Wolfgang Jeschke (Hrsg.) – Heyne Science Fiction Jahresband 1980

Mannigfaltige Auswahl: preiswerte Einführung in die Science Fiction

Der inzwischen in Rente gegangene Herausgeber der Heyne-Science-Fiction-Reihe, Wolfgang Jeschke, pflegte von 1980 bis 2000 eine schöne Tradition: Jedes Jahr präsentierte er seinen Lesern eine Anthologie von guten phantastischen Geschichten zu einem sehr erschwinglichen Preis. Lag dieser 1980 noch bei schlappen 4,80 DM, so war der Preis im Jahr 2000 bereits bei 18,00 DM angelangt – und wäre heute überhaupt nicht mehr bezahlbar. (Man könnte man die Preissteigerungsrate ausrechnen: Sie ist astronomisch hoch.)

Wie immer jedoch lieferten die SF-Jahresbände Erzählungen, die von der ersten Liga der Autoren und Autorinnen stammte. Stets war ein kleiner Ausreißer dabei, sei es ein Autor aus dem Ostblock – zu dem Jeschke von jeher gute Kontakte pflegte -, oder ein Kurzroman, etwa von C. J. Cherryh.

Die Erzählungen

1) Poul Anderson: Jägermond (1978)

Die erdähnliche Welt Medea umkreist die Sonne Castor C, mehr als 100 Lichtjahre von Terra entfernt. Die Alienforscher untersuchen die zwei intelligenten Rassen der Dromiden (Füchse) und der Ouraniden (Ballons), und zwar mit Hilfe von Neuroanalyse, einer Art Gedankenlesen mit Sonden. Hugh und Jannika erklären der neu angekommenen Biochemikerin Christoula, wie das im einzelnen vor sich geht und was sie festgestellt haben. Nur auf der Insel Hansonia führen diese beiden Rassen Krieg gegeneinander, aber keiner weiß den Grund dafür.

Wenn die Feuerfliegen unter den zwei Monden Jason und Argo aus dem Boden schlüpfen, um sich zu paaren, dann ist für die schwebenden Ouraniden ein Festmahl angerichtet. Aber das wissen inzwischen auch die Dromiden, die schon auf sie warten. Die menschlichen Forscher haben je ein Exemplat der beiden Gattungen verdrahtet, um mit ihnen in telepathischen Kontakt zu treten. Doch Jannija und Hugh sind zueinander ebenso in Feindschaft getreten wie die beiden Anführer der Aliens. Es kommt zu einer Rückkopplung, die sich auf die Alien-Anführer überträgt, und somit zu einer harten Konfrontation auf Leben und Tod …

Mein Eindruck

Die etwa 50 Seiten lange Novelle schildert auf einfühlsame Weise alle vier Seiten des beinahe tödlich verlaufenden Konflikts. Wir erleben das Fühlen und Denken der Dromidin und des Ouraniden, aber auch von Jannika und von Hugh. Nur so lässt sich das Gesamtergebnis ihrer unterbewussten Interaktion, der telepathischen Rückkopplung, die sie nicht wollten, verstehen. Während Jannika hinterher verwirrt und erschüttert ist, analysiert Hugh schon die Geschehnisse und kommt darauf, dass es eine Rückkopplung gegeben haben muss. Während sich jannika für ihre Füchsin einsetzte, stand Hugh auf Seiten seines Ouraniden und übertrugt seine Feindschaft gegen Jannika auf diesen, was zu einem völlig untypischen Verhalten führte: zu einem Angriff auf die Dromidin.

Die Story schildert auf bezaubernde, aber nicht vereinfachende Weise die Arbeit von Xenologen und Verhaltensforschern. Sie verschweigt deren größtes Handicap nicht, das fast jeder Wissenschaftler kennt: Durch den Akt der Beobachtung verändert sich das Beobachtete. Werner Heisenberg hat darüber im Bereich der Quantentheorie geschrieben. Eine bekannte Metapher dafür ist Schrödingers Katze. Diese wird nun in den Dromiden und Ouraniden wieder lebendig. Es ist ein philosophisches problem, doch es wird nie thematisiert, sondern immer ganz konkret vor Augen geführt. Und am Schluss gibt es eine Art Friedensschluss.

Diese Geschichte ist für den Nicht-SF-Leser durchaus anspruchsvoll – und das gleich am Anfang dieses Auswahlbandes! Aber es lohnt sich, sie sich zu erarbeiten. Aus den oben genannten Gründen, und weil sie ein paar sehr schöne Szenen enthält.

2) Isaac Asimov: Die Maschine, die den Krieg gewann (1961)

Der Krieg mit den Debianern ist zu Ende, die Terraner feiern auf den Straßen der Hauptstadt. Im Hauptquartier der Streitkräfte, in einem stillen Computerraum, ist den Technikern und ihrem Direktor zwar auch nach Feiern zumute, aber einer, Henderson, hält es nicht mehr aus. Es stimme doch gar nicht, dass der Riesencomputer Multivac den Krieg gewonnen habe! Er selbst habe die erratisch eintreffenden Daten nach vernünftigen Maßgaben vorsortiert, bevor er sie dem Rechner gab. Wie sich herausstellt, wurden die Dateneingaben noch einmal gewichtet, und schließlich verrät der Direktor den erstaunten Anwesenden, wie er sich die schwierigsten Entscheidungen in diesem langen Krieg leichter machte: Er wirft eine Münze …

Mein Eindruck

Die Story führt den Titel ad absurdum. Während ein Rechner gefeiert wird, erscheinen nacheinander die Männer (Frauen tauchen hier nicht auf) als die unentbehrlichen Voraussetzungen für den Erfolg, den die Propaganda dem Rechner andichtet. Das ist auch richtig: Ohne die Programmierer, die die Software für die Rechner schreiben würden, könnten Letztere nicht richtig oder optimal arbeiten. Eine simple Botschaft, nicht sonderlich aufregend vermittelt. Aber wie stets bei Asimov mit einer Pointe.

3) Ray Bradbury: Heimkehr (1946)

Der 14-jährige Timothy lebt in einem großen Spukhaus und freut sich, endlich wieder seine große Verwandtschaft wiederzusehen. Denn schließlich ist am nächsten Tag Halloween, und alle Vampire, Werwölfe und Untoten finden sich zu einem Stelldichein hier im Spukhaus ein. Timothys Schwester Cecy ist eine Geistwandlerin, sie kann die Verwandten nahen sehen und erzählt Timothy davon. Ganz nebenbei treibt sie eine Frau an der Salton Sea in Kalifornien in den Selbstmord.

Doch als die Party dann beginnt, fühlt sich Timothy irgendwie ausgeschlossen und ist frustriert: Er ist weder ein Vampir noch ein Werwolf noch ein Wiedergänger oder dergleichen. Um wenigstens ein wenig Eindruck zu schinden, bringt er seine Schwester dazu, in ihn zu schlüpfen und ihm so zu einem Verhalten zu verhelfen, das dem der anderen gleicht. Endlich kann er Blut trinken und Kröten essen. Leider verrät sie ihn, und wenig später gibt er all die schönen Delikatessen wieder von sich.

Ach, was gäbe er nicht alles für ein wenig Untotsein! Ob er wohl das Wiedersehen anno 1970 in Salem noch erleben wird?

Mein Eindruck

In einer unglaublich bilderreichen und anrührenden Schilderung gelingt es dem Autor, auf eindringliche und anschauliche Weise die Lebenslage eines 14-jährigen Normalen in einer Welt voller Horrorgestalten zum Leben zu erwecken. Es gibt zwar wenig Handlung, aber wenigstens einen kleinen Aufstand seitens Timothys. Die große Ironie an diesem Sachverhalt wird mit keinem Wort erwähnt. Timothy kommt sich als der Andersartige, die Abnormität vor, während es sich in unseren Augen genau andersherum verhält. Was mal wieder zeigt, wie relativ die Begriffe „Normalität“ und „Außenseiter“ sind – man muss nur das Bezugsfeld ändern. Und ganz nebenbei entwickeln wir ein wenig Mitgefühl für all die „Munsters“ im Spukhaus.

4) Robert A. Heinlein: Der Mann, der den Mond verkaufte (1949)

Delos David Harriman, ein erfolgreicher amerikanischer Unternehmer, hat es sich in den Kopf gesetzt, so bald wie möglich eine Rakete zum Mond zu schicken. Aber was er seinen Kollegen vom Industriellensyndikat vorstellt, geht noch weit darüber hinaus: eine Kolonie auf dem Mond namens Luna City, mit ihm selbst als Bürgermeister sowie eine Fluglinie zwischen Erde und Trabant. Sie schütteln lediglich ihre Köpfe ob solcher Phantastereien. Doch am Schluss verkaufen sie ihm ihre Ansprüche für zehn Dollar das Stück.

Und als es ihm gelingt, einen Chefingenieur und einen Generalmanager einzustellen, die eine richtige Konstruktionsfirma für Raketen auf die Beine stellen, da vergeht den Konzernchefs das Grinsen. Gegenüber jeglicher Einmischung seitens der Regierung der Vereinigten Staaten und des Militärs hat sich Harriman ebenfalls abgesichert. Er will alles in privatwirtschaftlicher Eigeninitiative auf die Beine stellen, und wenn die Regierung Ansprüche auf den Mond erheben will, so wird sie feststellen, dass es eine gemeinnützige Gesellschaft der UNO gibt, die alle Ansprüche vertritt – und die Harriman dirigiert.

Die erste Rakete erhebt sich mit dem Piloten LeCroix in den Himmel über Colorado, doch Harriman ist nicht an Bord. Tatsächlich ist es ihm vorerst nicht vergönnt, einen Fuß auf den Erdtrabanten zu setzen, den er selbst zu erobern half. (Das gelingt ihm erst in der Erzählung „Requiem“.) Durch einen Trick streut er das Gerücht, auf dem Mond gebe es möglicherweise Diamanten – und der Run geht los.

Mein Eindruck

Wieder einmal zeigt Heinlein, was privatwirtschaftliche Eigeninitiative auf die Beine zu stellen vermag – wenn man es von Behördenseite zulässt. Harriman hat das einige Kämpfe auszufechten, doch nur einer davon wird stellvertretend geschildert, nämlich den mit der Atomenergiekommission. Dieses langweilige Zeug lässt Heinlein lieber weg, was dem Leser nur Recht sein kann. Besonders der Anfang mit DDs tollkühn erscheinendem Vorschlag ist brillante Unterhaltung, doch mir fiel auf, dass hier knallharte Yankee-Geschäftemacherei den Ton angibt. Von sozialer Marktwirtschaft kann keinerlei Rede sein. Hier geht’s nur um den Dollar, zumindest für die Industriellen. Aber wenigsten behält die große Idee im Auge: Harriman selbst. Das ist der einzige Grund, warum wir ihm Sympathie entgegenbringen.

Diese Textversion, die Fritz Steinberg anfertigte, ist 23 Seiten kürzer als jene, die Rosemarie Hundertmarck 1988 in „Future History“ anfertigte. Aber sie ist dafür fehlerfrei, und sämtliche amerikanische Maßangaben wie Yards, Meilen usw. wurden in deutsche Maßangaben umgerechnet. Daher kann sich der deutsche Leser viel mehr darunter vorstellen. Leider sind dafür einige Formulierungen etwas antiquiert.

5) Robert Silverberg: Reise ans Ende der Welt (1972)

Schauplatz ist ein hypermodernes Haus des Jetset. Nick und Jane (keiner braucht hier Nachnamen, denn man kennt einander) haben zu einer Party eingeladen. Das erste Pärchen können sie noch mit der Nachricht beeindrucken, sie hätten eine Zeitreise zum Ende der Welt gemacht. Nick schafft es mit dieser Statuserhöhung, bei Paula zu landen und wird mit ihr später ein Stelldichein vereinbaren.

Doch schon das nächste Pärchen schneit mit der Nachricht herein, dass sie ebenfalls fort waren, um das Ende der Welt zu sehen. Nur, dass es ganz anders aussah als bei Nick und Jane. Statt einer müden roten Sonne, unter der das letzte Lebewesen der Welt auf einem leeren Strand stirbt, sahen sie, wie die Sonne zur Supernova wurde. Stan beginnt, nervende Fragen zu stellen, ob dieser Zeitreiseveranstalter nicht vielleicht ein Scharlatan sein könnte.

Für weitere Pärchen stellt sich das Weltende jeweils anders dar: als totale Vereisung oder als der Absturz von Mondtrümmern usw. Während sich die Tanzpartner abwechseln und sich Sexpartner neu formieren, scheint keinem der Gäste der Gedanke zu kommen, dass die aus Texas ausgebrochene Cholera vielleicht den Untergang der eigenen Welt ankündigen könnte. Kopfzerbrechen bereitet eher der Umstand, dass der schon wieder ein Präsident ermordet wurde und wegen dessen Beerdigung die Wirtschaft stillstehen werde …

Mein Eindruck

„Eine müde rote Sonne, unter der das letzte Lebewesen der Welt auf einem leeren Strand stirbt“ – das beschreibt das Szenario, das der Reisende auf seiner zweiten Zeitreise in H. G. Wells‘ Klassiker „Die Zeitmaschine“ vorfindet. Somit stellt sich der Autor mit seiner Erzählung in eine großen Tradition – nur um sie sogleich zu unterlaufen, indem er diesem großen Schreckbild Wells‘ eine ganze Reihe weiterer folgen lässt. Denn die Zukunft ist nicht festgelegt. Und die Reise zum „Ende der Welt“ ist vielleicht nur irgendwo im Fernsehstudio inszeniert worden. Die Reisenden fahren in einer Art U-Boot dorthin und sehen durch die Bullaugen nichts außer dem, was ihnen gezeigt wird.

Doch amüsiert geht die eigene Welt zugrunde, während sie auf einem Vulkan tanzt. Die Cholera lässt sich nicht besiegen, die Regierung hat Detroit mit taktischen Atomwaffen wegen der dortigen Unruhen ausradiert, St. Louis ist kurz vor dem Untergang, Fresno wurde NICHT von dem neuesten Erdbeben getroffen, und schon wieder wurde ein Präsident ermordet.

Diese Katatrophen werden so nebenbei erwähnt und ergeben offenbar lediglich im Kopf des Lesers das Bild einer Welt, die am Ende ist, doch nicht in den Köpfen der Partygänger. Diese sind weiter auf ihr Vergnügen im Hier und Jetzt bedacht. Sie wollen die Unbilden der Natur, der Seuchen und der Politik so schnell wie möglich vergehen. Sonst müssten sie sich ja zusammensetzen, um zu besprechen, was sie unternehmen oder wie sie einander helfen könnten. Das ist offenbar nicht der Sinn einer guten Party.

6) Tanith Lee: Weggefährten (1975)

Havor von Taon, genannt „Der Falke“, ist der Söldnerhauptmann für 30 Mann unter der Fahne des Königs, der sich anschickt, den ganzen Norden seinem Reich einzuverleiben. Die hartnäckigste Stadt im Norden ist Avillis, von dem das Gerücht unter den Soldaten umgeht, dass sein Herrscher mit Teufeln und Dämonen im Bunde sei. Wie dem auch sei, Havor gibt nichts darauf und erstürmt die durch Verrat preisgegebene Stadt ebenso leicht wie die anderen Soldaten. Binnen einer Nacht ist die Festung gestürmt und die Stadt bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Der König ist bekannt dafür, dass er Verrätern keine Gnade gewährt, selbst wenn er sie zu seinem Vorteil nutzt. Der Herrscher von Avillis und seine Familie haben sich nicht ergeben.

Havor gibt kriegsmüde sein Kommando ab. Als er und sein vorheriger Untergebener Feluce von einem Dieb bestohlen werden, holt Feluce den Mann ein und bedroht sein Leben. Kalich, der Dieb, verspricht, ihnen im Austausch für sein Leben einen Schatz in den Geheimkammern des Palastes zu zeigen. Er habe nämlich eine Schatzkarte.

Sie betreten den Palast und stoßen tatsächlich auf eine verborgene Tür. In dem Korridor dahinter sind sie auf alles gefasst, nur nicht auf das, was sich hinter einem Vorhang verbirgt: ein prachtvoll mit Edelsteinen verzierter goldener Kelch. Gierig starren sie darauf und malen sich Reichtümer aus. Doch Havor, als der Besonnenste, lässt sie alle Bruderschaft schwören und dass sie den Lohn für den Kelch zu gleichen Teilen einstreichen wollen. Insgeheim plant er, den Lohn den Hinterbliebenen seines gefallenen Kameraden Lukon zu geben.

Ihr Weg führt südwärts nach Venca, der Stadt der Goldschmiede und Edelsteinhändler. Doch so weit kommen sie nicht. In der ersten Nacht erwacht Kavor durch einen Schrei. Als er nachsieht, erblickt er ein Mädchen mit goldenem Haar, vermutlich die Tochter des Wirts. Er findet Kalich tot in seinem Bett vor, vermutlich an einem Herzanfall gestorben. Dass der Wirt die beiden Fremden lieber heute als morgen davonziehen sieht, kann er verstehen, kennt aber noch nicht den wahren Grund.

Als sie in einer Ruine übernachten, schläft Havor recht gut, doch am nächsten Morgen findet er Feluce nicht. Er sucht in der weitläufigen Ruine eines ehemaligen Palastes nach ihm. In dem Brunnen, wo er eigentlich die Wasserflasche nachfüllen wollte, stößt er endlich auf Feluces Leiche: Er ist ertrunken. Jetzt ist sich Havor wirklich sicher. Ein Fluch lastet offenbar auf dem Kelch. Und aus den schattenhaften Verfolgern, die er am Horizont sehen konnte, sind Mörder geworden. Er ist als nächster an der Reihe.

In dem Dorf Axa erfährt er endlich das Geheimnis des Kelchs. Das Gefäß wurde vom Magus von Avillis für blutige Rituale der schwarzen Magie verwendet, um Blut darin aufzufangen. Natürlich will der Magus bzw. dessen Geist ihn zurückhaben. Und dessen Tochter, die auf den Leichen ihr goldenes Haar zurücklässt, sucht als Rachegeist die Diebe nächtens im Traum heim. Havor fragt den Priester des Ortes, doch der rät ihm nur, den Kelch schnellstens loszuwerden, jedoch auf keinen Fall irgendwo in Menschennähe, denn das verfluchte Ding brächte nur Unheil über Unschuldige. Doch Venca ist noch drei Tagesreisen entfernt. Mit einem Kräutermittel schafft Havor es jedoch, sich nachts wachzuhalten.

Nach der zweiten Nacht wollen ihn im Halbschlaf Traumgespinste in die Irre führen, und nur ein Schmerz hält ihn davon ab, dem nachzugeben. Vor den Wölfen rettet ihn ein Mädchen, das in der Nähe wohnt, und sie stellt sich als Lukons Schwester Silsi heraus. Sie hat eine Gabe, doch was noch mehr ist, sie glaubt ihm seine Geschichte über den Kelch und die geisterhaften Weggefährten. Zusammen können sie es vielleicht mit den teuflischen Rachegeistern aufnehmen …

Mein Eindruck

Die Stärke dieser Novelle liegt wohl weniger im Plot, der nicht sonderlich aufregend ist, sondern in der geschickt und auf vielfältige Weise heraufbeschworenen Stimmung. Das unheimlicher werdende Land zwischen den Dörfern wird von mehr als Naturerscheinungen beherrscht. Und die Nächte sind ebenso gefährlich wie der Schlaf. Der Übergang zwischen dem, was ein Mann im Wachen erlebt, und dem, was ihm ein Traum vorgaukelt, ist fließend und wird auch nicht extra gekennzeichnet. Der Leser muss den Unterschied selbst erkennen. Und es fällt uns genauso schwer wie dem Träumer, dem die goldene Frau im Traum erscheint, während sie das Verderben über ihn bringt.

Havor hat mich als Figur oft an Havald, den alten Krieger in Richard Schwartz‘ Askir-Zyklus erinnert. Beide versuchen sich als rechtschaffene Menschen durchzuschlagen, müssen sich aber unheimlicher und mitunter teuflischer Mächte erwehren. Im Unterschied zu Havald hat Havor bereits aufgegeben und erwartet den Tod von der Hand der Geisterbeschwörer. Doch zum Glück wird ihm Hilfe von unerwarteter Seite zuteil, und seiner Zukunft an der Seite von Silsi steht nichts mehr im Wege. Havor ist zwar nicht gläubig, doch seine guten Taten haben seine Erlösung gerechtfertigt. Darum geht es: um Wiedergutmachung.

7) John Varley: Das Phantom von Kansas (1975)

In einigen Jahrhunderten wird das Gedächtnis eines Menschen komplett aufgezeichnet werden können. Die Archimedes Treuhandgesellschaft auf Luna erledigt das und hütet die Erinnerungen ihrer betuchten Kunden in einem gesicherten Tresor, genau wie eine Bank. Bis dann in den Tresor eingebrochen wird. Die Einbrecher sind offenbar nicht an den Wertpapieren interessiert gewesen, sondern an den Speicherzellen: Sie löschten sie allesamt. Das lief auf Mord hinaus.

Eine der Kundinnen bei der ATG ist Miss Fuchs, eine Environment-Künstlerin, die in den Disneylands auf dem Mond Wetter-Symphonien designt und aufführt. Nachdem das Gericht die ATG dazu verdonnert hat, Fuchs neu zu registrieren, begibt sich die junge Frau zum Arzt und lässt ihr Gedächtnis aufzeichnen. Als sie wieder erwacht und ihre Desorientierung überwindet, blickt sie in besorgte Gesichter ringsum, unter ihnen ihre Mutter Carnival. Bei einem Besuch des Präsidenten der ATG, Mr. Leander, erfährt Fuchs, dass sie selbst allen Grund hat, sich Sorgen zu machen: Sie wurde bereits dreimal ermordet. Die drei Vorgängerinnen wurden binnen zweieinhalb Jahren Opfer eines Unbekannten. Doch wessen Zorn kann sie, Fuchs, auf sich gezogen haben? Den eines Konkurrenten? Eines Fans, eines Irren?

Fuchs lässt sich schleunigst wieder aufzeichnen, denn sie beurteilt ihre Zukunftsaussichten als recht bescheiden und will ihrer Nachfolgerin eine Chance geben, erstens zu überleben und zweitens sie zu rächen. Aber was kann sie selbst unternehmen? Inspektorin Isadora rät ihr, zu Hause zu bleiben statt wie ihre Vorgängerin (Nr. 3) zu den Planeten zu fliegen. Der Irre, der sie verfolgt, hat Sort offenbar erwischt. Fuchs ist einverstanden.

Dann fragt sie den Zentralcomputer von Luna, ob er ihr helfen kann. Von den 210.000 Menschen, die auf Luna leben, kommt über 93% als Täter in Frage. Doch es gibt es eine Dunkelziffer von sogenannten „Gespenstern“ oder „Phantomen“, die nicht illegal auf dem Mond leben, widerrechtlich hier geboren oder geklont wurden. Der ZC verfolgt und terminiert sie; das ist sein Job. Dies Aussichten sind gut, findet Isadora, dass Fuchs als Köder bei einer ihrer Aufführungen den Täter in eine Falle locken könnte.

Über sechs Mondmonate oder „Lunationen“ vergehen, in denen Fuchs in aller Ruhe ihr neues Kunstwerk entwickeln und dessen Aufführung im Kansas-Disneyland vorbereiten kann. Tornados und eine donnernde Büffelherde spielen dabei eine tragende Rolle. Es wird die Zuschauer umhauen! Jetzt muss Fuchs die Aufführung bloß noch überleben …

Mein Eindruck

Herb Loeb alias „John Varley“ entwickelte sich Anfang der siebziger Jahre zu einem Shooting Star unter den SF-Autoren. Er kombinierte Einfallsreichtum mit komplexen Weltentwürfen und detailliert gezeichneten Figuren, für die man sich wirklich interessiert. Fuchs, die Wetterkünstlerin, ist solch ein Charakter. Sie ist keine von uns und deshalb ein Rätsel. Das macht neugierig und wartet mit einigen Überraschungen auf, die sich auf den Handlungsverlauf auswirken.

Ihr Schicksal ist unauflöslich mit der Gesellschaft verknüpft, in der sie lebt und sich verändert. Auch diese Gesellschaft ist nicht unsere, obwohl uns ein paar Elemente bereits bekannt vorkommen. Dazu gehören die Disneylands, wenn auch unsere längst nicht 250 km im Durchmesser messen – aber auf dem Mond ist in den großen Kratern viel Platz.

Der zweite bekannte Faktor ist der Zentralcomputer, eine Künstliche Intelligenz (KI). Und wer Heinleins klassischen SF-Roman „Der Mond ist eine herbe Geliebte“ gelesen hat, weiß, welch entscheidende Rolle ein Zentralcomputer für ein Gemeinwesen spielen kann. Bei Heinlein heißt die KI Mycroft, nach Sherlock Holmes‘ Bruder. Varleys ZC hat keinen Namen, aber das macht ihn umso sympathischer. Er entwickelt sich zu einem echten Freund von Fuchs.

1992 benutzte Varley diesen Schauplatz mit sämtlichen Zutaten erneut in seinem fulminanten Detektivroman „Stahlparadies / Steel Beach“, der deutsch bei Bastei-Lübbe erschien. Darin wird Fuchs‘ Nachfolgerin zu einem Ebenbild von Heinleins Superagentin Freitag. Aber wir sollten ihr ebenso wenig wie Fuchs vertrauen, wenn sie sagt, sie sei eine Frau.

8) A. E. van Vogt: Der Krieg gegen die Rull (1959, Storys zwischen 1940 und 1950)

Ein Reich von 5000 Welten, dem auch die Erde angehört, führt Krieg gegen die Rull. Sie sind wurmartige Wesen mit zahlreichen Fähigkeiten. Sie stammen aus einer anderen Galaxie und suchen unter Verzicht auf jedwede Verständigung den Konflikt.

Revor Jamieson, die Hauptfigur, stürzt zum Auftakt der ersten von sechs Romanepisoden mit einem gefangenen Ezwal auf einem Dschungelplaneten ab. Jamieson hat die saurierähnlichen Ezwals als hochintelligente Wesen durchschaut, die ihre Klugheit nicht offenbaren wollen, um sich vor der Ausrottung durch den Homo sapiens zu schützen. Mensch und Ezwal werden von einem Raumschiff der Rull bedroht. Wenn sie überleben wollen, müssen sie zusammenarbeiten. Nach ein paar Startschwierigkeiten gelingt ihnen das auch.

Nach der Rettung unternimmt Jamieson einen Ausflug zu einem Mond dieses Dschungelplaneten, ohne zu ahnen, dass er von seiner Begleiterin Barbara Whitman getötet werden soll. Sie stranden wieder mal in der Wildnis und sind gezwungen, sich gegen die lebensfeindliche Umwelt zu behaupten. Nur Verständnis und Kooperation erlauben den Erfolg.

Mittlerweile sind zwei weitere Ezwals auf der Erde angelangt. Erneut stürzt das Raumschiff ab, das Ezwalweibchen wird von einem Menschen ermordet, doch das Junge schlägt sich, von Rachedurst getrieben, durch die Wildnis, bis der zur Erde zurückgekehrte Jamieson eine Verständigung mit ihm erzielen kann. Diese wird bewirken, dass die Ezwal ihre Klugheit eingestehen und über kurz oder lang vom Weltenreich akzeptiert werden.

Jamieson hat noch drei weitere Abenteuer zu bestehen, bevor die Rull vertrieben werden können. Das Reich macht ihn zum Rull-Botschafter, was sonst.

Mein Eindruck

Dieser Roman ist kosmisches Abenteuer reinsten Wassers, das jedes Jungenherz höher schlagen lässt. Allerdings können auch nur Jungs um zwölf Jahre etwas damit anfangen, denn das schnelle Tempo der Handlung in exotischen Welten ist das Einzige, was sie vom Spielen ihrer Computer- und Videospiele abhalten könnte.

Eine Analyse der Textaussagen fördert interessante Ergebnisse zu Tage. Der Autor geht von der Prämisse aus, dass Fremdartigkeit mit Bedrohung gleichzusetzen ist. Es gibt ja keine gemeinsame Basis für Verständigung, so dass Angst entsteht, die in Aggression umschlägt. Dennoch finden Jamieson und seine Gefährten in den weiteren Storys des Autors zu einer Verständigung. Der Autor postuliert zudem Ehrfurcht vor intelligentem Leben, die allen Bewohnern der Galaxis ins Erbgut eingeschrieben worden sei – den Rull, da sie nicht zu unserer Galaxie gehören, jedoch nicht.

Der Aufbau dieses Romans weist eine ganze Menge Schwächen auf, denn er wurde aus sechs Geschichten, die zwischen 1940 und 1950 veröffentlicht wurden, zusammengekleistert. Diese Fix-up-Novel, die für van Vogt typisch ist, weist unmotivierte Wechsel des Schauplatzes und des Personals auf, und die Handlung ist stets auffallend ähnlich: Absturz, Prüfung, Verständigung, Kooperation, Rettung. Die Geschichten bauen nicht aufeinander auf, sondern reihen sich einfach aneinander, ohne dass es zu einer Entwicklung käme. Erst durch das Eingreifen eines weiteren Wesens, des Ploian, wird der Krieg gegen die Rull entschieden – fertig. Von den Einzelgeschichten unterscheidet sich der Roman nur durch die Änderung der Übergänge, aber eine übergreifende Klammer gibt es nicht.

Wer den ironischen Humor und den Supermann Trevor Jamieson mag, ist mit den actionreichen Szenen des Romans gut bedient. Wer mehr möchte, zum Beispiel Logik und Entwicklung, sollte sich woanders umsehen.

Die Übersetzung

Die Übersetzung lässt sich nicht einem einzelnen Übersetzer zuschreiben, da es viele Beiträge gibt. Aber die Textform weist zahlreiche Druckfehler wie etwa Buchstabendreher auf. Das weist auf eine schnelle Produktion hin, auch in den Begleittexten Jeschkes selbst.

Unterm Strich

In dieser Auswahl gefielen mir vor allem die ungewöhnlichen Abenteuer, auf die uns Poul Anderson, John Varley und Tanith Lee mitnehmen. Geister scheinen zwar nach landläufiger Auffassung in der Science-Fiction keinen Platz zu haben, doch Jeschke belehrt uns eines Besseren. Sehr lustig fand ich die Bradbury-Geschichte „Heimkehr“, in der die Relativität des „Normalen“ demonstriert wird. Auch Asimovs Kurzgeschichte ist recht ironisch zu verstehen und sagt schon einiges über das Verhältnis von Soft- zur Hardware aus.

Den Heinlein-Klassiker „Der Mann, der den Mond verkaufte“ kannte ich bereits aus vielen Abdrucken, obwohl es sich um eine lange Novelle handelt, die aus Platzgründen nicht in jeder Sammlung auftaucht. Dennoch weiß sie einen jungen Leser zu fesseln. Sie spielt in Heinleins „Geschichte der Zukunft“ eine zentrale Rolle, denn sie beschreibt den ersten Schritt des Menschen zum nächstgelegenen Himmelskörper.

In dieser ausgezeichneten Auswahl bildet van Vogts „Der Krieg gegen die Rull“ einen schwachen Schlusspunkt. Aber es ist ein Prinzip der SF-Jahresbände, dass sie einen Kurzroman enthalten, nicht immer eine amerikanische, sondern vielfach auch eine osteuropäische Provenienz. Die Osteuropäer, wie etwa die Strugatzkis, sind ja in der deutschen SF-Landschaft notorisch unterrepräsentiert, liefern aber mitunter intelligentere Phantastik ab als die Angelsachsen. Die Kritik des Rull-Romans habe ich oben formuliert und muss sie hier nicht wiederholen. Wer Abenteuer ohne Logik haben will, ist mit van Vogt stets bestens bedient.

W. Jeschke hat alle Begleittexte mit weiterführenden Titeln aus dem Heyne-Programm versehen und macht auf diese Weise mit seinem Jahresband Werbung für dieses Programm. Weil das Programm ziemlich hochwertig war (bis ca. 2001), ist dagegen auch gar nichts einzuwenden. So kann der Jahresband eine weitere Aufgabe erfüllen: die preiswerte Einführung in eine der interessantesten und mannigfaltigsten Literaturgattungen.

Taschenbuch: 464 Seiten
Aus dem Englischen übertragen von diversen Übersetzern
ISBN-13: 978-3453306332

www.heyne.de

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