Poul Anderson – Das zerbrochene Schwert. Eine Saga von der letzten Schlacht


Von Helden, Schwertern, Wechselbälgern

Der Menschensohn Skafloc ist gemäß einer alten Prophezeiung als Einziger in der Lage, das legendäre zerbrochene Schwert Tyrfing wieder zusammenzufügen. Und nur er kann die Waffe schwingen, die im Krieg der Elfen gegen die Trolle die Entscheidung bringen soll. Doch die mächtige Waffe ist zugleich sein Schicksal …

„Das zerbrochene Schwert“ ist das bedeutendste Werk des Großmeisters Poul Anderson. Die fesselnde Saga um Elfen, Trolle und alte Götter gilt als das heidnisch-düstere Gegenstück zu Tolkiens „Der Herr der Ringe“. (Verlagsinfo)

Der Autor

Poul Andersons Eltern stammten von eingewanderten Dänen ab. Poul, der vor dem 2. Weltkrieg kurze Zeit in Dänemark lebte, interessierte sich für diese Herkunft so sehr, dass er mehrere Romane an dem Schauplatz Skandinavien zur Zeit der Wikinger spielen ließ, darunter den vorliegenden, aber auch „Krieg der Götter“ und die Trilogie „The Last Viking“ (unübersetzt). Ansonsten ist Anderson für seine zahlreichen Science-Fiction-Romane bekannt, von denen „Brain Wave“ (1954) wohl der innovativste ist.

Der 1926 geborene Physiker, der schon 1947 zu veröffentlichen begann, starb 2001. Er ist Greg Bears Schwiegervater. Seine Werke hier aufzuzählen, würde den Rahmen sprengen, denn allein in der „Encyclopedia of Science Fiction“ ist sein Eintrag nicht weniger als sechs Spalten lang … Er gewann sieben |Hugo Awards| und drei |Nebula Awards|, viermal den |Prometheus Award|, den |Tolkien Memorial Award|, den |August Derleth Award| und 1978 den |Gandalf Grand Master Award| sowie 1997 den |Grand Master Award| der |Science Fiction and Fantasy Writers of America| und 2000 den |John W. Campbell Memorial Award| – mehr und Höheres kann man in diesen Genres fast nicht gewinnen.

Handlung

Es war zu jener Zeit, als die irischen Mönche noch nicht ganz Europa missioniert hatten. Wer über die Hexensicht verfügte, konnte noch Elfenfürsten und Trolle erspähen, ja vielleicht sogar einen riskanten Blick auf die Jötunen, die Eisriesen, und ihre Gegenspieler, die Asen, werfen. Aber nur die wenigsten tapferen Wanderer und Krieger in den neun Welten schafften es nach Jötunheim und Asgard.

Umgekehrt galt dies natürlich nicht, denn Odin, der einäugige Wanderer, besuchte mit der Wilden Jagd häufig die Siedlungen von Menschenwesen, Elfen und Trollen. Und manchmal mischten er und seine Geschwister sich in die Angelegenheiten der Wesen in Midgard, der Mittel-Erde, ein. Dies ist eine solche Geschichte, die Geschichte von Skafloc, Frida und dem verfluchten Götterschwert Tyrfing.

Orm der Starke Ketilssohn

Es war ein Mann namens Orm der Starke, der zog von seinem heimatlichen Jütland in jenen Teil von England, den man Danelaw nannte. Orm nahm sich eine schöne, eigenwillige Frau, um mit ihr einen starken Clan zu gründen, der das Land besiedeln und beherrschen sollte. Das wäre ihm auch fast gelungen, doch Elfen und Götter hatten anderes beschlossen.

Orm war wieder auf einer seiner Beutefahrten, vielleicht nach Gardariki, dem alten Byzanz, als seine Frau Älfrida einen gesunden Knaben gebar. Wegen schlechten Wetters konnte das Kind erst in zwei, drei Tagen getauft werden. In der Zwischenzeit war seine Seele schutzlos. Davon erfuhr eine Hexe, die sich für das, was Orms Krieger ihrer Sippe angetan hatten, rächen wollte. Sie berichtete dem mächtigen und listigen Elfenfürsten Imric davon.

Sogleich fasst Imric einen kühnen Plan. Vor neun Jahrhunderten hatte er die Tochter des Trollkönigs entführt und auf seiner Burg Alfheim eingekerkert. Sie musste ihm noch in der gleichen Sturmnacht einen Wechselbalg gebären. Dieses Kind versah Imric mit Hilfe eines Elfenzaubers mit dem Aussehen von Älfridas Neugeborenem. Das Austauschen war danach nur noch ein Klacks. Ölfrida merkte nichts davon, sie wunderte sich höchstens, dass ihr Baby mit einmal so aggressiv beim Stillen war.

Skafloc und Valgard

Während Älfrida den Wechselbalg auf den Namen Valgard taufen ließ und wie ihren eigenen Sohn aufzog, wuchs das geraubte Kind im Schoße der Elfen auf Alfheim zu einem starken und zaubermächtigen Krieger heran. Imric hatte ihm den Namen Skafloc gegeben und niemals getauft, denn die Elfen müssen die Riten und den Namen des Weißen Christus scheuen.

Zu seinem Namensfeste aber erschien auf Alfheim ein Bote der Asen, der trug ein zerbrochenes Schwert, dessen Name war Tyrfing. Der Bote prophezeite, nach dem Willen der Nornen (Schicksalsgöttinnen) werde Skafloc eines Tages das Schwert brauchen und es schmieden lassen, um es wieder ganz zu machen. Imric beschlich darob ein ungutes Gefühl, denn mit Geschenken der Götter hatte er noch nie gute Erfahrungen gemacht, und er ließ das Schwert in einer Kerkermauer verstecken.

Der Krieg gegen die Trolle

Valgard, der Wechselbalg, ist zu einem geächteten Krieger in Orms Sippe herangewachsen. Nach einem Streit, in dem er mehrere Männer aus Orms Sippe tötet, muss er England verlassen. Beraten von der Waldhexe, die ihre Rache vollzieht, schließt er sich dem Trollkönig an. Illrede ist sehr erbaut von den Ruhmestaten Valgards und er lässt ihn erneut Orms Sippe heimsuchen. Bei diesem Raubzug sterben alle außer drei Frauen: Valgards „Mutter“ und ihre zwei schönen Töchter Frida und Asgerd. Er verschleppt sie nach Trollheim, wo sie ein finsteres Schicksal als Sklavinnen erwartet.

Wenn da nicht Skafloc wäre. Er sieht den Zeitpunkt gekommen, sich als Kriegsführer zu beweisen und die übermütigen Trolle unter Valgard in ihre Schranken zu weisen. Bei seinem Feldzug befreit er Frida, doch Asgerd stirbt im Gefecht. Als Valgard ihm gegenübertritt, sind beide natürlich ziemlich verblüfft: Sie tragen das gleiche Gesicht!

Sklafloc und Frida

Nachdem Skafloc unter schweren Verlusten heimgekehrt ist, rüsten die Trolle zu einem allumfassenden Eroberungskrieg, der nicht nur ihrer Rache dienen soll, sondern auch die Unterwerfung aller Elfenländer Europas bezweckt. Valgard ist der zweite Mann bei diesem Krieg, doch er weiß schon, wie er sich zum Anführer machen kann.

Unterdessen ahnen Skafloc und Imric nur wenig von dem Unheil, das auf sie zukommt. Skafloc hat sich schwer in Frida verliebt und nimmt sie ohne große christliche Zeremonie zu seiner Frau, sehr zum Missfallen seiner Ziehmutter Lia, Imrics Schwester. Er ahnt nicht, dass Frida seine leibliche Schwester ist. Doch andere wissen dies nur zu gut, so etwa Valgard.

Das verfluchte Schwert der Asen

Als Alfheim gefallen und Elfenkönig Imric von den Trollen eingekerkert worden ist, führt Skafloc mit Frida, einer hervorragenden Bogenschützin, einen Guerillakrieg gegen die Besatzer. Doch er sieht das Ende der Elfennationen nahen, und so fasst er einen verzweifelten Plan: In einer Nacht-und-Nebel-Aktion, in Gestalt von Wolf, Adler und Otter, will er das Götterschwert aus der Burg holen und es von den Eisriesen neu schmieden lassen, um damit Elfenland von den Trollen zu befreien.

Frida, die ihn innig liebt, und alle überlebenden Elfen haben ein ungutes Gefühl dabei. Ihm wird geweissagt, dass er durch dieses Schwert umkommen werde. Das ist ihm einerlei, denn wofür lohnt es sich schon, in einer Trollwelt als Elf-Mensch zu leben? Nachdem die schwangere Frida bitter von ihm Abschied genommen hat, segelt Skafloc mit einem der irischen Elfengötter, Mananaan Mac Lir, gen Jötunheim, das im äußersten Norden liegt und streng bewacht wird. Nur sehr wenige sind von dort zurückgekehrt …

Mein Eindruck

Um es vorweg zu sagen: Das Buch liest sich rasend gut. Es ist schnell und schnörkellos. Der Autor hat keine Skrupel, auch tabuisierte Themen wie den Inzest zu beschreiben und in allen Konsequenzen darzustellen. Geschwisterliebe – natürlich stets unwissenderweise – findet sich übrigens auch in Poul Andersons Roman „Hrolf Krakis Saga“, die nur wenige Jahre vor Skaflocs Abenteuern spielt. Es ist schon seltsam, was die heidnischen Nordvölker da umgetrieben hat. Aber vielleicht fanden ihre Poeten, das Thema Inzest rege die männliche Phantasie ihrer Zuhörer ganz besonders an …

Historisch verbürgte Wikinger

Wie auch immer: Bei solchen Themen würde Professor Tolkien als gläubiger Christ im Grabe rotieren. Das heißt aber nicht, dass er die alten Sagas, in denen solche Motive vorkommen, nicht kannte. Im Gegenteil: Sie waren sein Spezialgebiet, als er in Oxford lehrte. Den „Beowulf“ hat er nicht nur kommentiert, sondern, wie man erst vor kurzem herausfand, auch komplett ins moderne Englisch übertragen. Alle genannten Epen spielen um die Zeit von 850-900 n. Chr., wie eine Autorennotiz zu „Hrolf Krakis Saga“ klarmacht. Diese Saga stützt sich auf historische Tatsachen. Beowulfs Gastgeber König Hrothgar gab es wirklich und er taucht in Hrolf Krakis Saga als Hroar auf. Ob es riesige Ungeheuer namens Grendel gab, darf hingegen getrost bezweifelt werden.

Keine braven Elben

Ebenso ins Rotieren geriete Tolkien angesichts der Schilderung der Elfen in „Das zerbrochene Schwert“. Das sind ziemlich machtgierige Typen, die nicht wie die Menschen lieben können, dafür aber ihre Zaubermacht einsetzen, um diverse Siege davonzutragen, so etwa gegen den Erzfeind, die Trolle. Diese Trolle haben mit den Steintrollen im „Hobbit“ ziemlich wenig zu tun. Sie sind zwar auch ganz schön groß, doch Andersons Trolle sind alles andere als Dösköppe, die kleine Hobbits und Zwerge zerquetschen wollen. Diese Trolle sind richtig gefährlich. Und wie die Zwerge leben sie in Höhlen.

Sexy Hexy

Wer nun dachte, dies sei eine Fortsetzung des „Herrn der Ringe“, nur von einem anderen Autor, der befindet sich gewaltig auf dem Holzweg. Wenn schon auf den ersten Seiten der Elfenkönig eine Prinzessin der Trolle vergewaltigt und sie ihm ruckzuck einen Wechselbalg gebiert – und so geschieht es seit 900 Jahren -, so befinden wir uns auf ziemlich heidnischem Territorium. Valgard treibt es mit einer als junge sexy Schönheit verkleideten alten verhutzelten Hexe, und Skafloc treibt es, wie gesagt, gar lustig mit seiner Schwester. Am schlimmsten – und da würde Liv Tyler vor Jammer kreischen – sind die Elfenfrauen. Sie treiben es mit den neuen Herren Elfenlands, den Trollen, doch listigerweise bringen sie einen der Besatzer nach dem anderen um, bis der Tag der Befreiung gekommen ist.

Noch ein Siegfried?

Deswegen ist Skafloc aber keineswegs ein hirnloser Schlächter. Weder ist er so lieblos und machtgierig wie seine Zieheltern, noch so schwach und täuschbar wie die Menschen, seine wahre Spezies. Auch ist er – zumindest später – kein blonder Haudrauf wie sein berühmterer Vetter Siegfried, der in den alten Sagas noch Sigurd heißt. Als er herausfinden muss, wo er das Dämonenschwert Tyrfing reparieren lassen kann, befragt er die Toten. Das tut man nicht ungestraft.

Prompt erhält er eine Antwort, die er ganz und gar nicht hören wollte: dass Frida von seinem eigenen Fleisch und Blut sei. Kurz darauf ziehen Frida und Skafloc die traurigen Konsequenzen. Doch zuvor ergehen sich beide in langen Beteuerungen der Liebe und erklären einander ihre Stimmung und warum sie sich trennen müssen. Es ist klar, dass Skaflocs Schicksal nicht ein langes Leben, sondern eine nur kurz brennende Supernova sein wird. Die Reparatur des Dämonenschwerts besiegelt sein Schicksal über kurz oder lang, und er weiß es. Doch wie der Obergott Odin Frida kurz vor dem Finale erklärt, kann Skafloc durch Fridas Liebe gerettet werden. Es gibt also Erlösung in diesem düsteren Universum aus neun Welten.

Es wird gestabreimt

Es gibt auch Schönheit. Ich habe selten so wunderbare Gedichte gelesen, die in Stabreimen abgefasst sind. Selbst noch in der Übersetzung wirken sie frisch, kraftvoll und zaubermächtig – denn Wörter sind in den Sagas immer Magie, ebenso wie Runen. Mein großes Lob gilt daher der viel zu früh verstorbenen Übersetzerin Rosemarie Hundertmarck. Vergleicht man die Stabreime, so haben sie nichts mit Tolkiens Poesie im „Herrn der Ringe“ zu tun, sondern viel mehr mit den alten Epen wie etwa dem berühmten „Beowulf“.

Das Telefonbuch der Elfen?

Ein Problem hatte ich lediglich mit der Fülle der Figuren. Das kann leicht zum Eindruck einer Art Telefonbuch wie das „Silmarillion“ führen. Kai Meyers Vowort, das schön persönlich gehalten ist, weist direkt auf diese Parallele hin – aber so lief das eben in den alten Sagas. Wer schlechtes Blut hatte, war eben verflucht. – Doch wer genau aufpasst, merkt, dass die Zahl der Figuren auch rapide wieder abnimmt: durch unnatürliche Selektion …

Unterm Strich

Man merkt dem jetzigen Text, wie er 1971 überarbeitet wurde, immer noch die ungestüme Frische und Kraft seiner Entstehung im Jahr 1954 an, als der Autor gerade mal 28 Lenze zählte. Okay, der Aufbau der Story ist nicht besonders ausgefeilt, aber das macht gerade den Reiz aus. Weder ist Skafloc, der große Held, ein düsterer Haudrauf à la Conan, noch ein edler Held à la Siegfried, sondern eben ein Wechselbalg: nicht ganz Mensch, aber auch nicht ganz Elf.

Der Stoff von Skaflocs Schicksal bietet Gelegenheit zu großem Drama, das ist schon klar, aber die Tragödie wird nicht wie bei den alten Griechen so ausgeschlachtet, dass es aussieht, als handle es sich um ein Gottesurteil, was Skafloc da ereilt. Nein, er ist seines Schicksals Schmied – aber leider nur teilweise. Und das wird sein Verhängnis. Weil er fehlbar und menschlich ist, können wir mit ihm fühlen. Wäre das nicht so, ließe uns sein Drama kalt. So aber erringt er mit seiner größten Tat, der Vertreibung der Trolle, eine Statur, die jedem Helden der Menschen, der jemals in einem Lied verewigt wurde, zukommt: dem Retter des Volkes, dem Verteidiger der Zukunft.

Wie der Autor diese Story aufgezogen hat, ist schon sehr wirkungsvoll, und ich frage mich, woher er wohl diesen genialen Stoff hat. Wird wohl mal wieder Zeit, die alten Eddas – die jüngere und die ältere, die Völuspa – zu wälzen.

Taschenbuch: 303 Seiten
Originaltitel: The broken sword, 1954/1971
Aus dem US-Englischen übersetzt von Rosemarie Hundertmarck, mit einem Vorwort von Kai Meyer.
ISBN-13: 978-3492285490

www.piper.de

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