Raymond Spencer – Schlaflose Nächte. Erotischer Roman

Zickenkrieg in Sausalito

Das Nachtleben von San Francisco und Sausalito ist der Hintergrund für die amourösen Abenteuer des Mulattenburschen Joady Sinclair. Er treibt es mit einer Weißen und wird ertappt, gerät im illustren Sausalito in eine Lesben- und Schwulenbar, fällt ins Meer und wird von der Besatzung einer Riesenjacht aufgefischt, die ein paar recht schräge Passagiere an Bord hat und eine sehr spezielle Vorrichtung aufweist…

Der Autor

Raymond Spencer ist wahrscheinlich ein Pseudonym. Keiner der Einträge in der Wikipedia passt auf den Verfasser.

Handlung

Der dunkelhäutige Musiker Joady Sinclair stammt aus Jamaika, kommt aber anno 1968 oder 1969 aus Vancouver, Kanada, nach San Francisco. Er tut sich mit den Weißen Art und Sam zusammen, um die Stadt aufzumischen. Schon bald merkt er, dass es trotz der Aufhebung der Rassentrennung und der Liberalisierung durch Präsident Johnson immer noch unsichtbare Rassenschranken gibt.

In einer Bar an der geschäftigen Market Street in Downtown San Francisco bandelt Joady mit einer Weißen an, die ihn zu sich in ihren Cadillac einlädt. Der steht auf dem Oberdeck eines Parkhauses. Und während sie gerade so schön zugange sind, wer klopft da an das Fenster des Caddy? Ein weißer Parkwächter. Und der regt sich mächtig auf, weil ein Schwarzer und eine Weiße – das geht nun gar nicht. Er werde die Polizei holen. Während Lina ein Klagelied von epischen Ausmaßen anstimmt, gelingt es Joady, sich anzuziehen und aus dem Staub zu machen.

Kaum zu Art zurückgekehrt, begeben sie sich mit dessen Klapperkiste auf Frauenjagd. In einer einschlägigen Gegend werden sie schnell fündig. Die Bordsteinschwalbe Gloria ist eine unübersehbare Wuchtbrumme: Ihre weiblichen Formen verlocken besonders den rothaarigen Art, und schnell hat er die üppige Afroamerikanerin in sein Auto gelockt. Jetzt wird’s aber eng, denkt Joady. Noch enger wird es, als Art und Gloria auf den Rücksitz umziehen, um sich dort zu verlustieren.

„Niggernutte!“

Joady steuert derweil den Wagen in die von Art vorgegebene Richtung: nach Sausalito, über die Golden Gate Brücke, am Jachthafen vorbei, zu einer Bar mit dem seltsamen Namen „Namenlos“. Hier ist der Empfang für das kuriose Trio recht gemischt. Ein Pfeife rauchender Chirurg namens Dr. Bennett macht einen passablen Eindruck und schmeißt eine Runde oder zwei. Die Kellnerin ist zuerst ganz scharf auf Glorias prachtvolle Rundungen, doch als Gloria gesteckt bekommt, dass die Kleine schon verheiratet ist, wird sie herablassend zu ihr. Das macht die Kellnerin wütend und sie wird ausfallend. Sie nennt Gloria eine „Niggernutte“. Die nimmt jetzt aber die Kellnerin richtig in die Mangel! Zeit, sich abzuseilen, entscheiden Joady und Bennett.

Unter Lesben

Nach dem Abschied von Gloria und Art lotst Bennett seinen neuen besten Kumpel Joady in eine Lesben- und Schwulenbar in der Nähe. Bennett scheint selbst schwul zu sein, aber Joady nennt ihn seinen „Papsi“, und das frustriert Bennett: Er sei ja erst 40. Aber eine Lesbe namens Edna horcht auf, als Joady für Damenbegleitung aufgeschlossen erscheint. Das Mannweib ist der dominante Teil eines Lesbenpärchens, Charlotte ist der unterwürfige Teil.

Dunkel-Kammer

Während Edna Dr. Bennett zum Armdrücken herausfordert, bandelt Joady mit Charlotte an, die nicht abgeneigt scheint, mal der schwergewichtigen Fuchtel Ednas zu entkommen. Der schwule Kellner Danny droht damit, diese Abtrünnigkeit an Edna zu verpetzen und muss daher mitgenommen werden, als Charlotte und Joady sich in eine Kammer irgendwo im hinteren Teil des Schuppens verkrümeln. „Aber nur gucken, nicht anfassen!“, befiehlt Charlotte. Was gibt’s zu gucken, wenn es stockdunkel ist, wundert sich Joady.

Beim Fummeln entdeckt Joady, dass Charlotte auch als Taschendieben einsame Klasse ist: Sie hat ihm den ganzen Wetteinsatz für den Armdrückwettbewerb geklaut. Er klaut ihn möglichst subtil zurück, indem er peu à peu Danny zwischen sich und die geile Charlotte bugsiert, die Danny für Joady hält. Sein Abgang ist im Dunkeln nicht ganz so geräuschlos wie gewünscht, aber wenn eine Lesbe mit einem Schwulen zugange ist, gelten andere Prioritäten.

Übergang

Da Charlotte inzwischen vermisst wird, herrscht bald dicke Luft in der Bar. Edna ruft lautstark nach ihrem „Baby“. Joady drängt Bennett, sich möglichst rasch zu verdünnisieren. Die Drinks drücken inzwischen auf die Blase und Joady will sich am Ende des Piers erleichtern. Leider gerät er aus dem Gleichgewicht und fällt ins Wasser. Es ist nicht irgendein Wasser, sondern der Pazifische Ozean! Er ruft um Hilfe und wird an Bord einer ziemlich großen Jacht gezogen.

Die Jacht

Diese Jacht hat es buchstäblich in sich: ein buntes Künstlervölkchen, aufgesammelt von der reichen Lebedame Rosie. In amouröser Hinsicht ist Joady aber vom Regen in die Traufe geraten: Rosies Tochter Jefferson ist scharf auf ihn, wird aber (vorerst) diplomatisch auf Abstand gehalten. Und Jimmy, der Polynesier, ist eigentlich fürs Ficken engagiert worden, erblickt aber in dem Neuankömmling einen gefährlichen Rivalen. Insgesamt ist der Aufenthalt an Bord eine potentiell riskante Angelegenheit, aber wie immer weiß sich Joady auch hier zu helfen – bis er mit Jeffersons Hilfe auf eine sehr spezielle Vorrichtung stößt…

Mein Eindruck

Joadys Erlebnisse in dieser einen Nacht zeigen ein San Francisco weit abseits von Hippie-Seligkeit, von Verfolgungsjagden um Mitternacht oder dem Glamour des Showbiz. Er will als schwarzer, aber gutgekleideter Gentleman nur seinen Spaß haben. Seine verschlungenen Pfade führen ihn von den Straßenhuren à la Gloria über Lesben- und Schwulenbars bis hin zu einer Luxusjacht, wo man den Tanz auf dem Vulkan zelebriert. Als der Vulkan in Form einer gewaltigen Explosion ausbricht, sieht sich Joady wieder ins Nichts geschleudert – allerdings in Gesellschaft von Jeffersons gehässiger Schwester Leslie (Unglück kommt selten allein).

Dies ist eine Seite von San Francisco, die man in den einschlägigen TV-Krimiserien wie etwa „Die Straßen von San Francisco“ (mit Michael Douglas) nur selten zu Gesicht bekommt. Erstens werden Lesben, Schule und zwischenrassische Beziehungen grundsätzlich im US-TV diskriminiert und ausgeblendet. Mal will ja seine Werbekunden nicht vergraulen, und Werbung bezahlt das Programm. Zweitens durften Schwarze – auch Jamaikaner zählen dazu – grundsätzlich keine Hauptrollen übernehmen. Dazu musste erst Richard Pryor in „Shaft“ kommen, und das war im progressiven New York City.

Neben den vergnüglichen Spielarten der Erotik spielt der Rassenkonflikt eine unterschwellige Rolle. Ausdrücke wie „Wilder“, die man Joady an den Kopf wirft, oder „Niggernutte“, mit dem man Gloria verunglimpft, verraten die überhebliche Arroganz der Weißen beiderlei Geschlechts gegenüber dunkelhäutigen Mitmenschen. Dabei war damals, anno 1968/69, die Flut der Latino-Einwanderer noch gar nicht so angeschwollen wie heute. Heute sind dort dunkelhäutige Menschen fast schon in der Überzahl.

Humor

Die ironische Redeweise und Schlagfertigkeit der Hauptfigur sind das bemerkenswerteste und unterhaltsamste Merkmal des Textes. Immer wieder verblüfft dieser kanadische Jamaikaner – nur ein Uni-Stipendium brachte ihm sechs Jahre Aufenthalt in Vancouver ein – seine meist weiblichen Gegenüber mit seinen kuriosen Repliken.

>>“Wie kommt es, dass Sie keine Kleider tragen?“ wird er von einem weißen Mädchen gefragt.
„Das ist keine trockene Geschichte“, erwiderte ich, „aber es gibt engstirnige Menschen, die sie schmutzig finden könnten.“ <>Ich seufzte. „Wenn ihr weißen Frauen nicht so neugierig wärt, hätten wir schwarze Kerle viel weniger Schwierigkeiten im Leben.“<<

Das Buch beginnt mit einer Liebesszene im Cadillac und endet in einem Cadillac. Das untermauert den geheimnisvollen Originaltitel des Buches: „Nothing Black But a Cadillac“. Übersetzt: „Nur ein Cadillac ist richtig schwarz, aber kein Mensch“. Denn auch schwarzhäutige Menschen sind schließlich innen genau wie alle anderen: rot (wozu Clive Barker einiges anzumerken hätte).

Textfehler etc.

S. 110: „teuflich“ statt „teuflisch“.

S. 153: Hier kommt es m.E. nach zu einem rätselhaften Bruch im Text. Eben war Joady von in der Purpurkätzchen-Bar mit seiner neuen Flamme zugange, in der nächsten Sekunde verdrückte er sich ohne einen Faden am Leib und versteckt sich im nahen Coit Tower. „Hilfe, ein Wilder!“ schreien die weißen Damen (bis auf die jüngste). – Hat an dieser Stelle der Lektor Hand angelegt und ein paar Seiten herausgekürzt, um die vorgeschriebenen 160 Seiten nicht zu überschreiten?

(Dazu muss man wissen, dass bis in 1980er Jahre hinein die Buchumfänge nach BÖGEN von Druckpapier berechnet wurden – ganz klar aus Kostengründen. Das erklärt, warum viele der frühen SF-Titel des Heyne-Verlags maximal 160 Seiten Umfang haben durften, was meist auf Kosten des Textinhalts ging, den der Übersetzer zu kürzen hatte. Alle Gor-Romane bei Heyne sind gekürzt. Aber schon bei der Produktion von Text müssen Autoren auf solche Schwellenwerte achten. Man kann dies leicht an den Textumfängen von Büchern ablesen, die in die Kategorien des HUGO Awards einsortiert worden sind: „short story, novella, novelette, novel“ haben genau abgegrenzte Umfänge. )

Zum Titelbild

Wie so häufig bei Moewig passt das Titelmotiv überhaupt nicht zum Inhalt. Der Verlag hätte es nie gewagt, einen entblößten schwarzen Mann abzubilden.

Unterm Strich

Eine einzige Nacht reicht dem Helden dieses unterhaltsamen und witzigen Romans, um die Licht- und Schattenseiten des Nachtlebens im San Francisco der späten sechziger Jahre kennenzulernen. Episode reiht sich an Episode, aber wer etwa einen Spannungsbogen erwartet, dürfte sich enttäuscht sehen. Erotische Romane funktionieren anders. Hier wiederholen sich Motive und Themen, wie in einer musikalischen Rhapsodie.

Das Leitmotiv ist der Konflikt zwischen Schwarz und Weiß, symbolisiert im schwarzen Cadillac, der von weißen Frauen gefahren wird. In diesem Konflikt geht es recht ruppig zu. Ergänzt wird dieses Thema durch die Randgruppe der Homosexuellen. Interessant dabei ist, wie sich Lesben und Schwule einem Schwarzen gegenüber verhalten. Auch nicht besonders freundlich. Aber Joady ist gewitzt und laviert sich durch, und wenn’s drauf ankommt, weiß er, wann er sich abseilen muss.

Aber er hat Würde, als Schwarzer wie auch als Mann und freier Bürger. Diese Würde muss er immer wieder verteidigen. Ausbeutung, Ausgrenzung und Entwürdigung gibt es allenthalben. Aber den Vogel schießt zweifellos Rosie, die Jachtbesitzerin, ab. Sie lässt ihre Tochter Jefferson den neuen Gast in einem Schlafzimmer verführen, das voll verspiegelt ist. Es sind „venezianische“ Einwegspiegel, so dass man von draußen die ganze Action wie in einem Zoo sehen kann. Das geht Joady eindeutig gegen den Strich. Dass die Jacht wenig später in die Luft fliegt, ist nur ausgleichende Gerechtigkeit.

Taschenbuch: 159 Seiten
Originaltitel: Nothing Black But A Cadillac, 1969
Aus dem Englischen von Wilhelm Thaler
ISBN-13: 9783811862494

www.vpm.de

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