Robert A. Heinlein – Fremder in einer fremden Welt

Dieser Roman erschien 1961 das erste Mal in den USA und löste eine Welle verschiedenster Reaktionen aus – die ganze Palette von emphatischer Zustimmung bis hin zu empörter Ablehnung. „Stranger in a strange world“ war einer der programmatischen Romane der Sechzigerjahre. Vor allem die Hippie-Bewegung las Heinleins Worte mit Begeisterung und Charles Manson fühlte sich durch den Roman inspiriert.
Dabei gilt Heinlein allgemein als „Rechter“, als eine Mischung aus Aristokrat, Militarist, Anarchist und typisch amerikanischer Selfmade-Man-Attitüde. Irgendwie scheint es da kein Wunder, dass ein Kater im Roman Friedrich Wilhelm Nietzsche heißt.


Das Buch konnte damals aus finanziellen und auch zeitgeistorientierten Gründen nicht in der vollständigen Fassung erscheinen. Heinlein musste seine Geschichte um ein Viertel zusammenkürzen. Von seiner Frau aus dem Nachlass herausgegeben, liegt hier das erste Mal in deutscher Sprache die vollständige Version des Romans vor.

Der Hauptheld ist Valentin Michael Smith, kurz Mike genannt – das Kind einer illegitimen Beziehung zwischen zwei Besatzungsmitgliedern einer auf dem Mars verschollenen Forschungsgruppe. Der Mars wird von einer uralten, mit übermenschlichen Kräften begabten Rasse bewohnt. Sie ziehen das Kind als Marsianer auf und senden es mit einer weiteren menschlichen Expedition als Beobachter auf die Erde. Dort wird Mike schnellstens von der planetenumspannenden Regierung in ein Krankenhaus weggesperrt, denn nach menschlichem Recht ist Mike nicht nur Erbe eines umfangreichen Vermögens, sondern auch noch der Besitzer des Planeten Mars. Aber es finden sich ein mutiger Journalist und eine Krankenschwester, die den ahnungslosen Mike befreien. Auf dem Anwesen des durch seinen schnoddrigen Witz ausgezeichneten Schriftstellers und „Parasiten“ von eigenen Gnaden, Dr. Jubal E. Harshaw, findet Mike sich selbst und zu seinem Schicksal – denn im Grunde ist er den Menschen weit überlegen.

Schon die juristische Fiktion, dass jemand einen bewohnten Planeten besitzen kann, wird mit viel bösem Humor bis ins kleinste Detail hinein geschildert. Spätestens hier merkt man, worauf man sich mit diesem Roman eingelassen hat – auf die Weltsicht des Robert A. Heinlein. Und in dieser Weltsicht gibt es kein Mitleid mit Bürokraten und Befehlsempfängern – die müssen eben leiden. Einerseits wird der Roman durch eine spannende äußere Handlung bestimmt, andererseits durch lange, ebenso spannende Gespräche über Religion, Politik, Sexualität, Weltanschauung, ja selbst über solche Themen wie Kannibalismus. Besondere Meisterschaft hat Heinlein in der Ausarbeitung der fremden Kultur der Marsianer bewiesen. Lebendig und glaubwürdig werden die Fähigkeiten Mikes zur Zeitdehnung, Psychokinese und zum „Groken“, einem intensiven durchdringenden Verständnis, bis hin zum schmerzlosen Töten geschildert.

Im Grunde aber geht es in Heinleins Roman um den nächsten Schritt der Menschheit zu einer höheren Bewusstseinsstufe. Mike gründet eine Kirche, in der er seine Fähigkeiten und seine vom gängigen Muster abweichenden Moralvorstellungen, insbesondere der Sexualmoral, vermittelt. Natürlich wird diese Kirche bald ein Dorn im Auge der politischen Kräfte und des Normalbürgers. Heinleins Sympathie steht dabei ganz auf der Seite Mikes. Zeit seines Lebens hegte Heinlein ein tiefes Misstrauen gegenüber dem Massenmenschen – seine Helden sind immer starke, mutige, sich selbst treu bleibende Persönlichkeiten, die sich den Umständen nur soweit anpassen, wie es sich mit ihrer Ehre verträgt. Oftmals kennen sie die Spielregeln ziemlich gut (wie Jubal in unserem Roman) und verwenden sie gegen das System.

Der Roman zählt zu den wichtigsten SF-Romanen überhaupt und ist von einer großen Aktualität. Kritisch nachzumerken bliebt bei der Ausgabe des Bastei-Lübbe-Verlages die für Taschenbuchverlage leider übliche Druckfehlerorgie – im Durchschnitt dürfte auf zehn Seiten mindestens ein Druckfehler kommen. Das hat der Roman nun wirklich nicht verdient.

Taschenbuch: 656 Seiten
www.luebbe.de