Marc Olden – Dai-Sho (Fernost-Thriller)

Furios: Auftritt der Ninjas

In Hongkong wird eine junge Chinesin ermordet. Überall in der Welt kommen Menschen auf geheimnisvolle Weise ums Leben. Und immer führen die Spuren nach Japan. Als Frank Di Palma den Tod seiner einstigen Geliebten aufklären will, deckt er eine weltweite Verschwörung von organisierten Verbrechen und internationaler Hochfinanz auf. Drahtzieher ist ein bekannter japanischer Filmregisseur, der mit grausamer Konsequenz seine wahnsinnsträume von der alten Samurai – Herrlichkeit blutige Wirklichkeit werden lässt. (Verlagsinfo)

Zum Titel:

Ein Daishō (dt. „groß-klein“) ist das Schwertpaar eines Samurai: die lange katana und das kurze wakizashi. Das wakizashi-Kurzschwert wurde oftmals durch einen kürzeren tanto oder Dolch ersetzt. In der Edo-Zeit (1603 bis 1867) wurde das Daisho zum Symbol der Samurai und nie aus den Augen gelassen.

Diese Besprechung beruht auf der US-Taschenbuchausgabe von 1985.

Der Autor

Der amerikanische Autor Marc Olden schreibt packende Fernost-Thriller in der Manier von Eric Van Lustbaders Nicholas-Linnear-Serie, die 1980 mit dem Bestseller „Der Ninja“ begann.

Sachbücher

Angela Davis. An Objective Assessment, 1973.
Cocaine, 1973.

Fernost-Thriller (alle im Heyne Verlag erschienen)

Giri, 1997, ISBN 978-3453024137, GIRI, 1982.
Dai-Sho, 1997, ISBN 978-3453002647, DAI-SHO, 1983.
Gaijin, 1997, ISBN 978-3453007109, GAIJIN, 1986.
Oni, 1997, ISBN 978-3453029378, ONI, 1987.
TE, 1998, ISBN 978-3453036994, SWORD Of VENGEANCE, 1990.
Do-Jo, 1997, ISBN 978-3453042193, KISAENE, 1991.
Dan-Tranh, 1998, ISBN 978-3453056763, KRAIT, 1992.

Sonstige Thriller

Der Austausch, 2004, ISBN 978-3453874701,THE EXCHANGE STUDENTS bzw. FEAR’S JUSTICE, 1996.
Der unsichtbare Wächter, 2001, ISBN 978-3453176683, THE GHOST, 1999.

Handlung

Prolog

August 1585: Auf Burg Ikuba, die Fluss Sumida unweit von Edo liegt, herrscht angespannte Stimmung: Fürst Saburo hat dem neuen Shogun nicht die Lehenstreue geschworen, sondern eine oppositionelle Allianz geschmiedet. Ihm ist ein baldiger Tod geweissagt worden. Gongoro Benkai, der fünfzigjährige Hauptmann der Burgwache, patrouilliert auf den Burgmauern, als urplötzlich die Grillen schweigen, ebenso die Gänse und Enten, die eigentlich Laut geben sollen, wenn sich Fremde nähern. Er sieht im strömenden Regen nicht, wie schwarzgekleidete, bewaffnete Ninja die steilen Burgmauern erklimmen. Als nächstes bekommt er einen Pfeil ins Auge geschossen. Rückzug ist angesagt.

Die Anzahl und Geschwindigkeit, mit der die Ninja in die innere Burg eindringen, lässt ihn darauf schließen, dass die Angreifer nicht nur sämtliche Räumlichkeiten kennen, sondern auch den geheimen Fluchttunnel. So können sie sämtliche Wachen überwältigen und selbst den singenden Nachtigallenboden rings um das innerste Gemach des Fürsten, rücksichtslos überwinden. Dahinter kann nur eine ganz bestimmte Verräterin stecken: Lady Saga, die kürzlich abgelegte 17-jährige Konkubine des Fürsten. Er hat inzwischen einen Knaben als Gespielen.

Lady Sagas Versuch, ihn mit Tee zu vergiften, erkennt Benkai rechtzeitig. Selbst mit einem Pfeil im Auge gelingt es ihm, zahlreiche Angreifer sowie das Mädchen niederzustrecken. Den Schmerz zu unterdrücken, ist für ihn eine Frage der Selbstkontrolle. Er gibt dem Fürsten Zeit, Seppuku zu begehen und so seine Ehre zu bewahren. Dann ist er selbst an der Reihe. Mit einer letzten Tat geht er ins Reich der Legenden ein – und ebenso sein Dai-sho, das der Meisterschmied Muramasa hergestellt hat. Man sagt, der Schmied sei verrückt gewesen und auf allen seinen Waffen liege ein Fluch…

Tokyo, Juni 1982

Vierhundert Jahre später besitzt ein einziger, 82 Jahre alter Mann dieses Dai-Sho: Zenzo Nosaka, ein weltweit agierender Unternehmer, der in den 1930er Jahre der gefürchteten Geheimpolizei angehörte und zahlreiche Regimegegner auf dem Gewissen hatte. Dies ist seinem Schüler Kon Kenpachi durchaus bekannt, denn ohne Nosaka und ein tiefes Vertrauen zum Sensei wäre er nichts: ein international führender Filmregisseur, ein halbwegs kompetenter Schwertkämpfer, aber leider auch ein Mann, der vor nichts mehr Angst hat als vor dem Tod. Daher seine Abhängigkeit von Lust und Genuss, v.a. von Drogen. Und dann diese Alpträume von Benkai. Er hat sogar Burg Ikuba mitsamt Anwesen gekauft und originalgetreu restaurieren lassen.

Er sagt Nosaka, dass er nach Abschluss der Dreharbeiten an seinem jüngsten Film „Ukiyo“ Seppuku begehen wolle, um mit einer letzten Tat Japan, sein geliebtes Mutterland, aufzurütteln und auf den Weg der Tradition zurückzuführen. Was er noch benötige, sei ein Sekundant. Nosaka ist einverstanden, doch er gibt seinem Schüler zwei Aufgaben auf: Zehn Männer müssen sterben, um Japan, das heilige Vaterland, zu reinigen. Um Nosakas Seele zu entlasten, sollen drei davon jene Amerikaner sein, die ihn, Nosaka, nach 1945 gefoltert und ihm das Todesurteil überbracht haben.

Einer davon, Jude Golden, liege im Sterben, teilt ihm Kenpachi mit, doch Goldens Tochter sei seine Filmproduzentin. Der nächste im Trio sei Sal Verna, ein korrupter Gewerkschaftsführer an der amerikanischen Ostküste. Die zweite Aufgabe: Kenpachi soll einen Jungen in Hong Kong besuchen, den er, Nosaka, selbst gesehen habe. Es könnte sein, dass Todd Hansard von Benkais Geist besessen ist und sich als Sekundant beim Seppuku eigne.

Frank DiPalma

Sal Verna hat einen Leibwächter engagiert, von dem er nicht ahnt, dass er tiefer in die Vorgänge verstrickt ist als er ahnt: Frank DiPalma war in New York City Drogenermittler, jetzt berichtet er im TV über den Kampf gegen Drogenhändler. International hat er den Ruf eines Experten für Samurai-Schwerter und ist auch selbst ein passabler Kämpfer. Sein Bekannter Sal Verna hat angeblich nichts mit Drogen zu tun, aber dafür sehr viel mit der Mafia. Das erklärt die vielen Statussymbole, die Frank auf seinem Anwesen auf Long Island besichtigen darf.

Frank hat tags zuvor einen verzweifelten Anruf von seiner ehemaligen Geliebten Katharine Hansard erhalten. Ihr Sohn Todd, den sie von Frank hat, sei offenbar in großer Gefahr. Wie viele Chinesinnen glaubt auch Katharine an Weissagungen, Omen und prophetische Träume. Und Todd träume die ganze Zeit, er spreche darin sogar Japanisch, das er nie lernte. Offenbar ist er besessen. Worauf weisen die Alpträume, will Frank wissen, doch Katharine weiß es nicht: nur von einer großen Gefahr, die sich nähere. Frank will sich nach Hong Kong begeben, in dem Wissen, dass Katherines Vater, der Anführer einer Triade, ihm verboten hat, die Kronkolonie jemals wieder zu betreten.

Ein letztes Gespräch mit Verna, der Frank vor seinem Abflug führt, öffnet ihm die Augen darüber, was wirklich los ist. Eine Serie von Auftragsmorden läuft gerade, und er, Sal Verna, stehe auf der Todesliste. Als Lebensversicherung soll Frank für ihn eine Akte aus einer Hong-Konger Bank besorgen, die brisante Details über Nosakas Geschäfte enthält. Natürlich müsste Frank entsprechend schnell sein. Frank behält sich die Entscheidung vor, und Sal hat kein Druckmittel, um ihn dazu zu zwingen.

Hong Kong

Kenpachis Dreharbeiten in Hong Kong sind abgeschlossen, und die High Society der Kronkolonie gibt sich die Ehre, um dies zu feiern. Auch Ian Hansard, der Bankier und Gatte von Katharine Hansard, ist unter den Gästen. Doch Kenpachis Aufmerksamkeit gilt einzig und allein der Suche nach seinem künftigen Sekundanten. Als er heimlich das Anwesen der Hansards durchsucht, stößt er schließlich auf den elfjährigen Todd, der ein Holzschwert trägt, mit dem er geübt hat. Sobald Todd den Japaner sieht, wird ihm ganz heiß. Und auch Kenpachi erkennt den besonderen Moment: Endlich hat er denjenigen gefunden, der die Prüfung bestehen könnte.

Tatsächlich „sieht“ Todd in dem Kästchen, das Nosaka Kenpachi mitgegeben hat, den Knochen, der vor 400 Jahren als einziges von Benkais verbrannter Leiche übrigblieb. Todd gibt die richtigen Auskünfte, auf Japanisch. Kenpachi macht ihn zu seinem psychischen Sklaven. Als Todds Mutter Katharine eintritt, bricht Kenpachi den geistigen Kontakt ab und Todd fällt in Schlaf. Mit einer Finte gelingt es Kenpachi, sich und seinen Leibwächter Wakaba vom Schauplatz zu entfernen.

Eine erste Konfrontation

Als Frank DiPalma in Hong Kong landet, übertrifft die Realität seine schlimmsten Befürchtungen. Die Polizei hat die Leiche von Ian Hansard, dem Bankier, im Hafenbecken treibend gefunden, und zwar in einer verrufenen Gegend. Sein Gesicht war aufgedunsen von dem Gift, das ihm eine Kobra injiziert hatte. Katharine Hansard, seine Frau, ist ebenfalls ums Leben gekommen. Am Tatort deutet alles auf einen Brandunfall in ihrem Atelier hinter dem Haus hin. Aber Todd, der aus dem Kendo-Unterricht herbeigeeilt ist, berichtet Frank, den er als seinen leiblichen Vater anerkennt, dass seine Mutter schon tot war, als sie verbrannte. „Ein weiblicher Ninja hat ihr zuvor das Genick gebrochen“, und das habe er in einer seiner Visionen gesehen. Frank findet, dass Katharine recht hatte, als sie ihm in ihrem letzten Brief schrieb, Todd sei ungewöhnlich.

Doch Ninjas gibt es nur in Japan, weiß Frank, und dort lebt Zenzo Nosaka, der Industrielle, der mit Ian Hansard viele und enge Geschäfte abgewickelt hat: Hansards Bank diente vor allem der Geldwäsche und der Industriespionage, vor allem für Nosaka. Der wiederum erpresste, schmierte und nötigte wichtige Leute, um seine Projekte durchzubringen, nicht nur in Japan und China, sondern auch in den USA. Sal Verna war sein Handlanger. Über die Hansards erfuhr Verna von Franks persönlicher Verwicklung – und schickte ihn als Botenjungen nach Hong Kong.

Verhaftet

Als Kenpachi, sein Leibwächter, der Journalist Laycock und die Produzentin Jan Golden vor dem Hansard-Haus eintreffen, stellt sich Frank schützend vor Todd. Als auch noch zwei lokale Cops eintreffen, die Todd ebenfalls mitnehmen wollen, stellt sich erst Frank, dann auch Jan Golden vor den Jungen. Doch es ist zwecklos: Sgt. Jenkins behält die Oberhand, oder er lässt beide einlochen, Amerikaner hin oder her. Insgeheim will er die Demütigung ausgleichen, die Katharine Hansard ihm zugefügt hatte. Auf dem Polizeirevier meldet sich ein Ehepaar namens Soon, das vorgibt, Onkel und Tante des Jungen zu sein. Frank braucht nicht viel Phantasie, um sich auszurechnen, dass Nosaka sie geschickt hat.

Der Kriegsfächer

Frank gibt nicht klein bei, sondern begibt sich auf die internationale Ebene, um größere Hebel zu bewegen. Ein Senator, dem er einst das Leben gerettet hatte, ist die erste Anlaufstation, dann folgen Washington, D.C., London und Peking, schließlich der Gouverneur von Hong Kong. Todd wird freigelassen, die Soons werden verhaftet, Kenpachi zur Befragung aufs Polizeirevier gebracht. Jan Golden ist zu Recht alarmiert und sieht ihre Felle davonschwimmen: pro Tag 50.000 Dollar.

Doch Frank will den Killer der Hansards. Es handelt sich offenbar um eine Frau namens Yoshiko Mara. Als er mit drei Polizisten deren Hotelzimmer betritt, bewegt sich die Frau wie eine Ninja. Offenbar hat sie Angst. Sie zückt einen antiken Kriegsfächer, wie ihn Samurai im 16. Jahrhunderts benutzten, um sich vor Attentätern zu schützen. Die Streben des Fächers sind mit kleinen Stahlschneiden versehen. Da Frank ein Experte für Schwerter und alle Samurai-Waffen ist, ist er auf der Hut und hebt seinen schweren Gehstock mit dem silbernen Knauf zur Abwehr.

In schnellen Bewegungen hat die Frau drei der Polizisten zu Fall gebracht, bevor sie Frank angreift. Ein Stockhieb schickt sie zu Boden, und Jenkins, der Narr, leert seinen Dienstrevolver, in den Leib der Frau. Eine wichtige Zeugin weniger, seufzt Frank. Doch die größte Überraschung wartet noch auf ihn: Yoshiko ist gar keine Frau…

Der Sturm

Ein Hurrikan tobt die Küste von New Jersey hinauf und lädt Tonnen von Regen über Sal Vernas Villa auf Long Island ab. Die Lichter gehen aus, der Notgenerator springt im Haus an. Sechs schwarz vermummte Gestalten überklettern die Mauer, die das Grundstück begrenzt. Die Hunde schlagen an, Wachen eilen herbei. Sie alle bleiben auf der Strecke, und die Ninja rücken weitervor. Sal Vernas Leibwächter, ein Ex-Boxer, beruhigt Sal, schickt ihn aber vorsichtshalber nach oben, wo Frau und Enkelkinder untergebracht sind, ebenso wie die wertvollen italienischen Gemälde.

Ein Wächter nach dem anderen geht zu Boden, Schwerter blitzen, Kinderschreie verstummen. Ein Name weniger auf Zenzo Nosakas Todesliste…

Mein Eindruck

Der Fernost-Thriller befasst sich mit der – damals aktuellen – Frage, ob es ein guter, vorteilhafter Einfluss ist, den Japans Wirtschaft anno 1985 auf die westlich orientierten Gesellschaften und ihre Wirtschaft ausübt. Die gleiche Frage wird in Michael Crichtons Thriller „Nippon Connection“ behandelt. Dieser wurde mit Sean Connery und Wesley Snipes verfilmt. Marc Oldens Roman widerfuhr diese Ehre nicht, denn er ist weitaus komplexer als der Crichton-Roman.

Bei Olden reicht die Geschichte der japanischen Gesellschaft mindestens 400 Jahre in die Vergangenheit – und sie ist immer noch wirksam. Benkais Geist hat von einem jungen Amerikaner Besitz ergriffen und soll dessen Schicksal auf fatale Weise bestimmen. Eine weitere Zeitebene, die indirekt präsentiert wird, ist das Jahr 1945: Hier treffen drei US-Amerikaner von der Behörde für die Verfolgung von Kriegsverbrechen auf den Gestapo-Mann Zenzo Nosaka, der zum Tode verurteilt wird.

Doch als sich der politische Wind zum Anti-Kommunismus dreht, brauchen die Amerikaner Nosakas Kenntnisse. Und auch die neue japanische Regierung braucht ihn, um russische und chinesische Spione aufzuspüren. Im Lauf der Handlung macht der Erzähler klar, dass die Gefahr einer russischen Invasion 1945 ebenso real war wie die einer chinesischen. Die Amis waren in China mit ihrem Bemühen gescheitert, den Nationalisten um Tschiang Kai-Schek zum Sieg im Bürgerkrieg zu verhelfen.

Stattdessen siegten die Kommunisten unter Mao – die Folgen sind bis heute spürbar, denn die Kommunisten betrachten Taiwan, die Heimat der Nationalisten, als abtrünnige Provinz und wollen es „zurückhaben“. Aus japanischer Sicht haben die Kommunisten kein Recht dazu. Ihre Kultur beruht auf der Übernahme und Neuinterpretation der chinesischen Vorbilder, was schließlich auf radikalste Weise zur Invasion Chinas im Jahr 1937 führte, die Millionen Opfer forderte und in der Eroberung der britischen Festung Singapur gipfelte – welche erneut mindestens eine Million Opfer zeitigte.

Nach Hong Kong

Von New York City und Long Island führt Frank DiPalmas Weg nach Hong Kong, also an die Nahtstelle zwischen China, Großbritannien und Japan. Der Autor legt eingehende Kenntnisse über die damalige Kronkolonie an den Tag. Das Aufeinandertreffen von britischer Tradition und Redeweise mit chinesischem Aberglauben und buddhistischer Tradition könnte nicht heftiger sein. Hier haben aber die Banken und die Triaden das Sagen. Ian Hansard ist ein Bankier, der vom Orient fasziniert ist, doch diesmal bekommt er es mit einem weiblichen (?) Ninja namens Yoshiko Mara zu tun, der ihn auf eine denkbar bizarre Weise tötet: mit dem Biss einer Königskobra.

Dai-sho

Todd Hansard, DiPalmas leiblicher Sohn, gerät zwischen die Fronten. Er ist als japanischer Schwertkämpfer ausgebildet, doch sein Geist ist eine ganz andere Sache: Er empfängt Geistbotschaften, wie sie etwa ein Fing-Shui-Gelehrter oder ein Schamane empfangen würde. Solche Leute wurden von Katharine Hansard durchaus ernsthaft konsultiert, so etwa dann, als Todd in Todesangst einen Anfall hat. Er spricht auch „in Zungen“, nämlich Japanisch, das er nie gelernt hat.

Die Japaner, die dabei Zeuge sind, haben eine simple, aber aufregende Erklärung für Todds Verhalten: Er ist von einem bösen Iki-ryo besessen , nämlich dem rachsüchtigen Geist des Schwertmeisters Benkai. Dieser Iki-ryo wird besonders im Finale eine unheilvolle und fatale Rolle spielen. Denn Kon Kenpachi ist überzeugt, die Geschichte wiederholen zu müssen: Als Traditionalist dient ihm Benkais letzte Handlung als Vorbild: Seppuku., also Selbstmord (Harakiri). Allerdings müssen dafür eine Reihe von Bedingungen erfüllt sein, damit die Botschaft, die Kenpachi an das Volk und den Kaiser senden will, auch legitim erscheint. Ohne zuviel verraten zu wollen, gelingt ihm dies nicht, denn zwei oder drei entscheidende Elemente seines Plans erfüllen ihren Zweck nicht.

Todd ist die eine Hälfte des titelgebenden Duos aus kurzem Schwert“ – das ist er selbst – und „langem Schwert“, dargestellt von seinem Vater. Die beiden gehören zusammen. In einer Szene rettet Todd seinem Vater, der nach einem Giftanschlag durch die Triaden bewusstlos im Hospital liegt, erneut das Leben, indem er einen Attentäter tötet. Doch wenn Todd vom Iki-ryo Benkais besessen ist, wird er für seinen Vater zur Gefahr. Das zeigt sich nie so sehr im actionreichen, packenden Finale, das auf Burg Ikuba stattfindet. So schließt sich der Kreis des Schicksals. Ringe spielen als Zyklen in der japanischen Mystik eine fundamentale und einflussreiche, leider auch unheilvolle Rolle. An dieser Schnittstelle wird Wirklichkeit entweder zum Horror oder zu etwas Unerklärlichen.

Die Schmiede des Geistes

Mystik kann man nicht erklären oder erzählen, man muss sie selbst erleben und am eigenen Leib erfahren. Das erlebt DiPalma, als er in der Schmiede des Schwertmeisters Tendrai selbst beim Hämmern und Härten einer neuen Klinge mit anpackt. Es ist ein reinigendes, spirituell untermauertes Verfahren. Am Schluss hat er erschöpft das Gefühl, einen bösen Geist (Iki-ryo) losgeworden zu sein. Der nächste Kampf wartet schon auf ihn, doch nun ist er bereit dafür. Dies ist für mich die gelungenste Szene des ganzen Romans.

Ninjas

Nachdem Eric Van Lustbader 1980 mit seinem Thriller „The Ninja“ einen Mega-Bestseller veröffentlicht hatte, versuchten mehrere Autoren, diese Goldader auszubeuten. Michael Crichton schrieb „Nippon Connection“ und Marc Olden ab 1982 eine ganze Reihe von Thrillern, darunter „Dai-sho“ (1983). Ninjas erscheinen in allen Romanen als verschworene Gemeinschaft von Superkriegern, denen mit üblichen militärischen Mitteln nicht beizukommen ist. Man muss schon ein genialer Schwertkämpfer wie der legendäre Benkai sein, um sie auszutricksen – wenn auch mit einem Pfeil im Auge. Deshalb nehmen Schwerter eine gerade mythische Aura der individuellen Macht an, die in „Dai-sho“ obendrein mit spiritueller Kraft verknüpft wird.

Heute sind Ninjas Teil der Populärkultur und aus keinem japanischen Spiel mehr wegzudenken. 1980-1985 waren sie neu und eine unheimliche Bedrohung – eine Gemeinschaft, die nicht von oben kam, sondern der sich jeder Bauernlümmel anschließen konnte, um zum Superkrieger zu werden. Mit der Figur der Meuchelmörderin Yoshiko Mara hat der Autor auch Frauen den Weg zum Ninja-Ruhm geebnet, zumindest dem Anschein nach.

Die Ninjas stellen die dunkle Seite des Samurai-Bildes dar. Doch diesem adligen Vorbild folgt bei Olden die japanische Gesellschaft bis in die kleinsten Einheiten der Wirtschaft. Durch den Auftritt der Ninjas geraten die alten wie auch die modernen Samurai ins Zwielicht des Zweifels. Ist es eine wirklich so gute Idee, den Samurai nachzufolgen? Kenpachis Schicksal demonstriert, wie der Autor seine Antwort verstanden wissen möchte. Ironischerweise spielen Frank DiPalma und seine japanische Verbündeten von der Tokioter Polizei die Rolle, die vor 400 Jahren die Ninja auf Burg Ikuba spielten…

Sex

Kon Kenpachi wird im Laufe der Dreharbeiten zu Jan Goldens dämonischem Liebhaber. Wie viele Frauen sucht sie eine starke, autoritäre Vaterfigur, um ihre eigene Weiblichkeit zu ergänzen und zu erfüllen. Doch Kenpachi missbraucht ihren natürlichen Wunsch, indem er sie abhängig macht und sie seinem Willen unterwirft. In einer besonders üblen Szene lässt er die unter Drogen stehende Amerikanerin sogar von anderen Japanern, Mann und Frau, benutzen. Als Folge verliert sie jegliches Ansehen und jede Autorität am Set. Erst Nosakas Eingreifen bringt Kenpachi dazu, den Film so rasch wie möglich zu vollenden. Dies ist die einzige Sexszene, was im Vergleich zu Lustbaders deftigen Thrillern gerade prüde wirkt.

Textfehler im Original

Der Verlag hat sich wenig bemüht, hundertprozentig korrekte Rechtschreibung zu praktizieren. Allenthalben fehlen Buchstaben.

S. 140: „who started our dirt poor…”: Statt “our” muss es “out” heißen.

S. 173: “we’ve having trouble”: Korrekt müsste es „we’re having trouble” heißen.

S. 180: “how he know about Jan’s father’s illness”: Da hier im Präteritum erzählt wird, muss aus „know“ folglich „knew“ werden.

S. 186: “Just let her [Jan Golden] be caught with her father when the Blood Oath League comes for him, and she’d [be] dead.” Das Wörtchen “be” fehlt.

S. 230: “but Fran[k] did tell me…”: Das K fehlt.

310: „almost lost the[i]r balance”: Das I fehlt.

S. 331: „fine wtih John’s father”: Buchstabendreher. “with” wäre korrekt.

S. 357: „An[d] there ar accidents.” Das D fehlt.

S. 384: „DiPalma was silent as S[h]uko drove fast…”: Das H in Shuko fehlt.

Aber auf Seite 388 fehlt sogar ein ganzes Wort, und dafür kann man keine Toleranz mehr aufbringen:

„Those who did [not] move fast enough were slapped, kicked…“. Das nicht ganz unwichtige Wörtchen „not“ fehlt. Der Leser sollte bei der Lektüre der Übersetzung darauf achten, ob diese Fehler auch ins Deutsche übernommen wurden.

Unterm Strich

Ich habe den Thriller in wenigen Tagen gelesen, denn die Handlung ist spannend, mystisch und zuweilen romantisch/erotisch. Von vornherein ist klar, was Kenpachi vorhat, nämlich rituellen Selbstmord, doch ein Rätsel bleibt, wer dafür alles ins Gras beißen muss. Die Drahtzieher der Handlung bleiben meist außen vor, doch dass Nosaka und seine drei amerikanischen Gegenspieler daran beteiligt ist, wird schnell recht deutlich. Die zehn Morde – wer steht auf Nosakas Todesliste?

Und dass DiPalma, der „gute“ Amerikaner, stets in Gefahr ist, wird durch seine Kämpfe und die Anschläge auf sein Leben, veranschaulicht. Dass zu seinen Gegnern auch der britische „Journalist“ Laycock zählt, dürfte die meisten Leser überraschen. Ob Todd zu einer Gefahr für seinen Vater werden könnte, wird sich erst im Finale zeigen. Vorerst rettet er ihm zweimal das Leben. Der Konflikt zwischen Ost und West, der den Hintergrund bildet, spiegelt sich direkt in Todds Seele. Folgt man diesem Prozess erkennt man die Aussage, die der Autor machen wollte.

Irgendwo in der Grauzone schwankt Jan Golden, die eine weitere Nebenrolle in Franks Leben spielt: Immerhin hat er sie einst in New York City geliebt – bevor sie ihn sitzen ließ. Sie leidet nicht unter Bindungsangst, sondern auch unter einer unkontrollierbaren Sinnlichkeit, die sie zum leichten Opfer Kenpachis werden lässt. Eigentlich sollte sie als Produzentin über den Regisseur bestimmen, doch diesmal ist es genau umgekehrt. Es gelingt ihm, sie zu seiner Sexsklavin zu machen. Viele weibliche Leser dürfte dieser Prozess ungefähr ebenso faszinieren wie ein Eisenbahnunglück in Zeitlupe.
Geo-Wissen

Heute wirkt dieser Thriller auf manchen Leser antiquiert, insbesondere hinsichtlich der Kommunikationsformen und -technologien. Doch die Konflikte in der Region sind durch Chinas wachsende Macht und Gebietsansprüche wieder hochgekocht. Viele Nationen wie Japan, Südkorea, Taiwan, die Philippinen und Vietnam sehen sich gezwungen, sich im Konflikt wie den USA und China für eine Seite entscheiden zu müssen. Dass Australien und Neuseeland auf Seiten der USA stehen, ist nicht selbstverständlich, sondern dem Einfluss der verstorbenen Queen zu verdanken. Denn beide Länder haben sich durch ihr ehemaliges Mutterland quasi der NATO verpflichtet und sind Teil des ECHELON-Abhördienstes.

In dieser Hinsicht kann der Thriller also dazu beitragen, die Völker dieser Weltgegend zu verstehen, u.a. die Sonderrolle Hong Kongs und Taiwans. Ansonsten bietet „Daisho“ eine packende und zuweilen anrührende Handlung zwischen, Erotik, Mystik und Action. Dass sich mit dem Finale der Kreis schließt, den der Prolog um Benkai eröffnet hat, finde ich sehr passend.

Fazit: 4 von 5 Sternen.

Taschenbuch: Dai-Sho, 1983,
Berkley Edition 1985; New York City,
407 Seiten;
ISBN 0-425-07657-1
ISBN-13: ‏ : 978-0425076576
Deutsch: 1987 bei Heyne, München
Taschenbuch: 381 Seiten
ISBN-13: 978-3453002647

Heyne

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