C. J. Cherryh – Hammerfall (The Gene Wars 1)

Auf dem Wüstenplaneten: der Moses mit dem Schicksalskuss

Auf einem Wüstenplaneten bahnt sich ein weltweiter Konflikt an, der von anderen Welten kommt. Doch unter den Wüstenbewohnern wissen nur die „Verrückten“ von dem nahenden Unheil. Die Herrscherin des Planeten schickt einen der Verrückten, Marak, aus, um dessen Vision von einem silbernen Turm im Osten zu folgen und ihr Antworten zurückzubringen. Er findet den Turm und ein paar Antworten, doch wird er noch rechtzeitig zurückkehren, um das richtige Handeln zu initiieren – bevor der Hammerschlag vom Himmel erfolgt?

Die Autorin

Caroline Janice Cherryh, geboren 1942 in St. Louis, ist von Haus aus Historikerin und lebt in Oklahoma. Sie erhielt schon 1980 ihren ersten Science-Fiction-Preis für ihre umwerfende Novelle „Kassandra“***. 1983 folgte der erste HUGO Award für „Pells Stern“, später ein weiterer für „Cyteen“. Beide Romane gehören zu ihrem Allianz-Union- bzw. PELL-Zyklus, der eine Future History darstellt, wie sie schon von anderen Größen des Science-Fiction-Feldes geschaffen wurde, darunter Robert A. Heinlein oder Isaac Asimov.

***: Die Story ist jetzt im Sammelband „The short fiction of C.J. Cherryh“ (Januar 2004) zu finden.

The Gene Wars:

1) Hammerfall (2001)
2) Forge of Heaven (2004)

Vorgeschichte und Politik

C.J. Cherryh verlässt auch in diesem neuen Zyklus ihr angestammtes Allianz-Union-Universum. Es ist das Universum der Gen-Kriege, in dem Menschen und Ondat-Aliens aufeinandertreffen.

In ferner Zukunft hat die Erde ein kleines Imperium von inneren Welten im Sonnensystem und von Koloniewelten errichtet. Die Erde erlaubt keinerlei Immigration von Siedlerwelten, um ihren Genpool zu schützen. Doch die Bemühungen der Wissenschaftler, neue Welten zu terraformen, zeitigen eine politische Bewegung, das First Movement. Diese Politiker zeigen keine Skrupel, neue, auf Nanotechnologie gestützte Gentechnik einzusetzen, um Menschen und andere Lebewesen anzupassen. Dies steht in direktem Konflikt mit der Erdpolitik, und es kommt zum ersten der Gen-Kriege. Die Renegaten gründen Apex, die Hauptwelt der Outsider, die wiederum über eine Einflußsphäre von Raumstationen herrscht.

Nach weiteren Konflikten etabliert sich ein Friede, der unter einem Vertrag strikt eingehalten wird. Auch die Ondat-Aliens sind strikt gegen den aggressiven Einsatz von Gentechnologie. Als sie jedoch entdecken, dass auf einer der Outsider-Welten, Maraks Welt, die verbotene Nanotech des First Movement überlebt hat, drohen sie damit, den Planeten mit großen Asteroiden zu zerstören. Die Outsider bekommen eine Gnadenfrist von exakt 40 Jahren, um die Gefahr zu beseitigen, sonst fällt der Hammer.

Zwei Wissenschaftler der Outsider werden auf dem Planeten stationiert, damit sie die Lage retten können. Der erste Versuch schlägt fehl, denn die Ila, die gottähnliche Überlebende des First Movement, ergreift erfolgreich Gegenmaßnahmen. Die Outsider wollen dringend die Aufzeichnungen der Ila bekommen, um mehr über das Schicksal des First Movement zu erfahren – womöglich gibt es noch weitere Überlebende der Gen-Kriege? Ein Glück, dass die Ila überall ihre Schreibgelehrten, die au’its, hinschickt, um eine Chronik zu führen. Denn die Ila ahnt, dass etwas im Gange ist, um ihre Herrschaft zu beenden.

Als zweite Maßnahme infizieren sie bestimmte Mitglieder der menschlichen Bevölkerung mit langlebigen Nanomechanismen, die der Kommunikation dienen. Alle diese Menschen werden von der Ila und ihren Getreuen als „Verrückte“ bezeichnet und gesucht…

Handlung

Marak Trin Tain lebt auf einem Wüstenplaneten, als Prinz und Krieger eines Stammes, der der Herrscherin der brutalen Eroberer, der Ila, ewige Feindschaft geschworen hat. Er und sein Vater Trin Tain sind die Anführer der Rebellen gegen die Ila, die in der Stadt Oburan herrscht. Doch eines Tages gelingt es Marak nicht mehr, sein Geheimnis zu bewahren: dass er seit seiner Kindheit Stimmen hört, die seinen Namen rufen. Dass seine Wunden schneller heilen als bei anderen und nie eine Narbe zurückbleibt, hat seine Stammesangehörigen bereits verwundert. Nun wird ihnen klar, warum. Sein Vater verstößt ihn, denn einen Verrückten kann er in seinem Stamm nicht dulden.

Doch die Ila hat ein Gebot erlassen, dass alle Verrückten zu ihr gebracht werden sollen. Ihre Priester und Schreiber suchen die Verrückten auf der ganzen Welt, um zu hören, welche Art des Wahnsinns sie erfasst hat. Marak, der geschworene Feind der Ila, ist von ihrer Gnade beschämt, als sie ihm das Leben schenkt. Doch er bekommt auch einen Auftrag. Er soll mit einer Karawane von etwa vierzig Verrückten nach Osten ziehen, dorthin, von wo die Stimmen in seinem Kopf erschallen.

Bei einem Vergleich der Wahnerscheinungen unter den Verrückten stellt sich heraus, dass viele neben ihrem eigenen Namen auch noch anderes wahrnehmen. Marak beispielsweise hat die Vision eines hohen silbernen Turms, von Sternen und von einer Höhle mit Sonnen. Was mag dies zu bedeuten haben?

Die Karawane der Verrückten

Auf dem langen gefahrvollen Weg durch die Wüste nach Osten beginnt er mit einer Kerani-Stammesfrau namens Hati eine Partnerbeziehung. Sie besteht darauf, eine weitere Frau, Norit, in die Partnerschaft einzubeziehen. Beide ergänzen einander ausgezeichnet, und schon bald fühlt sich Marak recht wohl in seiner Haut. Wenn da bloß nicht die anderen Wahnsinnigen wären. In einem Sandsturm verlieren sie wegen des Egoismus von Soldaten ihren Karawanenführer, da sein Zelt verschüttet wird. Sein Sohn, der untröstlich ist, muss die Aufgabe des Toten übernehmen.

Die egoistischen Soldaten finden bald danach ebenfalls den Tod, denn die leere Sandwüste ist nur scheinbar leblos. Verletzt sich ein Lebewesen und verliert Blut, sind binnen kürzester Zeit zahllose Raubtiere zur Stelle, um über die wehrlose Kreatur herzufallen. Marak und seine Anhänger machen sich noch rechtzeitig aus dem Staub, in der Gewissheit, nur ein wenig Zeit gewonnen zu haben. Und immer brennen die Visionen in seinen Träumen, und die Stimmen mahnen ihn Tag und Nacht zur Eile.

Am Ziel?

Eines Nachts ist er dem Ziel bereits so nahe, dass ein Fremder ihn mit seinen telepathischen Kräften rufen und in den Turm geleiten kann. Gegenüber diesem „Ian“, wie sich der Fremde nennt, besteht Marak darauf, seine Frauen mitzunehmen, und auch die Schreiberin der Ila muss als Zeugin mit. Offenbar wollen die Fremden nur ihn. Die Bitte wird ihm widerwillig gewährt.

Die „Höhle der Sonnen“ erweist sich als ein Korridor, an dessen Decke Lampen mit kaltem Licht leuchten, und der Turm ist aus kühlem Metall. Eine Umgebung voller Wunder. Maraks Wunden werden gepflegt und seine Bedürfnisse nach Wasser und Essen befriedigt, dann erscheint eine Frau, die sich Luz nennt. Aber Maraks Durst nach Wissen und Erkenntnis stößt bei ihr auf Widerstand. Wer sind diese weißgesichtigen Leute von fremden Sternen, die alles über die Ila und ihren Auftrag an Marak wissen?

Der Hammerschlag

Was sie von ihm verlangen, schockiert ihn noch mehr als die Enthüllung, sie kämen, wie ursprünglich auch das Volk der Ila, von den Sternen. Sie berichten ihm von den „ondat“: Feinden der Ila, die mit der völligen Vernichtung der Welt drohen, die die Ila gegen den Willen der „ondat“ errichtet habe. Um diesen Hammerschlag abzuwenden, bittet ihn Luz, müsse er alle Bewohner der Welt – die zerstrittenen Stämme, die Dorfbewohner, die Priester und schließlich auch die Ila selbst – dazu überreden, sich mit ihm auf eine gefahrvolle Reise durch die Wüste zu begeben: zum Turm, der die einzige Sicherheit biete.

Als die vier Wüstenbewohner wieder hinaustreten, erwartet sie ein weiterer Schock. Die ganze Umgebung ist mit weißen Zelten bedeckt. Weitere Verrückte, die der Turm herbeigerufen hat. Sie fühlen sich wie im Paradies, warum also nicht bleiben? Es gibt genügend Wasser und Essen für alle – für Leute von überall her aus der Wüste. Es ist das Paradies.

Aufbruch

Doch die Stimmen drängen Marak erneut: Sie wollen seine Rückkehr nach Oburan. Denn der ganze Planet scheint nur noch Tage von der völligen Vernichtung entfernt zu sein. Tausende von Sternen fallen und die Erde bebt wie in Konvulsionen. Und das Wunder aller Wunder: Wasser, das vom Himmel fällt!

Die Welt wartet darauf, Maraks Stimme zu vernehmen. Aber ist irgendjemand gewillt, auf die Stimme eines Verrückten zu hören? Kann er die verfeindeten Stämme besänftigen, so dass sie alle sein Ziel anstreben? Kann er als Prophet vor die Ila treten und mit Norit als Luz’ Sprachrohr vor die Ila treten, um den Willen der Fremden zu verkünden? Oder wird auch die Ila ihn für wahnsinnig erklären und töten lassen?

Blutfehde

Wie sich herausstellt, ist Norit inzwischen das Sprachrohr von Luz und kann die Ila überzeugen, ihr Volk auf den Marsch zu bringen, um den Turm zu erreichen, bevor der Planetenkiller, den Luz vorhersagt, die halbe Welt zerstört. Doch die immense Karawane, die sich durch die Wüste gen Osten quält, ist alles andere als sicher. Als Maraks Vater seine Chance sieht, sie mit einer eigenen Armee anzugreifen, um das Machtvakuum zu füllen, tötet er zuerst Maraks Mutter. Gewarnt von seiner Schwester, bricht Marak auf, um seinen Vater aufzuhalten, bevor ihm nicht nur Maraks Familie, sondern auch die Ila selbst zum Opfer fällt…

Mein Eindruck

Dies ist das erste neue Universum, das Cherryh seit 30 Jahren erfunden hat und verdient entsprechende Aufmerksamkeit. „Hammerfall“ spielt gänzlich auf Maraks Welt, doch die Fortsetzung „Forge of Heaven“ spielt zu großen Teilen auf Concord Station, die diese Welt umkreist. Concord Station ist die einzige Einrichtung im Universum der Gen-Kriege, auf der Menschen, Outsider und Ondat friedlich zusammenleben. Man darf also neugierig sein, wie es mit Marak, seinen Gefährtinnen und seinen Nachfahren weitergeht. Schon am Schluss von „Hammerfall“ blickt Marak auf eine Schar von Enkeln zurück….

Ein neuer Moses

Denn Marak ist ein Unsterblicher. Das dürfte von seinen Selbstheilungskräften eindeutig belegt sein, denn er ist ja von den Nanos der Outsider (Luz) zu einem Übermenschen gemacht worden. Marak hat allerdings nichts mit Vorbildern wie Paul Muad’dib zu tun, und sicher lag es nicht in Cherryhs Absicht, einen zweiten DUNE-Zyklus zu erfinden – das wäre völlig überflüssig, denn das DUNE-Universum wird ja selbst von den Rechteinhabern stetig ausgebaut. Marak hat wesentlich mehr von einem Moses an sich, und als Leiter des Exodus erwarten alle von ihm Regeln und Anweisungen, so seltsam und ungewohnt ihm das auch vorkommt. Und er zweifelt auch ständig an sich: Kann er die Verantwortung für über 100.000 Menschen plus die Herrscherin der Welt übernehmen? Er muss.

Zwischen zwei Feuern

Viel interessanter ist Maraks Position zwischen den zwei mächtigsten Frauen seiner Welt. Auf der einen kennt er die gottähnliche Ila, eine offenbar unsterbliche Frau, die den Planeten erobert hat und ihn mit ihren Priestern und Schreibern verwaltet. Diese Angestellten sind alle mit den Nanos der Ila infiziert, die wiederum von den Ondat gefürchtet werden.

Auf der anderen Seiten steht Luz, die Outsiderin, die Maraks Partnerin Norit als ihr Sprachrohr erkoren hat und ihr, wie allen „Verrückten“, individuelle Visionen schickt. Man kann also neugierig darauf sein, wie sich die Wesen, die mit übermenschlichen Eigenschaften ausgestattet sind, gegeneinander behaupten und ob sie es schaffen, Maraks Welt vor der Zerstörung durch die Ondat zu bewahren. Denn der Hammer, ein großer Asteroid, wird unausweichlich fallen. Wer wird überleben?

Es gibt zwei weitere Frauen, zwischen denen sich Marak behaupten muss: seine Ehefrauen. Norit, die verrückte Prophetin, ist eine Frau aus den Dörfern, die die Wüste nicht kennt und dort keine Verbündeten hat. Ganz im Gegensatz zu der patenten, zupackenden Hati, die aus den Stämmen kommt und alles über das Überleben in der Wüste weiß. Sie führt den Haushalt und ist stets Maraks größte Stütze.

Doch sein erstes Kind bekommt Marak von Norit, nämlich als Stiefkind: die kleine Tochter Lelie. Als Marak, mit Lelie im Arm, von seinem Vater angeschossen wird, vermischen sich seine Nanos mit Lelies Blut und helfen der Einjährigen, in der Wüste zu überleben und die Stimmen zu hören. Willkommener Nebeneffekt: Alle mit den „Helfern“ Maraks Infizierten können die Nähe und den Standort eines anderen solchermaßen „Verrückten“ spüren. Ein ganz persönliches GPS-System.

Ein neuer Stil

Wir beobachten die Vorgänge durch Maraks Augen, und zwar jedes kleine Detail. Das stellt sich als ein wenig langatmig heraus, wenn auch der neue Prosastil dafür angemessen ist. „Hammerfall“ ist in einem Fantasy-Stil geschrieben, der weit entfernt von jener angespannten, ökonomischen Schreibe ist, die wir von den Allianz-Union-Romanen wie „Tripoint“ oder „Pells Stern“ kennen und lieben. Lyrische Beschreibungen in einem altertümlichen, fast schon bibelhaften Stil kenne ich aus dem Fortress-Zyklus, dessen vier erste Romane ich besprochen habe („Fortress of Ice“ steht noch aus). Dieser Stil kommt den Lesern von Mainstream- und historischen Romanen weit entgegen. Der Leser muss auch keinerlei technische Vorkenntnisse mitbringen. Es reicht, wenn er oder sie schon mal den Begriff „Nanotechnologie“ gehört hat.

Ist dieser Stilwandel jetzt der Altersweisheit einer gereiften Schriftstellerin geschuldet, frage ich mich. Aber ich finde, es ist ihre künstlerische Freiheit, mal einen anderen Tonfall zu probieren als den, für den sie seit über 30 Jahren (seit „Cassandra“ und „Das Tor von Ivrel“) bekannt ist. Im Deutschen könnte man diesen Stil sogar besser wiedergeben, denn das Original fordert den Leser durch die ungewohnte Satzbauweise häufig heraus.

Neue erfundene Wörter wie „aidat“, ein Gesichtsschleier, fordern ebenso Gewöhnung wie die Erkundung des sich langsam in seinen Ausläufern zeigenden neuen Universums. Ein Glossar ist jedoch in „Hammerfall“ nicht enthalten. Um etwa die oben skizzierte Vorgeschichte, einen Lageplan und eine politische Übersicht zu erhalten, muss man „Forge of Heaven“ konsultieren. Leider war die Überforderung des Lesers durch fehlende Worterklärungen schon in „Fortress in the eye of time“ ein großes Hindernis bei der Bewältigung des Lesestoffs. Wenigstens ist Maraks Welt längst nicht so komplex wie Galasien – wer eine Wüste kennt, kennt sie alle.

The Gene Wars

Dieser neue Mini-Zyklus trägt den Titel “The Gene Wars”. Nun hab ich mich gefragt, wie denn dieser historisch schwer vorbelastete Kriegsbegriff umgesetzt wird. Vielleicht mit irgendwelchen interstellaren Dimensionen? Nichts dergleichen ist in „Hammerfall“ zu finden. Ja, es stellt sich heraus, dass der Begriff „gene war“ in einem ganz persönlichen und sogar intimen Sinne auf das Aufeinandertreffen der Nanomechanismen (= quasi also die Gene) von Luz und Ila anzuwenden ist. Der Vertreter von Luz ist dabei natürlich Marak, quasi als ihr Champion.

Die Schlüsselszene für den „gene war“ und einer der zwei Höhepunkte des Romans ist der Showdown zwischen Marak und seinem Vater Trin Tain sowie der nachfolgende Kampf zwischen den schwer verwundeten Kontrahenten Marak und Ila. Als sich das Blut ihrer Wunden in einer intimen Umarmung und einem Kuss vermischt, stellt sich beiden die spannende Frage, welche Nanos stärker sein werden: die der Outsider oder die der Ila? Diese Frage ist auch für die Ondat-Aliens von entscheidender Bedeutung. Denn wenn sich die Ila als stärker erweist, wird diese Welt vernichtet.

Ich war verblüfft, als ich die globale Dimension einer simplen Umarmung erfasste. Die Ila sagt es unglaublicherweise ja selbst: „This is war, Trin Tain.“ (Seite 375) Sie redet Marak mit seinem Familiennamen an, um ihn an seine Abstammung zu erinnern. Wer sich bislang gefragt hat: Was ist schon ein Kuss?, der wird nun erkennen müssen, dass darin das Schicksal einer Welt begründet sein kann.

Unterm Strich

Es war schon immer die Kunst Cherryhs, die Betroffenen eines weitreichenden Vorgangs – sei es ein Krieg oder eine Seuche – als Zeugen dieses Vorgangs hautnah zu zeigen, um uns so zum Mitleiden zu verführen. Das begann schon in „Cassandra“, wo die Hauptfigur als einzige in der Stadt den kommenden Krieg nicht nur vorhersieht, sondern tatsächlich wahrnimmt, weil sie eben eine „Schwarz-Seherin“ ist. In „Hammerfall“ ist Marak der Betroffene, der die Verantwortung für das Schicksal der Welt auf seine Schultern geladen bekommt, obwohl er das ebenso wenig will wie jene Cassandra.

Aber wie die Seherin zeichnet ihn eine besondere Gabe aus, nämlich sein Wahnsinn. Dieser grenzt ihn zunächst aus, doch es stellt sich heraus, dass die Verrückten einen Überlebensvorteil haben: Sie hören die warnenden Stimmen, die die Outsider ausstrahlen und zugleich können sie einander spüren. Der dritte Vorteil ist der wichtigste: Die Nanos machen alle Verrückten nicht nur zu Überlebenskünstlern, sondern tatsächlich unsterblich.

„A kiss is just a kiss“?

Die Gen-Kriege entzünden sich an der alles entscheidenden Frage, ob Maraks Nanos stärker sein werden als die der Ila. Denn die Ila hat verbotene Gene in ihrer Welt eingeführt und muss nun dafür die Strafe der Ondat-Aliens fürchten: Die Vernichtung ihrer Welt ist durch den Asteroidenbeschuss durchaus ein Ding der Möglichkeit geworden. In einer unerwartet intimen Gewaltszene (S. 372ff) wird dieser Krieg durch einen Kuss und das Mischen des Blutes entschieden. Welche Nanos stärker sind, entscheidet über Wohl und Wehe von hunderttausend Menschen auf Maraks Welt.

Der Spannungsbogen

Natürlich fragt sich der Leser von Anfang, ob der “Hammer” tatsächlich fallen wird oder ob dies nur eine Finte von Luz ist, um Gehorsam zu erzwingen. Nein, der „Hammer“ fällt tatsächlich und löst einen planetenweiten Kataklysmus aus, der die Welt grundlegend verändert. So ähnlich könnte man sich den Asteroideneinschlag vorstellen, der vor ca. 65 Mio. Jahren die Dinosaurier auf der Erde auslöschte. Im Schluss erfahren wie so ganz nebenbei, dass der Wüstenplanet zwei Generationen lang von einer Wolkendecke überschattet ist.

Neuer Erzählstil

Allerdings ist „Hammerfall“ in einem völlig anderen Erzählton als die anderen SF-Romane Cherryhs gehalten. Dieser neue lyrische Tonfall ist mir aus der Fantasy Cherryhs besser bekannt und fordert eine gewisse Umstellung vom Leser. Wer aber schon historische Romane über die Wüste gelesen hat (etwa T.E. Lawrence: „Die sieben Säulen der Weisheit“), der wird erfreut feststellen, dass er überhaupt keine weiteren Vorkenntnisse mitbringen muss, auch nicht über Cherryhs andere Werke. Ein kleines Glossar hätte allerdings nicht geschadet, um die Sprache der Stämme zu erläutern.

Ich habe wegen dieser Umstellung im Erzählstil und in der über weite Strecken actionlosen Handlung rund acht Jahre (mit langen Unterbrechungen) für diesen Roman gebraucht. Aber ich hoffe, ich werde für die Fortsetzung „Forge of Heaven“ nicht so lange brauchen.

Tipp

Wer ein Wüstenplanet-Action-Drama sucht, sollte DUNE lesen. Wer Cherryhs neuere Fantasy mag (Galasien-Zyklus), könnte auch „Hammerfall“ mögen. Wer anderweitig Action bei Cherryh sucht, sollte den Atevi-Zyklus lesen, an dem die Autorin seit fünfzehn Jahren schreibt.

Hardcover: 400 Seiten
Sprache: Englisch

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