Fred Vargas – Die schwarzen Wasser der Seine

Die Französin Fred Vargas gehört wohl zu den bekanntesten Krimiautorinnen Deutschlands. Ihre vergnüglichen Romane um den schrulligen Kommissar Adamsberg, seine skurrilen Fälle und sein versponnenes Umfeld begeistern seit Jahren. Nachdem 2007 bereits „Die dritte Jungfrau“ in Deutschland erschienen ist, veröffentlicht der Aufbau-Verlag zusätzlich einen Band mit drei kurzen Geschichten um Adamsberg, der in Frankreich schon im Jahr 2002 zu haben war.

„Die schwarzen Wasser der Seine“ enthält die drei Geschichten „Salut et liberté“, „Die Nacht der Barbaren“ und „Fünf Francs das Stück“. Alle enthalten recht simple Kriminalfälle, die auch ebenso gelöst werden. In der ersten Geschichte erhält Adamsberg Erpresserbriefe, die aus Zeitungsbuchstaben zusammengesetzt sind und aus denen hervorgeht, dass bereits ein Mord geschehen ist und ein zweiter geplant. Adamsberg findet diese Drohungen und die enthaltenen Beleidigungen seiner Person eher amüsant. Danglard dagegen, sein Kollege, der mit der intuitiven Art seines Vorgesetzten zumeist wenig anfangen kann, stört sich an dem Penner, der diesen Sommer tagein, tagaus vor dem Polizeigebäude auf einer Bank sitzt, zusammen mit einer Stehlampe und einem Kleiderständer, und ihn beim Vorbeilaufen belästigt.

„Die Nacht der Barbaren“ ist Adamsbergs Bezeichnung für Weihnachten, wovon er offensichtlich kein großer Freund ist. Er pflegt die Theorie, dass an Weihnachten mehr Morde passieren, als man denkt, die Toten aufgrund der Feiertage aber erst wesentlich später gefunden werden. Und er behält Recht: Am 27. Dezember findet man die Leiche einer Hotelbesitzerin in der Seine. Angeblich hat sie Selbstmord begangen, aber Adamsberg glaubt nicht daran. Wieso sonst sollte der Leiche ein Schuh fehlen, obwohl der andere aufgrund ihrer drallen Ausmaße sehr fest am Fuß sitzt? Er begibt sich auf Spurensuche und bekommt dabei unerwartete Hilfe von einem Ornithologen, der aufgrund seines Whiskeykonsums in der Ausnüchterungszelle sitzt …

„Fünf Franc das Stück“ handelt von einem auf der Straße lebenden Schwammverkäufer, der den Mord an einer Pelz tragenden Dame aus höchsten Kreisen beobachtet. Obwohl er den Täter beschreiben könnte, weigert er sich zu sprechen, da er verbittert ist, weil niemand die verfaulten Schwämme kauft, die er aus einem verwaisten Container am Hafen geklaut hat. Adamsberg muss zu unkonventionellen Methoden greifen, um den Zeugen zum Reden zu bringen …

Die Geschichten, die „Die schwarzen Wasser der Seine“ vereint, sind zwischen 30 und 70 Seiten lang, recht groß und mit üppigem Zeilenabstand geschrieben. Wirklich viel darf man deshalb nicht erwarten. Auf so wenige Seiten passen keine wunderbar verworrenen Vargas-Handlungen. Vielmehr erzählt die Autorin von kleinen, schnell gelösten Begebenheiten, marginale Ereignisse der Polizeiarbeit. Auf der einen Seite schafft sie es, diese auf leichtfüßige, humorvolle Art darzustellen, auf der anderen Seite fehlt es den Geschichten an Tiefe. Die Fälle werden zu schnell gelöst. Manchmal ist das auch nicht wirklich nachvollziehbar, da auch nur wenig Platz für Adamsbergs Gedanken bleibt. Der eingefleischte Fan von Vargas wird daher eher enttäuscht. Wirklich Neues bietet diese Geschichtensammlung nicht.

Immerhin die Charaktere bleiben die gleichen: herrlich verschroben, wunderbar ausgearbeitet und mit einer guten Portion sehr eigenwilligem Humor gesegnet. Vargas hat mit Adamsberg und seinem Kollegen Danglard echte Originale geschaffen, die aus dem Genre herausstechen wie nur wenige andere. Beide haben sie Biografien und Eigenarten der nicht alltäglichen Sorte und beide sind sehr unterschiedlich, was immer wieder zu belustigenden Schlagabtäuschen führt. Während der ruhige, etwas introvertierte Adamsberg sich zumeist auf seine Intuition verlässt und seine Gedanken selten rational nachvollziehbar sind, ist Danglard nicht nur alleinerziehender Vater von fünf Kindern, sondern auch Anhänger der Logik und damit direkter Gegensatz zu Adamsberg. Die beiden ergeben ein unschlagbares Gespann, das immer wieder für Lacher sorgt.

Vargas‘ Schreibstil verändert sich auch nicht zum Schlechteren – gewohnt locker und humorvoll erzählt sie und würzt ihre Geschichten mit abwegigen Gedanken, die den Leser wahlweise zum Schmunzeln oder sogar zum lauten Auflachen bringen. Bei Vargas ist der Schreibstil nicht bloß Mittel zum Zweck, sondern beinahe eine eigene Hauptfigur. Sie tendiert dazu, auf Eigenarten bestimmter Menschen herumzureiten oder Spitznamen für Personen oder Gegenstände einzuführen und sie dann die ganze Geschichte lang zu benutzen. Sie schafft ein gewisses Insiderwissen, das den Leser involviert, und das ist natürlich eine feine Sache. Wer liest nicht gerne ein Buch, das ihn anscheinend persönlich anspricht?

In der Summe kann Fred Vargas bei den drei Geschichten in „Die schwarzen Wasser der Seine“ vor allem durch die Hauptfiguren und den tollen Schreibstil punkten. Negativ anzumerken sind die Kürze der Geschichten, die es verhindert, dass sich ein wirklich spannender, interessanter Plot entwickelt, und auch ein wenig die Aufmachung. Der große Zeilenabstand und die große Schrift lassen den Verdacht aufkommen, dass die Geschichten gestreckt wurden, um mehr Seiten zu füllen. Wer Vargas noch nicht kennt, der wird mit diesem Geschichtenband ein gutes Einstiegsbuch in die Sucht haben, doch wer die Autorin kennt und liebt, der sei lieber auf ihre Romane verwiesen.

Taschenbuch: 147 Seiten
Auflage: 8 (Oktober 2007)
www.aufbau-verlag.de