Eine Sternenoper und viele tückische Briefe
Isaac Asimov und seine Mitarbeiter stellen Sternenbriefe und kosmische Tagebücher vor. Dies ist die erste Zustellung der Sternenpost. Die Briefeschreiber und Tagebuchverfasser sind bunt gemischt, und es finden sich sogar etliche Frauen darunter. Unter den 13 Beiträgen dieses 1. Bandes sind unter anderem:
1) „Nur eine Mutter“ von Judith Merril;
2) „Computer streiten nicht“ von Gordon R. Dickson und
3) „Brief an einen Phönix“ von Fredric Brown.
Die Herausgeber
Isaac Asimov, geboren 1920 in Russland, wuchs in New York City auf, studierte Biochemie und machte seinen Doktor. Deshalb nennen seine Fans ihn neckisch den „guten Doktor“. Viel bekannter wurde er jedoch im Bereich der Literatur. Schon früh schloss er sich dem Zirkel der „Futurians“ an, zu denen auch der SF-Autor Frederik Pohl gehörte. Seine erste Story will Asimov, der sehr viel über sich veröffentlicht hat, jedoch 1938 an den bekanntesten SF-Herausgeber verkauft haben: an John W. Campbell. Dessen SF-Magazin „Astounding Stories“, später „Analog“, setzte Maßstäbe in der Qualität und den Honoraren für gute SF-Stories. Unter seiner Ägide schrieb Asimov nicht nur seine bekannten Robotergeschichten, sondern auch seine bekannteste SF-Trilogie: „Foundation“. Neben SF schrieb Asimov, der an die 300 Bücher veröffentlichte, auch jede Menge Sachbücher, wurde Herausgeber eines SF-Magazins und von zahllosen SF-Anthologien.
Martin H. Greenberg und Joseph Olander haben zahlreiche Anthologien veröffentlicht.
Die Erzählungen
1) Cyril M. Kornbluth: Ich bitte nie um einen Gefallen (I Never Ask No Favors, 1954)
Tony Cornaro, genannt der „Harte Tony“, ist ein verurteilter Einbrecher aus dem italienischen Viertel von New York City. Er schreibt seinem Bewährungshelfer und Jugendheimleiter, was ihm Schreckliches während seiner Bewährungszeit auf dem Lande widerfahren. Chiunga County mag ja nicht der Nabel der Welt sein, aber eine nähere Bekanntschaft mit dessen Bewohnern hat Tony veranlasst, darum zu bitten, die Bewährung zu streichen und die drei Jahre im Knast absitzen zu dürfen. Gerne auch in Einzelhaft…
Am Tag, als ihn der Bus bei seiner neuen Arbeitsstelle abliefern soll, findet gerade ein Streit auf der Hauptstraße statt. Ein junger Bursche namens Dud Wingle, soll nach den Worten von Mrs. Ella Parry ihren Hund erschossen haben. Dafür versetzt sie Dud die Prügel seines Lebens. Erst als der Dorfpolizist Henry sie zu beruhigen versucht, kapiert Tony, mit wem er es zu tun hat: Er soll für diese Frau arbeiten. Merke: Hier ist vorsichtiges Agieren angesagt.
Er darf sie auf ihre Farm hinausfahren. Dass Ella von ihrer Nachbarin Mrs. Sigafoos als einer „Hexendoktorin“ spricht, als sie Dud Wingles Auto vor deren Haus erblickt, hätte Tony eigentlich stutzig machen sollen. Aber wer glaubt schon an Hexen? Das ändert sich erst, als Ellas vier Enten im eigenen Teich ertrinken, die Kuh vorzeitig kalbt und der neue Deckbulle seine Pflicht nicht verrichten will. Als auch bei Tony selbst die Manneskraft ebenso versagt wie bei Ellas Sohn – die Schwiegertochter beschwert sich – da schwant Ella, dass ein Fluch auf ihr liegt. Und wer sonst als Mrs. Sigafoos könnte dafür bezahlt worden sein?
Als Ella anfängt, einen kreidekreis mit kryptischen Zeichen auf den Boden ihres Wohnzimmers zu malen, zweifelt Tony noch an seinem Verstand. Doch sobald sie den schwarzen Hahn geköpft und sein Blut verspritzt hat und dieser riesige grüne Typ erscheint, erleidet Tonys Verstand einen Aussetzer: Er beginnt zu beten, wie es ihm seine Mamma beigebracht hat. Das ist jetzt aber reichlich kontraproduktiv…
Mein Eindruck
Den Horror des Landlebens fängt diese humorvoll-witzige Story bestens ein. Der Zauber, den die alten hexen seit jeher ausüben, ist wörtlich zu nehmen: Die gute Ella Parry nennt eine Hexe, die im 17. Jahrhundert in Salem, Massachusetts, gehängt (und nicht etwa verbrannt) wurde, zu ihren Vorfahren. Tja, diese guten alten Traditionen der Verhexung und Geisterbeschwörung gehören inzwischen leider der Vergangenheit an. Wenn de jungen Leute heutzutage auf ihrem Smartphone gute Geister mit kunstvollen Fingerbewegungen beschwören, ahnen sie nicht, dass sie damit auch böse Geister herbeirufen könnten…
2) Chan Davis: Brief an Ellen (Letter To Ellen, 1947)
Dirk schreibt seiner Verlobten Ellen, die er seit zwei vollen Monaten nicht im heimischen Iowa angerufen hat. Um diesen Schnitzer wiedergutzumachen, schreibt er ihr diesen langen Brief. Er und sein Kollege Roy Wisner haben nach ihrem Studienabschluss in Denver, Colorado, im wissenschaftlichen Labor von Hartwell einen Job gefunden. Es geht hier im Lebenssynthese: Proteine, Kristalle, Würmer und so. Obwohl sie erst 25 Jahre alt sind, dürfen sie den Laden bald eigenständig leiten.
Eines Tages kommt Roy ins Grübeln und beginnt, Bücher zu wälzen. Die beiden Chemiker sind nämlich keine Genetiker, aber was sie herstellen, sind künstliche Wesen, nicht wahr? Aber was für welche, wenn sie 48 Genpaare haben? Tja, in den Büchern steht, dass nur homo sapiens 48 Genpaare hat. Ergo: „Wir züchten Roboter, Dirk.“ In den folgenden Nacht spioniert er Hartwell nach und stößt auf ein schreckliches Geheimnis…
Mein Eindruck
Was der Autor hier als „Roboter“ bezeichnet, sind künstliche Menschen (keine Klone). So etwas würden wir heute als Androiden bezeichnen, Roboter hingegen als menschenähnliche Maschinen. Aber das ist Haarspalterei im VGl zu dem schrecklichen Geheimnis (das ziemlich naheliegt): Roy und Dirk sind selbst solche Androiden! Deshalb durften sie auch so jung bei Hartwell einsteigen und so schnell die Leitung übernehmen. Am Schluss macht Dirk seiner Verlobten einen Heiratsantrag. Wird, soll, darf sie ihn annehmen?
3) Patricia Nurse: Eine Ablehnung zuviel (One rejection too many, 1978)
Isaac Asimov ist der Herausgeber und Chefredakteur seines eigenen neuen SF-Magazins (IASFM) und ruft unbekannte AutorInnen dazu auf, ihre Manuskripte einzusenden. Das lässt sich Miss Nancy Robinson nicht zweimal sagen. Sie habe gerade einen Zeitreisenden aus dem Jahr 5000 bei sich im Badezimmer vorgefunden und würde gerne eine Geschichte über ihn schreiben.
Wiederholt lehnt Asimov ab, denn das Manuskript lässt sowohl eine Handlung als auch interessante Figuren vermissen, vom geschätzten Humor ganz zu schweigen. Doch inzwischen schreibt nicht Nancy, sondern der zeitreisende das Manuskript. Nach einer Ablehnung zuviel ändert er den Zeitverlauf, in dem es einen gewissen Isaac Asimov gegeben hat. Stattdessen erscheint nun Arthur C. Clarkes SF Magazine. Dort ist man überglücklich, ein so gelungenes Manuskript annehmen zu dürfen…
Mein Eindruck
Merke: Zu viele Ablehnungen – das kann ins Auge gehen. Und ganz nebenbei hat Asimov seinen Kollegen Clarke ehren lassen.
4) Ray Russell: Space Opera (Space Opera, 1961)
Ein eifriger Autor schreibt an den Herausgeber bzw. Chefredakteur der „Planetaren Abendpost“ in New York City, um diesem eine abenteuerliche Geschichte zur Veröffentlichung anzubieten. Das Manuskript ließe sich noch allen eventuellen Wünschen anpassen. Wie sich zeigt, handelt es sich um pure Pulp Fiction.
Zoonbarolarrio Feng ist ein grausamer Kriegsherr vom Planeten Sarg. Nachdem er den Planeten Orim erobert hat, fehlt ihm nur noch eine Welt auf seiner Liste, um sich Herrscher der Galaxis nennen zu können: die Wasserwelt Klor. Um seine Raumschiffe maximal gegen die Verteidiger zu schützen, lässt er den alten Dr. Torak ein neues Metall entwickeln, das er sogleich vor Ort testen lässt. Die süße Vola ist Toraks Tochter und muss dem Eroberer zu Diensten sein. Wehe den Besiegten!
Nachdem alle seine Schiffe mit dem neuen Metall, das alle Tests bestanden hat, versehen sind, startet Fengs Flotte, um Klor zu erobern. Torak tröstet seine Tochter Vola mit der erstaunlichen Behauptung, dass der schreckliche Feng nicht wiederkehren werde: Das Metall weise nämlich eine fatale Eigenschaft auf…
Mein Eindruck
Welche Eigenschaft es ist, die einem Metallschiff auf einer Wasserwelt den Rest geben könnte, dürfte auf der Hand liegen und muss hier nicht weiter erwähnt werden. Wie gesagt, handelt es sich um Pulp Fiction aus den 1030er Jahren. 1961 veröffentlicht, kann sie der Leser nur als Parodie auffassen. Die Bemerkungen des Autors stellen hierfür den richtigen Rahmen dar. Doch dann kommt die Pointe. Sie deutet an, dass es den schrecklichen Feng nicht nur wirklich gibt, sondern auch, dass er überlebt hat…
5) William Sambrot: Die Invasion der schrecklichen Titanen (The Invasion of the Terrible Titans, 1959)
Privatdetektiv J. Ponder hat sich im Auftrag eines Studentenvereins der Unterwasserstadt Ocean City kundig gemacht, wer hinter der gegnerischen Football-Mannschaft des Pacific City College steckt. Eigentlich soll er herausfinden, wer oder was dessen Star-Spieler Sam Bama eigentlich ist: 300 Pfund schwer, 3 Meter groß, kein Hals, aber dafür jede Menge Muskeln – und ein Albino. Ponder fragt sich, wie Prof. Crimshaw an solch einen Spieler gelangen konnte. Wenig später treffen noch weitere dieser „Schrecklichen Titanen“ am Pacific College ein.
Nach einiger mühseliger Ermittlungsarbeit packt der auffallend kleine Ko-Manager von Sam Bama aus und offenbart sich als Sherpa, der aus dem Himalaya komme…
Mein Eindruck
Wieder mal eine Yeti-Story! Dass die „schrecklichen Titanen“ allesamt Albinos sind und aus Asien stammen, ist ein sicherer Hinweis. Allerdings ist die Geschichte so vertrackt erzählt, dass man viel Geduld und Konzentration aufbringen muss, um ihr folgen zu können.
6) Judith Meril: Nur eine Mutter (That only a mother, 1948)
Das Jahr 1953 ist ein Kriegsjahr, und Maggies Mann Hank tut als Soldat in irgendeinem Bunker Dienst. Daher bringt sie ihr Baby ohne ihn zur Welt. Kurz nur hat sie sich Sorgen wegen der Radioaktivität der gegend gemacht, die sie und Hank vor ein paar Monaten durchfuhren, aber es wird schon schiefgehen. Und Henrietta, ihre Tochter, ist wirklich perfekt.
Dass Henrietta mit mit zehn Monaten schon vollständige Sätze wie eine Vierjährige bilden kann, findet Maggie entzückend, denn so ist sie nicht mehr so allein. Und die Kleine singt wie ein Engel. Endlich, nach 18 Monaten Abwesenheit, kommt auch Hank nach Hause, fast schon ein Fremder. Die sprechende Tochter versetzt auch ihn in gute Laune, doch schaut er sich ihren Körper etwas genauer an…
Mein Eindruck
Die kurze Erzählung lässt den Leser geschockt zurück. Nicht nur, weil das Baby weder Arme noch Beine hat, sondern auch weil seine Mutter dies für völlig normal hält – oder in einer Art wahnsinniger Verdrängung ausgeblendet hat. Sowohl die Mutation als auch der Wahnsinn sind eine Folge des Atomkriegs – und diese Story ist eine der eindringlichsten und meistabgedruckten zu diesem Thema, insbesondere deshalb, weil sie als eine wenigen die weibliche Perspektive berücksichtigt.
7) Sharon Webb: Das große Jucken (Itch on the Bull Run, 1979)
Terra arbeitet als Krankenschwester auf einem interstellaren Orbitalkrankenhaus und ist schwer verliebt. Dr. Brian-Scott sieht ja so gut aus – und erwidert ihre Liebe. Sie schreibt ihrer besten Freundin Carmelita, die noch auf der Erde in Wyoming arbeitet, dass eine Krankheit ausgebrochen sei: Pilzbefall der Haut. Der Pilz bewirkt, dass sich das Opfer ständig kratzen will – und dass sich die Haut ablöst. Der Patient leidet Höllenqualen. Weil sich der Befall auf der Station ausbreitet, muss sich Terra etwas einfallen lassen, wie sie hier wegkommt.
Da bekommen sie und ihr Geliebter den Auftrag zu den Plejaden II zu reisen, um einem Muttertier zu helfen, das für die Nachkommenschaft des Planeten von zentraler Bedeutung ist: Die Bevölkerung droht auszusterben. Es trifft sich gut, dass auf Pleijaden II auch ein großer Vergnügungspalast namens „Kubla Khan“ steht. Flitterwochen winken! Doch Schreck, lass nach! Dr. Brian-Scott ist vom Pilz befallen, muss sich dauernd kratzen und fällt deshalb der Einreisebehörde auf: Beide landen flugs in der Quarantäne.
Nach angemessener Zeit werden sie freigelassen, um das Muttertier behandeln zu können. Offenbar ist dessen Eierlegestachel verstopft, konstatiert Dr. Brian-Scott. Das lässt sich leicht beheben, doch er empfiehlt, Schutzanzüge anzulegen, weil das Muttertier seine Eier mit einer antiseptischen Flüssigkeit benetzt. Alles geht glatt, und terra ist froh um den Schutzanzug, denn Dekaliter von dieser Flüssigkeit regnen auf sie herab. Da kommt ihr die Erleuchtung, wie man das große Jucken beenden kann…
Mein Eindruck
Es ist natürlich reinste Seifenoper, was die Autorin hier erzählt. Terra erlebt nicht nur Höhen und Tiefen einer Romanze, sondern muss auch noch ihre Mutter beruhigen, die in einer Unterwasserstadt im Golf von Mexiko lebt. Listig erwähnt Terra, die gehorsame Tochter stets ein winziges Detail darüber, dass nicht alles so in Ordnung ist, wie sie ihrer Mutter ständig versichert. Doch Terra rettet ihren Liebsten, ihr Krankenhaus und wahrscheinlich auch den Rest des Universums. Die ganze nervenzerfetzende Geschichte endet mit der Aussicht auf eine Lektion in den Vermehrungstechniken der Galaxis, die ihr Dr. Brian-Scott nahebringen will…
8) Fredric Brown: Brief an einen Phönix (Letter to a Phoenix, 1949)
Der Briefschreiber lebt bereits seit 180.000 Jahren. Der Ursprung seines Zustandes liegt also weit zurück, nämlich im ersten beidseitigen Atomkrieg (also nicht im 2. Weltkrieg), als die Strahlung ihn voll erwischte. Als Folge der Strahlenkrankheit starb er jedoch nicht, sondern seine Hirnanhangsdrüse veränderte sich dergestalt, dass er fortan kaum noch alterte: um den Faktor 45 langsamer als der gewöhnliche Mensch. Und er muss rund 30 Jahre lang nicht mehr schlafen, was auch sehr praktisch ist.
Er hat seitdem mehrere Zyklen aus Aufstieg und Zusammenbruch der Zivilisation (siehe Oswald Spengler) miterlebt und festgestellt, dass die Menschheit selbst wie eine Art Phönix immer wieder aus der Asche des vorhergehenden Imperiums emporsteigt – mit einer kleinen Hilfestellung von seiner Seite. Marskolonien werden vergessen und von der nachfolgenden Zivilisation erneut „entdeckt“. Der Grund für den Fortbestand der menschlichen Rasse unter all den Rassen im Kosmos sei simpel: Es ist die Unvernunft, die Leidenschaft der Emotionen, die dem Wahnsinn der Vernunft immer wieder die Flügel stutzt.
Mein Eindruck
Unter dem Eindruck der zwei Atombombenabwürfe anno 1945 wurden zahlreiche SF-Storys geschrieben, so etwa auch von Richard Matheson. Die Autoren hatten, ebenso wie die Wissenschaft, wenig Ahnung von den Folgen einer Strahlenverbrennung und erwarteten statt eines langsamen Dahinsiechens eher das Entstehen von Mutationen. Der Briefschreiber ist ein Schlafloser, wie er später von Nancy Kress in „Bettler in Spanien“ besser beschrieben wurde.
9) Jack Lewis: Wer hat von wem abgeschrieben) (Who’s Cribbing?, 1952)
Jack Lewis hat einem SF-Redakteur stolz und hoffnungsfroh sein neues Story-Manuskript eingesandt, bekommt nun aber eine unerfreuliche Ablehnung. Die Begründung: Schon vor 18 Jahren (1934) habe Todd Thromberry die gleiche Story veröffentlicht. Jack ist sich keiner Schuld des Plagiats bewusst, aber wo auch immer er etwas anbietet – Todd Thromberry war schon da. Er wendet sich schließlich an die SF-Gesellschaft in Chicago, die doch eigentlich Bescheid wissen müsste. Jack erhält einen Brief, dass die Gesellschaft ebenfalls sehr an den Werken dieses Autors interessiert wäre. Ob ihr Jack nicht mit ein paar Veröffentlichungen dieses Autors aushelfen könnte?
Kann er nicht. Vielmehr kommt ihm ein verrückter Gedanke: Was, wenn dieser Thromberry ein Zeitreisender wäre, der ihm beim Schreiben just über die Schulter geblickt habe und dann seine, Jacks, Storys in der Vergangenheit veröffentlicht habe? Die SF-Redakteure erklären ihn für verrückt. Und als er seine Korrespondenz anbietet, erhält er Bescheid, dass Todd Thromberry diese Korrespondenz bereits 1940 als Story veröffentlicht habe…
Mein Eindruck
Zeitschleifen können teuflisch sein, wie besonders SF-Autoren immer wieder erfahren und erfinden dürften. Der arme Jack hat jedenfalls gegen den zeitreisenden Rivalen keine Chance und sollte sich ein anderes Genre oder Metier suchen. Ganz nebenbei beleuchtet die Story das ewige Thema des Plagiats, das in einem deutschen Prozess erst kürzlich wieder vom Bundesgerichtshof oder Bundesverfassungsgericht entschieden werden musste: hat Musikproduzent X vor rund 20 Jahren bei KRAFTWERK geklaut oder nicht? Zum Glück hatte da nicht auch Todd Thromberry seine Finger im Spiel.
10) Gordon R. Dickson: Computer streiten nicht (Computers don’t argue, 1965)
Das unbescholtene Buchclubmitglied Walter A. Child wird Opfer einer auf Computerakten basierenden Verwechslung. Plötzlich ist er nicht nur wider Willen ein angeblich säumiger Zahler, sondern auch noch der Kidnapper und Mörder eines gewissen Robert Louis Stevenson! Die Computer-gestützten Prozesse nehmen ihren Lauf: Er wird verhaftet, verurteilt, in den Todestrakt verlegt. Die in letzter Minute vom Gouverneur unterzeichnete Begnadigung wird von den Computern wegen eines Formfehlers zurückgeschickt und verschleppt. Ja, sie bedrohen sogar den Gouverneur selbst, falls er nicht in der Lage wäre, eine Genehmigung seines Vorgesetzten beizubringen…
Mein Eindruck
Die menschliche Demenz hat ebenso wie die rechtliche Enteignung durch die Computersysteme ihren befürchteten Höhepunkt erreicht. Selbst ein Unschuldiger hat keine Chance mehr, dem System zu entgehen. Ganz egal ob man nun ein Normalsterblicher oder der Gouverneur eines Bundesstaates ist – vor der heiligen Software sind alle gleich. Eine bittere Satire auf eine Unsitte, die heute bereits alle hilflos hinzunehmen scheinen. Der Computer, dein Freund und Helfer? Besser nochmal drüber nachdenken.
11) Mildred Clingerman: Briefe von Laura (Letters From Laura, 1954)
Laura ist ein junge Lady, die sich entschlossen hat, auf eine Zeitreise zu gehen. Der Agent der Zeitreiseagent, Delbert, beruhigt sie, dass überhaupt nichts schiefgehen können und sie obendrein bestens versichert sei. Sie verliebt sich sofort in ihn. Zum Dank verrät er ihr, wohin die Reise diesmal gehen soll: ins alte Kreta, mitten ins Labyrinth des Minotaurus. Wie aufregend! Sie schneidert sich ein stilechtes Kleidungsstück, das ihren prächtigen Busen freilässt. Ihrer Freundin Prue (= Prudence) schreibt sie, was sie erlebt hat, ihre Mutter speist sie mit beruhigenden Einzeilern ab. So erfährt nur Prue die Wahrheit.
Im Labyrinth angekommen, wird die junge Lady erst einmal von einem üblen Gestank überwältigt. Sie muss sich sofort die Nase pudern – wozu hat frau einen Schminkspiegel am Handgelenk? Dann erkundet sie das Labyrinth und stößt auf einen Typen, der sich als Minotaurus bezeichnet. Er besteht darauf, nur Jungfrauen zu verspeisen. Laura sei aber offensichtlich keine mehr. Enttäuscht begleitet sie ihn in sein gemach und hofft auf elegante, geschliffene Konversation. Fehlanzeige! Er macht nächstens Jagd auf Jungfrauen…
Mein Eindruck
Ja, das waren noch Zeiten, als es feine junge Damen gab, die ohne Gouvernante und Smartphone auf Reisen gehen durften. *seufz* Die Erwartung des Lesers lautet natürlich, dass das Ungeheuer, das im Labyrinth lauert, sie sofort zum Frühstück verspeisen werde. Die Spannung wächst, als dies keineswegs geschieht. Vielmehr entsteht ein komisches Missverständnis, dass die junge Heldin, die garantiert noch keinen Freund gehabt hat, für ein liederliches Frauenzimmer statt für eine appetitliche Jungfrau gehalten wird. Na, und die Konversationsfähigkeiten des Ungeheuers sind ebenfalls sehr begrenzt. Fazit: Dieser Zeittrip war ein Reinfall und rausgeschmissenes Geld! Klar, dass sie diesem Delbert ordentlich den Kopf waschen wird.
12) A.E. van Vogt: Lieber Brieffreund (Dear Pen Pal, 1949)
Skander ist ein Sträfling auf einer Welt der Sonne Aurigae II (auriga = Fuhrmann). Über einen Korrespondenzklub bekommt er die Adresse des Brieffreundes, dem er mehrere Episteln schickt. Skander beschreibt sich als Existenzform, die sich bei 500 Grad Fahrenheit am wohlsten fühlt und natürlich mit Kohlen- oder Wasserstoff nichts am Hut hat.
Er bittet seinen Brieffreund um ein Foto und legt seinem Schreiben eine Fotoplatte bei, die es in sich hat. Erstens ist sie radioaktiv und zweitens überträgt sie Skanders Geist in den Körpers des Brieffreunds. Allerdings hat Skander, so schlau er auch sein mag, eines nicht bedacht: dass der Körpers seines neuen Wirts todkrank sein könnte…
Mein Eindruck
Diese nette, vielfach abgedruckte Story enthält gleich zwei ironische Wendungen. Skander meint, er habe seinen menschlichen Brieffreund überlistet und freut sich bereits diebisch. Doch er ist selbst der Dumme, wie die Pointe verrät. Der Geist des Brieffreundes erfreut sich nun vielmehr bester Gesundheit, allerdings in Skanders früherem Körper…
13) Dean R. Lambe: Eine verdammte Schande (Damn Shame, 1979)
Dr. Fred Jenssen arbeitet in Kalifornien an der Entwicklung eines Krebsheilstoffs, den er aus einer südamerikanischen Pflanze gewonnen hat. Er schreibt Dr. S. „Alice“ Cranberg in Wyoming, der seinerzeit sein Trauzeuge war, als er Janet heiratete. Alle Tests an Tieren verlaufen positiv und vielversprechend, so dass der Allgemeinmediziner Cranberg seinen engsten Freund eines Tages um zwei Pröbchen bittet, die zwei an krebs erkrankte Menschen dringend benötigen. Fred arrangiert einen Computerfehler, was ihm als Projektleiter nicht schwerfällt, und schickt zwei kleine Mengen. Die Wirkung ist extrem positiv.
Doch dann wird an Cranbergs Frau Ruth Brustkrebs festgestellt. Fred hilft mit seiner allerletzten Dosis aus, doch nun braucht er dringend pflanzlichen Nachschub aus Südamerika. Die Antworten, die er von den Lieferanten und Erzeugern erhält, sind jedoch niederschmetternd: Der neue Amazonas-Staudamm, der Brasilien endlich in die Moderne katapultieren werde, habe das einzige Vorkommen dieser speziellen Pflanze unter seinen Wassermassen begraben…
Mein Eindruck
Die Story macht zuerst viel Hoffnung, dass Krebs endlich besiegt werden könnte. Doch die Hoffnung schlägt in Verzweiflung um, als sich herausstellt, dass es keinen Nachschub für das Heilmittel geben wird. Was den Lesern nur zur Warnung dienen soll, dass blinder Fortschritt auch keine so tolle Sache sei: Wer nicht rechtzeitig für den Schutz natürlicher Ressourcen sorgt, muss später hinnehmen, dass andere diese zerstört haben. Die Rede ist im Text einmal von terroristengruppen in Südamerika, dann wieder von der „fortschrittlichen“ Regierung Brasiliens. Hier konnte sich der Autor wohl nicht entscheiden.
Hinweis: „damn shame“ bedeutet im US-Englischen „zu schade“.
Die Übersetzung
S. 63: „die eine Zeile in der Dun & Bradstreet wert ist“. Der deutsche Leser dürfte kaum wissen, dass es sich hierbei nicht um eine Straße, sondern um ein maßgebliches Firmenverzeichnis handelt.
S. 66: „Katmandu, Indien“. Ja, das waren noch Zeiten (nämlich 1959), als Nepal noch zu Indien gehörte – oder auch nicht, siehe hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Nepal. Demnach ist Nepal seit dem 14. Jahrhundert unabhängig gewesen, erst als Königreich, ab 2008 dann als Republik.
S. 88: „ein Mann, der sich ständig juckt?“ Nein, vielmehr schreibt Terra von einem Mann, der sich ständig kratzt.
S. 98: „Radiationsverbrennungen“: Gemeint sich Verbrennungen aufgrund radioaktiver Verstrahlung. Im folgenden ist wieder die Rede von „Radiationen“, also von Fällen radioaktiver Verstrahlung.
S. 148: „Korrespendenzklubs“: gemeint ist wohl ein “ Korrespondenzklubs“.
S. 158: „die GP-Route“: gemeint ist aber eine Routine, keine Route.
S. 166: „von der biochemis[c]hen Abteilung“: Das C fehlt.
S. 167: „Kiligramm“ statt “ Kilogramm“.
Unterm Strich
Dies ist die 1. Zustellung von „Sternenpost“, einer voluminösen Anthologie mit Beiträgen aus Briefen, Tage- und Logbüchern, die vom Moewig-Verlag auf drei Bände verteilt wurde. Jeder der drei Bände sollte einzeln beurteilt werden. Den Anfang machen zahlreiche, relativ kurze Beiträge, die wohl dazu dienen sollen, die Leserschaft auf das besondere Format einzustimmen.
Die Beiträge sind nicht nur relativ kurz im Vergleich zu den späteren, sondern auch meist recht humorvoll. Eine Art bittere Ironie ergibt sich aus Beiträge wie „Computer streiten nicht“, wird sogar schockierend in „Nur eine Mutter“. Witzig wird der Humor, wenn Zeitreisende, an deren Existenz man nicht glaubt, zurückschlagen („Eine Ablehnung zuviel“). Und wenn sich ein Autor von einem Phantom, das angeblich seine Ideen klaut, verfolgt fühlt („Wer hat von wem abgeschrieben?“) Sehr ironisch ist auch die Seifenoperparodie, die in „Space Opera“ romantische Verliebtheit auf eklige medizinische Realität treffen lässt.
Während in manchen Anthologien, wie Jeschkes „SF Story Reader 15“ weibliche Autor gar nicht auftauchen, ist das zahlreiche Auftreten von Autorinnen umso erfreulicher, das hier bei Asimov & Co. festzustellen ist. Dabei zeigt sich, dass die Damen den Herren schon lange das Wasser reichen können – und jedes anderweitige Vorurteil kräftig durch den Kakao ziehen.
Die Übersetzung hat noch viel Luft nach oben, entspricht aber leider dem Standard von 1983. Dennoch gibt’s dafür Punktabzug.
Taschenbuch: 172 Seiten
Originaltitel: Space Mail, 1980;
Aus dem Englischen von Eva Malsch
ISBN-13: 9783811867338
www.vpm.de
Der Autor vergibt: