Ward Moore – Der große Süden. SF-Roman

Die Südstaaten haben den Krieg gewonnen – vorerst

Die amerikanischen Südstaaten haben 1863 die entscheidende Schlacht von Gettysburg gewonnen und damit den Bürgerkrieg für sich entschieden. Die Konföderation ist ein riesiger, reicher Agrarstaat geworden; der Norden , die Union, ist zu einem bedeutungslosen politischen Gebilde herabgesunken, in dem Hunger und Armut herrschen, die Arbeitslosigkeit grassiert und mächtige Gangsterbanden die Städte regieren.

Bis eines Tages ein Historiker die Gelegenheit findet, mit einer Zeitmaschine ins Jahr 1863 zu reisen… (Verlagsinfo)

Der Autor

Der Autor Joseph Ward Moore (* 10. August 1903 in Madison, New Jersey; † 28. Januar 1978 in Pacific Grove, Kalifornien) war ein US-amerikanischer Science-Fiction-Autor.

Joseph Ward Moore wuchs in Madison, New Jersey auf. Er entschloss sich früh, Schriftsteller zu werden. Nachdem er zunächst als Buchhändler in New York arbeitete, lebte er einige Zeit in Chicago, Illinois und seit 1929 in der Nähe von Los Angeles in Kalifornien. Von 1937 bis 1940 war er beim Federal Writers’ Project beschäftigt, bevor er 1942 seinen ersten Roman, Breathe the Air Again, veröffentlichte. In diesem Roman setzt Moore sich mit den Arbeitskämpfen während der Weltwirtschaftskrise auseinander. Sein nächster Roman „Greener Than You Think“ handelt davon, wie ein neuartiger Dünger zu einem ungezügelten Graswachstum führt, bis die ganze Welt von Gras überwuchert ist.

Sein größter Erfolg war 1953 das bis heute im Druck befindliche „Bring the Jubilee“ (dt. „Der große Süden“), ein Klassiker der Alternativweltliteratur, in dem die Südstaaten den amerikanischen Bürgerkrieg gewinnen. An diesen Erfolg konnten seine späteren Bücher nicht anknüpfen, aber seine 1953 und 1954 erschienenen Kurzgeschichten Lot und Lot’s Wife dienten als Vorlage für den Film Panic in the Year Zero (1962, dt. Panik im Jahre Null), und sein Werk hat bis heute einen großen Einfluss auf andere Science-Fiction-Autoren. Moore starb am 28. Januar 1978 in Kalifornien.

Romane

1) Breathe the Air Again (1942)
2) Greener Than You Think (1947)
Deutsch: Es grünt so grün. Übersetzt von Bernd W. Holzrichter. Moewig Science Fiction #3510, 1981, ISBN 3-8118-3510-6.
3) Bring the Jubilee (1953)
Deutsch: Der große Süden. Übersetzt von Walter Brumm. Heyne Science Fiction & Fantasy #3760, 1980, ISBN 3-453-30663-5.
4) Joyleg (1962, mit Avram Davidson)
5) Caduceus Wild (1959, 1978, mit Robert Bradford)
6) Transient (1960, 2013)

Handlung

Gegenwart

(Epilog) Anno 1953 findet der Herausgeber Thammis in seinem Elternhaus das Manuskript, das mit H.M. Backmaker signiert ist. Demzufolge wurde dieser Backmaker im Jahr 1921 im oberen Staat New York geboren, schrieb sein Manuskript aber im Jahre 1877 auf. Das soll mal einer kapieren! Wie auch immer: General Lee hatte 1863 die Schlacht von Gettysburg gewonnen, Washington, D.C. erobert und anschließend den Norden, die sogenannte „Union“ unterworfen. Nun existierten anno 1921 nur 26 Bundesstaaten.

Vergangenheit

Hodgins Backmaker erzählt zunächst, wie er, 1921 geboren, auf dem Lande in bitterer Armut aufwuchs, mit 17 Jahren einen vielversprechenden Deal vermasselt und aus dem Hudson Valley in die – mehr oder weniger – große Stadt New York City aufbricht, um woanders sein Glück zu suchen. Schon das Tal des Hudson-Flusses hält schöne und schlechte Begegnungen bereit. Die Natur ist unberührt, aber überall gibt es Sklaven – oder zumindest Leibeigene, die als „Kontraktarbeiter“ bezeichnet werden. Sie gehören Großgrundbesitzern. Es gelingt ihm, den Häschern dieser Typen zu entgehen und die Stadt zu erreichen.

New York City

Nur das Zentrum der Stadt ist anno 1938 einigermaßen zivilisiert, aber weit von dem uns bekannten Stand der Technologie und Architektur zu sein. Als sich Hodge in eines der äußeren Viertel verirrt, wird unser Chronist übertölpelt, niedergeschlagen und ausgeplündert. Ein netter Mann verhilft ihm zu Ersatzkleidung, die Backmaker einem Betrunkenen abnimmt. Geld hat er jetzt keines mehr, und die schönen Büchern sind auch weg. Welche Optionen hat er noch? Er können sich für mehrere Jahrzehnte als „Kontraktarbeiter“ verdingen, so sein neuer Freund Pondible, oder einer Bande oder der Großen Armee beitreten. Die sucht immer Leute, denn es gebe viel zu tun: „die Ausländer verjagen, ihren Laien eine Lektion erteilen und das Land wiederaufbauen.“

Tyss

Pondible vermittelt Hodge an den Schriftsetzer und Buchdrucker Tyss, der ein recht eigenwilliger Charakter ist, mit einer eigenen Philosophie. So sei die Zeit beispielsweise von kreisförmiger Natur und dergleichen. Hodge muss keinen Kontrakt eingehen, der ihn zum Sklaven gemacht hätte, bekommt aber freie Kost und Logis, wenn auch keinen Lohn. Dafür darf er sich bei der umfangreichen Bibliothek von Tyss bedienen, was ihm ein unschätzbares und, wie er später erkennt, seltenes Bildungserlebnis ermöglicht.

Enfandin

Er lernt bei einem Lieferauftrag den Stammkunden Enfandin näher kennen. Monsieur Enfandin ist diplomatischer Vertreter der freuen Republik Haiti. Trotz seiner schwarzen Hautfarbe freundet sich Hodge mit dem klugen und belesenen Gentleman an und philosophiert über die Epoche. Allerdings gibt es Zeitgenossen, die mit Tyss Geschäfte machen, die wenig Enfandin anzufangen wissen, ja, ihm sogar feindlich gegenüberstehen. Während die Feinde dieses Kreises Hodge als Spion anwerben wollen, drucken die Agenten in diesem Kreis Falschgeld. Es sind spanische Banknoten, die das mexikanische Kaiserreich destabilisieren sollen. Bei der Auslieferung der Banknoten kann es schon mal ziemlich rau zugehen, wie Hodge in einer Nachtaktion während einer Schießerei erlebt.

Barbara

Daher bemüht er sich nach dem Verlust seiner Freundes Enfandin, der das Land verlassen musste, auch Tyss zu verlassen. Er setzt, druckt und verschickt seine Bewerbung an zahlreiche Universitäten, doch nach Monaten des Wartens erhält er nur eine einzige Antwort, und das nicht einmal von einer Uni, sondern von einem eigenartigen College, das sich Haggershaven nennt. Ein Telegramm kündigt das Eintreffen der College-Repräsentantin Barbara Haggerswell an. Plötzlich steht sich da, ein fein gekleidete Blondine mit guten Manieren, aber einer sehr geringen Meinung von Männern und Frauen, besonders von solchen „Gassenjungen“ wie Hodge. Sie lädt ihn in knappen Worten ein, sich am College vorzustellen und überreicht ihm einen Bahnfahrkarte.

Überfall

Haggershaven liegt in Pennsylvania bei York, ungefähr 30 Meilen von Gettysburg entfernt, weit draußen auf dem Lande – die Industrie beschränkt sich auf die Städte. Die letzten Meilen muss Hodge auf Schusters Rappen zurücklegen. Dabei wird er von einer Kutsche überholt, die kurz darauf von Räubern überfallen wird. Aus einer Deckung heraus beobachtet Hodge das blutige Geschehen entsetzt: Die Insassen geben zwar an, Mitglieder der spanischen Gesandtschaft zu sein (Spanien ist eine ausländische Großmacht), doch die Räuber wollen unbedingt die Frauen und die Wertgegenstände. Einer der maskierten Typen kann sich nicht beherrschen und schießt den Gesandten und seine Frau nieder. Er wird beschimpft, dass ihr Frauenvorrat gerade um die Hälfte dezimiert worden sei – nur die Zofe bleibt ihnen als Beute. Dann verschwinden die maskierten in der heraufziehenden Dämmerung.

Die einzige Überlebende des schrecklichen Überfalls ist ein völlig traumatisiertes und daher sprachloses Mädchen. Hodge nimmt sich seiner an und bringt sie zum Tor von Haggershaven, wo schon der Aufseher mit schussbereiter Flinte wartet. Aber Hodge hat schließlich eine Einladung und wird erwartet. Ältere Damen nehmen sich des stummen Mädchens an, während Barbara wie erwartet wieder mal sehr anstrengend ist. Sie nennt das Mädchen Hodges „Flittchen“. Eifersucht ist ihr zweiter Vorname. Der Empfang bei ihrem Vater ist da wesentlich wärmer, und auch der Aufseher Ace hat nichts dagegen, dass Hodge über Nacht bleibt.

Acht Jahre

Aus der Nacht werden acht ereignisreiche Jahre. Zunächst einmal muss sich Hodge die Achtung und den fachlichen Respekt der anderen Free-College-Angehörigen für seine Arbeit als Historiker erwerben. Seine schärfste Kritikerin ist, wie nicht anders zu erwarten, Barbara. Doch die ist eine geniale Physikerin, die an einer einheitlichen Feldtheorie arbeitet. Wenn sie so etwas wie der Einstein des Kollegiums, dann ist Oliver Midbin der Sigmund Freud. Er befasst sich mit emotionaler Therapie in allen Aspekten. Daher ist er genau der Richtige, um sich mit dem Geisteszustand des geretteten Mädchens zu befassen. Zusammen mit Hodge gelingt es ihm, den Schockzustand aufzuheben und eine Sprachtherapie zu praktizieren.

Wie sich nach langen Versuchen herausstellt, heißt sie Catalina und ist die Schwester der Frau des ermordeten Gesandten. Daher muss sie als potentielle Alleinerbin den Spaniern gemeldet werden. Der ziemlich hochnäsige gesandte, den es in diese rückständige Provinz verschlagen hat, erklärt sie zum Mündel seines Staates, da „Catty“ noch nicht volljährig sei. Aber bei ihrem 18. Geburtstag könne sie auf ein beträchtliches Erbe zugreifen. Doch Catalina hat zu Hodges Erstaunen überhaupt Interesse an weltlichen Dingen, sondern will das Geld, wenn es denn kommt, in das College stecken: Hier ist jetzt ihr Zuhause – und Hodge ist ihr Geliebter. Als die Zeit reif ist, heiratet er sie. Natürlich nennt Barbara sie immer noch „Flittchen“. Allerdings nicht mehr, als Catty ihr Geld dem neuesten Projekt der Physikerin zukommen lässt.

In einer Scheune, die in sicherer Entfernung vom Hauptgebäude steht, baut Barbara zusammen mit ihrem ergebenen Ace Dorn eine seltsame Maschine: Sie werde durch die zeit reisen, sagt sie voraus. Und wenn Barbara das sagt, wagt Hodge nur sehr vorsichtig zu widersprechen. Seine Liebe zu ihr war einst von sehr vielen Auf- und Abschwüngen gekennzeichnet. Catty ist im Vergleich ein Ausbund an Ausgeglichenheit. Was nicht heißt, dass sie nicht ihren eigenen Kopf hätte: Sie kann die Herzen der Menschen – wie das des lieben Hodge – tiefer lesen als irgendjemand sonst. So weiß sie schon längst vor ihm, was er vorhat.

Die Zeitreise

Hodge ist ein Experte für das, was die Konföderierten den Unabhängigkeitskrieg des Südens nennen, die besiegten Vereinigten Staaten aber den „Bürgerkrieg“. Als er den ersten Band seines geplanten Mammutwerkes über diesen folgenschweren Krieg schreibt, veröffentlicht und an die Colleges im Land schickt, bekommt er viel Lob, aber auch eine kritische Anmerkung: Wird er der folgende Band, der unweigerlich den Sieg über die USA beschreiben muss, wirklich objektiv sein? Wie kann er sich dessen sicher sein, wenn er nicht alle Fakten kennt? Tagebücher, Zeugenaussagen, Zeitungsberichte – das mag ja, nach immerhin rund 90 Jahren (1863-1960), alles gut und schön sein, aber er ist nichts im Vergleich zu einer Beobachtung aus erster Hand.

Sobald er Barbara gebeten hat, die Zeitreise von rund 100 Jahren unternehmen zu dürfen, ist die Maschine ausgereift und vielfach erprobt. Dennoch: Hundert Jahre liegen im Grenzbereich dessen, was die Kapazität des Apparats leistet, sagt Barbara. Und sie gewährt ihm maximal vier Tage Ort. Das heißt, wenn er die Schlacht erleben will, muss er am Vorabend des 30. Juni losreisen und am Abend des 3. Juli zurückkehren, natürlich in genau derselben Scheune wie jetzt. Er findet es sehr schwierig, sich von der lieben Catty zu verabschieden und verspricht ihr hoch und heilig, zu ihr zurückzukehren. Der Übertritt ist von einem Gefühl der völligen Auflösung begleitet…

Gettysburg, 1. bis 3.7.1863

Er geht zu Fuß zur Region, in der die Schlacht, die den Konföderierten den Sieg über den Norden brachte, wie jeder weiß. Die ländliche Gegend ist warm und idyllisch, doch je näher er der Stadt kommt, desto voller werden die Straßen, verstopft von Flüchtlingen, Marketendern, Soldaten. Kanonendonnern ist in der Ferne wie Donnergrollen zu hören. Da er sämtliche Wege aus dem Effeff kennt, schlägt er sich auf kleinen Seitenwegen durch, bis er zur unversehrten Stadt Gettysburg gelangt. Die Nordstaatler sind unbesorgt, und es herrscht reger Verkehr. Niemand behelligt Hodge.

Doch er hat eine Theorie, die er auf die Probe stellen muss. Wie er herausgefunden hat, hängt der Ausgang der Schlacht davon ab, ob die beiden runden Hügel, die weiter im osten der Stadt liegen, zuerst von den Süd- oder von den Nordstaatlern erobert werden. Denn von dort lässt sich mit Artillerie das gesamte Schlachtfeld bestreichen. Infanterie kann der jeweiligen Linie in die Flanke fallen, Kavallerie unterhalb der Hügel in einer Obstfarm blitzartig durchbrechen – es gibt also drei entscheidende Faktoren. Hodge legt sich möglichst unauffällig auf die Lauer, indem er sich an einen Zaun des Obstgartens lehnt. Er ist so unauffällig, dass ihn die Soldaten der Union unbehelligt passieren.

Doch aus dem unbeteiligten Beobachter, der er zeit seines Lebens gewesen war, wird unversehens ein Störfaktor, der einen Hauptmann der Konföderierten das Leben kostet und dessen Soldaten eine Falle wittern lässt, so dass sie umkehren…

Mein Eindruck

In Hodges Geschichte geht es also nicht um die Zeitreise an sich und was er dabei herausfindet, wie es noch bei H.G. Wells der Fall war. Bei Wells muss der Zeitreisende laufend seine Theorien revidieren, was in der Zwischenzeit geschehen sein könnte. Das hat Hodge nicht nötig: Als Experte für den „Bürgerkrieg“ weiß er ja genau, wie die Schlacht von Gettysburg ausgegangen ist: ein Sieg für die Konföderierten, eine vernichtende Niederlage für die Union.

Die zahlreichen Missstände, auf die Hodge auf seinen Reisen und bei seinem Aufenthalt in New York City gestoßen ist, sind die direkte oder indirekte Folge davon: Die USA sind ein ausgebeutetes Drittweltland, in dem durch Kontraktarbeit eine Art Sklaverei beibehalten worden ist. Diese Perspektive dürfte den Lesern dieses Romans während der Zeit des Kalten Kriegs gar nicht gefallen haben. Umso größer dürfte ihre Hoffnung gewesen, dass Hodges Zeitreise irgendetwas an dem unangenehmen Geschichtsverlauf ändern würde. Sie wurden nicht enttäuscht.

Die Figuren

Der alternative Geschichtsverlauf der Jahre nach Gettysburg – am 4.7.1865 werden die Südstaaten unabhängig usw – wird schon auf der ersten Seite gerafft berichtet. Der oben eingangs angeführten Zeitlinie ist also nichts weiter hinzuzufügen. Wichtiger sind vielmehr die zentralen Figuren, von denen jede eine spezifische Philosophie vertritt. Es sind diese Figuren, die die Lektüre zu einer menschlichen befriedigenden Erfahrung machen. Hodge muss sich mit ihnen auseinandersetzen, um entscheiden zu können, ob er die Chance der Zeitreise nutzen will oder nicht.

Da ist zunächst sein erster Lehrmeister, der Buchdrucker Tyss. Er sieht harmlos aus, hat es aber faustdick hinter den Ohren. Er sagt fatalistisch, alles, was passiert, sei eh schon vorgegeben, beteiligt sich aber durch das Drucken von Falschgeld am Sturz der spanischen Regierung in Mexiko. Wir können ihm also nicht so recht trauen. Wichtig für Hodge sind die unzähligen Bücher, die er bei Tyss lesen darf. Dadurch erst erweitert sich sein Horizont von dem eines Bauernburschen hinauf zu der Ebene eines Experten. Doch wie Tyss bleibt Hodge – vorgeblich – ein passiver Beobachter.

Die zweite Hauptfigur ist Enfandin. Der haitianische Diplomat, dem später so übel mitgespielt wird, ist ebenfalls sehr belesen und dient Hodge als zweite Bildungsquelle. Doch der schwarzhäutige Lebemann vertritt die entgegengesetzte Position, was die Geschichte angeht: jeder Mensch macht einen Unterschied. Bestes Beispiel ist die Sklavenbefreiung auf Haiti (die auch in unserer Welt stattfand). Diese „Emanzipation“ konnten nur die Sklaven selbst leisten, und wer, wenn nicht ein rebellischer Sklave, hätte sie anführen können?

Haggershaven

Das freie College Haggershaven verdankt seine Gründung dem Großvater von Barbara, der natürlich ebenfalls Haggerswell hieß – und dessen Porträt, das in der Ahnengalerie hängt, Hodge bestens kennt. Der einstige Südstaatengeneral steckte viel Geld in seine Stiftung, um das Institut zu gründen, zu fördern und Mitarbeiter anzuwerben. Diese „Mitarbeiter“ dürfen wie Catalina ihr eigenes Vermögen in einen gemeinsamen Topf stecken, so dass alle wie in einer Genossenschaft davon profitieren. Dadurch erst ist der – von allen genehmigte – Bau der superteuren Zeitmaschine, den Barbara leitet, erst realisierbar.

Das College ist ein Leuchtturm der Bildung und Forschung. Dass Hodge von Barbara hierher eingeladen wird, um sich zu bewähren, ist eine besondere Ehre – die er wiederum den oben genannten Leitfiguren zu verdanken hat. Hier ist nicht nur Wissen ungehindert und unzensiert verfügbar, sondern die Mitarbeiter dürfen auch selbst frei forschen und experimentieren. Theorien, die eines Freud und eines Einstein würdig wären, entstehen hier und werden erprobt.

Die Frauen

Die Frauen stellen den Menschen Hodge auf die Probe, nicht den Historiker. Barbara ist neurotisch, und das Psychogramm ihrer Neurose wird genau auf den Seiten 130 und 132 unten beschrieben, so dass sich eine Wiederholung erübrigt. Diese äußert sich v.a. in Eifersucht und Missgunst, nicht nur gegenüber Männern. Es grenzt daher an ein Wunder, wenn sie schließlich zulässt, dass Hodge ihre Maschine benutzt – sofern er sämtliche Vorsichtsmaßregeln beachtet. Das verspricht er hoch und heilig. Doch Gott lacht über alle Pläne.

Catalina ist so ziemlich das Gegenteil zu Barbara. Wo diese von Misstrauen erfüllt ist, vertraut Catty ihrem Retter Hodge bedingungslos – und zunächst auch als einzigem im Institut. Das macht ihn nicht wenig verlegen, und Barbara geizt nicht mit entsprechender Häme: „Verführung von Schwachsinnigen“, in der Tat. Nun ja, er hat ja acht Jahre Zeit, Cattys zu heilen, sich mit ihr näher anzufreunden und sie schließlich zu heiraten. Das erlaubt es ihr, ihn auf gewisse Dinge aufmerksam zu machen, die Rücksichtnahme erfordern. Sie ist zwar nicht schwanger, sollte aber auch nicht mir nichts dir nichts verlassen werden. Hodge versucht sein Bestes. Es ist nicht genug.

SPOILER

Denn Hodge als Geschichtsexperte kann noch so sehr aufpassen, nicht gesehen zu werden, er kann indes nicht verhindern, dass ihm sein Wissen um die Zukunft, aus der er stammt, in die Quere kommt. Der Hauptmann, der Soldaten der Konföderierten eigentlich zum Little Round Top führen soll, ist natürlich kein anderer als der spätere General Haggerswell höchstpersönlich. Als Hodge einfällt, woher er dieses markante Gesicht kennt – aus der heimischen Ahnengalerie – kann er sich das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht wischen, so sehr er es auch möchte.

Dieses Grinsen finden die Soldaten extrem verdächtig. Denkt dieser verkappte Yankee-Spion, sie würden so blöd sein, in eine Falle der Unionstruppen zu laufen? Sie würden den vermeintlichen Spion am liebsten über den Haufen schießen und ihn um seine hübschen Stiefel erleichtern – ihre eigenen sind nämlich zerfetzt bis nichtexistent. Der Streit zwischen den Soldaten und ihrem Hauptmann endet tödlich. Das wirkt sich, wie Hodge erkennt, fatal auf die Gründung von Haggershaven aus, Barbara wird nie geboren werden, die Zeitmaschine wird nie konstruiert, geschweige denn eingesetzt.

Kurzum: Die Geschichte nimmt den fatalen Verlauf, der uns leider nur zu gut bekannt ist. In der Scheune wartet Hodge vergeblich darauf, abgeholt zu werden. Das einzige Indiz, dass er aus einer alternativen Welt stammt, ist sein Zeitkompass, ein zeichnerisch vom Illustrator auf S. 231 abgebildetes Instrument mit zwei Zeitskalen.

Hinweis

Die skizzenhafte Schilderung des Schlachtfelds und der unzähligen Ortsnamen setzt beim deutschen Leser Kenntnisse voraus, die das Buch nicht liefert. Der gebildete US-Bürger des Jahres 1953 jedoch kannte sämtliche Lokalitäten, Truppenbewegungen, strategische Fehler und verlustreiche Manöver. Schließlich stand damals das hundertjährige Jubiläum des Beginns des Bürgerkriegs kurz bevor (1963). Daher der Titel des Originals „Bring the Jubilee“ – der sich aber auch in der Romanhandlung weiderfindet: Hodge reist exakt 100 Jahre in die Vergangenheit.

Die Übersetzung

S. 53: „Versch[w]endung“: Das W fehlt.

S. 98: „einen Autodiktaten“: Gemeint ist „einen Autodidakten“.

S. 115: „Ich werde das Pferd nachher vorsorgen.“ Gemeint ist „versorgen“.

S. 177: „Verfüh[r]ung von Schwachsinnigen“: Das R fehlt. Dreimal darf man raten, wer einen solchen Satz sagt.

S. 222: „langläufigz Vorderladergewehre“: Gemeint sind „langläufige“.

Dieser schöne Band wurde von Giuseppe Festino illustriert, der seine Kunst auch in Tiptrees Roman „Die Feuerschneise“ und John Brunners „Treibsand“ einbrachte.

Manko

Einziges Manko ist die Landkarte von Gettysburg, die in Kapitel 19 schmerzlich vermisst wird. Dann wirft nämlich der Autor zahlreiche Ortsnamen an den Kopf, die dem amerikanischen Leser geläufig sind, dem deutschen Leser aber nur dann etwas sagen, wenn er entweder die TV-Verfilmung (mit Jeff Daniels) gesehen oder Michael Shaaras Roman „The Killer Angels“ gelesen hat.

In letzterem Buch – siehe meine Besprechung – findet der Histo-Freak zahlreiche Karten, die den Verlauf der Schlacht nachzeichnen. Besonderes Augenmerk sollte man auf die beiden Hügel mit den Namen Big Round Top und Little Round Top richten. Diesem Hügelpaar kommt in den Kapiteln 19 und 20 des vorliegenden Romans entscheidende Bedeutung zu.

Unterm Strich

Dies ist ein Zeitreiseroman à la Wells, aber auch die Schilderung eines komplett ausgestalteten alternativen Geschichtsverlaufs. Zunächst findet sich der Leser in einer anderen fiktionalen Welt wieder, die er zusammen mit dem Chronisten Hodge Backmaker erkunden darf. Sie birgt – besonders für den US-Leser – zählreiche Rätsel. Da ist von Minibilen (Automobilen) die Rede, von Tinugrafien (Filmen) und vielem mehr. Auf dem Lande gibt es noch Sklaverei und Banditen, und nur in den Städten findet man so etwas wie Straßenbeleuchtung. Es ist fürwahr ein finsteres Zeitalter.

Deshalb ist es für Hodge so wichtig, durch eigene Aufklärung mittels umfassender Lektüre und sokratische Dialoge einen Wissensstand zu erklimmen, der ihn in die Lage eines kritischen Beobachters versetzt. Erst auf diesem Niveau ist er des freien Colleges Haggershaven würdig. Dieses ist ein Leuchtturm der Bildung unzensierten Forschung, zudem nur schlappe 30 Meilen vom Schlachtfeld Gettysburg entfernt.

Wieder bewährt sich Hodge als kritischer Experte, der selbst noch etablierten Historikern Respekt abnötigt. Aber stimmen seine Fakten und Theorien? Nur eine Zeitreise ins Gettysburg des Jahres 1863 kann die nötigen beweise liefern. Zu seiner Genugtuung findet er alles, wie es sein sollte – und genau darin wurzelt die nun folgende Tragödie: Im Augenblick des Triumphes verliert er die Zukunft und alle seine Lieben. Er hat die Geschichte geändert, aber ist das nun eine gute oder eine schlechte Sache? Das Urteil bleibt dem Leser überlassen.

Mein Leseerlebnis

Ich habe den Roman in nur wenigen Tagen verschlungen. Hier wird nicht wie bei H.G. Wells auf Effekte wie etwa mörderische Action (durch Morlocks etwa) gesetzt, und wer einen Kriegsroman erwartet, ist schwer auf dem Holzweg (und sollte lieber William Forstchen lesen). Vielmehr liegt die Betonung auf der kontinuierlichen Entwicklung der zentralen Figuren, die allesamt wichtige Thesen vertreten: Hodge als verunsicherter Chronist, Tyss als fatalistischer Determinist, Enfandin als „seines eigenen Glückes Schmied“ und schließlich die Geistesgrößen des Haggershaven-Instituts, die an Freud und Einstein erinnern.

Bemerkenswert ist hierbei, dass mit Barbara Haggerswell eine geniale Ingenieurin und Mathematikerin auftritt, die an die erste Programmiererin Ada Lovelace (Tochter von Lord Byron) und an Charles Babbitt erinnert, den Erfinder der Differenzmaschine, die vielleicht der erste Computer der Welt war. Sie ist aber kein Abziehbilder, sondern weist ein sehr kompliziertes und, wie Hodge findet, „anstrengendes“ Seelenleben auf. Dessen Äußerungen veranlassten mich mehrmals zum Schmunzeln. Unser vermeintlicher Held Hodge Backmaker wird auf diese Weise mehrmals auf ein menschliches Maß zurechtgestutzt. Gut, dass er zum Ausgleich wenigstens in Catty ein warmherzige Gefährtin hat.

Kritik

Indirekt enthält der Entwurf einer siegreichen Konföderation des Südens einiges an Kritik: Wäre es wirklich so begrüßenswert gewesen, wenn die Südstaaten den Bürgerkrieg gewonnen hätten? Bis vor wenigen Jahren wehten im Süden – etwa in South Carolina – noch Konföderiertenflaggen von Rathäusern und Parlamentsgebäuden. Erst als ein Rassenkrieg ausgelöst werden sollte, wurden sie entfernt – reichlich spät, so als ob Präsident Abraham Lincoln nie seine berühmte Rede von Gettysburg gehalten hätte.

Taschenbuch: 239 Seiten
Originaltitel: Bring the Jubilee, 1953 (falsche Jahresangabe 1955 im Impressum der Übersetzung!)
Aus dem Englischen von Walter Brumm
ISBN-13: 9783453027565

www.heyne.de

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