Stroud, Jonathan – Bartimäus – Das Auge des Golem

_Dschinn trifft Golem: Die Fetzen fliegen!_

Der junge, ehrgeizige Nathanael strebt eine Karriere im von Zauberern beherrschten britischen Weltreich an. Seine dringlichste Aufgabe besteht darin, der immer dreisteren Widerstandsbewegung ein Ende zu setzen. Doch Kitty und ihre Freunde entkommen ihm immer wieder.

Dann wird London von einer neuen Serie Schrecken erregender Anschläge erschüttert. Steckt womöglich gar nicht der Widerstand dahinter, sondern etwas anderes, viel Gefährlicheres? Nathanael braucht dringend einen Verbündeten, der ihm hilft, Licht ins Dunkel zu bringen. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als erneut Bartimäus zu beschwören … (Verlagsinfo)

_Der Autor_

Jonathan Stroud wurde im englischen Bedford geboren. Laut Verlag schreibt er bereits seit seinem siebenten Lebensjahr Geschichten. Während er als Lektor für Kindersachbücher arbeitete, verfasste er seine ersten eigenen Kinderbücher. Nach der Publikation seiner ersten beiden Jugendbücher widmete er sich ganz dem Schreiben. Er wohnt mit seiner Frau Gina, einer Grafikerin und Kinderbuchillustratorin, und der gemeinsamen Tochter Isabelle in St. Albans nördlich von London.

„Das Auge des Golem“ ist der zweite Band in der „Bartimäus“-Trilogie.

_Handlung_

Zwei Jahre sind vergangen, seit Zauberlehrling Nathanael sein großes Abenteuer mit dem Dämon Bartimäus hatte (in [„Das Amulett von Samarkand“). 353 Sie trennten sich voneinander, indem sie schworen, nie wieder etwas mit dem anderen zu tun haben zu wollen.

Doch die Zeiten ändern sich. Inzwischen ist Nathanael unter dem Zauberernamen John Mandrake in der Sicherheitsabteilung des Innenministeriums tätig. Sein Abteilungsleiter ist der unfähige Trottel Julius Tallow, doch Meisterin der Behörde ist die mächtige Jessica Whitwell. Und die untersteht direkt dem Premierminister Devereaux. Versteht sich von selbst, dass alle diese Beamten auch Zauberer sind. Auf die Gewöhnlichen blicken sie verächtlich oder bedauernd herab, je nach Naturell.

Diese Gewöhnlichen machen in letzter Zeit eine Menge Ärger. Nathanael ist damit beauftragt, deren Sabotageaktionen zu beenden und den „Widerstand“ auszurotten. Leichter gesagt als getan. Vor zwei Jahren hatte er schon einmal Kontakt zum Widerstand, und die Begegnung mit Kitty und ihren Gefährten war ihm nicht gut bekommen. Die Rebellin Kitty macht mit ihren Aktionen immer noch Schlagzeilen. Ihre Wege werden sich unweigerlich wieder mit denen Nathanaels kreuzen.

Doch der hat vorerst andere Sorgen. Ein unbekanntes Wesen, weder Dämon noch Dschinn, hat eine ganze Häuserzeile am Piccadilly in Schutt und Asche gelegt. Sogar kleinere Geister von Polizei und Innenministerium (= Agenten) wurden sofort eingeäschert. Während Julius Tallow den Widerstand dafür verantwortlich macht, hält Nathanael diese Idee insgeheim für absurd, doch auch er hat keine Erklärung. Leider stellen ihm seine Vorgesetzten ein Ultimatum: eine Woche, um die Sache aufzuklären.

Es gibt nur einen, der ihm jetzt noch schnell helfen kann: Bartimäus. Das hat aber einen gewaltigen Haken. Der alte Dämon kennt Nathanaels Geburtsnamen und kann ihn, wenn er will, mit diesem Wissen erpressen. Sie schließen einen Stillhaltepakt, der sechs Wochen gelten soll. Und keine Sekunde länger, denkt sich Bartimäus. Und was hat er von dem Pakt? Man wird ihn nicht für den Krieg in der Neuen Welt rekrutieren, solange er für Nathanael arbeitet. In Amerika soll’s ja wild zugehen, und so ist Bartimäus einverstanden …

Inzwischen rüstet sich der Widerstand zu einer neuen, spektakulären Aktion. Denn Kitty Jones, Nathanaels Widersacherin, findet heraus, dass sie eine natürliche Abwehrkraft gegen Magie besitzt. Deswegen blieb sie beispielsweise unversehrt, als ein magischer Flammenstrahl sie und ihren tschechischen Freund traf – er wurde völlig verbrannt ins Krankenhaus gebracht, sie hingegen hatte keinen Kratzer. Und als sie den Verursacher – es war unser Freund Julius Tallow – wegen der Attacke belangen wollte, glaubte ihr deshalb natürlich niemand.

Ein gewisser Mr. Pennyfeather holt sie in seinen Widerstandskreis. Nach einigen Monaten erfolgreicher Diebstähle beauftragt ein Unbekannter die Gruppe, aus der Gruft Gladstones, des zauberischen Staatsgründers, in der Westminster Abbey mehrere magische Gegenstände zu entwenden. Doch als die sechs Freunde dort eintreffen, stoßen sie in der geöffneten Gruft auf etwas, auf das sie in keinster Weise vorbereitet sind …

_Mein Eindruck_

Nach einem furiosen Prolog, der die Eroberung Prags durch britische Truppen im 19. Jahrhundert schildert – Bartimäus stand auf der Seite der Verteidiger – plätschert die auf Nathanael und Kitty verteilte Handlung so vor sich hin, bis endlich das unsichtbare Monster, das eine Londoner Häuserzeile zerlegt, auftaucht. Dann plätschert sie weitere hundert Seiten, bis schließlich Bartimäus auftaucht. Endlich!

Die freche Ausdrucksweise des 5000 Jahre alten Dschinns verleiht dem ansonsten kreuzbraven Stoff so etwas wie Pfeffer, und mit jeder Menge Ironie weiß Bartimäus die erfolglosen Bemühungen seines Meisters Nathanael – er nennt ihn auch mal „Natty“ – durch den Kakao zu ziehen. Da „Natty“ null Ahnung von Politik hat, peilt er auch nicht, wie ihm übel mitgespielt wird. Die vieltausendjährige Erfahrung des Dschinn kann ihm da nur eine willkommene Hilfe sein. Sollte man meinen, doch da kennt man die Zauberer nicht. Hochnäsige Burschen allesamt, die sich auf ihre Bildung und Macht wunder was einbilden. Und Nathanael, kaum 14, zieht sich auch noch an wie ein [Dandy. 716 Für Bartimäus grenzt es an ein Wunder, dass er überhaupt etwas auf die Reihe kriegt.

Der Dschinn sorgt jedoch für jede Menge Action in den Straßen und Gassen der britischen Hauptstadt, und da er über einige Macht verfügt, übernimmt er schon bald das Kommando über einige weniger mächtige Geisterwesen. Allerdings hat auch er nicht mit einem leibhaftigen Golem gerechnet, der sich durch einen Finsterniszauber unsichtbar machen kann. Daher ist das Rätsel, wer den Golem geschaffen hat und ihn lenkt, auch eher in Prag zu lösen als in London. Dort tappt Natty auch prompt in eine Falle. Bartimäus hatte ihn gewarnt, aber der blasierte Brite wollte nichts davon hören.

Wenigstens ist Nathanael wieder zurück, als das Desaster in der Westminster Abbey für alle offensichtlich wird. Und ein weiteres Monster ist ausgebrochen, um das sich Bartimäus kümmern muss. Ein ungewöhnlich humorvolles und respektloses Monster, darf ich verraten, ein Monster, das richtig gute Laune verbreitet (außer bei seinen Opfern). Nur wunderte ich mich dann doch etwas, wo denn der Golem, der zu Anfang für Furore gesorgt hatte, abgeblieben war.

Die restlichen 300 Seiten lesen sich praktisch von alleine, denn der Golem taucht dann doch wieder auf. So fiel es mir ziemlich schwer, das Buch aus der Hand zu legen. Wäre der schleppende Anfang nicht gewesen, würde ich dem Roman die volle Wertung nicht verweigern, aber so gibt’s einen leichten Abzug.

|Die Übersetzung|

Es ist sehr deutlich, dass die Bartimäus- und die Kitty-Kapitel von zwei verschiedenen Übersetzern übertragen wurden. Ich tippe mal, dass Katharina Orgaß sich Kittys angenommen hat, was für Gerald Jung den beträchtlichen Rest übrig lässt. Auf die Bartimäus-Kapitel habe ich mich stets besonders gefreut, denn die Sprache ist aktueller und schnoddriger als die der etwas betulichen Kitty-Kapitel.

_Unterm Strich_

Ich fand „Das Auge des Golem“ relativ konstruiert, denn in der Mitte wundert man sich doch, was denn nun aus dem titelgebenden Ungeheuer geworden ist. Stattdessen steuert die zweigeteilte Handlung in eine ganz andere Richtung, und erst ganz am Schluss taucht das Lehmmonster wieder auf, quasi im Showdown. Dabei erweisen sich die besonderen Eigenschaften des Geschöpfes als verhängnisvoll für seinen Meister. Die Aussage des Autors: Terror kann den Herrschenden recht nützlich sein, wenn er sich dazu benutzen lässt, die Bürger – in diesem Fall die „Gewöhnlichen“ – unter Kontrolle zu halten und so die Herrschaft der obersten Klasse zu zementieren.

Diese Botschaft hat man schon viele Male vernommen, doch noch selten in einem Fantasyroman. Und ob sie die jungen Leser überhaupt erreicht, bezweifle ich. Es sei denn, diese jungen Leser hätten bereits Unterricht in „Gemeinschafts“- oder „Sozialkunde“ oder „Geschichte“ erhalten. Das jeweilige Alter kann man sich ausrechnen.

Man muss aber kein Terrorismusexeperte sein, um „Das Auge des Golem“ trotzdem genießen zu können. Jungs wie Mädels werden gleichermaßen von der Handlung angesprochen, wobei die Mädels die rebellische und misstrauische Kitty sicherlich sehr sympathisch finden werden. Nathanael, obwohl lernfähig und zunehmend desillusioniert, ist weniger eine Identifikations- , sondern eher eine Schießbudenfigur; ein radikaler Unterschied zum ersten Band. Deshalb halte ich es mit dem ironischen und sehr aktiven Bartimäus.

In jeder Verfilmung wäre der 5000 Jahre alte Dschinn, der uns im Buch mit seinen unzähligen Fußnoten ergötzt, zweifellos der Star. Und eine Verfilmung ist keineswegs auszuschließen. Schließlich hat auch die Harry-Schotter(c)-Reihe nur sieben Bände, und dann ist Schluss.

|Originaltitel: The Golem’s Eye, 2004
Aus dem Englischen übersetzt von Katharina Orgaß und Gerald Jung|