Richard Werther – Die Diva der Liebe. Erotischer Roman

Frivoler Aufstieg einer Berliner Diva

Hemmungslos ist die junge Berliner Göre Lore. Sie lebt für die Liebe, aber sie lebt auch von der Liebe, die sie anderen Männern schenkt, die sich für sie interessieren. (Verlagsinfo) Der Roman beschreibt den Aufstieg einer Groschenhure aus dem Berliner Scheunenviertel in wesentlich höhere Kreise, wo sie als dominante Frau zahlreiche Männerherzen bricht.

Der Autor

„Richard Werther“ war laut Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Klein_(Journalist) das Pseudonym von Ernst Klein (* 15. April 1876 in Wien; † Herbst 1951 in New York), einem österreichischen Journalisten und Schriftsteller. Der Titel des vorliegenden Romans lautete wahrscheinlich „Lore“. O-Titel war laut Wikipedia „Durchtollte Nächte, durchjubelte Tage. Der Roman einer Berliner Lebedame.“ (Schindler, Berlin 1908), später auch als „Lore. Das Liebesleben einer kleinen Berlinerin und Liebesnächte. Geständnisse einer Berliner ‚Fanny Hill'“ veröffentlicht.

Handlung

Lore Brösemeyer wächst im Hinterhaus eines völlig überbelegten Mietshauses im Berliner Scheunenviertel in Berlin-Mitte auf. Schon mit zwölf Jahren lernt sie, dass die Benutzung ihres Geschlechts den Männern etwas wert ist. Aber das ist eine Lektion, die sie erst lernt, als sie nach einer Vergewaltigung durch einen Fremden drei Wochen lang im Hospital gelegen hat. Der Zwischenfall spricht sich herum, die Jungs kommen und bieten. Was soll ein Mädchen machen, wenn ihm der Magen knurrt? Schon bald verkauft sie auf den Straßen nicht mehr nur Streichhölzer und Schuhbänder.

Der Regierungsrat

Eines Abends findet sie auf der Friedrichstraße einen echten Gönner. Dem alten Regierungsrat ist ihre wohlgeformte Figur aufgefallen. Nach dem ersten erfolgreichen „Betreuungstermin“ und einer Reinigung samt Einkleidung sieht Lore schon ganz anders aus. Und die Arbeit ist weiß Gott nicht schwer, denn der Alte kriegt ihn ja kaum hoch. Der kauft Lore ihrer Mutter für einen vierstelligen betrag ab, den Mutter Brösemeyer sofort in eine Destille steckt.

Allerdings ist Lore sexuell unterversorgt, so dass sie sich nächtelang hin und her wälzt. Das ändert sich, als ein 16-jähriger Bursche eingestellt wird, um dem alten Butler zu helfen. Friedrich ist aber schwer von begriff, so dass Lore alte Tricks anwenden muss, um ihren Bedarf zu signalisieren. Schließlich hält sie es nicht mehr aus und schreitet zur Tat. Der Lärm muss den Butler und dann den Alten geweckt haben, denn die lassen ihr nur eine Stunde Zeit, ihre Sachen (und ein hübsches Sümmchen) zu packen, bevor sie verschwindet. Friedrich bekommt allerdings die Tracht Prügel seines Lebens.

Der Wiener Maler

Da sie weder nach Hause noch in eines der piekfeinen Hotels kann, macht der ungeduldige Droschkenkutscher Anstalten, sie zur Polizei zu bringen. Na, das hätte noch gefehlt! In letzter Sekunde bietet sich ein Gentleman an, sie bei sich aufzunehmen: Rudolf Reichert ist Kunstmaler und muss morgens nicht zur Arbeit. Außerdem hat er sich bis über beide Ohren in sein neues Aktmodell verliebt, wie Lore bald herausfindet. Es gibt nur ein Problem: Als Künstler stellt er sie auf ein Podest, doch trotz seines Begehren darf der Ehrenmann sie nicht anrühren. Lore ist schon wieder auf Entzug.

Auch diesmal muss sie die Initiative ergreifen und Dutzende Male ihrem Rudi Absolution erteilen, bevor er sie auch körperlich lieben will. Die emotionale Liebe hat sie erstmals bei ihm kennengelernt, aber ohne sexuelle Erfüllung ist auch die platonische Liebe nur begrenzt befriedigend: Er hat eine Arbeitsblockade. Na, dem Manne kann geholfen werden. Die Bilder werden besser und besser, die Angebote der Kunstwelt immer verstiegener: Einer will sogar das Modell für einen beliebig hohen Betrag kaufen.

Zum Theater

Doch kein Glück währt ewig, wenn man keinen Plan dafür hat. Eines Tages klingelt der alte Herr Regierungsrat an Rudis Tür und will „das Glück seines Lebens“, die liebe Lore, wiedersehen, denn ohne sie könne er nicht weiterleben. Doch als Rudi nach „Lori“ schaut, ist sie verschwunden. Sie hat den Hinterausgang genommen (das ist der große Vorteile von Atelierwohnungen: Sie haben zwei Ein- und Ausgänge.) Wie vom Schlag getroffen bricht der Regierungsrat zusammen. Rudi ist in Panik…

Nach einem Zwischenstopp bei den Eltern findet Lore über eine Freundin Zugang zu einer Bar und zum Theater. Die Mannsbilder sind in der Bar nicht gerade die feinsten, aber beim Theater liegen ihr die Produzenten und das männliche Publikum bald zu Füßen. Lore jedoch spart – nicht nur Unsummen an Gagen, sondern sich selbst, denn ihr Herz ist nur für einen reserviert…

Mein Eindruck

Die Erzählung beginnt relativ realistisch, denn was soll man schon an einem Leben im Berliner Scheunenviertel beschönigen. Erst als Lore die romantische Liebe in Gestalt ihres Malers kennenlernt, versteigt sich der Autor zu althergebrachten Euphemismen, wie sie einem JULIA-Roman gut anstehen würden. Der Autor Ernst Klein hatte, wie Karl May und ähnliche Vielschreiber, entsprechende Erfahrungen im Schreiben von Abonnement-Roman und wusste bürgerliche Vorstellungen von „echter Liebe“ zu bedienen.

Das Bühnenmilieu

Der Autor verfasste aber auch fast ein Dutzend Bühnenstücke. Seine eingehenden Kenntnisse aus erster Hand kann man in der zweiten Hälfte des Romans wiederfinden. Da feilscht Lore, die nun als „Lore Bros“ auf die Bühnenbretter tritt, wie ein gewiefter Profi mit den beiden Produzenten des Theaters. Zum Glück sind sie einander spinnefeind und versuchen sich, gegeneinander zu übertrumpfen – sehr zum Vorteil Lores, die von beiden Seiten kostbare Geschenke erhält. Auch ihre Garderobe muss sie nicht selbst bezahlen – ein wichtiger Posten auf der Ausgabenseite.

Die Reichselite

Dass auch die Elite des Reichs in Herzensangelegenheit den Kopf zu verlieren pflegt (wie es Jahre später einem gewissen Joseph Goebbels, wiewohl verheiratet, mit einer Filmschauspielerin wiederfuhr), erkennt Lore spätestens dann, als sich ein gewisser Carl August von P[reußen] bei ihr vorzustellen wagt. Doch selbst für Hohenzollern-Sprösslinge hat Lore einen lukrativen Plan parat. Sie ahnt, dass die Spitzen des Reichs und des Militärs auch einen Carl August nicht mit der Heirat einer Schauspielerin davonkommen lassen würden…

Schwächen

S. 47: „Es war aber nur die medizinische Aphrodite.“ Gemeint ist wohl eine Venus-Statue, mit der Lores Figur verglichen wird. „medizinisch“ meint eine Statue der Medici-Dynastie aus Florenz, vielleicht aber auch die Venus von Milo. Das erklärt evtl. auch, warum Lore immer wieder als „Diva“, als „Göttliche“ bezeichnet wird.

S. 115: „Was sie schon“: Korrekt muss es „war sie schon…“ heißen, damit der Satz einen Sitz ergibt.

Unterm Strich

Die Trennlinie zwischen Gut und Böse, Herz und Mammon wird klar gezogen, doch die Männer kommen dabei nie gut weg – mit einer rühmlichen Ausnahme: dem Kunstmaler Rudi Reichert, der es offenbar ehrlich mit Lore meint. Alle anderen sind keine Ehrenmänner. Folglich müssen sie blechen. Aber es finden sich auch richtige Schweine darunter, besonders wenn sie angetrunken sind. Diese Szenen sind keineswegs jugendfrei, aber wahrscheinlich ein authentisches Sittenbild aus dem Berlin kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs (denn nach dem Krieg hatten die Preußenprinzen nichts mehr zu sagen).

Die lockende Diva

Lore wird ab S. 79 mehrfach zur „Diva der Liebe“ erklärt. Damit rangiert sie auf einer Stufe mit anderen Diven des Theaters, des Musicals und der Oper. Sie mag zwar keineswegs an Sarah Bernhardt oder Lili Langtrey heranreichen, aber ihr Venuskörper macht alle Männer verrückt. Es wirkt ulkig, wenn sie nur die alabasterweiße Wade oder gar das Knie zu zeigen braucht, dass alle Männer ausflippen. Keine Frage, dass sie dies ausnutzt, um bessere Konditionen zu erzielen – oder lukrativere Liebhaber.

Doppelmoral

Diese Schwarzweißmalerei dient dazu, den bürgerlichen Lesern die Botschaft nahezubringen, dass nur „echte, reine Liebe“ erstrebenswert sei, dass aber die Welt dort draußen voller Gefahren für die Tugend einer Frau sei. Der Autor lässt es sich natürlich nicht nehmen, alle diese „Gefahren“ bis ins kleinste Detail darzustellen, um den Voyeurismus des Lesers zu befriedigen. So wurde die Doppelmoral des Bürgertums aufs lukrativste bestärkt. Dass Lore eine dominante Frau ist, das wollen die männlichen Leser wahrscheinlich nicht erkennen.

Routinier

In stilistischer Hinsicht kann man dem Autor vollendete Könnerschaft bescheinigen, denn jede Zeile verrät seine Routiniertheit. Damit keine Langeweile aufkommt, hat jede Station, die die Heldin durchläuft, nur eine begrenzte Dauer. Da endete wahrscheinliche die jeweilige Episode. Der nächste Akt sieht die Heldin dann schon ganz woanders. Doch der Leser hofft und der Autor liefert: Es wird ein Happy-End geben.

Taschenbuch: 141 Seiten
ISBN-13: 9783811846548

Der VPM-Verlag ist inzwischen aufgelöst worden.

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