Uwe Post (Hrsg): 2012 – T minus Null

Diese Zusammenstellung von sechs Weltuntergängen hat ein Problem: Die Menschen schütteln den Kopf, wenn sie schon wieder mit dem Maya-Kalender und seinem Ende konfrontiert werden. Als Kaufanreiz hat der Titel also keine Chance, dagegen besticht das Buch mit seinem Inhalt: Sechs der interessantesten Stimmen der deutschen Science-Fiction entwerfen Szenarien der Apokalypse, die man sich einfach nicht entgehen lassen sollte. Herausgegeben wurde die Symphonie von Uwe Post, der zuletzt mit seinem Roman „Walpar Tonnraffir und der Zeigefinger Gottes “ die begehrten Genrepreise „Deutscher Science Fiction Preis“ und „Kurd-Laßwitz-Preis“ für 2011 absahnte.

Vincent Voss – 101112

Das Beste an Voss‘ Geschichte ist sicherlich das Ende. Wirklich anschaulich und apokalyptisch lässt er den Leser an den Erfahrungen seiner Protagonisten teilhaben. Dabei entwickelt sich der Text aus einigen merkwürdigen Einzelheiten und familiären Geheimnissen des Levin heraus in Richtung Unausweichlichkeit, gegen die Levin anfangs versucht sich zu wehren und dadurch die Sympathie des Lesers gewinnt.

Levin ist der Enkel Balthasars, welcher offenbar ein umtriebiger Mann war, der nun noch aus seinem Grabe heraus versucht, eine uralte Prophezeiung durch Levin erfüllen zu lassen. Ironischerweise hatte Levin sein Leben gänzlich unabhängig verbracht bis zu dem Tag, an dem er das Testament des Großvaters annimmt. Dadurch stößt er auf Geheimnisse, denen er sich nicht verschließen kann: Sie locken ihn auf die Spuren seines Großvaters und damit in die Fänge einer Sekte, des Cazimi-Kultes, deren Ziele und Grundlagen ihm verborgen bleiben. Schließlich offenbart sich ihm sein Erbe, das durch die Prophezeiung in ihm erwachen sollte: Er trägt den Samen einer uralten und unaussprechlichen Macht in sich, die zurück in die Realität drängt.

Eine längere Geschichte, die wirklich spannend und grausam ist und einen guten Einstieg in das Thema gibt, mit dem sich die Menschheit im Jahre 2012 auseinanderzusetzen hatte.

Stefan Burban – Schwarze Stürme

Robert und Karola werden unversehens von den Schwarzen Stürmen überrollt – und nicht nur sie. Die Apokalypse ist pünktlich, sucht die ganze Welt heim und wirft sich auf jede Wärmequelle, derer sie habhaft werden kann. Die Zivilisation bricht zusammen, die postapokalyptische Brutalität und der vielbeschworene Rückfall der Menschen zum Recht des Stärkeren spielen auf Robert und Karolas Flucht und ihrer Suche nach ihren Zwillingskindern eine ebensolche Rolle wie die Furcht, die Dunkelheit, die Panik vor ungesehenen Verfolgern. Was sich schließlich in Form eines alten Bibliothekars als Erklärung anbietet, sprengt jede Vorstellungskraft der Erlebenden und befindet sich weit jenseits der üblichen Maya-Apokalypse.

Frank Lauenroth – K’tarr!

Angesichts der Nominierung dieser Geschichte für den Deutschen Phantastik Preis 2013 ist es kein Wunder, dass sie als ein Höhepunkt der Sammlung daher kommt. Der DPP ist kein Genrepreis und somit nicht der Science-Fiction zugeordnet, was es bei der Fülle an Mainstreamfantasy den innovativen Science-Fiction Kurzgeschichten schwer macht, dort zu landen. „K’tarr“ ist die einzige SF-Geschichte, die es in diesem Jahr auf die Nominierungsliste geschafft hat.

Es ist eine vielschichtige Geschichte mit Familientragödie, Liebe, Kampf und Gefahr auf der einen Seite, der Auseinandersetzung mit den unmenschlichen Eigenarten einer mächtigen und bösen ET-Rasse und ihrer Jagd nach den letzten Überlebenden eines Vernichtungskrieges auf der anderen Seite, was sich immer stärker verwebt und Bezüge zueinander herstellt, die menschliche Evolution in einen neuen Kontext stellt und damit den Leser an die Katastrophe heranführt, die im Aufeinanderprallen beider Seiten gipfelt. Das sardonische Ende, nachdem auf der Erde schon alle Gefahr gebannt zu sein scheint, handelt Lauenroth dabei hartnäckig und mit einer gewissen Schadenfreude ab, in einem kurzen Epilog, der aber die gleiche einfühlsame Charakterisierung aufweist, wie die gesamte Geschichte ein Beispiel für emotionale Kohärenz ist.

Christian Günther – Die Tage des Kraken

Das Thema erinnert ein wenig an den kürzlich erschienenen Roman „Kraken“ von China Miéville, schlägt anfangs auch in eine ähnliche Kerbe, was die Bildung einer Sekte zur Anbetung von Riesenkalmaren als solche und die Suche nach Unsterblichkeit über das „Blut“ dieser Entität im Speziellen angeht. Immerhin lässt sich an der Handlung keine Ähnlichkeit zwischen beiden erkennen, vielleicht ist das auch einer dieser Zufälle, bei denen unabhängig die gleichen Ideen entstehen. Die Suche des Protagonisten Frank nach seiner Frau und Tochter, die sich in den Fängen der Sektierer verstrickt haben und zu einem finalen Akt der Verehrung nach Dänemark gereist sind, ist solide konstruiert. Aber je mehr Frank von den Einzelheiten der Machenschaften erfährt, desto interessanter und innovativer wird die Geschichte, deren weiterer Verlauf noch einige Wendepunkte aufweist und sich schließlich in einer „Resident-Evil“-Situation ergießt. Passender Countdown für den Weltuntergang, sehr spannend und interessant verarbeitet.

Karsten Kruschel – Grün: Im Sternzeichen des Rasenmähers

Karsten Kruschel fiel in den letzten Jahren verstärkt durch seine Romane und Geschichten um den Planeten „Vilm“ sowie den umfassenden Weltentwurf dazu auf, die auch gebührend gewürdigt wurden. So gewann sein Roman „Galdäa“ den Deutschen Science Fiction Preis.

Sein Konzept einer Apokalypse fußt auf einer Biochemischen Intervention, einer Entwicklung, die zu einer unbändigen Flora und dem schrittweisen Verdrängen der menschlichen Bevölkerung führt – ein Plot, der in Geschichten wie „Die Triffids“ von John Wyndham angelegt wurde, aber nicht in der Konsequenz verfolgt, wie Kruschel das in seinem spannenden Bericht unseres Weltuntergangs gelingt. Grundlage ist eine Kriminalgeschichte, in der ein Mord in dieser Endzeitstimmung aufgeklärt werden soll. Hier zeigt Kruschel erneut, wie er seine Figuren belebt, seine Welten entwickelt und den Funken zum Leser überspringen lässt. Der Unterhaltungswert ist – auch auf Grund der Andersartigkeit der Geschichte, die dadurch zwischen den anderen Weltuntergängen hervorsticht – unleugbar hoch, und die Geheimnisse, die Maria und Eva im Zuge ihrer Ermittlungen aufdecken, sind ungeheuerlich, so dass das Ende in seiner Unabwendbarkeit kaum Platz für Hoffnung lässt.

Michael Marrak – Das Königreich der Tränen

Bei diesem Beitrag handelt es sich um den mit Abstand umfangreichsten der Sammlung, man könnte ihn eher als Kurzroman denn als längere Kurzgeschichte auffassen – nicht wirklich verwunderlich also, dass ihn die Stimmberechtigten des Kurd-Laßwitz-Preises in der Kategorie „Roman“ für 2013 nominierten.

Es ist eine umfangreiche Schöpfungsgeschichte, ein ewiger Zyklus, der sich in kosmischen Zeitabständen wiederholt – und natürlich mit dem 21.12.2012 korreliert. Wir erleben die Reinitiation der ewig gefangenen Schöpfenden mit und betrachten das Geschehen gleichfalls aus der Warte moderner Wissenschaftler. Dieser Nebenschauplatz birgt ein Potenzial für die Deutung der Geschichte, indem hier ein Bruch im Zyklus zu entstehen scheint, da Miguel und Adriana die Apokalypse überstehen, während der Initiationsritus des unendlichen Kreislaufs seinen vorherbestimmten Weg nimmt. Es umfasst marraktypische Szenen von Unterwelt und Transzendenz, zwischenmenschliche Beziehungen, eine geradlinige Storyline und mythische Umstände, die Marrak mit unglaublicher Seele zu versehen weiß.

Zum Schluss

Natürlich ist Marraks Geschichte ein Highlight des Buches, was aber nicht über die Qualität der anderen fünf Weltuntergänge hinwegtäuschen darf. Hier hat jede einzelne ihren Platz in der illustren Gesellschaft der anderen verdient, und alle zusammen erzeugen das Bild eines Buches, das mehr sein sollte als ein Randstein des Jahres. Es ist meines Erachtens ein Genrehöhepunkt des Jahres, wert, breitere Beachtung zu finden als typisch. Zusammengehalten werden die Geschichten durch eine kurze Rahmenstory von Uwe Post, die an dieser Stelle aber auch nicht mehr als das ist: Ein interessanter Rahmen für die besten Geschichten, die das Thema hergibt.

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (9 Stimmen, Durchschnitt: 4,78 von 5)