„Eine Welt jenseits der Welt: Der gutmütige Richard kommt einem Mädchen zu Hilfe und verliert dadurch seine Identität – niemand kennt ihn mehr. Als naiver Held wider Willen steigt er hinab nach Unter-London, eine Parallelwelt in U-Bahnhöfen und Kellern, und muss dort die haarsträubendsten Abenteuer bestehen.“ (Verlagsinfo)
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Neil Gaiman- Keine Panik! – Mit Douglas Adams per Anhalter durch die Galaxis (Biografie)
Alles über Arthur Dent, Trillian & Co.
Keine Panik! Habt ihr alle euer Handtuch dabei? Ja? Fein, dann kann euch ja nix mehr passieren, selbst wenn ihr diese Rezension lest – natürlich vollständig auf eigene Gefahr!
Der Autor
Neil Gaiman ist seinen Lesern vor allem als einfallsreicher Autor der Sandman-Comicbooks bekannt. Er hat mit „Die Messerkönigin“ ausgezeichnete Grusel-, Fantasy- und Märchenstorys vorgelegt, sowie mit „Niemalsland“, „Sternwanderer“ und „American Gods“ drei vielbeachtete Romane (alle bei Heyne verlegt).
Das Buch
Das vorliegende Buch hatte Gaiman schon 1988 veröffentlicht, aber laufend ergänzt. Aktualisiert und erweitert wurde es schließlich von David K. Dickson und MJ Simpson, so dass es mittlerweile auf dem letzten Stand ist. Sogar das Programm für den Ablauf der Gedenkfeier für Douglas Adams ist berücksichtigt (S. 276/77), das in „Lachs im Zweifel“ detailliert abgedruckt ist (David Gilmour sang Pink Floyds „Wish you were here“!).
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Neil Gaiman – Zerbrechliche Dinge: Geschichten & Wunder
Sammlerstück für Gaiman- und Shadow-Fans
Ein liegengebliebener Mietwagen auf einem einsamen Highway, ein düsteres Zirkuszelt voller versteckter Geheimnisse, die flirrende Hitze der ägyptischen Wüste in ihrer menschenfeindlichen Schönheit – ganz gleich, wohin SANDMAN-Schöpfer Neil Gaiman seine Figuren führt, sie werden stets mit Abgründen konfrontiert. Abgründen, in denen manch ein Unglücklicher verloren ging. (erweiterte Verlagsinfo)
Der Autor
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Neil Gaiman – Die Messerkönigin. Erzählungen
Dieser erste bei uns veröffentliche Storyband von Neil Gaiman ist eine Fundgrube von Ideen für Fantasy- und Krimileser. Die Geschichten sind vielgestaltig wie ihre Themen: Legenden, realistische Storys, Fabeln, Gleichnisse, Märchen, Balladen – die berühmten langzeiligen Erzählgedichten Gaimans ebenso wie kunstvoll gedrechselte Sestinen.
Zu jedem Beitrag der Sammlung hat Gaiman einen Begleittext zur Entstehung und dem Ort des ersten Erscheinens verfasst. Diese Texte hat er in einem langen Einleitungskapitel zusammengefasst. Wer also darauf keinen Wert legt, kann gleich mit dem zweiten Kapitel loslegen.
Der Autor
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Neil Gaiman – Coraline – Gefangen hinter dem Spiegel
Horror in feinster Märchenqualität
Hinter einer vermauerten Tür entdeckt Coraline einen verborgenen Weg in eine albtraumhafte Parallelwelt: Dort trifft sie ein Wesen mit glänzenden Knöpfen anstelle der Augen, das sie freundlich umgarnt und das hungrig auf Coralines Seele blickt. (Verlagsinfo)
Der Autor
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Gaiman, Neil – Graveyard-Buch, Das
_Abenteuer auf dem Friedhof: Oliver Twist und die Toten_
Nobody Owens ist noch ein Baby, als seine ganze Familie von einem brutalen Mörder getötet wird. Nur Nobody entkommt und findet ausgerechnet auf einem Friedhof Zuflucht. Die Geister und Untoten nehmen ihn bei sich auf, nennen ihn fortan nur kurz „Bod“ und lehren ihn alles, was ein Lebender von den Toten lernen kann.
Doch der Feind ruht nicht. Er wartet auf den Tag, an dem Bod zu den Lebenden zurückkehren wird. Wer wird ihn dann noch beschützen?
_Der Autor_
Der Engländer Neil Gaiman, geboren 1960, arbeitete zunächst als Journalist in London und wurde durch seine innovative Comicbook-Serie „Der Sandmann“ bekannt. Neben den Romanen „Niemalsland“ und „Der Sternwanderer“ schrieb er zusammen mit Terry Pratchett den phantastischen Roman „Ein gutes Omen“ (der womöglich verfilmt wird) und verfasste über seinen verstorbenen Freund und Kollegen Douglas Adams die wirklich empfehlenswerte Biografie „Keine Panik!“.
Seine Erzählungen und Gedichte sind in der Kollektion „Die Messerkönigin“ zusammengefasst. Was für Ansichten Gaiman zu Amerika hat, könnte sich möglicherweise in seinem dicken Schmöker „American Gods“ aufspüren lassen. Er lebt mit seiner Familie in Minneapolis, USA.
Neil Gaiman auf |Buchwurm.info|:
[„Mr. Punch“ 3976
[„Sandman: Ewige Nächte“ 3498
[„Sandman 1 – Präludien & Notturni“ 3852
[„Stardust – Der Sternwanderer“ 4336
[„Sternwanderer“ 3495
[„American Gods“ 1396
[„Anansi Boys“ 3754
[„Coraline – Gefangen hinter dem Spiegel“ 1581
[„Die Bücher der Magie 5 – Verlassene Stätten“ 2522
[„Die Bücher der Magie 6″ – Abrechnungen“ 2607
[„Die Messerkönigin“ 1146
[„Die Messerkönigin“ 5514 (Hörbuch)
[„Die Wölfe in den Wänden“ 1756
[„Keine Panik! – Mit Douglas Adams per Anhalter durch die Galaxis“ 1363
_Sprecher & Produktion_
Jens Wawrczeck wurde 1963 in Nyköbing, Dänemark, geboren. Er absolvierte eine Schauspielausbildung am Hamburger Schauspielstudio Hildburg Frese, am Max-Reinhardt-Seminar in Wien und am Lee Strasberg Theatre Institute in New York City. Seit er elf Jahre alt ist, steht er hinter dem Mikrofon oder auf der Theaterbühne. Neben seiner Dauerrolle in „Die drei ???“ ist er in zahlreichen Hörspielen zu hören, z. B. in Umberto Ecos „Baudolino“.
Regie führte Kai Lüftner, die Lesefassung erstellte Tanja Weimer. Die Technik steuerte Ahmed Chouraqui im |On Air Studio|, Berlin, die Soundeffekte trug Andreas Manhardt bei.
_Handlung_
Der Mörder hat ein scharfes Messer. Jack hat damit einen Mann, eine Frau und ein Kind getötet. Bleibt noch eines übrig. Wo ist es? Doch im Kinderzimmer findet er nur eine Windel und im Bettchen einen Plüschbär. Keine Spur von einem Kind. Jack verlässt das Haus und begibt sich auf den Weg zum Hügel, auf dem der Friedhof liegt.
|Die Totenstadt|
Am Tor des Friedhofs ruft unterdessen eine Frau aus Mondschein und Nebel mit einem Kind auf dem Arm: „Owens!“ Ein Mann aus Schatten erscheint. Mr Owens fragt: „Was machen wir mit ihm?“ Das Kind lebt, ist aber ganz anders Mr. und Mrs. Owens: Es lebt. Da erscheinen drei Gestalten von Toten am Rande des Friedhofs, von denen eine ruft: „Beschützt meinen Sohn! Er will meinem Sohn etwas tun!“ Mrs Owens bittet Mr Owens, das Kind zu adoptieren, und die Mutter des Kindes verschwindet.
Jack ist in den Friedhof eingedrungen, sieht das Kind in den Nebeln der Nacht und zückt sein Messer, um seine Arbeit zu Ende zu bringen. Da sagt eine Stimme: „Kann ich Ihnen helfen?“ Der Fremde ist wesentlich größer als er und scheint Schlüssel zu tragen, als gehöre er hierher. Jack wird unsicher. Ob er der Friedhofswärter sei, will er wissen. „Gewissermaßen“, antwortet der Fremde und lässt Jack wieder zum Tor hinaus. Jack vergisst die Sache mit dem Kind. Er erinnert sich nur an einen Fuchs und einen Wärter, als er zurück in die Stadt geht.
|Bleiberecht|
Der Gründer der Stadt und des Friedhofs stellt Mrs Owens zu Rede, was mit dem Kind werden soll, denn hier sei schließlich keine Kinderkrippe. Da bietet sich der Wärter Silas als Vormund für das Kind an, immerhin ist er der erste Ehrenbürger gewesen. Doch welchen Namen soll das Kind tragen? Es ist ein Niemand, ein Nobody – genau, Nobody Owens soll es heißen. Es schaut ernst auf Mrs Owens, die ihm ein Wiegenlied singt.
Da eine Abstimmung unter den 300 Bewohnern des Friedhofs keine Einigung über das Bleiberecht des Kleinen erbringt, wird die Entscheidung anderweitig herbeigeführt. Eine Frau auf einem weißen Pferd, die jedem wohlbekannt ist, ermahnt die Toten, Barmherzigkeit zu üben. Sie verschwindet, und Nobody Owens wird zum Ehrenbürger des Friedhofs ernannt. Silas, der um das Schicksal von Bods Eltern weiß, ermahnt ihn, die Totenstadt nie zu verlassen.
|Das Mädchen|
So wächst Bod als ernster und schweigsamer Junge heran, und das Lesen lernt er anhand der englischen und lateinischen Grabinschriften. Eines Tages lernt er ein Mädchen kennen. Sie nennt sich Sarah Amber Perkins und fragt ihn frech, wie alt er sei. Er weiß es nicht, aber sie nimmt ihn trotzdem zu ihrem Freund, und zusammen lernen sie, was Sarah in der Schule lernen sollte. Ihre Eltern halten Bod für eine Ausgeburt ihrer Phantasie. Als er ihr verweigert, in der ältesten der Grüfte zu spielen, geht sie beleidigt heim.
Bod fragt seinen Vormund Silas nach der alten Gruft der Frobisher und wer sich darin befinde. Silas sagt ihm, dass vor langer Zeit ein anderes Volk hier lebte, noch vor den Römern wie Caius Pompeius, der Älteste. Tief unten in der Gruft liege ein Toter mit einem schauerlichen Geheimnis. Er warte auf etwas. Aber worauf, das wisse keiner.
|Der Sleer|
Als Sarah zurückkehrt, nimmt Bod sie mit in die Frobisher-Gruft. Sie finden den Zugang zum Stollen dahinter, gehen die Stufen hinab, bis zu einer kalten Kammer gelangen, in der ein Toter in einem Mantel liegt. Ein Mann mit indigofarbenen Tattoos kommt aus dem Fels in die Kammer: „Ich bin der Herr über dieses Reich. Ich bewahre das Grab vor allen, die es schänden wollen. Verlasst diesen Ort!“ Sarah Amber Perkins bekommt Angst, denn sie kann ihn auch sehen. Bod protestiert: „Hör auf!“ Und der Mann geht, doch ein anderes Wesen zischt: „Wir sind der Sleer! Wir bewachen und beschützen … die Ruhestätte unseres Meisters … hier ist sein Allerheiligstes.“ Aber da sind keine Schätze, nur eine Brosche, ein Kelch und ein Messer. „Der Meister wird wiederkommen …“
Bod und Sarah gehen zurück ans Tageslicht, doch weil sie vermisst wird und eine Polizistin sie fragt, wo sie war, aber keiner Bod sehen kann, erscheint sie als Lügnerin. „Das gibt ein Donnerwetter, na warte!“ Drei Wochen später zieht Sarah mit ihren Eltern nach Schottland, doch Bod bleibt traurig zurück. Wenn er wüsste, auf wen der Sleer wartet, hätte er jedoch allen Grund zur Hoffnung …
_Mein Eindruck_
Das Leben ist eine gefährliche Sache. Das erfahren wir bereits in der ersten Szene, als Bod nur um Haaresbreite dem Messer des Mörders entgeht. Aber der Tod ist auch nicht viel besser, wie Bod beim Besuch der Gruft, in der der Sleer haust, feststellen muss. Nun, dann kommt es eben darauf an, sich optimal an die jeweiligen Umstände anzupassen. Zum Glück ist Bod noch ziemlich jung, als er auf dem Friedhof in die Gemeinschaft der Toten aufgenommen wird, und noch recht lernfähig. Er merkt sich alle Namen, und Silas, der Wärter bringt ihm Latein bei, um die Inschriften lesen zu können.
Merkwürdig, dass ein Friedhof überhaupt einen Wärter wie Silas benötigt, doch diese Notwendigkeit stellt sich als durchaus berechtigt heraus. Der Mörder vom Anfang war nur ein Abgesandter, und hinter ihm steht eine Jahrhunderte, wenn nicht sogar Jahrtausende alte Bruderschaft, die gerne die Herrschaft über alle Toten antreten würde.
Immer wenn Silas mal auf „Urlaub“ geht, trifft er sich mit seinen Schicksalsgenossen, um gegen diese Bruderschaft zu kämpfen. Es kann nicht ausbleiben, dass Bod diese Tätigkeit mit der Zeit spitzkriegt. Es bleibt Silas nichts anderes übrig, als den enthusiastischen Jungen anzulernen und mit ihm den Showdown gegen die Bruderschaft vorzubereiten. Dieser Showdown findet, wie könnte es anders sein, natürlich auf Bods eigenem Friedhof statt, wo er alle Schliche kennt.
Doch da ist noch die Sache mit der netten, aber verschreckten Sarah. Ihre nichts ahnenden Eltern haben sie mit fortgenommen, ins ferne Schottland. Bod ist traurig. Doch Sarah kehrt Jahre später zurück. Gereifter, wie sie nun beide sind, können sie vorsichtig einen neuen Versuch der Annäherung wagen. Glaubt sie immer noch nicht an Geister? Eins ist sicher: Das Paar muss sich erneut dem Sleer stellen. Diesmal müssen wir ihnen sämtliche Daumen drücken!
|Der Sprecher|
Der Sprecher legt sich ordentlich ins Zeug, um die Figuren zum Leben zu erwecken. Dies gelingt ihm nicht nur durch eine jeweils charakteristische Sprechweise und Stimmlage, sondern auch durch Rufen, Zischen, Flüstern usw. Auch Spezialeffekte wie etwa Hall oder Echo werden nicht ungenutzt gelassen. So werden die Besuche im Hünengrab hinter der Gruft, wo der Sleer haust, zu den eindrücklichsten Szenen überhaupt. Der Sleer zischt, Bod spricht mit Hall, und die ganze Atmosphäre ist ziemlich unheimlich.
Eine besondere Leistung sind die zahlreichen, aber stets verschiedenen Stimmen der geisterhaften Bewohner des Friedhofs. Sie reichen von alten, pompösen, langsamen Stimmen bis zu jungen, unzufriedenen. Silas, der Friedhofswärter, weist meist eine sehr ruhige Sprechweise auf, die Bod ungemein beruhigt. Aber man weiß lange nicht, ob Silas nun ein Totengeist, ein Lebender oder etwas Drittes ist. Auch dieses Rätsel trägt zur Spannung bei.
|Die Musik|
Die Musik erklingt am Anfang jeder neuen CD, wobei meist ein neues der insgesamt acht Kapitel aufgeschlagen wird. Sie hat einen dem Thema angemessenen, unheimlichen Klang.
_Unterm Strich_
Wie eigentlich von einem Autor wie Neil Gaiman nicht anders zu erwarten, kombiniert „Das Graveyard-Buch“ auf seine individuelle Weise die Geschichte des Erwachsenwerdens eines Jungen, der noch stark an Oliver Twist erinnert, und die unheimliche Atmosphäre eines Friedhofs. Anders als etwa Clive Barker gibt es aber hier keine Splatterszenen, sondern Szenen von andersartiger Schönheit, die häufig nicht einer gewissen leisen Ironie entbehren. Schließlich sind die meisten Leute, mit denen Bod zu hat, alles andere als lebendig.
Aber auch der Tod hat sein Schicksal, und dies zeigt sich an Bods und Silas‘ Kampf gegen die finstere Bruderschaft, die Bods Familie umgebracht hat (aus Gründen, die hier nicht verraten werden dürfen). Schließlich ist der Tod nur die andere Seite des Lebens und ebenso mit Konfrontationen erfüllt wie dieses. Auch das Problem des Sleer muss gelöst werden. Es ist eine knifflige Aufgabe, doch Bod löst sie brillant und wird auf einzigartige Weise belohnt. Endlich alles im Reinen, kann er schließlich wieder zurück in seine Heimatstadt. Sicher wartet dort schon eine quicklebendige Prinzessin auf ihn.
Dies ist weder Fantasy noch Märchen, sondern eine weiterentwickelte Spielart der Phantastik. Der Autor befolgt zwar viele Genreregeln dieser Disziplinen (Einheit des Ortes und der Zeit, Kontinuität des begrenzten Personals usw.), doch inhaltlich überschreitet er diese Grenzen beträchtlich. Aber er läuft nicht Gefahr, den jugendlichen Leser durch Sprünge in Zeit oder Logik zu verlieren oder gar durch Gewaltakte zu verprellen. Vielmehr scheint hier alles recht sachte seinen Weg zu gehen. Was sonst würde man von einem Friedhof erwarten? (Clive Barker hätte hierzu einiges zu sagen.) Und das ist vielleicht auch die Schwäche des Buches: Es ist etwas ZU wenig los am Schauplatz.
|Das Hörbuch|
Der Sprecher Jens Wawrczeck erweckt die Figuren zu Leben, indem er ihnen eine jeweils eigene Sprechweise verleiht und sie wie richtige Figuren emotional reagieren und Sprechen lässt. Auf einem Friedhof ergibt sich allerdings ein denkbar ungewöhnliches Personal, so dass leider wenig von Action zu spüren ist. Dieses Manko wird allerdings durch emotionale Dialoge wettgemacht. Sehr schön fand ich seine Gestaltung der Begegnungen Bods mit Sarah und eindrucksvoll die Begegnungen mit dem Sleer. Dessen kalt hauchendes Zischen ist mir immer noch schauerlich im Gedächtnis.
|Originaltitel: The Graveyard Book, 2008
Aus dem Englischen übersetzt von Reinhard Tiffert
280 Minuten auf 5 CDs|
http://www.hoerverlag.de
[NEWS] Neil Gaiman – Der Ozean am Ende der Straße
Es war nur ein Ententeich, ein Stück weit unterhalb des Bauernhofs. Und er war nicht besonders groß. Lettie Hempstock behauptete, er sei ein Ozean, aber ich wusste, das war Quatsch. Sie behauptete, man könne durch ihn in eine andere Welt gelangen. Und was dann geschah, hätte sich eigentlich niemals ereignen dürfen – Weise, wundersam und hochpoetisch erzählt Gaiman von der übergroßen Macht von Freundschaft und Vertrauen in einer Welt, in der nichts ist, wie es auf den ersten Blick scheint. (Verlagsinfo)
Taschenbuch: 240 Seiten
Originaltitel: The Ocean at the end of the lane
Bastei Lübbe
Neil Gaiman, Dave McKean – Mr. Punch
|“Nun, Mister Punch,
sollt Ihr am Hals
aufgehängt werden, bis zum
Tod –
Tod –
Tod!
–
Was,
dreimal soll ich
sterben?“|
So das morbid komische, naiv sarkastische, gewitzt hintergründige Epigramm zu Neil Gaimans Erzählung über immer wiederkehrende Familientragödien, verschüttete Kindheitstraumata, uralte Puppenspielertraditionen und die stets neu entstehende Kraft der Phantasie. Aber zurück zum einleitenden Spruch: Was auf den ersten Blick bloß ein oberflächlicher Küchenwitz zu sein scheint, entpuppt sich im weiteren Verlauf als (Über-)Lebensprinzip des bauernschlauen Mr. Punch, der sich doof und naiv gibt, um noch naivere Leute aufs Kreuz legen zu können – was ihn in den Augen der „kleinen Leute“ sympathisch werden lässt, wenn es gegen die Obrigkeit geht. Dass er nicht nur ein durchtriebener, sondern ein geradezu mieser Charakter ist, für den die Bezeichnung Arschloch noch milde gewählt ist, tritt darüber schon mal in den Hintergrund. Gaiman greift diese – in zunehmend politisch korrekter werdenden Zeiten immer weiter in den Hintergrund gedrängte – düstere Seite wieder auf und zeichnet so ein ambivalentes Bild vom Mythos der „Judy And Punch“-Profession (im angelsächsischen Sprachraum das Äquivalent zum deutschsprachigen „Kasperletheater“).
Im christlich geprägten Abendland galt das Schauspiel, und insbesondere das für den Pöbel, seit jeher als unschicklicher Beruf, zugleich stellte es aber einen wichtigen Faktor im sozialen Leben dar. Gleichsam erfüllten die mündlich überlieferten Geschichten – Bänkelsänger, Moralstücke, und eben auch das Puppenspiel – die Funktion, mehr oder weniger zeitlose, allgemeingültige Alltagsmythen von Generation zu Generation weiterzutragen und immer wieder zu aktualisieren. Dies nur nebenbei, so wie es Gaiman auch ganz beiläufig in seine Geschichte einfließen lässt, für die er übrigens auch „die Geschichte [s]einer Familie so rücksichtslos geplündert“ habe, dass er ihr in der Danksagung eine eigene Widmung zukommen lässt. Geschichte, die zum Leben erwacht, Geschichten, die ein Eigenleben entwickeln – da sind wir auch schon bei einem zentralen Thema seiner Erzählung: Denn Gaimans Erzähler in „Mr. Punch“ ist einer, der sich zurückerinnert, an die Zeit seiner Kindheit, wobei er im Trüben fischt; im Trüben fischen muss, weil er einerseits Klarheit über seine Herkunft gewinnen will, und weil er zum anderen als Kind die Welt noch anders – mythischer – erlebte. Und somit verwischen in der Erinnerung, und damit auch im kindlichen Erleben aus der erwachsenen Rückschau, die Grenzen zwischen Realität und Phantasie, zwischen erwachsen gedeuteter Geschichte, kindlicher Fiktion und ewigem Mythos. Und damit sind wir beim anderen großen Thema: Dem Mythos von „Mr. Punch“ – jener ambivalenten Puppenspielgestalt, die immer wieder als Parabel auf die reale Welt, oder zumindest als damit zusammenhängendes Paralleluniversum, ins teils wortwörtliche Spiel kommt. Denn – ohne hier zu viel zu verraten – das Puppenspiel spielte in der Familie des Erzählers eine besondere Rolle …
So langsam ist es denn auch an der Zeit, die Geschichte in ihren Grundzügen vorzustellen: Ein namenloser Erzähler erinnert sich zurück an seine Kindheit, hauptsächlich an die Zeit, als er sieben Jahre alt war und bei seinen Großeltern lebte, während seine Mutter ein weiteres Kind erwartete. Dort trifft er auf einen alten Bekannten seines Großvaters, der ein Puppenspieler ist. Die Geschichte von Mr. Punch, der das Kind seiner Judy aus dem Fenster wirft, von ihr zur Rede gestellt wird, auch sie totschlägt und einen Polizisten dazu, danach den Henker austrickst sowie den Teufel persönlich erschlägt, verstört ihn und übt gleichermaßen eine seltsame Faszination aus. Jahre später besucht er abermals eine Punch and Judy Show, die ihm übel werden lässt. Er macht sich geistig auf die Reise in seine Vergangenheit und versucht die Puzzlestücke seiner Erinnerung zusammenzutragen, zu ordnen, und zu verstehen. Dabei kommt er einigen Familiengeheimnissen auf die Spur. Die erzählte Gegenwart und das heutige Wissen des Protagonisten über die Geschichte des Puppenspiels verschwimmen mit dem Erlebten zu verschiedenen Zeitpunkten in seiner Vergangenheit und den Ängsten seiner Kindheit, aus der einige unschöne Erinnerungen zum Vorschein kommen. Eine zentrale Erkenntnis aus seinen Erinnerungen ist der Satz „Die Hilflosigkeit Erwachsener zerstört Kinder oder zwingt sie, selbst kleine Erwachsene zu werden.“ Doch wie soll er mit dieser Erkenntnis umgehen?
Damit dürfte klar sein, dass „Die tragische Komödie oder komische Tragödie des Mr. Punch. Eine Romanze“ (so der vollständige Titel) ein vielschichtiges Unterfangen ist. Da erscheint es nur angemessen, dass Neil Gaiman sich mit seinem langjährigen professionellen Partner Dave McKean zusammentat (ihre wohl bekannteste Zusammenarbeit dürfte „The Sandman“ gewesen sein; McKean illustrierte außerdem Grant Morrissons Batman-Geschichte „Arkham Asylum“), um diese Thematik ebenso vielschichtig bearbeiten zu können. Bereits für „Violent Cases“ hatten die beiden Künstler sieben Jahre zuvor gemeinsam an einer Geschichte über Kindheitserinnerungen mit unzuverlässigem Erzähler gearbeitet. Neu ist hierbei die Verschmelzung der kindlichen Phantasiewelt mit der Welt des Puppenspiels, wobei dessen Tradition – als Bindeglied zwischen realer und rein phantastischer Welt – der Erzählung eine weitere Sinnebene hinzufügt. Das Grenzland zwischen Wirklichkeit und Mythos war für Gaiman spätestens seit seiner Comic-Serie „The Sandman“ kein Neuland mehr. Doch eine derart vielschichtiges Thematik in geschlossener Form zu behandeln, wie es ihm und Dave McKean mit der Graphic Novel „Mr. Punch“ gelungen ist, das ist schon eine besondere Leistung.
Um diese Leistung ausreichend zu würdigen, genügt es nicht, Geschichte und Illustration getrennt zu betrachten, denn beides greift ineinander, und erst im Verbund entsteht die außerordentliche Vielschichtigkeit dieser multimedialen Erzählung: Gedrucktes Wort, Photographien und Zeichnungen kommen da zum Einsatz und fügen sich in collagenartiger Abfolge zu einer ganz besonderen Erzähltechnik, bei der Rückblenden, Gedankenstrom und Off-Kommentar genauso zum Einsatz kommen wie Parallelmontage verschiedener Motive, Expressionismus und Surrealismus.
Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll, die graphische Gestaltung durch Dave McKean zu loben. Ihre Exzellenz reicht von so banalen Dingen wie dem Lettering (unterschiedliches Schriftdesign für die Erzählerstimme, die menschlichen Charaktere, die gespielten Puppen) über die virtuose Panelgestaltung (flüssig lesbar bei zugleich oft genug hintergründig den Text ergänzender Fernwirkung ganzer Seiten) bis hin zur selbst in Details noch psychologisch durchdachten und suggestiven Bildkunst, die uns das Erleben eines kleinen Jungen inmitten einer ihm fremden Erwachsenenwelt nahebringt.
Ebenso wirkungsvoll ist Neil Gaimans Erzählkunst, wenn er verschiedene – teils, und das macht den besonderen Reiz aus, nur angedeutete – Erzählstränge geschickt miteinander verknüpft, ihre Vorder- bzw. Hintergründigkeit wieder ganz am kindlichen Erleben seines rückblickenden Erzählers orientiert, hier und da kleine Hinweise streut, aus denen sich der Leser schließlich einiges zusammenreimen kann, was die Familiengeschichte des Protagonisten betrifft. Andeutungen, Vorwegnahmen, Rückblicke und Parallelen sorgen für ständige Beschäftigung des Lesers sowohl auf der emotionalen Ebene (hoher Identifikationsfaktor mit dem Erzähler/Protagonisten), wie auch auf der Intellektuellen (die ganze Geschichte ist als detektivistisches und intertextuelles Puzzlespiel angelegt). Einiges wird bewusst offengelassen, sodass auch die eigene Vorstellungswelt des Lesers ständig gefragt ist. Zugleich wird sie ein ums andere Mal neu angeregt durch die Puppenspielstücke aus der Welt des Mr. Punch, jenes selbst mit Kindermord davonkommenden Bösewichts, der schließlich sogar den Teufel höchstpersönlich besiegt. Hintergrundwissen darüber ist sicherlich hilfreich, fließt aber auch automatisch in die Erzählung ein, da einiges bereits über die Dialoge und Kommentare des Erzählers vermittelt wird.
Besonders gelungen ist Gaiman und McKean – bei aller solistischen Virtuosität beider Künstler – jedoch das Ineinandergreifen von Bild und Text. Beispiele gefällig? Bitteschön:
Da gibt es eine Szene, in der sich der Junge an seine verstorbenen Großeltern erinnert, während er alte Fotos betrachtet (Erzähler: |“Vor meinem geistigen Auge sehe ich sie: erstarrte Augenblicke, die die Toten festhalten in winzigen Bewegungsschleifen. // Ich stelle sie mir vor: / 1972: Mein Großvater am Tag seiner Entlassung aus dem Irrenhaus, am Strand von Southsea, dicken grauen Schleim in ein Papiertaschentuch hustend, seine Stimme ein tiefes Brummen.“|). Dazwischen (hier im Text mit „/“ markiert) sehen wir ein Foto des Großvaters (in realistischem Fotodruck), das offensichtlich älter ist als die Erinnerungen des Jungen. Überblendet (als kolorierte Zeichnung), wie eine Spiegelung auf der Glasscheibe der Fotografie, das Gesicht des sich erinnernden Jungen. Die Figur des Großvaters scheint direkt aus seiner Stirn zu erwachsen. Während weitere Figuren seiner auf weiteren Fotos sich spiegelnden Stirn entspringen, sinniert der Erzähler: |“Ich sollte nicht so brüten. Der Pfad der Erinnerung ist weder gerade noch sicher, und wir bereisen ihn auf eigene Gefahr. Kurze Reisen in die Vergangenheit sind leichter. Erinnerungen an Miniaturen. Im Kopf entworfene winzige Puppenspiele.“| Weit später in der Geschichte werden wir das vom Jungen zuvor erinnerte Husten seines Großvaters als „erstarrte[n] Augenblick“, als „winzige [ ] Bewegungsschleife“ tatsächlich zu sehen bekommen – doch erst, wenn wirklich dieser Moment und nicht die Erinnerung daran vom Erzähler geschildert wird. Als Gegenstück zu dieser Erinnerung an den Großvater ist noch vor Beginn der eigentlichen Geschichte – und zunächst ohne jeglichen erkennbaren Zusammenhang zu ihr – eine Bildfolge zu sehen, in der ein Apfel geschält wird. Später werden wir erfahren, dass das eine der lebendigsten Erinnerungen des Erzählers an seine Großmutter ist. Wir erinnern uns mit ihm an das zuvor Gesehene. Die scheinbar sinnlose Bildsequenz erhält plötzlich einen Sinn als „winzige Bewegungsschleife“, über die hinaus der Zugang zur Vergangenheit des Protagonisten verstellt bleibt. Da ist nur mehr dieses einstmals eingeprägte Muster, das ihm so vertraut geworden ist. Doch genau darüber kommen wir als Leser und Betrachter dem Erzähler nahe und können sein Empfinden von Distanz nachvollziehen. Zugleich haben auch wir uns ein Muster eingeprägt: Nämlich eben den grafischen Stil, in dem später die Sequenz mit dem am Strand hustenden Großvater dargestellt werden wird, die wir aufgrund dessen sofort als weitere Erinnerung identifizieren können; doch inwieweit dieser „erstarrte Augenblick“ überhaupt jemals real war oder ob er nicht vielmehr einem selbstkonstruierten Erinnerungsklischee des damaligen Jungen entsprungen ist (–>“Im Kopf entworfene, winzige Puppenspiele“) – diese Frage hätten wir uns nie gestellt, ohne das Lesen |zwischen| Bild und Text. Es sind solche kunstvollen Details, die das Lesen eines guten Comics anspruchsvoller machen können als das eines schlechten Romans.
Immer wieder gibt es eindrucksvolle Szenen, in denen der Text die Erlebniswelt des Kindes aus der (teilweise) erklärenden Rückschau eines Erwachsenen schildert, die Bilder aber die kindliche unmittelbare Gefühlswelt metaphorisch unterstreichen. Zugleich wird dabei stets ein Bezug zur Welt des Puppenspiels hergestellt.
– So etwa, wenn es um die Unverständlichkeit der Erwachsenen aus der Perspektive des Kindes geht: |“Erwachsene sind bedrohliche Wesen. // Soll ich dich ins Wasser werfen? // Ich steck dich in den Mülleimer. / Ich freß dich auf. / Ich bring dich zurück und hol mir einen anderen Jungen. // So reden sie. Wie sehr man sich auch sagt, daß sie lügen oder täuschen: Es gibt immer die Möglichkeit, daß sie die Wahrheit sagen.“| Der Kleine erscheint hier als winzige nackte Drahtfigur mit gespaltenem Kopf, die wie eine Puppe an kaum sichtbaren Fäden hängt, gespielt von einer Hand, neben der die Aussprüche der Erwachsenen zu lesen sind. Eine Tante, die ihm seltsame Geschichten erzählte, erscheint dagegen als bekleidete und mit Stroh gepolsterte Figur ohne Fäden. Neben ihr liegt eine Maske des klassischen Dramas.
– Wenn der Erzähler sich erinnert, dass der Großvater nach einem Autounfall nicht mehr derselbe war, aggressiv wurde und schließlich ganz dem Wahnsinn verfällt, dann zeigen die Illustrationen den Alten so unheimlich, wie ihn der Junge erlebt haben muss: Unverständlich, fast schon unmenschlich, wie ausgetauscht; mit einer riesigen maskenhaften Fratze und leeren Augen anstelle des vertrauten Kopfes.
– In der Familie des Protagonisten gibt es einige unausgesprochene Tabus und Halbwahrheiten, blinde Flecken der Familiengeschichte, bedrohliches Schweigen und andere Unverständlichkeiten. Hinzu kommt, dass er als Junge noch in einer gewissermaßen magischen Welt lebt, seine eigenen phantasievollen Erklärungen sucht und ansatzweise auch findet. Seine Ungewissheit bezüglich der Kindheit einiger Familienmitglieder, einige düstere Ahnungen sowie die grausamen Geschichten von Judy & Punch kulminieren in einem blutigen Alptraum, in dem eine riesige Hand aus Mr. Punchs abgelegter Geliebten Pretty Polly hervorkommt und von einem Doktor verstümmelt wird. Die graphische Umsetzung ist eine der drastischsten im gesamten Buch und wirkt besonders gruselig vor den realen Hintergründen der Erzählung im Text (welche freilich vom kindlichen Protagonisten noch nicht durchschaut werden).
Gaiman & McKeans „Mr. Punch“ ist eine Geschichte über Verunsicherung und Ungewissheit, über das Gefühl der Fremdheit und des Befremdens, über den Verlust der Unschuld und das Erwachsenwerden, über ewig sich wiederholende Dramen und nicht zuletzt über das Puppenspiel als verschlüsselte Ausdrucksform unliebsamer Wahrheiten sowie als Mittel, mit ihnen umzugehen. Zugleich ist es die Geschichte einer Suche nach der Wahrheit, die letztlich zurück ins Ungewisse führt, und doch zu einem (zumindest erstweiligen) Abschluss mit der Vergangenheit. Die Erzählweise ist äußerst interessant, fesselnd, verstörend, kafkaesk, vielschichtig und gruselig. Ein Comic für Kinder ist dies keineswegs – vielmehr eine anspruchsvolle Graphic Novel für Erwachsene, die sich nicht scheuen, über schwierige Themen zu lesen und dabei ihren eigenen Verstand zu bemühen. Gerade die zahlreichen Verschachtelungen und Querbezüge machen die Lektüre jedoch zu einem besonderen Vergnügen und lassen sie auch beim wiederholten Lesen nicht langweilig werden.
Neil Gaiman bei Buchwurm.info:
„Sandman: Ewige Nächte“
„Sandman 1 – Präludien & Notturni“
„Sternwanderer“
„American Gods“
„Anansi Boys“
„Coraline – Gefangen hinter dem Spiegel“
„Die Bücher der Magie 5 – Verlassene Stätten“
„Die Bücher der Magie 6″ – Abrechnungen“
„Die Messerkönigin“
„Die Wölfe in den Wänden“
„Keine Panik! – Mit Douglas Adams per Anhalter durch Galaxis“
Neil Gaiman, Sam Kieth, Mike Dringenberg, Malcolm Jones III – Sandman 1 – Präludien & Notturni
Wir schreiben das Jahr 1916: Ein mythischer Kreis versammelt sich im Bestreben, einen der Ewigen zu beschwören. In der Hoffnung, Death einkerkern zu können, läuft die dunkle Trance unter der Anleitung von Roderick Burgess jedoch anders als geplant. Statt Death wird Dream in die Verbannung des Gefängnisses geschickt und nimmt damit auch allen Menschen ihre Träume – 70 Jahre lang. Durch einen Akt des Zufalls gelingt es ihm nach einer halben Ewigkeit, wieder frei zu kommen, was ihn direkt dazu veranlasst, die Insignien seiner Macht wieder aufzuspüren.
Neil Gaiman – Coraline – Gefangen hinter dem Spiegel
Wie gut, dass ich dem im Klappentext abgedruckten Rat von Lemony Snicket nicht gefolgt bin, sonst hätte ich eine wirklich schön schaurige Märchengeschichte verpasst. Lemony Snickets Rat sieht übrigens folgendermaßen aus: |“Wenn Sie nicht in Kürze zitternd vor Angst mit dem Daumen im Mund unter dem Bett kauern wollen, sollten Sie dieses Buch langsam und vorsichtig zurücklegen.“| Gleich vorab bemerkt, ich habe weder mit dem Daumen im Mund unter dem Bett gekauert, noch das Buch brav zurückgelegt. Und mit den Folgen meines wagemutigen Handelns kann ich auch durchaus gut leben. Also, alles gar nicht so schlimm, wie’s auf den ersten Blick erscheinen mag.
Neil Gaimans kleines Büchlein „Coraline“ dreht sich um die wundersamen Erlebnisse des kleinen Mädchens Coraline. Zusammen mit ihren Eltern ist sie in ein neues Haus umgezogen, in dem neben der jungen Familie noch ein verschrobener älterer Herr mit einem Mäusezirkus und zwei etwas beleibte, ehemals schauspielernde, ältere Damen wohnen. Es ist die Zeit der Sommerferien und während Coralines Eltern zu Hause ihrer Arbeit nachgehen, erkundet Coraline das Grundstück, bis ihr ein paar Regentage einen Strich durch die Rechnung machen.
Coraline erkundet also fortan die Wohnung und stößt dabei auf eine vermauerte Tür. Als die Mauer dann eines Nachts plötzlich verschwunden ist, schreitet Coraline hindurch und entdeckt eine Art Parallelwelt. Die Welt hinter der Tür sieht aus wie die Wohnung ihrer Eltern. Selbst Mama und Papa trifft sie dort an, auch wenn sie ein wenig verändert aussehen und statt Augen schwarze Knöpfe tragen. Die andere Mutter umgarnt sie und versucht sie zum Bleiben zu überreden. Coraline wird das alles mit der Zeit aber zu unheimlich und so kehrt sie in die richtige Welt zurück.
Als sie dort ankommt, muss sie feststellen, dass ihre richtigen Eltern verschwunden sind. Als sie zufällig in den Spiegel im Flur blickt, sieht sie dort ihre Eltern, gefangen hinter dem Spiegel, festgehalten von der anderen Mutter. Und so kehrt Coraline zurück in die Welt hinter der vermauerten Tür, um ihre Eltern zu finden. Eine äußerst schwierige Aufgabe steht ihr bevor, denn die andere Mutter will Coraline um jeden Preis für sich behalten. Sie ist hungrig nach Coralines Seele.
Schon der Untertitel des Buches („Gefangen hinter dem Spiegel“) offenbar eine sehr deutliche literarische Parallele. Mit der Figur der Coraline hat Neil Gaiman eine moderne Alice geschaffen. Die Parallelwelt hinter der vermauerten Tür ist Gaimans Pendant zu Lewis Carrolls Welt hinter dem Spiegel, durch den Alice steigt. Auch die dortige Welt scheint zunächst oberflächlich betrachtet mit der realen Welt identisch zu sein und Alice wird nach und nach mit den Unterschieden konfrontiert. Für Coraline ist die Situation ähnlich. Auch ihr erscheint die Welt hinter der Tür zunächst so wie die davor, doch schnell zeigt sich, dass sie nichts anderes als ein der Wirklichkeit nachempfundenes Trugbild ist.
Ähnlich neugierig und scheinbar furchtlos, wie Alice die Welt im Spiegelland erkundet, erforscht auch Coraline ihre neue Umgebung. Sie scheint sich kaum zu fürchten, Neugier und Forscherdrang siegen über die Angst. Ein wenig übermenschlich wirkt sie in ihrer Selbstsicherheit, was sicherlich in der eher oberflächlichen Figurenzeichnung und der Kürze der gerade einmal 175 Seiten langen Erzählung begründet liegt. Natürlich hätte eine etwas ausgefeiltere Skizzierung der Hauptfigur der Geschichte etwas mehr Tiefe verliehen. Würde Coraline etwas menschlicher erscheinen, wäre die Geschichte sicherlich noch einen Tick mitreißender und fesselnder, aber das ist ein eher kleiner Schönheitsfehler.
Das eigentlich Faszinierende an Gaimans Roman ist die Welt, die er erschaffen hat. Die Welt, die Coraline hinter der vermauerten Tür entdeckt, ist ein Abbild der Realität, die als nichts anderes als eine Falle fungiert. Die andere Mutter hat es auf Coralines Seele abgesehen. Warum das so ist, wird nicht deutlich und ist eigentlich auch bedeutungslos, aber Coraline ist nicht das erste Kind, das in ihre Falle tappt. Als Coraline in der Parallelwelt gefangen ist, trifft sie auf die seelenlosen Überreste anderer Kinder. Mit der bösen Frau, die kleine Kinder entführt, greift Gaiman zu einem geradezu klassischen Märchenelement und fügt es überzeugend in seine Erzählung ein.
Als die andere Mutter merkt, dass ihr stetiges Umgarnen nicht gerade auf fruchtbaren Boden fällt und Coraline cleverer und misstrauischer ist als erwartet, nimmt auch die von der anderen Mutter erschaffene Welt immer dunklere Züge an. Gaiman inszeniert ein raffiniertes Spiel zwischen der falschen Mutter und Coraline und reichert das Ganze mit einer Prise Horrorelemente an. Da wäre der golemartige Mensch im Keller des Hauses, die küchenschabenessende andere Mutter, eine Wohnung voller fledermausartiger Hunde, die von der Decke hängen. Gaimans Inszenierung ist schon ausgesprochen phantasievoll ausgeschmückt, obwohl sie sich auf den eng begrenzten Raum des Hauses beschränkt, und macht gerade auch wegen dieser Elemente Spaß. „Coraline“ ist letztendlich eine Geschichte, die einen Märchenplot mit Gruselelementen verbindet, und genau das ist Gaiman mit seinem Roman sehr gut gelungen.
Ursprünglich erschien die deutsche Ausgabe von „Coraline“ 2003 im |Arena|-Verlag und wurde dort als Buch für Kinder ab zehn Jahren deklariert. Tatsächlich deutet schon Gaimans Schreibstil an, dass sich „Coraline“ durchaus auch an eine jüngere Leserschaft richtet, ohne sich dem erwachsenen Leser zu verschließen. Die Bildhaftigkeit von Gaimans Sprache dürfte sich auch von Kindern durchaus gut erfassen lassen, macht aber Erwachsenen ebenso Freude.
Ob das Buch aber wirklich unbedingt für Kinder empfehlenswert ist, ist eine Frage, die die Meinungen spalten dürfte. Für Zehnjährige, die Gruselgeschichten gewohnt und entsprechend hart im Nehmen sind, mag das Buch in Ordnung sein, aber für andere Kinder sei da eher zur Vorsicht geraten. „Coraline“ ist eben nicht ganz ohne und wer ein zartes Gemüt hat, der sollte vielleicht wirklich lieber den Rat von Lemony Snicket befolgen und das Buch langsam und vorsichtig wieder zurücklegen.
Bleibt unterm Strich festzuhalten, dass „Coraline“ eine schöne kleine Portion Gruselmärchen für zwischendurch ist. Gaiman stellt einmal mehr sein Talent als phantasiebegabter Erzähler unter Beweis und liefert mit seinem Roman eine moderne Gruselvariante von Lewis Carolls Kinderbuchklassiker „Alice im Spiegelland“. „Coraline“ ist so angelegt, dass sowohl junges als auch älteres Lesepublikum Freude an dem Buch haben dürften. Dass die Figuren eher oberflächlich gezeichnet sind und die Geschichte dadurch vielleicht nicht so mitreißend ist, wie sie eventuell sein könnte, lässt sich in Anbetracht des Märchencharakters und der Kürze der Geschichte durchaus verzeihen.
Taschenbuch: 176 Seiten
Originalausgabe: Coraline, Harper Collins 2002
Aus dem Englischen übersetzt von Cornelia Krutz-Arnold