Alle Beiträge von Christian Rempel

Meyer, Kai – Geisterseher, Die

_Der Autor_

Kai Meyer ist 1969 geboren, muss sich in kürzester Zeit alles von Bildungswert angelesen haben und hat sich nach erfolgreicher redaktioneller Tätigkeit 1995 entschlossen, Berufsschriftsteller zu werden. Die Geisterseher ist demnach sein Einstiegsroman in die professionelle Zunft und er kann inzwischen auf 50 Titel zurückblicken (mindestens zehn finden sich in unseren Bücherregalen) sowie Übersetzungen in 30 Sprachen. Er ist einer der erfolgreichsten Phantastikautoren und ist überzeugt: „Unsere Phantasie (d. h. Wünsche, Träume, Ziele) beeinflusst unseren Alltag weit mehr als die Entscheidung, welches Auto wir kaufen.“

_Bildungskanon_

Natürlich wissen wir, dass es einen Goethe und einen Schiller gegeben hat und Letzterer früh starb. Grimms Märchen kann man auch getrost zur geläufigen Bildung rechnen und dass auch E. T. A. Hoffmann ein Zeitgenosse war, mag man noch wissen. Nehmen wir noch die Rosenkreuzer und die Illuminaten hinzu, darf sich unsere Bildung immer noch nicht erschöpfen, wenn man sich nicht durch den Autor erst auf die Sprünge helfen lassen möchte. Die Grand Dame von August dem Starken (Gräfin Cosel) müssen wir uns in Töchtern und Töchterstöchtern fortgesetzt denken. Elisabeth von Recke, die gegen Mystizismus ins Feld zog, werden wir nicht unbedingt kennen und auch nur wenige werden noch des Betrügers Graf Cagliostro gewahr sein. Mit all diesen Gestalten, sollten sie einem entfallen sein, kann man in Meyers Roman ein Wiedersehen feiern, es kommen noch einige andere verbürgte dazu und es ist der Fairness des Autors sehr anzurechnen, dass er den Leser mit seinen Bildungslücken nicht allein lässt, sondern in einem eigenhändigen Nachwort klarstellt, was man seiner Bildung wirklich zuschlagen kann und was eben nur mal so ausgedacht ist. In jedem Fall, das kann man mit Sicherheit sagen, wird Ihnen Meyer in dem, was er alles weiß, an Bildung voraus sein.

_Die Gärtnerin wars _

Da Meyer ja aus dem Krimigenre kam, wundert es nicht, dass er die Geschichte nach einem Erfolgsrezept des Krimis ausgehen lässt, das wohl lautet: „Der Gärtner wars.“ es ist hoffentlich nicht zu viel verraten, wenn es diesmal eine weibliche Person war, die quasi aus der Unscheinbarkeit geholt wurde und zum Universaltäter gekürt wird. Schiller sollte in seinen letzten Zügen doch den Geisterseher, sein einziges Romanfragment, vollendet haben. Die Brüder Grimm, die in Wirklichkeit erst später die Bekanntschaft mit Weimar machten, sind als Boten für die wenigen hundert Meter bis zu Goethes Wohnhaus ausersehen. Dieser kurze Weg reicht aber, dass das Manuskript geraubt werden konnte und von da an geht es geografisch ein wenig durch Osteuropa, bildungstechnisch durch die ganze damalige Bildung und okkultes Wissen. Sprachlich können wir uns aber auch in Weimar zu Hause fühlen, wo gleich am Anfang die Sonne Gold ins Pflaster „legiert“. Der Schatz besteht also nicht nur in reichlich Action und Spannung nach dem Vorbild eines Dan Brown, sondern auch in den sprachpoetischen Einfällen des Autors, die bei aller Fragwürdigkeit des Inhalts die Lektüre zu einem Gewinn machen. Die Logik, die sich in Wilhelm Grimms, dem Ich-Erzähler, Bruder Jacob Grimm konzentriert. Wenn die dann ab und an in Gang gesetzt wird, ist man mit der eigenen Logik schon meistens am Ende und kann nur staunen. Trotzdem darf man den Maßstock der Logik nicht zu streng an das Buch legen, sonst fiele einem auf, dass es bereits zu Anfang des Buches eine logische Handlung hätte geben können, die dann das ganze Herumreisen und Morden weitgehend überflüssig gemacht hätte. Die diversen Morde sind ein Kapitel für sich. Es werden einige anatomische Kenntnisse dem Leser abverlangt, aber den Physiker mag zweifeln lassen, ob das Blut eines im Bett Erstochenen einem artesischen Brunnen gleich bis an die Zimmerdecke aufschießen kann. Den Mediziner mag wundern, wie ein Gift in wenigen Stunden zur kompletten Verwachsung von Organen führen kann. Man hat eben einfach zu wenig Erfahrung in solchen Dingen und wir leben zum Glück in einer recht friedlichen Zeit. Da so Morde unserer täglichen Erfahrungswelt einigermaßen entzogen sind, ist es eine Frage, ob man sie dann in der zeitgenössischen Literatur nicht auch entbehren könnte, will man sich nicht wie Wilhelm des Öfteren übergeben müssen.

_Fazit_

Die Geisterseher gelten in Fankreisen als ein schwächerer Meyer, aber die Packungsdichte an Wissenswertem dürfte von anderen Büchern, die mehr Fantasy-Inhalt haben schwerlich zu überbieten sein. Demjenigen, der selbst etwas beschlagen in den Bildungsinhalten ist, und dem demzufolge weniger Spektakuläres geboten werden kann, steht offen, sich immer noch an den sprachlichen Einfällen zu erfreuen. Vielleicht hätte es dem Buch noch besser getan, wenn es nicht ein Dan Brown Pendant hätte sein wollen.

|Paperback, 361 Seiten
ISBN-13: 978-3746625324 |
http://www.aufbau-verlag.de

_Kai Meyer bei |Buchwurm.info|:_
[Interview mit Kai Meyer]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=11
[„Dschinnland“ 5340 (Die Sturmkönige 1, Buchfassung)
[„Dschinnland“ 5635 (Die Sturmkönige; inszenierte Lesung zu Band 1)
[„Wunschkrieg“ 5744 (Die Sturmkönige 2, Buchfassung)
[„Wunschkrieg“ 5641 (Die Stürmkönige; inszenierte Lesung zu Band 2)
[„Die Wellenläufer“ 3247 (Hörbuch)
[„Die Muschelmagier“ 3252 (Hörbuch)
[„Die Wasserweber“ 3273 (Hörbuch)
[„Der Brennende Schatten“ 4506 (Hörspiel)
[„Die Vatikan-Verschwörung“ 3908 (Hörspiel)
[„Frostfeuer“ 2111 (Hörbuch)
[„Die Alchimistin“ 73
[„Das Haus des Daedalus“ 373
[„Der Schattenesser“ 2187
[„Die Fließende Königin“ 409
[„Das Buch von Eden“ 890 (Hörbuch)
[„Das Buch von Eden“ 3145
[„Der Rattenzauber“ 894
[„Faustus“ 3405
[„Seide und Schwert“ 3558 (Das Wolkenvolk 1, Hörbuch)
[„Lanze und Licht“ 4549 (Das Wolkenvolk 2, Hörbuch)
[„Drache und Diamant“ 4574 (Das Wolkenvolk 3, Hörspiel)
[Das Wolkenvolk – Seide und Schwert, Buch 1: „Wisperwind“ 5809 (Graphic Novel)

|Die Alchimistin – Das Hörspiel:|
1) [„Der Stein der Weisen“ 5052
2) [„Das Erbe des Gilgamesch“ 5155
3) [„Die Katakomben von Wien“ 5220
4) [„Das Kloster im Kaukasus“ 5263
5) [„Die Unsterbliche“ 5379
6) [„Die Schwarze Isis“ 5406
7) [„Der Schatz der Templer“ 5427
8) [„Der Alte vom Berge“ 5448

|Die Sieben Siegel|:
01 [„Die Rückkehr des Hexenmeisters“ 6209
02 [„Der schwarze Storch“ 6210
03 [„Die Katakomben des Damiano“ 6211
04 [„Der Dornenmann“ 6212
05 [„Schattenengel“ 6213
06 [„Die Nacht der lebenden Scheuchen“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6580
07 [„Dämonen der Tiefe“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6581
08 [„Teuflisches Halloween“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6582
09 [„Tor zwischen den Welten“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=6583

Vukovic, Predi – Sheela und Marius

_Ambitioniertes_

Auch wenn man der Zielgruppe der 10- bis 12-Jährigen nicht angehört, hat man doch schon mal auf die Computerbildschirme dieser Generation geguckt und als Erstes kann man dort immer einen Charakter auswählen. So bieten die ersten Seiten auch eine solche Bildauswahl an. Da kann man dann entweder Prinzessin oder ihr Koboldfreund sein, Wüstenkönig oder Räuber, und am besten passt noch ins Bild, ein Zauberer mit infernalischen Kräften zu sein. Vukovic gibt an, die Kinder von den Bildschirmen weg in seine Phantasiewelt geholt zu haben, indem er ihnen Gutenachtgeschichten erzählte, die so einschlugen, dass weniger Begabte sie jetzt vorlesen können und auf den gleichen Effekt hoffen.

_Die Story_

Sheela ist eine Prinzessin in einem orientalischen Reich. Natürlich ist sie unsagbar schön und die Erbin eines Reiches, in dem es vorwiegend um Geld und Macht geht. Der Kobold Marius ist ihr einziger Freund, denn bei allen anderen kann sie nicht wissen, ob sie nur wegen ihrer Stellung im Reich gemocht wird. Märchenhaft auch, dass der Kobold Marius nur von ihr wahrgenommen werden kann, aber dennoch eines Tages mir-nichts-dir-nichts verschwindet. Mit Hilfe engelhafter Heerscharen nimmt sie es nun mit einer Reihe von Bösewichtern auf, die ihr auf der abenteuerlichen Suche nach Marius begegnen, in deren Folge sie dann selbst in Gefangenschaft gerät.

Eigentlich geht es immer um Lösegeld, dem zum Schluss ihr eigener Vater nachjagt und sich weniger darum schert, was aus seiner Tochter eigentlich wird. Die verschiedenen kriegerischen und zauberischen Kräfte beharken sich dann so, dass alles letztendlich in einem finalen Inferno endet und eigentlich nur das Pärchen nebst Pferd übrigbleiben. Die Vielfalt der widerstreitenden Kräfte scheint wieder ein bisschen der Computerwelt entlehnt, wo doch auch hinter jeder Ecke einer auftaucht, den es umzunieten gilt.

Auch wie im richtigen Märchen leben die Protagonisten heute noch, während allerdings alles ringsum zu Tode kommt, was in einem Märchen vielleicht nicht ganz so total stattzufinden pflegt.

_Dem gesetzten Leser … _

… ist es vielleicht ein gerüttelt Maß zu viel an Bösewichtern und er verliert leicht die Übersicht. An sprachlichem Appeal ist es einem ein bisschen zu wenig und man hat immer den Eindruck einer bewussten Erschöpfung in einfachster Ausdrucksweise. Ob sich das so einzuprägen versteht, dass es in den Kanon der Märchenwelt aufgenommen würde – das sollte das Urteil der Kinder entscheiden.

|Paperback, 64 Seiten
ISBN-13: 978-3842391611|
http://www.bod.de

Weigand, Sabine – Tore des Himmels, Die

_Lazarettprosa_

Dieses Label hätte vielleicht Altmeister Goethe dem Roman angeheftet, der doch bei den Romantikern eine Lazarettpoesie zu verzeichnen hatte. Die Romantiker teilten die Vorliebe für das Mittelalter, die auch die Sinne der Historikerin und Schriftstellerin Sabine Weigand umschwelen, ohne dass sie deren Verklärung ganz verfällt. Thüringen, das heute als ostdeutsche Provinz quasi Hessen zugeordnet ist, war zu diesen Zeiten nicht nur bis Hessen im Westen ausgedehnt, sondern reichte im Osten auch bis Meißen. In heutigen Zeiten, in denen man einen Inkontinenten glaubt, nur noch mit Latexhandschuhen berühren zu können, ist es schon nicht mehr vorstellbar, dass einer auch nur eine Schwäre küsst. Dass eine in fleischlichen Genüsse erfahrene Frau sich in den Zustand der Keuschheit zurücksehnt, liegt nicht mehr sonderlich nahe, und schließlich heilig zu werden brandmarkt man am sichersten als Psychopathie.

_Die Story_

Als die vierjährige ungarische Prinzessin Elisabeth dem ältesten Sohn des Thüringischen Landgrafen versprochen wird und zum Zweck der späteren Heirat an den Eisenacher Hof entsandt wird, kann sie schon auf die Familientradition dreier Heiliger verweisen, die sie zu ihren Ahnen zählen darf. Als der Bräutigam durch einen Unfall vorzeitig zu Tode kommt, wird sie mit dem verständnisvollen jüngeren Bruder Ludwig verheiratet, der nunmehr den Landgrafenposten nach dem Tode des Vaters innehat. Ludwig lässt seine Frau in dem gottesfürchtigen Tun gewähren und wird durch den Stauferkaiser Friedrich bald zum Kreuzzug gerufen, der in einem Fiasko endet und die einzige Feindberührung, die mit Seuchen und Fieber bleibt, denen der Landgraf zum Opfer fällt. Hier meint Frau Weigand noch eins draufsetzen zu müssen und erfindet ein Mordkomplott des dritten Bruders Heinrich Raspe, der unter der Schmach litt, dass die Regentschaft in der Abwesenheit des jungen Landgrafen regelmäßig nicht an ihn, sondern an die den hergebrachten Herrschaftsgepflogenheiten kritisch gegenüberstehende Elisabeth ging. Als die Nachricht von Ludwigs Tod in der Heimat eintrifft, dauert es auch nicht lange, bis dass Heinrich Raspe die Macht fast vollständig an sich bringt und er Elisabeth aus dem Machtgefüge völlig verdrängt, so dass ihr nur bleibt, bei Marburg einen weiteren Versuch zu unternehmen, ein Hospital zu führen.

_Glaubenstechnisch bewegte Zeit_

Die Zeiten des Multikultikaisers Friedrich II. waren durch grundlegende reformatorische Bewegungen des inzwischen festgefügten und einigermaßen in Saus und Braus lebenden katholischen Kirchenwesens geprägt und gingen auf die Rückkehr zu urchristlichen Werten wie Armut (Franz von Assisi) und Keuschheit (Katharer) aus. Die Ersteren wurden von der herrschenden Kirche vereinnahmt, die andern verfolgt und verbrannt.

Es ist wohl der entscheidende Missgriff einer Historikerin, die Katharer in die Nähe des Luziferischen zu rücken, bei aller Ungewissheit, die diese organisierte Gegenbewegung zur etablierten Kirche umgibt. Vielleicht hätte man den Nimbus des Bösen, der die für einen Roman scheinbar unvermeidlichen Bösewichter umgeben muss, auch unverfänglicher festmachen können.

_Zugeständnisse an die Vorhersehbarkeit_

Indem die Autorin nicht in Elisabeths Haut schlüpft, sondern in die einer fiktiven, modern anmutenden jungen Frau, werden die Motive der Heiligen nur schwer erkennbar. Denjenigen, die es dennoch gern wissen möchten, gibt sie den Ehrgeiz der Elisabeth an die Hand eine Heilige werden zu wollen. Also handele es sich nur um eine höhere Form der Begehrlichkeit, so auch die einhellige Meinung der begeisterten Konsumenten des Romans. Das war es doch, was wir schon immer geahnt haben, dass es sich letztendlich nur um eine Form der Hoffart gehandelt haben kann.

Eines Virus gleich, befällt den Roman diese Vorhersehbarkeit. Psychopathisches Verhalten, wie das der Elisabeth, führt zum Tode und die fiktive Heldin in der Ich-Form, die des Kribbelns bei der Berührung durch den Bösewicht Heinrich nicht widerstehen konnte, findet doch letztendlich ihr Glück in den Armen eines fabelhaften Ritters am Hofe des jeglichen Genüssen aufgeschlossenen Stauferkaisers.

Extremismen, wie sich kulinarische und fleischliche Genüsse zu versagen, sind falscher Ehrgeiz. Jeder, der sich irgendetwas ganz Außergewöhnliches abverlangen möchte, ist ein solcher Psychopath und wir wissen endlich, warum wir im Grunde die heilige Elisabeth doch nicht mögen. Das ist Seichtheit pur, und Seichtheit war es auch schon immer, die gefiel.

|Hardcover, 608 Seiten
ISBN-13: 978-3810526656|
http://www.fischerverlage.de/verlage/fischer_krueger

Jens Bisky – Unser König: Friedrich der Große und seine Zeit

_Der König_

Friedrich II. (1712-1786) erstaunte die europäische Welt zuerst durch seine Jugend als künstlerisch interessierter junger Mann. Als Sohn des Soldatenkönigs, der durch sein sparsames und militantes Regime, das allerdings zu keinem großen Kriege führte, bekam er die Härte von dessen Erziehung zu spüren, so dass er schon mit seinem Freund Katte durchbrennen wollte, was ihm die väterliche Anklage wegen Hochverrats eintrug und er zusehen musste, wie Katte in Küstrin hingerichtet wurde.

Als er dann 1740 selbst an die Macht kommt, wandelt er sich abrupt zum Eroberer, der unter fadenscheinigen Gründen Schlesien annektiert. Im Siebenjährigen Krieg hat er dann einer Übermacht zu widerstehen, die Preußen an den Rand der Katastrophe bringt, denn Preußen liegt als Flickenteppich zwischen den Großmächten Russland, Österreich und Frankreich. Immerhin gelingt es ihm, in Besitz von Schlesien zu bleiben, auch wenn ihn das teuer zu stehen kommt.

Der Alte Fritz, wie man Friedrich den Großen in späteren Jahren vertraulich nannte, bläst dann täglich drei Stunden die Querflöte, verbringt die Tage mit Regieren, Dinieren und Erzählungen der immer wieder gleichen Anekdoten, und die Nächte nicht in den Armen einer Maitresse, sondern an der Seite einer Hündin, seinen Windspielen, von denen er einige Dutzend hielt.

Ab und an regiert er auch mal in die eigene Justiz hinein und bringt schon einmal ein paar Gerichtsmänner hinter Schloss und Riegel, weil sie im Falle des Müllers Arnoldt, dem angeblich das Wasser abgegraben wurde, seiner Meinung nach falsch entschieden haben. Das rückt erst sein Nachfolger Friedrich Wilhelm II. wieder gerade, der aber nicht nur das Maitressenwesen wieder einführte, sondern auch die Friederizianische Gedankenfreiheit wieder zurückdrehte.

_Das Buch_

Der Autor Jens Bisky hat ein Gespür für aktuelle Stoffe. Hat er zum 200. Todestag Kleists eine Biographie herausgebracht, so lässt er den 300. Geburtstag Friedrichs ebenfalls nicht aus. Jugend, Glanz, Krieg und Alter heißen die vier Bestandteile seines Kleeblatts, das er uns offeriert, und jeden Abschnitt durch einen eigenen Text einleitet. Dass Bisky, wie schon bei Kleist, auch für Friedrich kein inniges Verhältnis findet, kann man nachempfinden, denn er war eben ein Monarch, der, auch wenn er uns die Kartoffel als Feldfrucht geschenkt hat, immer eine gewisse Distanz verlangt. Zwei Drittel des Buches sind allerdings Originaldokumente, die recht bunt sind und auf bequeme Weise aus der überschaubaren Arbeit ein umfängliches Werk machen.

_Fazit_

Bisky bringt die reichhaltigen Quellen zu Friedrich dem Großen in überschaubarem Umfang in unsere Bücherregale. Die Aktualität findet er vor allem darin, dass sich der König als „erster Diener“ seines Staates ansah. Diese Pflichttreue, obgleich er vielleicht lieber Musiker und Schöngeist hatte sein wollen, hält zum Muster heutiger Politiker her. Wiederentdeckt wurde diese Tugend schon zu DDR-Zeiten, als man das Rauchsche Reiterdenkmal wieder unter die Linden brachte, aber auch heute ist noch kein Ende in der Faszination erkennbar, stattdessen vielleicht sogar die Sehnsucht nach einem guten König.

|Hardcover, 400 Seiten
ISBN-13: 978-3871347214|
[www.rowohlt.de]http://www.rowohlt.de

Tolstoi, Lev / Tolstaja, Sofia – Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

|Kämpfen Sie – bitte|

_1. „Der Mensch ist nicht monogam“_

Man darf dieser These nicht glauben, so wahr, wie sie auch sein mag und verleiten könnte Untreue hinzunehmen oder im Falle des Eintretens zu trösten. Nach dem Traktat Tolstois, anders können wir dessen Kreutzersonate nicht nennen, darf diese Erkenntnis einfach nicht gelten. Er behauptet doch nichts anderes, als dass das Ende des Geschlechtlichen im Sinne von dessen Verbrennendem, Zerreißendem, ja auch Mordendem nichts anderes wäre, als das Ende der Geschichte.

Man muss Ihnen wohl zumuten, auf diese Problematik einen rein männlichen Blick zu werfen. Wenn auch das Gegenstück, das Tolstois Frau Sofja liefert, angeblich ein Spiegelbild ihrer Verletztheit über dieses Outing ihres Mannes, des gefeierten russischen Dichters, ist und viel mehr Einblicke liefert in das reale Leben, mit dem die Frauen sich umgeben, sie einen wirklichen Roman daraus macht, fehlt ihr doch der Mut das Grundsätzliche dieser Sache anzuerkennen.

In ihrer Version des gemeinsamen Grundmusters, dass ein erfahrener Mann eine junge Frau ehelicht in der festen Absicht, nunmehr von seiner Verworfenheit zu lassen, die wohl auch ihre Familiengeschichte ist, gerät der Mord des Ehemanns an seiner vermeintlich untreuen Gattin geradezu zu einem Unfall, ein Zufall fast, dass ein marmornes Wurfgeschoss allzu genau trifft und auch noch tödlich ist, wir aber mehr um die zurückgelassenen Kinder bangen, als um sie.

Hat uns nun Tolstoi die Tür aufgetan zum Verständnis des Ganges der Welt, zu den Quellen der Kultur, dem Erwerb von Wissen, Selbstachtung und jeglicher Betriebsamkeit? Hat er einen Sinn ausgemacht in unserem lebenslangen Treiben und diesen in einem Trieb entdeckt, die Treue des geliebten Menschen sicherzustellen? Man kann das als zwei Varianten von Eifersuchtsdramen abtun, wobei er eine Abhandlung schreibt, die kaum noch romanhafte Züge hat und sie einen Allerweltsroman, um der Sache die Spitze abzubrechen, eine Rechtfertigung durch den Blick in die Wohlgesinntheit der weiblichen Seele, während er zeigt, wie die Imagination davon zum Verbrechen drängt, ohne diese überhaupt darzustellen.

_2. Das Ende der Welt_

Wenn man die Sache nur noch an der Oberfläche betrachtet, nicht gerade auch hinter den Liebesbeteuerungen des Partners das Gegenteil zu erforschen trachtet, wenn man nicht seine Kräfte aufbietet, die Treue des Anderen zu erhalten, wo man doch so großzügig die eigene als zusätzliches Beschwernis für ihn eingesetzt hat, wehrt man auch nicht der Knochenhand, die sich an den Glockenstrang gelegt hat, um das Ende der Welt einzuläuten.

In der modernen Welt ist Untreue eine Frage der Statistik geworden und dabei handelt es sich sogar um die reale und nicht die eingebildete, die diese beiden Romane darstellen. Ein Freund verzieh mir nicht, dass ich seine Attitüde durchschaute, mit der er die Untreue seiner Frau zu einer normalen Angelegenheit stilisieren wollte und als ich selbst eine Frau fand, die nicht nur schön ist, sondern mir auch die Treue hält, war dem Ehepaar der Umgang mit uns nicht mehr angenehm.

Indem man diese Eifersuchtsgeschichten als Spiegelbild der Ehe der Tolstois einstuft, gibt man dem Impuls nach, diese Probleme nicht mehr bei sich selbst zu suchen, sondern im Sinne dessen, wovon die Boulevardpresse lebt, voyeuristisch auszulagern. Wenn die Liebe zu sich selbst, wie man sagt, immer der Anfang eines romanhaften Lebens ist, dann erzwingt das noch nicht die Selbstliebe, weil die Romanhaftigkeit noch andere Ursachen haben kann.

Doch wollen wir überhaupt noch ein romanhaftes Leben? Wollen wir es nicht nur noch einfach möglichst bequem hinter uns bringen? Legen wir uns noch die Frage vor, ob das nicht eben das Ende der Welt ist? Man muss nicht zur Selbstliebe greifen, die einsam macht, ein billiger Ausweg ist, man kann sich auch den anderen verpflichtet fühlen, die im Begriff sind mit einem zusammen unterzugehen. Gerade das Glück der anderen sichern zu wollen ist eine viel tauglichere Waffe, die man wie jede zuerst gegen sich selbst zu richten hat. Wem es nicht gelingt, sich der Liebe seiner Liebsten zu versichern, der bringe gefälligst sich selbst um und nicht sie, aber umbringen sollte man sich unbedingt, weil das eben zur Romanhaftigkeit gehört und dem Ende der Welt wohl auch am entsprechendsten ist.

_3. Sollte man des Endes der Welt wehren?_

Mit Recht kann man heute pessimistisch sein, ob es legitim ist zu leben. Da wir immer älter werden, könnte man annehmen, dass unsere Aufgabe, die wir auf der Welt zu erledigen haben, größer geworden wäre. Eigentlich halten wir nur aus, oder besser, wir werden ausgehalten von der Medizin, die sich nicht fragt, wie lebenswert dies Leben wirklich noch ist, sondern jeden heilt und am Leben hält.

Tolstoi schmäht die Mediziner, weil sie die Sexualität zu einem notwendigen Bestandteil der Gesundheit erklärt hatten. Tolstaja verehrt sie, weil sie einer Mutter ersparen können, den Tod eines Kindes ertragen zu müssen. Es greift heute die Kritik, dass die Mediziner, die einst auch die führenden Naturforscher waren, heute vor der Beantwortung der Frage zurückschrecken, dass es sein kann, dass unser Leben gar nicht mehr lebenswert ist.

Der ältere Tolstoi – ganz Rigorist – hat radikale Konsequenzen gezogen, indem er den Fleischkonsum eingestellt hat, weil er die Augen nicht mehr vor dem Umbringen der Tiere für diesen Genuss verschließen wollte. Auch der Jagd hat er entsagt. Haben wir doch die ganze bisherige Geschichte darauf verwendet, uns zu sonnen, wie sehr wir doch die Krone der Schöpfung sind, so ist heute die damit verbundene Macht immer mehr infrage gestellt.

„Wären wir Menschen nicht mehr auf der Erde, würde es der Erde besser gehen“, sagte der Dalai Lama, räumt also nicht nur den Tieren, sondern selbst den toten Dingen ein Recht ein, das hinter dem unseren nicht zurücksteht. Das Ende der Menschheit wäre auch gar nicht das Ende der Welt, sondern so eine Art Müllzeitalter, wo unsere Hinterlassenschaften langsam wieder überwuchert würden. Wir erlebten solche Dinge schon des Öfteren mit zu viel gewordenen Bauten des Sozialismus oder das Ende der nicht mehr reparierbaren Dinge. Wer will, kann sich auch den Müllplatz der nicht mehr reparierbaren Liebesbeziehungen ansehen. Sollte man dessen nicht wehren? Ich meine – ja.

|Goethe wollte die Eitelkeit als Wert retten, Tolstoi das Verbrennende der Liebe, nun ist es an uns.|

|Gebunden: 432 Seiten
ISBN-13: 978-3-7175-2260-7|
http://www.manesse-verlag.de

Moers, Walter – 13 1/2 Leben des Käpt\’n Blaubär, Die

_Der Autor_

13 ½ Jahre hat es nun gedauert, bevor der nunmehr 55-jährige Autor, über den man nicht viel sagen kann, weil er doch offenbar in Zamonien zu Hause ist, bei Bedarf hier eine Rezension zu seinen ersten 13 ½ Leben lesen kann, mit denen er den Einstieg ins Romangeschäft wagte und sich gleich in die Top-Tausend-Titel katapultierte. Da die FAZ damals titelte, dass es auf absehbare Zeit schwerlich bessere Unterhaltung geben würde, kann man sich mit Besprechungen Zeit lassen, weil doch auch Zamonien von Wesen bevölkert ist, bei denen die Zeit eine andere Rolle spielt und diese auch durch Zeitschnecken an den Dimensionslöchern zum charakteristischen Gennfgas verdaut wird. Der Autor fühlt sich in der Haut des bekannten Blaubären, nicht zu verwechseln mit den gleichnamigen Beeren am wohlsten und noch wohler vielleicht in den Armen der kornblumenblauen Avriel, einer besonders schönen und gebildeten Buntbärin, die ihn dann einige Zeit von weiteren Abenteuern zurückzuhalten versteht, sodass wir nach einem Show Down auf dem Riesenschiff Moloch dann noch ein Happyend bekommen, von dem wir vorher erfahren haben, dass selbst ein solches der Erfindungsgabe von Blaubär, also Moers, zu verdanken ist.

_Gemütvoller Superman_

Bereits 13 ½ Leben in der erdachten Welt Zamoniens hinter sich gebracht zu haben, bedeutet auch mindestens 13 Mal dem Tode entronnen zu sein und wäre man nicht ein Bär, dem man Gemüt beilegen kann, wäre man ein weniger sympathischer Aufschneider. Damit wird aber gerade gespielt in diesem umfänglichen Roman, der zeichnerisch und typographisch aufgelockert, einen mit Leichtigkeit durch die vielen Abenteuer trägt, die wie auf einem Plan zum Spiel des Jahres in diesem fernen Land angesiedelt sind und so richtig dazu angetan sind, dem Schicksal touristisch und literarisch in den Rachen zu greifen, dem man sein Leben programmatisch nicht überlassen möchte. Und man des langweiligen Menschseins überdrüssig, ins verspielte und gemütsverdächtige Fell eines Meister Petz schlüpft, dessen man sich auch immer erfolgreich erwehren kann, mag die Situation im Konkreten so aussichtslos wie nur denkbar sein.

Das ist der Stoff, aus dem unerträglich erfolgreiche Supermänner gemacht sind, denen aber meistens zwei Dinge abgehen, die eigentlich dasselbe sind und die Moers hat, nämlich den Humor zu bewahren und transportieren zu können und dem Tod mit einfallsreicher Gelassenheit immer wieder entgegenzusehen. Normalsterbliche kommen da seltener hinein als ausgerechnet 13-mal, aber beschäftigen tut es einen doch, und wie sollte man die wenigen Male in einem normalen Leben nicht bewältigen, wenn Blaubär das in Serie schafft. Wenn es einen kritischen Punkt gibt an diesem Buch, dann ist es der des Nichtaufhörenkönnens, nicht seine Phantasie unentwegt blühen zu lassen, nicht an jedes bestandene Abenteuer ein neues reihen, nicht nach einigen hundert Seiten auch mal zum Schluss zu kommen. Und doch bedient gerade das einen tiefen Wunsch in uns: dass es nicht aufhören möge und wir immer wieder dem Tode entrinnen möchten und insgesamt wollen wir dabei auch noch gut unterhalten sein. Schon die Zwergpiraten, mit denen das Buch beginnt, fürchten nichts mehr als Langeweile, so wohl auch die meisten der Zwergleser, die eigentlich Erwachsene sein sollen.

_Leserphantasie aufbohren_

Die Kruste unserer Normalität ist bei fast allen Zweibeinern genug, dass Moers sich schon mal des Bosch-Hammers bedienen muss, um darunter Reste des Urstoffs der Träume freizulegen. Das wird besonders deutlich, wenn er zum Kunstgriff der Lügengeschichte in der Lügengeschichte greift, als Blaubär dann nämlich in Atlantis ein Lügengladiator, natürlich ersten Ranges, wird. Da bleibt dem nach gehabter Erschöpfung seiner gesammelten Phantasie, die wohl als Phantasie in der Phantasie einzuordnen wäre, nichts weiter übrig als beinahe aufzugeben, und das wieder in schöner Übereinstimmung sowohl mit dem Leser als auch dem Autor, denen beiden nun rein gar nichts mehr einfallen wollte und man die ganze Sache auch schon ein bisschen leid war, als es so ungefähr in die 99. Runde des Duells ging. Da erzählt dann der Lügenchampion mit einem Mal die reine Wahrheit, nämlich seine eigene Lebensgeschichte, die uns bei dieser Gelegenheit noch einmal systematisch geordnet nach Unterhaltungswert vor Augen geführt wird und für uns fast schon langweilige Wahrheit, weil Bekanntes ist. Doch uuops – das war doch eigentlich auch eine Lügengeschichte, die wir jetzt als Wahrheit einzustufen nicht mehr anstehen. Dieses Klavier spielt Moers besonders gut.

_Bildungsinhalte_

In diesem Punkt ist der Klau kaum vermeidbar, vielleicht sogar wünschenswert. Zwar sind es nur Splitter der oben abgesprengten Krusten, aber man erkennt recht leicht an einer Stelle das Septalsystem eines Rudolf Steiner oder Bruchstücke dessen verehrten Vorgängers Johann Wolfgang von Goethe mit seiner verzweifelten Newtonreplik bezüglich des Lichtes, dem er die Finsternis zugesellen wollte als einigermaßen gleichwertig. Wenn Physiker mit einem guten Dutzend Dimensiönchen hantieren, sollte man ihnen gleich mal die 2364. entgegenschleudern und sie mit der logischen Konsequenz von gennfgasum-witterten Dimensionslöchern konfrontieren. Ob Moers selbst mehr als den Staub von Bildungsplaque inhaliert hat, bleibt im Ungewissen. Fast jedes nachprüfbare Versatzstück auf diesem Gebiet ist falsch. Wenn zum Beispiel die Chance den Gallertprinzen nach dessen Rückkehr aus besagter Dimension wiederzusehen 1 zu 463 Billiarden ist, so ist das nicht so unwahrscheinlich, wie unzählige Male hintereinander einen Sechser im Lotto zu haben, sondern schon drei Sechser hintereinander zu haben, ist unwahrscheinlicher. Wenn die Formel für die Entfernung einer Fata Morgana aus dem alles wissenden Lexikon in Bärleins Kopf stimmen würde, hätten Personen die Maßeinheit von m^2/s^3, wo man doch eher auf kg reflektieren würde, wenn man schon die freie Auswahl hat. Schließlich würde man beim Sturz in den lautmalerisch verbrämten Mahlstrom, wenn sich die Geschwindigkeit auf den letzten 200 Metern alle fünf Meter verdoppelt, sich nicht der Lichtgeschwindigkeit nähern, sondern diese weit überschreiten.

Bei aller Liebe zur Philophysik – das ist nun mal keine Einbahnstraße.

_Fazit_

Moers leistet da eine wichtige Arbeit, indem er seine Phantasiewelt in unser Hirn lustvoll einzubrennen versteht. Das Paralleluniversum Zamonien weist eine wünschenswerte Vielfalt an mehr oder weniger intelligenten, mehr oder weniger großen und resistenten Wesen auf. Das Wissen spielt dabei eine Schlüsselrolle und sollte daher nicht völlig auf dem Altare des Nonsense verbluten. Man merkt dies leider an einem Hauch von, nicht Gennfgas, aber Provinzialität.

|Taschenbuch: 704 Seiten
ISBN-13: 978-3442453818|
[www.goldmann.de]http://www.randomhouse.de/goldmann/verlag.jsp

_Walter Moers bei |Buchwurm.info|:_:
[„Die Stadt der träumenden Bücher“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=2486
[„Adolf: Der Bonker“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=2668
[„Der Schrecksenmeister“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4678
[„Der Schrecksenmeister“ (Hörbuch)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5078
[„Rumo & Die Wunder im Dunkeln“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4731
[„Das Labyrinth der träumenden Bücher“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7432

Proust, Marcel – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

_Der Autor_

Man darf sich Marcel Proust nicht als allzu erfolgreich vorstellen, auch wenn er dann den Prix Goncourt erhalten hat, die höchste französische Auszeichnung für Literatur. Musste er sich doch zunächst mit einem Kritiker duellieren und auch sein erstes Buch auf eigene Kosten verlegen. Das Vermögen, das er seiner jüdischen Mutter verdankte, machte ihn jedoch vom Geschmack seiner Zeit weitgehend unabhängig und so soll er dann in einem mit Kork ausgeschlagenen Raum, aus dem das Sonnenlicht verbannt war, seine Werke geschaffen haben, in denen es nun allerdings nicht an Details mangelte. Ähnliches, die Suspendierung des Fernsehens für mindestens ein halbes Jahr, wird auch von der kleinen Schar der Fans empfohlen, die ihn für den größten Autor aller Zeiten halten.

_Frauen_

Obwohl sie in seinem Leben keine sichtliche Rolle gespielt haben, sind sie in seinen Werken das beherrschende Thema. Das beginnt schon mit seiner eigenen Mutter, deren gelegentliche Verweigerung eines Gutenachtkusses aus gesellschaftlichen Rücksichten, ihn im ersten Abschnitt in Zustände versetzt, wie sie schwerwiegenderen Problemen zukämen, aber nebenhin wird an diesem Exempel ausführlich deutlich, dass die eigene Mutter wohl die einzige Frau ist, auf die man sich im Leben noch verlassen kann. Da er seine, wie auch seinen Vater, allerdings in relativ jungen Jahren verloren hat, steht dann natürlich die Frage, die Generationenfolge nicht unterbrechen zu können und auch die anderen Vergnüglichkeiten zu genießen, die der Umgang mit Frauen bieten kann.

Diese geschlechtliche Liebe wird aber in dem ersten Teil, und zum Lesen nur dieses konnten wir uns bisher verstehen (In Swanns Welt), an einem anderen Protagonisten, einem reichen weltgewandten jungen Mann namens Swann abgehandelt, von dessen familiärer Herkunft wir nun wieder fast nichts erfahren und der genau vor die Aufgabe gestellt ist, sich im Zuge seelischer Sehnsüchte und gesellschaftlicher Verpflichtungen, wenn nicht eine Gattin, so wenigstens eine Geliebte zu suchen. Gesellschaftliche Verpflichtungen bestehen in Paris allerdings darin, tägliche Besuche bei möglichst geistreichen oder wenigstens hochgestellten Personen zu besuchen, und da ihm Letzteres gegeben ist, hat er zunächst auch bei den Geistreichen einen Stein im Brett.

In diesem Kreis, wo „Langweiler“ klar ausgegrenzt sind, lernt Swann eine Frau namens Odette Crécy kennen, die für ihn erst als schön gelten konnte, als ihm die Ähnlichkeit mit Botticellis Sephora einkommt, da er doch ein Kunstliebhaber und -sammler ist und ihn auch die Sonate eines Komponisten, dessen trauriges Schicksal schon im Kindheitsteil des Haupthelden eine Rolle spielte, sehr berührt hatte, dies zur Ouvertüre ihrer Liebe wurde.

Obwohl er bis dahin einen ziemlichen Verschleiß an schönen Mädchen aller Schichten hatte, gelingt es Odette, ohne dass Arglist zu unterstellen wäre, ihn völlig für sich einzunehmen, wenn sie zum Beispiel sagt: „… ich habe niemals etwas vor! Ich bin immer frei, für Sie ganz bestimmt. Wann immer bei Tag oder Nacht es Ihnen angenehm wäre, mich zu sehen, lassen Sie mich nur holen, ich werde immer glücklich sein, so schnell wie möglich zu kommen.“ Nun war Odette allerdings eine Halbweltdame, woraus in dem Roman, vielleicht skandalöser Weise, kein Drama gemacht wird, man aber durchaus miterlebt, dass sich ihre anfängliche Begeisterung, die sich ansatzweise dann noch als Unwahrheit herausstellt, in einen von ihr bestimmten Abstand wandelt, wo dann Swann auch genug an Launen auszustehen hat und seine monatlichen 4000 Francs an sie dann nicht mehr so gut investiert scheinen.

Jetzt könnte ein wahrhaft Verliebter, und dass dies notwendig Leiden bedeutet, daran wird kein Zweifel gelassen, völlig abgleiten, seinen vermeintlichen gesellschaftlichen Verpflichtungen gar nicht mehr nachkommen, aber Proust ist ein bisschen wie Lilienthal, er hat sich vorgenommen, dass der Flug nicht enden wollen soll und fliegt nicht nur über die 564 Seiten dieses Romanteils, sondern weiter und weiter und könnte faktisch gar nicht mehr damit aufhören, nur um Peripetien zu vermeiden, also Unglücksfälle, die dem ganzen Flug dann ein Ende bereitet hätten.

Odettes Seite bleibt dabei allerdings das weiblich Geheimnisvolle, manchmal des Lügengespinsts Verdächtige, das darum aber nicht weniger Überlegene. Indem die Geliebte also die anfangs Hingebungsvolle ist, die wünschenswerterweise auch noch Tugendhaftigkeit unter Beweis zu stellen hätte, ist Proust etwas frauenfeindlich. Indem er aber dem weiblichen Prinzip, das Ergebnisse kompliziertester männlicher Überlegungen quasi nebenhin erzielt, als grundsätzlich überlegen anerkennt, rückt er das schöne Geschlecht in die Nähe des Göttlichen, was auch jeder Leserin gefallen mag.

Wie es Swann gelungen sein soll, aus inzwischen aussichtsloser Lage bezüglich dieser Liebesbeziehung, die nie ganz offene Odette zu seiner Gattin zu machen, ist wohl eine so banale Tatsache, dass dafür im ganzen Roman keine Zeile im oft seitenweise absatzlosen Text übrig ist, denn es steht wohl auf dem Buchdeckel.

Das kann weder die in Erfahrung gebrachte Wertschätzung Odettes für Swann in seiner Abwesenheit gewesen sein, noch waren weitere romantische Begebnisse in petto, die den anfänglichen Zauber hätten wiederherstellen können, das war einfach die Zeit. Das unerbittliche Altern steht ungenannt im Hintergrund, die aus Schwäche geborene Vernunft, die dann aber für sich selbst steht und anderweitige Bauchgefühle, die da noch rumoren könnten, letztlich besiegt, so wie auch Napoleon gegen eine noch so einfallslose Welt letztlich keine Chance hatte.

_Credo_

Die Zeit – das hätte das Credo sein können, denn diese verlockt schon im Titel alle, die erkannt haben, dass sie sie irgendwie verloren haben. Doch wie Proust dem Otto Lilienthal gleicht, der Meter um Meter immer weitersegelt, so gleicht er auch einem Bergmann, der eine unerschöpfliche Mine entdeckt und nun jeden Abend wertvolles Erz mitbringt und nie taubes Gestein, von dem man sich nehmen kann, denn man ist ja Leser, sich einem die Frage aufdrängt, ob das wohl für alle Zeiten so gehen wird, der Bergmann aber nicht antwortet, sondern nur immer in gleicher Weise fortfährt. Die wenigsten wagen dann die Hypothese, dass es etwas Unerschöpfliches geben könne, wollen von der täglichen Ration gar nichts erst wissen. Doch die wenigen, die daran glauben, nachdem sie „leidenschaftlich das Problem der Realität der Außenwelt oder der Unsterblichkeit der Seele zu erfassen versucht haben, ihrem erschöpften Hirn die Entspannung schlichten Glaubens gestatten“, also glauben und an sich spüren, dass sie einen Teil dieses großen Schriftstellers in den Händen halten, ein kostbares Gut, wie sich heute in unserer sprachlosen Zeit herausstellt, nämlich die |Beredsamkeit| – eine wahrlich unerschöpfliche Mine.

|Taschenbuch, 4222 Seiten
ISBN-13: 978-3518397091
Originaltitel: A la recherche du temps perdu|
[www.suhrkamp.de]http://www.suhrkamp.de/suhrkamp__verlag__14.html

Beecher-Stowe, Harriet – Onkel Toms Hütte

_Höhepunkt amerikanischer Kultur_

Der damalige Präsident Lincoln soll Harriet Beecher-Stowe mit den Worten empfangen haben: „Sie sind also die kleine Frau, die diesen großen Krieg hervorgerufen hat.“ Gemeint war der amerikanische Bürgerkrieg 1861-65, bei dem die Sklavenfrage eine entscheidende Rolle spielte. Auf Krieg war die aus einem Pfarrerhaushalt stammende Autorin sicher nicht aus, hatte doch auch mit ihren zahlreichen Kindern und an der Seite eines lehrenden Theologen genug zu tun, aber es ist nicht ganz unzutreffend, dass ein Gutteil des moralischen Kapitals in diesem Kriege aus diesem Roman stammte.

Der Verlag bringt nun eine Version von Onkel Toms Hütte heraus, die aus dessen Verkommensein zum „trivialen Kinderbuchklassiker“ herausführen soll. Wenn ihn doch die Kinder nur läsen, zum Beispiel vom Verlag Neues Leben, wohl auf der gleichen Übersetzung basierend, von keinem geringeren als Wieland Herzfelde herausgegeben und von Werner Klemke illustriert. Die anonyme Übersetzung ist also nicht so neu, aber man baut vielleicht ein bisschen auf den Fallada-Effekt, der gerade aktuell ist.

_Handlung mit versiegenden Strängen_

Die Anlage scheint zunächst grandios. Wir erleben Onkel Tom in seiner Hütte in Kentucky, einem Sklavenstaat, aber er befindet sich unter einer gutmütigen Herrschaft, die nur gerade mal bankrott ist. Schweren Herzens müssen Tom, einer der wertvollsten Sklaven, und dazu ein kleiner Junge verkauft werden. Letzterer hat natürlich eine Mutter, die mit dem Jungen in letzter Minute nach Norden flieht, während Tom, sich in sein Schicksal ergebend, den Transport nach Süden antritt. Beinahe scheint es, als würde uns der Roman nun nach Süden und Norden entführen, aber der nördliche Strang wird bald verlassen und wir folgen nur dem Schicksal Toms.

Von der titelgebenden Hütte ist nun fast gar nicht mehr die Rede und Onkel Tom gibt uns nur die Orte an, wo die Erlebnisse angesiedelt werden. Zunächst bleibt die bedrohliche Perspektive, auf einer Pflanzung sich zu Tode schuften zu müssen, für Tom aus, weil er an eine großzügige und wohlbestallte Herrschaft gerät und fast gar nichts tun muss, also reichlich Zeit hat, für seine Bibelstudien.

Nun bringt aber die Autorin den wohlmeinenden Teil der Herrschaft zu Tode. Tom, dem schon die Freiheit versprochen war, wird wieder verkauft und erfährt nun doch die ganze Grausamkeit des Sklavenhaltersystems auf einer Plantage, stirbt in einem Nebensatz, aber klar ist, dass dies nicht an Überarbeitung geschah, sondern, weil man ihn moralisch brechen wollte.

_Neuentdeckungen_

Es ist sicher nicht die sprachliche Brillanz, mit der diese Ausgabe gegenüber dem Kinderbuch absticht. Da waren bei Letzterem kaum Abstriche zu verzeichnen. Die Lösung sah die Autorin sicher nicht in der Zuspitzung von Interessenkonflikten bis hin zu einem Krieg. Naturgemäß liegt ihr das Religiöse sehr am Herzen, dessen Lebenshilfekraft man sicher nicht hoch genug anschlagen kann und das in der DDR-Ausgabe ein wenig begrenzt wurde. Man bescheinigte ihr das Abgleiten ins Predigen, was den damaligen Papst allerdings nicht hinderte, das Buch zu verbieten.

Wenn ein Leser aber beschreibt, dass er im Zug mit der Lektüre begann, weinte, aussteigen musste, sich ein Hotelzimmer nehmen und weiterlesen, dann ist das eine Wirkung, wie man sie sich nur von Literatur wünschen kann. Die Stärke ist eben nicht eine konsequente Handlungsführung oder gar das erhellende Aufzeigen von Auswegen, sondern die Erschaffung einer Identifikationsmöglichkeit, selbst für einen Südstaatler. Das ist ein eindeutig christlicher Grundgedanke, und man kann einerseits lernen, wie man wider Erwarten Publizität gewinnt, und andererseits, wie viele Anknüpfungspunkte an das Gefühlsleben der Menschen vor 150 Jahren bereits verloren sind. Das gilt wieder für beide Seiten, für die Rechtlosen, die sich in den Fluss stürzten, wenn ihnen das geliebte Kind genommen wird, wie für die heute kleinere Brötchen backenden Reichen. Das gilt auch für Schriftsteller und Leser, und wegen dieses Buches habe auch ich kein Hotelzimmer gebucht, aber die Sehnsucht danach ist präsent.

|Paperback: 544 Seiten
Originaltitel: Uncle Tom’s Cabin
ISBN-13: 978-3423140607|
[www.dtv.de]http://www.dtv.de/

Eine Rezension zur Hörspiel-Version findet ihr hier: [Onkel Toms Hütte]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=2905

Picoult, Jodi – In den Augen der Anderen

_Aus dem Inhalt_

Zum Inhalt des Buches ist besser nicht zu viel zu verraten. Jacob ein 18-Jähriger, der am Asperger Syndrom leidet, liebevoll und doch auch nervig von seiner Mutter Emma umsorgt, gerät unter Verdacht, eine junge Frau ermordet zu haben, die zuvor von Emma verpflichtet worden war, sich wöchentlich einmal mit ihm zu befassen, und da diese Studentin gerade eine Masterarbeit über besagtes Syndrom schrieb, kam ihr das sehr zu pass.

Ein Kennzeichen dieser vor noch nicht allzu langer Zeit entdeckten Krankheit ist aber, dass man sich selbst zwar nicht sonderlich vertrauenswürdig verhält, wenn man auch stets bei der Wahrheit bleibt, aber diese und unbedingtes Vertrauen einfordert. Überhaupt sind viele Dinge im Umgang mit Asperger Leidenden zu beachten, die einem als Marotte erscheinen können, aber krankhaft sind.

Theo sein jüngerer Bruder, der durch die Krankheit Jacobs doch als der Ältere fungiert, liebt und hasst seinen Bruder von ganzem Herzen. So hat Jacob noch nie einem Menschen je ein Geschenk gemacht. Selbst das muss Theo für seinen Bruder übernehmen. Auch Theo hat eine Marotte entwickelt und logiert in fremden Häusern, die zeitweilig leerstehen und abzuschließen scheint dort keiner.

Die Familie wurde vom Vater verlassen, der es nicht ertragen konnte, dass sein Sohn anders ist. Die Mutter, nun ganz allein auf sich gestellt, gestresst und finanziell am Limit angelangt, versucht beiden Söhnen gerecht zu werden. Als Jacob dann unter Mordverdacht steht, verliert sie den Blick auf ihren jüngeren Sohn und tut alles, um die Unschuld Jacobs zu beweisen. Jedoch regen sich selbst bei ihr immer wieder Zweifel, ob er wirklich unschuldig ist.

Zu den Passionen des Asperger Geplagten gehört auch eine detektivische Tätigkeit. Er hatte sich schon einmal in die Ermittlungen der Polizei eingeschaltet und die Sachlage genial interpretiert, so dass sich seine Version des Falles als zutreffend herausstellte. Das ist natürlich ideales Material für so etwas wie einen Kriminalroman.

Doch jetzt steht Jacob selbst unter Mordverdacht und vom scheinbar hilfsbereiten Inspektor umgarnt, geht die Mutter auf dessen Bitte ein, Jacob ins Polizeipräsidium zu bringen, was sich schnell als Fehlentscheidung herausstellt, denn die Methoden der Rechtsfindung nehmen wenig Rücksichten auf Jacobs Leiden. Derart hintergangen vom Gesetz, sucht die Mutter Hilfe bei einem jungen Anwalt, der sich jedoch im Strafrecht noch gar nicht so auskennt, sich aber stark engagiert. Mit viel Mühe und Aufopferung vertritt er den Angeklagten und findet nebenbei auch noch den Schlüssel zu Emmas Herzen.

_Erzählperspektiven satt_

Man kann nicht ein Buch nach dem anderen lesen, es braucht bei manchen Zeit, das Gelesene zu verarbeiten. Mit diesem Buch und überhaupt mit der Droge „Jodi Picoult“ ist es so.

Befremdend erscheint, sofern man dieses Buch von ihr als Erstes liest, dass man die Handlung aus der Sicht von sechs Personen erzählt bekommt. Jeder für sich bringt dem Leser seine Perspektive dessen nahe, was er erlebt. Sei es die von Jacob selber in der Hauptrolle oder seiner Mutter oder die seines Bruders. Noch weitere Personen tragen zum Inhalt dieses fesselnden Romans bei.

Dabei gebricht es keinem der Erzähler an Selbstbewusstsein, die Mutter vielleicht ausgenommen, die als Identifikationsfigur für die Leserinnen gedacht ist, die trotz quälender Zweifel wie eine Löwin um ihre beiden Söhne kämpft, je näher denen die Gefahr, desto größer ihre Energie. Am wenigsten Zweifel hat der Asperger Patient, der es für völlig selbstverständlich hält, dass sich die Welt und insbesondere seine Mutter völlig um ihn dreht.

Es scheint etwas durch von der Überlegenheit der Gehandicapten, die für jeden, der so etwas noch nicht erlebt hat, immer wieder eine Überraschung darstellt. Jacob kennt seinen IQ genau und weiß, dass dieser weit über dem Durchschnitt liegt. Die zu solchem Umgang notwendigen Nerven lässt man lieber bei der Lektüre, als das hautnah zu erleben.

_Fazit_

Wie immer, exzellent recherchiert, bringt uns die Autorin hier ein Syndrom nahe, das heute nicht mehr so selten ist, auch wenn noch nicht so lange als Krankheit eingestuft. Teilweise bringt es bei den Betroffenen Fähigkeiten mit sich, die erstaunen, aber die Anforderungen an die Umwelt sind immens. Das darin liegende Potenzial für eine Story und die Identifikationsmöglichkeiten mit den Angehörigen werden meisterhaft ausgeschöpft.

|Hardcover: 688 Seiten
ISBN-13: 978-3431038415|
[www.luebbe.de]http://www.luebbe.de

_Jodi Picoult bei |Buchwurm.info|:_
[„Beim Leben meiner Schwester“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1736
[„Bis ans Ende aller Tage“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3210

Hansen, Walter (Herausgeber) – Rätselspaß mit deutschen Dichtern

_Ratlos vor dem Scharfsinn einer vergangenen Epoche_

|Ein Vogel federlos|

Wer zum Teufel denkt bei einem Vogel federlos an eine Schneeflocke, die einer Jungfer mundlos zum Opfer fallen soll, die dann wohl unser Zentralgestirn ist? Ohne die letzten vier Seiten, die die Lösungsworte enthalten, wäre man rettungslos verloren, man bekäme höchstens eine Handvoll der Rätsel heraus. Zu Goethes und Schillers Zeiten muss das eine Manie gewesen sein, die da schon einige Jährchen auf dem Buckel hatte, dann aber abflaute. Dem Herausgeber zufolge lag das an einer Verflachung der Rätsel. Heute läge das daran, dass man gar nicht mehr so vertraut ist mit den Wortbedeutungen und schon gar nicht mit deren Umschreibungen.

|Das Arsenal|

Eine ganze Kultur hatte sich da entwickelt, die fast schon eine Wissenschaft war. Dass eine |Scharade| ein Silbenrätsel ist, wo man als die eine zum Beispiel „viel“ errät und als zweite „leicht“ und das Ganze dann „vielleicht“ ist, das wird man eventuell noch wissen, auch das Vor-Rückwärts-Buchstabieren hat man schon mal gehört, dass dies ein |Palindrom| sei, aber spätestens beim |Logogriph| und |Anagramm| muss man passen. Dabei enthält das Buch auch einige der Volksrätsel, wie das mit den sieben Häuten, aber die meisten sind Kunstprodukte und eben viel weniger eingängig.

|Ein Beispiel|

Es stellt als Frucht das erste Paar,
als Pflanze sich das andre dar.
Doch wenn ihr beide wollt verbinden,
so wird alsbald ein Tier sich finden.

Entweder kennt mans oder man ist verloren. So wird die Sache wohl auch vor sich gegangen sein: Man erfuhr die Lösung und hat das Gedicht unter diesem Aspekt noch einmal gelesen und dann endlich verstanden, was es meinte. Versuchen Sie das mal mit |Apfelschimmel|, dann geht einem der Seifensieder auf.

|Das große Thema Turandot|

Schiller hatte nicht nur die blanken Lösungsworte parat, sondern dichtete die Antwort mit zusätzlichem Spannungsbogen. Turandot, die Tochter eines sagenhaften chinesischen Kaisers, soll jeden enthaupten lassen haben, der die Absicht hatte, sie zu freien und ihre Rätsel nicht lösen konnte. Als es dann doch einer schaffte, wurde es erst so richtig dramatisch. Dass das Leben an der eigenen Geistesgegenwart hängen könnte, ist für Intellektuelle ein unsagbarer Reiz. Für uns Sterbliche reicht es schon, sich an den Lösungen zu freuen und an der kunstvollen Wortwahl. Von Schillers Turandot-Rätseln sind ein paar Lösungen verlorengegangen. Daran könnte man sich dann wirklich üben (Antwort in Versform, versteht sich).

_Fazit_

Wer wissen möchte, wie unterbelichtet er ist, ignoriere die letzten vier Seiten. Ansonsten ist es echte Arbeit und bräuchte wohl ein halbes Leben verzweifelten Nachgrübelns, aber die Lesefreude darüber, wie man früher die Sachen verpackt hat, überwiegt.

|Paperback: 128 Seiten
ISBN-13: 978-3423140614|
[www.dtv.de]http://www.dtv.de

_Walter Hansen bei |Buchwurm.info|:_
[„Wo Siegfried starb und Kriemhild liebte. Die Schauplätze des Nibelungenliedes“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=339

Thériault, Denis – Siebzehn Silben Ewigkeit

_Hier lernt man was dazu_

_Autor_

Der 1959 geborene Denis Thériault lebt in Montreal. Eigentlich ist er Conférencier und Schauspieler und ist erst seit relativ kurzer Zeit literarisch tätig. Für das besprochene Buch erhielt er einen kanadisch-japanischen Literaturpreis. Eine eigenständige Leistung stellt die Übertragung ins Deutsche dar, die Saskia Bontjes van Beek besorgte.

_Bildungslücke_

So einfach die japanische Gedichtform, die sich Haiku nennt, auch ist, so stark ist auch deren Beschränkung auf siebzehn Silben in drei Zeilen, die sich per se nicht reimen dürfen und meistens der Naturbetrachtung gewidmet sind und zudem |fueki| – Ewiges und |ryoko| – flüchtig Veränderliches enthalten sollen. Auch ein kompletter Briefwechsel, der nichts weiter enthalten darf als diese Dreizeiler, hat einen Namen und heißt |Renku|.

_Der Plot_

Ein Briefbote in französisch Kanada hat den Hang, fremde Briefe vor der Zustellung zu lesen und zu kopieren. Besonders hat es ihm der Renku, ganz wie Matsuo Bashô (1644-1694), zwischen einem benachbarten Literaturprofessor und einer französisch-karibischen Schönheit angetan. Als der Professor vor den Augen des Postboten tragisch ums Leben kommt, sind seine letzten Worte etwas wie „im Schuh“. Natürlich kann keiner ahnen, dass es sich dabei um die Verballhornung von |Enso| handelt, einem weiteren japanischen Geheimnis. Die folgende Handlung gibt sich etwas vorhersehbar, als nämlich der Postbote in die Identität des Professors schlüpft, sich selbst im Renku übt und es ihm gelingt, die ohnehin entflammte Schönheit dazu zu bewegen, dass sie sogar auf Besuch kommen möchte. Der Auslöser davon war ein kleines Meisterwerk des frischgebackenen Haikuschmieds, der sich dann sogar in der Urform der |Tankas| versucht hatte:

Bisweilen brauchen Blumen
Sieben Jahre bis sie blüh’n
Schon seit langer Zeit
Will ich Ihnen gesteh’n
Wie innig ich Sie liebe

Die erotisierte Antwort lässt nicht lange auf sich warten und lautet:

Stickig heiße Nacht
Feuchte Laken, die
auf Schenkeln, Lippen glühn
Ich suche Sie, verlier mich
Bin die erblühte Blume

Was folgt, ist ein Rausch von Kurzgedichten, die in ihrer Direktheit vielleicht nicht ganz zur asiatischen Zurückhaltung passen. Die Briefträgerei wird für geraume Zeit an den Nagel gehängt, bis dann das Rendezvous naht, worauf etwas Unvorhergesehenes passiert …

_Fazit_

Es ist nicht ganz neu, dass französischsprachige Autoren große Themen nonchalant angreifen und sie einem bestsellergewohnten Publikum nahebringen. Vom geistigen Gehalt darf man auf diesem Wege nicht allzu viel als Ballast mitnehmen, aber unterhalten ist man allemal gut damit. Wer noch nichts von siebzehn Silben Knappheit wusste, hat jetzt einen persönlichen Eindruck.

|Paperback: 160 Seiten
ISBN-13: 978-3423247436|
[www.dtv.de]http://www.dtv.de

Soboczynski, Adam – Kleist – vom Glück des Untergangs

_Das könnte man sich ersparen_

_Autor_

Der 1975 in Polen gebürtige Adam Soboczynski studierte in Bonn Literatur, promovierte über Heinrich von Kleist und erinnerte sich gerade noch rechtzeitig seines damaligen Themas, um uns ein Büchlein zu schenken, das er offenbar aus ganzen sechzehn Quellen deriviert hat. Mitglied der „Feuilleton-Gesellschaft“, die wir heute in Deutschland haben, ist er leitender Mitarbeiter der „Zeit“. Er wohnt in Berlin und Hamburg.

_Antipathie_

Die bedrückende Stimmung, die auf dem Datum des 21. November 1811 liegt, eines nach Zeugenaussagen fröhlichen Selbstmords zweier Liebender, die einander vielleicht nur platonisch zugetan waren, gilt es zu wenden in Optimismus. Inzwischen weiß jeder, dass die vom Autor als Komplizen bezeichneten Selbstmörder unmittelbar vor diesem Schlussakkord schäkernd und ausgelassen am Wansee umhertollten. Dieser Ort wird heute zur Touristenattraktion hochstilisiert, weniger für Henriette Vogel als für den Dichter Kleist, den doch eigentlich keiner mag.

Der Klappentext will uns mit der glatten Unwahrheit fangen, dass das Buch „dem maßlosen Glück dieses Dichters auf der Spur“ sei, denn von Glück ist in dem ganzen Buch keine Rede. Wir erfahren auch nicht, worin wohl das Glück des Untergangs bestanden haben könnte, wie gleich der Untertitel verspricht. Auch dass das Büchlein „eine kleine Anleitung zur Erfolglosigkeit“ sei, ist nur eine Erfindung des Klappentexters, der den Leser auf die spärlichen Seiten locken möchte, die angefüllt sind mit maßloser Missgunst. Nicht einmal Kleists Königsberger Unterleibsschmerzen will der Autor gelten lassen, sie seien viel mehr „Geburtswehen“ gewesen, unter denen er auch die Erzählung „Das Erdbeben von Chili“ gebar. Auch an diesem lässt der Autor kein gutes Haar, handelt es sich doch dabei aber um ein romantisches, vielleicht nur etwas kitschiges Werk.

Keinem Lektor fällt heute mehr auf, wenn der Textbaustein, ein ganzer Passus einer „aberwitzigen Stilisierung und Dramatisierung des Dichters“ auf Seite 23 zwei Seiten später noch einmal komplett auftaucht. Kleists antinapoleonische Gesinnung, die sicher dichterisch überhöht war, wird als bare Handlungsanleitung genommen, wie alle seine Werke, und schon ist der unliebsame Hasardeur Kleist gebacken.

Andere Autoren schreiben aus achtungsvoller Distanziertheit über Kleist, Soboczynski macht sich den Habitus des Allwissenden zueigen, der den Stab über Kleist völlig bricht. Dieses Gift konnte nicht länger reichen, als achtzig Seiten. Für Leute, die sich einigermaßen auskennen, mehr als genug. Gedankentiefe, ob in Kleists Leben und Sterben eine Botschaft für die heutige Zeit liegen könnte, kann man von einem Feuilletonautor nicht erwarten, und man fragt sich, warum er sich diesem Thema wohl für einige Jahre verschrieben haben muss.

Was wundert es noch, dass so ein Scheusal seine Verlobte in die Schweiz hat zwingen wollen, unter der unerquicklichen Aussicht, dort Bäuerin zu werden. Man soll die Meinung des Autors teilen, dass einem Selbstmord mit großer Empörung zu begegnen ist, wie es angeblich Kleist geschehen. Da gibt es weitaus andere verbürgte Stimmen. Für den Autor ist das nichts als eine „dreiste Tat“. Kennt er sich denn wirklich in den Wortbedeutungen der deutschen Sprache aus?

_Nur ein schönes Bild_

Nicht neu ist das Bild des Gewölbes, das sich doch ohne Stütze trägt, und zwar, weil alle Steine auf einmal einstürzen wollen. Ein solches Gebilde ist auch unser Kleist, dessen Steine heute aus Kritikern bestehen, die ihn allesamt herabstürzen wollen und keiner so richtig die Nase vorn hat. Dem Publikum, das mit guter Berechtigung den Kleist eigentlich gar nicht liest, ist es umso mehr ein Genuss, dies feste Gewölbe zu sehen. Die dreisten Taten tragen Früchte.

|Hardcover: 96 Seiten
ISBN-13: 978-3630873633|
[www.luchterhand.de]http://www.randomhouse.de/ebook/Kleist-Vom-Glueck-des-Untergangs/Adam-Soboczynski/e369844.rhd?edi=369844

_Adam Soboczynski bei |Buchwurm.info|:_
[„Die schonende Abwehr verliebter Frauen“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=5228