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Honisch, Ju – Obsidianherz, Das

_Hätte ich zuerst Tanya Huffs Urteil_ im Klappentext gelesen, hätte „Das Obsidianherz“ sich vermutlich niemals in mein Bücherregal verirrt. Tanya Huff attestiert dem Roman nämlich, die |“besten Elemente historischer Liebesromane und zeitgenössischer Phantastik“| zu verbinden. Und da ich bei dem Begriff „historischer Liebesroman“ vor meinem geistigen Auge stets eine schmachtende Frau in wallenden Kleidern an eine (meist ganz oder zum Teil entblößte) Männerbrust gepresst sehe, krempelt sich mir für gewöhnlich schon beim Gedanken daran der Magen um. Entsprechende Bücher werden somit kategorisch ignoriert. Dieses Schicksal blieb Ju Honischs Roman „Das Obsidianherz“ erspart, da ich den Hinweis schlichtweg übersehen hatte – zum Glück, wie sich herausstellen sollte …

_“Das Obsidianherz“_ spielt im Jahre 1865 in München. Ludwig II. hat gerade seine Regentschaft als König von Bayern angetreten. Zu dieser Zeit tragen sich im Nymphenburger Hotel – Münchens erste Adresse – so einige mysteriöse Dinge zu. Ein Mord ist geschehen und ein magisches Manuskript verschwunden, doch es ist nicht irgendeines, sondern das mächtigste und wertvollste, das in den falschen Händen die Welt ins Chaos zu stürzen vermag.

Der britische Colonel Delacroix, seines Zeichens Agent für besondere Aufgaben, soll das wichtige Schriftstück mit der Unterstützung zweier bayerischer Offiziere wiederbeschaffen. Die vierte im Bunde ist die Opernsängerin Cérise Denglot, die der bayerische König höchstselbst für die Mission auserkoren hat – aufgrund welcher Qualitäten auch immer. Unterstützt wird das Team zusätzlich von einem Magiewissenschaftler. Dieser hält das Nymphenburger Hotel unter einem magischen Bann. Dank dieses Banns können alle magischen Geschöpfe, genannt Fey oder Sí, das Hotel nicht verlassen. Dies will das Team um Delacroix dazu nutzen, das seltsame Schattenwesen, das sie mit dem Verschwinden des Manuskripts in Verbindung bringen, dingfest zu machen.

Während der Jagd auf das Wesen kreuzen sich ihre Wege schon bald mit denen der jungen Corrisande Jarrencourt, die zusammen mit Anstandsdame und Zofe extra zur beginnenden Ballsaison nach München gereist ist – schließlich gilt es, einen passenden Kandidaten für eine möglichst gewinnbringende Eheanbahnung aufzutun.

Da kommt es natürlich reichlich ungelegen, dass das rätselhafte Schattenwesen obendrein noch ein Auge auf Corrisande geworfen hat und ihr fortan an den Fersen hängt. Doch Delacroix und sein Team stehen Corrisande mutig zur Seite und versuchen das Wesen von ihr fernzuhalten.

Delacroix und Co. sind dabei nicht die Einzigen, die sich für das Wesen und das Manuskript interessieren. Schon bald spitzen sich die Ereignisse dramatisch zu und Corrisande muss um ihr Leben fürchten. Obendrein gibt es so manchen im Hotel, der etwas im Schilde führt und auf die eine oder andere Art in die Angelegenheit verwickelt zu sein scheint …

_Nun gut_, historischer Liebesroman trifft auf Phantastik. Übertragen auf die Erzählepoche könnte man auch sagen „Sissi meets Mystery“ und hätte damit Recht und läge genauso falsch. Was Ju Honisch mit „Das Obsidianherz“ abgeliefert hat, ist vor allem ein historisch angehauchter Spannungsroman voller Witz und Fantasie.

Beeindruckend ist schon, dass die Autorin über 800 Seiten mit fast nur einem einzigen Handlungsort auskommt. Nur am Ende verlassen die Protagonisten für den finalen Showdown das Hotel. Der Rest des Plots spielt sich im Stil eines „Whodunit“ komplett in den Räumlichkeiten des Nymphenburger Hotels ab. So ist die Handlung einem Theaterstück gleich einerseits sehr konzentriert und liefert andererseits aber auch eine große Bühne für die Protagonisten ab. Zum Teil lebt der Roman von den Protagonisten und ihren Interaktionen.

Dabei versteht Ju Honisch es auf wunderbare Art, die Steifheit der Zeit und die Überbetonung der Etikette mit einem höchst unterhaltsamen, ironischen Unterton zu verzieren. So hat der Leser viel zu schmunzeln, und das vor allem dann, wenn Ju Honisch ihn an den Gedanken der Figuren teilhaben lässt und die gleiche Szene aus unterschiedlichen Blickwinkel abspult. So entwickelt der Roman eine herrlich lockere und unterhaltsame Art, bei der die Autorin mit so mancher verschmitzten Formulierung immer wieder den Nagel auf den Kopf trifft. „Das Obsidianherz“ ist in dieser Hinsicht eben weit weniger historischer Liebesroman als vielmehr ein phantastikdurchtränkter historischer Unterhaltungsroman.

Der Fantasyanteil beschränkt sich dabei vor allem darauf, dass es in Honischs Welt Fabelwesen aller Art gibt und entsprechend begabte und ausgebildete Menschen Magie praktizieren. Die Fabelwesen sind nicht selbstverständlich in den Alltag integriert, sondern eher eine Randerscheinung, die nicht selten mit Ressentiments zu kämpfen hat.

Die Protagonisten werden stets mit einem Augenzwinkern betrachtet. Jeder bekommt sein Fett weg, und dazu werden natürlich gerne auch mal die Klischees der Zeit bedient: die Anstandsdame, die über jede noch so unbedeutende Kleinigkeit wacht, die ihrem Zögling als undamenhaft vorgeworfen werden könnte; der raubeinige Colonel, der im Eifer des Gefechts auch schon mal die Regeln des Anstands vergisst; die temperamentvolle Operndiva und das zarte Fräulein, das es faustdick hinter den Ohren hat. Ju Honisch spielt sehr viel mit den gesellschaftlichen Normen der Zeit, mit Standesdünkel und Etikette.

Dass dabei dennoch nicht die Spannung zu kurz kommt, ist dem Geschick zu verdanken, mit dem die Autorin Phantastik, Spannungs- und Unterhaltungsroman miteinander verknüpft – und dabei kommt dann auch die Liebe nicht zu kurz. Ju Honisch vermischt all diese Zutaten zu einem stimmigen Ganzen, das sich trotz seiner 800 Seiten Umfang flott und locker runterliest – nicht zuletzt auch wegen des kontinuierlich aufwärts strebenden Spannungsbogens.

_Alles in allem_ ist „Das Obsidianherz“ ein Roman, der sich als höchst angenehme Lektüre entpuppt. Ein unterhaltsamer Lesespaß, der nicht mit Spannung geizt und dessen fantastische Komponente überzeugend in den Plot eingewoben ist. Ju Honisch hat einen höchst lesenswerten Genremix abgeliefert, der von vorne bis hinten Lob verdient. Freunden fantastisch angehauchter Romane sei „Das Obsidianherz“ wärmstens empfohlen.

|809 Seiten, kartoniert mit Illustrationen
ISBN-13: 978-3-86762-028-4|
[www.feder-und-schwert.com]http://www.feder-und-schwert.com

Smith, Tom Rob – Kolyma

Mit [„Kind 44“ 4948 hat der Brite Tom Rob Smith einen höchst spannenden Krimi vor dem Hintergrund der Stalin-Zeit abgeliefert. Nun liegt mit „Kolyma“ der Nachfolger vor, der erzählt, wie die Geschichte um den ehemaligen KGB-Agent Leo Demidow weitergeht.

Wir schreiben mittlerweile das Jahr 1956. Chruschtschows Geheime Rede sorgt für politische Unruhe in Moskau. Leo Demidow arbeitet immer noch für das geheime Morddezernat, das in diesen Tagen wieder vor einem Haufen Arbeit steht: Zwei Geheimdienstler werden ermordet. Die Taten scheinen mit der Geheimen Rede Chruschtschows im Zusammenhang zu stehen. Überlebende der stalinistischen Säuberungen prangern die Taten vergangener Tage an, und so zweifelt niemand daran, dass die beiden ermordeten Geheimstdienstler einem Racheakt zum Opfer fielen.

Leo versucht herauszufinden, wer hinter den Taten steckt, doch ist das wie üblich nicht so einfach. Seine Abteilung muss immer noch im Geheimen operieren, und auch die alten KGB-Kollegen legen ihm Steine in den Weg.

Doch schon bald bekommt der Fall für Leo eine persönliche Tragweite, als seine Adoptivtochter Soja entführt wird. Um ihre Freiheit zu erkaufen, soll Leo den Priester Lasar aus dem Gulag in Kolyma befreien. Leo hatte ihn vor Jahren verhaftet und dafür gesorgt, dass Lasar in den Gulag geschickt wurde.

Um Soja zu retten, hat Leo keine andere Wahl als sich auf den Deal einzulassen. Und so lässt Leo sich als Gefangener getarnt in das Lager am Rand Sibiriens einschleusen. Doch die Operation verläuft anders als geplant: Schon am ersten Abend wird Leo erkannt und ist schutzlos der grausamen Rache der Gulag-Häftlinge ausgeliefert …

Bereits bei „Kind 44“ lag der besondere Reiz der Geschichte in der Verquickung von Krimi und jüngerer Historie. Smith hat sich eine Epoche der Geschichte als Bühnenbild ausgesucht, die für sich genommen schon Spannung verheißt: eine Gesellschaft, die geprägt ist von ständigem Misstrauen und der Angst davor, wegen irgendeiner Kleinigkeit bei den Behörden denunziert zu werden.

Chruschtschows Geheime Rede markiert einen wichtigen Punkt in der Sowjet-Ideologie: Erstmals kritisiert die Führung selbst Stalins Taten (auch wenn die Rede wenige Monate später massiv entschärft wird) und stellt damit die Weichen für eine Entspannung der Lage. Doch der Eindruck trügt. Noch immer sitzen überwiegend Leute an den Hebeln der Macht, deren Glaube an das System unerschütterlich ist.

Leo selbst hat inzwischen seine Zweifel an eben diesem System und diese Zweifel sind natürlich nicht neu. Noch immer eckt er allein durch die Tatsache, dass er für das Morddezernat arbeitet, überall an. In den Augen der alten KGB-Kollegen ist Leo immer noch ein Verräter. Seine KGB-Vergangenheit wird Leo auch zu Hause von Adoptivtochter Soja stets unter die Nase gerieben. Für sie ist Leo immer noch der Mörder ihrer Eltern. Dass er mit seiner Frau Raisa sie und ihre kleine Schwester Elena aus dem Waisenhaus geholt hat und ihr dank seiner Stellung ein verhältnismäßig luxuriöses Familienleben bieten kann, wiegt dagegen zu wenig. Schuld und Sühne sind das beherrschende Thema des Plots.

Leo hadert also immer wieder mit seiner Vergangenheit, und das macht eben auch den Reiz dieses so ambivalent angelegten Protagonisten aus. Er wird nie so ganz der strahlende Held sein können, und so ist eben auch für reichlich Spannung gesorgt, wenn Leo dann im Gulag seiner Vergangenheit direkt in die Augen blickt. Der Teil des Plots, der in der sibirischen Eishölle von Kolyma spielt, hat so auch seinen ganz besonderen Reiz und ist einer der Spannungshöhepunkte des Romans.

Doch auch darüber hinaus hält die Spannung bis zum Ende des Romans an. Smith schwingt sich immer wieder zu neuen Spannungsmomenten auf und garniert den Plot mit unverhofften Wendungen. Dabei kommt den politischen wie auch den gesellschaftlichen Verhältnissen stets eine nicht ganz unwichtige Nebenrolle zu. Smith spannt einen nachvollziehbaren Bogen vom Anfang bis zum Ende und beleuchtet dabei das Schicksal seiner Hauptfiguren möglichst glaubwürdig und authentisch.

Sprachlich formuliert Smith gewohnt glasklar und ohne viele Schnörkel, und so ist „Kolyma“ ein spannender Thriller, der mal ganz flott an einem verregneten Winterwochenende durchgelesen ist.

Bleibt unterm Strich ein sehr positiver Eindruck zurück. Mit „Kolyma“ hat Tom Rob Smith „Kind 44“ gelungen fortgesetzt und einen durchweg spannenden Thriller abgeliefert, der besonders auch dadurch gefällt, dass ihm komplexe Hintergründe und ambivalente Protagonisten zugrunde liegen. Dies ist kein schlichter „Junk-Food-Thriller“, sondern Unterhaltung auf durchaus hohem Niveau, die dennoch so konsequent spannend erzählt ist, dass man die Finger kaum von dem Buch lassen kann. Wer „Kolyma“ liest, sollte aber möglichst auch „Kind 44“ schon kennen, da die Figurenentwicklung auf die Geschehnisse im Vorgängerroman aufbaut.

|Originaltitel: ›The Secret Speech‹, Simon & Schuster (London) 2009
Übersetzung von Armin Gontermann
480 Seiten, Hardcover
ISBN-13: 978-3-8321-8089-8|
http://www.dumont-buchverlag.de

Wilks, Mike – Mirrorscape – Gefangen im Reich der Bilder

_Eigentlich ist es eine trostlose Welt_, in welcher der junge Melkin Womper lebt. Die Gilden kontrollieren im Land Nem so ziemlich alles, was irgendwie von Wert ist, und so muss der Sohn einer einfachen Weberfamilie in der Provinz sich damit begnügen, sich aus Ruß und Wasser selbst Tusche zu mixen, um seiner Leidenschaft nachgehen zu können: dem Zeichnen. Mel ist äußerst talentiert, und weil das auch sein Mentor Fra Theum erkannt hat, bekommt Mels Familie eines Tages Besuch von einem Boten aus der fernen Hauptstadt, der Mel gerne als Lehrling für die berühmte Künstlerwerkstatt von Ambrosius Blenk anwerben möchte.

Mel kann sein Glück kaum fassen, und ehe er sich versieht, tritt er im Hause Blenk auch schon seine Lehrstelle an. Als jüngster Lehrling und Provinzler hat er es nicht leicht. Er bekommt immer die unangenehmsten Arbeiten zugeschoben und wird von Oberlehrling Groot pausenlos schikaniert. Die einzigen Freunde, die er findet, sind sein Lehrlingskollege Ludo und das Küchenmädchen Wren.

Zu dritt erkunden sie häufig die verborgenen Dienstbotengänge der alten Schule und beobachten dabei eines Tages, wie ihr Meister Ambrosius Blenk in einem Gemälde verschwindet. Offenbar sind die Bilder Portale in eine andere Welt. Ludo, Wren und Mel sind höchst fasziniert und machen sich daran, die Welt hinter den Leinwänden auf eigene Faust zu erkunden. Das entpuppt sich schon bald als gefährliches Unterfangen, denn sie begegnen dort den unheimlichsten Kreaturen.

Auch die Schergen der machtgierigen Gilden scheinen ihre Finger schon bis nach Mirrorscape, die Welt hinter den Bildern, auszustrecken. Als sie eines Tages Ambrosius Blenk entführen, um Mirrorscape in ihre Gewalt zu bringen, liegt es an Mel, Ludo und Wren, ihrem Meister zur Seite zu stehen. Doch alleine sind auch sie machtlos. Sie können nur auf die Hilfe der Rebellen hoffen, die sich tief unter der Stadt vor den Häschern der Gilde versteckt halten. Mel, Ludo und Wren stehen vor dem größten und gefährlichsten Abenteuer ihres Lebens …

_Es ist eine höchst eigenwillige Welt_, die Autor und Illustrator Mike Wilks mit „Mirrorscape – Gefangen im Reich der Bilder“ entworfen hat. Man kann ein Gemälde betreten und die komplexe Welt, die sich hinter der Leinwand verbirgt, erkunden. Was den Protagonisten dort alles begegnet, zeugt von der unbändigen Fantasie des Autors. Die seltsamsten Kreaturen tummeln sich dort und die eigenartigsten Dinge passieren. Es gibt schaurige Ungeheuer, monströse Welten, in denen einem die Zeit Streiche spielt, lebende Häuser und noch vieles mehr.

Mike Wilks hat sich in seinem künstlerischen Schaffen durchaus schon einen Namen als Illustrator surrealer Traumwelten gemacht. Seine Bilder haben es unter anderem schon bis ins |Museum of Modern Art| in New York und ins |Victoria and Albert Museum| in London geschafft.

Diesem Anspruch wird er auch mit seinem bislang ersten Roman gerecht. „Mirrorscape“ ist ein Ort, der vor Fantasie nur so strotzt, und Wilks zeigt dabei, dass er seine fantastischen Ideen eben nicht nur mittels Bildern greifbar machen kann, sondern auch mit Worten. Das ist einerseits ganz schön, denn so bleibt es dem Leser überlassen, sich ein eigenes Bild von „Mirrorscape“ zu machen, andererseits wären Illustrationen sicherlich eine sehr schöne Ergänzung der Geschichte gewesen. So muss sich der Leser mit einigen wenigen Zeichnungen am Anfang des Buches begnügen. Schade eigentlich.

Wilks schafft es aber nicht nur, die Welt hinter den Bildern sehr fantasievoll anzulegen, auch das Land Nem, die reale Welt, braucht sich nicht hinter den Fantasiewelten zu verstecken. Jede Gilde kontrolliert in Nem einen der fünf Sinne. Farbpigmente sind dabei das Kostbarste, was es gibt, und so kontrolliert die fünfte Gilde dieses wertvolle Gut und hat sich damit zur mächtigsten Institution im Land aufgeschwungen. Farben verwenden darf nur, wer sich die entsprechenden Pläsiere leisten kann und dadurch eine Legitimation erwirbt. Und so sind Kunst und bunte Kleider eben ein purer Luxus, von dem Mel in seinem bisherigen Leben in der Provinz nur träumen konnte. Auch die reale Welt von Nem bringt einige skurrile Eigenarten mit sich, wie die von Menschenkraft betriebenen Straßenbahnen und die Sklaven auf der Insel Kig, die vom Abbau der kostbaren Farbpigmente mit der Zeit eine farbige Haut bekommen. Nem ist für den Leser ein ähnlich skurriler Ort wie Mirrorscape.

Klingt also nach den Zutaten eines lesenswerten fantastischen Romans, dennoch muss man der Geschichte eine nicht geringe Schwäche ankreiden. Wilks Fantasie zeichnet den Roman aus, erzählerisch weist er aber so einige Schwachpunkte auf. Dass die Figurenskizzierung eher oberflächlich bleibt, ist sicherlich nicht verwunderlich, da es sich schließlich um ein Jugendbuch handelt. Dass man aber mit der Zeit mit Mel nicht mehr so richtig mitfiebert, weil er einfach zu souverän jedes eigentlich lebensgefährliche Abenteuer in Mirrorscape besteht, ist dann doch ein wirklicher Makel.

Als Mel zusammen mit Ludo durch eine Leinwand tritt, sieht es erst noch ganz vielversprechend aus. Die beiden werden von sonderbaren Kreaturen bedroht – eine Begegnung, die Ludo beinahe das Leben kostet. Mel schafft es nur mit Mühe und Not, seinen Freund zu retten. Doch schon beim nächsten Besuch in Mirrorscape mutiert Mel dann zum Überflieger. Er stellt sich jeder Herausforderung, und nichts kann ihn aufhalten. Kein Bösewicht ist zu mächtig, keine Gefahr zu groß. Das drückt im Laufe des Romans, der sich ab etwa der Hälfte größtenteils in Mirrorscape abspielt, dann doch ziemlich die Spannung.

Sprachlich ist das Ganze recht einfach und kindgerecht gehalten. Für die jüngeren Leser dürften manche Stellen des Buches aber ziemlich harter Tobak sein. Wie schon Wilks Illustrationen, die oft einen beunruhigenden, düsteren Einschlag haben, so ist auch der Roman teils düster und sogar gruselig. Für all zu zartbesaitete Gemüter also vielleicht nicht ganz die passende Lektüre.

_Bleiben unterm Strich_ gemischte Gefühle zurück. Zwar fasziniert Wilks mit seinen fantastischen Ideen und seiner bizarren Welt, dennoch offenbart er aber vor allem mit Blick auf den Spannungsbogen erzählerische Schwächen. Zwar strebt der Spannungsbogen kontinuierlich aufwärts, aber er wird durch die Souveränität, mit der Protagonist Mel von einem brenzligen Abenteuer zum nächsten wandert, ziemlich untergraben. So geht leider einiges an Potenzial verloren, aber wer weiß, vielleicht gelingt es Wilks ja schon mit dem nächsten Band, wieder einiges an Boden gut zu machen – schließlich ist „Mirrorscape“ als Trilogie angelegt.

|Originaltitel: Mirrorscape
446 Seiten, gebunden
Einbandgestaltung von David B. Hauptmann
Mit Vignetten von Mike Wilks
Aus dem Englischen von Bettina Münch
Empfohlen ab 12 Jahren
ISBN-13: 978-3-7891-5125-5|
http://www.oetinger.de

Gaiman, Neil – Messerkönigin, Die (Hörbuch)

_Dass Neil Gaiman_ heutzutage einer der fantasievollsten und vielseitigsten Autoren ist, stellt keine große Neuigkeit dar. Auch seine Kurzgeschichtensammlung „Die Messerkönigin“ ist nicht mehr wirklich neu und hat mittlerweile schon etwa acht Jahre auf dem Buckel. Für seine |Lauscherlounge| hat nun Oliver Rohrbeck Gaimans skurrile Geschichten noch einmal eingelesen. Herausgekommen ist ein kurzweiliger Hörgenuss, der liebevoll inszeniert ist – ganz wie eine Hommage an den Autor höchstselbst.

Vereint werden auf insgesamt drei CDs sechs Geschichten, von der jede ihren ganz eigenen Reiz besitzt. Jede Kurzgeschichte wird von einem anderen Komponisten begleitet, von denen jeder zu ganz unterschiedlichen musikalischen Mitteln greift. So hat jede Geschichte, maßgeblich von der musikalischen Begleitung beeinflusst, ihren ganz eigenen Charakter.

_Die Geschichten_, die Neil Gaiman in „Die Messerkönigin“ zusammenträgt, sind ähnlich unterschiedlich und vielseitig wie die Musik der Hörbuchfassung. Teils lustig, fast immer schräg, teils melancholisch, teils düster – Gaimans Erzählungen sind ein Kaleidoskop unterschiedlicher Stimmungen, die er wunderbar pointiert einfängt.

In „Ohne Furcht und Tadel“ lässt Gaiman die betagte Mrs. Whittaker in einem Oxfam-Laden zwischen lauter Plunder den Heiligen Gral finden. Fortan bekommt sie deswegen Besuch von Galahad, seines Zeichens Ritter der Tafelrunde, der nichts unversucht lässt, Mrs. Whittaker per Tauschgeschäft den Heiligen Gral abzukaufen. Doch Mrs. Whittaker entpuppt sich als harte Nuss, die sich nicht so leicht um den Finger wickeln lässt …

In „Der Preis“ erzählt Gaiman die Geschichte eines Katers, der sich immer wieder des Nachts in mysteriöse Kämpfe verstrickt. Jeden Morgen finden seine Besitzer ihn mit neuen Verletzungen, bis sein Herrchen sich eines Nachts daranmacht herauszufinden, mit wem sich der Kater jede Nacht anlegt …

„Die Trollbrücke“ erzählt die Geschichte eines folgenschweren Paktes, den ein Junge aus der Not heraus mit einem Troll eingeht – in der Hoffnung, dass der Troll im Laufe der Jahre schon vergessen würde, seinen Preis einzufordern. Doch der Troll vergisst das Geschäft nicht so einfach …

„Charlotte“ dreht sich um eine mysteriöse Frau, über deren Bilder ein Fotograf seit seiner Jugend immer wieder stolpert. Die Frau – Charlotte – lässt ihn nicht mehr los, und er versucht immer wieder ihre Spur aufzunehmen – bis sie eines Tages vor ihm steht.

„Shoggoth’s Old Peculiar“ ist eine kleine Hommage an H. P. Lovecraft. Ein amerikanischer Rucksacktourist reist die britische Küste entlang und landet eines Tages in [Innsmouth, 424 wo er die Bekanntschaft einiger äußerst sonderbarer Gestalten macht …

„Der Goldfischteich und andere Geschichten“ dreht sich um die Traumfabrik Hollywood. Eine schöne, melancholische Geschichte um eine vergessene Stummfilmdiva, die ein britischer Autor aufstöbert, als er gerade in Hollywood verweilt, um seinen Roman in ein Drehbuch umzuwandeln.

_Gaimans Geschichten_ entpuppen sich auch dank der besonders gelungenen Inszenierung als wahre Kleinode der fantastischen Literatur. Oliver Rohrbeck liest die Geschichten ganz ausgezeichnet und erweckt sie dadurch so schön zum Leben, dass man das Hörbuch gerne auch noch ein zweites oder drittes Mal hören mag. Er greift die unterschiedlichen Stimmungen der Geschichten gut auf, liest gewitzt und bringt auch die einzelnen Charaktere der Geschichten sehr schön zur Geltung. Lesung und Musik sind vortrefflich aufeinander abgestimmt und kehren die Eigenarten der einzelnen Geschichten sehr schön heraus.

Gaiman selbst stellt mit „Die Messerkönigin“ ein weiteres Mal seine Vielseitigkeit unter Beweis. Egal welche Darstellungsform er wählt, ob Comic, Roman oder Kurzgeschichte, er brilliert in jeder Disziplin. Auch wenn ich mich häufig mit Kurzgeschichten schwertue und nicht so recht Zugang finde, bereitete mir „Die Messerkönigin“ größten Hörgenuss. Die Geschichten sind pointiert, hochgradig unterhaltsam und dabei durchaus spannend erzählt. Wer bislang noch gar nichts von Neil Gaiman kennt, für den dürfte „Die Messerkönigin“ ein sehr geeigneter Einstieg sein.

_Bleibt unterm Strich_ ein sehr positiver Eindruck festzuhalten. Gaimans Geschichten überzeugen wie üblich. Sie sind gleichermaßen schräg, düster und gewitzt. Die Hörbuchproduktion kehrt diese Vorzüge durch ihr gekonntes Zusammenspiel von Lesung und Musik wunderbar heraus. „Die Messerkönigin“ sei daher jedem Hörbuch-Freund ans Herz gelegt, ganz besonders auch denen, die bislang noch nichts von Neil Gaiman kennen und mit diesem Hörbuch einen wunderbar unterhaltsamen Einstiegspunkt finden.

|3 Audio-CDs
ISBN-13: 978-3-7857-3746-0|
http://www.lauscherlounge.de/
http://www.luebbe-audio.de

_Neil Gaiman auf |Buchwurm.info|:_

[„Mr. Punch“ 3976
[„Sandman: Ewige Nächte“ 3498
[„Sandman 1 – Präludien & Notturni“ 3852
[„Stardust – Der Sternwanderer“ 4336
[„Sternwanderer“ 3495
[„American Gods“ 1396
[„Anansi Boys“ 3754
[„Coraline – Gefangen hinter dem Spiegel“ 1581
[„Die Bücher der Magie 5 – Verlassene Stätten“ 2522
[„Die Bücher der Magie 6″ – Abrechnungen“ 2607
[„Die Messerkönigin“ 1146
[„Die Wölfe in den Wänden“ 1756
[„Keine Panik! – Mit Douglas Adams per Anhalter durch die Galaxis“ 1363

Ruiz Zafón, Carlos – Spiel des Engels, Das

Nachdem Carlos Ruiz Zafón mit [„Der Schatten des Windes“ 2184 einen großartigen Roman und Weltbestseller geschaffen hat, der inzwischen schon in immerhin mehr als 30 Sprachen übersetzt wurde, liegt mit „Das Spiel des Engels“ nun der lang herbeigesehnte Nachfolger vor. Der Erwartungsdruck ist verständlicherweise enorm hoch, hofft der geneigte Leser doch zu Recht darauf, dass Zafón auch mit seinem zweiten Werk wieder so zu begeistern vermag wie mit seinem vorangegangenen Roman.

Wieder nimmt Carlos Ruiz Zafón uns mit auf eine Reise in das Barcelona vergangener Tage. Wieder dreht sich alles um die Magie der Bücher. Wieder tauchen die Buchhandlung Sempere und Söhne und der Friedhof der Vergessenen Bücher auf und wecken positive Erinnerungen an den „Schatten des Windes“.

Der junge David Martín verdient im Barcelona vor dem Bürgerkrieg seine Brötchen mehr schlecht als recht mit dem Schreiben von Schauergeschichten. Das Schicksal meint es nicht gut mit David: Sein schriftstellerisches Talent wird verkannt, die Liebe seines Lebens erfüllt sich nicht und er droht schon bald an den Folgen einer schweren Erkrankung zu sterben.

In ganz Barcelona scheint nur ein Mann an David Martíns Talent zu glauben: der mysteriöse Pariser Verleger Andreas Corelli. Corelli macht Martín ein unwiderstehliches Angebot, bei dem er sein Talent endlich voll zur Geltung bringen kann. Doch nachdem Martín sich auf das Angebot Corellis eingelassen hat, bringen ihn eine Reihe mysteriöser Ereignisse ins Grübeln, und er beginnt im Stillen, Corellis Motive zu hinterfragen. Doch steckt er auch schon mittendrin in einem unaufhaltsamen Strudel, der sein ganzes Leben auf den Kopf zu stellen droht …

Zusammen mit Anna Gavaldas aktuellem Roman [„Alles Glück kommt nie“ 5414 dürfte „Das Spiel des Engels“ der Titel 2008 sein, den ich am meisten herbeigesehnt habe. Entsprechend hoch sind die Erwartungen, schließlich war „Der Schatten des Windes“ einer der großartigsten belletristischen Romane der letzten Jahre. „Der Schatten des Windes“ ist ein derart packender Roman, dass man ihn kaum aus der Hand legen mag. Man taucht tief in die Geschichte ein. Schicht um Schicht legt Zafón neue Facetten seiner Erzählung frei, und so geht von dem Roman eine Faszination aus, der man sich kaum entziehen kann.

„Das Spiel des Engels“ soll hier offensichtlich anknüpfen, trifft der Leser schließlich in Zafóns neuestem Werk einige altbekannte Figuren wieder: Señor Sempere und seinen Sohn in der Buchhandlung in der Calle Santa Ana, Semperes Kollegen Gustavo Barceló und nicht zuletzt den fantastisch anmutenden Friedhof der Vergessenen Bücher. Auch „Das Spiel des Engels“ dreht sich schließlich um die Magie der Bücher. Zafón bleibt seinem Thema treu.

Und so dauert es auch diesmal nicht allzu lange, bis man in die Geschichte eintaucht und Barcelona mitsamt Zafóns Protagonisten zum Leben erwacht. Schnell wird David Martín zum schicksalsgebeutelten Sympathieträger. Alles in allem durchaus vielversprechend.

Und doch ist mit diesem Buch alles so vertraut und anders zu gleich. Man taucht zwar schnell ein und ist bereit, sich von Zafón durch eine Geschichte leiten zu lassen, von der man keinen Schimmer hat, welche Richtung sie einzuschlagen vermag, dennoch schleicht sich bei „Das Spiel des Engels“ auch ein ungutes Gefühl mit ein. Mit „Der Schatten des Windes“ vermag Zafón den Leser tief im Innern zu berühren. „Das Spiel des Engels“ hat zumindest in mir trotz großer Sympathien für den Autor und seine Art, Geschichten zu erzählen, keine derartigen Gefühle ausgelöst.

Je weiter sich die Geschichte entwickelt, desto mehr scheint sie auch auf Distanz zum Leser/Hörer zu rücken. Zwar entwickelt sie sich höchst spannend, aber trotz der Sympathien für die Hauptfigur David Martín fühlt und leidet man längst nicht so intensiv mit, wie man dies noch bei „Der Schatten des Windes“ konnte.

Die Spannung wird hier vor allem von der Frage genährt, wer sich hinter Andreas Corelli verbirgt. Was will er von Martín? Was führt er im Schilde? Im Laufe der Geschichte passieren eine Menge Dinge, die Corelli immer wieder in einem höchst eigenartigen, teils mystischen Licht erscheinen lassen. Insgesamt entwickelt sich die Geschichte diesmal sehr düster – sehr viel düsterer als „Der Schatten des Windes“. Vor allem zum Ende hin, wo es teils sogar noch ziemlich blutig wird, dominieren die dunklen Töne das Geschehen.

Zu Zafóns vertrauten Romanzutaten (Liebesgeschichte, Hommage an die Literatur, ein bisschen Kriminalgeschichte, ein leicht fantastischer Einschlag) gesellt sich diesmal ein guter Schuss Noir. Das ist auf jeden Fall eine sehr reizvolle Entwicklung. Inspirieren ließ Zafón sich diesmal ganz offensichtlich auch von Goethes „Faust“, denn man findet im Plot durchaus Bezugspunkte.

Das Ganze gipfelt in einem Finale, das zwar sehr spannend ist, den Leser/Hörer aber auch ziemlich unbefriedigt zurücklässt. Kann „Der Schatten des Windes“ gerade auch deshalb so überzeugen, weil der Roman so eine wunderbar runde Sache ist, so verliert Zafón sich hier in losen Fäden. Wirklich aufgelöst wird die Geschichte nicht. Sie endet einfach mit einem etwas merkwürdigen Schlusspunkt, von dem der Leser/Hörer halten kann, was er will. Man wartet so lange auf das große Finale, in dem sich die Geschichte aufklärt, und wird dann so herb enttäuscht.

Diesmal schafft Zafón es einfach nicht, den Bogen zu spannen und die Geschichte in sich zu schließen. Sie bleibt einfach in der Luft hängen, und das hinterlässt schon einen ziemlich faden Beigeschmack. Konnte man schon im Verlauf der Geschichte keine so tiefe Bindung zu den Protagonisten aufbauen, wie es noch bei „Der Schatten des Windes“ möglich war, so entzweit einen das Finale endgültig.

Dass man nach Genuss des Hörbuchs dennoch nicht das Gefühl hat, man hätte sinnlos seine Zeit verplempert, ist zum einen Zafóns plastischer Erzählweise zu verdanken und zum anderen auch der gelungenen Vortragsweise von Hörbuchsprecher Gerd Wameling. Mit wunderbar warmer Stimme liest er die Geschichte und schafft es dabei sehr gut, die unterschiedlichen Nuancen der verschiedenen Persönlichkeiten herauszuarbeiten.

Es bleiben unterm Strich gemischte Gefühle zurück. Zwar ist „Das Spiel des Engels“ ein Hörbuch, dem man gerne lauscht, doch bleibt die Geschichte hinter den hochgesteckten Erwartungen deutlich zurück. Der Noir-Einschlag verleiht der Geschichte zwar ihren Reiz, dennoch taucht man nicht ganz so tief in den Plot ein und fiebert längst nicht so intensiv mit den Figuren mit wie noch bei „Der Schatten des Windes“. Das mystisch aufgebauschte Finale vermiest den Eindruck dann noch zusätzlich. War „Der Schatten des Windes“ eine wunderbar runde und facettenreiche Geschichte, so gerät „Das Spiel des Engels“ am Ende zusehends ins Stolpern. „Der Schatten des Windes“ bleibt damit absolut unübertroffen.

|Originaltitel: El juego del angel
Aus dem Spanischen von Peter Schwaar
611 Minuten auf 9 CDs
ISBN-13: 978-3-86610-606-2|
http://www.argon-verlag.de/

Moore, Alan / Campbell, Eddie – From Hell

_Apokalypse im Londoner East End_

Herbst 1888, London – Whitechapel. Eine Stadt hält den Atem an. In den dunklen Gassen des East Ends werden innerhalb weniger Wochen fünf Frauen ermordet – alle auf brutale Weise verstümmelt. Die Polizei tappt im Dunkeln und streitet sich um Zuständigkeiten. Der Täter bleibt bis heute ein Phantom: Jack the Ripper.

Die wahren Hintergründe von Jack the Ripper dürften wohl nie befriedigend aufgeklärt werden. Teilweise, weil die Ripper-Morde einfach schon zu lange zurückliegen, teilweise, weil es damals bei den Ermittlungen einige Schlampereien gab. Es gibt die vielfältigsten Theorien von den unterschiedlichsten Autoren. Nicht wenigen hat dabei der Mythos Jack the Ripper ein bisschen zu sehr die Phantasie beflügelt. Plausible und nachvollziehbare oder gar beweisbare Theorien sind rar.

Als wichtigste Grundlage für „From Hell“ kann vor allem ein Autor genannt werden: Stephen Knight. In seinem Buch „Jack the Ripper – The Final Solution“ gibt er seine Theorie der Ripper-Morde wieder und deckt eine Verschwörung auf, die bis ins englische Königshaus hinaufreicht. Sein Buch ist bis heute umstritten, auch wenn seine Argumentation plausibel klingt. Jack the Ripper bleibt bei allem Enthusiasmus für Knights Werk auch weiterhin ein Phantom …

_Melodrama in Schwarzweiß_

Licht in das Dunkel versuchen Alan Moore und Eddie Campbell mit ihrem Comic-Buch „From Hell“ zu bringen, das häppchenweise erstmals von 1989 bis 1992 in der amerikanischen Comic-Anthologie Taboo erschien. Moore und Campbell lassen den Herbst 1888 auf dem Papier noch einmal aufleben und den Leser durch die Gassen des East Ends wandeln – auf den Spuren von Jack the Ripper. Mit einfachen Schwarzweiß-Zeichnungen, teils nur schemenhaft mit einigen Strichen angedeutet, teils intensiv und düster, wird die Handlung zum Leben erweckt.

Nach einem Prolog beginnt die eigentliche Geschichte mit Hintergründen, die Stephen Knight recherchiert hat. Prince Albert nimmt 1884 Malstunden bei dem Maler Walter Sickert und lernt bei seinen Besuchen Annie Elizabeth Crook kennen, die im Süßwarenladen gegenüber des Ateliers arbeitet. Die beiden beginnen eine Beziehung, aus der ein Kind hervorgeht, und heiraten heimlich, ohne dass Annie wirklich weiß, wen sie da ehelicht. Die Queen erfährt von der Affäre ihres ohnehin schon skandalträchtigen Sohnes und lässt Annie wegschaffen, um zu verhindern, dass die Geschichte publik wird.

Anschließend wird Sir William Gull vorgestellt, der Mann, der auch im weiteren Verlauf des Buches immer wieder im Mittelpunkt steht. Der Leser erhält einen Einblick in Gulls Lebenslauf, angefangen von seiner Kindheit über seinen Aufstieg zum Außerordentlichen königlichen Leibarzt bis hin zu seiner Initiierung bei den Freimaurern.

Jahre später (1888) setzt die Handlung wieder ein und erzählt die Geschichte einer Erpressung. Annie, die mittlerweile Prostituierte im East End ist, schmiedet mit ihren Freundinnen einen Plan, um an Geld zu kommen, damit sie ihre fälligen Schutzgelder an die Old-Nichol-Bande bezahlen können. Sie wollen das Königshaus mit ihrem Wissen um das Kind und die heimliche Heirat von Prince Albert erpressen. Als die Queen davon erfährt, gibt sie Sir Gull den Auftrag, sich um die Angelegenheit zu kümmern – auf seine Art.

Und so begleitet der Leser Gull in den folgenden Kapiteln zusammen mit dem Kutscher Netley auf seinen nächtlichen Touren durch das East End. Sir Gull kümmert sich in der Tat auf seine Art um die Angelegenheit und verbreitet für mehrere Wochen Angst und Schrecken in den dunklen Gassen von Whitechapel. Der Rest ist Geschichte …

_|“Ein abgründiges, 600-seitiges Monster“|_

… mit diesen Worten hat der |Guardian| eine sehr treffende Beschreibung für „From Hell“ geliefert. Atmosphärisch dicht, vor Spannung geradezu knisternd, so werden dem Leser die Geschehnisse von 1888 präsentiert. Es geht dabei weniger um die Frage, wer der Täter war (das weiß der Leser schon sehr früh), sondern mehr um seinen Antrieb. Was kann einen hochangesehenen, intelligenten Mann aus gutem Hause zu so einer unbeschreiblichen Brutalität bringen? Diese Hintergründe versuchen Moore und Campbell zu erleuchten. Das Verbrechen an sich bleibt dabei unfassbar. Die Taten des Rippers werden mit geradezu kriminalistischer Genauigkeit geschildert und in verwirrenden und erschreckend realen Bildern dargestellt.

In Sachen Täter-Theorie stützen sich die beiden Autoren auf unterschiedliche Bücher, am stärksten sind aber die Bezüge zu Stephen Knight, dessen Buch ich vor ein paar Jahren ebenfalls gelesen habe. Das Schöne an „From Hell“ ist, dass die Handlung in Bezug auf die wirklichen damaligen Geschehnisse sehr nachvollziehbar bleibt. Es gibt einen 56 Seiten starken Anhang, in dem zu jeder Seite des Comics Anmerkungen gemacht werden. Man kann daran sehr gut nachvollziehen, auf welche Quellen sich die Handlung stützt und wo aus dramaturgischen Gründen etwas „interpoliert“ wurde. Man merkt dem Buch an, dass viel harte Recherche dahinter steckt und es nicht nur darum geht, eine spannende Geschichte zu erzählen, sondern auch um den Versuch, die tatsächlichen damaligen Geschehnisse nachzuzeichnen.

Das Packende an „From Hell“ bleibt aber die düstere und beklemmende Atmosphäre. Man wird als Leser sofort in den Bann der Geschichte gezogen. Moore versteht sich darauf, eine dichte Atmosphäre aufzubauen, Andeutungen einzustreuen und das Ganze mystisch auszuschmücken. Abgerundet von Campbells intensiven und düsteren Darstellungen, entsteht ein wahres Meisterwerk. Die schwarzweißen Bilder verleihen der Geschichte eine gewisse Tiefe, die das Buch mit Farbbildern wahrscheinlich nicht zu erreichen vermocht hätte. Aus feinen Strichen und wilden Schraffuren entsteht vor dem Auge des Betrachters das Londoner East End am Vorabend des 20. Jahrhunderts.

Moore und Campbell vermögen es, so gut wie alle Facetten der Ripper-Saga auszuleuchten. „From Hell“ ist keine kriminologische Dokumentation, aber auch keine Horror-Geschichte. Vielmehr wird das Buch zu einer Gesellschaftsstudie, zu einem Blick auf die dunkle Seite des viktorianischen Zeitalters. Moore und Campbell wollen zeigen, wie die Gesellschaft sich zu der Zeit gewandelt hat, am Beginn „des Jahrhunderts des Massenmordes“. Die These der Autoren, dass mit den Ripper-Morden im Grunde das 20. Jahrhundert eingeläutet wurde, wird sehr deutlich und überzeugend vermittelt. Sir Gull bildet dabei den zentralen Punkt, um den sich alles dreht. Moore und Campbell erstellen eine Art Psychogramm und leuchten die Person Gulls bis in den letzten Winkel aus.

Dieser Anspruch der Autoren schlägt sich sehr deutlich in dem Werk nieder. „From Hell“ ist alles andere als seichte Unterhaltung. Auch wenn vieles im Anhang erläutert wird, so sind viele Passagen, insbesondere mit Bezügen auf Freimaurertum, philosophische und mystische Sachverhalte nicht gerade leicht verständlich. Es werden einzelne Stränge unterschiedlicher Verschwörungstheorien aufgegriffen und in den Zusammenhang eingeordnet. Verwirrend wirken auch immer wieder die Halluzinationen, die Gull im Laufe der Handlung mehrmals durchlebt, insbesondere während der Morde, die einen fast schon rituellen Charakter annehmen. Wer sich in Sachen Freimaurertum und Verschwörungen gar nicht auskennt, wird sicherlich hier und da Probleme haben, Andeutungen und Symbole zu verstehen. Der unheimlichen und mysteriösen Gesamtstimmung des Buches tut das aber vermutlich keinen Abbruch.

Doch auch ganz banale und offensichtliche Andeutungen würzen immer wieder die Geschichte. Sei es Walter Sickert, der vor Beginn der Morde in einer Unterhaltung mit Marie Jane Kelly (dem letzten Ripper-Opfer) sagt: „1888 scheint ein teuflisches Jahr zu sein“, oder Bilder, die unkommentiert zunächst eine gewisse Zweideutigkeit in sich bergen, z. B. Walter Sickert, der mit einem Messer hantiert oder Sir William Gull, der mit blutigen Händen eine Ratte seziert. Es gibt viel in den Abbildungen und zwischen den Zeilen zu lesen.

Auch viele der Abbildungen sind harter Tobak. Gnadenlos wird das Leben der damaligen Zeit in all seiner Härte dokumentiert. Nichts wird beschönigt, nichts wird aufgebauscht, nichts wirkt verzerrt. Diese Härte in der Darstellung zeigt unvermittelt den brutalen und trostlosen Alltag der Frauen im East End und ist damit sicherlich authentisch. Das Buch hat keine wirklich schöne Szene, selbst wenn es um Liebe und Sex geht. Es erschüttert und stimmt nachdenklich, und gerade wenn man sieht, wie Gull im Wahn seine Opfer mit dem Messer traktiert, möchte man oft am liebsten wegschauen. „From Hell“ ist also nicht unbedingt Lektüre für zartbesaitete Gemüter.

Bleibt unterm Strich ein durchweg positiver Eindruck zurück. „From Hell“ ist ein außergewöhnlich mitreißender und spannender Comic. Gesellschaftsstudie, Mörder-Psychogram und visualisierte Geschichte in einem: Unbedingt empfehlenswert.

|Ein Melodrama in sechzehn Teilen
Ausgezeichnet mit dem Max-und-Moritz-Preis
ISBN-13: 978-3-936068-29-0|

Gavalda, Anna – Alles Glück kommt nie

Die Messlatte liegt hoch für Anna Gavalda, nachdem ihr vorangegangener Roman [„Zusammen ist man weniger allein“ 938 so enorm erfolgreich war. Entsprechend hoch sind nun die Erwartungen an den Nachfolger mit dem etwas holprig klingenden Titel „Alles Glück kommt nie“.

Charles Balanda ist 46 Jahre alt, lebt als erfolgreicher Architekt mit seiner Lebensgefährtin Laurence und deren halbwüchsiger Tochter Mathilde in Paris. Charles steht mit beiden Beinen im Leben – zumindest glaubt er das – und jettet um den Globus, um die Baustellen seiner illustren, internationalen Projekte zu betreuen.

Eines Tages erhält er einen Brief, in dem nur drei Worte stehen. Drei Worte, die Charles völlig aus der Bahn werfen: „Anouk ist tot.“ Anouk hat einmal eine wichtige Rolle in Charles‘ Leben gespielt. Sie war nicht nur die Mutter seines besten Freundes Alexis, sondern wurde im Laufe der Jahre zu seiner großen Liebe. Doch zusammen mit der Geschichte um Anouk hat Charles viele ebenso schöne wie schmerzhafte Erinnerungen verborgen. Nach und nach drängt all das zurück an die Oberfläche und sorgt dafür, dass Charles immer mehr ins Straucheln gerät.

Charles versucht herauszufinden, was mit Anouk geschehen ist, und je mehr er sich gedanklich mit Anouk befasst, desto mehr stellt er fest, dass er eigentlich gar nicht das Leben führt, das er gerne hätte. So richtig merkt er das aber erst, als er Kate kennenlernt, die zusammen mit einer Schar von Kindern auf einem abgelegenen Herrensitz in der Provinz lebt. Das Chaos und die Herzlichkeit, die Charles hier erfährt, lassen ihn umdenken und sein Leben auf den Kopf stellen …

Auch in ihrem neuesten Roman konzentriert Anna Gavalda sich auf das, was sie am besten kann: lebendige Figurenskizzierung und eindrückliche Gefühlswelten, die sie so einfach, klar und präzise wiederzugeben vermag, dass man glauben könnte, die Protagonisten stünden neben einem. Viel Plot brauchte Anna Gavalda noch nie.

Da wäre Anouk, die in ihrer Bewältigung des alltäglichen Leben manchmal der Verzweiflung nahe ist, aber als Krankenschwester wahre Wunder bewirkt. Da wäre Charles, der orientierungslos durch sein straff organisiertes Architektenleben hastet und dabei völlig aus den Augen verliert, was Leben eigentlich bedeutet. Da wäre Alexis, ein begnadeter Musiker, der seiner Mutter so viel Kummer bereitet. Da wäre Nounou, ein alter Zauberer, dessen Anouk sich eines Tages angenommen hat und der im Geheimen ein Doppelleben führt. Und da wäre natürlich Kate mit ihrer Kinderhorde, die herrlich chaotisch auf einem alten Herrensitz leben. Wieder einmal lebt Anna Gavaldas Roman von den Figuren und ihren Beziehungen zueinander.

Und dennoch haftet Gavaldas neuestem Werk auch ein nicht zu ignorierender Makel an. Nie zuvor hatte ich bei einem Text von ihr solche Schwierigkeiten, in die Geschichte einzutauchen. Lange dauert es, bis die Geschichte überhaupt auf Touren kommt, und das gesamte erste Romandrittel stellt den Leser auf die Probe. Ein bisschen schleicht sich das Gefühl ein, Anna Gavalda wollte es diesmal auf irgendeine Art und Weise besonders machen – aber das heißt leider nicht, dass sie es gut macht.

Der Roman gliedert sich in vier Teile, und erst mit Ende des zweiten Teils geht es eigentlich so richtig los. Bis dahin hadert Charles mit der Vergangenheit. Er kommt mit seinem Alltag nicht mehr zurecht, stolpert nach der Nachricht von Anouks Tod durch sein Leben und verzettelt sich ganz in Gedanken und Erinnerungsfetzen – so gesehen gibt Anna Gavalda Charles‘ Lebenssituation höchst authentisch wider. So richtig lesenswert ist dieser Teil des Romans dennoch nicht, denn wie ihre Hauptfigur scheint auch Anna Gavalda sich dabei ein wenig zu verzetteln.

Sie springt von hier nach dort, erhascht überall nur einen Bruchteil eines Eindrucks, einer Schwingung oder Erinnerung, und als Leser kann man dabei nicht immer ganz genau folgen. Man kommt dadurch nicht so leicht wie sonst typischerweise in Anna Gavaldas Romanen auf Augenhöhe mit den Protagonisten, und krass formuliert, hätte man die ersten 250 Seiten sicherlich auch auf gute 50 Seiten zusammenraffen können, ohne dass der Leser etwas verpasst hätte. Gerade das war ja auch immer Anna Gavaldas Stärke: kurz und prägnant, aber nicht minder einfühlsam und plastisch ihre Figuren zu skizzieren. Diesmal gelingt ihr das leider nicht so gut.

Auch stilistisch unterscheidet sich „Alles Glück kommt nie“ von den Vorgängern. Straff und auf den Punkt genau hat Anna Gavalda sonst meistens formuliert – diesmal stückelt sie mit Ein- und Zweiwortsätzen herum oder schleppt einen einzigen Satz auch mal über mehr als zwei Seiten. All das wirkt gekünstelter, als man es von Anna Gavalda gewohnt ist – dabei hat sie diesen gekünstelten Erzählstil nie nötig gehabt.

Und so muss der Leser eben sehr viel Geduld mitbringen, um bis zum Ende des zweiten Teils durchzuhalten, wenn der Plot dann endlich auf Touren kommt, und um ganz ehrlich zu sein, ob ich mit einem anderen Autoren so viel Geduld gehabt hätte wie mit Anna Gavalda (weil sie eben Anna Gavalda ist), weiß ich nicht.

Erst mit Charles‘ Aufbruch in die Provinz nimmt die Geschichte Fahrt auf. Die Figuren nehmen Formen an und so langsam tritt auch wieder der vertraute Gavalda-Effekt beim Lesen ein: Man klebt an den Seiten, und auch wenn eigentlich nichts Weltbewegendes passiert, kann man schlecht die Finger von dem Buch lassen. Anna Gavalda beherrscht ihr Handwerk eben doch noch.

Und so stimmt einen die zweite Buchhälfte doch noch einigermaßen versöhnlich. Die Seiten fliegen dahin und die Figuren wirken so lebensecht, als würden sie neben dem Leser stehen. Lediglich die Figur der Kate hinterlässt in diesem guten Eindruck einen Kratzer. Was Kate an Gutmenschentum heraushängen lässt, ist ein bisschen viel des Guten. Sie opfert ihr Leben einer Horde Kinder, lebt in der letzten Ecke der Provinz in einer Art idyllischem, chaotischem Zirkus, der das reinste Paradies zu sein scheint, und steckt Charles mit ihrem Gutmenschentum auch noch an. Das klingt dann doch alles ein bisschen zu dick aufgetragen für meinen Geschmack – aber wie immer bei Anna Gavalda, liest es sich wunderbar. Als besonderen Leckerbissen gibt es dann noch ein herrliches Wiedersehen mit altbekannten Figuren, die Charles in Paris bei einem Bistrobesuch trifft – eines der absoluten Highlights dieses Romans.

Letzter Fehlgriff, der nicht unerwähnt bleiben soll, ist die Buchgestaltung. Die deutsche Übersetzung, die holprig und verkitscht zugleich klingt, gepaart mit einem Titelbild, das mehr auf die Generation Rosamunde Pilcher abzuzielen scheint – das kann auf den ersten Blick schon abschreckend wirken, und in der Buchhandlung hätte ich diese Buch wohl gar nicht wahrgenommen.

Bleiben am Ende etwas enttäuschte Erwartungen zurück. Anna Gavalda hatte sich mit ihren bisherigen Büchern in die Riege meiner persönlichen Lieblingsautoren geschrieben, „Alles Glück kommt nie“ wird sich aber definitiv nicht in die Liste meiner persönlichen Lieblingsbücher einreihen.

Zu lange braucht das Buch, um in Fahrt zu kommen, zu aufgebläht wirkt das erste Buchdrittel, und so kommen Anna Gavaldas markanteste Fähigkeiten diesmal erst sehr spät zum Tragen. Erst ab der zweiten Hälfte des 608-seitigen Romans schafft Gavalda es, den Leser mit ihrer prägnanten und einfühlsamen Figurenskizzierung um den Finger zu wickeln.

Bleibt zu hoffen, dass dies nur ein Ausrutscher war, denn der sei Anna Gavalda gerne verziehen, wenn sie sich dafür mit ihrem nächsten Roman wieder ihrem gewohnten Qualitätsniveau annähert.

|Originaltitel: La consolante
Aus dem Französischen von Ina Kronenberger
604 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-446-23057-6|
http://www.hanser.de

Dunthorne, Joe – Ich, Oliver Tate

_Die Mannwerdung hat schon so ihre Tücken …_

… Das ist auch die leidvolle Erfahrung des fünfzehnjährigen Oliver Tate. Oliver lebt mit seinen Eltern in Swansea und weiß alles – zumindest glaubt er das. Und weil er ja schon so gut Bescheid weiß, wird es Zeit, den Worten Taten folgen zu lassen. Das Motto lautet: Weg mit der Jungfräulichkeit! Dabei helfen soll ihm seine Freundin Jordana, die nicht abgeneigt ist, obwohl Oliver küsst, als wolle er Zahnfüllungen spachteln.

Oliver Tate macht es seinen Mitmenschen auch sonst nicht immer leicht. Er sammelt Fremdwörter, ist klug und selbstgerecht, quält dicke Mädchen und hasst Jordanas Hund. Darüber hinaus überwacht er penibel das Sexleben seiner Eltern. Als Oliver feststellt, dass der Dimmerschalter im Elternschlafzimmer schon seit zwei Monaten morgens nicht mehr auf dunkelster Stufe eingestellt ist (laut Oliver ein eindeutiges Zeichen vollzogenen Beischlafs), diagnostiziert er das Ende der Ehe seiner Eltern.

Das kann und will Oliver nicht hinnehmen, und so macht er sich auf, das Eheleben der Eltern in Schwung zu bringen. Dazu ist ihm jedes Mittel recht, und schon bald schießt er mit seiner Mission ein wenig über das Ziel hinaus …

Erster Kuss, erste Liebe, erster Liebeskummer – das mag literarisch schon ziemlich abgegrastes Terrain sein, dennoch hat Joe Dunthorne mit „Ich, Oliver Tate“ einen durchweg unterhaltsamen Debütroman abgeliefert. Dabei braucht der Roman eine gewisse Einlesezeit. Immer wieder streut Dunthorne in Olivers Erzählung Zitate ein: Kühlschrank-Botschaften, Tagebucheinträge, Lexikondefinitionen. Dadurch wirkt der Erzählfluss anfangs etwas unruhig, hat man sich aber erst einmal auf die Art des Romans eingelassen, macht die Lektüre dann richtig Spaß.

Was Joe Dunthornes gelungenes Debüt besonders ausmacht, ist sein gewitzter Ton. Treffend ironisch beschreibt er Olivers pubertäres Gehabe, lässt ihn nichtsdestotrotz aber immer wieder als den klugen Menschen durchschimmern, der er tatsächlich zu sein scheint. Ihm gelingt die Balance, die Figur des Oliver von allen Seiten zu beleuchten, mit all ihren Macken, ihrer Selbstgerechtigkeit und der Verletzlichkeit, die sich hinter einer Fassade aus Fremdwörtern verbirgt.

Oliver durchlebt ein Wechselbad der Gefühle, erlebt den ersten Sex, muss aber gleichzeitig bangen, dass die Ehe seiner Eltern auseinanderbricht. Dieses drohende Unheil bestimmt sein Denken dermaßen, dass er seiner Freundin Jordana, die eigentlich viel Schlimmeres durchmacht, nicht wirklich eine Stütze ist. Und so folgt auf den unausweichlichen Bruch mit Jordana schließlich auch der unausweichliche erste Liebeskummer – mit Weltuntergang und allem, was dazugehört.

Olivers Leben stellt sich innerhalb weniger Wochen komplett auf den Kopf, und so durchlebt er so manche hoffnungslos absurde Situation. Das verleiht dem Buch eine weitere wunderbar komische Note. Die Methoden, die Oliver anwendet, um die Ehe seiner Eltern zu retten, sind schon herrlich skurril und gipfeln in einem verzwickt schrägen Finale.

Es ist zwar nicht so, dass man bei der Lektüre pausenlos von Lachkrämpfen geschüttelt wird, dennoch gibt es viele Szenen zum Schmunzeln und das ganze Buch ist ein feiner Unterhaltungsspaß. Dunthorne weiß seinen Sprachwitz wunderbar einzusetzen, und so ist „Ich, Oliver Tate“ weniger ein Roman der Schenkelklopfer als vielmehr feinsinnige und schräge Lektüre, die mit jeder Seite Spaß macht.

Bleibt unterm Strich ein positiver Eindruck zurück. Joe Dunthorne hat mit „Ich, Oliver Tate“ einen bemerkenswerten Debütroman abgeliefert. Humorvoll, feinsinnig und anrührend zugleich beschreibt er die Tücken der Pubertät auf wunderbar lesenswerte Art. Bleibt zu hoffen, dass der Waliser uns nicht zu lange auf sein nächstes Werk warten lässt.

|Originaltitel: Submarine
Aus dem Englischen von Mayela Gerhardt
379 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-498-01326-4|
http://www.rowohlt.de

Vargas, Fred / Baudoin, Edmond – Zeichen des Widders, Das

_Sieht man sich die Rezensionen_ bei |Amazon| zu Fred Vargas‘ neuestem Werk „Das Zeichen des Widders“ an, so wird schnell deutlich, dass die Grande Dame des französischen Kriminalromans zu polarisieren weiß. Entsetzt musste da so mancher Leser feststellen, dass der vermeintliche Roman „nur“ ein Comic ist, und sich darauf einzulassen, scheint so manchen eingeschworenen Romanleser leider zu überfordern.

Umso schöner ist es zu sehen, dass eine Autorin, die seit 1994 mit immerhin neun Romanen national wie auch international so manchen Literaturpreis einheimsen konnte, so mutig und offen neue Wege beschreitet. Wer ihr vorhält, dass ihr neuestes Werk ja „nur“ ein Comic sei, der verkennt die enormen Möglichkeiten dieses Genres.

Was Fred Vargas in Zusammenarbeit mit dem Zeichner-Urgestein Edmond Baudoin auf die Beine gestellt hat, ist mehr als ein schnöder Comic. Vielmehr hält der Leser eine düstere, atmosphärisch dichte und spannende Graphic Novel in den Händen, die viel zu sehr Roman ist, um ein Comic zu sein, und viel zu sehr Comic, um ein Roman zu sein.

_“Das Zeichen des Widders“_ erzählt die Geschichte des jungen Grégoire. Zusammen mit seinem Kumpel Vincent versucht er sich als Kleinkrimineller auf den Straße von Paris. Ihr Leben nimmt eine Wende, als sie einem alten Mann eine Tasche stehlen, deren Inhalt sie in Angst und Schrecken versetzt: vier Haarbüschel, ein Tierschädel, eine Polizeimarke, eine Filmdose voller Zahnsplitter und 30.000 Francs.

Als Grégoire am nächsten Morgen Vincent tot in dessen Wohnung auffindet, nimmt er Tasche und Geld an sich. Der Beklaute heftet sich derweil an Grégoires Fersen, um seine Tasche bei günstiger Gelegenheit möglichst unauffällig zurückzuergattern. Unterdessen versucht Grégoire auf eigene Faust, etwas über den Besitzer der ominösen Tasche herauszufinden, ohne zu ahnen, wie gefährlich das für ihn werden kann.

Kommissar Adamsberg hingegen hat so eine Ahnung, wer hinter dem Mord an Vincent stecken könnte, und wähnt nun auch Grégoire in Gefahr. Doch der sucht lieber das Weite anstatt sich Adamsberg anzuvertrauen …

_Im Prinzip_ gibt es zwei unterschiedliche Ansätze, Vargas‘ neuestes Werk zu betrachten: als Vargas-„Roman“ oder als das, was es ist, nämlich eine Graphic Novel. Freunde der Vargas’schen Kriminalromane werden hier sicherlich eine ganze Menge Vertrautes vermissen. Zum einen bekommen Adamsberg und sein Team nun plötzlich ein Gesicht (zum Teils wie zum Beispiel im Fall von Danglard recht derb und unschön gezeichnet) und zum anderen muss Vargas‘ textlicher Beitrag zu diesem Werk schon aufgrund der anderen Darstellungsweise anders ausfallen als sonst. Insofern kann es eigentlich nur sinnvoll sein, das Ganze ein wenig von Vargas‘ bisherigem Wirken zu lösen und als eigenständiges Werk zu betrachten.

Und dann sieht das Urteil gar nicht so schlecht aus. „Das Zeichen des Widders“ funktioniert als Graphic Novel wunderbar, und Fred Vargas macht ihre Sache als Autorin in fremden Gefilden sehr gut. Von der Umsetzung her kann das Team Vargas/Baudoin es durchaus mit anderen Genregrößen aufnehmen. Baudoins Zeichnungen steuern dazu natürlich einen ganz großen Teil bei. Mit groben Strichen skizziert er die Geschichte und legt dabei eine etwas raue Darstellungsweise an den Tag. Vieles wird mit scheinbar wirren Strichen angedeutet, und die schwarz-weiße Darstellung trägt das Ihrige zur eher düsteren Atmosphäre der Geschichte bei.

Gesichter bleiben oft schemenhaft, viele Details werden verwischt, und dennoch entwickelt die Geschichte, wenn man sich erst einmal darauf eingelassen hat, eine beachtliche Tiefe. Mit Grégoire hat Vargas eine sympathische Hauptfigur geschaffen, deren Leben sie hier und da mit liebenswürdigen und skurrilen Details versieht. Natürlich funktioniert die Figurenskizzierung nicht ganz so tiefgreifend wie in ihren Romanen, aber betrachtet man das Ganze im Rahmen der Möglichkeiten der Graphic Novel, so gelingt die Darstellung der Charaktere durchaus gut.

Etwas comic-untypisch ist teilweise die Art der Dialoge. Auf vielen Seiten werden einzelne Szenen nur anhand eines Bildes angedeutet. Man sieht, in welcher Situation die Figuren miteinander sprechen, aber der folgende Dialog spielt sich dann zum Teils auch nur in Worten und weniger in Bildern ab. „Das Zeichen des Widders“ kann sich damit als eigenständiges Werk behaupten, das mit den Möglichkeiten des Genres spielt. Man sieht hier wirklich auf ganz eigenwillige Weise eine Verknüpfung zweier Welten – der des Romans und der des Comics.

Und so sind Geschichte und Darstellung über weite Strecken auch durchaus überzeugend. Was auch in der Graphic Novel typisch für Vargas bleibt, ist die teilweise vorherrschende Unergründlichkeit von Adamsbergs Gedankengängen. Er folgt wie üblich seiner Intuition, und als Leser schaut man ihm dabei mitunter etwas verwundert zu.

_Dennoch ist „Das Zeichen des Widders“_ ein insgesamt durchaus zufriedenstellendes Lesevergnügen. Die Leserschaft wird es sicherlich weiter spalten – die Graphic Novel ist halt ein Format, dessen Vorzüge viele nicht zu schätzen wissen, weil sie sich nie wirklich ernsthaft darauf eingelassen haben. Wer genau das aber einmal macht, der wird mit einer düsteren und spannenden Geschichte belohnt, die zwar einerseits durch ihre Umsetzung als Graphic Novel sehr viel bildhafter ist, als man das von Fred Vargas sonst gewohnt ist, aber aufgrund der teils sehr schemenhaften Darstellung auch noch vieles der Fantasie des Lesers überlässt.

Fred Vargas‘ Ausflug in neue Gefilde ist nicht zuletzt auch durch die ausdrucksstarken Zeichnungen von Edmond Baudoin durchaus geglückt. Dennoch werden sicherlich viele ihrer angestammten Leser inständig hoffen, dass es ihr letztes Experiment dieser Art war …

|Originaltitel: Les quatre fleuves
Mit Zeichnungen von Baudoin
222 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-351-03250-0|
http://www.aufbau-verlag.de

_Mehr von Fred Vargas auf |Buchwurm.info|:_

[„Die schöne Diva von Saint-Jacques“ 2880
[„Die dritte Jungfrau“ 3517
[„Die schwarzen Wasser der Seine“ 4430

Delaney, Joseph – Spook 4 – Der Kampf des Geisterjägers

_Mittlerweile_ liegt zur „Spook“-Reihe von Joseph Delaney schon der vierte Band vor. Mit den ersten drei Teilen hat Delaney die Geschichte um den jungen Geisterjäger-Azubi Tom Ward kontinuierlich in Punkto Spannung steigern können. Stellt sich also die Frage, ob ihm das auch mit dem vorliegenden vierten Band „Der Kampf des Geisterjägers“ so gut gelingt …

_Tom Ward_ ist nun schon seit geraumer Zeit der Lehrling des alternden Geisterjägers Mr. Gregory. Zusammen mit der jungen Hexe Alice, mit der Tom Freundschaft geschlossen hat, lebt er bei dem alten Meister in Chipenden und bereist von dort das Land, wann immer die Dienste des Spooks gebraucht werden.

Mittlerweile hat Tom schon so manchen finsteren Mächten gegenübertreten müssen, doch nun stellt sich ihm und seinem Meister ein neues Problem: die Hexen von Pendle. Viel zu lange hat der alte Spook die Probleme in Pendle ignoriert, doch als er Besuch von Pater Stocks erhält, einem alten Freund und Vertrauten aus der Umgebung des Pendle Hill, wird ihm klar, dass er dem Treiben der dunklen Mächten dort schon viel zu lange tatenlos zugesehen hat.

Während der Spook beschließt, möglichst bald nach Pendle aufzubrechen, ist Tom zusammen mit Alice unterwegs zum Bauernhof von Toms Bruder Jack. Dort stehen noch immer die drei Truhen, die seine Mutter ihm anvertraut hat. Doch als die beiden am Hof ankommen, sind sie entsetzt: Die Truhen sind gestohlen und Toms Bruder mit Frau und Tochter entführt worden. Die Spur führt in Richtung Pendle und so hat der alte Spook nach der Rückkehr von Tom nach Chipenden gleich zwei gute Gründe, das Hexenproblem in Pendle nicht länger aufzuschieben. Sie machen sich unverzüglich auf den Weg.

Kaum sind sie dort angekommen und haben bei Pater Stocks Quartier bezogen, überschlagen sich auch schon die Ereignisse. Alice wird entführt und schon wenig später steckt auch Tom in ernsthaften Schwierigkeiten, als man ihn eines Schwerverbrechens bezichtigt. Währenddessen treffen die drei ursprünglich verfeindeten Hexenclans von Pendle letzte Vorbereitungen, sich zu vereinigen, um in einem gemeinsamen Ritual am Hexensabbat den Teufel heraufzubeschwören. Ob Tom und sein Meister das verhindern können?

_Der vierte Band_ der „Spook“-Reihe macht schon auf den ersten Blick einen etwas anderen Eindruck als die Vorgängerbände. Ungewöhnlich dick ist das Buch, und entsprechend komplex legt Delaney diesmal auch die Geschichte an. In keinem bisherigen „Spook“-Band sind so viele Figuren aufgetaucht und wurden so viel Erzählstränge angelegt wie in diesem Band. Immer wieder verzweigt sich die Handlung, die Wege der Protagonisten trennen sich, um sich zu einem späteren Zeitpunkt wieder zu kreuzen.

Für Spannung ist dabei auch diesmal wieder reichlich gesorgt. Die Entführung von Toms Familie, die Geschehnisse in Pendle, in deren Folge Tom verhaftet wird, die Rolle der rätselhaften Truhen unbekannten Inhalts – all das sorgt für eine zügige Spannungssteigerung. Delaney versteht sich darauf, den Leser durch eine spannende Erzählweise bei der Stange zu halten. Das gelingt ihm in diesem Band ähnlich gut wie in den vorangegangenen.

Trotzdem hat man ein wenig das Gefühl, dass Delaney diesmal zu viel wollte. Er baut so viele Figuren auf und lässt so viel gleichzeitig passieren, dass ihm dabei die Figurenentwicklung immer mal wieder ein wenig entgleitet. Der alte Spook kommt in diesem Band definitiv zu kurz. Immer wieder verschwindet er von der Bildfläche und taucht dann nur kurz auf, wie zu einer Stippvisite. Dafür, dass Tom ja eigentlich immer noch der Lehrling ist, muss er erstaunlich viel im Alleingang bewältigen.

Wird mit Beginn der Handlung in Pendle noch Mistress Wurmalde, die Haushälterin des Magistrats, als die große Böse aufgebaut, die Erz-Feindin von Toms Mutter aus alten Zeiten, die noch eine offene Rechnung begleichen will und deshalb die Hexenclans von Pendle um sich schart, so geht sie am Ende ziemlich jämmerlich unter. Für die große Übeltäterin des Romans ist das ein wenig zu unspektakulär. Und so fehlt dem Roman immer wieder die Balance. Fast bekommt man das Gefühl, Delaney würde sich mit all den vielen auftauchenden Figuren ein wenig verzetteln.

Zum Ende hin baut Delaney dann noch ein großes Finale auf, pünktlich zum Hexensabbat. Es kommt zur großen Schlacht am Pendel Hill, die gleichzeitig einen entscheidenden Wendepunkt für die gesamte „Spook“-Reihe markiert. Einige Eckpfeiler der Geschichte werden manifestiert, die auch für den weiteren Verlauf der Handlung nicht unbedeutend sein dürften. Toms Rolle in der Geschichte bekommt eine neue Bedeutung, die der wachsame Leser aber schon vorausahnen kann.

Und so wird auf diesen „Spook“-Band sicherlich ein weiterer folgen und Delaney die Reihe munter weiter aufbauen. Wie er allerdings weiterhin die Spannung mit jedem Band hochhalten und Tom mit einem stets neuen und stärkeren Bösewicht konfrontieren will, ist mir im Augenblick noch schleierhaft. Ewig wird sich die Spannungsschraube nicht weiterdrehen lassen. und irgendwann kommt sicherlich der Punkt, an dem auch aus der bis dato so unterhaltsamen „Spook“-Reihe die Luft raus ist. Hoffen wir aber, dass das noch einige Bände dauern wird …

_Bleibt unterm Strich_ zwar ein positiver, aber auch leicht angeschlagener Eindruck zurück. Stellten die ersten drei Bände jeweils eine Steigerung in Spannung, Größe von Toms Gegner und Unterhaltungswert dar, so zeigen sich mit dem vorliegenden vierten Band erstmals einige Schwächen. Plot- und Figurenentwicklung wirken nicht immer gut ausbalanciert und man hat ein wenig das Gefühl, dass Delaney diesmal etwas zu viel des Guten wollte. „Spook“ ist zwar immer noch ein unterhaltsames Lesevergnügen, aber dennoch offenbart der vierte Teil der Reihe Schwächen, die die Vorgängerbände nicht hatten. Bleibt zu hoffen, dass dies nur eine kurze Phase ist, die Delaney mit dem nächsten Band wieder überwinden kann.

|Originaltitel: The Wardstone Chronicles – The Spook’s Battle, 2007
Aus dem Englischen von Tanja Ohlsen
Illustriert von Patrick Arrasmith
416 Seiten, gebunden in Lederoptik mit Gold- und Reliefprägung
Empfohlen ab 10 Jahren
ISBN-13: 978-3-570-13399-6|
http://www.cbj-verlag.de

_Die „Spook“-Serie in chronologischer Reihenfolge:_

[„Spook: Der Schüler des Geisterjägers“ 2303
[„Spook: Der Fluch des Geisterjägers“ 3535
[„Spook: Das Geheimnis des Geisterjägers“ 4184
[„Spook: Der Kampf des Geisterjägers“ 5314

Hill, Susan – Der Seele schwarzer Grund

Nach mittlerweile zwei Romanen hat Susan Hill rund um den Ermittler Simon Serrailler eine durchaus lesenwerte Krimireihe aufgebaut, die sich vor allem durch ihre ausgefeilte Figurenskizzierung aus der Masse des Genres heraushebt. Mit „Der Seele schwarzer Grund“ legt die Britin nun den dritten Serrailler-Krimi vor, der mehr oder minder nahtlos an die Handlung des Vorgängerbandes „Des Abends eisige Stille“ anschließt.

Der ungelöste Fall um das Verschwinden des achtjährigen David Angus belastet Simon Serrailer noch immer. Der Fall tritt auf der Stelle und Serrailler und sein Team kommen dem Täter kaum einen Schritt näher. Doch eines Tages bittet die Polizei von Yorkshire Simon um seine Hilfe. Die Kollegen vermuten einen Zusammenhang zwischen dem Verschwinden eines siebenjährigen Jungen und dem Fall David Angus.

Und endlich gibt es sogar tatsächlich eine greifbare Spur. Das Auto des Verdächtigen wurde gesehen. Simon nimmt zusammen mit den Kollegen aus dem Norden die Verfolgung auf. Es kommt zu einer dramatischen Verhaftung, bei der die Identität des Täters alle Beteiligten überrascht.

In Lafferton treibt derweil ein anderer Täter sein Unwesen. Reverend Jane Fitzroy, noch neu in der Gemeinde von Lafferton, gerät als Erste in seine Fänge …

Susan Hill schreibt keine Krimis von der Stange. Im Fokus steht bei ihr oft weniger das Verbrechen an sich, bzw. dessen Auflösung, sondern die Menschen, die davon betroffen sind. Sie lässt viele Figuren agieren, wechselt häufig die Perspektive und lässt viele Aspekte in die Handlung einfließen, die andere Autoren wohl als schmückendes Beiwerk empfinden und weitestgehend ignorieren würden.

Hill schreibt gegen die Gewohnheiten des Genres und fordert damit auch den Leser ganz anders als der Großteil anderer Krimiautoren. Schon in ihrem ersten Roman passierte der erste Mord erst nach weit über 100 Seiten, und so ist auch „Der Seele schwarzer Grund“ wieder einmal ein Krimi gegen die Lesegewohnheiten. Das eigentliche Verbrechen ist schon im vorherigen Roman passiert und der Täter ist schon nach etwa 90 Seiten dingfest gemacht.

Was folgt, ist mehr eine Auseinandersetzung mit den Folgen des Verbrechens, die nicht nur für die Ermittler mehr Fragen aufwirft, als sie beantwortet. Der Täter bleibt verschlossen, die Taten rätselhaft. Selten genug kommt es vor, dass auch die Aufarbeitung der Tat durch die Angehörigen des Täters ein Thema ist – Susan Hill nimmt sich dafür reichlich Zeit und lässt dessen Mutter daran fast zerbrechen.

Wie auch in den vorangegangen Romanen kehrt Susan Hill stets die menschliche Sicht der Dinge heraus. Und so hat sie in ihrem mittlerweile dritten Roman der Reihe schon erstaunlich plastische Figuren herausgearbeitet. Simon Serraillers Familie, insbesondere seine Schwester Cat, die mit Mann und Kindern in einem alten Bauernhaus lebt und neben Haushalt und Familie auch noch den Praxisalltag als Ärztin zu bewältigen hat, ist häufig ein Thema.

Bei Susan Hill ist alles miteinander vernetzt. Lafferton ist ein recht kleiner Ort, so dass Berührungspunkte zwischen den Protagonisten sich fast von selbst ergeben. Als neue Figur taucht in diesem Roman Reverend Jane Fitzroy auf, die auch mit im Zentrum des neuen Falls steht, der die Polizei von Lafferton auf Trab hält. So entstehen – der ursprüngliche Fall ist schließlich schon gelöst – dennoch immer wieder Spannungsmomente in einem ansonsten eher gemächlichen Plot. Hill setzt auf eine feine, psychologische Spannung. Actionreiche Situationen findet man bei ihr genauso selten wie blutrünstige Mordschilderungen.

Die Spannung ergibt sich aus dem Plot heraus, aus der Entwicklung der Figuren und ihren Verflechtungen und nicht aus der Menge an Blut, die vergossen wird. Hill ist sehr subtil und zeigt damit sehr schön, wie auch mit wenig Blutvergießen ein spannender Krimiplot entstehen kann, zu dem der Leser dank der ausgefeilten Figurenskizzierung eine tiefe Beziehung aufbaut.

Dennoch hat gerade dieser dritte Roman der Reihe auch so seine Schönheitsfehler. Simon Serrailler ist eine durchaus reizvolle Hauptfigur, bewegt sich in seiner persönlichen Entwicklung aber zunehmend in eine Sackgasse. Das schreit für den nächsten Band nach einem Befreiungsschlag, doch gestaltet Hill das Ende des Romans leider etwas zu flach und uninspiriert, als dass man gleich zum nächsten Band (den es sicherlich geben wird) greifen möchte. Die Geschichte wird nicht so richtig aufgelöst. Die losen Enden bleiben in der Luft hängen und vor allem mit Blick auf den zentralen Fall weiß der Leser am Ende eigentlich kaum mehr als schon zu Anfang des Romans.

Für meinen Geschmack ist es etwas zu schwammig, ein Buch, das eigentlich ein Nachklang des vorangegangen Buches (welches ja auch schon ein recht offenes Ende hatte) ist, in einem derartigen Schwebezustand zu beenden. So richtig zufrieden ist man auf diese Weise am Ende nicht, denn es ist eben einfach keine ganz runde Sache.

Dabei versteht Susan Hill ihr Handwerk eigentlich sehr gut. Sie weiß den Leser auch mit wenig greifbarer Handlung zu unterhalten, sie skizziert interessante Figuren und erzählt in einem lockeren Ton, der das Buch zu leichter und flotter Lektüre macht. Nur fällt eben diesmal der Schlussakkord am Ende etwas dissonant aus.

Bleiben unterm Strich gemischte Gefühle zurück. Susan Hill versteht sich darauf, eine feinsinnige psychologische Spannung zu erzeugen, und beweist auch mit ihrer gelungenen Figurenskizzierung, wie gut sie sich auf die leisen Töne des belletristischen Krimis versteht. Dennoch ist dieser Band der Serrailler-Reihe eine etwas unrunde Sache, die den Leser am Ende nicht ganz zufrieden zurücklässt. Zu vieles bleibt gerade auch mit Blick auf den zentralen Fall in der Schwebe. Dennoch kann man die Reihe an sich durchaus noch jedem ans Herz legen, für den Krimispannung sich nicht einfach nur in der Menge des vergossenen Blutes niederschlägt.

_Susan Hills Serrailler-Krimis in chronologischer Reihenfolge:_

[„Der Menschen dunkles Sehnen“ 1698
[„Des Abends eisige Stille“ 3889
„Der Seele schwarzer Grund“

|Originaltitel: The Risk of Darkness
Aus dem Englischen von Susanne Aeckerle
489 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-426-66148-2|
http://www.knaur.de

Sebastian Fitzek – Der Seelenbrecher

Das Szenario ist klassisch: ein Ort, abgeschnitten von der Außenwelt, an dem Menschen der Willkür eines unheimlichen Mörders ausgeliefert sind. Hier müssen sie irgendwie mit der Gefahr fertig werden, zumindest bis von Außen Verstärkung eintrifft.

Genau dieser klassischen Rezeptur bedient sich auch Sebastian Fitzek in seinem aktuellen Roman „Der Seelenbrecher“. Der von der Außenwelt abgeschnittene Ort ist in diesem Fall eine psychiatrische Luxusklinik, und der unheimliche Mörder ist der titelstiftende Seelenbrecher.

Der Seelenbrecher ist ein perfider Psychopath. Drei junge Frauen sind ihm bereits zum Opfer gefallen. Sie alle verschwanden für eine Woche und kehrten psychisch völlig gebrochen wieder zurück. Alle drei Frauen wirkten nach ihrem Wiederauftauchen, als wären sie in ihrem eigenen Körper begraben. Niemand dringt mehr zu ihnen durch, sie nehmen nichts mehr wahr. Eine starb gar an den Folgen.

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Stein, Garth – Enzo. Die Kunst, ein Mensch zu sein

Es mag auf den ersten Blick albern anmuten, dass Garth Stein in seinem Roman „Enzo. Die Kunst, ein Mensch zu sein“ einen Hund als Ich-Erzähler auftreten lässt. Doch das kann eigentlich nur derjenige behaupten, der sich nicht näher mit dem Buch befasst hat. Denn wer genauer hinschaut, der muss schnell einsehen, dass der vierbeinige Ich-Erzähler ein äußerst raffinierter Zug des Autors ist – und das nicht nur, weil Enzo genau der treue und liebe Weggefährte ist, den sich jeder Hundefreund wünscht …

Enzo lebt mit Herrchen Denny in Seattle und ist mit seinem Leben eigentlich sehr zufrieden. Nach dem, was er im Fernsehen gesehen hat, ist er sich sicher, dass er in seinem nächsten Leben ein Mensch sein wird, und so beobachtet Enzo die Welt um sich herum ganz genau – schließlich hat er noch eine Menge zu lernen.

Herrchen Denny ist ihm da ein guter Lehrmeister. Er ist Rennfahrer und auf bestem Wege, ein Profi zu werden, und vom Rennsport kann auch Enzo eine Menge über das Leben lernen. Ihrer beider Leben verändert sich mit dem Auftauchen von Eve. Enzo weiß, dass Eve für Denny zu wichtig ist, als dass er eifersüchtig auf sie sein sollte, und so lernt er, Eve zu akzeptieren. Eve und Denny heiraten und das Glück ist perfekt, als die kleine Zoë geboren wird.

Doch schon bald legt sich ein dunkler Schatten auf das Familienglück und ihnen allen stehen harte Zeiten bevor. Enzo würde gerne seinen Beitrag leisten, aber da ihm nur die einfachsten Gesten bleiben, kann er sich nicht verständlich machen. Und so muss er zuschauen, wie das Familienglück dahinbröckelt …

Ein Hund als Ich-Erzähler ist für sich genommen schon mal ungewöhnlich, denn eine solche Entscheidung ist immer auch eine Gratwanderung. Schnell kann eine Geschichte auf diese Weise ins Lächerliche abgleiten, weil die Art und Weise der Hauptfigur einfach albern wirkt. Nicht so bei „Enzo“. Garth Stein gelingt das Kunststück, uns einen Hund als Protagonisten vorzusetzen, der zu keinem Zeitpunkt albern wirkt. Enzo ist ein ernstzunehmender Protagonist und ein wahrer Philosoph auf vier Pfoten.

Stein nutzt Enzos Perspektiven, um menschliche Verhaltensweisen aus einem verschobenen Blickwinkel zu betrachten. Enzo beobachtet, kommentiert und lernt. Und als philosophische Spiegelfläche muss immer wieder der Rennsport herhalten, der nicht nur Denny begeistert, sondern seinen Hund gleichermaßen. Immer wieder zieht Stein Vergleiche anhand exemplarischer Beispiele aus dem Rennsport, und so muss auch Enzo mit der Zeit begreifen, dass ein Rennen nie in der ersten Kurven gewonnen wird, dort aber durchaus verloren werden kann.

So entsteht eine Geschichte, die einen wunderbaren Tiefgang beweist. Enzo als Ich-Erzähler läuft damit zu keinem Zeitpunkt Gefahr, lächerlich zu wirken, vielmehr ist er der staunende Außenstehende, welcher der Geschichte durch seine Versuche, die Menschen zu verstehen, eine wunderbare Wärme und Tiefe verleiht.

Was Denny an Schicksal ertragen muss, ist allerhand und schon fast ein bisschen viel des Guten. Doch Denny ist ein Kämpfer und Enzo steht ihm dabei zur Seite – auf seine ganz eigene Art. „Enzo. Die Kunst ein Mensch zu sein“ ist eine Geschichte voller Tragik. Enzos Perspektive sorgt dabei aber auch immer wieder für humorvolle Momente, denn nicht selten ist es gerade das Verhalten des Hundes, das zum Schmunzeln anregt.

Und so entwickelt sich „Enzo. Die Kunst, ein Mensch zu sein“ zu einem Wechselbad der Gefühle und zu einer Geschichte, die weit mehr Tiefgang entwickelt, als man ihr anfänglich zutrauen möchte. Durch Enzos Beobachtungen lernt auch der Leser/Hörer eine Menge über die Menschen – über Freundschaft, Liebe und Verantwortung und darüber, wie man auch im Leben nicht gleich in der ersten Kurve aus dem Rennen fliegt.

Das Konzept von „Enzo. Die Kunst, ein Mensch zu sein“ wirkt so einfach und funktioniert dabei so wunderbar. Man kommt nicht umhin, am Ende zugeben zu müssen, dass „Enzo“ ganz tief zu rühren vermag, und so muss man sich im Finale dann auch mal die eine oder andere Träne wegdrücken.

Seinen Beitrag zum Gelingen des Hörbuchs aus dem |Argon|-Verlag steuert auch Helmut Krauss bei, seines Zeichen Synchronsprecher von Marlon Brando, John Goodman und Samuel L. Jackson. Seine raue, tiefe Stimme passt wunderbar zu Enzo und verleiht der Geschichte zusätzliche Wärme und Tiefe.

Insgesamt bleibt damit ein sehr positiver Eindruck zurück. Eine wunderbar warmherzige Geschichte, die so einfach und doch voller Intensität erzählt wird. Ein sympathischer Titelheld, den nicht nur Hundeliebhaber schnell ins Herz schließen dürften, und ein Plot, der unter die Haut geht. Enzo, den Philosophen auf vier Pfoten, muss man einfach mögen. Und so kommt unterm Strich eine uneingeschränkte Empfehlung dabei heraus, insbesondere auch für das von Helmut Krauss so wunderbar gelesene Hörbuch.

|Originaltitel: The Art of Racing in the Rain
Aus dem Amerikanischen von Werner Löcher-Lawrence
314 Minuten auf 4 CDs
ISBN-13: 978-3-86610-557-7
gebundene Ausgabe bei Droemer, 2008|
http://www.argon-verlag.de

Savage, Sam – Firmin – Ein Rattenleben

Ratten sind eigentlich nicht sonderlich beliebte und gern gesehene Geschöpfe, sieht man mal von den beiden rein fiktiven Artgenossen Rizzo (die „Muppets“-Ratte) und Rémy (die kochende Ratte aus „Ratatouille“) ab. Dieser Liste sympathischer Ratten kann man nun eine weitere hinzufügen: Firmin.

Firmin wächst im Keller einer Buchhandlung am Bostoner Scollay Square auf, als jüngstes von dreizehn Geschwistern. Als Kleinster und Schwächster des Wurfs hat Firmin keine leichte Kindheit. Im Kampf um eine freie Zitze bleibt er meist auf der Strecke, und während seine Geschwister groß und stark und (dank des stetigen Alkoholpegels von Mama Ratte) beschwipst werden, bleibt Firmin dürr und schwach. Seine Nahrung werden fortan die Bücher.

Firmin knabbert sich von Buch zu Buch, bis er eines Tage feststellt, dass auf den Seiten der Bücher Worte gedruckt stehen, die er nicht nur versteht, sondern die ihn auch sein Elend vergessen lassen. Und so frisst er sich fortan nur noch im übertragenen Sinne durch die Bücher. Er verschlingt Sachbücher und Belletristik gleichermaßen und ist fasziniert von der Welt der Menschen.

Er beobachtet das bunte Treiben in der Buchhandlung und ist überzeugt, dass ihn dank der gemeinsamen Liebe zu den Büchern schon bald eine innige Freundschaft mit Buchhändler Norman verbinden wird. Firmin macht sich auf, die Freundschaft der Menschen zu suchen, und bis er das erreicht hat, träumt er sich halt im Keller mithilfe der Bücher in die Welt der Menschen. Doch irgendwie stellt Firmin sich das alles ein wenig zu einfach vor …

Man mag erwarten, dass Firmin eine komische Figur und die Geschichte, wie er die Freundschaft der Menschen sucht, zwangsläufig lustig sein muss. Doch wer einen witzigen Roman über eine komische Ratte mit bibliophilen Neigungen erwartet, der dürfte etwas enttäuscht sein. Firmin hat zwar durchaus komische Züge, aber insgesamt bietet die Geschichte weit weniger Anlass zur Heiterkeit, als man auf den ersten Blick vermuten mag.

Sam Savage hat mit „Firmin – Ein Rattenleben“ vielmehr eine gleichermaßen melancholische wie liebenswürdige Geschichte geschrieben. Firmin ist der große Sympathieträger, der den Plot zusammenhält, und für manch einen mag Firmins Welt enttäuschend klein sehr. Er ist halt nur eine Ratte, und so kennt er nicht viel mehr als die Buchhandlung und das ebenfalls am Scollay Square gelegene Kino „Rialto“, in das er sich gerne zwecks Nahrungssuche und Horizonterweiterung begibt.

Der Plot bleibt damit auch stets sehr überschaubar, aber was den Roman eben so sympathisch macht, ist Sam Savages feinfühlige Art, nicht nur seinen ungewöhnlichen Protagonisten Firmin zu skizzieren, sondern auch die übrigen Figuren. Und so kommt die Geschichte eben größtenteils ohne Spannung im eigentlichen Sinne aus, und es ist mehr die charmante Hauptfigur, die den Leser durch den Roman zieht, als die Geschichte an sich.

Das mag manchem Leser zu wenig sein, aber wer die Muße hat, sich darauf einzulassen, der wird mit einer durchaus unterhaltsamen und warmherzigen Geschichte belohnt. Erst ungefähr ab der Hälfte ändert sich Weltbewegendes in Firmins Leben, und damit wird auch die Geschichte interessanter, musste sie doch vorher lediglich mit Andeutungen Firmins bezüglich zukünftiger Ereignisse auskommen.

Dass dennoch keine Langeweile aufkommt, ist sicherlich auch Sam Savages ebenso einfacher wie bildhafter Sprache zu verdanken. So kann sich der Roman trotz seines eher belanglos anmutenden Plots in wahres Kopfkino verwandeln und wird zu einem schönen Leseerlebnis.

Anhand von Firmin dokumentiert Sam Savage ein Kapitel der Stadtgeschichte Bostons, als der Scollay Square mit all seinen schummrigen Bars, kleinen Läden und schmierigen Kinos in den 60er Jahren der Moderne weichen musste. Firmin lebt genau zu dieser Zeit dort und sieht den Niedergang des Stadtteils von seinem Beobachtungsposten in der Buchhandlung.

Besonders ansprechend ist übrigens die Optik des Buches gelungen. „Schlampiger“ Buchschnitt, „schmuddeliger“ Schutzumschlag – man könnte fast glauben, der Roman hätte lange Jahre im Keller der Buchhandlung Staub angesetzt, bis eine dürre, bibliophile Ratte das Buch aus dem Regal gezogen hat …

Insgesamt bleibt von „Firmin – Ein Rattenleben“ ein durchaus positiver Eindruck zurück. Ein sehr leiser Roman – lebendig und charmant -, der die traurige Geschichte eines verkannten Außenseiters erzählt. Firmin muss man einfach ins Herz schließen. Wer die Muße hat, sich auf einen feinfühlig skizziert Roman mit sympathischen Figuren und einer wunderbar melancholischen Art einzulassen, der dürfte seine Freude daran haben. Wer aber Bücher vor allem nach Faktoren wie Spannung und Tempo misst, der dürfte sich langweilen und dabei ein herrlich warmherziges Kleinod verpassen.

|Originaltitel: Firmin. Adventures of a Metropolitan Lowlife
Deutsch von Susanne Aeckerle, Marion Balkenhol und Hermann Gieselbusch
213 Seiten, gebunden, Buchschnitt mit Rattenzahnung|
http://www.ullsteinbuchverlage.de/ullsteinhc/

Homes, A. M. – Dieses Buch wird Ihr Leben retten

Der Titel von A. M. Homes‘ Roman – „Dieses Buch wird Ihr Leben retten“ – mag im ersten Moment eher abschreckend wirken und an Bücher wie „Sorge dich nicht, lebe!“ erinnern. Darauf jedoch seine Erwartungshaltung aufzubauen, wäre völlig falsch. Hinter dem vermeintlichen Lebensratgeber verbirgt sich ein wunderbar warmherziger und liebenswerter Roman.

Die Geschichte dreht sich um Richard Novak. Reich geworden durch den Aktienhandel, lebt er zurückgezogen in den Hügeln von L.A. Er ist geschieden und hat zu seiner Familie und vor allem zu seinem Sohn Ben kaum Kontakt. Das Essen bringt die Ernährungsberaterin ins Haus, seine Putzfrau kümmert sich um den Haushalt und ansonsten kriegt er eigentlich nur noch von seiner Fitnesstrainerin Besuch.

Richard Novak tut sich selbst zwar jede Menge Gutes, ernährt sich gesund und hält sich fit, aber alles, was sich auf zwischenmenschlicher Ebene abspielt und soziale Interaktion erfordert, meidet er weitestgehend. Kurzum, er führt ein irgendwie steriles Leben. Das ist ihm selbst nicht wirklich bewusst, zumindest so lange, bis ein vermeintlicher Herzinfarkt ihn dazu zwingt, die Notrufnummer zu wählen.

Mit der eigenen Sterblichkeit konfrontiert, wird Richard plötzlich bewusst, dass es niemanden in seinem Leben gibt, mit dem er über sein Leid reden könnte. Als er dann auch noch sein geliebtes Haus verlassen muss, weil es in einem Erdloch zu versinken droht, beginnt Richard sein Leben umzukrempeln. Er schließt Freundschaften und hilft anderen, doch vor die schwierigste Aufgabe stellt ihn immer noch sein Sohn Ben, an den Richard einfach nicht heranzukommen scheint …

Richard präsentiert sich zu Beginn des Romans nicht gerade als sonderlich sympathischer Protagonist. Er lebt in seiner eigenen Welt. Er arbeitet nicht, sondern kontrolliert nur jeden Tag brav, wie seine Aktien stehen. Er pflegt keine nennenswerten zwischenmenschlichen Kontakte – zumindest nicht mit persönlicher Komponente und verlässt so gut wie nie das Haus. Er lebt wie unter einer Glasglocke und wahrt dabei stets die Distanz nicht nur zu anderen Menschen, sondern auch zu sich selbst. Und so ist Richard eben auch kein Protagonist, in den man sich hineinversetzen kann. Er bleibt auf Distanz und es dauert eine Weile, bis man ihn ins Herz zu schließen beginnt.

Als Richard dann eines Abends wegen heftiger Schmerzen den Notruf wählt und ins Krankenhaus verfrachtet wird, ist das für ihn ein höchst einschneidendes Erlebnis. Im Krankenhaus weiß er nicht recht, wen er überhaupt anrufen sollte, um mitzuteilen, dass es ihm sehr schlecht geht und er vielleicht bald sterben wird: Seine Ex-Frau? Seinen Anwalt? Oder seine Putzfrau?

Und so reift in Richard schließlich die Erkenntnis, dass seinem Leben etwas ganz entscheidendes fehlt. Ganz langsam und ohne, dass er selbst großartig merkt, was er da eigentlich tut, beginnt er sein Leben zu ändern. Er beginnt auf andere Menschen zuzugehen. Er schließt Freundschaften, die er vorher nie für möglich gehalten hätte. Seiner Ex-Frau und seinem Bruder ist diese Verwandlung fast schon ein bisschen unheimlich. Richard tritt aus seinem eigenen Schatten und fängt an etwas zu tun, von dem er vorher zwar immer geglaubt hat er würde es tun, es aber nie wirklich getan hat: Er fängt an zu leben.

Es ist schön mit anzusehen, wie Richard sich zunächst ganz zaghaft und dann mit zunehmend festerem Schritt in die Welt hinauswagt, wie er Anteil am Leben anderer nimmt und dafür etwas zurückbekommt, von dem er sich früher niemals hätte eingestanden, dass es ihm fehlt: Menschliche Wärme und Zuneigung. Dankbarkeit und Mitgefühl.

Und so entwickelt sich „Dieses Buch wird Ihr Leben retten“ mit seinem Protagonisten zu einer einfühlsamen und warmherzigen Geschichte ohne dabei in kitschige Gefilde abzugleiten. Richard entwickelt gar heldenhafte Züge und sammelt beim Leser wie auch bei seinen Mitmenschen massig Sympathiepunkte. Dennoch schießt A.M. Homes in der Wandlung Richards nicht über das Ziel hinaus. Es gibt nicht das überzogene Friede-Freude-Eierkuchen-Finale, das man im Verlauf des Romans vielleicht schon mal befürchten mag.

Die Autorin beweist ein feines Gespür dafür, die richtige Balance zu finden und die Wandlung von Richard nicht zu sehr zu überzeichnen. Er wird eben nicht zu einem komplett neuen Menschen. Er streift seine Ängste und Gewohnheiten nicht einfach über Nacht ab.

Zu sehen, wie Richard sich langsam aus seinem Schneckenhaus hinauswagt, macht auch deswegen Spaß, weil A.M. Homes einen so lockeren und eingängigen Schreibstil hat. Obwohl die meiste Zeit nicht so wahnsinnig viel passiert und das Buch ohne Spannung im engeren Sinne auskommt, hält Homes den Leser bei Laune. Das Buch lässt sich wunderbar flott herunterlesen. Homes weiß auch mit einfachen Mitteln zu unterhalten und erzählt so eine Geschichte, die man gerne weiterverfolgt und die auch immer wieder mit einem Augenzwinkern daher kommt.

Bleibt unterm Strich insgesamt ein positiver Eindruck zurück. „Dieses Buch wird Ihr Leben retten“ ist ein wunderbar warmherziger Roman, eingängig geschrieben und voller liebenswerter, teils gar skurriler Figuren. A.M. Homes schafft es, stets glaubwürdig zu bleiben. Nirgends gleitet die Geschichte in kitschige Gefilde ab, nichts wirkt überzeichnet. Ein leiser, aber durchaus sehr unterhaltsamer Roman, dessen Figuren man mit der Zeit immer mehr ins Herz schließt.

http://www.heyne.de

Elliott, Will – Hölle

Was der Australier Will Elliott mit „Hölle“ abgeliefert hat, ist ein rundum erfolgreiches Debüt. Er gewann auf Anhieb einen der wichtigsten australischen Literaturpreise. Was folgte, war die Nominierung für den |International Horror Guild Award| und die Übersetzung in fünf Sprachen. „Hölle“ erzählt eine höchst eigenwillige und abgefahrene Geschichte und ist für die sonst eher auf Hörspiele fixierte |Lauscherlounge| die erste Hörbuchproduktion im klassischen Sinne.

Eines Nachts fährt Jamie beinahe einen Clown über den Haufen. Aus dem Nichts taucht die Gestalt auf. In der Nacht darauf beobachtet Jamie zwei weitere Clowns, die sich höchst eigentümlich verhalten. Als Jamie dann etwas an sich nimmt, das einer der Clowns wegwirft, ist plötzlich nichts mehr, wie es war. Jamie erhält unheimliche Drohungen, seine Wohnung wird vollkommen verwüstet und ein paar Kerle in Clownskostümen machen Jagd auf ihn.

Die Clowns bringen Jamie schließlich in den Pilo-Zirkus, einen bizarren Rummelplatz voller Freaks, Wahrsager, Magier und Akrobaten. Jamie soll fortan bei den Clowns leben und mit ihnen auftreten. Doch was das wirklich bedeutet, begreift Jamie erst, als er zum ersten Mal die Schminke anlegt und in sein Clownskostüm schlüpft: Jamie verwandelt sich in einen vollkommen anderen Menschen – den gehässigen, bösen Clown JJ.

Jamies Leben dreht sich fortan um ein rätselhaftes Pulver, das ihm jeden Wunsch erfüllen kann und das Leben auch der anderen Akteure im Pilo-Zirkus bestimmt. Auch Jamie droht dem Pulver zu verfallen, doch wird er den Zirkus dann jemals wieder verlassen können? Um dem Zirkus zu entrinnen, muss Jamie zuerst einmal seinen ärgsten Widersacher bezwingen: sein eigenes dunkles Ich …

Will Elliott präsentiert dem Leser/Hörer mit „Hölle“ seine ganz eigene Mischung aus Thriller, Horror und schwarzem Humor. Man fragt sich lange Zeit, was real ist und was nicht. Doch Jamie ist nicht der Einzige, der Bekanntschaft mit den Clowns macht. Auch sein Mitbewohner Steve bekommt Besuch von ihnen und muss sie fortan ebenfalls fürchten. Dabei liegt es gewissermaßen nahe, dass das Auftauchen der Clowns vielleicht auch nur Einbildung ist. Jamie und Steve wohnen in etwas unübersichtlichen Verhältnissen. Drogen spielen dabei anscheinend eine entscheidende Rolle, und dass in Jamies WG Junkies ein- und ausgehen, ist nicht Ungewöhnliches.

Dass man zunächst auf das Thema Persönlichkeitsspaltung tippt, ist also nicht ganz abwegig, wenngleich Elliott seine Geschichte mit einer Prise Mystery würzt, die zeigt, dass die Lösung eben auch in einer ganz anderen Richtung liegen kann. Der Pilo-Zirkus ist eine völlig eigenständige Welt, die aber auch stets von Menschen aus unserer Realität besucht wird. Anscheinend gibt es Portale, durch die Menschen auf das Zirkusgelände gelangen, ohne selbst zu bemerken, dass sie sich in einer völlig anderen Wirklichkeit befinden.

Und so offenbart Elliott dem Leser/Hörer das Rätsel, das sich hinter dem Pilo-Zirkus verbirgt, eben nicht ganz direkt. Man fragt sich bis zum Schluss, wie man die Geschichte interpretieren soll, ob es da überhaupt etwas zu interpretieren gibt oder ob man die mysteriöse Art des Romans nicht einfach so hinnehmen sollte.

Die Spaltung der Hauptfigur in den netten Jamie und den bösartigen JJ besitzt auf jeden Fall ihren Reiz, und der besteht eben nicht allein im Aufeinandertreffen dieser gegenteiligen Charaktere in einer Figur, sondern vor allem in dem Kampf um die Oberhand, den sich die beiden liefern. Jeder will den anderen dominieren und ihm seinen Willen aufzwingen. Während Jamie nach einer Möglichkeit sucht, dem Zirkus zu entrinnen und all die bösen Taten JJs zu verhindern, versucht sein innerer Kontrahent JJ genau das Gegenteil. Daraus ergibt sich ein höchst spannendes Psychoduell mit äußerst ungewissem Ausgang.

Ein weiterer Reiz der Geschichte liegt in der Skurrilität des Handlungsortes. Die in sich abgeschlossene Welt des Pilo-Zirkus bietet Platz für allerhand eigenartige Typen. Da wären allen voran Jamies Clownkollegen. Chef der Clowntruppe ist der herrische Gonco. Dann gibt es da noch den alten Clown Winston, den masochistisch veranlagten Ruffshot, und die beiden etwas zurückgebliebenen Brüder Doopie und Goshi. Vor allem Goshi, der ein höchst inniges und geradezu intimes Verhältnis zu einer Zimmerpflanze hegt, ist eine der skurrilsten Figuren im Zirkus.

Begleitet wird das Ganze von einer surrealen und düsteren Grundstimmung. Man merkt schnell, dass dem Zirkus etwas grundsätzlich Böses innewohnt, und so nimmt die Geschichte mit der Zeit auch ziemliche blutrünstige Züge an. Das verdeutlicht auch die Verwandlung, die Jamie jedes Mal durchläuft, wenn er die Schminke aufträgt und zum bösen JJ wird. Auch die beiden Zirkus-Chefs Kurt und George Pilo mit ihrer Dauerfehde strahlen etwas durchweg Durchtriebenes und Böses aus.

Und so wird „Hölle“ dominiert von einer dichten und gleichermaßen düsteren Atmosphäre, die von dem kontinuierlich aufwärts strebenden Spannungsbogen des Plots zusätzlich unterstrichen wird. Je weiter die Geschichte voranschreitet, desto tiefer taucht man in den Plot ein, und das bunte Treiben im Pilo-Zirkus wird zu feinstem Kopfkino.

Dass dem so ist, liegt sicherlich auch an der unerwartet vielseitigen Vortragsweise von Oliver Rohrbeck. Zugegeben, ich hätte ihm eine dermaßen vielgestaltige Stimme kaum zugetraut, so markant haftet er mir als Synchronsprecher von Ben Stiller und als Justus Jonas von den |Drei ???| im Kopf. Aber gerade die skurrilen Figuren und die düsteren Seiten des Zirkus‘ verkörpert Oliver Rohrbeck sehr gekonnt. Die Bösartigkeit der Pilo-Brüder, die schrägen Charakterzüge von Doopie und Goshi – all das füllt Oliver Rohrbeck gekonnt mit Leben.

Unterm Strich kann man also festhalten, dass der Start der |Lauscherlounge| in Hörbuchgefilde durchaus geglückt ist. Mit Will Elliotts „Hölle“ fiel die Wahl auf einen spannenden und schrägen Thriller, der nicht zuletzt auch dank Oliver Rohrbecks gelungener Vortragsweise für ein äußerst kurzweiliges Hörvergnügen sorgt.

|Originaltitel: The Pilo Family Circus
Aus dem Englischen von Birgit Reß-Bohusch
ISBN-13: 978-3-7857-3322-6
Buchausgabe bei Piper: 387 Seiten, ISBN-13: 978-3-492-70159-4|
[www.lauscherlounge.de]http://www.lauscherlounge.de/
[www.luebbe-audio.de]http://www.luebbe-audio.de
[www.piper-verlag.de]http://www.piper-verlag.de

Nadel, Barbara – Tod am Bosporus

Das Lob im Klappentext, das Inspektor Íkmen als „Brunetti von Istanbul“ umschreibt, und der Vergleich von Barbara Nadel mit Krimigrößen wie Donna Leon wecken die Neugierde. Istanbul ist im abgegrasten Krimigenre immer noch einer der exotischeren Schauplätze, und bereits das ist Grund genug, einmal einen Inspektor-Íkmen-Krimi genauer unter die Lupe zu nehmen.

„Tod am Bosporus“ ist bereits der siebte Fall für Inspektor Íkmen und noch dazu einer, der sich als besonders knifflig erweist. In Istanbul sterben einige Jugendliche unter mysteriösen Umständen. Allesamt waren sie Mitglieder der Istanbuler Gothic-Szene. Und allesamt scheinen sie in seltsamen Ritualen umgekommen zu sein. Íkmen und seine Kollegen gehen Hinweisen aus dem Internet nach, und auch die Stieftochter seines Kollegen Mehmet Süleyman kennt sich in der Szene aus und kann den Ermittlern ein wenig auf die Sprünge helfen.

Doch sind die Istanbuler Gothics nur eine harmlose Modeerscheinung oder haben sie etwas mit den Morden zu tun? Ist der Täter einer der Ihren und vollzieht er womöglich satanistische Rituale? Als dann auch noch satanistische Schmierereien an Kirchen auftauchen, kann Max, ein englischer Magier, der seit Jahren in Istanbul lebt und den Süleyman und Íkmen schon lange kennen, etwas Licht ins Dunkel bringen. Doch dann verschwindet der Engländer plötzlich spurlos und die Wände seines Arbeitszimmers sind mit Blut bespritzt …

Istanbul als Schnittpunkt zwischen Orient und Okzident ist für sich genommen schon ein interessanter und geschichtsträchtiger Schauplatz. Barbara Nadel präsentiert vor diesem Hintergrund einen Plot, der gespickt ist mit Magiern und Zigeunern und immer wieder Bezug nimmt auf die reichhaltige kulturelle Geschichte der Stadt. Istanbul ist eine Stadt mit vielen Kontrasten und unterschiedlichsten Einflüssen – muslimisch, kurdisch, westlich.

Daraus entsteht eine im Grunde interessante Mischung, die aber leider keine ganz so intensive Atmosphäre entstehen lässt, wie man anfangs hoffen mag. Das Potenzial der Geschichte und des Handlungsortes sind groß, und Barbara Nadel beweist auch, dass sie sich in Istanbul gut auskennt (schließlich hat die Engländerin die Stadt zu ihrer Wahlheimat erklärt), dennoch vermag sie ihre Kenntnisse nicht hundertprozentig in eine atmosphärische Dichte umzusetzen.

Nadel lässt sich viel Zeit damit, den Plot aufzubauen. Sie widmet sich ausgiebig ihren Protagonisten, allen voran Çetin Íkmen und seiner Familie und seinem Kollegen Mehmet Süleyman, der aufgrund eines noch ausstehenden HIV-Testergebnisses seine ganz eigenen Probleme hat. Süleyman ist ganz der südländische Cassanova, der sich dummerweise ohne Kondom mit einer HIV-positiven russischen Prostituierten eingelassen hat und dem infolgedessen die Frau weggelaufen ist.

Ganz allgemein sind Nadels Protagonisten recht ambivalent, was sehr positiv zu beeindrucken vermag. Sie sind nicht die strahlenden Helden. Jeder hat seine ganz eigenen Macken und Fehler, und auch Gesetzesverstöße unterlaufen da schon mal. So legt Nadel ihren Charakteren eben keine plakative Schwarz-Weiß-Skizzierung zugrunde, und das ist einer der Vorzüge von „Tod am Bosporus“.

Der Plot an sich ist durchaus spannend erzählt, hätte aber ein wenig Straffung vertragen. Die Laufzeit des Hörbuches liegt bei knapp zwölf Stunden – für einen Krimi ist das schon sehr lang. Gerade am Ende, wenn der eigentliche Showdown vorbei ist, zieht sich der Roman weiter in die Länge. Zwar tut die belletristische Herangehensweise mit ausgiebiger Figurenskizzierung den meisten Romanen dieser Art durchaus gut, aber in diesem Fall hätte ich mir zugunsten der Spannung dann doch gewünscht, dass Nadel ihre Geschichte hier und da etwas kompakter und gradliniger abgefasst hätte.

Gerade der Genuss des Hörbuches braucht einige Zeit zum Einhören. Am Anfang hat man schon ein wenig Schwierigkeiten damit, sich in dem Wirrwarr der vielen türkischen Namen wiederzufinden, und bis man im Geiste alles sortiert und eingeordnet hat, vergeht einige Zeit.

Was leider ebenfalls wenig überzeugt, ist die Sprecherin Birgit Becker. Sie liest sehr langsam und dabei zwar stets sehr schön deutlich und verständlich, aber leider auch zu eintönig und mit wenig Satzmelodie. Auch mit der Akzentuierung von Emotionen hat sie so ihre Schwierigkeiten, und Dialoge lassen sich durch die stets sehr gleich klingende Stimme nicht immer gut nachvollziehen. Und so wird das fast zwölfstündige Hörbuch dann doch etwas fade und leblos. Schade eigentlich, denn inhaltlich gestrafft und durch gelegentliche Einspielung stimmiger Hintergrundmusik hätte man ein atmosphärisch dichtes Hörbuch aus der Geschichte machen können.

Lobenswert ist wie so oft bei |Radioropa Hörbuch| die technisches Umsetzung. „Tod am Bosporus“ liegt in Form von zehn Audio-CDs und einer mp3-CD vor. So bleibt einem für den mobilen Hörgenuss mit dem mp3-Player ein zeitraubendes Einlesen der Audio-CDs erspart. Das dürfen andere Hörbuchverlage sich gerne abschauen.

Bleibt unterm Strich also ein eher schwacher Eindruck zurück. Mit Inspektor Íkmen kann Barbara Nadel zwar einen sympathischen Protagonisten aufbieten und mit Istanbul hat sie sich auch einen interessanten Schauplatz herausgesucht, dennoch mangelt es „Tod am Bosporus“ hie und da immer wieder an Dichte und Spannung. Diesen Eindruck unterstreicht auch die etwas fade Sprecherleistung von Birgit Becker. Und so kann Íkmen am Ende als „Brunetti von Istanbul“ leider noch nicht so ganz überzeugen.

|Laufzeit: 11:57 Stunden
10 Audio-CDs + 1 Bonus-CD im mp3-Format
Buchausgabe bei List: März 2006, Broschur im Juli 2007|
http://www.hoerbuchnetz.de/

Husmann, Ralf – Nicht mein Tag

Ralf Husmanns berufliche Vita liest sich wie eine Garantie für feinsten Unterhaltungsgenuss: Chefredakteur und Produzent für die |Harald Schmidt Show|, für |ANKE| und |Rent a Pocher| und obendrein Autor von |Stromberg| und |Dr. Psycho|. Wenn ein Mann wie Ralf Husmann dann einen Roman schreibt, kann das doch eigentlich nur gut werden. Wenn ein Mann wie Christoph Maria Herbst dann auch noch das Hörbuch liest, erst recht.

„Nicht mein Tag“ erzählt die Geschichte von Till Reiners, Bankangestellter, Seitenscheitelträger mit beigen Leinenhosen und nicht minder beigem Leben – absolut mittelmäßig und langweilig. Till lebt mit Frau und Sohn in Osthofen |ein Leben wie eine „Tatort“-Folge: ziemlich deutsch, mäßig spannend, mit wenig Sex, und man ahnt nach der Hälfte, wie es aus geht.|

Doch das alles ändert sich auf einen Schlag, als plötzlich Nappo in Tills Leben tritt. Als Nappo bei einem Überfall auf die Dresdner-Bank-Filiale, in der Till arbeitet, die Nerven verliert, nimmt er erst einmal Till als Geisel und dessen Subaru mit Sonnendach als Fluchtwagen. Doch Nappo ist halt nicht sehr routiniert im Umgang mit Geiseln, genauso wie Till noch etwas unbedarft im Umgang mit geiselnehmenden Bankräubern ist, und so entwickelt die Geschichte ein recht sonderbares Eigenleben …

„Nicht mein Tag“ weckt gleich auf den ersten Blick Erinnerungen an die Romane von Tommy Jaud. Ein ähnlicher Humor, ein Autor mit einem ähnlichen Hintergrund – da darf man zu Recht darauf hoffen, seine Lachmuskeln zu strapazieren. Till Reiners könnte auch einem Tommy-Jaud-Roman entsprungen sein. Auf den ersten Blick würde er sich wunderbar einreihen, neben Tommy Jauds Protagonisten Simon Peters und Pitschi Greulich.

Mit viel Wortwitz bugsiert Ralf Husmann seinen Helden durch seinen langweiligen Alltag und sorgt damit für so manchen Schmunzler. Till Reiners ist der klassische Typ, der im Restaurant immer von der Kellnerin übersehen wird: unscheinbar und uncool. Ein Typ, der in der Masse verschwindet und bislang gerade auch über seine Durchschnittlichkeit ganz glücklich war – bis sein Abenteuer mit Nappo beginnt. Till entwickelt seine ganz spezielle Art von Stockholm-Syndrom, und auch seine medienfixierte Kollegin Jessica heizt die Verwirrung rund um Tills Rolle als Geisel noch weiter an.

Als Nappo und Till dann im Fluchtwagen auf dem Weg aus der Stadt sind, fragt man sich, was eigentlich noch drei weitere CDs lang passieren soll, denn schließlich ist klar, dass Nappo früher oder später erwischt wird. Doch bis dahin passiert noch eine ganze Menge, das auch Till sich im Nachhinein nicht so ganz erklären kann.

Kennt man schon die Tommy-Jaud-Romane, so läuft man Gefahr, etwas zu hohe Erwartungen in „Nicht mein Tag“ zu stecken, denn die Ausgangssituation ist nun mal ähnlich: ähnlicher Humor, ähnliche Geschichte und obendrein noch der gleiche Sprecher wie bei der Vertonung der Tommy-Jaud-Bücher.

Schon bei Tommy Jaud hat die kongeniale Vortragsweise von Christoph Maria Herbst so manchen schmerzhaften Lachanfall verursacht. Er versteht es auf besondere Art, die komische Seite der Figuren herauszukehren, verpasst jeder von ihnen ihre eigene charakteristische Stimme und lässt die Hörbücher zu einem rundum unterhaltsamen Spaß werden. Das ist auch bei „Nicht mein Tag“ der Fall; auch hier ist es wieder im Speziellen Christoph Maria Herbst, der den besonderen Hörgenuss ausmacht.

Als Buch hätte „Nicht mein Tag“ mir vermutlich längst nicht so gut gefallen wie als Lesung. Dafür driftet der Humor hier und da dann doch zu sehr in Richtung Klamauk ab (ich erinnere hier mal nur an das ständige Gefurze von Till Reiners Bankkollegen Herrn Walter). Und auch die Entwicklung des Protagonisten gelingt Husmann nicht ganz so rund und glaubwürdig, wie es – um bei dem Vergleich zu bleiben – einem Tommy Jaud mit seiner „Resturlaub“-Figur Pitschi Greulich geglückt ist. Sicherlich wäre „Nicht mein Tag“ auch noch etwas witziger gewesen, wenn die Geschichte etwas straffer und komprimierter erzählt worden wäre. So fragt man sich zwischendurch halt doch immer mal wieder, was denn da eigentlich noch alles passieren soll. Natürlich läuft so ein Plot auch nicht ganz ohne klischeebehaftete Figuren ab, aber das gehört zur Comedy im Prinzip ja auch dazu.

Dass „Nicht mein Tag“ dennoch ein kurzweiliges Hörvergnügen ist, haben wir also in erster Linie Christoph Maria Herbst zu verdanken. Er trifft wieder einmal den richtigen Ton, lässt den völlig überforderten Till Reiners eingeschüchtert herumstammeln und Nappo schön prollig daherfluchen. Die großen Lachanfälle, wie ich sie noch bei den Tommy-Jaud-Romanen hatte (vor allem bei „Resturlaub“), bleiben bei „Nicht mein Tag“ zwar größtenteils aus, aber Husmann beweist dennoch einen feinsinnigen Wortwitz und ein unterhaltsames, ironisches Understatement.

Alles in allem liegt hier also ein Hörbuch vor, das man in erster Linie wirklich explizit als Lesung weiterempfehlen möchte. Der Humor ist ähnlich gelagert wie bei Tommy Jaud, wenngleich selbiger unerreicht bleibt. Christoph Maria Herbst unterstreicht erneut seine Qualitäten als kongenialer Sprecher des humorbetonten Hörbuchs und sorgt dafür, dass „Nicht mein Tag“ trotz einzelner Schwächen doch noch zu einem sehr unterhaltsamen Hörgenuss wird.

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Read, Cornelia – Schneeweißchen und Rosentot

Wer Lesestoff ein wenig abseits ausgelatschter Krimipfade sucht, der sollte einen näheren Blick auf Cornelia Reads Debütroman „Schneeweißchen und Rosentot“ werfen. Mit Madeline Dare hat Read eine eher ungewöhnliche Krimiheldin geschaffen, die ihren Fall erfrischend anders löst:

Madeline Dare ist eine Tochter aus ehemals gut betuchtem, alteingesessenem New Yorker Hause. Vom Glanz und Reichtum vergangener Tage ist in großen Teilen der Familie nur noch wenig übrig geblieben, auch wenn man gerne noch den Anschein wahren möchte. Zu ihrem eigenen Leidwesen lebt Madeline aber nicht mehr in New York, sondern ist ihrem Mann in das ländliche, langweilige Syracuse gefolgt. Während Ehemann Dean oft wochenlang in Kanada als Schienenschleifer arbeitet, schreibt Madeline für die „leichten“ Seiten der örtlichen Lokalzeitung Rezepttipps, Buchkritiken und Reiseempfehlungen.

In Syracuse passiert nicht viel Spektakuläres, und so berichtet man in Deans Familie immer wieder gerne von den Leichen zweier junger Mädchen, die vor neunzehn Jahren hier gefunden wurden. Der Fall wurde niemals gelöst. Stolz wird Madeline dann eines Tages bei einer gemütlichen Familienzusammenkunft auf der Farm von Deans Eltern ein Beweisstück präsentiert, von dem die Polizei nichts weiß. Madeline klappt bei dem Anblick die Kinnlade herunter, schließlich kann sie das Beweisstück ganz eindeutig ihrem Lieblingscousin Lapthorne zuordnen.

Und so ist Madelines Neugier entfacht. Sie muss unbedingt herausfinden, ob Lapthorne etwas mit den Morden zu tun hat, sonst hat sie keine ruhige Minute mehr. Sie fängt an, ein wenig nachzuforschen und Informationen zusammenzutragen. Doch offenbar macht sie das nicht unauffällig genug, denn plötzlich gibt es eine weitere Leiche. Obendrein offenbart sich ein beängstigender Zusammenhang zwischen den Morden: Alle Opfer werden wie Illustrationen zu bekannten Märchen inszeniert …

Wie eingangs bereits erwähnt, ist „Schneeweißchen und Rosentot“ kein Krimi von der Stange. Der Roman hat eine ausgeprägte belletristische Ader; der Krimiplot kommt erst ganz gemächlich in Fahrt, denn Read widmet sich erst einmal ausgiebig der Hauptfigur Madeline und ihren Lebensumständen. Bis die neunzehn Jahre zurückliegenden Morde überhaupt zu einem akuten Thema werden und Madeline ernsthafte Nachforschungen anstellt, dauert es eine ganze Weile.

Dass dennoch keine Langeweile aufkommt, ist vor allem Cornelia Reads unterhaltsamem Erzählstil zu verdanken. Sie erzählt ganz locker drauflos und offenbart dabei einen wunderbar trockenen Humor, der auch jene Passagen, die ohne viel Krimispannung auskommen müssen, unterhaltsam gestaltet.

Der Reiz der Geschichte liegt obendrein darin, dass Madeline eher zufällig in die ganze Sache hineinschliddert. Sie will gar keinen Mord aufklären und ist alles andere als eine knallharte, abgebrühte Investigativjournalistin. Alles, was sie will, ist die Gewissheit, dass ihr Lieblingscousin kein Mörder ist.

Dass ihr die Ermittlungen dann im weiteren Verlauf keine Ruhe mehr lassen und sie den Fall nun doch aufklären will, wird ihr teilweise selbst ein bisschen unheimlich. Doch da macht sich auch der Druck ihres Chefs bemerkbar, der mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen würde, dass Madeline nicht abgebrüht genug dafür ist, diese Geschichte bis zum Ende zu verfolgen. Und so bleibt Madeline doch am Ball. Unverhoffte Unterstützung bekommt sie dabei von ihrer alten Freundin Ellis. Und so schlingern die beiden als etwas chaotisches Ermittlerduo durch den Fall und sorgen schon durch ihre Art, die Sache anzupacken, für einige Spannung.

Es dauert zwar eine Weile, aber dafür entwickelt „Schneeweißchen und Rosentot“ sich dann im weiteren Verlauf umso spannender. Der Plot nimmt an Fahrt auf, Hinweise werden ausgestreut und der Leser kann miträtseln, wer hinter den Morden steckt. Das Ganze gipfelt in einem rasanten, nervenaufreibenden Finale, das man anfangs kaum für möglich gehalten hätte.

Protagonistin Madeline bringt man recht schnell Sympathien entgegen. Obwohl sie aus gutem Hause abstammt, ist sie überraschend bodenständig. Sie fühlt sich im eher provinziellen Syracuse zwar nicht besonders wohl, findet sich aber aus Liebe zum ihrem Mann Dean damit ab – zumindest solange Aussicht auf einen in nicht all zu ferner Zukunft anstehenden Ortswechsel besteht.

Dean stammt aus einfachen Verhältnissen. Seine Familie bewirtschaftet eine Farm, auf der Dean immer mal wieder aushilft und wo auch Madeline daher häufiger zu Besuch ist. Das scheint der alteingesessenen New Yorkerin aus guten Hause aber sympathischerweise eher wenig Bauchschmerzen zu verursachen. Ihre Herkunft spielt in ihrem gegenwärtigen Alltag kaum eine Rolle, und mit dem Upper-Class-Gehabe, das viele ihrer Verwandten an den Tag legen, kann sie eher wenig anfangen. Und so kann Madeline eben auf der Sympathieskala punkten.

Unterm Strich ist Cornelia Read mit „Schneeweißchen und Rosentot“ also ein außerordentlich vielversprechendes Debüt geglückt. Sie weiß mit einer sympathischen Protagonistin zu überzeugen und legt einen lockeren Schreibstil voll trockenen Humors an den Tag. Der Krimiplot kommt zwar aufgrund der ausgeprägten belletristischen Ader des Romans eher gemächlich in Gang, aber das mindert keinesfalls das Lesevergnügen. Der sich im Laufe des Romans entfaltende Krimiplot ist gut komponiert und entwickelt eine Spannung, die man in Anbetracht des eher gemütlich Starts kaum für möglich halten mag. Alles in allem ein erfrischender Krimispaß, der Lust auf weitere Bücher von Cornelia Read macht.

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Menger, Ivar Leon / Rönfeldt, Jan-David – DODO – Teil 1: Dodos Rückkehr

Schon der Trailer zu „DODO“ hört sich äußerst vielversprechend an. Angepriesen wird ein Fantasy-Sci-Fi-Märchen-Hörspiel, das mit einer Riege hochkarätiger Sprecher und einer großen Portion Humor aufwarten kann. Eine Genre-Persiflage, die dennoch spannend und unterhaltsam sein soll – und das, obwohl Hauptfigur Dodo eigentlich ein absoluter Langweiler ist.

Dodo wohnt bei seiner Omi und ist ein herzensguter Kerl. Nach dem Motto „Jeden Tag eine gute Tat“ greift er seiner Omi in allen Belangen des Alltags unter die Arme. Jeden Montag hilft er ihr mit der Wäsche, jeden Freitag mäht er ihr den Rasen und am Samstag wird der Hof gekehrt. Zur Belohnung gibt es dann Omis frisch aufgebrühten Brennnessel-Tee.

Das alles ändert sich, als Dodo eines Freitags beim Rasenmähen von einem mysteriösen Anrufer gestört wird, der ihm einen Job anbietet. Er soll einen verschwundenen Löffel wiederbeschaffen und bei Erfolg mit einer 5.000-Euro-Sofortrente belohnt werden. Dodo fühlt sich erst einmal veräppelt, aber dem Anrufer ist die Sache ernst. Und so startet Dodo in ein völlig unverhofftes Abenteuer …

„DODO – Teil 1: Dodos Rückkehr“ offenbart sich gleich von Beginn an als höchst skurriles Hörspiel. Nicht ganz umsonst ziert das Cover ein „FSK“-Sticker, der „DODO“ |ab 6 Jahren oder 2 Promille| freigibt. Ganz so schlimm ist es freilich nicht. „DODO“ macht durchaus auch in nüchternem Zustand Spaß, aber wer so gar nichts für Klamauk übrig hat, der ist mit den 2 Promille dann vielleicht doch besser bedient.

„DODO“ ist ein Sammelsurium schräger Einfälle. Da wäre zum Beispiel Strom-Tom, Dodos eigentümlicher Assistent, der sich die ganze Zeit über in Dodos Magen befindet, von dort allerhand bissige Kommentare loslässt und Dodo im Bedarfsfall auch schon mal mittels Stromschlag „motiviert“. Zusammen mit Strom-Tom macht Dodo sich also auf zur Grenze, hinter der Dodo den sonderbaren Löffel finden soll. Hinter der Grenze stößt Dodo auf ein fantastisches Land, ein Paradies namens Lichtwiese, wo er das Mädchen Elenor kennenlernt.

Das alles offenbart sich als skurriler Mix aus Science-Fiction-Geschichte und Fantasy-Märchen und dürfte sowohl Kindern Spaß machen als auch Erwachsenen, die noch irgendwo eine verborgene kindliche Ader in sich tragen. Es ist schon ein sehr kindlicher Humor, der bei „DODO“ dominiert, und das wird manch einen sicherlich abschrecken, weil er die Gags zu billig und klamaukig findet. Die Macher nehmen halt sich selbst auch nicht all zu ernst. Man merkt, dass das Team, das hinter „DODO“ steckt (unter anderem Oliver Rohrbeck), selbst Spaß an der Sache hat. Um das zu wissen, muss man nur den Trailer hören.

Die Art, wie Autor Ivar Leon Menger all die skurrilen Einfälle und die subtilen Gags zu einer Geschichte zusammenfügt, ist trotz des Hangs zum Klamauk durchaus überzeugend. Im Laufe der Handlung wird gar eine gewisse Spannung aufgebaut, die vor allem auch durch die hervorragende Inszenierung und die guten Sprecherleistungen (allen voran Dodo-Sprecher Andreas Fröhlich) unterstrichen wird. Da hat man von Ivar Leon Menger schon weiß Gott Schlechteres gehört – ich erinnere hier nur an „Hotel Luxury End“, den Mitrate-Fall der „Übergangs-Drei-???-Vertretung“ |Die Dr3i|.

„Dodos Rückkehr“ schafft eine durchaus interessante Ausgangssituation für die weitere Serie. Der Held wird positioniert, der grundlegende Plot aufgebaut und es deutet sich schon an, dass es für unseren Langweiler Dodo in den nächsten Folgen noch recht turbulent werden könnte. Dann erfahren wir sicherlich auch, was sich hinter den bereits auf dem Cover erwähnten |fiesen Klammermutschkas| verbirgt …

Kurzum, „DODO – Teil 1: Dodos Rückkehr“ offenbart ein kurzweiliges Hörvergnügen, das wieder einmal beweist, dass die Hörspielmacher von der |Lauscherlounge| ihr Handwerk verstehen. „DODO“ ist liebevoll produziert und hervorragend inszeniert. Wer sich auch mal auf einen Plot mit Hang zum Klamauk einlassen kann und nicht immer alles ganz ernst nimmt, dem dürfte „DODO“ gewiss einigen Spaß bereiten. Ein erfrischendes Hörvergnügen nicht nur für Kinderohren. Man darf sicherlich gespannt sein, wie die Serie sich weiterhin entwickeln wird.

Die Website zur Hörspiel-Reihe:
[www.dodo-dieserie.de.]http://www.dodo-dieserie.de

http://www.lauscherlounge.de/