John Scalzi – Geisterbrigaden

Die Kopie des Bewusstseins eines verräterischen Wissenschaftlers wird einem Menschenklon aufgeprägt. Der junge Mann wird außerdem als Soldat ausgebildet, denn ein Krieg mit bösen Aliens droht. Mitten im Kampfgetümmel droht der Verräter die Hirnherrschaft zu übernehmen … – Turbulentes SF-Spektakel mit politisch unkorrektem Unterton, das zwar nur Bekanntes präsentiert, aber trotzdem kurzweilig und ohne Anspruch auf literarischen ‚Wert‘ zu unterhalten vermag.

Das geschieht:

Im Weltraum einer nicht allzu nahen Zukunft hat die „Koloniale Union“ (KU) das Sagen. Mehr als 600 Intelligenzvölker bewohnen den Teil des Kosmos‘, den die Raumschiffe der Menschheit durchreisen und innerhalb dessen ihre Kolonisten siedeln können. Fast alle diese Völker gelten als feindlich, was den Aufbau einer starken „Kolonialen Verteidigungsarmee“ erforderlich machte.

Die Soldaten der KVA sind geklonte und gentechnisch aufgerüstete Supermänner und -frauen. Unter ihnen gelten die Mitglieder der „Geisterbrigaden“ als geachtete aber auch gefürchtete Sondereinheit: Rekruten, die sterben, bevor ihr Bewusstsein in die für den Kampf getunten Neukörper ‚umgeladen‘ werden konnte, werden ebenfalls geklont und stehen auf diese Weise quasi von den Toten wieder auf.

Jared Dirac gehört dieser Elitetruppe an, gilt aber sogar hier als Außenseiter: In sein Klonhirn wurde das kopierte Bewusstsein des genialen Wissenschaftlers Charles Boutin transferiert. Dieser hat sich mit den kriegerischen Obin zusammengetan, die wiederum im Bund mit den insektoiden Rraey stehen, um einen Vernichtungsfeldzug gegen die KU zu starten. Dirac soll den ‚Gast‘ in seinem Hirn aushorchen und so in Erfahrung bringen, was Boutin plant.

Im Rahmen seiner Ausbildung bringt Dirac diverse gefährliche Einsätze hinter sich, während seine Vorgesetzten und Kameraden darauf warten, dass sich Boutins Bewusstsein offenbart. Als dies endlich geschieht, erfährt Dirac, wo der Verräter sich aufhält. Ein Stoßtrupp wird zusammengestellt, der ihn dort stellen und gefangen nehmen soll. Dirac nimmt teil, obwohl er zunehmend Schwierigkeiten hat, seine eigene Persönlichkeit zu wahren. Vor Ort angekommen, müssen die Soldaten erkennen, dass nicht Dirac ihr Problem ist: Charles Boutin war schlauer als die Spezialisten der KVA, und erwartet sie bereits …

Alles zurück auf Anfang …

„Zunächst einmal möchte ich allen, die glauben, eine Fortsetzung zu schreiben wäre einfach, weil man das Universum ja schon erschaffen hat, Folgendes sagen: Kicher, prust, lach, brüll! Ha ha ho he! Nein, so ist es nicht.“ (S. 426)

So spricht John Scalzi in seiner Danksagung, die er dem Roman „Geisterbrigaden“ nachgestellt hat. Man kann aus seinen Worten eine gewisse Frustration herauslesen, denn genau diese Bemerkung wird Scalzi wohl mehr als einmal gehört haben.

Was ihn wirklich erbittert haben muss, spricht er freilich nicht aus: Die Kritik ist durchaus berechtigt. „Geisterbrigaden“ ist im Vergleich zum Vorgängerband „Krieg der Klone“ zwar der ‚bessere‘, d. h. schlüssiger geplottete und eleganter geschriebene Roman. Dennoch ist er ein Remake: Wie weiland John Perry wird ein Soldat der Zukunft in einem Klonkörper wiedergeboren und muss sich mit den daraus resultierenden Veränderungen und Schwierigkeiten auseinandersetzen. Parallel dazu gibt’s erneut viel militärischen Drill, der mit Liebe zum Detail und Landserhumor beschrieben wird. Schließlich steht ein zum Mann und Kämpfer gereifter Klon vor uns, der in ein actionreiches Kriegsgetümmel geworfen wird und sich dort bewähren muss, bevor er sich mit dem Drama seiner zweckgebundenen ‚Geburt‘ auseinanderzusetzen hat.

… aber dann ein bisschen anders voran

Die subtilen aber entscheidenden Veränderungen sind es, die auch „Geisterbrigaden“ wieder zu einem lesbaren Roman machen. Jared Dirac ist kein ‚richtiger‘ Mensch‘ sondern gehört zur berüchtigten und gefürchteten Geisterbrigade, deren geklonte Mitglieder durch die Gene von Toten ‚beseelt‘ werden. Für zusätzliche Dramatik sorgt die Tatsache, dass Diracs Hirn eine Kopie ist, in die das Bewusstsein eines gefährlichen Verräters gepflanzt wurde, das jederzeit ‚erwachen‘, den Körper übernehmen und sein unheilvolles Werk fortsetzen kann.

Selbstverständlich geschieht genau das als Höhepunkt der Handlung, denn „Geisterbrigaden“ ist keine literarische Science Fiction, sondern ein knalliges Abenteuer, das in einer ebensolchen Zukunft spielt. Scalzi vertieft bei dieser Gelegenheit seine Schöpfung eines Weltalls, in dem die Menschen erstens nicht allein und zweitens den – allesamt feindlichen – Aliens körperlich unterlegen sind. „Geisterbrigaden“ ist mehr noch als „Krieg der Klone“ ein politisch unkorrektes Werk, weil der Verfasser dieses Mal den politischen und vor allem den sozialen Aspekten seiner Welt breiteren Raum bietet.

Blick ins All über Kimme & Korn

Das All ist kein Ort für Diplomaten und Friedensapostel, denn hier wird scharf geschossen. Diese Prämisse steht wie in „Krieg der Klone“ fest und wird für „Geisterbrigaden“ übernommen. Auf ihr baut Scalzi eine zukünftige Menschheitsgeschichte auf, die nicht erfreulich ist aber konsequent entwickelt wird. Der Autor drückt sich nicht um die Auswirkungen. Schon im ersten Kapitel wird ein Alien-Spion von Föderationssoldaten gefangen genommen und zur ‚Zusammenarbeit‘ gezwungen, indem man ihn mit einer künstlich erzeugten und tödlichen Krankheit infiziert: Nur wenn Administrator Cainen spurt, wird das Serum bekommen, das ihn am Leben hält. Da schreien bei der Lektüre alle Gutmenschen empört auf, doch Scalzi setzt sogar noch eins drauf: Cainen verflucht seine Peiniger nicht, denn er hat mit solcher Behandlung gerechnet und gibt offen zu, dass sein Volk die Ausrottung der Menschen plant.

Der geistig wache (oder indoktrinierte?) deutsche Leser fragt sich unwillkürlich, ob Scalzi hier als Sprachrohr der „Falken“ fungiert, die in der US-Regierung den totalen „Krieg gegen den Terror“ propagieren, wobei Folter eingeschossen ist. Nüchtern betrachtet ist „Geisterbrigaden“ allerdings nur ein gelungenes Produkt trivialer oder besser populärer Unterhaltung und als Element eines psychologischen Feldzugs  zur schleichenden Untergrabung friedensbewegter Überzeugungen völlig ungeeignet …

Der Mann mit zwei Gehirnen

Jared Dirac: aus Leichen-DNS geklonte Kopie eines Hochverräters & gleichzeitig ein reiner, unschuldiger Tor, der ohne gefragt zu werden und ohne eigenes Verschulden in ein Leben geworfen wird, das ihn einerseits überfordert und ihm andererseits gefällt. Einmal mehr greift John Scalzi auf Bekanntes & Bewährtes zurück und präsentiert es auf höchst unterhaltsame Weise. Dirac ist ein Sympathieträger, dessen Schicksal die Leser interessiert. Der Außenseiter im Getriebe des Establishments ist stets eine fesselnde Figur; solange wir nicht selbst unter diesem Status leiden, lesen wir gern darüber, wie ein Querkopf das System unterwandert.

Das geschieht hier geradezu subtil, denn KU und KVA sehen und hören dank BrainPad alles, was Dirac durch den Kopf geht. „Geisterbrigaden“ erzählt deshalb auch, wie der Außenseiter geschliffen bzw. in das System integriert wird, das zwar seine Fehler und Tücken aufweist aber dennoch das einzige System ist, das in Scalzis Universum seine Existenz garantieren kann.

Ohne Konfrontation geht das natürlich nicht. Dirac ist ein Klon mit individuellen Zügen. Er grübelt gern und mag die ‚normalen‘ Menschen, was sich u. a. in einer Vorliebe für schlechte Witze niederschlägt. Wie im richtigen Leben (Achtung: Ironie!) erregt er das Interesse einer schönen Frau, die sein intellektuelles und emotionales Potenzial erkennt und fördert. Daneben steht der fiese Rivale, der zwar nicht zum besten Freund aber zum treuen Kampfgefährten mutiert.

Wenn du etwas willst: Hol es dir!

Hier geraten wir endgültig ins Heinlein-Kontinuum. Scalzis (niemals sklavisch imitiertes) Vorbild als SF-Autor ist zweifellos Robert A. Heinlein (1907-1988), der die Welt als Spielplatz des Tüchtigen betrachtete, dem sich die Trägen und Dummen unterzuordnen hatten. Dieses Credo, das den „American Way of Life“ befördert, hat Scalzi ein wenig abgeschliffen und bekömmlicher gemacht. Im Kern blieb es allerdings bestehen. Wie Heinlein macht es sich Scalzi einfach: Was der normale Erdenbürger oder Kolonist über die elitäre Militärkaste denkt, bleibt weitgehend ausgespart. KVA und Geisterbrigade bleiben nach dem Willen der KU weitgehend isoliert von denen, die sie schützen. Der Informationsfluss ist spärlich. Das bewahrt die Regierung von unerwünschter Kritik und vermeidet die Vergeudung von Zeit, die sie sonst in die Diskussion mit der Opposition investieren müsste. Demokratie ist schön und gut, aber die Realität sieht halt nur die effiziente Niederhaltung bösartiger Aliens vor.

In diesem Zusammenhang schildert Scalzi einen beim Leser bewusst Unbehagen provozierenden Einsatz: Das wehrlose Kind einer feindlichen Rraey-Königin wird entführt, unfruchtbar gemacht und schließlich sogar umgebracht, um den Feind zum Einlenken zu bringen: Der Zweck heiligt nach Ansicht der KVA wirklich alle Mittel. Dies ist der Zeitpunkt, an dem zumindest Jared Dirac darüber zu grübeln beginnt, in wessen Dienst er sich gestellt hat. Charles Boutin klärt ihn später endgültig auf: In der Tat hat sich die KVA längst verselbstständigt; sie ist am imperialistischen und möglichst ewigen Krieg im All interessiert, um auf diese Weise ihre Vormachtstellung zu bewahren.

Dirac zieht keine Konsequenzen aus dieser Erkenntnis. Auch Boutin will ihn indoktrinieren, soviel ist sicher. Also entscheidet sich Dirac letztlich doch für die KVA, die er trotz ihrer Lügen und Manipulationen für den besseren Vertreter der Menschheit hält. Das ist schwer zu schlucken, zumal Scalzi die Kanonenboot-Politik von KU und KVA geschickt zu verbrämen weiß. Er gibt gar nicht vor, dass sein System perfekt ist. Die KU und die KVA treffen mehrfach kapitale Fehlentscheidungen. Sie beanspruchen nie im Besitz des Steins der Weisen zu sein. Kritik und freie Meinungsäußerung ist den Soldaten gestattet.

Immer weiß es jemand besser

Die Krux ist dabei, dass sich Generäle und Militärveteranen immer als alltagstaugliche Realisten entpuppen; hört ein Soldat nicht auf sie, was sein gutes Recht ist, gerät er prompt in Schwierigkeiten. Welche Lehre wird er wohl daraus ziehen? In Scalzis Welt funktioniert dieses System. Außenseiter werden entweder eingepasst oder ausgetilgt. Auf diese nur scheinbar Zwischentöne berücksichtigende Schwarz-Weiß-Zeichnung muss sich der Leser einlassen. Wieder ist dabei der Gedanke hilfreich, dass „Geisterbrigaden“ nur Unterhaltung ist, die nicht einmal die wahrhaft Armen im Geiste in kritiklose Kampfmaschinen verwandeln wird.

Zumal der Keim der Veränderung gelegt ist. Auf Dauer kann die KVA den Deckel nicht geschlossen halten. Die Menschheit hat sich unter ihrer Regie zum womöglich schlimmsten Aggressor überhaupt entwickelt. Scalzi wird diesen Aspekt in den Fortsetzungen seiner Zukunftssaga aufgreifen und weiterentwickeln; man darf gespannt sein und ist es auch!

Autor

John Scalzi (geb. 1969) begann schon auf dem College zu schreiben. In den 1980er Jahren arbeitete als Filmkritiker für eine kalifornische Zeitung. Außerdem verfasste er in den folgenden beiden Jahrzehnten, wofür man ihn bezahlte; u. a. schrieb er jene kurzen Zusammenfassungen, die auf Buchdeckel- oder Einbandrückseiten zu lesen sind und ab 2000 CD- und DVD-Kritiken für das „Official US Playstation Magazine“. Für „America Online“ führt er einen Blog.

Mit „Old Man’s War“ (dt. „Krieg der Klone“), dem Vorgängerband zu „The Ghost Brigades“, versuchte sich Scalzi 2005 höchst erfolgreich als Romanautor. Sein Debüt wurde für den „Hugo Award“ als bester Science-Fiction-Roman des Jahres, für den „Locus Award“ als besten Romanerstling sowie für den „John W. Campbell Award“ als bester Jungautor nominiert; diesen Preis hat er 2006 gewonnen.

Mit seiner Familie lebt John Scalzi in der Kleinstadt Bradford, Ohio. Über seine zahlreichen Aktivitäten informiert er auf seiner Website.

Taschenbuch: 428 Seiten
Originaltitel: The Ghost Brigades (New York : Tor Books 2006)
Übersetzung: Bernhard Kempen
http://www.randomhouse.de/heyne

eBook: 885 KB
ISBN-13: 978-3-641-02949-4
http://www.randomhouse.de/heyne

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