Was der Australier Will Elliott mit „Hölle“ abgeliefert hat, ist ein rundum erfolgreiches Debüt. Er gewann auf Anhieb einen der wichtigsten australischen Literaturpreise. Was folgte, war die Nominierung für den |International Horror Guild Award| und die Übersetzung in fünf Sprachen. „Hölle“ erzählt eine höchst eigenwillige und abgefahrene Geschichte und ist für die sonst eher auf Hörspiele fixierte |Lauscherlounge| die erste Hörbuchproduktion im klassischen Sinne.
Eines Nachts fährt Jamie beinahe einen Clown über den Haufen. Aus dem Nichts taucht die Gestalt auf. In der Nacht darauf beobachtet Jamie zwei weitere Clowns, die sich höchst eigentümlich verhalten. Als Jamie dann etwas an sich nimmt, das einer der Clowns wegwirft, ist plötzlich nichts mehr, wie es war. Jamie erhält unheimliche Drohungen, seine Wohnung wird vollkommen verwüstet und ein paar Kerle in Clownskostümen machen Jagd auf ihn.
Die Clowns bringen Jamie schließlich in den Pilo-Zirkus, einen bizarren Rummelplatz voller Freaks, Wahrsager, Magier und Akrobaten. Jamie soll fortan bei den Clowns leben und mit ihnen auftreten. Doch was das wirklich bedeutet, begreift Jamie erst, als er zum ersten Mal die Schminke anlegt und in sein Clownskostüm schlüpft: Jamie verwandelt sich in einen vollkommen anderen Menschen – den gehässigen, bösen Clown JJ.
Jamies Leben dreht sich fortan um ein rätselhaftes Pulver, das ihm jeden Wunsch erfüllen kann und das Leben auch der anderen Akteure im Pilo-Zirkus bestimmt. Auch Jamie droht dem Pulver zu verfallen, doch wird er den Zirkus dann jemals wieder verlassen können? Um dem Zirkus zu entrinnen, muss Jamie zuerst einmal seinen ärgsten Widersacher bezwingen: sein eigenes dunkles Ich …
Will Elliott präsentiert dem Leser/Hörer mit „Hölle“ seine ganz eigene Mischung aus Thriller, Horror und schwarzem Humor. Man fragt sich lange Zeit, was real ist und was nicht. Doch Jamie ist nicht der Einzige, der Bekanntschaft mit den Clowns macht. Auch sein Mitbewohner Steve bekommt Besuch von ihnen und muss sie fortan ebenfalls fürchten. Dabei liegt es gewissermaßen nahe, dass das Auftauchen der Clowns vielleicht auch nur Einbildung ist. Jamie und Steve wohnen in etwas unübersichtlichen Verhältnissen. Drogen spielen dabei anscheinend eine entscheidende Rolle, und dass in Jamies WG Junkies ein- und ausgehen, ist nicht Ungewöhnliches.
Dass man zunächst auf das Thema Persönlichkeitsspaltung tippt, ist also nicht ganz abwegig, wenngleich Elliott seine Geschichte mit einer Prise Mystery würzt, die zeigt, dass die Lösung eben auch in einer ganz anderen Richtung liegen kann. Der Pilo-Zirkus ist eine völlig eigenständige Welt, die aber auch stets von Menschen aus unserer Realität besucht wird. Anscheinend gibt es Portale, durch die Menschen auf das Zirkusgelände gelangen, ohne selbst zu bemerken, dass sie sich in einer völlig anderen Wirklichkeit befinden.
Und so offenbart Elliott dem Leser/Hörer das Rätsel, das sich hinter dem Pilo-Zirkus verbirgt, eben nicht ganz direkt. Man fragt sich bis zum Schluss, wie man die Geschichte interpretieren soll, ob es da überhaupt etwas zu interpretieren gibt oder ob man die mysteriöse Art des Romans nicht einfach so hinnehmen sollte.
Die Spaltung der Hauptfigur in den netten Jamie und den bösartigen JJ besitzt auf jeden Fall ihren Reiz, und der besteht eben nicht allein im Aufeinandertreffen dieser gegenteiligen Charaktere in einer Figur, sondern vor allem in dem Kampf um die Oberhand, den sich die beiden liefern. Jeder will den anderen dominieren und ihm seinen Willen aufzwingen. Während Jamie nach einer Möglichkeit sucht, dem Zirkus zu entrinnen und all die bösen Taten JJs zu verhindern, versucht sein innerer Kontrahent JJ genau das Gegenteil. Daraus ergibt sich ein höchst spannendes Psychoduell mit äußerst ungewissem Ausgang.
Ein weiterer Reiz der Geschichte liegt in der Skurrilität des Handlungsortes. Die in sich abgeschlossene Welt des Pilo-Zirkus bietet Platz für allerhand eigenartige Typen. Da wären allen voran Jamies Clownkollegen. Chef der Clowntruppe ist der herrische Gonco. Dann gibt es da noch den alten Clown Winston, den masochistisch veranlagten Ruffshot, und die beiden etwas zurückgebliebenen Brüder Doopie und Goshi. Vor allem Goshi, der ein höchst inniges und geradezu intimes Verhältnis zu einer Zimmerpflanze hegt, ist eine der skurrilsten Figuren im Zirkus.
Begleitet wird das Ganze von einer surrealen und düsteren Grundstimmung. Man merkt schnell, dass dem Zirkus etwas grundsätzlich Böses innewohnt, und so nimmt die Geschichte mit der Zeit auch ziemliche blutrünstige Züge an. Das verdeutlicht auch die Verwandlung, die Jamie jedes Mal durchläuft, wenn er die Schminke aufträgt und zum bösen JJ wird. Auch die beiden Zirkus-Chefs Kurt und George Pilo mit ihrer Dauerfehde strahlen etwas durchweg Durchtriebenes und Böses aus.
Und so wird „Hölle“ dominiert von einer dichten und gleichermaßen düsteren Atmosphäre, die von dem kontinuierlich aufwärts strebenden Spannungsbogen des Plots zusätzlich unterstrichen wird. Je weiter die Geschichte voranschreitet, desto tiefer taucht man in den Plot ein, und das bunte Treiben im Pilo-Zirkus wird zu feinstem Kopfkino.
Dass dem so ist, liegt sicherlich auch an der unerwartet vielseitigen Vortragsweise von Oliver Rohrbeck. Zugegeben, ich hätte ihm eine dermaßen vielgestaltige Stimme kaum zugetraut, so markant haftet er mir als Synchronsprecher von Ben Stiller und als Justus Jonas von den |Drei ???| im Kopf. Aber gerade die skurrilen Figuren und die düsteren Seiten des Zirkus‘ verkörpert Oliver Rohrbeck sehr gekonnt. Die Bösartigkeit der Pilo-Brüder, die schrägen Charakterzüge von Doopie und Goshi – all das füllt Oliver Rohrbeck gekonnt mit Leben.
Unterm Strich kann man also festhalten, dass der Start der |Lauscherlounge| in Hörbuchgefilde durchaus geglückt ist. Mit Will Elliotts „Hölle“ fiel die Wahl auf einen spannenden und schrägen Thriller, der nicht zuletzt auch dank Oliver Rohrbecks gelungener Vortragsweise für ein äußerst kurzweiliges Hörvergnügen sorgt.
|Originaltitel: The Pilo Family Circus
Aus dem Englischen von Birgit Reß-Bohusch
ISBN-13: 978-3-7857-3322-6
Buchausgabe bei Piper: 387 Seiten, ISBN-13: 978-3-492-70159-4|
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