Fredric Brown – Das andere Universum

Metafiktion gegen die Klischees der Science Fiction

Der Blitz einer gigantischen Explosion blendet Keith Winton, und unvermittelt findet er sich in einem anderen Universum wieder: einer Parallelwelt, die zwar fast so aussieht wie seine, die aber von Aliens besucht wird und sich im Krieg mit mysteriösen Arcturiern befindet. Man will ihn töten, weil er eine verbotene Halbdollarmünze verkaufen will, und er gerät in die verdunkelten Straßen des nächtlichen New Yorks, wo unsichtbare Kreaturen ihm nach dem Leben trachten. Des Rätsels Lösung muss bei der Raumflotte zu finden sein. Doch wie soll er dorthin gelangen? Als einfallsreicher Chefredakteur fällt ihm auch dazu etwas ein …

Der Autor

Fredric William Brown (1906-1972), ein Journalist aus Cincinnati, Ohio, gehörte laut Heyne SF-Lexikon „zu den wenigen Autoren, die auch lustige und gelegentlich satirische Texte schreiben konnten“. Der vorliegende Roman „What mad universe“, sein Debüt von 1949, nimmt das Genre auf die Hörner. Das Paralleluniversum ist mit SF-Klischees nur so gespickt.

Ein weiterer lustiger Roman ist „Martians, Go Home“ (1954 im Magazin, 1955 als Buch; dt. als „Die grünen Teufel vom Mars“). Sie könnten als Vorlage für Tim Burtons Mars-Film gedient haben. Sie treiben die Erdenbürger in den Wahnsinn, indem sie ihnen jedes Privatleben nehmen und auch sonst höchst despektierlich auftreten. Browns „ernsthafte“ Romane sind „The Lights in the Sky are Stars“ von 1953, „Rogue in Space“ (1957) und „The Mind Thing“ (1960). Sie fallen gegenüber den zwei Debüts ein wenig ab. Ich selbst kenne Fredric Brown als meisterhaften Autor von Kurzgeschichten, der selbst noch in zwei kurzen Sätzen Witz, Horror und Staunen hervorzurufen wusste: „Nach dem letzten atomaren Krieg war die Erde ein toter Stern; nichts wuchs mehr, kein Tier hatte überlebt. Der letzte Mensch auf der Erde saß allein in einem Zimmer. Da klopfte es an der Tür …“

In Sammlungen wie „Angels and Spaceships“ (1954), „Honeymoon in Hell“ (1958) sowie „Nightmares and Geezenstacks“ (1961) sind kurze und längere Skizzen zu finden, wobei die dritte auch phantastische und Krimi-Stories enthält. Denn Brown schrieb auch ein gutes Dutzend vorzügliche Kriminalromane sowie mit „The Office“ einen Mainstream-Roman. Seine bekannteste Kurzgeschichte dürfte „Arena“ aus dem Jahr 1944 sein, die mehrfach verfilmt wurde. (Siehe meinen Bericht zu Isaac Asimovs Auswahlband „Science Fiction aus den goldenen Jahren“.)

Handlung

Keith Winton ist der erfolgreiche Chefredakteur des Science-Fiction-Magazins „Erstaunliche Geschichten“. Auf dem feudalen Landsitz seines Verlergers L.A. Borden erholt er sich von den Strapazen des Verlagsgeschäfts, dem er sonst in New York City nachgeht. Hier verbringt auch seine Kollegin, die attraktive Betty Hadley, das Wochenende und spielt eine Partie Tennis mit ihm. Sie gibt das Magazin für romantische Liebesgeschichten heraus. Keith hofft, sie bald wiederzusehen, als sie abreist. Während er sich auf der Terrasse den Leserzuschriften widmet, wartet er auf die für den Nachmittag angekündigte Explosion auf dem Mond. Eine neuartige Rakete soll dort eine gewaltige elektrische Ladung zu Entladung bringen und zur Erde zurückkehren.

Das wissenschaftliche Experiment hat ungeahnte Folgen. Die lunare Entladung verändert Keiths Universum ebenso wie die nachfolgende Explosion der Rakete über L.A. Bordens Lansitz – mit Keith mittendrin. Als er aus seiner Bewusstlosigkeit wieder erwacht, findet er keine Menschenseele um sich herum. Er geht zur Straße und stoppt den erstbesten Wagen: Es ist ein altes klappriges Modell T von Ford, eine „Tin Lizzy“. Der Farmer bringt ihn nach Greenefield, die nächste Kleinstadt.

Die Stadt sieht aus wie sonst auch, bis auf die altmodischen Autos auf den Straßen und die Kleider der Passanten. Der Münzautomat nimmt keine Cents und Dollars an, aber als Keith im Drugstore Wechselgeld haben will, schaut ihn der Verkäufer verschwörerisch an und schaut sich vorsichtig um: Er würde den Vierteldollar von 1935 ja gerne unter der Hand erwerben – wären 1000 Credits in Ordnung? Sammlerpreis, versteht sich. Keith schaut nur erstaunt, so lange, bis er den Verkäufer auf 2000 Credits hochgetrieben hat. Man hat hier keine Dollars mehr, soso. Aber wenigstens kann er jetzt telefonieren. Betty Hadley ist leider nicht im Verlag zu erreichen. Wenigstens gibt es sie noch.

Es erweist sich als Fehler, auch noch einen Halbdollar wechseln zu wollen. Diesmal schreit der Verkäufer Zeter und Mordio, er werde von einem arkturischen Spion angegriffen. Ein purpurfarbenes Monster stürzt sich auf Keith, der reaktionsschnell die Kurve kratzt. Ein Schuss verletzt ihn am Oberarm, bevor er untertauchen kann. Wenigstens kommt er am nächsten Tag unbehelligt nach New York City, allerdings an strengen Personenkontrollen vorbei. Erschüttert stellt Keith fest, dass alle Bürger – und Cops sowieso – ungestraft sofort auf einen arkturischen Spion feuern dürfen.

Wenigstens kommt er abends lebendig in New York an, doch der Bahnhof ist voller Liegen, auf denen Bürger schlafen. Warum schlafen sie nicht zu Hause? Als er sagt, er wolle weiter, erklärt man ihn für lebensmüde, hindert ihn aber nicht daran, das Gebäude zu verlassen. Dumm nur, dass es draußen stockdunkel ist und er nicht mal die Hand vor Augen sehen kann. Von den einst so strahlend hell erleuchteten Straßen am Broadway keine Spur. Nicht einmal Mond und Sterne sind zu sehen.

Mit einem entzündeten Streichholz macht er sich auf den Weg, um seine eigene Wohnung im Greenwich Village zu erreichen. Doch er kommt keine fünf Schritte weit, als er bereits von einem Kerl mit einer Keule überfallen wird. Er kann sich des Angriffs erwehren, doch wenig später hört er in der Finsternis, wie ihm jemand nachschleicht …

Mein Eindruck

Wen dieses Szenario, das der Autor anno 1949 (Magazinfassung) entwarf, an den Zweiten Weltkrieg erinnert, liegt völlig richtig. Im Gewand eines SF-Romans, der sich in einem SF-Roman mit doppeltem Boden versteckt, treten dem Leser die Schreckgespenster des Krieges entgegen, den die Amerikaner seinerzeit überwunden zu haben glaubten – nur um dann in den Koreakrieg und anschließend in den Vietnamkrieg einzutreten.

Natürlich erlebten die Amerikaner selbst keinerlei Verdunkelung, wie sie während der Krieges in Europa obligatorisch war. Deshalb kann der Autor diese bizarren Szenen auch als Zukunftsmusik verkaufen. In Wahrheit sind sie jedoch ernste Warnungen vor einer Wiederholung des soeben Überlebten.

Nicht umsonst beginnt die Geschichte mit zwei gigantischen Explosionen. Selbst wenn die Erste nur auf dem fernen Mond stattfindet, so ereignet sich doch die Zweite unweit von New York City – ein Menetekel, das dem Leser den Horror einer Atombombenexplosion nahebringen soll. Der Autor stand offensichtlich – wie sicher nicht wenige seiner Leser – unter dem Eindruck der Atombomben von Hiroshima und Nagasaki. Das Atomzeitalter, das er so für unsere Zeit ankündigt, verheißt nichts Gutes. Noch immer spielt der Mensch mit Kräften herum, die er nicht kontrollieren kann.

Wie in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, spielt sich in der Geschichte ein intergalaktischer Krieg ab. Die Arcturier greifen an! E.E. ‚Doc‘ Smith würde jetzt die Lensmen von der Galaktischen Patrouille aussenden, um die schröcklichen Aliens mit den Glubschaugen – die Bug-eyed monsters (BEMs) – in die Schranken zu weisen und die Hegemonie der Erde wiederherzustellen.

Jetzt trifft es sich gut, dass „unser Mann vor Ort“ sich bestens mit Sciencefiction auskennt. Dass allerdings die besagten Monstren friedlich durch New Yorker Straßen laufen, jagt auch ihm erst mal einen Schrecken ein. Das ganze Szenario des Krieges mit Aliens kommt ihm aus den wilden Geschichten seiner Autoren dennoch vertraut vor. Selbst die Jagd nach Spionen ist in Zeiten des Krieges nicht unbekannt. Mit dem Unterschied, dass Keith Winton jetzt der Gejagte ist. Das macht seinen Aufenthalt in der Stadt etwas pikanter.

Die Tatsache, dass er sich nun in einer Parallelwelt befindet, geht ihm erst allmählich auf. Womöglich gibt es ihn auch hier bereits? Und vielleicht sogar die süße Betty Hadley? Beides trifft zu, wie er halb besorgt, halb entzückt herausfindet. Doch wie an die Angebetete herankommen? Am besten als Autor von SF-Geschichten, denkt er sich und liefert seinem Gegenstück ein paar hingeklopfte Storys ab. Ganz schlechte Idee! Sein Gegenstück erkennt nämlich eigene Machwerke darin und verdächtigt nun Keith ebenfalls arkturischer Spion zu sein …

Metafiction

Der Roman über ein angeblich bizarres und verrücktes Universum, ist in Wahrheit auch ein Kommentar über Sciencefiction selbst, also Metafiction. Keith findet heraus, dass seine Parallelwelt von den Gedanken, Wünschen und Vorstellungen eines seiner eigenen Leser geprägt ist, also von einem SF-Fan. Kein Wunder also, dass es hier von Versatzstücken nur so wimmelt: intergalaktischer Krieg, Superwaffen, Psi-Roboter, BEMs – und natürlich Weltraummädchen (spacegirls).

Dem Comic-Leser von damals waren Weltraummädchen durchaus vertraut. Sie hießen seinerzeit „Wonderwoman“ und „Supergirl“, ja, sie wurden sogar verfilmt. Allerdings durften die Ärmsten keine Bikinis tragen wie Betty Hadley, sondern mussten eine Art Ganzkörperkondom drüberziehen, um ihre weiblichen Rundungen zu verbergen. Nach dem Motto: Bitte nur retten, nicht schmusen! Betty hingegen hats gut: Neben dem trägerlosen Bikini braucht sie nur ein heißes Höschen sowie hohe Schaftstiefel zu tragen, fertig ist die Weltraum-Montur.

Der Autor macht sich hier natürlich über die Klischees lustig, die der SF-Leser, der Keiths Parallelwelt entwarf, am liebsten sind. Hier richtet sich sein Roman auf versteckte Weise gegen seinen eigenen Leser. Für den intelligenten Leser – solls ja auch geben – war das natürlich ein ironisch vergnüglicher Leckerbissen.

Wie die Geschichte ausgeht? Gut natürlich! Schließlich hat Keith ja hilfreiches Wissen in seinem Hinterkopf, mit dessen Hilfe sich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen lassen: Er vernichtet damit das arkturische Supermegagigaraumschiff – und lässt sich von der Explosion zurück in seine eigene Welt versetzen. Und dort erwartet ihn bereits sehnsüchtig – na, wer wohl?

Unterm Strich

Der temporeiche und spannende, kurze Roman präsentiert zwei Universen, die in sich geschlossen sind. Zunächst ist da die erste Geschichte um Keith Winton, den Chefredakteur eines SF-Magazins. Ihn verschlägt es in ein Paralleluniversum, das sich als Fiktion eines seiner SF-Leser entpuppt. Als er zurückkehrt, wird auch sein eigenes Universum als Fiktion erkennbar. Beide Universen sind Wunscherfüllungsmaschinen.

Was sagt dies über unsere eigene Welt aus? Sie ist nichts anderes. Nur mit dem Unterschied, dass das individuelle Universum des Einzelnen (idios kosmos) sich ständig mit dem Universum der Gemeinschaft (koinos moskos) auseinandersetzen muss und somit reguliert wird. Aber welche Wünsche und Träume und Ziele setzt sich diese Gemeinschaft?

Dies hinterfragen Geschichten wie diese, indem sie Metafiction erzählen und sichtbar machen: Alle unsere Universen sind nicht das, was sie an sich sind, sondern, was wir in ihnen sind. Und somit werden sie sowohl hinterfragbar als auch relativiert. Es ist nicht die SF allein, die Träume spinnt, die „ver-rückt“ wirken.

Als eifriger Leser von SF bin ich mit den Versatzstücken vertraut, die der Autor in dem integrierten Paralleluniversum seinem Helden präsentiert. Doch statt blasiert zu sein, ist Keith erstens verwundert und zweitens amüsiert. Er fühlt sich nicht wie ein Dick’scher Held völlig entfremdet, sondern wie zu Hause. Daher kann er auch im Bezugsrahmen der anderen Welt aktiv werden. Er darf sich seine Ahnungslosigkeit nur nicht anmerken lassen. Das macht die Story doch recht vergnüglich und spannend. Bis zum Schluss bleibt offen, ob er die Erde 2.0 retten kann und ob er zu seiner eigenen Erde 1.0 zurückgelangt.

Daher bleibt das Buch bis zum Schluss spannend. Allerdings sind die Ideen uns heute allzu vertraut und könnten banal wirken. Deshalb fällt die Bewertung nur durchschnittlich aus.

Taschenbuch: 141 Seiten
Originaltitel: What mad universe (1949)
Aus dem US-Englischen von Werner Gronwald
ASIN: B0000BQ97B

www.heyne.de

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