Haubold, Frank W. – Wolfszeichen

Die Sammlung „Wolfszeichen“ vereint eine Auswahl der besten unheimlichen Geschichten von Frank W. Haubold, die erstmals zwischen 1999 und 2007 erschienen sind.

_“Der hinter den Reihen geht“_: Morten gelingt die Flucht aus einer Nervenheilanstalt. Draußen angekommen, beobachtet er seltsame Vorgänge – und das verhängnisvolle Trommeln in seinem Kopf setzt wieder ein …

_“Leonora“_: Heiligabend 1849. Der einsame Schriftsteller William Blake sitzt in seiner Bibliothek und schreibt sein düsteres Schicksal nieder, in dem das verstorbene Dienstmädchen Leonora eine große Rolle spielt …

_“A flor dos sonhos“_: Daniel schlendert über einen leeren Jahrmarkt. Überraschend trifft er dort auf den alten Kapitän Jakobsen, der ihn zu einem Würfelspiel einlädt. Für Daniel beginnt eine Reise in seine Vergangenheit …

_“Sieben“_: Die junge Witwe Lisa beschleicht an Halloween ein ungutes Gefühl. Während ihre beiden Kinder Süßigkeiten sammeln gehen, meint sie zu spüren, dass jemand in ihrem Haus herumschleicht …

_“Thors Hammer“_: Deutschland steht am Ende des Zweiten Weltkrieges kurz vor der Einnahme der Alliierten. Standartenführer Roehner plant, das Dritte Reich mit Hilfe des Projektes „Thors Hammer“ unsterblich zu machen. Währenddessen plagen Oberleutnant düstere Träume von riesigen Vögeln und dunklen Reitern …

_“Der Wunderbaum“_: Nach vielen Jahren zieht es den Schriftsteller Gabriel zurück in das Steininger Land. Vor allem an dem alten Forsthaus hängen düstere Erinnerungen, die wieder lebendig werden …

_“Stille Nacht“_: Die kleine Marie erlebt einen alles andere als friedlichen Weihnachtsabend …

_“Die Stadt am Fluß“_: Nach vielen Jahren besucht Robert wieder seine Heimatstadt Meerburg. Während der Fahrt denkt er an seine alten Freunde zurück und vor allem an seine alte Liebe Lara. Sein Weg führt ihn auch zum leer stehenden Haus seiner verstorbenen Großeltern, wo sich seltsame Dinge abspielen …

_“Welcome to the Machine“_: Nach dem Ausbruch einer Seuche müssen sich alle potenziell infizierten Menschen von einer Maschine überprüfen lassen. Fabian hofft inständig, dass er sich als gesund erweist …

_“Rosen für Salvatore“_: Auf Salvatores Hotelzimmer wurde ein Strauß Rosen hinterlassen. Als er erfährt, dass ein kleines Mädchen die Überbringerin war, steigen schreckliche Erinnerungen in ihm auf …

_“Die Stimme des Blutes“_: Christoph, ein großer Anhänger okkulter Literatur, wird von seinem Briefpartner Dr. Thoreald auf dessen Schloss eingeladen. Besonders gespannt ist er auf die Bibliothek, die außergewöhnliche Werke beinhalten soll …

_“Am Ende aller Tage“_: Der alte Bauer Manuel zieht in den Krieg. Vergeblich versucht seine Frau Evita, ihn zurückzuhalten. Sie fürchtet, dass er das „Licht der Verdammten“ sehen könne, das niemanden zurückkehren lässt …

In seiner Sammlung legt Frank W. Haubold zwölf Kurzgeschichten vor, deren Bandbreite von nostalgischem Grusel bis hin zu erschreckenden Zukunftsszenarien reicht.

Mit _“Der hinter den Reihen geht“_ eröffnet der Band sogleich mit einem ersten Höhepunkt. Deutlich orientiert sich der Autor an den postapokalyptischen Szenarien von James Graham Ballard, dem die Geschichte auch gewidmet ist. Obwohl die Hintergründe dem Leser verborgen bleiben, wird man von Beginn an von der düsteren Stimmung gefesselt, deren bedrohliche Wirkung sich im weiteren Verlauf immer mehr zuspitzt. Das vorangestellte Zitat und der Titel _“Leonora“_ verweisen direkt auf Edgar Allan Poes Gedicht „Der Rabe“, in dem ein Unglücklicher über seine verstorbene Geliebte Lenore trauert. Ganz ähnlich gestaltet sich auch hier das Grundgerüst der Hommage. Manche Formulierungen bewegen sich hart an der Grenze zum Kitsch, was aber gerade dem leicht überladenen Stil Poes Tribut zollt. Eindeutig ein Text für nostalgische Leser, der das Flair des 19. Jahrhunderts aufgreift.

_“A flor dos sonhos“_, zu deutsch „Die Blume der Träume“, wurde sicher nicht zu Unrecht 2002 für den Deutschen Phantastik-Preis nominiert. Allein schon der menschenleere Jahrmarkt, von dem wie aus dem Nichts plötzlich Stimmen ertönen, legt den Grundstein für eine unheimliche und unwirkliche Stimmung. Im weiteren Verlauf enthüllen sich dramatische Details aus der Vergangenheit, bis die Erzählung mit einem wehmütig-melancholischen Schluss zu Ende geführt wird. _“Sieben“_ beschreibt eine unheilvolle Halloweennacht, die für mehrere Beteiligte Überraschungen bereithält. Was als Thriller beginnt, der zunächst leicht an den Filmklassiker „Halloween“ erinnert, wechselt bald in eine Horrorhandlung über. Die Pointe ist weder neu noch sehr überraschend, alles in allem ist die Geschichte aber solide inszeniert.

_“Thors Hammer“_ verbindet eine Alternativwelt zur Zeit des Zweiten Weltkriegs mit phantastischen Einschlägen. Eindrücklich wird das Grauen des Krieges demonstriert und trotz der Kürze treffsicher eingefangen, die Pointe setzt dem ohnehin schon düsteren Szenario die Krone auf. Ungewöhnlicher, aber wirkungsvoller Horror. _“Der Wunderbaum“_ ist eine klassische Horrorgeschichte, die einen gemächlichen Einstieg wählt und sich langsam aufbaut. Erst nach und nach erfährt der Leser die Hintergründe, die sich aus Andeutungen puzzleartig zusammensetzen. Dem gegenüber steht ein recht knapper Schluss, der aber nachwirkt.

_“Stille Nacht“_ bildet mit nur zwei Seiten die kürzeste Geschichte des Bandes, besticht dafür aber durch eine umso stärker ausgeprägte Intensität. Der Gegensatz zwischen dem besinnlichen Heiligabend und der bedrohlichen Stimmung in Maries Zuhause entfaltet seine Wirkung, indem er gleichzeitig sowohl Horror als auch Traurigkeit verbreitet. Die brutalen Szenen werden erfreulicherweise nur sanft angedeutet. _“Die Stadt am Fluss“_ erinnert inhaltlich stark an „Der Wunderbaum“, da es sich auch hier um einen Heimkehrer dreht. Davon abgesehen liegt hier eine der stärksten Geschichten des Bandes vor, auch wenn das Ende nicht wirklich überraschen kann. Die mit |Doors|-Songs untermalte Handlung beschwört eine wehmütige Stimmung herauf, die vielleicht keinen Horror, aber intensiven Grusel transportiert.

In _“Welcome to the Machine“_ entführt der Autor den Leser in eine leicht futuristische Welt, in der man den Protagonisten Fabian bei seiner Untersuchung begleitet. Trotz der Kürze entwickelt sich eine dichte, von Angst erfüllte Atmosphäre und die beiläufigen Informationen über diese Gesellschaft genügen, um die Beklemmung der Menschen mitzufühlen. Selbst ohne die passende Pointe eine gelungene Geschichte, die nachdenklich stimmt.

_“Rosen für Salvatore“_ gehört zu den konventionellen Geschichten des Bandes. Die Handlung erinnert ein wenig an „Sieben“, auch aufgrund der Vermischung von kriminalistischem Vordergrund mit Mystik. Nicht die stärkste Geschichte des Bandes, aber routinierte Unterhaltung mit einem kleinen Aha-Effekt am Ende. _“Die Stimme des Blutes“_ führt den Leser auf ein abgelegenes Schloss, in dem sich eine Gesellschaft mit Anhängern des Okkultismus versammelt hat. Schon die Anreise des Protagonisten verspricht drohendes Unheil, der Schauplatz ist düster-romantisch gewählt, während die Handlung gegen Ende in nackten Horror umschlagt. Eine der längeren Geschichten des Bandes, die besonders allen Freunden von typischen Schauererzählungen gefallen wird.

_“Am Ende aller Tage“_ bildet den prägnanten Abschluss des Bandes und entführt erneut in eine apokalyptische Welt. Erst in der zweiten Hälfte erschließt sich dem Leser, warum der Text bereits unter dem Titel „Stille Nacht II“ erschienen ist. Die überraschende Wendung ist zwar nicht mehr wirklich originell, wird aber angenehmerweise mehr angedeutet als erklärt und umschifft somit die Gefahr der Plakativität. Eine ruhige Geschichte mit viel Tragik, die sich somit ideal für den Ausklang eignet.

_Als Fazit_ bleibt eine abwechslungsreiche Phantastik-Kurzgeschichtensammlung, deren Beiträge sich in den Genren Horror und Soft-Science-Fiction bewegen. Zwar überzeugen nicht alle Geschichten in gleichem Maß, aber es ist kein Tiefpunkt zu verzeichnen. Positiv ist zudem, dass man keine SF-Hintergrundkenntnisse als Leser besitzen muss, um allen Erzählungen zu folgen.

_Der Autor_ Frank W. Haubold, Jahrgang 1955, studierte Informatik und Biophysik. Seit 1989 veröffentlicht er in unterschiedlichen Genres. 1997 erschien sein Episodenroman „Am Ufer der Nacht“. Weitere Werke sind u. a. die Geschichtensammlungen „Der Tag des silbernen Tieres“ (mit Eddie M. Angerhuber), „Das Tor der Träume“, „Das Geschenk der Nacht“ und aktuell „Die Schatten des Mars“. Parallel dazu gab er mehrere Anthologien heraus.

http://www.frank-haubold.de/

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