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Klaus Peter Walter – Sherlock Holmes und der Werwolf

Der Meisterdetektiv unter dem Skalpell

Wir schreiben das Jahr 1897. Dr. John Watson liest mit Begeisterung den gerade erschienenen Roman „Dracula“ von Bram Stoker. Als wenig später in London eine blutleere Leiche gefunden wird, glaubt Watson an Vampire. Und dann begegnet ihm im Londoner Nebel ein Werwolf. Gemeinsam mit Sherlock Holmes, dem messerscharf deduzierenden Meisterdetektiv aus der Baker Street, begibt sich Watson auf eine phantastische Irrfahrt, die ihn bis in die finsteren Abwasserkanäle Wiens führen soll … (erweiterte Verlagsinfo)

_Der Autor_

Klaus-Peter Walter wurde 1955 in Michelstadt, Odenwald, geboren. Er lebt heute in Bitburg, Eifel. Nach dem Studium der Slawistik, Philosophie und osteuropäischen Geschichte wurde er freier Publizist. Aufgrund einer schweren Infektion mit dem Holmes-Virus widmet er sich seit dem Gymnasium der Kriminalliteratur. Er gibt seit 1993 das Loseblatt-„Lexikon der Kriminalliteratur“ LKL heraus. Er schrieb 1995 „Das James-Bond-Buch“ und war Ko-Autor an „Reclams Krimi-Lexikon“. Er veröffentlichte zahlreiche Kriminalkurzgeschichten, so etwa „Sherlock Holmes und Old Shatterhand“ (2005) und „Der Tote vom Sewer“ (BLITZ-Verlag, 2006).

_Handlung_

|PROLOG|

Dr. Watson, der Chronist des Meisterdetektiv, ist anno 1929 von der Strahlenkrankheit gezeichnet, die er sich bei seinem letzten Abenteuer „Im Reiche des Cthulhu“ zugezogen hat. Holmes hingegen frönt unbeirrt und kerngesund der Bienenzucht, den von der A-Bombe hat er nichts abbekommen.

Im Tresor seiner Bank hat Watson zahlreiche Fallbeschreibungen weggesperrt, die erst 50 Jahre nach seinem Tod veröffentlicht werden sollen. Einen dieser Fälle beschreibt der nun folgende Text aus dem Jahr 1897, bei dem es sich angeblich um eine „Fälschung“ handeln soll …

|Haupthandlung|

Dr. Watson liebt den neuen Roman „Dracula“ von Bram Stoker, was Holmes überhaupt nicht verstehen kann – diese elenden Hirngespinste! Er heftet lieber Zeitungsberichte ab. Aber eine Flut von Klienten bringt die beiden Herren auf eine neue, ziemlich merkwürdige Sache. Erst meldet ein geiziger Apotheker – Holmes hat ihn sofort durchschaut – einen Lykanthropen, also einen Werwolf.

Dann wird die Hand der Mumie von Julia Pastrana gestohlen, der behaartesten Frau aller Zeiten (vgl. das Sherlock-Holmes-Hörspiel „Die Affenfrau“ bei Titania Medien), schließlich verschwindet eine Leiche aus einem walisischen Grab. Hat sich der Verblichene Peter Griffith, der an einer tropischen Hautkrankheit litt, wieder vom Gottesacker gemacht?

Zu guter Letzt erhalten die beiden Herren ein völlig zusammengebackenes Manuskript, das Holmes erst mühselig restaurieren muss, um es lesbar zu machen. Es soll sich als der Schlüssel zu all diesen Vorkommnissen erweisen, doch sie müssen geduldig sein. Im dichten Londoner Nebel macht Watson einen Spaziergang, den der Lieferant des Manuskriptes nutzt, um sich unerkannt an ihn heranzumachen. Man stelle sich Watsons Schrecken vor, als er in ein schwarz bepelztes Gesicht blickt! Der Werwolf sagt, seine Auftraggeberin wolle Mr. Holmes dringend sprechen, doch wo und wann, bleibt unklar, denn der Lykanthrop versteckt sich erneut.

Dass jemand Holmes auf der Spur ist, beweist ein Zwischenfall im Hafen. Aus der Tatsache, dass der Lykanthrop lateinamerikanisches Spanisch sprach, schließt Holmes messerscharf, dass er vielleicht wie Julia Pastrana und ein Brief in der Umgebung des verschwundenen Peter Griffith aus Mexiko kam. Was läge näher, als sich einmal die Schiffe und Lieferungen aus dieser Weltgegend anzusehen?

Doch Holmes kehrt zu Watsons Bestürzung mit blutenden Stellen und einem bunt schimmernden Sammelsurium von Prellungen und Abschürfungen von dieser Expedition zurück. Er wäre im Hafen um ein Haar von zwei kräftigen Seeleuten – eindeutig russischer Herkunft – ins Jenseits befördert worden. Wie sich später zeigt, hatten sie ein buchstäblich „handfestes“ Interesse am Körper des Meisterdetektivs.

Doch die nächsten Ereignisse in London zeigen: Dieser Fall zieht weitere Kreise, als sie sich hätten träumen lassen.

_Mein Eindruck_

Die Spur des Drahtziehers führt nach Wien. Die Hauptstadt des k. u. k. Kaiserreichs wirkt wie ein exotischer Planet: andere Sprache, andere Charaktere, neumodische Erfindungen vs. uralte Traditionen. Der Verdacht kommt auf, dass an einem Ort wie diesem, wo sich ganze Völkerschaften begegnen, einfach alles möglich ist. Und so kommt es auch.

In London und Umgebung scheinen mindestens zwei Werwölfe aufzutreten, und das Dynamische Duo Holmes & Watson kommt ihnen schnell auf die Schliche. Doch der Überfall auf das Domizil des Drahtziehers, der diese Kreaturen in die Welt gesetzt hat, gerät statt zu einem Actionhöhepunkt zu einem Fiasko: Fast alle Beweise werden vernichtet.

Dieser bedauerliche Umstand macht das Manuskript einer gewissen Mariloup Antrennewski aus Mexiko, das Watson in deplorablem Zustand zugespielt worden ist, umso aufschlussreicher und wertvoller. Die Absenderin weiß, dass Watson als Mediziner Verständnis für ihre missliche Lage aufbringen kann: Hypertrichose. Diese Blutkrankheit verursacht eine übermäßige Fellbehaarung des Menschen wie bei einem Tier. Kommen noch Deformationen des Mundes hinzu, sieht der Betroffene aus wie ein Wolfsmann, wie ihn etwa Lon Chaney jr. 1941 in dem gleichnamigen Film verkörperte. Die Legende vom Werwolf findet also eine ganz natürliche Erklärung.

Was aber nichts an den Verbrechen Antrennewskis ändert oder an dem Leid des Hypertrichose-Opfers. Deshalb folgen Holmes und Watson dem Verbrecher nach Wien. Dort zieht der Autor eine weitere Monsterlegende als Vorlage heran, um einen haarsträubenden Plot in Szene zu setzen. Nur so viel sei verraten: Antrennewski leidet selbst unter einer schweren Krankheit und baut als Vermächtnis den „idealen Menschen“ aus Einzelteilen zusammen.

Die Krönung dieser Schöpfung wäre aber nun die Einpflanzung des brillantesten Gehirns des ganzen Planeten. Leider ist dessen ahnungsloser Besitzer überzeugt davon, es noch zu benötigen. Doch diesem Irrtum kann man schnell abhelfen, wie Dr. med. John Hamish Watson schon bald feststellen muss: Er soll das Gehirn seines besten Freundes verpflanzen …

Der Showdown, der unvermeidlich auf diesen Konflikt folgen muss, wird vom Autor genüsslich in die Länge gezogen. Auf die Vorbereitungsphase folgt die Krise, die gleich zwei explosive Folgeszenen hat, eine in einem Stadtpalast, die andere in den Abwasserkanälen von Wien. Ich hatte schon eine weitere Schießerei in den Kanälen à la „Der dritte Mann“ erwartet, als die Verfolgungsjagd wg. Gewitter und Überflutung abgebrochen wird.

Eigentlich schade, dachte ich mir, das hätte noch eine Weile weitergehen können. Schließlich lassen andere Autoren wie etwa Graham Greene und Neil Gaiman ihre Romane ebenfalls weitgehend unter Tage spielen. Aber der Autor wollte wohl nicht in die Gefahr geraten, ein weiteres Klischee zu erfüllen. Denn mit den Legenden um den Werwolf und Frankensteins Ungeheuer hat er bereits zwei Steilvorlagen umgesetzt. Ob ihm dies originell genug gelungen ist, muss jeder Leser selbst beurteilen. Ich fand den Eigenanteil des Autors ausreichend hoch, um ihm Eigenständigkeit bescheinigen zu können.

|Schwächen|

Womit ich mehr Probleme hatte, ist das Beiwerk des Romans. Schon der Prolog aus dem Jahr 1929 ist ganz schön depressiv, was Watson und seine Zukunftsaussichten anbelangt. Was dieser Prolog mit der Haupthandlung, dem „Manuskript der Fälschung“, zu tun hat, wird überhaupt nicht erklärt. Diese Geschichte ist eben nur ein weiterer der „lost cases“ des Meisterdetektivs, die Watson in einem Banktresor verschlossen hat. Das ist akzeptabel, wenn auch wenig befriedigend für den Leser. Der kommt sich ein wenig veräppelt vor, eine „Fälschung“ lesen zu sollen.

Noch dazu nimmt sich diese Fälschung selbst gar nicht ernst. Das heißt, der Autor pfeift auf die Fiktion einer Fälschung – er hat sie ja selbst vorgenommen – und setzt fröhlich eine Fußnote nach der anderen, in denen er seine Mitwirkung mehr oder weniger stolz zugibt, rechtfertigt und belegt. Wäre es bei Belegen für die Realia geblieben, wie etwa Namen, Werke oder Erfindungen, so hätte die Fiktion des Manuskripts funktioniert. Doch der Autor verweist wiederholt auf eigene Werke wie etwa „Sherlock Holmes und das Reich des Cthulhu“.

|Postmodern|

Dass gegen Ende auch noch die Fiktion des James-Bond-Universums – Mycrofts Nachkomme wird einfach zu „M“ hochstilisiert – kreiert wird, setzt der postmodernen Konstruktion die Krone auf. Offensichtlich lässt sich im Holmes-Universum grenzenlos weiterfabulieren, und pfeif auf die Plausibilität!

Andere Autoren machen sich wenigstens die Mühe, ihre Geschichte in die wohlbekannte Biografie des Helden einzubauen (z. B. in „Sh. Holmes und die geheimnisvolle Wand“), doch Walters Watson braucht einfach nur in seinen Tresor zu greifen, um einen weiteren „lost case“ hervorzuzaubern. Das Karnickel aus dem Zylinder lässt schön grüßen.

|Watson|

Ich mag die Figur des Dr. John Hamish Watson sehr, denn sie verleiht der Holmes-Figur durch ihre Genussfreundlichkeit, ihren medizinischen Sachverstand und ihre Kriegserfahrungen aus Afghanistan (heute wieder sehr aktuell) eine Erdenschwere, die dem Freigeist Holmes völlig abgeht. Diesmal aber übertreibt es der Autor Walter mit dem Genuss. Watsons Völlerei (eine der sieben Todsünden der Bibel) ist geradezu abstoßend, gerade in der Caféhausszene vor seiner Entführung.

Man kann aus Höflichkeit zweimal zu Abend essen, okay, aber man muss sich nicht schon wieder am nächsten Tag den Bauch vollschlagen. Über den Umfang selbigen Bauches erfahren wir nichts, aber er dürfte beträchtlich sein und Watson in seinen Aktionen eher behindern als fördern. Das wiederum rückt Watson in die Nähe jener klischeehaften Verfilmungen mit Basil Rathbone und Peter Cushing, in denen er als tumber Hedonist auftritt. Ich finde, dass der Autor Walter seinem Co-Helden damit keinen Gefallen tut.

Auf dem Buchrücken ist übrigens J. J. Preyer als Autor dieses Buches genannt! Ist es also von A bis Z eine Fälschung?

_Unterm Strich_

Und deshalb habe ich den Roman mit gemischten Gefühlen gelesen. Die Ermittlungen gehen flott voran und erhalten durch Mariloups Manuskript eine tiefe, anrührend menschliche Dimension. Auch die Action kommt regelmäßig zu ihrem Recht, besonders in dem lang hinausgezogenen Wiener Finale. Zahlreiche neue Erfindungen jener Zeit um 1900 wie etwa industrielle Kühlung untermauern die historische Erdung des Geschehens.

Dass der Fall zur Entdeckung der vier Blutgruppen beiträgt, ist eine feine Konsequenz (an der Watson maßgeblichen Anteil hat). Blut, soviel wird klar, „ist ein ganz besond’rer Saft“, um mit Goethe zu sprechen. Schon die Lektüre von Bram Stokers Roman „Dracula“, erschienen 1897, schlägt das Generalthema an: Blut kann Segen, aber auch Fluch sein.

Es war die Aufgabe des Autors, die Klischees der Legenden „Dracula“, „Wolfsmann“ und „Frankensteins Ungeheuer“, die er zitiert, mit Leben zu erfüllen. Dieser Aufgabe entledigt er sich recht plausibel und glaubwürdig, auch wenn so mancher Leser schon ahnen dürfte, was als Nächstes kommt. Ich kam mir jedenfalls stellenweise in eine Wundertüte voller UNIVERSAL-Monsterfilme versetzt vor, wie sie zwischen 1931 und 1941 produziert wurden.

Dass der Autor ständig mit Holmes und anderen Klassikern der Kriminalliteratur (s. seine Biografie) zu tun hat, muss kein Nachteil sein, wie die detailreiche Handlung belegt. Doch diese Referenzen ständig in Fußnoten, die auf fast jeder Seite auftauchen, zu erwähnen, wirkt nach einer Weile nicht hilfreich, sondern selbstverliebt. Diese Fußnoten rufen laut: „Schaut her, wie viel ich weiß und was ich alles gelesen habe! Ist das nicht toll?!“ Nein, das ist nicht toll, sondern lenkt den Leser nur von der eigentlichen Geschichte ab. Und es gibt keine effektivere Methode, die eigene Fiktion zu zerstören, als alles darin zu erklären, als handle es sich um ein Lexikon.

Taschenbuch: 272 Seiten inkl. Leseprobe
ISBN-13: 978-3898403382
Blitz

Walter, Klaus-Peter – Sherlock Holmes und Old Shatterhand

_Der Meisterdetektiv und der Wilde Westen_

Neue Geschichten um Sherlock Holmes und Dr. John Watson! Dieses „lost cases“ geben Gewissheit, was bislang lediglich Vermutung war: Holmes begegnete nicht nur dem sarkastischen Theaterkritiker und Dramatiker George Bernard Shaw, sondern auch Buffalo Bill und einem gewissen Karl May aus Dresden. Ja, er traf sogar Menschen, die wir bislang nur aus literarischen Phantasien kannten, darunter Professor Henry Higgins und seine bezaubernde Schülern Eliza Doolittle, besser bekannt aus „My Fair Lady“.

_Der Autor_

Klaus-Peter Walter wurde 1955 in Michelstadt, Odenwald, geboren. Er lebt heute in Bitburg, Eifel. Nach dem Studium der Slawistik, Philosophie und osteuropäischen Geschichte wurde er freier Publizist. Aufgrund einer schweren Infektion mit dem Holmes-Virus widmet er sich seit dem Gymnasium der Kriminalliteratur. Er gibt seit 1993 das Loseblatt-„Lexikon der Kriminalliteratur“ LKL heraus. Er schrieb 1995 „Das James-Bond-Buch“ und war Ko-Autor an „Reclams Krimi-Lexikon“. Er veröffentlichte zahlreiche Kriminalkurzgeschichten, so etwa „Sherlock Holmes und Old Shatterhand“ (2005) und „Der Tote vom Sewer“ (BLITZ-Verlag, 2006).

_Die Erzählungen _

_1) Sherlock Holmes und der stumme Klavierspieler (2009)_

Watsons Freund Dr. Bentringham leitet im Jahr 1900 eine psychiatrische Anstalt und bittet ihn um Rat. Einer seiner Patienten weigere sich zu sprechen und will seinen Namen nicht verraten. Watson bietet diesen Fall seinerseits Holmes an, der begeistert ist. Der fragliche Mann, der sich inzwischen als hervorragender Klavierspieler offenbart hat, wurde in einem Rettungsboot auf der Adria treibend geborgen. Da er auf englische Schiffsbefehle reagierte, übergab man ihn der britischen Botschaft, und so landete er in einem englischen Sanatorium.

Nachdem Holmes sämtliche Kleidungsstücke des Patienten genau untersucht hat, lässt er diesen hereinbitten. Interessanterweise tritt auch Sherlocks Bruder Mycroft, der Chef des Geheimdienstes Ihrer Majestät, ein. Der Patient liefert ein erstklassiges Klavierkonzert ab, das die Zuhörer enthusiastisch zurücklässt.

Dann jedoch spielt Holmes auf seiner Geige eine Phantasie, die der Pianist mit Leichtigkeit begleitet. Nach deren Ende sind alle gerührt, und in diesem Überschwang spricht Holmes den Mann ohne Identität auf Albanisch an – und dieser antwortet ebenso! Nun dauert es nicht mehr, bis der Grund für das Schweigen des Albaners Georghe bekannt wird: Blutrache …

|Mein Eindruck|

Watson und Holmes befinden sich hier auf der Höhe ihrer Zeit, denn sie kennen sogar die kurzlebige Zeitschrift „Albania“, die nur zwischen 1897 und 1902 in London erschien. Wie auch immer: Dem von der Blutrache verfolgten George – er weigerte sich, einen völlig unbekannten Menschen umzubringen und sollte dafür als Verräter selbst sterben – kann geholfen werden. Nicht zuletzt mit Hilfe des Geheimdienstes.

_2) Sherlock Holmes und Old Shatterhand (2005)_

Holmes und Watson erkunden ca. 1904 das schöne Rheintal – allerdings per Eisenbahn, was Watson als viel zu schnell empfindet. Sie machen die Bekanntschaft eines Herrn, der sich als Dr. Karl May vorstellt und gerade aus dem wilden Wilden Westen zurückgekommen sein will, wo er als Old Shatterhand bekannt sei. Er ist baff, als der Schaffner den inkognito reisenden Holmes mit dessen richtigem Namen anspricht: Es habe einen Mord gegeben.

Selbstredend findet sich der Meisterdetektiv dazu bereit, zu helfen. Der Erstochene ist ein Rittmeister, und wenn auch seine Brieftasche verschwunden ist, so ist sein Blut doch noch warm. Der Mörder muss noch ganz in der Nähe sein. Eine Dame mit riesigem Hut will ihn gefunden haben. Doch sie verrät ihren Namen nicht, noch enthüllt sie ihr Gesicht.

Da hilft nur ein Trick. Bei einer Versammlung aller Passagiere der Ersten Klasse behauptet Watson, mit seinem nagelneuen Fotoapparat könne er aufnehmen, was das Auge des Toten als Letztes gesehen habe! Die hanebüchene Flunkerei zeigt sofortige Wirkung, und der Mörder ist schnell geschnappt.

|Mein Eindruck|

Diesmal bekommen der ebenfalls kräftig flunkernde „Reiseschriftsteller“ Karl May – er war nie Doktor noch betrat er jemals amerikanischen Boden – sowie ein gewisser „Silvio Perlusconi“ ihr Fett weg. Dass der italienische Regierungschef in die Pfanne gehauen werden darf, lässt tief blicken. Die kleine Story macht wirklich viel Laune.

_3) Sherlock Holmes und die weiße Frau (2011)_

Mrs Ebenezer Thorndyke hat lange Jahre mit ihrem kürzlichen verstorbenen Mann in China verbracht. Nach dessen Tod ist sie auf das Gut Henstiffle Bow Hall gezogen, habe aber ihrem Ziehsohn Roger und dessen chinesischer Frau Lian den Westflügel überlassen. Seit einigen Tagen werde sie von einem Gespenst schier in den Wahnsinn getrieben – von der Weißen Frau.

Holmes glaubt nicht an Gespenster und lässt sich alles ganz genau erklären, ähnlich wie seinerzeit im Fall des Gefleckten Bandes. Als die alte Lady erzählt, sie wolle am nächsten Tag Roger enterben, weil er ein nichtsnutziger Alkoholiker sei, wirkt Holmes alarmiert. Sie dürfe keinesfalls etwas in ihrem Heim trinken oder essen, bis die Sache aufgeklärt sei, weist er sie kategorisch an. Der Grund für seine Besorgnis sind die Todesfälle von Mrs Thorndyke geliebtem Hund und dem ihrer Schwester Ann. Der Hund wies Spuren innerer Blutungen auf.

Zusammen mit der Lady reisen der Meisterdetektiv und sein Freund zum Landgut, wo sie erst den widerlichen Roger, dessen Frau Lian und seine Geliebte Ai, die Zofe der Hausherrin, vorfinden. Roger Throndyke tut das Gespenst wie zu erwarten als Hirngespinst ab, Lian hat es noch nie gesehen, denn sie hält sich stets in ihrer umfangreichen Bibliothek auf. Da sie abgebundene, verstümmelte Füße hat, kommt sie als flinkes Gespenst sowieso nicht in Frage.

Die beiden Herren verlassen den Landsitz wieder, werden vom Butler Jennings sorgsam zum Bahnhof chauffiert und abgefertigt. Offenbar will Roger sichergehen, dass die potentiellen Störenfriede auch wirklich verschwinden. Doch er soll sich getäuscht haben: Sie steigen an der nächsten Station aus und fahren per Kutsche zum Landgut zurück. Da die Zeit wird für die Übeltäter knapp wird, tun sich dort schon bald alarmierende Dinge …

|Mein Eindruck|

Dieser Fall ist schon mehr das, was man seinerzeit von Arthur Conan Doyle gewohnt war: eine Familiengeschichte, die tödlich zu enden droht, noch dazu eine aufregende Geistererscheinung. Alles findet seine vernünftige Erklärung, doch zwei Figuren werden Holmes‘ abschließende Erklärungen nicht mehr erleben.

Von der chinesischen Wasserfolter wusste ich schon lange, und auch dass in China die Hurenhäuser speziell gekennzeichnet sind – in Japan verhält es sich ähnlich – verwundert nicht. Doch zum ersten Mal erfuhr ich hier vom Schwarzen Theater, bei dem sich die Schauspieler ganz in Schwarz kleiden, um vor schwarzem Hintergrund weiße Masken und andere Hilfsmittel effektvoll zum Einsatz bringen zu können. Einen Kopf unterm Arm tragen? Eine Kleinigkeit, wenn man eine Maske benutzt.

Für den Holmes-Kenner ergibt sich hier auch ein Hinweis, wohin der Detektiv nach seinem vorgetäuschten Tod am Schweizer Wasserfall verschwand: nach China, Tibet usw., wo er auch bald seiner Lieblingstätigkeit nachgehen konnte. Davon würde wir zu gerne mal etwas Näheres erfahren!

_4) Sherlock Holmes und die verschwundene Witwe (2006/07)_

Ende April 1889 sind Holmes und Watson anlässlich der Weltausstellung in Paris. Sie sollen einen Schatz vor dem Gestohlenwerden bewahren. Die Zeitungen haben ihre Ankunft gemeldet. So kommt es, dass sich eine 17-Jährige auf Watson stürzt und ihn ihren Onkel nennt. Sie brauche dringend seine bzw. Mr. Holmes Hilfe!

Elizabeth Harmon-Billings logierte mit ihrer Mutter Margaret im Hotel „Londres“, als ihre Mutter von schweren Bauchkrämpfen befallen wurde. Die Hoteldirektion nahm sich des Falls an und telefonierte heftig, doch Beth verstand nur den Namen Tielrard oder so ähnlich. Man schickte sie zu einem Arzt, doch als sie fünf Stunden später mit der Arznei zurückkehrte, waren ihre Mutter weg und fremde Gäste in ihr Zimmer eingezogen – dessen Einrichtung komplett ersetzt worden war! Was soll man davon nur halten?!

Watson ist von diesem Fall verblüfft, doch Holmes begierig, mehr zu erfahren. Bei „Tielrard“ könnte es sich um Pierre Tirard handeln, und der ist kein anderer als der Premierminister und Leiter der Weltausstellung. In Verkleidung wird Holmes auch hinsichtlich der verschwundenen Einrichtung fündig: Sie wurde im Heizungskeller fast vollständig verbrannt – bis auf ein paar verräterische Überbleibsel.

Als Watson und Holmes in ihre Zimmer zurückkehren, ist auch Beth verschwunden, und die Beweismittel ebenfalls. Was steckt dahinter?

|Mein Eindruck|

Dieser mysteriöse Fall beweist Holmes, dass wirtschaftliche Interessen auch mit ganz handfesten politischen verknüpft sein können – ganz besonders dann, wenn der Premierminister, wie Tirard, auch gleichzeitig der Leiter der Weltausstellung ist. Und wenn Hunderttausende nach Paris pilgern, käme doch eine Epidemie, wie Mrs. Harmon-Billings sie aus Indien eingeschleppt hatte, doch im ungünstigsten Augenblick!

Holmes und Watson sehen sich formlos von Deuxieme Bureau, vermutlich einer Staatspolizei jener Zeit, nach England expediert. Dort hat Mycroft gute Lust, ihnen die Leviten zu lesen. Aber wenigstens ist auch Beth wohlbehalten eingetroffen, bemerkt Watson erleichtert.

_5) Sherlock Holmes und Buffalo Bill (2011)_

Im Jahr 1891 feiert Queen Victoria ihr Goldenes Thronjubiläum. Aus diesem Anlass finden entsprechende Feierlichkeiten statt, und auch Buffalo Bill hat sich mit seiner Wild West Show auf den Weg nach London begeben, um in der Earls Court Arena eine Vorführung von der Queen und dem europäischen Hochadel zu geben.

Doch was führt den Westmann in die Baker Street 221B? An der Seite von Inspektor Lestrade und einem Ko-Direktor der Show bittet William F. Cody, so sein bürgerlicher Name, Holmes um Hilfe bei der Aufklärung eines Mordes: Brannagan, ein Pinkerton-Detektiv, wurde tot aufgefunden, zertrampelt von Codys wertvollstem Bison, dem riesigen Goliath. Jetzt will Scotland Yard seine Show dichtmachen!

Holmes entspricht der Bitte natürlich, aber er schickt zuerst Watson vor, um Beweise zu sammeln und den Tatort in Augenschein zu nehmen. Er selbst will Brannagan ersetzen und als Geiger in der Band der Show mitspielen. Auf diese Weise hofft er, entscheidende Hinweise auf den Mörder zu erhalten. Und das ist auch in der Tat so.

Dr. Watson lernt am Tatort, dem abgesperrten Stall des Goliath-Bullen, die Kunstschützin Annie Oakley kennen. Sie übergibt ihm ein Stück Holz, das sie vor dem Stall auf den Boden gefunden hat. Als Australier erkennt Watson sofort, um was es sich handelt. Er kann dem Drang nicht widerstehen, das Schwirrholz auszuprobieren. Doch leider versetzt der dabei entstehende Ton den Büffel in Raserei, was Cody seinerseits in Wut versetzt. Bei Watson und Lestrade fällt der Groschen: So konnte der Täter also den Bullen leicht dazu bringen, den vielleicht schon betäubten Brannagan totzutrampeln.

Doch leider bleibt es nicht bei einem Toten, und Sherlock Holmes wird um Haaresbreite fast das dritte Opfer …

|Mein Eindruck|

Die Details über die Wild-West-Show des Buffalo Bill sind korrekt wiedergegeben, auch wenn der Autor seinem Erzähler Watson fortwährend widerspricht – quasi augenzwinkernd. Die Stimmung in dem großen Zirkuszelt der Show hingegen ist stimmig eingefangen, und es gibt sogar einen filmreifen Moment, der direkt aus John Fords Western „Stagecoach“ (1939) stammen könnte, wie der Autor in der Fußnote anmerkt.

Natürlich steht die Ermittlung und das Stellen des Täters im Mittelpunkt der Handlung. Aber im Grunde transportiert sie bloß die großartige, bunte Welt der Wildwestshow. Als Arzt kommt hier Dr. Watson zum Einsatz, und er hat es nicht bloß mit Cowboys und Indianern zu tun, sondern auch mit anderen „Raureitern“, nämlich Kosaken und Magyaren. Mit denn Auftritten von Annie Oakley kommt auch das romantische Moment zu seinem Recht. Und es gibt sogar einen erstaunlichen Wechsel des Geschlechts in der Truppe. Der Leser kommt also voll auf seine Kosten.

_6) Sherlock Holmes und das indische Kraut (2005)_

Holmes hat den Fall der Gattenmörderin O’Shaughnessy gelöst. Die in Indien lebende Frau hat zwei Arten von Kräutern verwendet. Mit dem „indischen Kraut“, einer Wahrheitsdroge, erfuhr sie von der Liebschaft ihres Mannes mit einer Einheimischen namens Shmi. Und mit der zweiten Droge, deren Namen Holmes nicht zu kennen behauptet (was wir stark bezweifeln), beförderte sie den Untreuen ins Jenseits. Als Inspektor Lestrade sie festnehmen wollte, nahm sie es selbst und verschied binnen Minuten.

Watson hat sich etwas vom Indischen Kraut mitgenommen und probiert dessen Wirkung an seinem Freund aus. Tatsächlich gesteht dieser zu Watsons Befriedigung, in seiner Jugend ein Mädchen namens Deborah geliebt zu haben. Doch sein Zwillingsbruder, Moriarty Holmes, behandelte sie aufs Schändlichste, woraufhin er, Sherlock, die größte Mühe gehabt habe, seine Unschuld zu beweisen. Watson ist von den Socken: Der „Napoleon des Verbrechens“ – Sherlock Holmes‘ Zwilling? Unfassbar!

Da zwinkert ihn sein Freund verschwörerisch an: Alles nur geflunkert. Denn er hat inzwischen das Indische Kraut, das Watson ins Kaminfeuer geworfen zu haben glaubt, gegen harmlose Ahornblätter ausgetauscht. Was sein Freund vorhatte, das verrieten ihm die Krümel auf dessen Kleidung …

|Mein Eindruck|

Bekanntlich wissen wir reichlich wenig über Holmes‘ Jugend, um nicht zu sagen, gar nichts. Und über seine Beziehung zu Prof. Moriarty, der mit ihm die Reichenbachfälle hinabstürzte, geben lediglich Conan Doyles dürre Worte Auskunft. Höchste Zeit, mehr Licht in diese Lebensbereiche des Meisterdetektivs zu bringen. Auch mit Drogenhilfe!

_7) Sherlock Holmes und der Fall der Fair Lady (2011)_

In der Innenstadt von London werden Holmes und Watson nach einem Konzert von Edgar Elgar von dem Sprachkundler Henry Higgins angesprochen. Was für aufgeblasener Popanz, denkt sich Watson, und doch: wie bemitleidenswert. Denn der auf seine Kunst so stolze Higgins hat seine beste Schülerin, Eliza Doolittle, erst gekränkt und jetzt offenbar an jemand anderen verloren. Nun steht er da wie ein liebeskranker Junggeselle.

Dass die Sache einen ernsteren Hintergrund haben könnte, deutet der Besuch von Higgins‘ Mutter an. Sie engagiert Holmes, um Eliza, die spurlos verschwunden ist, zu suchen. Es könnte ihr etwas zugestoßen sein. Das ehemalige Blumenmädchen stammt zwar aus dem Bodensatz der Gesellschaft, konnte aber nach Higgins‘ sechsmonatiger Sprachausbildung sogar als Gräfin auftreten. Und seitdem sie fort ist, ist Henry eben nicht mehr der Alte.

Na schön, meint Holmes, und zusammen mit Watson begibt er sich in das grauenerregendste Viertel Londons: Lisson Grove mitten im East End. Hier lebt Elizas Vater, ein Müllkutscher, im Souterrain, unter der Fuchtel seiner ebenso trunksüchtigen Frau. Aber was heißt schon „lebt“? Umgeben von Wanzen ächzt und stönt der Alte im Bett. Eine flüchtige Untersuchung Watson liefert erschreckende Diagnose: ansteckende Hirnhautentzündung. Der Mann liegt in den letzten Zügen! Und Eliza könnte er angesteckt haben …

Higgins hatte Eliza in die besseren und besten kreise eingeführt, wo sie Adlige und dergleichen kennenlernte. Der junge Freddy Eynsford-Hill hat sich in sie verliebt. Nun wird er blass, als Holmes andeutet, dass sie möglicherweise nicht mehr lange zu leben hat. Er bittet ihn inständig, sie zu finden. Und er kann ihm sogar einen wertvollen Hinweis auf einen merkwürdigen Mann geben, zu dem sie sich vielleicht geflüchtet hat.

Da bekommt Higgins ein Erpresserschreiben, das er Holmes übergibt. Für das Leben Elizas werden hundert Pfund Sterling verlangt. Nur 100 Pfund für ein Menschenleben? Die Sache erscheint dem Detektiv und seinem Freund zunehmend merkwürdiger. Höchste Zeit, die Baker Street Irregulars einzusetzen. Und da ist er auch schon, der Neuzugang Charles Spence Chaplin. Es dauert nicht lange, bis Holmes genau weiß, dass Eliza Doolittle ein seltsames Spiel treibt …

|Mein Eindruck|

Mit 70 Seiten ist diese Erzählung ebenso lang wie die um Buffalo Bill. Und ebenso wie dort bemüht sich der Autor, durch Anhäufung von bekannten historischen Details, den Eindruck von Realismus zu erwecken. Da ist Edgar Elgar mit seinen brandneuen „Enigma-Variationen“, da taucht George Bernard Shaw persönlich auf und last but not least ein gewisser Henry Higgins mitsamt Fair Lady.

Damit sind alle Hauptfiguren beisammen, um einen Zirkelschluss zu ermöglichen, der die Geschichte perfekt rechtfertigt. Denn erst aus Higgins‘ Schicksal formt Shaw sein Schauspiel „Pygmalion“, welches wiederum die Vorlage zu dem verfilmten Musical „My Fair Lady“ liefert. Und somit hätten wir anhand dieser Novelle das Pre-Prequel zum Musical.

Der ironische Ton, der durch die Scheinexistenzen Higgins und Elizas Mentor Karpathy gerechtfertigt wird, zieht sich als Grundton einer Komödie durchs ganze Stück. Und „Stück“ muss man die Story nennen, wenn dem Autor die Gäule durchgehen: Holmes und Watson treten als kasachische Orientalen auf, stoßen den Borat-Gruß „Jakschémasch!“ aus (offenbar polnisch für „Wie geht es dir?“) und rufen voller Erstaunen „Bunga, Bunga!“ Ein Fall für Professor Perlusconi offenbar. In einer Fußnote erklärt der Autor alias Watson, dieser Bunga!-Ausruf habe der Bloomsbury-Kreis um Virginia Woolf bei einem Streich ausgestoßen, den sie der Royal Navy spielten. Wers glaubt, wird selig.

Auch der Auftritt eines gewissen Charles Spence Chaplin gehört mit zum pseudorealistischen Spiel des Autors mit seinem Leser. Allerdings ist richtig: a) Charlie Chaplin stammte aus England, b) spielte am Gaukler-Theater (daher sein geschickter Auftritt vor Holmes), c) musste sich mit allen möglichen Jobs über Wasser und d) wanderte schließlich nach Hollywood aus.

Abseits dieser Spielereien ist die Handlung allerdings recht dürftig und schwächer als der Plot zur Buffalo-Bill-Geschichte. Dass Holmes die Verkleidung Elizas als augenkranke ungarische Cousine von Karpathy nicht sofort durchschauen, erscheint mir doch recht zweifelhaft. Der Leser wird sie jedoch sofort verdächtigen. Elizas Charakter trägt ebenfalls zur Komödie bei, nämlich indem sie berlinert und dabei kein Blatt vor den Mund nimmt. Man kann sich die Szene auf der Rennbahn von Ascot gut vorstellen, wenn sie einen „ollen Kleppa“ mit Worten anfeuert, die der versammelten High Sociaty die Ohren klingen lassen!

Wo Shaw aus der Higgins-Vorlage eine Klassenkampf-Komödie machte, drechselt der Autor eine Sprach- und Theatercharade, die zwischen Krimi und Farce oszilliert. Das ist zwar stellenweise durchaus amüsant, aber eben auch nur stellenweise, so etwa in den erwähnten Szenen. Der Spagat zwischen den beiden Genres verursachte bei mir jedenfalls Unbehagen.

_8) Sherlock Holmes und der diebische Weihnachtsmann (2007/08)_

Man schreibt das Jahr 1899, und seufzend bemerkt Watson, dass das schöne 19. Jahrhundert sich seinem Ende zuneigt. Die neue Zeit kündigt sich allenthalben mit diesen schrecklich gefährlichen und stinkenden Motorwagen – natürlich mal wieder eine deutsche Erfindung! – an, die in diesem Fall eine Hauptrolle spielen.

Inspektor Lestrade beringt einen jüdischen Diamantenhändler namens Lobkowicz mit, der aus dem polnischen Gdansk stammt. Dieser gibt an, in seinem Laden von einem verkleideten Father Christmas ausgeraubt worden zu sein, mit vorgehaltenem Revolver. Er stopfte die Diamanten in einen großen Sack und eilte von dannen, nicht ohne sich mit einem Gruß auf Polnisch zu verabschieden.

Offenbar fuhr er in einem Motorwagen weg, denn nicht einmal ein Polizist, der ihn auf einem Velociped (einem Fahrrad) verfolgte, konnte ihn einholen. Aber das Wappen auf dem Wagen war eindeutig das von Lord Wulfingham, einem Mitglied des Oberhauses.

Dieser Hinweis und die bekannte Marke des Wagens, ein seltener Lanchester, führen Holmes auf die Spur des diebischen Weihnachtsmannes. Wie Holmes zu sagen pflegt: „Das Spiel hat begonnen!“

|Mein Eindruck|

Die Gesetze der Physik spielen eine elementare Rolle in diesem Fall, in dem es um einen versteckten Sack voller Juwelen geht. So fragt sich Watson an einer Stelle, was ein Netz voller Schwimmkugeln und ein Stapel Salzbriketts in einer Autowerkstatt zu suchen haben. Holmes kann es ihm in seinem Schlussplädoyer gegen den Verbrecher genau erklären – nachdem er Watsons Goldfisch mit Salzwasser gemeuchelt hat.

Deutsche, Polen und englische Adlige spielen ebenfalls eine Rolle, noch mehr aber die Höllenmaschinen der Motorwagen. Von diesen muss Watson, der sie verabscheut, auf Bitten seines Freundes, selbst einen fahren! Diese Erfahrung treibt ihn schier zur Verzweiflung. Doch was tut man nicht alles, um dem Bösen immer und überall das Handwerk zu legen? An Silvester 1899 schmauchen deshalb Holmes und Watson einträchtig eine Pfeife zum Ausgleich. Bis die Glocken das neue Jahrhundert einläuten. Was mag es der Welt wohl Gutes bringen?

_Schwächen im Text_

Der eklatanteste Fehler gleich vorneweg: Auf Seite 183 behauptet der Autor in einer Fußnote, die Figur „Lord Peter Wimsey“ stamme von Agatha Christie. Frechheit! Denn es weiß doch jeder Krimikenner, dass sie von Dorothy L. Sayers erfunden wurde.

Des weiteren störten mich kleine Unsauberkeiten. So wird der bekannte Pferderennenort Ascot ständig „Ascott“ geschrieben. Und einen „Daily Herold“, wie er zweimal auftaucht, kann es in England gar nicht geben, weil der deutsche Begriff „Herold“ dort „herald“ geschrieben wird. Dass auf Seite 233 „das“ statt „dass“ steht, fällt demgegenüber schon gar nicht mehr ins Gewicht.

_Unterm Strich_

Die zwei Novellen und sechs Kurzgeschichten sind von recht unterschiedlicher Qualität. Manche sind superkurz und haben praktisch keine Handlung („Das indische Kraut“), andere wieder stellen schon fast einen ausgewachsenen Kurzroman dar („Buffalo Bill“). Die einen bemühen sich um richtige Dramatik, die anderen wiederum sollen offensichtlich der Erheiterung dienen, so etwa „Fair Lady“.

Immerhin hat sich der Autor bemüht, nicht nur verstreute Storys zu Holmes zu sammeln, sondern hat für diese Ausgabe drei neue Erzählungen verfasst, darunter 140 Seiten in Form der zwei Novellen. Hätte er noch etwas sorgfältig an seinen Texten gefeilt, wäre die Freude ungetrübt gewesen. Der Preis hingegen ist in Ordnung.

Für den Holmes-Kenner und -Sammler sind alle Beiträge durchweg von hohem Interesse: Der Meisterdetektiv bleibt ungetastet und wird nicht etwa als Schürzenjäger oder Steuerhinterzieher, ja, noch nicht mal als koksender Junkie verunglimpft. Recht so! Am Holmes-Denkmal darf nicht gerüttelt werden. Denn dies würde zweifellos das Ende des viktorianischen Abendlandes bedeuten.

|Hardcover: 277 Seiten
ISBN-13: 978-3898403207|
[www.blitz-verlag.de]http://www.blitz-verlag.de

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