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Elliott, Will – Hölle

Was der Australier Will Elliott mit „Hölle“ abgeliefert hat, ist ein rundum erfolgreiches Debüt. Er gewann auf Anhieb einen der wichtigsten australischen Literaturpreise. Was folgte, war die Nominierung für den |International Horror Guild Award| und die Übersetzung in fünf Sprachen. „Hölle“ erzählt eine höchst eigenwillige und abgefahrene Geschichte und ist für die sonst eher auf Hörspiele fixierte |Lauscherlounge| die erste Hörbuchproduktion im klassischen Sinne.

Eines Nachts fährt Jamie beinahe einen Clown über den Haufen. Aus dem Nichts taucht die Gestalt auf. In der Nacht darauf beobachtet Jamie zwei weitere Clowns, die sich höchst eigentümlich verhalten. Als Jamie dann etwas an sich nimmt, das einer der Clowns wegwirft, ist plötzlich nichts mehr, wie es war. Jamie erhält unheimliche Drohungen, seine Wohnung wird vollkommen verwüstet und ein paar Kerle in Clownskostümen machen Jagd auf ihn.

Die Clowns bringen Jamie schließlich in den Pilo-Zirkus, einen bizarren Rummelplatz voller Freaks, Wahrsager, Magier und Akrobaten. Jamie soll fortan bei den Clowns leben und mit ihnen auftreten. Doch was das wirklich bedeutet, begreift Jamie erst, als er zum ersten Mal die Schminke anlegt und in sein Clownskostüm schlüpft: Jamie verwandelt sich in einen vollkommen anderen Menschen – den gehässigen, bösen Clown JJ.

Jamies Leben dreht sich fortan um ein rätselhaftes Pulver, das ihm jeden Wunsch erfüllen kann und das Leben auch der anderen Akteure im Pilo-Zirkus bestimmt. Auch Jamie droht dem Pulver zu verfallen, doch wird er den Zirkus dann jemals wieder verlassen können? Um dem Zirkus zu entrinnen, muss Jamie zuerst einmal seinen ärgsten Widersacher bezwingen: sein eigenes dunkles Ich …

Will Elliott präsentiert dem Leser/Hörer mit „Hölle“ seine ganz eigene Mischung aus Thriller, Horror und schwarzem Humor. Man fragt sich lange Zeit, was real ist und was nicht. Doch Jamie ist nicht der Einzige, der Bekanntschaft mit den Clowns macht. Auch sein Mitbewohner Steve bekommt Besuch von ihnen und muss sie fortan ebenfalls fürchten. Dabei liegt es gewissermaßen nahe, dass das Auftauchen der Clowns vielleicht auch nur Einbildung ist. Jamie und Steve wohnen in etwas unübersichtlichen Verhältnissen. Drogen spielen dabei anscheinend eine entscheidende Rolle, und dass in Jamies WG Junkies ein- und ausgehen, ist nicht Ungewöhnliches.

Dass man zunächst auf das Thema Persönlichkeitsspaltung tippt, ist also nicht ganz abwegig, wenngleich Elliott seine Geschichte mit einer Prise Mystery würzt, die zeigt, dass die Lösung eben auch in einer ganz anderen Richtung liegen kann. Der Pilo-Zirkus ist eine völlig eigenständige Welt, die aber auch stets von Menschen aus unserer Realität besucht wird. Anscheinend gibt es Portale, durch die Menschen auf das Zirkusgelände gelangen, ohne selbst zu bemerken, dass sie sich in einer völlig anderen Wirklichkeit befinden.

Und so offenbart Elliott dem Leser/Hörer das Rätsel, das sich hinter dem Pilo-Zirkus verbirgt, eben nicht ganz direkt. Man fragt sich bis zum Schluss, wie man die Geschichte interpretieren soll, ob es da überhaupt etwas zu interpretieren gibt oder ob man die mysteriöse Art des Romans nicht einfach so hinnehmen sollte.

Die Spaltung der Hauptfigur in den netten Jamie und den bösartigen JJ besitzt auf jeden Fall ihren Reiz, und der besteht eben nicht allein im Aufeinandertreffen dieser gegenteiligen Charaktere in einer Figur, sondern vor allem in dem Kampf um die Oberhand, den sich die beiden liefern. Jeder will den anderen dominieren und ihm seinen Willen aufzwingen. Während Jamie nach einer Möglichkeit sucht, dem Zirkus zu entrinnen und all die bösen Taten JJs zu verhindern, versucht sein innerer Kontrahent JJ genau das Gegenteil. Daraus ergibt sich ein höchst spannendes Psychoduell mit äußerst ungewissem Ausgang.

Ein weiterer Reiz der Geschichte liegt in der Skurrilität des Handlungsortes. Die in sich abgeschlossene Welt des Pilo-Zirkus bietet Platz für allerhand eigenartige Typen. Da wären allen voran Jamies Clownkollegen. Chef der Clowntruppe ist der herrische Gonco. Dann gibt es da noch den alten Clown Winston, den masochistisch veranlagten Ruffshot, und die beiden etwas zurückgebliebenen Brüder Doopie und Goshi. Vor allem Goshi, der ein höchst inniges und geradezu intimes Verhältnis zu einer Zimmerpflanze hegt, ist eine der skurrilsten Figuren im Zirkus.

Begleitet wird das Ganze von einer surrealen und düsteren Grundstimmung. Man merkt schnell, dass dem Zirkus etwas grundsätzlich Böses innewohnt, und so nimmt die Geschichte mit der Zeit auch ziemliche blutrünstige Züge an. Das verdeutlicht auch die Verwandlung, die Jamie jedes Mal durchläuft, wenn er die Schminke aufträgt und zum bösen JJ wird. Auch die beiden Zirkus-Chefs Kurt und George Pilo mit ihrer Dauerfehde strahlen etwas durchweg Durchtriebenes und Böses aus.

Und so wird „Hölle“ dominiert von einer dichten und gleichermaßen düsteren Atmosphäre, die von dem kontinuierlich aufwärts strebenden Spannungsbogen des Plots zusätzlich unterstrichen wird. Je weiter die Geschichte voranschreitet, desto tiefer taucht man in den Plot ein, und das bunte Treiben im Pilo-Zirkus wird zu feinstem Kopfkino.

Dass dem so ist, liegt sicherlich auch an der unerwartet vielseitigen Vortragsweise von Oliver Rohrbeck. Zugegeben, ich hätte ihm eine dermaßen vielgestaltige Stimme kaum zugetraut, so markant haftet er mir als Synchronsprecher von Ben Stiller und als Justus Jonas von den |Drei ???| im Kopf. Aber gerade die skurrilen Figuren und die düsteren Seiten des Zirkus‘ verkörpert Oliver Rohrbeck sehr gekonnt. Die Bösartigkeit der Pilo-Brüder, die schrägen Charakterzüge von Doopie und Goshi – all das füllt Oliver Rohrbeck gekonnt mit Leben.

Unterm Strich kann man also festhalten, dass der Start der |Lauscherlounge| in Hörbuchgefilde durchaus geglückt ist. Mit Will Elliotts „Hölle“ fiel die Wahl auf einen spannenden und schrägen Thriller, der nicht zuletzt auch dank Oliver Rohrbecks gelungener Vortragsweise für ein äußerst kurzweiliges Hörvergnügen sorgt.

|Originaltitel: The Pilo Family Circus
Aus dem Englischen von Birgit Reß-Bohusch
ISBN-13: 978-3-7857-3322-6
Buchausgabe bei Piper: 387 Seiten, ISBN-13: 978-3-492-70159-4|
[www.lauscherlounge.de]http://www.lauscherlounge.de/
[www.luebbe-audio.de]http://www.luebbe-audio.de
[www.piper-verlag.de]http://www.piper-verlag.de

Nadel, Barbara – Tod am Bosporus

Das Lob im Klappentext, das Inspektor Íkmen als „Brunetti von Istanbul“ umschreibt, und der Vergleich von Barbara Nadel mit Krimigrößen wie Donna Leon wecken die Neugierde. Istanbul ist im abgegrasten Krimigenre immer noch einer der exotischeren Schauplätze, und bereits das ist Grund genug, einmal einen Inspektor-Íkmen-Krimi genauer unter die Lupe zu nehmen.

„Tod am Bosporus“ ist bereits der siebte Fall für Inspektor Íkmen und noch dazu einer, der sich als besonders knifflig erweist. In Istanbul sterben einige Jugendliche unter mysteriösen Umständen. Allesamt waren sie Mitglieder der Istanbuler Gothic-Szene. Und allesamt scheinen sie in seltsamen Ritualen umgekommen zu sein. Íkmen und seine Kollegen gehen Hinweisen aus dem Internet nach, und auch die Stieftochter seines Kollegen Mehmet Süleyman kennt sich in der Szene aus und kann den Ermittlern ein wenig auf die Sprünge helfen.

Doch sind die Istanbuler Gothics nur eine harmlose Modeerscheinung oder haben sie etwas mit den Morden zu tun? Ist der Täter einer der Ihren und vollzieht er womöglich satanistische Rituale? Als dann auch noch satanistische Schmierereien an Kirchen auftauchen, kann Max, ein englischer Magier, der seit Jahren in Istanbul lebt und den Süleyman und Íkmen schon lange kennen, etwas Licht ins Dunkel bringen. Doch dann verschwindet der Engländer plötzlich spurlos und die Wände seines Arbeitszimmers sind mit Blut bespritzt …

Istanbul als Schnittpunkt zwischen Orient und Okzident ist für sich genommen schon ein interessanter und geschichtsträchtiger Schauplatz. Barbara Nadel präsentiert vor diesem Hintergrund einen Plot, der gespickt ist mit Magiern und Zigeunern und immer wieder Bezug nimmt auf die reichhaltige kulturelle Geschichte der Stadt. Istanbul ist eine Stadt mit vielen Kontrasten und unterschiedlichsten Einflüssen – muslimisch, kurdisch, westlich.

Daraus entsteht eine im Grunde interessante Mischung, die aber leider keine ganz so intensive Atmosphäre entstehen lässt, wie man anfangs hoffen mag. Das Potenzial der Geschichte und des Handlungsortes sind groß, und Barbara Nadel beweist auch, dass sie sich in Istanbul gut auskennt (schließlich hat die Engländerin die Stadt zu ihrer Wahlheimat erklärt), dennoch vermag sie ihre Kenntnisse nicht hundertprozentig in eine atmosphärische Dichte umzusetzen.

Nadel lässt sich viel Zeit damit, den Plot aufzubauen. Sie widmet sich ausgiebig ihren Protagonisten, allen voran Çetin Íkmen und seiner Familie und seinem Kollegen Mehmet Süleyman, der aufgrund eines noch ausstehenden HIV-Testergebnisses seine ganz eigenen Probleme hat. Süleyman ist ganz der südländische Cassanova, der sich dummerweise ohne Kondom mit einer HIV-positiven russischen Prostituierten eingelassen hat und dem infolgedessen die Frau weggelaufen ist.

Ganz allgemein sind Nadels Protagonisten recht ambivalent, was sehr positiv zu beeindrucken vermag. Sie sind nicht die strahlenden Helden. Jeder hat seine ganz eigenen Macken und Fehler, und auch Gesetzesverstöße unterlaufen da schon mal. So legt Nadel ihren Charakteren eben keine plakative Schwarz-Weiß-Skizzierung zugrunde, und das ist einer der Vorzüge von „Tod am Bosporus“.

Der Plot an sich ist durchaus spannend erzählt, hätte aber ein wenig Straffung vertragen. Die Laufzeit des Hörbuches liegt bei knapp zwölf Stunden – für einen Krimi ist das schon sehr lang. Gerade am Ende, wenn der eigentliche Showdown vorbei ist, zieht sich der Roman weiter in die Länge. Zwar tut die belletristische Herangehensweise mit ausgiebiger Figurenskizzierung den meisten Romanen dieser Art durchaus gut, aber in diesem Fall hätte ich mir zugunsten der Spannung dann doch gewünscht, dass Nadel ihre Geschichte hier und da etwas kompakter und gradliniger abgefasst hätte.

Gerade der Genuss des Hörbuches braucht einige Zeit zum Einhören. Am Anfang hat man schon ein wenig Schwierigkeiten damit, sich in dem Wirrwarr der vielen türkischen Namen wiederzufinden, und bis man im Geiste alles sortiert und eingeordnet hat, vergeht einige Zeit.

Was leider ebenfalls wenig überzeugt, ist die Sprecherin Birgit Becker. Sie liest sehr langsam und dabei zwar stets sehr schön deutlich und verständlich, aber leider auch zu eintönig und mit wenig Satzmelodie. Auch mit der Akzentuierung von Emotionen hat sie so ihre Schwierigkeiten, und Dialoge lassen sich durch die stets sehr gleich klingende Stimme nicht immer gut nachvollziehen. Und so wird das fast zwölfstündige Hörbuch dann doch etwas fade und leblos. Schade eigentlich, denn inhaltlich gestrafft und durch gelegentliche Einspielung stimmiger Hintergrundmusik hätte man ein atmosphärisch dichtes Hörbuch aus der Geschichte machen können.

Lobenswert ist wie so oft bei |Radioropa Hörbuch| die technisches Umsetzung. „Tod am Bosporus“ liegt in Form von zehn Audio-CDs und einer mp3-CD vor. So bleibt einem für den mobilen Hörgenuss mit dem mp3-Player ein zeitraubendes Einlesen der Audio-CDs erspart. Das dürfen andere Hörbuchverlage sich gerne abschauen.

Bleibt unterm Strich also ein eher schwacher Eindruck zurück. Mit Inspektor Íkmen kann Barbara Nadel zwar einen sympathischen Protagonisten aufbieten und mit Istanbul hat sie sich auch einen interessanten Schauplatz herausgesucht, dennoch mangelt es „Tod am Bosporus“ hie und da immer wieder an Dichte und Spannung. Diesen Eindruck unterstreicht auch die etwas fade Sprecherleistung von Birgit Becker. Und so kann Íkmen am Ende als „Brunetti von Istanbul“ leider noch nicht so ganz überzeugen.

|Laufzeit: 11:57 Stunden
10 Audio-CDs + 1 Bonus-CD im mp3-Format
Buchausgabe bei List: März 2006, Broschur im Juli 2007|
http://www.hoerbuchnetz.de/

Husmann, Ralf – Nicht mein Tag

Ralf Husmanns berufliche Vita liest sich wie eine Garantie für feinsten Unterhaltungsgenuss: Chefredakteur und Produzent für die |Harald Schmidt Show|, für |ANKE| und |Rent a Pocher| und obendrein Autor von |Stromberg| und |Dr. Psycho|. Wenn ein Mann wie Ralf Husmann dann einen Roman schreibt, kann das doch eigentlich nur gut werden. Wenn ein Mann wie Christoph Maria Herbst dann auch noch das Hörbuch liest, erst recht.

„Nicht mein Tag“ erzählt die Geschichte von Till Reiners, Bankangestellter, Seitenscheitelträger mit beigen Leinenhosen und nicht minder beigem Leben – absolut mittelmäßig und langweilig. Till lebt mit Frau und Sohn in Osthofen |ein Leben wie eine „Tatort“-Folge: ziemlich deutsch, mäßig spannend, mit wenig Sex, und man ahnt nach der Hälfte, wie es aus geht.|

Doch das alles ändert sich auf einen Schlag, als plötzlich Nappo in Tills Leben tritt. Als Nappo bei einem Überfall auf die Dresdner-Bank-Filiale, in der Till arbeitet, die Nerven verliert, nimmt er erst einmal Till als Geisel und dessen Subaru mit Sonnendach als Fluchtwagen. Doch Nappo ist halt nicht sehr routiniert im Umgang mit Geiseln, genauso wie Till noch etwas unbedarft im Umgang mit geiselnehmenden Bankräubern ist, und so entwickelt die Geschichte ein recht sonderbares Eigenleben …

„Nicht mein Tag“ weckt gleich auf den ersten Blick Erinnerungen an die Romane von Tommy Jaud. Ein ähnlicher Humor, ein Autor mit einem ähnlichen Hintergrund – da darf man zu Recht darauf hoffen, seine Lachmuskeln zu strapazieren. Till Reiners könnte auch einem Tommy-Jaud-Roman entsprungen sein. Auf den ersten Blick würde er sich wunderbar einreihen, neben Tommy Jauds Protagonisten Simon Peters und Pitschi Greulich.

Mit viel Wortwitz bugsiert Ralf Husmann seinen Helden durch seinen langweiligen Alltag und sorgt damit für so manchen Schmunzler. Till Reiners ist der klassische Typ, der im Restaurant immer von der Kellnerin übersehen wird: unscheinbar und uncool. Ein Typ, der in der Masse verschwindet und bislang gerade auch über seine Durchschnittlichkeit ganz glücklich war – bis sein Abenteuer mit Nappo beginnt. Till entwickelt seine ganz spezielle Art von Stockholm-Syndrom, und auch seine medienfixierte Kollegin Jessica heizt die Verwirrung rund um Tills Rolle als Geisel noch weiter an.

Als Nappo und Till dann im Fluchtwagen auf dem Weg aus der Stadt sind, fragt man sich, was eigentlich noch drei weitere CDs lang passieren soll, denn schließlich ist klar, dass Nappo früher oder später erwischt wird. Doch bis dahin passiert noch eine ganze Menge, das auch Till sich im Nachhinein nicht so ganz erklären kann.

Kennt man schon die Tommy-Jaud-Romane, so läuft man Gefahr, etwas zu hohe Erwartungen in „Nicht mein Tag“ zu stecken, denn die Ausgangssituation ist nun mal ähnlich: ähnlicher Humor, ähnliche Geschichte und obendrein noch der gleiche Sprecher wie bei der Vertonung der Tommy-Jaud-Bücher.

Schon bei Tommy Jaud hat die kongeniale Vortragsweise von Christoph Maria Herbst so manchen schmerzhaften Lachanfall verursacht. Er versteht es auf besondere Art, die komische Seite der Figuren herauszukehren, verpasst jeder von ihnen ihre eigene charakteristische Stimme und lässt die Hörbücher zu einem rundum unterhaltsamen Spaß werden. Das ist auch bei „Nicht mein Tag“ der Fall; auch hier ist es wieder im Speziellen Christoph Maria Herbst, der den besonderen Hörgenuss ausmacht.

Als Buch hätte „Nicht mein Tag“ mir vermutlich längst nicht so gut gefallen wie als Lesung. Dafür driftet der Humor hier und da dann doch zu sehr in Richtung Klamauk ab (ich erinnere hier mal nur an das ständige Gefurze von Till Reiners Bankkollegen Herrn Walter). Und auch die Entwicklung des Protagonisten gelingt Husmann nicht ganz so rund und glaubwürdig, wie es – um bei dem Vergleich zu bleiben – einem Tommy Jaud mit seiner „Resturlaub“-Figur Pitschi Greulich geglückt ist. Sicherlich wäre „Nicht mein Tag“ auch noch etwas witziger gewesen, wenn die Geschichte etwas straffer und komprimierter erzählt worden wäre. So fragt man sich zwischendurch halt doch immer mal wieder, was denn da eigentlich noch alles passieren soll. Natürlich läuft so ein Plot auch nicht ganz ohne klischeebehaftete Figuren ab, aber das gehört zur Comedy im Prinzip ja auch dazu.

Dass „Nicht mein Tag“ dennoch ein kurzweiliges Hörvergnügen ist, haben wir also in erster Linie Christoph Maria Herbst zu verdanken. Er trifft wieder einmal den richtigen Ton, lässt den völlig überforderten Till Reiners eingeschüchtert herumstammeln und Nappo schön prollig daherfluchen. Die großen Lachanfälle, wie ich sie noch bei den Tommy-Jaud-Romanen hatte (vor allem bei „Resturlaub“), bleiben bei „Nicht mein Tag“ zwar größtenteils aus, aber Husmann beweist dennoch einen feinsinnigen Wortwitz und ein unterhaltsames, ironisches Understatement.

Alles in allem liegt hier also ein Hörbuch vor, das man in erster Linie wirklich explizit als Lesung weiterempfehlen möchte. Der Humor ist ähnlich gelagert wie bei Tommy Jaud, wenngleich selbiger unerreicht bleibt. Christoph Maria Herbst unterstreicht erneut seine Qualitäten als kongenialer Sprecher des humorbetonten Hörbuchs und sorgt dafür, dass „Nicht mein Tag“ trotz einzelner Schwächen doch noch zu einem sehr unterhaltsamen Hörgenuss wird.

http://www.argon-verlag.de

Read, Cornelia – Schneeweißchen und Rosentot

Wer Lesestoff ein wenig abseits ausgelatschter Krimipfade sucht, der sollte einen näheren Blick auf Cornelia Reads Debütroman „Schneeweißchen und Rosentot“ werfen. Mit Madeline Dare hat Read eine eher ungewöhnliche Krimiheldin geschaffen, die ihren Fall erfrischend anders löst:

Madeline Dare ist eine Tochter aus ehemals gut betuchtem, alteingesessenem New Yorker Hause. Vom Glanz und Reichtum vergangener Tage ist in großen Teilen der Familie nur noch wenig übrig geblieben, auch wenn man gerne noch den Anschein wahren möchte. Zu ihrem eigenen Leidwesen lebt Madeline aber nicht mehr in New York, sondern ist ihrem Mann in das ländliche, langweilige Syracuse gefolgt. Während Ehemann Dean oft wochenlang in Kanada als Schienenschleifer arbeitet, schreibt Madeline für die „leichten“ Seiten der örtlichen Lokalzeitung Rezepttipps, Buchkritiken und Reiseempfehlungen.

In Syracuse passiert nicht viel Spektakuläres, und so berichtet man in Deans Familie immer wieder gerne von den Leichen zweier junger Mädchen, die vor neunzehn Jahren hier gefunden wurden. Der Fall wurde niemals gelöst. Stolz wird Madeline dann eines Tages bei einer gemütlichen Familienzusammenkunft auf der Farm von Deans Eltern ein Beweisstück präsentiert, von dem die Polizei nichts weiß. Madeline klappt bei dem Anblick die Kinnlade herunter, schließlich kann sie das Beweisstück ganz eindeutig ihrem Lieblingscousin Lapthorne zuordnen.

Und so ist Madelines Neugier entfacht. Sie muss unbedingt herausfinden, ob Lapthorne etwas mit den Morden zu tun hat, sonst hat sie keine ruhige Minute mehr. Sie fängt an, ein wenig nachzuforschen und Informationen zusammenzutragen. Doch offenbar macht sie das nicht unauffällig genug, denn plötzlich gibt es eine weitere Leiche. Obendrein offenbart sich ein beängstigender Zusammenhang zwischen den Morden: Alle Opfer werden wie Illustrationen zu bekannten Märchen inszeniert …

Wie eingangs bereits erwähnt, ist „Schneeweißchen und Rosentot“ kein Krimi von der Stange. Der Roman hat eine ausgeprägte belletristische Ader; der Krimiplot kommt erst ganz gemächlich in Fahrt, denn Read widmet sich erst einmal ausgiebig der Hauptfigur Madeline und ihren Lebensumständen. Bis die neunzehn Jahre zurückliegenden Morde überhaupt zu einem akuten Thema werden und Madeline ernsthafte Nachforschungen anstellt, dauert es eine ganze Weile.

Dass dennoch keine Langeweile aufkommt, ist vor allem Cornelia Reads unterhaltsamem Erzählstil zu verdanken. Sie erzählt ganz locker drauflos und offenbart dabei einen wunderbar trockenen Humor, der auch jene Passagen, die ohne viel Krimispannung auskommen müssen, unterhaltsam gestaltet.

Der Reiz der Geschichte liegt obendrein darin, dass Madeline eher zufällig in die ganze Sache hineinschliddert. Sie will gar keinen Mord aufklären und ist alles andere als eine knallharte, abgebrühte Investigativjournalistin. Alles, was sie will, ist die Gewissheit, dass ihr Lieblingscousin kein Mörder ist.

Dass ihr die Ermittlungen dann im weiteren Verlauf keine Ruhe mehr lassen und sie den Fall nun doch aufklären will, wird ihr teilweise selbst ein bisschen unheimlich. Doch da macht sich auch der Druck ihres Chefs bemerkbar, der mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen würde, dass Madeline nicht abgebrüht genug dafür ist, diese Geschichte bis zum Ende zu verfolgen. Und so bleibt Madeline doch am Ball. Unverhoffte Unterstützung bekommt sie dabei von ihrer alten Freundin Ellis. Und so schlingern die beiden als etwas chaotisches Ermittlerduo durch den Fall und sorgen schon durch ihre Art, die Sache anzupacken, für einige Spannung.

Es dauert zwar eine Weile, aber dafür entwickelt „Schneeweißchen und Rosentot“ sich dann im weiteren Verlauf umso spannender. Der Plot nimmt an Fahrt auf, Hinweise werden ausgestreut und der Leser kann miträtseln, wer hinter den Morden steckt. Das Ganze gipfelt in einem rasanten, nervenaufreibenden Finale, das man anfangs kaum für möglich gehalten hätte.

Protagonistin Madeline bringt man recht schnell Sympathien entgegen. Obwohl sie aus gutem Hause abstammt, ist sie überraschend bodenständig. Sie fühlt sich im eher provinziellen Syracuse zwar nicht besonders wohl, findet sich aber aus Liebe zum ihrem Mann Dean damit ab – zumindest solange Aussicht auf einen in nicht all zu ferner Zukunft anstehenden Ortswechsel besteht.

Dean stammt aus einfachen Verhältnissen. Seine Familie bewirtschaftet eine Farm, auf der Dean immer mal wieder aushilft und wo auch Madeline daher häufiger zu Besuch ist. Das scheint der alteingesessenen New Yorkerin aus guten Hause aber sympathischerweise eher wenig Bauchschmerzen zu verursachen. Ihre Herkunft spielt in ihrem gegenwärtigen Alltag kaum eine Rolle, und mit dem Upper-Class-Gehabe, das viele ihrer Verwandten an den Tag legen, kann sie eher wenig anfangen. Und so kann Madeline eben auf der Sympathieskala punkten.

Unterm Strich ist Cornelia Read mit „Schneeweißchen und Rosentot“ also ein außerordentlich vielversprechendes Debüt geglückt. Sie weiß mit einer sympathischen Protagonistin zu überzeugen und legt einen lockeren Schreibstil voll trockenen Humors an den Tag. Der Krimiplot kommt zwar aufgrund der ausgeprägten belletristischen Ader des Romans eher gemächlich in Gang, aber das mindert keinesfalls das Lesevergnügen. Der sich im Laufe des Romans entfaltende Krimiplot ist gut komponiert und entwickelt eine Spannung, die man in Anbetracht des eher gemütlich Starts kaum für möglich halten mag. Alles in allem ein erfrischender Krimispaß, der Lust auf weitere Bücher von Cornelia Read macht.

http://www.dtv.de

Menger, Ivar Leon / Rönfeldt, Jan-David – DODO – Teil 1: Dodos Rückkehr

Schon der Trailer zu „DODO“ hört sich äußerst vielversprechend an. Angepriesen wird ein Fantasy-Sci-Fi-Märchen-Hörspiel, das mit einer Riege hochkarätiger Sprecher und einer großen Portion Humor aufwarten kann. Eine Genre-Persiflage, die dennoch spannend und unterhaltsam sein soll – und das, obwohl Hauptfigur Dodo eigentlich ein absoluter Langweiler ist.

Dodo wohnt bei seiner Omi und ist ein herzensguter Kerl. Nach dem Motto „Jeden Tag eine gute Tat“ greift er seiner Omi in allen Belangen des Alltags unter die Arme. Jeden Montag hilft er ihr mit der Wäsche, jeden Freitag mäht er ihr den Rasen und am Samstag wird der Hof gekehrt. Zur Belohnung gibt es dann Omis frisch aufgebrühten Brennnessel-Tee.

Das alles ändert sich, als Dodo eines Freitags beim Rasenmähen von einem mysteriösen Anrufer gestört wird, der ihm einen Job anbietet. Er soll einen verschwundenen Löffel wiederbeschaffen und bei Erfolg mit einer 5.000-Euro-Sofortrente belohnt werden. Dodo fühlt sich erst einmal veräppelt, aber dem Anrufer ist die Sache ernst. Und so startet Dodo in ein völlig unverhofftes Abenteuer …

„DODO – Teil 1: Dodos Rückkehr“ offenbart sich gleich von Beginn an als höchst skurriles Hörspiel. Nicht ganz umsonst ziert das Cover ein „FSK“-Sticker, der „DODO“ |ab 6 Jahren oder 2 Promille| freigibt. Ganz so schlimm ist es freilich nicht. „DODO“ macht durchaus auch in nüchternem Zustand Spaß, aber wer so gar nichts für Klamauk übrig hat, der ist mit den 2 Promille dann vielleicht doch besser bedient.

„DODO“ ist ein Sammelsurium schräger Einfälle. Da wäre zum Beispiel Strom-Tom, Dodos eigentümlicher Assistent, der sich die ganze Zeit über in Dodos Magen befindet, von dort allerhand bissige Kommentare loslässt und Dodo im Bedarfsfall auch schon mal mittels Stromschlag „motiviert“. Zusammen mit Strom-Tom macht Dodo sich also auf zur Grenze, hinter der Dodo den sonderbaren Löffel finden soll. Hinter der Grenze stößt Dodo auf ein fantastisches Land, ein Paradies namens Lichtwiese, wo er das Mädchen Elenor kennenlernt.

Das alles offenbart sich als skurriler Mix aus Science-Fiction-Geschichte und Fantasy-Märchen und dürfte sowohl Kindern Spaß machen als auch Erwachsenen, die noch irgendwo eine verborgene kindliche Ader in sich tragen. Es ist schon ein sehr kindlicher Humor, der bei „DODO“ dominiert, und das wird manch einen sicherlich abschrecken, weil er die Gags zu billig und klamaukig findet. Die Macher nehmen halt sich selbst auch nicht all zu ernst. Man merkt, dass das Team, das hinter „DODO“ steckt (unter anderem Oliver Rohrbeck), selbst Spaß an der Sache hat. Um das zu wissen, muss man nur den Trailer hören.

Die Art, wie Autor Ivar Leon Menger all die skurrilen Einfälle und die subtilen Gags zu einer Geschichte zusammenfügt, ist trotz des Hangs zum Klamauk durchaus überzeugend. Im Laufe der Handlung wird gar eine gewisse Spannung aufgebaut, die vor allem auch durch die hervorragende Inszenierung und die guten Sprecherleistungen (allen voran Dodo-Sprecher Andreas Fröhlich) unterstrichen wird. Da hat man von Ivar Leon Menger schon weiß Gott Schlechteres gehört – ich erinnere hier nur an „Hotel Luxury End“, den Mitrate-Fall der „Übergangs-Drei-???-Vertretung“ |Die Dr3i|.

„Dodos Rückkehr“ schafft eine durchaus interessante Ausgangssituation für die weitere Serie. Der Held wird positioniert, der grundlegende Plot aufgebaut und es deutet sich schon an, dass es für unseren Langweiler Dodo in den nächsten Folgen noch recht turbulent werden könnte. Dann erfahren wir sicherlich auch, was sich hinter den bereits auf dem Cover erwähnten |fiesen Klammermutschkas| verbirgt …

Kurzum, „DODO – Teil 1: Dodos Rückkehr“ offenbart ein kurzweiliges Hörvergnügen, das wieder einmal beweist, dass die Hörspielmacher von der |Lauscherlounge| ihr Handwerk verstehen. „DODO“ ist liebevoll produziert und hervorragend inszeniert. Wer sich auch mal auf einen Plot mit Hang zum Klamauk einlassen kann und nicht immer alles ganz ernst nimmt, dem dürfte „DODO“ gewiss einigen Spaß bereiten. Ein erfrischendes Hörvergnügen nicht nur für Kinderohren. Man darf sicherlich gespannt sein, wie die Serie sich weiterhin entwickeln wird.

Die Website zur Hörspiel-Reihe:
[www.dodo-dieserie.de.]http://www.dodo-dieserie.de

lauscher news

Duve, Karen – Taxi

Manch einer mag noch immer das Vorurteil hegen, dass es nicht gutgehen kann, wenn eine Frau am Steuer sitzt. Die Protagonistin von Karen Duves neuestem Roman „Taxi“ dürfte sich noch des Öfteren mit diesem Vorurteil konfrontiert gesehen haben. Schließlich spielt „Taxi“ mitten in den Achtzigerjahren. Taxifahren war hier noch stärker eine Männerdomäne als heute, auch wenn die Anzeige, auf die Protagonistin Alex sich bewirbt, ausdrücklich auch an Frauen gerichtet ist – allerdings wohl mehr aus der Verzweifelung heraus, dass man so gut wie jeden einstellen würde …

Für Alex beginnt mit dieser Anzeige eine Ära als Taxifahrerin auf den Straßen Hamburgs. Das bedeutet für Alex Herwig gleichzeitig den lang ersehnten Aufbruch zu neuen Ufern. Hockte sie vorher noch mit ihrem Bruder zusammen in der unbeheizten Gartenlaube ihrer Eltern, als schwarzes Schaf in einer spießigen, langweiligen Familie, scheint ihre ziellose Jugend beendet, deren bisheriger Tiefpunkt wohl die abgebrochene Ausbildung im Versicherungswesen darstellte. Nun startet sie in die Freiheit – zumindest glaubt sie das.

Nachdem sie wochenlang Straßennamen gebüffelt hat, hält Alex, nicht zuletzt dank eines gnädigen Prüfers, endlich den Taxischein in Händen. Vom ersten selbstverdienten Geld folgt schon bald die eigene Wohnung, doch vom Leben hat sie eigentlich nicht sonderlich viel. Nacht für Nacht ist sie auf den Straßen Hamburgs unterwegs, verschläft dadurch die Tage und fängt, ohne es eigentlich zu wollen, eine Beziehung mit Taxi-Kollege Dietrich an.

Bei den übrigen Kollegen hat sie keinen leichten Stand: verklemmte Frauenhasser, Scheinstudenten, Möchtegernschriftsteller und Halbintellektuelle – das ist grob betrachtet das Umfeld, mit dem Alex irgendwie tagein, tagaus klarkommen muss. Dietrich ist da auch nicht immer hilfreich, hat sie doch den größten Zwist stets mit Dietrichs bestem Freund Rüdiger, der ein pseudointellektueller Frauenhasser ist. Doch Alex hinterfragt all das nicht, ist Nacht für Nacht viel zu sehr damit beschäftigt, ihre Fahrgäste zu hassen, als dass sie etwas an ihrem Leben ändern würde.

Und so wird es eine sehr lange und beschwerliche Reise, die Alex aufnehmen muss, um irgendwann sich selbst zu finden. Ihr Weg ist gepflastert mit unheilvollen Männerbekanntschaften, kleinwüchsigen Psychologiestudenten und haarsträubenden und bizarren Erlebnissen auf den nächtlichen Taxitouren.

Nachdem [„Die entführte Prinzessin“ 1085 eine faszinierende, wenngleich auch sehr ungewöhnliche Leseerfahrung für einen Duve-Roman war, geht es mit „Taxi“ wieder mehr zurück zu den Wurzeln. Sogar ziemlich direkt zurück zu den Wurzeln, denn „Taxi“ hat stärkere autobiographische Züge als irgendein anderer Duve-Roman zuvor. Karen Duve ist selbst jahrelang in Hamburg Taxi gefahren. Ihre Protagonistin lässt sie mit genau jenem Taxi der Nummer „Zwodoppelvier“ fahren, in dem auch sie in den Achtzigern durch Hamburgs Straßen gekurvt ist.

Dennoch ist „Taxi“ alles andere als eine Autobiographie. Es mag Parallelen geben, und wie weit die genau reichen, vermag wohl nur die Autorin selbst zu sagen, dennoch ist der Roman ein fiktionales Werk. Alles in allem klingt das im ersten Moment noch sehr unspektakulär. Eine Frau, die Nacht für Nacht Taxi fährt und von ihren Erlebnissen mit ihren verkorksten Fahrgästen berichtet, um sich dann nach Feierabend ihrer noch viel verkorksteren Beziehung zu ihrem Freund Dietrich zu widmen – klingt bei bloßer Betrachtung des Inhalts wenig unterhaltsam.

Aber wir haben es hier schließlich mit Karen Duve zu tun. Wenn der Verlag im Klappentext schreibt |“Taxi fahren können viele – doch grandios darüber schreiben kann nur Karen Duve“|, dann ist das keinesfalls bloß Lobhudelei zum Zwecke der Verkaufsförderung. Es steckt ein wahrer Kern in diesem Satz, denn Karen Duve ist in der Tat das große Kunststück geglückt, einen wunderbar unterhaltsamen Roman über etwas so alltägliches wie das Taxifahren zu schreiben.

Und das liegt allem voran an Duves eingängigem Erzählstil. Es braucht nicht viel Handlung, um von Karen Duves Romanen gefangen genommen zu werden, egal, ob man sich wie im Fall des [„Regenromans“ 1954 in der ostdeutschen Einöde befindet oder ob man wie bei „Taxi“ mit der Protagonistin durch die einsamen, nächtlichen Straßen Hamburgs düst.

Karen Duve ist eben eine großartige Erzählerin und eine äußerst genaue Beobachterin, die auch die alltäglichsten Dinge herrlichen treffend und pointiert zu erzählen weiß. Dabei springt sie nicht immer sanft mit ihren Figuren um. Auch Alex hat einiges zu erdulden, bis sie nach so mancher qualvollen Erfahrung irgendwann doch auf dem Weg zu sich selbst ist. Aber das ist ein harter und schmerzvoller Prozess, den Karen Duve schonungslos ehrlich und unbarmherzig dokumentiert.

Das zu lesen und den Entwicklungsprozess der Protagonistin nachzuvollziehen, ist dank Karen Duves erzählerischer Raffinesse ein echtes Vergnügen. Man kann zwar einiges an Alex oft nicht so ganz nachvollziehen, denn warum nimmt sie ihr Leben denn nicht mal endlich in die Hand, anstatt sich weiter jeden Tag über die frauenfeindlichen Sprüche der Kollegen, ihre Beziehungskatastrophe mit Dietrich und die Unerträglichkeit ihrer Fahrgäste zu mokieren. Man möchte Alex am liebsten einmal kräftig in den Hintern und damit aus ihrem trägen Trott heraus treten. Aber Karen Duve lässt Alex durch einen harten Lernprozess langsam reifen – und das auf äußerst lesenswerte Art.

Bleibt unterm Strich ein sehr positiver Eindruck zurück. Karen Duve hat mit „Taxi“ einmal mehr ihr großartiges Talent unter Beweis gestellt, und manch einer mag erleichtert darüber sein, dass sie nach ihrem Ausflug in fantastische Gefilde nun wieder in gewohnt belletristisches Fahrwasser eingeschwenkt ist. „Taxi“ ist in jedem Fall eine Empfehlung wert; ein äußerst lesenswerter Roman, der sehr stark von der pointierten und wohlakzentuierten Erzählweise der Autorin lebt. Wer Karen Duve noch nicht kennt, der sollte das schleunigst nachholen, denn sonst läuft er Gefahr eine der aktuell besten deutschen Autorinnen zu verpassen …

http://www.eichborn-berlin.de

Hickman, Leo – Fast nackt. Mein abenteuerlicher Versuch, ethisch korrekt zu leben

Ist es möglich, ein Leben ohne schlechtes Gewissen zu führen? Der in London lebende Journalist Leo Hickman hat den Selbstversuch gemacht. Was ursprünglich nur als Stoff für eine fortlaufende Kolumne für den |Guardian| gedacht war, füllt inzwischen ein ganzes Buch: „Fast nackt. Mein abenteuerlicher Versuch, ethisch korrekt zu leben.“ Bei |Radioropa Hörbuch| liegt der Titel nun auch als Hörbuch vor. Ethisch höchst vorbildlich, denn so musste kein Baum sterben, um als Buch zu enden – obwohl das Produzieren und Abspielen einer mp3-CD natürlich auch Energie kostet und damit gewissermaßen zum Klimawandel beiträgt. Man merkt schon, das mit dem konsequent ethisch korrekten Leben ist gar nicht so einfach …

Genau diese Erfahrung macht auch Leo Hickman. Er geht sein Projekt recht unbedarft und naiv an, und da er weiß, dass er selbst sicherlich nicht die nötige Kompetenz hat zu beurteilen, was ethisch korrekt ist und was nicht, sucht er sich drei Berater, die in Umwelt-, Ernährungs- und Globalisierungsfragen bestens Bescheid wissen. Er lädt die drei ein, ihn und seine Frau Jane in ihrem kleinen Londoner Reihenhaus zu besuchen, um möglichst kritisch unter die Lupe zu nehmen, wie sie mit ihrer kleinen Tochter leben.

Und so wird alles kritisch beäugt: die Lebensmitteln im Kühlschrank, die Putzmittel unter der Spüle, die Kosmetika im Badezimmer, die verwendeten Materialien im Wohnraum, der Kleiderschrank, das Bankkonto, das Kinderzimmer und der handtuchgroße Garten. Schon bald fragen sich Leo und Jane, was sie sich damit angetan haben, denn die Berater finden praktisch überall etwas zu mosern.

Doch Leo hat das Projekt natürlich gestartet, um auch tatsächlich etwas zu verändern, und so versuchen er und seine Frau Jane brav, möglichst viele Tipps der Berater umzusetzen: Eine Gemüse-Abo-Kiste wird bestellt, Küchenabfälle werden im Wurm-Komposter entsorgt, Pampers werden durch auswaschbare Windeln ersetzt und geputzt wird mit Waschsoda und halbierten Zitronen.

Lassen sich manche Anregungen noch relativ leicht umsetzen, so erfordern andere schon eine gehörige Portion Standhaftigkeit und Idealismus. So z. B. der auto- und flugzeugfreie Wanderurlaub in Italien mit dem kleinen Töchterchen. Die Hickmans machen es sich nicht immer leicht und versuchen tatsächlich, ihr Experiment bis an die Grenzen auszureizen, auch wenn dabei so manches Mal der Haussegen schiefhängt …

Resultat dieses Selbstversuchs ist ein Buch bzw. Hörbuch, das gleichermaßen unterhaltsam wie informativ ist. „Fast nackt“ ist eine wunderbare Anregung, die eigenen Lebensgewohnheiten kritisch zu hinterfragen. Dabei stehen eigene Realität und die Tipps der Berater teilweise in krassem Gegensatz. Die Hickmans sind eine ganz normale Durchschnittsfamilie, mit ganz normalen Konsum- und Lebensgewohnheiten, in denen sich so ziemlich jeder ein Stück weit wiederfinden dürfte.

Was die Berater ihnen dann teilweise an Tipps für ein ethischeres Leben mit auf den Weg geben, ist durchtränkt von Idealismus. Manchmal erscheinen sie geradezu kindlich-naiv, wenn sie z. B. Leo davon überzeugen wollen, dass er durch Briefe an seinen Supermarkt seinen Unmut über Teile ihres unethischen Sortiments äußern und durch konstruktiv angebrachte Verbesserungsvorschläge etwas daran ändern sollte.

Auch die völlige Verteufelung des Autos lässt sich nicht aus jeder Lebensperspektive nachvollziehen. Mag der Autoverzicht für den in London lebenden Öko-Single noch toll und befreiend sein, so fällt es mir als Selbstständige im ländlichen Raum mit weit verzweigtem Kundenkreis schon äußerst schwer, in einem Auto das Teufelswerkzeug zu sehen, als das Leos Berater es einstufen.

Und so kann man manchmal über die naive Sichtweise der Berater nur schmunzeln, während Leos Frau Jane in solchen Momenten vorzugsweise mit den Augen rollt. Sehr sympathisch ist eben auch, dass die Hickmans, obwohl sie nicht mit allem etwas anfangen können, was die Berater ihnen empfehlen, doch stets für sich selbst herausfinden wollen, was es mit einer Sache auf sich hat – mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg.

Wenn drei Berater einer Familie zu einer rundum ethisch korrekten Lebensweise verhelfen wollen, dann wird da zwangsläufig auch einiges vereinfacht. Dass Kühe z. B. Mastitis (Euterentzündung) bekommen, weil sie von ihren Kälbern getrennt werden, ist ausgemachter Unfug. Das mag jetzt im ersten Moment etwas negativ klingen, dennoch hat mir „Fast nackt“ ausgesprochen gut gefallen. Auch wenn man viele der grundlegenden Fakten als halbwegs informierter und kritischer Verbraucher kennt, so ist „Fast nackt“ dennoch ein schöner Rundumschlag, der einen immer wieder dazu ermuntert, die eigenen Verhaltensweisen kritisch zu betrachten.

Vieles von dem, was auch die Hickmans in ihrem Selbstversuch erfolgreich umsetzen (z. B. auf „Lebensmittelkilometer“ achten, „Chemiekeulen“ aus dem Haushalt verbannen, Kräuter aus dem eigenen Garten ernten, Abfall vermeiden, etc.), lässt sich relativ leicht umsetzen. Die Sichtweise der Berater mahnt, als Konsument stets hinter die Fassade zu schauen. Alles, was man kauft, wurde irgendwann einmal unter Umständen energieaufwändig und ressourcenverschleißend produziert und transportiert. Sich als Konsument zunehmend kritischer auf die Finger zu schauen, kann also nicht schaden.

Eine besondere Würze von „Fast nackt“ sind die Zuschriften, die Leo Hickman zu seinem Selbstversuch und seiner begleitenden |Guardian|-Kolumne aus aller Welt bekommen hat. Darin erntet er viel Zuspruch und Ermunterungen, mit seinem Projekt fortzufahren, aber ein besonderer Leckerbissen sind die skurrilen Auswüchse ethisch hyperkorrekten Lebens, auf die man einen Blick erhaschen kann. Zumindest kannte ich vorher noch niemanden, der in einem Meditationskurs schon mal einen Spüllappen gehäkelt hat. Auch die Praxis selbstgebastelter Damenbinden war mir bislang noch fremd.

Und so offenbart „Fast nackt“ eben ganz nebenbei auch eine höchst unterhaltsame Komponente. Die hyperkorrekten Tipps der Berater zur ethisch korrekten Lebensweise werden durch den Praxistest einer Otto-Normalverbraucher-Familie wie den Hickmans immer wieder ins rechte Verhältnis gerückt. Und so kommt „Fast nackt“ eben erfrischenderweise ohne mahnend erhobenen Zeigefinger aus. Ethisch korrekt zu leben, ist halt schön und gut, aber deswegen darf das Leben trotzdem noch Spaß machen. Die Hickmans zeigen sehr schön, dass man nicht zum Eremiten werden muss, um sein Leben bewusster und nachhaltiger zu gestalten. Oft genügt es schon, an ein paar kleinen Schrauben zu drehen, um seinen Beitrag zu leisten.

Und so bleibt unterm Strich eben trotz so mancher idealismusdurchtränkter Tipps der Berater ein sehr positiver Eindruck zurück. „Fast nackt“ zeigt auf wunderbar unterhaltsame Art und Weise, wie man mit teils wirklich sehr einfachen Maßnahmen sein Leben ethischer gestalten kann. Die Lesung von Markus Born ist dabei eine gute Alternative zum Buch, wenngleich sie den Nachteil hat, dass man die vielen genannten Internetadressen später schlecht noch mal nachschlagen kann. Alles in allem kann man „Fast nackt“ eigentlich nur jedem ans Herz legen, denn das Thema geht uns schließlich alle an. Man muss ja nicht gleich anfangen, sich seine Spüllappen selber zu häkeln …

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Krajewski, Marek – Kalenderblattmörder, Der

Bereits Susanne Goga hat mit [„Leo Berlin“ 1597 bewiesen, dass die Zwanzigerjahre einen durchaus reizvollen Krimi-Schauplatz abgeben. Ein zweiter Autor, der sich dieser Zeit als Hintergrund seiner Romane widmet, ist der Pole Marek Krajewski. Seine Romane um den eigenwilligen Kriminalrat Eberhard Mock spielen dagegen jedoch in Breslau und nicht in Berlin. Doch seine Einblicke in die Gesellschaft und den Geist der damaligen Zeit lassen ein ganz ähnliches Bild entstehen.

Es ist das Jahr 1927, als Kriminalrat Eberhard Mock eine Reihe recht mysteriöser Morde aufzuklären hat. Ein Musiker wird lebendig eingemauert aufgefunden und ein Stadtrat baumelt kopfüber mit einer Klaviersaite befestigt von einem Kronleuchter. Doch dies sind nicht die beiden einzigen Mordfälle, die Mock zu schaffen machen. Was Mock und seinen Kollegen besonderes Kopfzerbrechen bereitet, sind die abgerissenen Kalenderblätter, die der Mörder an den Leichen zurücklässt. Worauf spielt er damit an? Nachdem Mock lange Zeit im Dunkeln tappt, deutet eine Spur bis weit in die Vergangenheit Breslaus …

Derweil plagen Mock aber auch noch ganz andere Probleme. Seine Ehe läuft nicht besonders gut. Mock hat einen Hang zum Alkohol und geht nicht immer ganz sanft mit seiner Frau um – bis selbige ihn eines Tag Hals über Kopf verlässt. Mock versucht herauszufinden, was seine Frau hinter seinem Rücken treibt, und dazu werden auch schon mal die Kollegen zur Observierung der werten Gattin beordert …

Marek Krajewski skizziert das Breslau der 20er Jahre als ein Ort des Umbruchs. Die feine Gesellschaft genießt das Leben in vollen Zügen. Alkohol und Kokain wird dabei gerne mal reichlich zugesprochen und man vergnügt sich auch schon mal mit einer kleinen Orgie. Auch Mocks Frau scheint dem nicht abgeneigt zu sein und sucht den Spaß außerhalb des Ehebettes und der rustikalen Zuneigung des Kriminalrats Eberhard Mock. Die Schilderungen um die Erlebnisse von Mocks Frau spiegeln die Dekadenz der damaligen Oberschicht wider. Hinter den Türen der noblen, gut betuchten Breslauer Bürgerlichkeit tun sich Abgründe auf. Kaum ein Tabu bleibt ungebrochen.

Hinter dieser Dekadenz verbirgt sich aber auch eine zunehmende Verkommenheit, die in vielen Bereichen der Geschichte immer wieder durchschimmert. Alkoholismus ist salonfähig und geradezu alltäglich – auch unter Mocks Kollegen bei der Polizei. Und dass ein Eberhard Mock selbst im Ehebett derart rustikal zu Werke geht, dass das Wort Vergewaltigung keinesfalls übertrieben ist, und er obendrein seinen Posten dazu missbraucht, Kraft seine Amtes seiner Frau hinterherspionieren zu lassen, scheint ebenfalls niemanden zu kümmern. Auch sein Umgang mit Zeugen lässt nicht unbedingt die besten Manieren erkennen.

Das macht es dem Leser bzw. Hörer natürlich alles andere als leicht, den ungehobelten Kriminalrat ins Herz zu schließen. Mock ist kein Sympathieträger und schon gar kein strahlender Held im Dienste der Gerechtigkeit. Er ist ein sperriger Typ, dessen ungehobelte Art einem immer wieder gegen den Strich läuft. Da die Lesung von Hans-Werner Meyer obendrein gekürzt ist, fällt es schwer, sich so richtig auf Eberhard Mock einzulassen, und da er nun mal im Zentrum der Handlung steht, sorgt das für eine Distanz, die man bis zum Ende der Geschichte nicht so recht zu überwinden vermag.

Der Fall an sich ist durchaus spannend erzählt. Tappen Mock und seine Kollegen noch anfänglich komplett im Dunkeln, so offenbart sich mit der Zeit die Möglichkeit, dass die Taten irgendwie mit der Geschichte der Stadt verflochten sind. Und so entwickelt die Geschichte im Laufe der Ermittlungen noch einigermaßen Spannung. Etwas irritierend ist hingegen die Auflösung. Zum Ende hin bleibt einiges auf äußerst unbefriedigende Art offen im Raum stehen, und die mystische Note, die bei dieser Auflösung mitschwingt, hinterlässt einen recht unschönen Nachgeschmack. Dieser „Mystery-Faktor“ ist nicht nur unbefriedigend, sondern wirkt auch unstimmig.

Die 20er Jahre sind an sich eine verlockende Zeit voller Gegensätze, die einen hervorragenden Hintergrund für einen Roman abgibt. Ich hatte mir von diesem Hörbuch aber dennoch etwas mehr Atmosphäre erhofft. In der Kürze des Hörbuchs (gerade mal zwei CDs gegenüber 336 Buchseiten), scheint genau diese nämlich etwas auf der Strecke zu bleiben. Man merkt der Geschichte an, dass hier fleißig gekürzt wurde, und das ist sehr schade.

Hans-Werner Meyer macht als Erzähler seine Sache allerdings sehr gut. Er versteht sich darauf, die unterschiedlichen Figuren mit unterschiedlichen Stimmen zu lesen und lässt so im Kopf des Hörers ein Bild der unterschiedlichen Figuren entstehen.

Bleibt unterm Strich ein mittelmäßiger Eindruck zurück. Hans-Werner Meyer macht seine Sache als Vorleser sehr gut, wohingegen die Geschichte etwas zu straff erzählt scheint. Zu einer ohnehin schon so sperrigen Figur wie Eberhard Mock kann man so kaum eine Beziehung aufbauen, und daher bleibt in jedem Fall eine große Distanz zwischen Hörer und Figuren bestehen. Der Fall an sich ist zwar spannend, die mystische Note, die nach der Auflösung noch vieles im Unklaren lässt, stört hingegen.

Somit ist „Der Kalenderblattmörder“ leider nur ein allenfalls durchschnittliches Hörvergnügen. Im Zweifelsfall kann es also vielleicht sinnvoller sein, bei Marek Krajewski direkt zum Buch anstatt zum Hörbuch zu greifen.

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Lemieux, Jean – Todeslied

_Abgeschiedene Lokalitäten_ sind oft ganz herausragende Handlungsorte für Krimiplots. Man denke nur an Agatha Christies „Zehn kleine Negerlein“, in dem auf einer von der Außenwelt abgeschnittenen Insel mehrere Morde geschehen und der Täter eine der Personen auf der Insel sein muss. Eine ähnliche Situation ist die Grundlage für den Plot von „Todeslied“, einem kanadischen Krimi aus der Feder von Jean Lemieux, der 2007 in Deutschland bereits [„Das Gesetz der Insel“ 3869 veröffentlichte.

Die Geschichte spielt auf der kleinen kanadischen Insel Île-d’Entrée. Dort lebt eine kleine verschworene Gemeinschaft, die Fremden seit jeher skeptisch gegenübersteht. Wer hier als Außenstehender Fuß fassen will, hat es nicht leicht. Das bekommt auch die englische Krankenschwester Gladys Patterson zu spüren. Nach nunmehr 30 Jahren auf der Insel wird sie zwar geduldet, so richtig akzeptiert wurde sie aber nie.

Da wird eines Morgens die Leiche einer auf der Insel lebenden jungen Frau unterhalb der Klippen der Île-d’Entrée gefunden. Der Arzt François Robidoux ist gerade zu seinem üblichen Arbeitsbesuch auf der Insel, kann aber auch nichts mehr ausrichten. Sergeant Moreau wird mit dem Fall betraut, stößt aber bei seinen ersten Befragungen der Anwohner nach seiner Ankunft auf der Insel auf wenig Verwertbares. Jeder scheint ihm etwas zu verschweigen, und so tappt der Sergeant erst einmal im Dunkeln. Als dann ein Sturm heraufzieht und die Insel vorübergehend von der Außenwelt abgeschnitten ist, spitzen sich die Dinge zu …

_“Todeslied“_ ist ein ganz gemächlicher und subtiler Krimi. Lemieux lässt sich zu Beginn Zeit. Zwar weiß der Leser gleich im Prolog, dass auf der Île-d’Entrée zwei Frauen unter höchst verdächtigen Umständen ums Leben gekommen sind, von denen die eine die Krankenschwester Gladys Patterson ist, doch lässt Lemieux es danach erst einmal sehr beschaulich und unspektakulär angehen.

Der Leser begleitet den noch recht jungen Arzt François Robidoux bei seinem Besuch auf die Île-d’Entrée. Zusammen mit Gladys Patterson klappert er seine Patienten ab und hofft, die Insel möglichst bald wieder verlassen zu können. Er isst mit Gladys zusammen zu Abend und liest auf Gladys Bitte lange Passagen aus ihrem Tagebuch, in dem sie ihre erste Zeit auf der Insel schildert. Die Handlung plätschert vor allem in der ersten Hälfte des Romans darum eher gemächlich vor sich hin. Bis die Leiche der jungen Frau gefunden wird, vergehen 130 Seiten – und dabei umfasst das Buch nur 277 Seiten insgesamt.

Mit dem Leichenfund an den Klippen kommt zumindest kurzzeitig so etwas wie Spannung auf und die Geschichte wird interessanter. Bis es zu den finalen Ereignissen kommt, die dann auch den Tod von Gladys Patterson bedeuten, dauert es noch einmal gute 80 weitere Seiten, und zumindest dann kehrt auch die Spannung wieder einmal zurück in die Geschichte.

Ansonsten ist „Todeslied“ eher unspektakuläre Lektüre. Lemieux greift auf einen seltsam distanzierten Erzählton zurück. Manche Verknüpfungen setzt er so beiläufig und unterschwellig, dass man nicht immer alles direkt nachvollziehen kann, und auch die Figuren bleiben dem Leser eher fremd. Man kommt nicht dazu, eine Beziehung zu ihnen aufzubauen. Lemieux hält seine Protagonisten auf Distanz zum Leser, und so kann dieser ihre mitunter seltsamen Verhaltensweisen oft herzlich wenig nachvollziehen.

Das ist ein echtes Manko, da gerade bei einem so subtilen Krimi, der im Prinzip von der Interaktion der Protagonisten und von den Spannungen zwischen den einzelnen Figuren lebt, die Figuren nachvollziehbarer sein müssten. Lemieux‘ Figuren bleiben für den Leser aber teils bis zum Schluss rätselhaft und verschlossen. Da man sich somit kaum in die Figuren hineinfühlen kann, hinterlässt auch die Geschichte selbst kaum Spuren. Nicht alles wird nachvollziehbar dargelegt, und auch das Finale fällt nicht wirklich zufriedenstellend aus.

Am Ende entpuppt sich „Todeslied“ als ein äußerst blasser Roman. Als belletristischer Krimi funktioniert er kaum und als reiner Unterhaltungskrimi ist er nicht spannend genug. „Todeslied“ wirkt damit irgendwie profillos und hinterlässt keinen bleibenden Eindruck, sondern ist ganz im Gegenteil sehr schnell aus dem Gedächtnis verschwunden.

Rätselhaft bleibt auch der deutsche Titel des Romans. Wie man auf „Todeslied“ als Übersetzung für „La lune rouge“ kommt und was das Ganze mit dem Inhalt dieses Buches zu tun haben soll, bleibt wohl das Geheimnis des Übersetzers. Rein äußerlich riecht „Todeslied“ ein wenig nach einer Mogelpackung. Hinten prangt in großen blutroten Lettern „Spiel mir das Lieb vom Tod“ auf dem Buchdeckel und das wird noch gekrönt durch einen Klappentext, der nicht ganz zum Inhalt des Buches passt und mehr nach reißerischer Thrilleraufmachung aussieht. Der Klappentext verspricht somit weit mehr Spannung als das Buch letztendlich bieten kann.

_Bleibt unterm Strich_ ein eher schwacher Eindruck zurück. Lemieux gelingt es nicht so recht, dem Leser seine Protagonisten näherzubringen, denn dafür baut er schon durch seine kühle Sprache eine zu große Distanz zum Leser auf. Und so ist „Todeslied“ leider ein Buch, das scheinbar spurlos an einem vorüberzieht. Zu wenig Spannung, zu viel Distanz und ein Klappentext, der mehr verspricht, als der Inhalt zu halten vermag.

_Jean Lemieux_, 1954 in Iberville (Quebec/Kanada)geboren, ist Allgemeinarzt und Schriftsteller. Zwischen 1980 und 1982 war er auf den Îles-de-la-Madeleine als Arzt tätig. Nachdem er 1983 durch die Welt reiste, kehrte er 1984 auf die Inseln zurück, wo er bis 1994 schrieb und lebte. Seit 1994 wohnt er wieder auf dem Festland in Québec, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz.

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Smith, Tom Rob – Kind 44

Gerade in einem so überstrapazierten Genre wie der Kriminalliteratur stechen Autoren hervor, die mit einem ungewöhnlichen Handlungsort oder der Verlagerung des Plots in eine literarisch eher weniger beachtete Epoche einen zusätzlichen Anreiz zur Lektüre schaffen. Zu diesen Autoren gesellt sich auch der Brite Tom Rob Smith mit seinem Erstlingswerk „Kind 44“.

„Kind 44“ spielt im Russland der Stalin- bzw. Nach-Stalin-Zeit. 1953 wird in Moskau auf den Bahngleisen die grausam zugerichtete Leiche eines kleinen Jungen gefunden. Doch in der Sowjetunion der damaligen Zeit gibt es offiziell keine Verbrechen, denn die würden schließlich belegen, dass das idealisierte Gesellschaftsbild des Kommunismus doch nicht so perfekt ist, wie alle glauben sollen. Warum sollte ein Mensch einen anderen töten, wo es doch allen prächtig geht und alle gleichwertig sind?

Der Mord wird also kurzerhand zum Unfall erklärt. Das Opfer war der Sohn eines MGB-Kollegen von Leo Demidow, dem nun die Aufgabe zufällt, der Familie klarzumachen, dass ihr Sohn beim einem tragischen Unfall starb und sie ihre Mordanschuldigungen dringend fallenlassen sollten, wenn ihnen Leib und Leben wichtig sind. Für den Geheimdienstoffizier Leo Demidow ist diese Angelegenheit eine eher lästige Unterbrechung seiner Jagd nach einem flüchtigen Verräter.

Doch im Laufe der Jagd nach dem flüchtigen Verräter gerät auch Leo plötzlich ins Fadenkreuz seiner MGB-Kollegen, und so wird ihm die unangenehme Aufgabe aufgedrückt, seine eigene Ehefrau zu denunzieren. Leo steckt in der Zwickmühle, steht aber zu seiner Frau Raisa und bekommt postwendend die Quittung: Versetzung und Degradierung.

Fortan hockt Leo also in der Provinz als kleiner Milizposten, und als dort eine ähnlich zugerichtete Leiche gefunden wird wie seinerzeit in Moskau, beschleichen Leo Zweifel an der Unfalltheorie, an die er früher noch so gerne geglaubt hat. Auf eigene Faust fängt er an zu ermitteln und bringt damit nicht nur sich selbst, sondern auch seine Frau in höchste Gefahr …

„Kind 44“ ist ein Krimi, der über die Grenzen des Genres hinausgeht. Nicht der eigentliche Krimiplot macht dabei den Reiz aus, sondern das Drumherum. Tom Rob Smith liefert mit „Kind 44“ eben keinen reinen Krimi ab, sondern darüber hinaus eine Bestandsaufnahme Russlands zur Zeit Stalins und kurz nach dessen Tod.

Anhand der Figur des Leo Demidow lässt Smith den Leser auf beide Seiten des Systems blicken. Anfangs ist Leo noch der systemtreue MGB-Offizier, der seine Pflichten nicht hinterfragt und stets in dem guten Glauben handelt, das Richtige zu tun. Als er aber durch den zweiten Leichenfund an seinem neuen Arbeitsplatz in Wualsk zu dem Schluss kommen muss, dass er (und nicht nur er, sondern auch das MGB; |Ministerstvo Gosudarstvennoi Bezopasnosti|, Ministerium für Staatssicherheit 1946 – 1953) sich geirrt hat und schon der Todesfall des Sohns seines Kollegen ein Mord war, ist Leo gezwungen, sich gegen das System zu wenden.

Mordermittlungen sind nicht zugelassen, denn Morde gibt es im Kommunismus natürlich nicht. Dementsprechend kann Leo nur heimlich ermitteln, und das bedeutet für ihn und seine Frau Raisa, dass er sich auf ein äußerst gefährliches Unternehmen einlassen muss. Vor diesem Hintergrund entfaltet auch der Krimiplot eine großartige Spannung. Leo kann jederzeit auffliegen, und dann hätte nicht nur der Mörder gewonnen, sondern Leo wäre bestenfalls in den [GULag]http://de.wikipedia.org/wiki/GULag gewandert oder schlimmstenfalls direkt hingerichtet worden.

Der geschichtliche Hintergrund spielt somit eine tragende Rolle im Krimiplot. Smith verdeutlicht sehr plastisch, wie sich die Menschen damals in Russland gefühlt haben dürften. Ein falsches Wort oder eine falsche Geste konnte die Anklage als Verräter bedeuten, und die Mühlen der Justiz waren damals absolut gnadenlos. Was die Menschen durchmachten – Kriege, Säuberungen, Hunger -, ist für sich genommen schon unvorstellbar. Die Angst, als Vaterlandsverräter denunziert und angeklagt zu werden, selbst ohne sich irgendeiner derartigen Tat schuldig gemacht zu haben, muss stets präsent gewesen sein. In einem Staat, den die Wahrheit nicht interessiert, muss jeder um Position und Leben bangen. Smith beschwört dieses Klima der ständigen Angst und des Misstrauens mit seinem Roman sehr greifbar herauf.

Mit Leo Demidow hat er eine sehr ambivalente Hauptfigur geschaffen, die einerseits dem System treu folgt, aber im Laufe der Geschichte ihre Meinung ändert und gegen alle Widerstände an ihren heimlichen Ermittlungen festhält. Obwohl Leo anfangs noch alles andere als ein Engel ist und sich auch im Verhältnis zu seiner Frau Raisa noch so manches Detail offenbart, das Leo in ein ungünstiges Licht rückt, hat er die Sympathien des Lesers schnell auf seiner Seite. Er ist der Held der Geschichte, aber eben ein Held mit einer dunklen Seite, und das verleiht ihm Glaubwürdigkeit.

Smith bedient sich einer klaren und präzisen Sprache und strickt einen gut inszenierten Plot, der von Anfang bis Ende einem klaren, stetig aufwärts strebenden Spannungsbogen folgt. Obwohl der Plot nicht immer ganz gradlinig verläuft und zwischen dem ersten und zweiten Leichenfund viel Zeit verstreicht, bleibt die Geschichte durchweg spannend. Smith schlägt eben zwischendurch etwas persönlichere Bahnen ein, beleuchtet Leo und Raisa näher und baut dabei seine Figurenskizzierung aus.

Für die Hörbuchfassung hat man Schauspieler Bernd Michael Lade verpflichtet, der als Vorleser leider nicht die beste Figur abgibt. Zwar hat er eine angenehme, warme Stimme, liest aber mitunter etwas abgehackt und holt an unpassenden Stellen Luft, als würde ihm manchmal mitten im Satz die Puste ausgehen. Hier und da meine ich so etwas wie ein unterdrücktes Gähnen herausgehört zu haben, und noch nie habe ich in einem Hörbuch so bewusst das Umblättern der Seiten heraushören können. Mit einem anderen Erzähler hätte man also sicherlich noch einiges mehr aus der Geschichte herausholen können.

Bleibt unterm Strich aber dennoch ein positiver Eindruck zurück. Zwar hat das Hörbuch wegen der im Vergleich zu anderen Produktionen eher schwachen Sprecherleistung abgesehen von der Tatsache, dass man nicht selber lesen muss, keinen nennenswerten Vorteil gegenüber der Buchfassung, ist schon allein der Geschichte wegen überaus empfehlenswert. „Kind 44“ ist durchweg spannend erzählt und garniert den Plot mit einer interessanten zeitgeschichtlichen Komponente. Darum sei zum Kauf unbedingt geraten – wenngleich man nach Möglichkeit lieber zum Buch als zum Hörbuch greifen sollte.

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422 Minuten auf 6 CDs

Anscombe, Roderick – Hinterhältig

Die Zutaten, aus denen Roderick Anscombe seinen Thriller „Hinterhältig“ zaubert, klingen vielversprechend: Man nehme einen forensischen Psychiater in einem Hochsicherheitsgefängnis für psychisch kranke Straftäter, gebe einen gerissenen, schwerreichen, psychopathischen Stalker dazu und schon hat man einen Thriller, der in einem Psychoduell auf Leben und Tod gipfelt.

So ergeht es zumindest Psychiater Paul Lucas, der den schwerreichen Elitestudenten Craig Cavanaugh als neuesten Patienten vor die Nase gesetzt bekommt. Craig hat seiner Professorin Natalie Davis massiv nachgestellt. Mit deren Zurückweisungen kommt er nicht zurecht, und so kommt es, wie es kommen muss: Natalie fühlt sich bedroht und schaltet die Behörden ein, die Craig zu der Auflage verdonnern, sich von Natalie fern zu halten. Natürlich verstößt Craig gegen diese Auflage (was sich aber nicht mit letzter Endgültigkeit beweisen lässt) und da es auch Paul nicht gelingt, dem Gericht glaubhaft zu machen, dass Craig wirklich gefährlich ist, kommt er frei und wird fortan auf eigenen Wunsch von Paul therapiert.

Doch glaubt der Psychiater anfangs noch, er habe die Lage im Griff, so sorgt Craig schon bald dafür, dass Paul die Sache entgleitet. Ohne dass Paul es so richtig bemerkt, gibt auf einmal Craig den Ton an und verwickelt ihn in eine ausgebuffte Intrige, die Paul schon bald nicht nur seinen Job kosten könnte, sondern obendrein sein ganze Leben über den Haufen zu werfen droht …

So weit der grobe Inhalt. Anscombe erzählt den Roman aus der Perspektive von Paul. Paul steht im Mittelpunkt der Handlung, und obwohl Anscombe die Perspektive des Ich-Erzählers wählt, ist der Leser schon bald schlauer als die Hauptfigur. Natürlich ist dem Leser schon beim ersten Zusammentreffen von Psychiater und Stalker klar, dass die Angelegenheit irgendwie aus dem Ruder laufen muss, aber zu Beginn passiert erst einmal nicht viel.

Anscombe versucht sich mit einem ganz subtilen Spannungsaufbau. Er lässt die beiden Kontrahenten einfach aufeinanderprallen, und während sie sich in langen Gesprächen zunächst erst einmal gegenseitig „abtasten“, passiert ansonsten nicht viel. Das sorgt nicht gerade für einen spannungsgeladenen Romaneinstieg. Anscombe blickt auf Pauls Privatleben und auf die Probleme, die er und seine Frau Abby haben, seitdem der Sohn bei einem Autounfall starb.

Obwohl der Autor dabei auch teilweise das Innenleben seines Protagonisten entblättert, bleibt die Figur des Paul Lucas überraschend blass. Das alles sieht eben mehr nach durchschnittlicher Kost aus, von der man nicht sonderlich viel Tiefe erwarten kann. Dementsprechend baut sich dann auch der weitere Plot auf. Da Paul Lucas als Protagonist also ein wenig konturenlos bleibt, fiebert man als Leser auch nicht sonderlich stark mit ihm mit.

Erschwerend kommt hinzu, dass man Paul am liebsten immer für seine Blindheit ohrfeigen möchte. Der Leser überschaut enorm viel, kann Teile der Handlung gar vorhersehen und ist somit weder vom Handlungsverlauf sonderlich überrascht, noch kann die Intrige, mit der Paul sich konfrontiert sieht, besonders fesseln. Es ist halt etwas schade, wenn man als Leser immer einen entscheidenden (und mitunter ziemlich großen) Schritt voraus ist, und der Autor dann nicht einmal für wirklich überraschende Wendungen sorgt, die dem Leser demonstrieren, dass er eben doch nicht alles durchschaut hat.

Die Richtung des Romans ist schon recht bald klar, und so wartet der Leser eigentlich nur ungeduldig darauf, wann auch Paul Lucas endlich begreift, in welcher Lage er sich befindet und wie sein Lösungsansatz für diese Misere aussieht. Vermutlich war es Anscombe auch gar nicht so wichtig, ganz banale Spannung zu erzeugen, bei der auch der Leser mal im Dunkeln tappt. Anscombe ist von Haus aus selbst Gerichtspsychiater, und so dürfte für ihn logischerweise das Psychoduell der beiden Hauptfiguren den Reiz der Geschichte ausmachen.

Anscombe stellt Paul Lucas als Mann mit hohen Idealen dar, der sich stets der Wahrheit verpflichtet fühlt und ganz persönlich schon mit einer kleinen Notlüge Probleme hat. Zu beobachten, wie solch ein Mensch sich in einem schier ausweglosen Psychoduell gegen einen skrupellosen Stalker verhält, mag also seinen Reiz haben. Paul muss feststellen, dass ihm bei der Bewältigung dieses Problems seine eigenen Ideale im Weg stehen, und muss seine Handlungsweise entsprechend entgegen seinen eigenen Moralvorstellungen anpassen.

Mit der Anpassung seiner Ideale treibt Anscombe es dabei sehr weit – für meinen Geschmack zu weit. Das Finale wirft eine ganze Reihe moralischer Fragen auf, die Paul Lucas aber anscheinend nicht wirklich schlaflose Nächte bereiten und am Ende auch offen im Raum stehenbleiben. Das lässt dann Pauls Charakterskizzierung etwas unausgegoren wirken und man kann sicherlich darüber streiten, inwiefern diese charakterliche Wandlung gelungen ist bzw. eben nicht. Für meinen Geschmack wirkt sie eher wenig überzeugend.

Und so ist „Hinterhältig“ dann leider auch eher ein Thriller, der im unteren Mittelmaß anzusiedeln ist. Spannung wird eher wenig aufgebaut, da der Plot für den Leser zu durchsichtig ist und Protagonist Paul Lucas eine dermaßen lange Leitung hat, dass es schon fast ein wenig nervt.

Lediglich zum Showdown schafft Anscombe es, den Leser zu fesseln, greift dann aber zu etwas moralisch fragwürdigen charakterlichen Veränderungen an der Figur des Paul Lucas, so dass auch das Finale trotz einiger Spannung Bauchschmerzen verursacht. Und so bleibt eben auch die Figurenskizzierung irgendwo im Mittelmaß stecken. Unterm Strich also ein Thriller, der zwar eigentlich eine interessante Thematik zugrunde legt, diese aber eher schwach umsetzt.

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Åsa Larsson – Der schwarze Steg

Mit ihren bisherigen beiden Krimis hat die Schwedin Åsa Larsson ein wirklich gutes Händchen bewiesen. Für ihr Debüt „Sonnensturm“ gab es 2003 den Preis als bestes schwedisches Krimidebüt. Für den Nachfolger „Weiße Nacht“  bekam sie den Schwedischen Krimipreis 2004. Dass man von ihrem dritten Roman „Der schwarze Steg“ folgerichtig einiges erwarten darf, liegt somit auf der Hand.

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McCrea, Barry – Poeten der Nacht, Die

Bücher über die Leidenschaft zu Büchern sind stets ein besonderer Genuss für den wahren Bücherfreund. Auf fantasievolle Art und mit einem Blick für die tiefe Verbundenheit dem Medium Buch gegenüber hat schon so mancher Autor es geschafft, den Leser mitten ins Herz zu treffen – manifestiert sich in der Lektüre doch stets auch die eigene Leidenschaft des Lesers für das gedruckte Wort. Zwei passende Beispiele wären hier „Das Papierhaus“ von Carlos Maria Domínguez oder [„Der Schatten des Windes“ 2184 von Carlos Ruiz Zafón. Ein Buch, das sich anschickt, sich in diese Galerie einzureihen, ist der Debütroman „Die Poeten der Nacht“ des irischen Autors Barry McCrea.

Auch „Die Poeten der Nacht“ handelt von der Leidenschaft zu Büchern. Eine Leidenschaft, die im Fall des jungen Studenten Niall ein dunkler Sog wird, der ihn wie ein schwarzes Loch zu verschlingen droht und ähnlich absurd-sonderbare Ausmaße annimmt, wie es z. B. in Domínguez‘ Roman [„Das Papierhaus“ 2814 geschieht.

Doch von all dem ahnt Niall noch nichts, als er sein Studium am altehrwürdigen Trinity College in Dublin antritt. Zunächst genießt er einfach nur das Studentenleben, zieht abends mit seinen Kommilitonen durch die Pubs von Dublin, schließt neue Freundschaften und hat außerhalb seines Elternhauses erstmals auch die Gelegenheit, seine homosexuelle Seite zu erforschen und auszuleben.

Doch auch das wird zunehmend bedeutungslos, als Niall im Nachklang einer Party erstmals mit den „Sortes“ in Berührung kommt. Das Prinzip der „Sortes“ funktioniert folgendermaßen: Man stelle eine Frage, dann nehme man blindlings und rein intuitiv ein Buch aus einem Bücherregal, schlage es ebenso blindlings auf und lese eine intuitiv gewählte Textpassage. In dieser Textpassage steckt die Antwort auf die gestellte Frage – natürlich nicht wortwörtlich und oft rein metaphorisch. Lässt sich zwischen Textpassage und Frage keinerlei Verbindung herstellen, war die Frage nicht präzise genug formuliert.

All das sieht nach einem harmlosen literarischen Partyspiel aus, wenngleich die „Sortes“ eine uralte Tradition darstellen, derer man sich schon im alten Rom bedient hat. Schon von Anfang an ist Niall fasziniert von der Stimmigkeit der Antworten, und insgeheim lässt ihn dieses Thema nicht mehr los. Während seine beste Freundin Fionnuala die „Sortes“ schon längst wieder vergessen hat, versucht Niall auch nach der Party immer wieder, mit Sarah und John in Kontakt zu kommen, den beiden, die ihn auf der Party an die „Sortes“ herangeführt haben.

Er fängt an, den beiden mit Hilfe der Bücher hinterherzuspionieren. Er missachtet Johns stetige Warnungen sich zurückzuhalten und nervt ihn so lange, bis der ihn in weitere Geheimnisse einweiht. So erfährt Niall von „Pour Mieux Vivre“, einem Geheimbund, der neben den „Sortes“ noch weitere Praktiken anwendet, die allesamt mit Büchern zu tun haben.

Widerwillig nehmen Sarah und John Niall in ihre kleine Gemeinschaft auf, und schon bald ist Niall hoffnungslos den „Sortes“ verfallen. Er trifft keine Entscheidung mehr, ohne vorher die Bücher zu befragen. Studium, Freundschaften und der Kontakt zur Familie – alles bleibt auf der Strecke, während Niall wie ein einsamer Wanderer, stets begleitet von einem Stapel Bücher, durch Dublin streift und nach Antworten sucht. Zu spät merkt Niall, mit welcher intensiven Macht die Bücher ihn zu verschlingen drohen …

Zugegeben, der Plot mutet bei näherer Betrachtung schon etwas bizarr an. Niall, der Bücherjunkie, der ganz und gar abhängig von Büchern ist, der keine Entscheidung mehr fällt, ohne vorher die Bücher zu befragen. Zu beobachten, wie er durch die Straßen von Dublin wandelt, sich durch die Bücher den Weg weisen lässt und dabei doch keinen Schimmer hat, wohin der Weg ihn eigentlich führt. Das Ganze mutet irgendwie surreal an, und es braucht unbestreitbar schon ein gewisses Erzähltalent, damit der Leser diesem skurrilen Spiel folgen mag.

Und so ist es eben auch Barry McCreas wunderbare Art zu erzählen und plastische Bilder in den Kopf den Lesers zu projizieren, die dem Roman seinen besonderen Glanz verleiht. Die Figuren wirken durch seine Beschreibungen außerordentlich lebensnah. Man hat das Gefühl, wirklich direkt neben ihnen zu stehen und sie zu beobachten. McCrea entwirft sympathische Figuren, in denen man sich wiederfinden kann. Ganz alltägliche Menschen, in die er sich gekonnt einfühlt.

Ein wichtiger Hauptdarsteller des Romans ist die Stadt Dublin. Niall ist täglich in den Straßen der Stadt unterwegs, lässt sich durch Pubs und Clubs treiben, durchstreift Parks und Shoppingmeilen und beobachtet die Menschen, die unterwegs zur Arbeit und zum Einkaufen sind.

Und so ist „Die Poeten der Nacht“ eben auch ein Dublin-Roman, eine kleine Huldigung an die Stadt und ihre Einwohner und eine treffsichere Bestandsaufnahme, die mit geschultem Blick Irlands Verwandlung vom ehemaligen Armenhaus Europas zum „keltischen Tiger“ begleitet. War sonst immer „Ulysses“ von James Joyce der klassische Dublin-Roman, so hat McCrea mit „Die Poeten der Nacht“ ein zeitnahes, modernes Gegenstück geschaffen.

Sprachlich ist „Die Poeten der Nacht“ ein wirklich gelungener Roman. Es ist McCreas Sprache, die Grundlage seiner wohlakzentuierten Figurenskizzierung und seiner Beobachtungen Dublins ist. Treffende Beschreibungen, ein kontinuierlich aufstrebender Spannungsbogen und ein flüssiger Erzählstil sorgen dafür, dass „Die Poeten der Nacht“ wirklich angenehm zu lesende Lektüre ist.

So gelingt McCrea es eben auch, eine so bizarre Geschichte wie Nialls Besessenheit von den „Sortes“ und das stetig voranschreitende Entgleisen seines Lebens zu dokumentieren – zumal das Ganze stets auch von einem etwas mystischen Nebel umgeben wird. Niall trifft immer wieder die ominöse Figur des Pablo Virgomare, von dem nie weiß, ob er wirklich existiert oder vielleicht nur ein Produkt von Nialls Fantasie ist. Je mehr Niall sein Leben entgleitet, desto sonderbarere Züge nimmt auch der Plot an. Das ist einerseits faszinierend, aber andererseits eben auch nicht wenig verwirrend. Man weiß nicht, was man davon halten soll. So wie Niall offenbar immer wieder von seiner Wahrnehmung an der Nase herumgeführt wird, scheint auch McCrea den Leser an der Nase herumzuführen.

Und so bleibt der Roman eben bis zum Ende hin von einer unergründlichen und rätselhaften Ader durchzogen. Das mag manchen Leser faszinieren und sorgt dafür, dass „Die Poeten der Nacht“ ein Buch ist, dass auch bei zweimaliger Lektüre noch seinen Reiz haben dürfte – wer jedoch am Ende eine klare Auflösung und ein erklärendes Ende erwartet, der dürfte etwas enttäuscht sein. McCrea lüftet den Schleier des Rätselhaften nicht wirklich, und so bleibt einem auch Niall trotz der gelungenen Figurenskizzierung am Ende immer noch ein wenig fremd, weil man nicht ganz nachvollziehen kann, was in ihm vorgeht.

So ist „Die Poeten der Nacht“ unterm Strich ein Buch, das gleichermaßen rätselhaft wie faszinierend ist. McCrea offenbart ein wunderbares Erzähltalent, fühlt sich sehr gut in seine Figuren ein und hat einen lesenswerten Dublin-Roman abgeliefert. Doch mit der mystischen, rätselhaften Art des Romans muss man erst einmal warmwerden. Vieles bleibt auch am Ende immer noch offen und mysteriös. Dadurch klingt der Roman im Kopf zwar noch lange nach, bleibt aber eben auch ein etwas unbefriedigendes Lesevergnügen, da man auf viele Antworten vergebens wartet.

http://www.aufbauverlag.de

Willingham, Bill / Buckingham, Mark – Fables 5 – Aufmarsch der Holzsoldaten

Nachdem Bill Willingham seine Leserschaft mit einem fiesen Cliffhanger am Ende des vierten „Fables“-Bandes „Die letzte Festung“ auf die Folter gespannt hat, dürfen treue „Fables“-Freunde nun endlich den fünften Band der Reihe in Händen halten. Mit dem „Aufmarsch der Holzsoldaten“ erreicht die Reihe einen neuen Höhepunkt.

Nachdem Jack Horner im Vorgängerband einer äußerst schmerzhaften Begegnung mit drei „Men in Black“-artigen Gestalten ins Auge sehen musste, steht nun ganz Fabletown eine Bedrohung ganz neuer Größenordnung ins Haus. Waren die Märchengestalten in ihrem New Yorker Exil bislang immer sicher vor den Feinden aus der alten Heimat, so zeigt die Lage sich nun in einem etwas anderen Licht. Bigby Wolf findet am Tor in Nordkanada Anzeichen, die darauf hindeuten, dass den Fables eine Invasion unmittelbar bevorsteht.

Während der Feind zu den Waffen greift und im wortwörtlichen Sinn seine Holzsoldaten aufmarschieren lässt, bereiten die Bewohner von Fabletown sich auf den bevorstehenden Angriff vor. Eine Verteidigungsstrategie wird ausgeklügelt – mitsamt einer Verschleierungstaktik, welche die wahren Geschehnisse vor den ahnungslosen Bewohnern New Yorks geheimhalten soll.

Snow White muss den Kampf alleine organisieren und die Truppen aufstellen, bis Bigby Wolf von seiner Mission in Nordkanada zurück ist. Den Fables steht eine schwere, geradezu aussichtslose Schlacht bevor, denn schon allein zahlenmäßig ist der Feind ihnen haushoch überlegen …

Schon in „Fables 4: Die letzte Festung“ mischte sich eine zunehmend düstere Stimmung in den Plot. Das setzt sich auch mit dem vorliegenden fünften Band fort. Die bevorstehende unvermeidliche Invasion von Fabletown dominiert die Handlung und die eigentliche Schlacht ist der definitive Höhepunkt. Dabei geht es mitunter recht brutal zu. Einige Fables müssen ihr Leben lassen, während der übermächtige Gegner eiskalt zum Angriff bläst.

Die Falbes haben es mit einem Feind zu tun, der seine Truppen gut vorbereitet hat und loyale und skrupellose Kämpfer auf seiner Seite hat, die bedingungslos seinem Willen folgen. Die Holzsoldaten sind ein harter Gegner und die Fables müssen ihre Verteidigung mit List und Tücke planen, um von der Invasion nicht völlig überrollt zu werden.

Und so verläuft auch dieser Band der Reihe wieder sehr spannend. Vor allem die Ereignisse kurz vor der Invasion sorgen für erste Spannungshöhepunkte, und auch nach der Schlacht, wenn der Leser schon glauben möchte, alles wäre vorbei, dreht Willingham noch einmal an der Spannungsschraube.

Bei so viel Kampfgetümmel und Säbelrasseln bleibt diesmal wenig Raum sich tieferen Figurenentwicklungen zu widmen. Angesichts des hohen Tempos der Erzählung ist das aber zu verschmerzen. Inzwischen kennt man die meisten Fables und es wird im weiteren Verlauf der Reihe sicherlich noch Momente geben, wo Willingham sich wieder detaillierter mit den Charakteren auseinandersetzt.

Intrigen und Verrat bleiben ein spannendes Thema der „Fables“-Geschichte. Das macht auch der Epilog sehr deutlich, der sich gänzlich um die Erlebnisse von Cinderella bei einem Abenteuer in Paris dreht. Trotz des eindeutig auf Spannung ausgelegten Plots, trotz der Bedrohung der Fables durch einen schier übermächtigen Gegner, bleibt auch diesmal wieder Raum für eine Prise feinsinnigen Humors. Eine ironische Bemerkung hier, ein dezenter Gag da – so lockert Willingham den Plot etwas auf. Dennoch gibt es in „Aufmarsch der Holzsoldaten“ natürlich auch traurige Momente, die sich vor allem in den Szenen nach der Schlacht widerspiegeln.

Zeichnerisch liefert Mark Buckingham (diesmal unterstützt von Tony Akins) gewohnt gute Arbeit und sorgt so dafür, dass Geschichte und Bilder wunderbar harmonisch miteinander verschmelzen.

Und so bleibt die „Fables“-Reihe auch mit dem mittlerweile fünften Band immer noch interessant und fesselnd. Man darf gespannt sein, was noch alles passieren wird in Fabletown. Der „Aufmarsch der Holzsoldaten“ beweist in jedem Fall, dass es sich lohnt, bei den „Fables“ am Ball zu bleiben.

_Die „Fables“ bei |Buchwurm.info|:_

[„Fables 1 – Legenden im Exil“ 3175
[„Fables 2 – Farm der Tiere“ 3506
[„Fables 3 – Märchenhafte Liebschaften“ 4062
[„Fables 4 – Die letzte Festung“ 4504

Stieg Larsson – Vergebung (Millennium 3)

Ein Jahr mussten die Leser warten, um endlich zu erfahren, wie das große Finale von Stieg Larssons „Millennium-Trilogie“ aussieht. Nun liegt mit „Vergebung“ der heiß ersehnte letzte Band der Reihe vor. „Verdammnis“, der Vorgängerband, endete derart abrupt mitten in der Handlung, dass man als Leser schon etwas unbefriedigt und ungeduldig wartend zurückblieb. „Vergebung“ knüpft unmittelbar an die Geschehnisse in „Verdammnis“ an.

Lisbeth Salander wird mit einer Kugel im Kopf in die Notaufnahme eines Göteborger Krankenhauses gebracht. Sie hat die Auseinandersetzung mit Alexander Zalatschenko, dem kriminellen russischen Ex-Spion, nur knapp überlebt. Und kaum ist sie aus dem Gröbsten raus und so langsam auf dem Wege der Besserung, da soll ihr auch schon der Prozess gemacht werden. Auch wenn sich die Mordanschuldigungen nicht erhärtet haben, so wird Lisbeth doch noch eine ganze Reihe von Taten zur Last gelegt, für die sie sich vor Gericht verantworten soll.

Der schwedische Geheimdienst setzt derweil alles daran, die Ermittlungen so zu beeinflussen, dass der Prozess nach ihren Wünschen enden wird. Lisbeth soll mundtot gemacht werden und für möglichst lange Zeit in der Psychiatrie verschwinden. Doch Lisbeth hat noch einen starken Verbündeten: Mikael Blomkvist. Mikael sammelt fleißig Beweise für Lisbeths Unschuld und versucht das Komplott gegen sie möglichst lückenlos aufzudecken. Doch das ist kein leichtes Unterfangen. Von höchster Stelle werden Mikael Steine in den Weg gelegt. Doch Mikael setzt alles daran, die Sache restlos aufzuklären …

Nachdem Stieg Larsson schon mit den beiden Vorgängerbänden „Verblendung“ und „Verdammnis“ zwei äußerst spannende Romane abgeliefert hat, sind die Erwartungen an das Finale logischerweise groß. Nachdem er am Ende des zweiten Teils ein wenig über das Ziel hinaus geschossen ist und Lisbeth im Licht der Ereignisse plötzlich wie ein mutierter Superheld erschien, wird die Handlung mit Beginn des dritten Teils wieder etwas bodenständiger.

Für Spannung ist dennoch von Beginn an reichlich gesorgt. Zunächst einmal müssen die Ärzte Lisbeths Leben retten, und kaum, dass es ihr dann etwas besser geht, muss sie auch schon anfangen, um ihre Sicherheit zu fürchten. Währenddessen sammelt Mikael Material, um die letzten Lücken in seiner Story abzudichten. Auch hier ist für Spannung stets gesorgt, denn die Gegenspieler vom Geheimdienst sind über die zu erwartende Bedrohung im Bilde und man erwartet jederzeit Aktionen, die eine Veröffentlichung des Materials vereiteln sollen.

Man weiß inzwischen, dass die Bösewichte skrupellos genug sind, um sich und ihre Machenschaften auch mit drastischen und endgültigen Maßnahmen zu schützen, und so hält Larsson den Spannungsbogen über Hunderte von Seiten auf konstant hohem Niveau. Selbst wenn er einen Nebenplot eröffnet, bleibt die Geschichte temporeich und durchgängig fesselnd. Der hauptsächliche Nebenplot dreht sich um die „Millennium“-Chefredakteurin Erika Berger, die ihren neuen Posten bei einer großen Tageszeitung antritt.

Larsson baut immer wieder Sprünge ein, so dass man ständig auf dem Laufenden darüber ist, was in anderen Erzählsträngen passiert. Auf diese Weise hält er den Leser dicht am Geschehen und lässt „Vergebung“ damit zu einem echten „Page-Turner“ werden. Man kommt einfach nicht los von dem Buch, und ich muss sagen, dass ich schon lange nicht mehr so schnell durch knapp 850 Seiten gekommen bin, wie bei diesem Buch. Man kann einfach nicht die Finger davon lassen, und die Versuchung ist groß, alles andere um sich herum umgehend zu vergessen.

Der konsequent aufstrebende Spannungsbogen ist damit schon mal die wichtigste Qualität von „Vergebung“. Eine weitere liegt, wie schon in den Vorgängerbänden, in der Figurenskizzierung. Lisbeth Salander hat vor allem mit „Verdammnis“ an Profil gewonnen, und obwohl sie dabei am Ende wie ein mutierter Superheld wirkt, bleibt sie als Figur interessant. Sie ist eine äußerst ambivalente Figur – unglaublich scharfsinnig und klug, wenngleich sie in Sachen soziale Kompetenz so ihre Defizite hat. Sie hat etwas eigenwillige moralische Ansichten, aber ist im Grunde ein ehrlicher Mensch. Es ist gerade auch die Figur der Lisbeth Salander, die den Reiz der Geschichte ausmacht. In „Vergebung“ zu sehen, welche Maßnahmen sie ergreift, um sich selbst den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, trägt sehr zum Lesegenuss bei.

Die gesamte Spannung der Buches läuft im Grunde auf einen Punkt hinaus: den Prozess gegen Lisbeth. Als der dann vorbei ist, fällt damit die Spannung logischerweise erst einmal ab. Aber dennoch setzt Larsson noch einen weiteren Finalpunkt, der auf den letzten Metern erneut an der Spannungsschraube dreht.

Und so kann man das Buch am Ende im Grunde sehr zufrieden zuschlagen und den Puls langsam wieder runterfahren. „Vergebung“ ist das durch und durch spannende Finalspektakel der „Millennium-Trilogie“. So wirklich nennenswerte Kritikpunkte mögen mir da nicht einfallen, außer vielleicht, dass ich an den Tagen, an denen ich mit dem Buch beschäftigt war, etwas wenig geschlafen habe.

„Vergebung“ ist ein stimmiger und sehr lesenswerter Schlussakkord einer größtenteils wirklich gut durchkomponierten Trilogie, die gerade auch durch ihre ausgefeilte Figurenzeichnung überzeugt. Wer es spannend mag, für den führt vor allem nach diesem fulminanten Finale eigentlich kein Weg daran vorbei, alle drei Bände der Reihe zu lesen. Sie bauen ohnehin aufeinander auf, so dass von einem Quereinstieg dringend abzuraten ist.

Stieg Larsson (* 15. August 1954 als Karl Stig-Erland Larsson in Umeå, Schweden; † 9. November 2004 in Stockholm) war ein schwedischer Journalist, Schriftsteller und Herausgeber des antifaschistischen Magazins „EXPO“. Er galt weltweit als einer der führenden Experten für Rechtsextremismus und Neonazismus. Noch vor seinem Tod konnte er drei Kriminalromane fertigstellen, die jedoch erst posthum veröffentlicht wurden. Stieg Larsson starb 2004 an den Folgen eines Herzinfarktes. 2006 erhielt er posthum den skandinavischen Krimipreis |Glasnyckeln| für „Verblendung“, welches ein Jahr zuvor bereits vom schwedischen Buchhandel zum besten Buch des Jahres gewählt worden war.

Im März 2008 sollen die Dreharbeiten für die Verfilmungen der Millennium-Trilogie beginnen. Für den ersten Teil „Verblendung“ sind ein Kinofilm (Premiere wahrscheinlich 2009) und zwei je 90 Minuten lange Teile für das Fernsehen geplant. Die Bände „Verdammnis“ und „Vergebung“ werden nur fürs Fernsehen verfilmt. In den Hauptrollen werden Michael Nyqvist als Mikael Blomkvist und Noomi Rapace-Norén als Lisbeth Salander zu sehen sein.

Stieg Larssons Millennium-Trilogie:

„Verblendung“ (Män Som Hatar Kvinnor, 2005; dt. von Wibke Kuhn; Heyne 2006)
„Verdammnis“ (Flickan som lekte med elden, 2006; dt. von Wibke Kuhn; Heyne 2007)
„Vergebung“ (Luftslottet som sprängdes, 2007; dt. von Wibke Kuhn; Heyne 2008)

Greg Rucka, Steve Lieber – Whiteout: Melt

Mit „Whiteout“ haben Autor Greg Rucka und Zeichner Steve Lieber einen ebenso spannenden wie ungewöhnlichen Comic abgeliefert. US-Marshal Carrie Stetko muss unter den lebensfeindlichen Bedingungen der Antarktis einen Mord aufklären. Dabei hat sie als einzige Frau unter 400 Männern schon genug andere Sorgen und einen durch das gespaltene Verhältnis zu ihren Vorgesetzten alles andere als leichten Job.

Mit „Whiteout: Melt“ legen Rucka und Lieber nun den zweiten Teil der Mini-Serie vor, und von der bedrückenden Enge der antarktischen Forschungsstationen geht es diesmal hinaus in die stillen Weiten des ewigen Eises.

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Ruff, Matt – Bad Monkeys

Wenn Matt Ruff ein neues Buch veröffentlicht, ist das für sich genommen schon ein Anlass zur Freude. Ruff ist alles andere als ein fleißiger Schreiber und hat es in den 20 Jahren seit seinem Debütroman „Fool on the Hill“ auf gerade einmal insgesamt vier Bücher gebracht. Nichtsdestotrotz hat er eigentlich für jedes seiner Werke viel Lob geerntet. So ist es vielleicht auch ganz gut, dass er nicht dem Hype verfällt und weiterhin auf Qualität statt auf Quantität setzt – lieber sporadisch und dafür stets von gleichbleibend hoher Qualität, als viel Mittelmaß oder gar Ramsch.

Für sein aktuelles Werk „Bad Monkeys“ hat Ruff sich nur vier Jahre Zeit gelassen – für seine Verhältnisse schon fast ein Anfall von Arbeitswut. Herausgekommen ist der mit 251 Seiten bisher kompakteste Ruff, der wieder einmal (auch das ist typisch für ihn) in keine Schublade passt.

Ruff selbst sieht „Bad Monkeys“ als eine Hommage an Philip K. Dick. Wer deswegen einen astreinen Science-Fiction-Roman erwartet, der liegt dennoch daneben – wenn auch nur irgendwie. „Bad Monkeys“ ist Verschwörungsthriller, Coming-of-Age-Roman, Krimi und Science-Fiction-Geschichte in einem. Ein wilder Genremix, in dem Ruff die verschiedensten Elemente unter einen Hut bringt.

„Bad Monkeys“ erzählt die Geschichte von Jane Charlotte. Jane sitzt in der psychiatrischen Abteilung eines Gefängnisses in Las Vegas ein und ihre Anklage lautet auf Mord. Sie leugnet nicht die Tat, sondern will dem zuständigen Psychiater nur die genaueren Umstände erläutern. Jane behauptet, Mitglied einer Geheimorganisation zu sein und dort in einer Unterabteilung namens „Bad Monkeys“ zu arbeiten, deren genauer Name „Abteilung für die finale Ausschaltung nicht zu rettender Personen“ lautet.

Hier ist Jane für das Ausschalten böser Menschen zuständig, die bereits Schaden angerichtet haben und dies auch in Zukunft zu tun gedenken. Das Eliminieren der Zielpersonen erfolgt dabei stets so unauffällig wie möglich.

Jane ist für den Job als Bad-Monkey-Agentin prädestiniert: Schon als Teenager hat sie den Hausmeister ihrer Schule (einen mutmaßlichen Kindermörder) auf eigene Faust zur Strecke gebracht. Jane wird von den Bad Monkeys rekrutiert und schreitet mit vollem Eifer zu Werke, schießt dabei aber auch manchmal über das Ziel hinaus.

Je mehr Jane davon dem Psychiater erzählt, desto mehr kommen Zweifel an ihrer Geschichte auf. Ist das alles überhaupt wirklich passiert? Der Psychiater weiß viel über Jane und konfrontiert sie mit immer neuen Fakten, die ihre Geschichte in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen, wie z. B. die Geschichte ihres kleinen Bruders, der als Kind entführt wurde. Sieht die Wahrheit vielleicht doch ganz anders aus?

„Bad Monkeys“ ist allem voran ein temporeicher Roman. Ruff versteht es, den Leser unmittelbar in den Plot zu ziehen. Ruff springt immer wieder hin und her, zwischen Janes Gespräch mit dem Psychiater und ihrer Vergangenheit. Schlag auf Schlag ziehen die Ereignisse ihre Kreise. Schon nach wenigen Seiten steuert Ruff den ersten Spannungshöhepunkt an: Jane verfolgt den Hausmeister, und damit knüpft Ruff einen dermaßen dichten Spannungsbogen, dass man schon von Beginn an völlig hingerissen von der Lektüre ist.

Ruff versteht sich darauf, den Leser gewissermaßen einzulullen. Er hat eine so eingängige und lebhafte Sprache, erzählt in so klaren, plastischen Bildern, dass man schnell tief in die Geschichte gesogen wird. Dieses Talent hat er auch in früheren Romanen schon bewiesen. Ruff hat eine Art zu erzählen, bei der er dem Leser noch so abstruse Begebenheiten unterjubeln kann – der Leser schluckt willig so ziemlich alles.

Dieses Prinzip funktioniert auch bei „Bad Monkeys“ wieder wunderbar – zumal der temporeiche Aufbau des Romans sein Übriges dazu tut. Obendrein spannt Ruff diesmal den Leser mit ganz existenziellen Fragen auf die Folter: Was ist die Realität? Wer ist Jane Charlotte? Je weiter der Plot sich entrollt, desto mehr drängen sich diese Fragen in den Vordergrund, und das erinnert in gewisser Weise dann eben tatsächlich an die Romane von Philip K. Dick („Blade Runner“, „Minority Report“, „Total Recall“, „Paycheck“, „A Scanner Darkly“, „Next“ …).

Ruff spielt mit der Wahrnehmung des Leser, und auch wenn man innerlich schon auf die klassischen psychologischen Schachzüge gefasst ist (schließlich drehte Ruffs letzter Roman „Ich und die anderen“ sich um das Thema Persönlichkeitsspaltung), so ist man auf den Paukenschlag des furiosen, atemlosen Finales dann doch nicht wirklich vorbereitet. Ruff dreht alles gnadenlos auf den Kopf, zaubert eine unerwartete Wendung nach der anderen aus dem Hut und fordert den Leser damit richtig heraus.

Sind die ersten Zweidrittel des Romans eine Mischung aus spannenden, teils gar schaurigen und vor allem phantastischen Elementen, erzählt von einer Figur (Jane Charlotte), mit der man stets mitfiebert, so dürfte so mancher Leser vom letzten Drittel etwas überfordert sein. Manch einem mag das „Matrix“-mäßige Finale dann doch etwas zu dick aufgetragen sein, und ganz eindeutig geht Ruff hier bis an die Grenze des Erträglichen. Wie er das Ganze am Ende dann aber auflöst und eine unerwartete Wendung nach der anderen präsentiert, das wäscht ihn dann zu einem nicht unerheblichen Teil doch wieder rein. Ruff war halt schon immer der Meister abgefahrener Plots.

Alles in allem bleibt damit ein positiver Eindruck zurück. Matt Ruff beweist mit „Bad Monkeys“ wieder einmal seinen Sonderstatus als Schriftsteller. „Bad Monkeys“ ist ein ungewöhnlich kompakter Ruff, aber er strotzt vor atmosphärischer Dichte und Spannung. Ruff schafft es wieder einmal, einen höchst sonderbaren und absurden Plot auf so eingängige und leichtfüßige Art zu erzählen, dass man das Buch kaum aus der Hand legen mag. Ein abgefahrener Genremix, der in keine Schublade passt und sich vielleicht am ehesten noch mit Jasper Ffordes [„Der Fall Jane Eyre“ 4165 vergleichen lässt.

http://www.hanser-verlag.de

_Die Romane von Matt Ruff:_
„Fool on the Hill“ (auf Deutsch 1991 erschienen)
„G.A.S. – Die Trilogie der Stadtwerke“ (1998)
[„Ich und die anderen“ 2712 (2004)
„Bad Monkeys“ (2008)

Scott, Michael – unsterbliche Alchemyst, Der (Die Geheimnisse des Nicholas Flamel 1) (Lesung)

Spätestens seit [„Harry Potter und der Stein der Weisen“ 139 dürfte der Franzose Nicholas Flamel (ca. 1330? – 1418?) vielen ein Begriff sein. Der Ire Michael Scott baut nun eine ganze Buchreihe um den berühmten Alchemisten auf. Ab diesem Frühjahr bis zum Frühjahr 2013 sollen voraussichtlich sechs Bände um „Die Geheimnisse des Nicholas Flamel“ veröffentlicht werden. Scott hat sich also einiges vorgenommen. Den Auftakt zur Reihe bildet „Der unsterbliche Alchemyst“, als Hörbuch gelesen von keinem Geringeren als Andreas Fröhlich – schon allein diese Tatsache ist Grund genug, einen genaueren Blick auf das Werk zu werfen …

Es ist der Sommer 2007 in San Francisco. Josh Newman und seine Zwillingsschwester Sophie wollen sich in den Sommerferien ihr Taschengeld aufbessern. Also arbeitet Josh im Buchladen von Nick Fleming, während Sophie im Café auf der gegenüberliegenden Straßenseite aushilft. Es verspricht ein recht unspektakulärer Sommer zu werden, bis Sophie eines Tages vom Café aus die Ankunft höchst eigenartigen Besuches beobachtet, der kurz darauf die Buchhandlung betritt.

Als Sophie daraufhin in die Buchhandlung eilt, um herauszufinden, was es mit dem mysteriösen Besucher auf sich hat, wird sie zusammen mit ihrem Bruder Josh Zeugin eines magischen Kampfes, der um ein uraltes Buch entbrannt zu sein scheint. Im Getümmel hat Josh sogar versehentlich zwei Seiten aus dem geheimnisvollen Buch herausgerissen.

Wie sich bald herausstellt, ist der mysteriöse Besucher Dr. John Dee, seinerzeit Lehrling des größten Alchemisten aller Zeiten, Nicholas Flamel – der sich hinter der Identität des unscheinbaren Buchhändlers Nick Fleming verbirgt und inzwischen schon fast 700 Jahre alt ist.

Sophie und Josh werden in eine Geschichte hineingezogen, die ihnen verständlicherweise absolut unfassbar erscheint. Sie kämpfen zusammen mit dem berühmten Nicholas Flamel gegen den großen [Dr. John Dee,]http://de.wikipedia.org/wiki/John__Dee der zum einen gerne die beiden fehlenden Seiten des „Codex“ ergänzen würde (schließlich enthält dieses wertvolle Buch die genauen Anweisungen zur Herstellung eines Elixiers, das ewiges Leben verheißt). Zum anderen hält Dee, quasi als Pfand für die beiden fehlenden Seiten, Nicholas‘ geliebte Frau Perenelle gefangen. Für die Zwillinge beginnt ein Abenteuer, dessen Ausmaß sie sich noch vorzustellen vermögen …

Was Michael Scott mit seinem Roman „Der unsterbliche Alchemyst“ abgeliefert hat, ist durchaus solide Fantasykost, an der vor allem die jüngere Generation ihre Freude haben dürfte. Mit Sophie und Josh setzt Scott auf zwei Protagonisten, mit denen sich viele jugendlichen Leser/Hörer sicherlich identifizieren können. Während Sophie gerne mit ihre Freundin am Telefon plauscht, gilt das Interesse von Josh vor allem seinem Notebook und seinem |iPod|.

Das klingt ein wenig nach abgedroschenen Rollenklischees, aber da beide Figuren ganz sympathisch und, soweit die Tiefe des Romans überhaupt eine solche Einschätzung zulässt, durchaus natürlich wirken, lebt es sich ganz gut damit. Sophie und Josh haben zumindest im vorliegenden ersten Teil der Geschichte eben noch nicht sonderlich viel Raum, um einen tieferen Eindruck beim Leser/Hörer zu hinterlassen. Dafür fährt Scott auch zu viele weitere Figuren und Gestalten auf.

Und so bleiben Sophie und Josh eben ziemlich blass. Einen Teil der Handlung verlegt Scott in das Schattenreich, knüpft aber in vielen Punkten auch immer wieder an das Hier und Jetzt an. Die Zwillinge schlittern etwas unbedarft in die ganze Geschichte hinein und wirken dadurch gerade zu Anfang noch ziemlich naiv. Doch ihre Rolle dürfte schon im nächsten Teil der Geschichte weiter ausgebaut werden, denn für die Handlung entpuppen die beiden sich als elementares Kernstück. Für den Fortgang der Geschichte kommt Scott damit sicherlich nicht umhin, ihnen etwas mehr Tiefe zu verleihen.

„Der unsterbliche Alchemyst“ ist ein Sammelsurium verschiedenster mythologischer Gestalten, die Scott geschickt zu einem stimmigen Plot zusammenfügt. Grundlegender Konflikt, der auch im Kampf zwischen John Dee und Nicholas Flamel einen wichtigen Faktor darstellt, ist die Rolle des „Älteren Geschlechts“. Dee kämpft auf der Seite der Älteren, welche die Erde wieder in Besitz nehmen und die Menschheit vernichten wollen, während Nicholas Flamel genau dies verhindern will. Doch ohne den „Codex“, den John Dee aus der Buchhandlung gestohlen hat, sieht Nicholas Flamel nicht nur sprichwörtlich alt aus. Flamel braucht den „Codex“ und das darin enthaltene Geheimnis des ewigen Lebens, um nicht innerhalb eines einzigen Mondzyklus rapide zu altern und schließlich zu sterben.

Jeder der beiden Kontrahenten hat mächtige Kampfgefährten an seiner Seite. Nicholas Flamel wird zum Beispiel unterstützt durch Scathach, die „Dämonenschlächterin“ oder „Königsmacherin“, die in den letzten ca. 2000 Jahren so ziemlich jeden legendären Krieger ausgebildet haben dürfte. Hier tritt die Scathach als die siebzehnjährige Scatty in Erscheinung, die mit den Zwillingen schnell Freundschaft schließt.

Auf der Seite von Dee stehen unter anderem die Katzengöttin Bastet und die Krähengöttin Morrigan. Scotts Roman offenbart sich als Streifzug durch die Mythologie, der den Leser/Hörer mit so vielen interessanten Geschöpfen von Golems bis zu Werebern bekanntmacht, dass man auf der Website zum Buch noch mal alle Namen und Kreaturen in einem Lexikon nachschlagen kann.

Was Scott ganz gut gelingt, ist, neben der farbenprächtigen Ausschmückung seines Plots, der Verlauf des Spannungsbogens. Er zieht gleich mit dem ersten Kampf in der Buchhandlung die Spannungsschraube kräftig an. Er würzt den Plot mit reichlich Magie und legt den unterschiedlichen Handlungssträngen von Perenelles Gefangenschaft und den Erlebnissen der Zwillinge mit Nicholas Flamel einen stetig spannender werdenden Verlauf zugrunde.

Was darum auch stört, ist, dass die Geschichte ganz offen endet. „Der unsterbliche Alchemyst“ ist nichts weiter als die Ausgangsbasis für den weiteren Verlauf der Reihe um Nicholas Flamel, und dementsprechend wird kaum ein Handlungsstrang wirklich abgeschlossen. Das ist vor allem deswegen etwas unbefriedigend, weil man nun bis Frühjahr 2009 warten muss, um zu erfahren, wie es weitergeht. In Anbetracht der Tatsache, dass die Handlung am Ende des ersten Teils wirklich mehr oder weniger mittendrin abbricht, stellt sich die Frage ob die Vorgehensweise, jeweils zwölf Monate bis zum Erscheinen des nächsten Bandes verstreichen zu lassen, vom Verlag so klug gewählt ist.

Ein wenig erinnert ein Teil der Geschichte (die Rolle des „Älteren Geschlechts“, die Bedeutung der Kinder für den Fortgang der Geschichte, etc.) an die Reihe „Die fünf Tore“ von Anthony Horowitz. Im direkten Vergleich hat Horowitz schon aufgrund der ausgefeilteren Figurenzeichnung die Nase vorn. „Die fünf Tore“ ist eben auch für Erwachsene sehr unterhaltsam und durchweg spannend. „Der unsterbliche Alchemyst“ ist dagegen stärker auf eine jüngere Zielgruppe zugeschnitten.

Dennoch macht „Der unsterbliche Alchemyst“ als Hörbuch durchaus auch Erwachsenen Freude. Ein gewichtiger Grund dafür dürfte die wie üblich hervorragende Arbeit von Andreas Fröhlich sein. Wer [„Eragon“ 3228 als Hörbuch kennt, der weiß, zu welch unglaublichen Leistungen dieser Mann fähig ist. Fröhlich haucht einer Fantasy-Geschichte mehr Leben ein, als man von einem einzelnen Sprecher überhaupt erwarten kann, und so glänzt eben auch „Der unsterbliche Alchemyst“ besonders durch die herausragende Vielseitigkeit, mit der Andreas Fröhlich die verschiedenen Figuren der Geschichte vor dem Auge des Hörers agieren lässt.

Das, was die Geschichte hier und da an charakterlicher Tiefe vermissen lässt, vermag Andreas Fröhlich durch seine brillante Vortragsweise zu einem nicht unwesentlichen Teil zu kompensieren. Da verzeiht man so manche Schwäche der Geschichte – einfach, weil man zu sehr damit beschäftigt ist, das Hörbuch zu genießen.

Bleibt unterm Strich also mit Blick auf die Geschichte ein solider Eindruck zurück. Man darf gespannt sein, was Scott aus den „Geheimnissen des Nicholas Flamel“ noch alles herauszukitzeln vermag. Da die Geschichte immerhin für sechs Bände ausgelegt ist, gibt es vor allem auch in Anbetracht der vielen Inspirationen aus Legenden und Mythen noch unzählige Möglichkeiten. Und so bleibt auch zu hoffen, dass die bis dato noch sehr schwache Charakterskizzierung von Josh und Sophie Newman an Tiefe gewinnt.

Als Hörbuch ist „Der unsterbliche Alchemyst“ schon aufgrund der Tatsache, dass Andreas Fröhlich die Geschichte liest (wobei der Begriff „Lesen“ hier gar nicht weit genug greift), eine Empfehlung wert.

Das lohnenswerte Verlagsspezial zur Buchreihe:
[www.nicholas-flamel.de]http://www.nicholas-flamel.de

David Nicholls – Ewig Zweiter

Bereits in seinem ersten Roman [„Keine weiteren Fragen“ 3258 hat der Brite David Nicholls bewiesen, dass er sich auf sympathischen Losertypen versteht. Der Titel hat sich gut verkauft und die Filmrechte wurden bereits an Tom Hanks‘ Produktionsfirma |Playtone| abgetreten. Man darf also zu Recht erwarten, dass sich Nicholls auch mit seinem zweiten Roman „Ewig Zweiter“ gut schlägt – vor allem auch deswegen, weil es diesmal um eine Thematik geht, die auch Parallelen zu seiner eigenen Biographie offenbart – Nicholls hat jahrelang als Schauspieler gearbeitet, bevor er sich aufs Schreiben verlegte.

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Link, Kelly – Elbenhandtasche, Die

Die Lobeshymnen im Klappentext zu Kelly Links Debüt „Die Elbenhandtasche“ sind geradezu überschwänglich. Jonathan Lethem erklärt die Autorin kurzerhand zur |“besten Kurzgeschichten-Autorin der Welt“| und auch Neil Gaiman lässt sich von der Euphorie um Kelly Links Fantasy-Kurzgeschichten anstecken: |“Kelly Link setzt ein Wort hinter das andere und erschafft damit wahre Magie – witzig, bewegend, zärtlich, unerschrocken, gefährlich.“| Grund genug, mal einen genaueren Blick in „Die Elbenhandtasche“ (schon der Titel klingt so schön herrlich skurril) zu werfen.

Das Buch enthält neun Kurzgeschichten, die sich allesamt der Urban Fantasy zuordnen lassen. Was auf den ersten Blick nach ganz normalen Protagonisten und einem ganz alltäglichen Handlungsablauf aussieht, entwickelt stets ganz ungeahnte fantastische Züge. So erzählt in der ersten Geschichte die junge Genevieve die Geschichte ihrer Großmutter, die eine eigenartige Handtasche besessen hat, die nun verschwunden ist. In dieser Handtasche ist schon so mancher Mensch verschwunden, um Jahrzehnte später keinen Tag älter wieder daraus aufzutauchen.

Nicht minder fantastisch ist „Hortlak“, die Geschichte eines 24-Stunden-Supermarktes am Rande einer Schlucht, in dem jede Nacht Zombies ein- und ausgehen. Faszinierend ist auch „Steintiere“, die Geschichte einer ganz normalen Familie, die in ein verwunschenes Haus einzieht und deren Alltag sich dadurch unmerklich und unheimlich zu verändern beginnt. Sehr schön liest sich auch „Die große Scheidung“, eine Geschichte, in der es vollkommen normal ist, dass Menschen Tote heiraten, was natürlich selten zu einer leichten Ehe führt.

Kelly Link beweist mit ihren Kurzgeschichten einen enormen Erfindungsreichtum. Sie versteht sich darauf, ihre Geschichten bis in den letzten Winkel lebensnah erscheinen zu lassen, mag der Plot sich auch noch so abstrus entwickeln. Mit einer bewundernswerten Leichtigkeit erzählt sie von den sonderbarsten Verwicklungen, und wenn man die merkwürdigen Handlungsverläufe mit eigenen Worten wiedergeben wollte, so könnte das nur reichlich unmöglich und verschroben klingen. Link schafft es aber, ihre Geschichten so selbstverständlich und normal erscheinen zu lassen, dass man staunt, wie verrückt sie dabei eigentlich sind.

Nicht selten kranken Kurzgeschichten daran, dass sie nicht ausreichend Tiefe entwickeln, den Leser nicht weit genug in ihren Bann ziehen können und dieser nach Ende der Geschichte seltsam unberührt zurückbleibt. Kelly Link hat damit in den meisten Fällen wenig Probleme. Sie scheint den Leser einzulullen, zieht ihn tief in ihre Geschichten hinein und spinnt ihn ein, in einen Kokon irrsinniger und fantastischer Ideen.

Die Art und Weise, wie sie beispielsweise in der Geschichte „Eingelullt“ die Erzählebenen ineinander verschachtelt, ist schon sehr raffiniert eingefädelt. Sie schafft es, sich auch dabei nicht zu verzetteln und den Leser auf halber Strecke zu verlieren. Man kann ihr auch auf den fantastischsten Pfaden meist noch sehr gut folgen, denn allen Geschichten liegt neben einem Hang zum Absurden und Fantastischen auch einer zum ganz Normalen und Alltäglichen zugrunde.

Dabei bewegt Kelly Link sich stets souverän durch die unterschiedlichen literarischen Gattungen. Mal geht es in Richtung Märchen oder Fabel, mal in Richtung Krimi, mal garniert sie ihre Geschichten mit einer Prise Horror, mal mit einem wunderbar ironischen Unterton. Kelly Link schafft einen gelungenen Genremix und präsentiert eine unterhaltsame Vielfalt an Kurzgeschichten, die allesamt vor allem eines gemeinsam haben: Sie sind viel zu schnell zu Ende. Man möchte ihre Protagonisten am liebsten noch länger begleiten, sehen, was aus ihnen wird und wie sie sich weiterentwickeln.

Lediglich die nur zehnseitige Geschichte „Die Kanone“ kann nicht so ganz überzeugen. Im Stil eines Interviews gehalten, hat sie zwar auch einen gelungenen Moment, wenn quasi eine Geschichte innerhalb der Geschichte erzählt wird, ansonsten bleibt sie hinter den übrigen Erzählungen aber um einiges zurück.

Unterm Strich bleibt aber ein durchaus positiver Eindruck zurück. Ich tue mich sonst oft etwas schwer mit Kurzgeschichten, aber Kelly Link hat es geschafft, das Eis meiner sonstigen Kurzgeschichtenzurückhaltung zu brechen. Sie beweist einen enormen Erfindungsreichtum, fährt herrlich absurde und fantastische Ideen auf und verbindet das Ganze zu einer Vielfalt an unterhaltsamen und farbenprächtigen Kurzgeschichten. Man taucht jedes Mal tief in die Geschichte ein und würde die meisten Protagonisten am Ende gerne noch weiter begleiten. Man darf nach diesem Debüt auf jeden Fall gespannt darauf sein, was Kelly Link in Zukunft noch abliefert. Wenn sie sich ihren Erfindungsreichtum bewahrt, dann steht uns gewiss noch so manche großartige Geschichte ins Haus.

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