Schlagwort-Archive: Michael Marrak

[NEWS] Michael Marrak – Der Kanon mechanischer Seelen

Michael Marrak singt sein Lied – bei Amrûn erscheint sein Opus auf die Zukunft der Erde. Es ist Der Kanon mechanischer Seelen:

In einer fernen Zukunft wird die Erde nur noch von wenigen Menschen bevölkert. Sie führen in ihren jugendlichen Körpern ein Leben, das viele Jahrhunderte währt, und manche von ihnen besitzen eine Gabe: Einzig durch ihren Wunsch und eine flüchtige Berührung sind sie fähig, Materie zu beseelen.
In dieser wundersamen, von einer bizarren Mechafauna dominierten Welt lebt Ninive, die auf der Suche nach uralten Relikten das Hochland durchstreift, um längst vergessenen Dingen Leben einzuhauchen und sich ihre Geschichten anzuhören.
Das alles beherrschende Bauwerk ist eine vier Kilometer hohe Mauer, von der niemand weiß, wozu sie einst errichtet wurde und wovor sie die Menschen und Maschinen seit Jahrtausenden schützt – bis ein Gesandter aus der letzten Stadt im Hochland auftaucht, der den Auftrag hat, die Bannmauer zu bezwingen. Und er ist der nicht der einzige, der die verlorene Passage in die Welt dahinter sucht …
DER KANON MECHANISCHER SEELEN ist eine Hommage an Stanislaw Lems „Kyberiade“ und seine Robotermärchen, an Miyazaki-Trickfilme wie „Chihiros Reise ins Zauberland“ und „Das wandelnde Schloss“, an Michael Moorcocks „Am Ende der Zeit“, garniert mit einem Schuss „Alice hinter den Spiegeln“.

(Verlagsinfo)

Gebunden, 720 Seiten
ISBN: 9783958692572
Originalausgabe
Amrûn-Verlag
Titelbild von Michael Marrak

[NEWS] Phase X – Phantastische Botanik

Herausgegeben von Ulrich Blode, Michael Haitel und Guido Latz erschien dieser Tage bei Atlantis das phantastische Magazin Phase X, das diesmal mit einer interessanten Mischung aus botanischen Artikeln und Kurzgeschichten aller Spielarten der Phantastik aufwartet:

Die zehnte Ausgabe mit paradiesischem Unkraut, der Natur des Verborgenen, sonnige Paradiese, Triffids, Mutter Natur, die zurückschlägt, der Liebe in den Zeiten der Klimakatastrophe, gekrönt von Kurzgeschichten aus den Federn von Gabriele Behrend, Gustav Meyrink, Kurd Laßwitz, Sebastian von Arndt und Inge Ranz.

Der Inhalt en detail:

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[NEWS] NOVA Science Fiction Magazin 22

Es war eine schwere Geburt, aber nun ist es erschienen: Das NOVA Science Fiction Magazin, Ausgabe 22, herausgegeben von Olaf G. Hilscher und Michael Iwoleit, eine wichtige Plattform für hochwertige Kurzgeschichten deutscher Autoren.

Kurzgeschichten:
Andrea Tillmanns Noctonium für alle Illustriert von Michael Wittmann
Guido Seifert Die silberne Dose № 2 Illustriert von Markus Bülow und Robert Porazik
Sami Salamé Smithy & Archie … und die Verschwörung der fliehenden Köpfe Illustriert von Stas Rosin und Rasputin
Steffen König 8:16 Illustriert von Marco Schüller
Marian Ehret Die Fukushima-Kriege Illustriert von Thomas Hofmann und Susanne Jaja
Michael Marrak Der mechanische Dybbuk Illustriert von Michael Marrak

International:
Mike Resnick Credo Illustriert von Gloria Manderfeld

Essay:
Christian Hoffmann Dystopia liegt in Afrika Über Ngũgĩ wa Thiong’os Roman Herr der Krähen
(Verlagsinfo)

Paperback, 168 Seiten
ORIGINALAUSGABE
Amrun Verlag und Buchhandel

Uwe Post (Hrsg): 2012 – T minus Null

Diese Zusammenstellung von sechs Weltuntergängen hat ein Problem: Die Menschen schütteln den Kopf, wenn sie schon wieder mit dem Maya-Kalender und seinem Ende konfrontiert werden. Als Kaufanreiz hat der Titel also keine Chance, dagegen besticht das Buch mit seinem Inhalt: Sechs der interessantesten Stimmen der deutschen Science-Fiction entwerfen Szenarien der Apokalypse, die man sich einfach nicht entgehen lassen sollte. Herausgegeben wurde die Symphonie von Uwe Post, der zuletzt mit seinem Roman „Walpar Tonnraffir und der Zeigefinger Gottes “ die begehrten Genrepreise „Deutscher Science Fiction Preis“ und „Kurd-Laßwitz-Preis“ für 2011 absahnte.

Vincent Voss – 101112

Das Beste an Voss‘ Geschichte ist sicherlich das Ende. Wirklich anschaulich und apokalyptisch lässt er den Leser an den Erfahrungen seiner Protagonisten teilhaben. Dabei entwickelt sich der Text aus einigen merkwürdigen Einzelheiten und familiären Geheimnissen des Levin heraus in Richtung Unausweichlichkeit, gegen die Levin anfangs versucht sich zu wehren und dadurch die Sympathie des Lesers gewinnt.

Levin ist der Enkel Balthasars, welcher offenbar ein umtriebiger Mann war, der nun noch aus seinem Grabe heraus versucht, eine uralte Prophezeiung durch Levin erfüllen zu lassen. Ironischerweise hatte Levin sein Leben gänzlich unabhängig verbracht bis zu dem Tag, an dem er das Testament des Großvaters annimmt. Dadurch stößt er auf Geheimnisse, denen er sich nicht verschließen kann: Sie locken ihn auf die Spuren seines Großvaters und damit in die Fänge einer Sekte, des Cazimi-Kultes, deren Ziele und Grundlagen ihm verborgen bleiben. Schließlich offenbart sich ihm sein Erbe, das durch die Prophezeiung in ihm erwachen sollte: Er trägt den Samen einer uralten und unaussprechlichen Macht in sich, die zurück in die Realität drängt.
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Michael Marrak – Black Prophecy: Gambit

Michael Marrak erschafft eine neue galaktische Zivilisation der Menschen und entwirft ein Szenario der dunkelsten Zukunft, in dem der Mensch sich selbst aufs Abstellgleis schickt – Black Prophecy heißt das Onlinegame, für das Marrak federführend tätig war und die Hintergrundgeschichte nun bei Panini zu Papier bringt.

Als die Menschheit das erste fremde Sonnensystem besiedelte, schuf sie genetisch optimierte künstliche „Menschen“, die auf fernen Welten durch ihre hohe Widerstandskraft und Anpassungsfähigkeit als Pionier für die eigentlichen Homo sapiens dienen sollen. Nach der Besiedlung sind sie den Menschen im Weg und werden von der neu erschlossenen Welt verbannt. Aus Angst vor der Rache der sogenannten „Geniden“ entwickeln die Aussiedler kybernetisch hochgerüstete Truppen – doch der befürchtete Angriff bleibt aus. Schließlich kommt es auch zum – freiwilligen – Exodus der sogenannten „Tyi“, der Kyberneten, die sich in die Weiten der Galaxis aufmachen.

Die beiden Schöpfungen der Menschheit treffen bei der Neubesiedlung von Rohstoff- und Kolonialwelten immer wieder aufeinander und führen einen ewigen Konkurrenzkrieg. Doch in einer Angelegenheit sind sie sich schnell einig: Die Menschheit, der Homo sapiens, ist ihnen so weit unterlegen, dass sie ihn schließlich entmachten, enteignen und ihm alle Rechte entziehen. Der Mensch ist auf der untersten Stufe der Bedeutung angelangt, von seinen eigenen Schöpfungen versklavt.

Für niedere Dienste stehen die Menschen den selbsternannten „Superior“-Rassen zur Verfügung, wie zum Beispiel als Testpioniere auf neuen Welten, um die Gefährlichkeit der Erreger und des Lebens dort zu eruieren. Oder als Schiffsmannschaften auf interstellaren Reisen, denn die Superior ziehen während der Jahre dauernden Raumflüge die Kryokammer vor.

Jerome, der sich durch harte Arbeit eine verhältnismäßig angesehene Stellung bei den Superior erarbeitet und etwas aus dem Schattendasein der Sapiens befreit hat, ist bei einer der seltenen gemeinsamen Besiedlungen der Superior einer der mit der Sicherheit einer Raumstation betrauten Spezialisten; einer Raumstation, auf der Tausende ungeduldiger Siedler aller Rassen darauf warten, dass die Untersuchungen und Probenanalysen in den Speziallabors alles für die Besiedlung vorbereitet haben.

Als seine ehemalige Freundin Abhazia, die für Schizophren erklärt wurde wegen der Wahrnehmung seltsamer Wesen, die weder von anderen Menschen noch von Kameras erblickt werden können, spurlos verschwindet, wird Jerome misstrauisch und ermittelt halb inoffiziell in diesem Fall. Dabei verstrickt er sich in Konflikte mit den Superior-Rassen und kommt einem gefährlichen Komplott auf die Spur, das den relativen Frieden der Zivilisation und sogar ihr Bestehen hochgradig gefährdet. Und während er auf verschiedenen Fährten versucht, alles mit ihrem Fall in Verbindung zu bringen, gelangt Abhazia in eine Enklave anderer Interessen, die eine ungeheure Entdeckung gemacht hat, ohne sie noch richtig einordnen zu können …

Als Marrak vor Jahren in seinem Log von seiner Arbeit für ein Onlinegame berichtete, konnte seine Begeisterung nur teilen, wer ebenfalls den Computerspielen anheimgefallen ist – für den Real-Life-Verwurzelten hieß das nämlich nur eines: weniger krasse Romane! Mit Lord Gamma legte Marrak sich selbst natürlich auch eine herausfordernde Messlatte an, an deren Höhe die folgenden Romane mit absteigendem Erfolg kratzten – vielleicht ein Grund, warum seine Geschichten immer seltener wurden? Trotzdem hat jeder seinen eigenen Charme und ein typisches Charisma. Hier heißt „absteigender Erfolg“ nicht unspannend oder Ähnliches, sondern echt geile Geschichten, die aber den „Gamma“ nicht erreichen.

Thematisch haben seine Geschichten immer etwas Abstruses oder Transzendentes zu bieten, und da kommt die Sprache auf den vorliegenden neuesten Roman, der den Kosmos eben jenes Onlinegames beleuchtet: Er ist weder abstrus noch transzendent. Er transportiert eine detailliert ausgefeilte Welt, manche Abschnitte lösen sich regelrecht aus der Handlung und pfropfen Fakten hinein, die literarisch zu thematisieren der Raum fehlt.

Darin erkennt man die Arbeit, die Game-Historie, und doch glänzen in den Handlungsabschnitten Marraks erzählerische Talente und packen den Leser und vermitteln ihm das Leben und Streben der wichtigen Charaktere. Für sich allein gelesen ist der Roman unbefriedigend, wirft er doch Unmengen Fragen auf und lüftet nur einen Zipfel der Rätsel, die er anlegt. Es ist wie der Auftakt zu einer Serie, doch hinterlässt der Hinweis auf Folgebände im Zusammenhang mit Michael Marrak einen schalen Beigeschmack: Es wäre nicht der erste auf mehrere Bände angelegte Roman, der nicht über den ersten Teil hinaus kommt. So verschwand sein groß angekündigtes und ambitioniertes Jugendromanprojekt Das Aion recht schnell unbemerkt und fast kommentarlos nach dem ersten vielversprechenden Roman – sodass sogar mancher Verlagsmitarbeiter von seiner Existenz gar nichts wusste …

Es ist ein Seiltanz zwischen Weltentwurf und spannender Handlung, den Marrak trotz der großen Informationsdichte auf fesselnde Weise bewältigt. Allerdings bleiben die Charaktere recht oberflächlich, obwohl Marrak gerade bei Abhazia und Jerome einen tragischen Hintergrund einzuflechten versucht. Nur Jerome erhält eine gewisse Persönlichkeit und entwickelt sich zu einem heldenhaften, sympathischen Charakter, der mit allen Wassern gewaschen scheint und aus jeder Lage einen Ausweg findet.

Die dabei eingeflochtenen historischen und wissenschaftlichen Informationen reichern das Universum von Black Prophecy an und sind hier im Roman so spannend und interessant zu lesen, dass man die dadurch verursachte teilweise Handlungslichte gut verzeihen kann. Einziger Wermutstropfen ist das wirklich sehr unvollständige Ende, wodurch die Geschichte ohne einen Folgeband zu unbefriedigend wirkt.

Man braucht mehr davon! Obwohl die Marrak-typische Düsternis und Tiefe noch fehlt.

Der Autor vergibt: (4/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Broschiert: 315 Seiten
ISBN-13: 978-3833223556

Black Prophecy – offizielle Homepage
www.marrak.de

Michael Marrak – Kinder der Sonne (Das Aion, Band 1)

Mit dem Romandreiteiler »Das Aion« hat Michael Marrak seine erste Geschichte für Jugendliche an den Verlag gebracht. Nun kann man eins vorwegnehmen: Das Buch ist gleichfalls für Erwachsene geeignet, sowohl was Stil als auch Wortwahl und Thema betrifft. Mit dem vorliegenden ersten Band »Kinder der Sonne« entwickelt Marrak nicht nur das Porträt einer zukünftigen Erde mit ihren von einer großen Naturkatastrophe übrig gebliebenen Menschen, sondern er haucht dieser Vision von Anfang an Leben und mysteriöse Facetten ein und gestaltet dadurch einen echten Pageturner.

Aufhängepunkt ist eine Naturkatastrophe, bei der Sonnenstürme nicht bekannten Ausmaßes die Magnetosphäre der Erde hinwegfegen und dadurch die Oberfläche der harten Strahlung aussetzen, so dass nahezu jedes Leben verbrennt und die Erde verwüstet wird. Aus dieser Situation entwickeln sich verschiedene Gruppen von Überlebenden, von denen der Leser zwei kennen lernt: Gut geschützt lebende Forscher und ein diesem Institut benachbartes Dorf mit Menschen, die sich wiederum in zwei Gruppen aufspalten: »Normale« Menschen (so genannte Alphas), welche die Katastrophe überlebten, und durch die Strahlung veränderte Kinder und Jugendliche (so genannte Betas) mit neuen Attributen. So sind sie zum Beispiel gegen die Sonnenstrahlintensität immun und haben noch einige Fähigkeiten, die sie von den Alphas unterscheiden.

Für dieses Dorf kommt es erneut zur Katastrophe: Eine KI-Fabrik gerät außer Kontrolle und wuchert mit unbekanntem Plan unter der Wüste, bis sie künstliche Wesen erschafft, die das Dorf heimsuchen. Eine biologische Macht, die sich selbst »Aion« nennt, rettet die Dorfbewohner vor dem Ende und sucht in der Beta Mira eine menschliche Partnerin im Kampf gegen die »Wucherung« der KI, in der sie eine Bedrohung für die ganze Welt sieht. Mira soll die mysteriöse fliegende Stadt Darabar aufsuchen und eine Frucht des Weltenbaumes ernten, mit der das Aion hofft, der Gefahr, die scheinbar über die maschinelle Bedrohung hinausgeht, Herr zu werden. Der Haken: Für Mira bedeutet das einen Weg ohne Wiederkehr …

Marraks letzte Romane zeichneten sich durch steigende Verworrenheit und abgefahrene psychedelische Aspekte aus, und so gibt es auch in dieser Geschichte krude Personen, mysteriöse Geschehnisse und Verwirrung für Protagonist und Leser. Aber sie ist deutlich geradliniger und der Zielgruppe entsprechend wenig blutrünstig und zeigt, dass sich Marraks Fantasie auch in lichteren Bereichen zu bewegen und entfalten vermag.

Der Prolog ist orakelhaft und wenig »SF-mäßig«, so dass man von der folgenden Entwicklung leicht überrascht wird. Roboter, Leviatoren, künstliche Intelligenzen, übermenschliche Entitäten – alles Bausteine normaler Sciencefiction (aber was ist da schon normal?), von Marrak wirklich unterhaltsam sortiert, verfeinert, individualisiert und neu gepfeffert. Fragen werfen sich auf nach Hintergründen und Handlungsmotivation für beide Drahtzieher in dem Konflikt.

Das Buch endet zwar nicht in einem Cliffhanger, aber es verlangt dringend nach der Fortsetzung. Das Geheimnis der Entstehung der Betas ist bereits gelüftet, aber welche Fähigkeiten genau sie entwickeln, ist eines der Rätsel, die noch dringend gelöst werden wollen, ebenso die Frage nach den »Barrieren«, die den bisherigen Handlungsschauplatz vom Rest der untergegangenen Welt abgrenzen und so verbergen, was hinter ihnen geschieht. Es ist wie eine große Brutstätte für Betas, die bis zu ihrer Vollendung separiert existieren – Zufall oder Überlegung, dass die neue »Wiege der Menschheit« wieder in den afrikanischen Wüsten liegt? Warum kann eigentlich die fliegende Stadt Darabar die Barrieren durchdringen – und warum und wie fliegt sie überhaupt? Ist das überhaupt handlungsrelevant? Was sind denn Ambodrusen für Geschöpfe – vielleicht nur Ausdruck der höllischen Fantasie Marraks, die sich doch nicht gänzlich vom Prädikat »Jugendroman« einschüchtern ließ? Und natürlich gibt es Katakomben, in denen man sich herrlich verirren kann.

Insgesamt lässt sich der Roman als solides Grundwerk der Trilogie bezeichnen, unterhaltsam und spannend, schnell und eindringlich zu lesen, es verflicht sprühende neue Ideen mit alten Konzepten des Genres zur Einführung in eine bedrohliche Zukunft, die den Leser nicht überfordert, sondern begierig auf die Fortsetzung warten lässt. Hier glimmt das Potenzial einer fulminanten Geschichte.

Ein kurzes Wort zur Aufmachung: Schönes Hardcover, aber wo ist das integrierte Lesezeichen? Der Faden, der es ermöglicht, ein edles Buch vor Eselsohren zu bewahren?

http://www.michaelmarrak.de/

Der Autor vergibt: (4/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (4 Stimmen, Durchschnitt: 4,75 von 5)

Als Orientierung für die Bewertung gilt:
– 1 Stern: Gefällt mir überhaupt nicht
– 2 Sterne: Gefällt mir eher nicht
– 3 Sterne: Unentschieden/Durchschnitt
– 4 Sterne: Gefällt mir eher gut
– 5 Sterne: Gefällt mir sehr gut

Michael Marrak – Morphogenesis

In einem Interview für das TERRACOM, Ausgabe Juni 2004, fragte ich Michael Marrak nach dem Wesen seines neuen Romans. Er antwortete (wahrscheinlich mit einem Grinsen im Gesicht):
»Es wird […] ein sehr zynischer Roman mit einer gesunden Portion an schwarzem Humor … und knietief Blut … 😉 «
Damals konnte ich mir noch nicht vorstellen, wie tief „knietief“ wirklich ist …

Michael Marrak arbeitet als Illustrator und Schriftsteller, dabei lebt er in der weltkulturdenkmalerischen Stadt Hildesheim. Er debütierte 1997 mit seinem Roman „Die Stadt der Klage“, „Lord Gamma“ von 2000 erhielt den Kurd-Laßwitz-Preis sowie den Deutschen Phantastik-Preis als bester Roman des Jahres. 2002 erschien sein Horror-SF-Mischling „Imagon“, der ebenfalls ausgezeichnet wurde.
Weitere Infos: http://www.marrak.de.

stadt der klage

Hippolyt Krispin entdeckt in seinen privaten archäologischen Forschungen mitten in der libyschen Wüste eine Pyramide. An sich schon erstaunlich genug, aber sie besitzt außerdem einen sechseckigen Grundriss. In ihrem Zentrum stößt Krispin auf einen riesigen versiegelten Hohlraum, der unter Vakuum steht, bis Krispins Mitarbeiter die Wand durchbricht. Er verendet dabei qualvoll und blutig, denn der Unterdruckt reißt ihm sämtliche Eingeweide aus dem Körper. Niemand ahnt bisher, dass es so etwas ist wie ein Tor zur Unterwelt, dem ägyptischen Duat.

Der geöffnete Raum ist gigantisch und von einer merkwürdigen knöcheltiefen Staubschicht bedeckt, die reibungslos durch die Finger rinnt und nicht greifbar ist. In einem Ringsarkophag findet er einen goldenen Uroboros (eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt) und erlebt bei der ersten Berührung damit eine Vision: Ein übergroßer Schlangenkopf hebt sich aus dem Staub und mustert Krispin. Sie grüßt ihn in einer sonderbaren Sprache und bezeichnet ihn als Kematef.

Krispin trifft später auf eine wunderschöne Ägypterin mit verführerischem Duft und verbringt mit ihr den Abend. Anscheinend ist sie für niemand sonst sichtbar, außerdem umgibt sie ein Geheimnis. Sie behauptet, mit einer Totenbarke aus der Totenstadt Sarara gekommen zu sein und ringt ihm das Versprechen ab, ihr einen Wunsch zu erfüllen und sie dort zu besuchen. Nach einem berauschenden Geschlechtsakt drückt sie ihm den Uroboros in die Brust, er verschwindet wie ein Lebewesen in Krispins Eingeweiden, Krispin erlebt eine grausige Vision und erwacht erinnerungslos und blutüberströmt vor seinem Hotel. Nichts ist mehr so, wie es sein muss.

eine multihölle für alle

„Morphogenesis“ ist eine Vollendung des stark gedrängten Romans „Die Stadt der Klage“. Und diese Stadt, in die es Hippolyt Krispin verschlägt, ist eine Verschmelzung aus vielen Höllenmythen, die die Menschheit im Laufe ihrer Entwicklung entwarf. Hier treffen sich Neros brennendes Rom und die fleißigen Errichter des babylonischen Turms sowie französische Gillotinierte zur gemeinsamen, ewigen Buße.

Der Prolog des Romans hätte uns vorwarnen müssen. Er ist wie ein Vorgeschmack auf die Abstrusität und die Bildauswahl des Romans, erdrückt sofort die gewachsenen Vorstellungen von Realität und Zumutbarkeit in uns und weckt eine Verwirrung, die wohl nur aus falschen Erwartungen entstehen kann. Wer den Klappentext liest und dort etwas von Pyramiden und Ausgrabung stehen sieht, erwartet gewiss nicht, sich in einem ausgebrannten Turm zwischen ekligen, sich vermehrenden Insekten und staubsaugerartigen Schwämmen wiederzufinden, gegenüber eine albtraumhafte Gestalt, und ein blutiges Stigma aus dem Rücken die Wand hinter einem verschmiert. So gerät man schon im Prolog von einem Albtraum in den nächsten, denn die erste Sequenz, die sich leicht als Traum entpuppt, mündet in den eben beschriebenen Part, der für den Erzähler offenbar die Realität ist. Pyramide? Ausgrabung? HIER??

Zum Glück beginnt das erste Kapitel nach diesem Anfangsschock „normal“ und erwartungsgemäß. Ich erinnerte mich aber beim Öffnen der Vakuumkammer und der daraus resultierenden „Entleibung“ des Mitarbeiters überdeutlich an Marraks oben zitierten Ausspruch: „… und knietief Blut …“ Mit jeder weiteren Seite entfernt sich die Erzählung von unserer Realtität und wird zu einem phantastischen Schauspiel.

Mit welchen Worten soll man diesem Buch gerecht werden? Schon die Einordnung in irgendein Genre fällt schwer – aber man versucht es trotzdem, jeder Teil in seine Schublade. Einigen wir uns auf den Oberbegriff „Phantastik“ (nicht zu verwechseln mit Fantasy, darum schreibe ich es auch weiterhin mit Ph), damit tun wir dem Werk kein Unrecht. Da wir es mit Michael Marrak zu tun haben, können wir das Buch versuchsweise mit seinen Vorgängern vergleichen. „Lord Gamma“ war eindeutige Science-Fiction mit einer kolossalen Enthüllung zum Schluss. „Morphogenesis“ ist weit abstruser, abgedrehter, aber durch den mythologischen Hintergrund nicht ganz so erschlagend – es erschlägt durch andere Aspekte. Hier geht es vordringlich um das Schicksal Hippolyt Krispins (und um unsere armen Seelen, das ist schon schockierend). „Imagon“ ließ sich schon schwerer einordnen, man nennt es Science-Horror-Thriller. Die düstere Aussicht für die Menschheit wird in „Morphogenesis“ blutiger und zynischer dargestellt, unser Augenmerk auf andere Dinge gelenkt.

Die Ausgeburt der Hölle, die durch Krispin zum Leben erweckt werden soll, wird nicht eindeutig bewertet. Ist es wirklich nur ein kleiner Ausflug aus der Hölle, wie Krispins Gegenspielerin und Gönnerin behauptet, oder erwartet uns durch diesen Pakt die Hölle auf Erden?

Im Endeffekt hat sich Marrak eine tragisch unsterbliche Figur geschaffen, die ewig durch die Gefilde der Literatur wandeln kann, um hin und wieder auf sich aufmerksam zu machen. Beneidenswert, wie Marrak schreiben kann, aber gleichzeitig Furcht einflößend: Geht sowas |ständig| in seinem Kopf umher? Da kann man gespannt sein auf die Früchte seiner Fantasie, die uns in den nächsten Jahren erwarten.

Es gibt ein Detail, eine Frage, auf deren Auflösung ich die ganze Zeit unbewusst gewartet habe. Zu Beginn seiner Bekanntschaft mit Sahia hat Krispin eine Vision, die von einer Welt aus Nervensträngen und Synapsen handelt, in der ein geschwürartiges Gebilde auf ihn zu jagt, in dem er ein schreckliches „Ding“ sieht. Danach ist Dunkelheit. Was hat er gesehen? Vermutlich war es in der Realität das Auto, das ihn traf, aber was hat er in seiner Vision gesehen? Anscheinend war es zu unwichtig, um dem Autor eine Aufklärung wert zu sein. Aber es reizt leider die Neugier und hätte darum eine Antwort verdient.

morphogenesis

Den Titel zu erklären, hieße, die Lösung des Romans zu verraten. Auch wenn man sich davor drückt, gibt es noch etwas Wichtiges festzuhalten: Um den Geist zu reinigen, bietet der Roman den perfekten Weg. „Entschlackung“ kann man es nennen, die aufgestauten unmöglichen Fantasien und abstrusen Gedanken finden hier ihren Ausdruck – und dabei wird auch noch eine spannende Geschichte erzählt! Vor allem zum Schluss drückt der Wunsch nach der Lösung, man kann kaum noch von dem Buch lassen. Was gibt es für ein besseres Argument für einen Roman? Eines muss fairerweise nochmal gesagt werden: Der Roman ist blutrünstig. Man sollte sich durchaus eine Prise schwarzen Humors zulegen, ehe man ihn liest.

Der Autor vergibt: (4/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Als Orientierung für die Bewertung gilt:
– 1 Stern: Gefällt mir überhaupt nicht
– 2 Sterne: Gefällt mir eher nicht
– 3 Sterne: Unentschieden/Durchschnitt
– 4 Sterne: Gefällt mir eher gut
– 5 Sterne: Gefällt mir sehr gut

Interview mit Michael Marrak

Michael Marrak, Jahrgang 1965, lebt seit Anfang 2001 in Hildesheim bei Hannover und arbeitet freiberuflich als Schriftsteller und Illustrator. Seine erste Erzählung wurde 1990 veröffentlicht, seither erschienen zahlreiche Erzählungen und Illustrationen in Magazinen und Anthologien. 1997 debütierte er mit seinem ersten Roman „Die Stadt der Klage“. Ende 2000 erschien schließlich der Roman „Lord Gamma“, mit dem er ein Jahr später den Kurd-Laßwitz-Preis und den Deutschen Phantastikpreis für den besten deutschen SF-Roman des Jahres gewann. In „H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens“ erschien 2002 der Roman „Imagon“, der ebenfalls den Kurd-Laßwitz-Preis für den besten Roman erhielt. Bei Bastei-Lübbe wurde „Imagon“ in diesem Jahr als Taschenbuch veröffentlicht.
Das Gespräch wurde Ende Mai geführt. Weitere Informationen zum Autor finden sich im Internet auf http://www.marrak.de.

Buchwurm.info:
In den letzten Jahren gab es zwei sehr erfolgreiche Romane von dir. Im Rückblick auf „Lord Gamma“ und „Imagon“: Hättest du den großen Erfolg der beiden Romane erwartet?

Michael Marrak:
Was „Lord Gamma“ betrifft: Nein. Ich hatte lediglich gehofft, dass sich deutlich mehr Leute für das Buch interessieren würden als die wenigen hundert Stammleser, die ich damals (in meiner Kleinverlagszeit) noch hatte. Die „Lord Gamma“-Originalauflage im Shayol-Verlag betrug gerade mal 300 Exemplare. Davon, dass der Roman zwei Jahre später als Buchtipp des Monats bei Lübbe veröffentlicht werden würde, träumte ich zu dieser Zeit noch nicht einmal. Im Mai 2002 erschien „Lord Gamma“ schließlich in fünfstelliger Auflage als Lübbe-Taschenbuch, und bereits im Startmonat verkauften sich knapp 4000 Exemplare. Erst da dachte ich: Oha, das könnte interessant werden …

Allerdings wehre ich mich gegen den Trugschluss, „Imagon“ und „Lord Gamma“ seien Erfolgsbücher, nur, weil ich für sie einige Preise erhalten habe. Erfolg hat nichts mit einem (zumal undotierten) SF-Literaturpreis zu tun. Erfolg rechnet sich in meiner jetzigen Situation als freier Schriftsteller einzig und allein durch Absatzzahlen und darüber, ob ein Buch für den Verlag rentabel ist oder der Autor schlicht und einfach seine Vorschüsse nicht einspielen kann, weil sich seine Bücher nicht verkaufen.

Das Schlimmste, was mir als Autor bei einem großen Verlag wie Lübbe passieren könnte, wäre, dass ich bei den Buchhaltern den Makel eines Autors bekomme, der seine Garantiesumme nicht wert ist. Seine Vorschüsse einzuspielen ist wichtiger als jeder eventuelle Preisgewinn eines Kurd Laßwitz oder was auch immer. Zumal sich die deutschen SF- und Phantastikpreise definitiv noch nie groß auf die Verkäufe ausgewirkt haben. Also bitte einem Buch nicht sofort einen Erfolgsstempel aufdrücken, nur weil „Literaturpreis“ draufsteht.

Buchwurm.info:
Was dachtest du, als „Lord Gamma“ rechtzeitig zum Kurd-Laßwitz-Preis nicht mehr lieferbar war?

Michael Marrak:
Ich habe mich geärgert. Bei der Preisverleihung in Dresden gab es das Novum, dass ein Phantomroman ausgezeichnet wurde: Die Originalauflage war vergriffen, die Neuauflage noch nicht erschienen. Zwar war damals bereits das Taschenbuch bei Lübbe geplant, aber bis zur Wiederveröffentlichung war es noch fast ein Jahr hin. Ich fürchtete, dass sich bis dahin kaum noch jemand an das Buch erinnern würde. Glücklicherweise war das am Ende nicht der Fall. Das Buch kletterte z. B. bei Amazon.de innerhalb weniger Tage bis auf Verkaufsrang 4. Ich war völlig baff, fand mein Buch plötzlich in Konkurrenz zu Romanen von Henning Mankell, Tom Clancy, Ken Follett und dem Dalai Lama. Das dauerte zwar nur zwei oder drei Wochen, begeisterte mich aber dermaßen, dass ich im wahrsten Sinne des Wortes zum Ranking-Surfer mutierte …

Buchwurm.info:
„Abydos“ ist der Arbeitstitel deines kommenden Romans. In welche Richtung wird es diesmal gehen, nach den zwei sehr unterschiedlichen Vorgängern? „Lord Gamma“ ist erstklassige Science-Fiction, „Imagon“ eine Mischung aus SF und Wissenschaftsthriller, wobei man ihm eine deutliche Horror-Komponente nicht absprechen kann – Was kommt als Nächstes?

Michael Marrak:
Ein recht umfangreicher, phantastischer Roman, den ich aus dem Stehgreif nur sehr schwer definieren kann. Es ist ein Synergy-Projekt – ein Crossover aus SF, Phantastik, Horror und Wissenschafts-Thriller mit einem deftigen Schuss Religion und altägyptischen Mythen. Ich tue mich mit dem Einordnen des Stoffes ein wenig schwer, doch man könnte ihn vielleicht als eine Mischung aus Ian McDonalds „Necroville“, Farmers „Flusswelt der Zeit“ und einer sehr modernen Version von Dantes „Göttlicher Komödie“ beschreiben – falls irgendjemand Wert auf derartige Vergleiche legt. „Abydos“ ist nicht ganz so hysterisch wie „Lord Gamma“, aber auch nicht mehr so kalt und bedrückend wie „Imagon“. Es wird – schon allein aufgrund des Handlungsumfeldes – ein sehr zynischer Roman mit einer gesunden Portion an schwarzem Humor … und knietief Blut … 😉

Buchwurm.info:
Abydos ist eine heilige Stadt in Ägypten, ihr wichtigstes Gebäude ist der Sethos-Tempel. Laut Legende hatte in Abydos die Auferstehung des Gottes Osiris stattgefunden, dessen Kopf hier begraben wurde. Ist „Abydos“ vielleicht doch nicht nur Arbeitstitel?

Michael Marrak:
Doch, im Grunde schon. Die Stadt wird lediglich hin und wieder unter ihrem alten ägyptischen Namen Abdju erwähnt (Abydos ist der Name, den die Griechen der Stadt gaben – wie auch der Großteil aller uns bekannten ägyptischen Namen und Begriffe erst von den Griechen geprägt wurde). Die antike Tempelstadt Abydos ist die einstige Heimat einer meiner Hauptfiguren und kommt u. a. in einer Rückblende vor, besitzt im Roman jedoch keine tragende Rolle. Der tatsächliche Romantitel erinnert mehr an eines der fünf Bücher Moses …

Buchwurm.info:
Die Erwartungen der Leser (und Redaktionen) bezüglich „Abydos“ sind durch deine bisherige Leistung sicher enorm. Belastet dich diese Erwartungshaltung?

Michael Marrak:
Nein, eigentlich nicht. Ich ziehe, wie es so schön heißt, mein Ding durch. Die einzige Belastung, die enorm ist, ist mein weiterhin schmerzendes Handgelenk. Leider hat die Operation vor anderthalb Jahren nicht die erhoffte Verbesserung gebracht. Aber das ist eine andere Geschichte.

Buchwurm.info:
Ja, davon habe ich gehört. Du musstest die Arbeit an „Abydos“ zeitweise einstellen. Ich wünsche dir alles Gute für die Genesung! War es schwer, nicht schreiben zu können, oder hast du die Pause auch genossen?

Michael Marrak:
Genossen? Ich bin schier verrückt geworden! Die größte Pause gab es jedoch während der Arbeit an „Imagon“. Damals erwischte es mich mitten im Roman. Bei „Abydos“ konnte ich lediglich nicht mit dem Schreiben beginnen, was jedoch nicht weniger quälend war.

Das eigentliche Problem war, dass ich durch die lange Pause von fast einem Jahr irgendwann völlig den Faden verloren hatte und nicht mehr wusste, welches Projekt ich nun als nächstes anfangen bzw. zuende bringen sollte. Zu viel nutzlose Zeit bedeutet zwangsläufig, dass sich zu viele Ideen anstauen. Ich verlor das ursprüngliche Ziel aus den Augen, konnte mich monatelang nicht entscheiden, was ich als nächstes schreiben werde. Für eines der drei in Frage kommenden Romanprojekte fühlte ich mich noch nicht reif und vorbereitet genug, daher beschloss ich, zuerst noch ein Buch dazwischenzuschieben. Ich schrieb schließlich an einem Roman weiter, von dem ich überzeugt war, dass er der richtige sei und Lübbe gefallen werde. Tat er aber nicht, was sehr, sehr ärgerlich war. Stattdessen interessierte mein Lektor sich für ein Projekt, an dem ich nebenher arbeitete, sozusagen for my private satisfaction, ohne das Ziel, dieses Buch Lübbe anzubieten. Und falls doch, dann erst, wenn ich es mir vom Erfolg her leisten konnte, dem Verlag so etwas Abgedrehtes vorzulegen, ohne dafür gekreuzigt zu werden. Ich schrieb diesen Roman für mich, weil ich Spaß daran hatte, keinem Exposé oder Konzept folgen zu müssen, sondern mich von der Entwicklung der Handlung überraschen zu lassen. Und ausgerechnet dafür interessierte sich mein Lektor, weil er nach „Imagon“ gerne noch ein Buch bringen wollte, das eindeutiger in die SF-Reihe passt als das abgelehnte. Nun gut, dachte ich, kein Problem, soll mir recht sein. Also schickte ich ihm die ersten einhundert Seiten … Und was soll ich sagen? Das Ding gefiel ihm!

Ich erwarte von „Abydos“ nicht, dass es ein kommerzieller Erfolg wird, dazu ist der Roman zu schräg und zu … wie soll ich sagen? Grotesk? Absonderlich? Unkonventionell? Abgedreht? Gewisse Leute, die nach wie vor glauben, ich schreibe meine Bücher nur unter Drogen, werden sich durch diesen Roman zweifellos bestätigt fühlen. „Abydos“ ist Wasser auf ihre Mühlen.

Buchwurm.info:
Bei „Imagon“ stammt auch das Titelbild von dir – meiner Meinung nach übrigens sehr gelungen. Wirst du auch dein neues Buch selbst illustrieren?

Michael Marrak:
Das kann ich noch nicht sagen. Eventuell, falls mir etwas Passendes einfällt und gelingen mag. Allerdings habe ich vor einigen Wochen auch ein Wunschtitelbild an den Verlag geschickt, jedoch noch keine Reaktion darauf erhalten. Es ist von einem amerikanischen Illustrator und würde zu „Abydos“ passen wie kaum ein zweites. Mal sehen. Ich bleibe am Ball.

Buchwurm.info:
Was machst du, wenn du gerade mal keinen Bestseller schreibst?

Michael Marrak:
Korrektur: „Imagon“ ist (bisher) kein Bestseller, und ich denke, er wird sich im Gegensatz zu „Lord Gamma“ auch im eher begrenzten Rahmen dessen verkaufen, was von SF normalerweise umgesetzt wird. Ich kann mich natürlich irren und lasse mich gerne überraschen. Aber mal ehrlich: Die einzige „Bestsellerliste“, in die „Lord Gamma“ damals geklettert war, war die von Amazon.de. Für einen als SF ausgewiesenen Roman hat er sich wirklich außerordentlich gut verkauft, was nicht wenige überrascht hat. Ob „Imagon“ einen ähnlich erfolgreichen Weg einschlagen wird, bleibt abzuwarten. Das Lübbe-Taschenbuch ist ja erst seit kurzem erhältlich.

Aber um auf deine Frage zurückzukommen: Ich bin ein klassischer Elfenbeinturm-Bewohner. Ein Stubenhocker, der sehr viel (und sehr intensiv) Musik hört, leider viel zu wenig Unterhaltungsliteratur liest und seit kurzem wieder als Illustrator arbeitet, um einen Ausgleich zum recht anstrengenden Schreiben zu haben. Falls ich lese (was ich eigentlich jeden Tag tue), dann zumeist der Recherche wegen, also Sachbücher, themenspezifische Internetartikel oder Magazine wie National Geographic (im Abo), PM, Sterne und Weltraum oder Kemet, ein Magazin zur Ägyptologie. Daneben bin ich leidenschaftlicher Filmegucker, und unser DVD-Player ist neben meinem Schreibrechner und der Stereoanlage wohl das am meisten ausgelastete technische Gerät im Haus.

Buchwurm.info:
Noch eine unvermeidliche Frage: Wie sieht dein täglicher Rhythmus aus? Oder hast du keinen?

Michael Marrak:
Ich habe keinen. Ich bin ein Chaot. Ich prügele mich 365 Tage im Jahr mit meinem inneren Schweinehund, finde täglich ebenso viele Ausreden, um mich vor dem Schreiben zu drücken, stehe mal morgens um fünf, mal mittags um zwei oder mal abends um acht auf, arbeite nur dann, wenn ich wirklich einen klaren Kopf habe und mich konzentrieren kann, und dann in der Regel in Exzessen, um anschließend wieder eine Schaffenspause einzulegen … Oder besser gesagt: in ein Schaffensloch zu fallen. Bis zum nächsten Schreibanfall. Dazwischen liegt ebenso viel Hysterie wie Depression, Euphorie, Trägheit und die Tatsache, dass wegen des schmerzenden Handgelenks (Karpaltunnelsyndrom) oft kein geregeltes Arbeiten möglich ist.

Buchwurm.info:
Im Juni soll die Primärarbeit an „Abydos“ beendet sein. Was kommt danach, und warum erscheint der Roman erst im Frühjahr 2005?

Michael Marrak:
Ich denke, nach „Abydos“ werde ich erst mal einen kurzen Jugendroman vollenden, auf den der Thienemann-Verlag bereits geduldig wartet. Die mir angebotene Chance, in diesem Genre Fuß zu fassen, möchte ich mir auf keinen Fall entgehen lassen. Gleichzeitig werde ich elf oder zwölf meiner Erzählungen für eine Storysammlung, die Anfang/Mitte 2005 im Festa-Verlag erscheinen soll, zusammenstellen und überarbeiten. Bis zum Jahresende möchte ich mit beiden Projekten fertig sein, um mich danach jenem Roman zu widmen, mit dem ich bei Lübbe in die Allgemeine Reihe wechseln werde (das ist kein Wunschdenken, sondern bereits unter Dach und Fach). Ich arbeite sozusagen auf den nächsten Quantensprung hin. Aber das ist alles noch Zukunftsmusik.

Der Grund, warum „Abydos“ erst in einem Jahr erscheint, liegt in der langen Vorlaufzeit des Verlags. Lektorat, Überarbeitung, Satz, Druck der Vorabexemplare für die Verlagsvertreter und die Medien, Werbung, Prospektpräsenz, etc. Das geht alles nicht so ratz-fatz wie in Kleinverlagen, in denen man das Manuskript abgibt und das Buch manchmal schon vier Wochen später gedruckt vorliegt. „Abydos“ ist ja nicht das einzige Buch, das im Mai 2005 bei Lübbe rauskommt. Es geht hier um die Koordination zahlloser Neuerscheinungen, und das meist über Jahre im Voraus.

Buchwurm.info:
Laut Homepage hast du Verträge bis einschließlich 2006. Darunter fallen die beiden (Tarn-)Titel „Abydos“ und „Gaia“. Wie lange braucht es durchschnittlich zur Veröffentlichung eines Romans?

Michael Marrak:
Ich kann bei dieser Frage nur von meiner eigenen Arbeit ausgehen und nicht für andere Autoren sprechen, die weitaus zügiger und beständiger arbeiten können. Ich schreibe wegen der Sache mit der Hand verhältnismäßig langsam, oder besser gesagt: in kleineren Häppchen. Der Vorteil: Ich kann mir für ein Buch mehr Zeit lassen. Der Nachteil: Ich brauche für einen Roman doppelt so lange wie Autoren, die einem geregelten Tagesrhythmus folgen und sechs bis acht Stunden am Tag schreiben können (wie ich sie darum beneide!). Der Vorteil des Nachteils: Ich werde niemals als Vielschreiber verschrieen sein, dessen Qualität auf Kosten der Quantität leidet. Das hat auch was. Ich möchte auch in zehn oder zwanzig Jahren noch zu meinen Büchern stehen können und nicht verschämt sagen müssen: „Das ist scheiße, aber ich hab das damals auch nur runtergehauen …“

Für einen Roman brauche ich in der Regel anderthalb Jahre. Eher zwei, da ich meist nicht allein an einem einzigen Projekt arbeite und in dieser Zeit noch die eine oder andere Erzählung schreibe. Nach Ablieferung des Manuskripts dauert es noch mal neun bis zwölf Monate, bis das Buch erscheint.

Buchwurm.info:
Ist „Gaia“ die momentan künftigste Planung (und worum handelt es sich dabei)?

Michael Marrak:
Was nach „Gaia“ kommt, weiß ich tatsächlich nicht. Und bevor du fragst: Dieser Arbeitstitel ist ebenso irreführend wie „Abydos“, umreißt aber grob das Spielfeld. „Gaia“ wird mehr oder minder ein SF-Roman werden, bei dem der SF-Aspekt jedoch sehr verhalten behandelt wird. Das vermeintlich Phantastische wird in ihm größtenteils auf Realität und tatsächlichen Gegebenheiten basieren. Er wird auf drei Kontinenten spielen, und das sowohl im 13. als auch im 21. Jahrhundert. Mehr möchte ich dazu noch nicht verraten. „Gaia“ wird jedenfalls keinem meiner bisherigen Romane ähneln.

Der Roman wird frühestens Ende 2006 erscheinen, eher noch Anfang 2007, da ich wie erwähnt ein Jugendbuch dazwischenschieben will und zudem im September dieses Jahres für drei Monate nach Wien gehe. Das Kunst-Stipendium habe ich zugunsten von „Abydos“ bereits um ein halbes Jahr verschoben, und in den drei Monaten im Wiener Museumsquartier möchte ich mich mehr der bildhaften Kunst widmen als dem Schreiben.

Buchwurm.info:
Was machst du heute abend?

Michael Marrak:
Ich versuche endlich zu schlafen. Letzte Nacht hat’s nicht geklappt, da ich am Abend zuvor zweieinhalb Liter Cola getrunken hatte. Jetzt bin ich seit über dreißig Stunden wach und pfeife aus dem letzten Loch. Schon blöd, wenn man „light“ und „koffeinfrei“ miteinander verwechselt … Na ja, wahrscheinlich schreibe ich noch einen „Panorama“-Eintrag und guck später noch „Underworld“ als Betthupferl.

Buchwurm.info:
Ich wünsche dir dabei viel Spaß und weiterhin viel Erfolg mit deiner Arbeit! Vielen Dank für das interessante Interview! Ich glaube, nicht nur ich, sondern auch viele andere Leser warten gespannt auf dein nächstes Buch.

Michael Marrak:
Ich habe zu danken. Und was das nächste Buch betrifft: Ich bin am meisten gespannt, wie es endet …

Kurzbibiliographie:

„Die Stadt der Klage“
Roman, Edition Mono, Wien 1997

„Die Stille nach dem Ton“
5 Novellen, Edition Avalon, Berlin 1998

„Lord Gamma“
• Roman, Shayol, Berlin 2000
• Taschenbuchausgabe: Bastei Lübbe TB 24301, Bergisch Gladbach 2002

„Imagon“
• Roman, Festa, Almersbach 2002
• Taschenbuchausgabe: Bastei Lübbe TB 24325, Bergisch Gladbach 2004

„Die Ausgesetzten“
in: „Eine Trillion Euro“, Andreas Eschbach (Hrsg.),
Bastei Lübbe TB 24362, Bergisch Gladbach 2004

Foto: Irena Brauneisen, 2006. Quelle: marrak.de

Michael Marrak – Imagon

Aus H. P. Lovecrafts Elder Gods-Mythos entstand eine Geschichte, die eindrucksvoller nicht sein könnte. Nichts könnte die unheimlichen Großen Alten deutlicher, glaubhafter schildern, nichts vor der Gefahr eindringlicher warnen, die dem Cthulhu-Mythos innewohnt.

Der Autor

Michael Marrak wurde 1965 in Weikersheim geboren, ist gelernter Großhandelskaufmann und besuchte das Berufskolleg für angewandte Grafik in Stuttgart. Mittlerweile lebt und arbeitet er als freier Schriftsteller und Illustrator in Hildesheim.

Inhalt

Der dänische Geophysiker Poul Silis hasst Schnee. Eines Tages wird er von seinem Institut auf eine merkwürdige Sache angesetzt: In Grönland wurde ein Krater im ewigen Eis entdeckt, dessen Ausmaße nur von einem gigantischen Meteoriten herrühren können – doch keine Station auf der Erde hat seinen Einschlag beobachtet. Es gibt weder die typischen Aufwerfungen des verdrängten Substrats, noch die charakteristische Impaktwolke über dem Gebiet.

Man behandelt den Vorfall mit strengster Geheimhaltung. Silis wird nach Grönland verschifft und trifft auf das Team seines ehemaligen Mentors, Professor DeFries. Es stellt sich heraus, dass der Krater die Spitze eines uralten Tempels in der Front eines Berges freigelegt hat – älter als das intelligente Leben auf der Erde! Unheimliche Symbole zieren den einzig erreichbaren Eingang. Und ebenso unheimlich ist: Silis wird von Alpträumen geplagt, in denen er den Tempel (in seiner Gänze) sieht – mit seinen Bewohnern, grauenhaften Wesen, die das Tageslicht scheuen …

In der Mitte des Kraters findet man ein mehrere Meter durchmessendes Schluckloch, durch welches das Schmelzwasser von den Freilegungsarbeiten am Tempel zurück unter das Eis fließt. Wieder beobachtet Silis unheimliche Phänomene: Das Wasser fließt in der arktischen Kälte kilometerweit und schert sich dabei um keinerlei physikalische Gesetze. So fließt es in einem breiten, flachen Rinnsal schnurgerade zum Schluckloch und überwindet dabei sogar meterhohe Hindernisse.

Ein Experiment am Schluckloch zeigt, dass es seinen Namen zu Recht trägt. Es verschluckt sowohl Rauch (der sich in Spiralen abwärts dreht) als auch Schall! Zwei sich gegenüberstehende Menschen mit dem Loch zwischen sich vermögen sich nicht mehr zu hören. Als eine Magnesiumfackel von Silis in das Loch geworfen wird, bebt der Boden und eine gewaltige Fontäne befördert die Fackel zurück ans Licht. Silis‘ Begleiter wird von einem geleeartigen Klumpen der Masse berührt, die in seinen Körper eindringt. Er verliert das Bewusstsein und Silis erfährt von DeFries merkwürdige Geschichten über die Großen Alten, die Älteren Götter und unheilige Wesen.

Silis‘ Begleiter ist dem Tode geweiht, Silis selbst zweifelt an seinem wissenschaftlichen Verstand wie auch an dem seines ehemaligen Mentors DeFries. Ein Inuit-Schamane verhilft ihm zu einer Traumbegegnung mit Sedmeluq – danach ist nichts mehr, wie es vorher war. Silis steigt in den Tempel hinab, auf der Suche nach Antworten. Er betritt eine gigantische Halle, die er aus seinen Träumen zu kennen glaubt. In ihrer Mitte befindet sich eine Mulde, in der sich eine tiefschwarze Masse bewegt, die Silis sofort als Qur identifiziert: Das unheilige Medium, dem die Älteren Götter entstiegen. Hier ist das Tor zur anderen Seite, das nicht geöffnet werden darf. Doch keiner der Wissenschaftler zieht Silis endgültig ins Vertrauen, denn sie wissen, dass er ein Imagone ist, der als Schlüssel zu dieser Welt von Sedmeluq ausersehen wurde …

Kritik

Man rätselt mit dem Protagonisten. Es gibt Bücher, in denen man stets mehr weiß als die Handlungsträger und allzu oft denkt: Oh Mann, dies und das ist doch so und so, siehst du das nicht?
In „Imagon“ ist das anders. Man weiß immer nur so viel wie Poul Silis, und das ist deutlich weniger als die meisten anderen in der Geschichte wissen. Es scheint, als würde das Wissen vor ihm verborgen werden, und so erfährt man nur Schritt um Schritt die erklärenden Verhältnisse, Erzählungen aus dem von DeFries zusammengetragenen ‚Taaloq‘ und eigenen Gedanken aus den Erlebnissen des Ich-Erzählers, eben Poul Silis.

Man wird ebenso wie er vor den Kopf gestoßen von Dingen, die in unserem Verständnis der Welt unmöglich sind. Aber man rutscht auch ebenso wie er in die Finsternis hinein und beginnt, an diese Dinge zu glauben, zweifelnd erst, dann mit wachsender Überzeugung. Es ist unheimlich, wie Marrak es schafft, uns Lesern über unwirkliche, aber äußerst plastische Erlebnisse des Erzählers einen Pseudomythos als wirklichen, uralten Mythos vorzulegen und uns schließlich glauben zu machen, dass die wichtigen Details des Mythos wahr sein könnten …

Was schließlich wirklich mit Poul Silis geschieht, will ich hier nicht verraten, denn das würde eine Menge der Spannung nehmen, die dem Buch innewohnt. Wer Marraks „Lord Gamma“ gelesen hat, kann eine Ahnung von der Vielfalt und Abstrusität haben, die zu dem mitreißenden und ebenso kalten, unheimlichen Roman werden, der mich nicht mehr losgelassen hat, bis ich mit den letzten Seiten an einem Ende angekommen war, das mich für einige Minuten hilflos zurückließ, ehe es mit seiner ganzen Aussagekraft durchdrang und als Ende bedeutungsschwer stehen blieb.

Vor einigen Jahren schrieb Michael Marrak eine Novelle mit dem Namen „Der Eistempel“, deren Plot wohl nach Größerem rief. Auf ihr basiert der vorliegende Roman, wobei die Novelle wiederum von Lovecrafts Elder Gods- oder Cthulhu-Mythos inspiriert wurde. Wenn man sich jetzt an Lovecrafts Roman „Berge des Wahnsinns“ erinnert (so man ihn kennt), wird man in „Imagon“ kein simples Remake finden, sondern eine echte, hervorragende, eigenständige Geschichte zu einem gemeinsamen Thema, dem Mythos um die Älteren Götter.

Fazit

„Imagon“ ist kalt, hart, unheimlich, bizarr und spannend, aber in keinem einzigen Moment wirkt er unglaubwürdig, zäh oder plakativ. Man glaubt dem Erzähler, dass er seine Geschichte erlebt hat und von ihr geprägt wurde; man glaubt auch dem Autor jegliche Details, als wäre er gar nicht vorhanden, sondern als handle es sich um Fachwissen des Geophysikers Poul Silis. Man ist geneigt, einen Punkt für das Ende abzuziehen, bis man noch einmal darüber nachgedacht und die Geschichte sich hat setzen lassen. Ich zumindest bin der Überzeugung, dass es kein anderes Ende hätte geben können. Darum Hut ab vor Michael Marraks Leistung – und volle Empfehlung!

Wer es gern solider mag, findet das Buch übrigens auch noch in der Originalausgabe von Festa (2002) als Hardcover unter der ISBN 3-935822-12-X.

Das Titelbild stammt übrigens von Marrak selbst, und der Roman wurde ausgezeichnet mit dem Kurd-Laßwitz-Preis für den besten deutschen SF-Roman des Jahres 2002!