John Seymour – Die Lerchen singen so schön. Zukunftsroman

Der Krieg in Suffolk: Selbstversorger vs. Agrarindustrie

England 1990-1994, nach dem totalen Zusammenbruch: Das Vereinigte Königreich ist durch Generalstreik gelähmt. Im folgenden Winter bricht jede Infrastruktur zusammen. Reste von Militär und Agrarindustrie versuchen sich durchzusetzen und versagen, die örtliche Gesellschaft fördert gebildete Handwerker-Landwirte, deren bewaffnete Mehrheit keine Diktatur zulässt. In einem grausamen Guerillakrieg müssen sich die Farmer von ganz Ostengland gegen die marodierende Soldateska durchsetzen – und sich auf den nächsten harten Winter vorbereiten. (Quelle: Wikipedia etc.)

Der Autor

John Seymour (* 12. Juni 1914 in London; † 14. September 2004 in County Wexford, Irland) war ein britischer Farmer und Autor. Durch seine Bücher und Kurse gilt er als Pionier einer modernen Selbstversorgung. Er ist der Autor des Bestsellers „Das große Buch vom Leben auf dem Lande“ (1978).

John Seymour wurde am 12. Juni 1914 in England geboren und verbrachte dort seine Kindheit. Er machte einige Schulwechsel durch und kam schließlich in der Schweiz auf ein Internat. Später begann er auf dem College Agrarwissenschaft zu studieren. Doch er erkannte bald, dass er direkt in der Natur arbeiten wollte, und so zog er nach der Arbeit auf verschiedenen Bauernhöfen mit 20 Jahren nach Afrika, um dort als Farmer zu arbeiten und zu reisen. Unter anderem arbeitete er auch in einem Kupferbergwerk und als Tierarzt im Busch. Im Zweiten Weltkrieg diente er in Nordafrika und Asien.

Nach Kriegsende kehrte John Seymour zunächst nach England zurück. Nach einem Reportage-Auftrag für die BBC in Indien ging er wieder nach Afrika. Nach der Geburt seines zweiten Kindes zog er mit seiner Familie 1957 in eine alte abgelegene Farm (Fachongle Isaf) und begann, ausschließlich von ihren eigenen Erzeugnissen zu leben. Nach einigen Jahren zogen die Seymours nach Wales auf die Farm Fachongle Isaf. Dort schrieb John Seymour seine Bücher, die vor allem in den 70er Jahren sehr erfolgreich waren. 1981 wurde der Hof dem Ehepaar zu groß, sie überließen ihn ihren Kindern und zogen nach Irland, wo er weitere Bücher schrieb.

Der Selbstversorger

In den 1970er Jahren erlangte er durch seine Bücher „Das große Buch vom Leben auf dem Lande“ und „Selbstversorgung aus dem Garten“ große Bekanntheit. Das von ihm propagierte Ideal eines nachhaltigen Lebens sprach vor allem eine zivilisationsmüde Leserschaft in den Industriestaaten an.

In seinen Büchern beschrieb John Seymour in für Laien verständlicher Form, wie man sowohl ein kleines Grundstück oder einen großen Hof so betreibt, dass ein möglichst geschlossener und gesunder natürlicher Kreislauf entsteht. Er vertrat in seinen Büchern Standpunkte der Wiederverwertung und Nachhaltigkeit als Lebensweise mit Verzicht auf Monokulturen oder Überproduktionen einzelner Lebensmittel. Seymour befürwortete Tauschkultur und Kooperation innerhalb der Nachbarschaft für ein stabiles System im Einklang mit der Natur.

„Er war ein Ein-Mann-Aufruhr gegen die Moderne, und seine Abwesenheit werden Millionen von Lesern auf der ganzen Welt spüren.“ Herbert Girardet in: „The Guardian“, am 21. September 2004 (Nachruf)

Hauptwerk: Das große Buch vom Leben auf dem Lande: ein praktisches Handbuch für Realisten und Träumer (Originaltitel: The complete book of self-sufficiency), Otto Maier, Ravensburg 1978, ISBN 3-473-42616-4.

Mehr Info: https://de.wikipedia.org/wiki/John_Seymour

Handlung

England in den 1990er Jahren. Durch jahrzehntelange Misswirtschaft, die zu Lasten sowohl konservativer als auch Labour-Regierungen geht, kommen in Großbritannien Ölimporte und Rohstoffeinfuhren zum Erliegen. Der Generalstreik bringt alle Dinge zum Stillstand, und erste militärische Maßnahmen werden ergriffen. Natürlich beschafft sich das Militär die meisten Ölreserven, um weiterhin mobil bleiben zu können.

Die landwirtschaftlichen Großbetriebe von „London Farming“ haben massive Probleme: Es gibt keinen Dünger mehr, die Nahrung für die Massentierhaltung bleibt aus, und Medikamente sind nicht mehr zu beschaffen. Unter den Tieren brechen Seuchen aus, und es kommt zu Massenschlachtungen. Ein mörderisch kalter Winter versetzt dem ausgelaugten Land den Todesstoß. Millionen Menschen erfrieren oder verhungern. Die Armee verhängt den Ausnahmezustand und erschießt jeden Plünderer. Berge von Leichen landen in riesigen Baugruben, wo sie verbrannt werden. Eine Stadtflucht katastrophalen Ausmaßes setzt ein.

Militärs und Beamte bemühen sich vergeblich, die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung zu sichern, indem sie versuchen, die mechanisierten Großfarmen von „London Farming“ wieder einsatzfähig zu machen. Mit Gewalt und Terror boxen sie ihre „Sachzwänge“ durch und scheuen sich nicht, immer rüdere Methoden anzuwenden – so durch die Internierung Andersdenkender in Konzentrationslagern.

Die Alternativen

Und Andersdenkende gibt es eine ganze Menge, vor allem in Ostengland, wo die Wurzeln zum skandinavischen Mutterland von Dänen und Wikingern tief reichen. In der Grafschaft Suffolk, das zwischen Norfolk und East Anglia liegt, hat sich die entschlossene Widerstandsgruppe um Bob Hurlock gebildet, der früher ein Hauptmann in der Armee war. Sie wollen nicht in die alten Fehler verfallen und eine natürliche Lebensweise, unabhängig vom Öl, fortsetzen und verbreiten, wonach jedermann sein Stück Land bestellt, einen Handwerksberuf erlernt und sich in Bildung und Pflege des alten Kulturgutes übt. Weil Hurlocks Land auf einer Landinsel zwischen zwei Flüssen liegt, kann er den Zugang dazu sowohl bewachen als auch sperren. Doch als er enteignet wird, ist genau das sein Problem: Er kann auch leicht eingesperrt und festgesetzt werden…

Der Widerstand

Clifford Brown ist der einzige verbliebene Leiter von „London Farming“ in Suffolk. Sein Vieh ist ihm verreckt, die Wintervorräte verfault, das Öl bleibt aus. Mit Neid und Missgunst blickt er auf die quicklebendigen Schweine auf Bob Hurlocks Bauernhof Cragpit Farm. Doch er weiß sich zu helfen: Indem er der Militärverwaltung weismacht, diese Schweine (und alles, was sonst noch essbar ist) sei lebenswichtig für die Zukunft der Wirtschaft (und der Soldaten), lässt er Soldaten aufmarschieren, um die Schweine etc. zu requirieren. Doch Hurlock überlistet ihn. Während sich Brown drinnen im Vorgefühl des Triumphes sonnt, fallen plötzlich zahlreiche Schüsse! Brown eilt hinaus und erkennt mit Entsetzen, was Hurlock getan hat: Jedes einzelne Schwein hat er lieber eigenhändig abgeknallt als es den „Idioten“ von „London Farming“ zu überlassen.

Der Krieg

Bevor die Revolutionäre von Ost-England ihr Ziel der Selbstbestimmtheit in einer naturnahen Landwirtschaft erreichen, gilt es, einen schmutzigen Guerillakrieg gegen die plündernde, vergewaltigende und mordende Soldateska auszutragen. Denn die Frauen und Mädchen sind nirgendwo mehr sicher. Viele von ihnen werden ins Armeehauptquartier in Willingham verschleppt, wo sie als Sexsklavinnen arbeiten müssen. Reguläre Soldaten sind das nicht mehr, sonst organisierte Marodeure. Hurlocks Getreuen und die Verbündeten aus Lincolnshire etc. dezimieren diese Verbrecher in einem nervenaufreibenden und verlustreichen Guerillakrieg. Immer wieder sucht Hurlock seine verschleppte Familie, die für tot gehalten wird. Schließlich kommt es zu einem erbarmungslosen letzten Gefecht, in dem es für Bob Hurlock um Leben oder Tod geht…

Mein Eindruck

Diese Geschichte hat zahlreiche Erzähler. Fast jedes Kapitel hat einen anderen: Bob und Jessie Hurlock sprechen standardmäßiges Englisch, doch Dike Randle ist ein alteingesessener Bauer ohne viel Bildung: Er spricht breiten Dialekt, der aber dennoch verständlich ist – aufgezeichnet von Eliza Keeble. Dialektbezeichnungen werden in Fußnoten erklärt.

Eine weitere Hauptfigur neben Hurlock ist der Schaluppenkapitän Mike Miller, der besonders im letzten Drittel eine zentrale Rolle spielt. Militärs wie Oberst John Nightingale steuern gruselige Szenen aus Birmingham bei, das unter Kriegsrecht gestellt worden ist, um Plünderungen usw. zu unterbinden. Im Gegensatz zu gewissen anderen, vom Manager Brown bezahlten Militärs, ist Nightingale ein regulärer, erfahrener Soldat. Der Autor weiß durchaus zwischen guten, pflicht- und ehrbewussten Soldaten und Marodeuren zu unterscheiden.

Ziemlich schnell spitzt sich die Ernährungs- und Versorgungskrise zu, bis es zu ersten Kampfhandlungen von Hurlocks Guerilla kommt – völlig zu Recht, nämlich aus Notwehr. Das sorgt wider Erwarten für jede Menge paramilitärische Action. Zudem wird schon früh ein Spannungsbogen aufgebaut, der den Leser das ganze Buch über bei der Stange hält: Hurlocks Frau Jessie soll in einer ehemaligen Sägemühle, die sie zu einem Obdachlosen- und Flüchtlingsheim umgestaltet hatte, erschossen worden sein. Weshalb und warum – das herauszufinden ist fortan auch die Aufgabe ihres Mannes. Der Autor macht kein großes Aufhebens davon, dass Hurlock des Rätsels Lösung endlich findet, aber es ist ein bewegender Moment.

Gründe für den Zusammenbruch

Man sieht also, dass die spezielle Philosophie des Autors nicht im Vordergrund steht: Hier wird nicht gepredigt, sondern gezeigt und demonstriert. Insbesondere wird das uns vertraute System der Massenproduktion von Pflanzen und Fleisch, das „London Farming“ vertritt, dem Selbstversorgersystem der Hurlocks gegenübergestellt. Dreimal darf man raten, welches System gewinnt. Aber es sind vor allem die Gründe für das Scheitern der Massenproduktion, die auch heute noch so interessant sind wie vor 40 Jahren. Und sie sind keineswegs so offensichtlich, wie man erwartet.

Erstens: Nach dem Ausbleiben der Lieferungen von Kohle, Öl und Gas durch den Generalstreik fallen die Generatoren für den Betrieb von Heizung, Wasser- und Melkpumpen aus. Tiere frieren, erkranken, werden nicht gemolken, Futter wird nicht automatisch transportiert.

Zweitens: Die Ernte wird mangels Treibstoff nicht eingefahren. Oder viel zu früh von Hurlocks Feldern geraubt. Der Ertrag verfault, weil er nicht getrocknet und behandelt wird.

Drittens: Die meisten Medikamente werden aus Erdölprodukten hergestellt. Mangels Erdöl und funktionierenden Raffinerien werden keine produziert. Die nicht geimpften und fortwährend mit Antibiotika behandelten Tiere erkranken an unzähligen Seuchen – Schweine, Rinder, Hühner sterben zu zehntausenden in ihren Massentierhaltungsställen. Hurlock verhindert den Nachschub an resistenten Schweinen, indem er seine erschießt.

Viertens: Der Frachttransport mit Segelschiffen wird völlig unterschätzt, so dass Mick Miller Mühe hat, einen Tauschhandel an der Ostküste aufzuziehen. Millers Schiff erweist sich als lebenswichtig für Hurlocks Subsistenzwirtschaft, den Transport und den Informationsaustausch. Er wird von den Stadtleuten völlig missachtet.

Schwächen

Die Entscheidungsschlacht bildet nicht den Schluss der Geschichte, sondern liegt am Ende des dritten Viertels. Das letzte Viertel bindet lose Enden ab und fasst zusammen, dass Hurlocks Seite durch eine neue (alte) Form der Selbstregierung das nunmehr herrschaftslose Land verwaltet und gerecht verteilt. Das ist sozusagen das eigentliche Utopia, das der Autor hier entwirft. Spannung gibt es nicht, aber für die zahlreichen Anhänger Seymours ist es eine Offenbarung, wie er sich die Verwaltungsebene für die Bauernrepublik vorgestellt hat.

Die Guerilleros aus Lincolnshire und Nottingham erinnern den Lesern sofort an die Rebellen aus dem Sherwood Forest. Doch nicht Robin Hood und seine fröhlichen Gesellen leistet hier den zur legende stilisierten Widerstand, sondern einige recht verschrobene Gestalten, die nicht einmal detailgetreue Landkarten besitzen. Auch hier wird die Erwartung des Lesers unterlaufen.

Die Übersetzung

Hinweis

Weil in einigen Kapiteln die Protagonisten Suffolk-Dialekt ((https://de.wikipedia.org/wiki/Suffolk)) sprechen, wurde der Roman als für britische Leser unverständlich nicht im Original veröffentlicht. Die Übersetzung durch Irene Holicki soll problematisch gewesen sein, schreibt die Wikipedia. Wenn man die einzelnen Kapitel, die in Dialekt abgefasst sind, liest, muss man dennoch den Hut vor Holickis Leistung ziehen. Dialektbezeichnungen werden in Fußnoten erklärt. Die Anzahl der Druckfehler hält sich in Grenzen.

S. 67: „Es kamen keine[r] Tanker mehr aus dem Norden.“ Das R ist überflüssig.

S. 67: „mona[n]telang“. Das N ist überflüssig.

S. 95: „das wir die Überlegung unserer Bewacher…“ Statt „wir“ sollte es „war“ heißen, um dem Satz Sinn zu geben.

S. 115: „Hohlla[n]dungsgranate“: Das N ist überflüssig. (Wenn es um Waffen und Munition geht, weiß der Autor aus eigener Erfahrung (s.o.) genau, wovon er schreibt.)

S. 148: „Ich entsch[l]oß, mich zu schießen…“ Das L fehlt.

S. 149: „Die Bazooka brüll[t]e auf…“ Das T fehlt.

S. 224: „Für all dies sollten wir… bezahl[t]en.“ Das T ist überflüssig.

S. 254: „Wieviel von der Dichtung (…) wir[d] ein Jahrzehnt überleben?“ Das D fehlt.

S. 256: „abends eine Kuh[e] zu melken…“ Das E ist überflüssig.

Unterm Strich

Man sollte sich keinesfalls von dem düsteren deutschen Titelbild abschrecken lassen. Es zeigt eine abgebrochene Autobahn, die vor herabgefallenen Stromleitungen im Nichts endet. Andererseits wäre ein grünes Cover zu klischeehaft gewesen, denn das Buch soll offenbar nicht nur Öko-Freaks ansprechen, sondern auch Preppers, die sich auf das Ende Zivilisation vorbereiten (und die sich hierzulande gerne bei den Waffenlagern der Bundeswehr bedienen).

Der Titel geht nicht auf idyllische Romantik zurück, sondern zitiert die Erkennungsmelodie der Guerilleros von Suffolk. Der Titel spricht also direkt die Bodenständigkeit einer bestimmten Region an, stellvertretend für das kleinteilige, regionale Denken in Seymours Philosophie der Selbstversorgung. Das entsprechende Lied „The Larks they sang melodious“ stiftet zudem Identität, was für bodenständige Bauern ein ganz wichtiger Faktor ist. Wo Stadtmenschen längst gesichtslos und anonym geworden sind, zählt auf dem Lande jeder Einzelne, natürlich besonders nach dem Zusammenbruch der Massengesellschaft.

Drei Viertel des Romans sind wirklich spannend zu lesen, und ich verschlang das Buch in wenigen Tagen. Hier wird nicht gepredigt oder behauptet, sondern gezeigt und demonstriert. Wieder einmal erweist sich, dass die britischen Autoren seit Mitte des 19. Jahrhunderts („The Battle of Dorking“, „War of the Worlds“, „Der Krake erwacht“ und viele mehr) ein gutes Händchen für Katastrophengeschichten haben. Vielleicht, weil das gute alte Britannien seit keltischen und römischen Zeiten mehrfach das Objekt von Invasionen gewesen ist, die das alte System hinwegfegten. Doch das Volk überlebte, insbesondere der Bauernstand. Und dieser behauptet sich auch diesmal.

Dystopie vs. Utopie

Man mag die Vorhersage zu düster nennen und die Utopie zu strahlend hell, doch dazwischen liegt wohl die Wahrheit – und die ist mit Sach- und Detailkenntnis dargelegt. Die Action und der genannte Spannungsbogen sorgen für flotte Lektüre, die Kapitel mit Dike Randles Berichten sorgen für ein Schmunzeln, denn sein „Englisch“ ist fern jeder Korrektheit. Und er reißt sich nicht gerade um die Rolle des Berichterstatters. Romantik ist in dieser Geschichte fehl am Platze, aber Frauen wie Jessie spielen eine wichtige Rolle für Hurlock und seine Freunde.

Gut möglich, dass dieser Roman einen Anreiz bzw. Ansporn liefert, sich mal mit dem Thema Selbstversorgung zu beschäftigen. Wenn selbst der Weltklimarat 2019 empfiehlt, die Fleischproduktion als Hauptfaktor für den CO2-Ausstoß herunterzufahren, dann wird so manchem Leser klar, dass es zusätzlich zu Seymours Gründen für die Selbstversorgung noch einen weiteren wichtigen Grund gibt: den Klimaschutz.

Taschenbuch: 270 Seiten
Originaltitel: The Larks They Sang Melodious, 1982
Originalausgabe aus dem Englischen von Irene Holicki;
ISBN-13: 9783453308138

www.heyne.de

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