen, dem noch 25 weitere folgen sollten.

Dabei half die Fähigkeit, die Leserschaft mit den damals beliebten, möglichst vertrackten Kriminalplots angenehm zu verwirren. Ein Schlüssel zum Erfolg war aber auch das Pseudonym. Ursprünglich hatten es Dannay und Lee erfunden, weil dies eine Bedingung des besagten Wettbewerbs war. Ohne Absicht hatten sie damit den Stein der Weisen gefunden: Das Publikum verinnerlichte sogleich die scheinbare Identität des ‚realen‘ Schriftstellers Ellery Queen mit dem Amateur-Detektiv Ellery Queen, der sich wiederum seinen Lebensunterhalt als Autor von Kriminalromanen verdient!

In den späteren Jahren verbarg das Markenzeichen Queen zudem, dass hinter den Kulissen zunehmend andere Verfasser tätig wurden. Lee wurde Anfang der 1960er Jahre schwer krank und litt an einer Schreibblockade, Dannay gingen allmählich die Ideen aus, während die Leser nach neuen Abenteuern verlangten. Daher wurden die meisten der neuen Romane unter der mehr oder weniger straffen Aufsicht der Cousins von Ghostwritern geschrieben.

Taschenbuch: 187 Seiten
Originaltitel: The Murderer Is a Fox (New York : Little, Brown and Company 1945)
Übersetzung: Ursula von Wiese
ISBN-13: 978-3-453-03844-8
http://www.heyne-verlag.de

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