Asimov, Isaac & Greenberg, Martin (Hgg.) / Bester, A. / Vogt, A. E. van / Clement, H. / Rey, L. del – besten Stories von 1942, Die

Er lebe hoch: Der König von Maustralien!

In der irrealen Welt wendet sich das Schlachtenglück zugunsten der Allierten, doch in der realen Welt der Science-Fiction-Gemeinde ist von solchen Gefahren wenig zu spüren. Natürlich sind etliche Autoren und viele ihrer Fans zum Kriegsdienst gegangen, aber es werden doch immer noch Erzählungen geschrieben, so etwa von dem Kanadier Alfred Elton van Vogt. Und seine Erzählung „Asyl“ sowie die Novellen „Nerven“ von Lester del Rey sowie „Foundation“ von Asimov wurden zu Klassikern. Es war die goldene Zeit der Science Fiction.

Jede Erzählung wird mit einer Anmerkung von Greenberg zum Autor und seinem Werk eingeleitet. Asimov steuert lediglich eine persönliche Anekdote bei, wie er den Autor kennengelernt hat – oder auch nicht.

Der Herausgeber

Isaac Asimov, geboren 1920 in Russland, wuchs in New York City auf (wo er 1992 an den Spätfolgen einer HIV-verunreinigten Bluttransfusion starb), studierte Biochemie und machte seinen Doktor. Deshalb nennen seine Fans ihn neckisch den „guten Doktor“. Viel bekannter wurde er jedoch im Bereich der Literatur. Schon früh schloss er sich dem Zirkel der „Futurians“ an, zu denen auch der SF-Autor Frederik Pohl gehörte. Seine erste Story will Asimov, der sehr viel über sich veröffentlicht hat, jedoch an den bekanntesten SF-Herausgeber verkauft haben: an John W. Campbell. Dessen SF-Magazin „Astounding Stories“, später „Analog“, setzte Maßstäbe in der Qualität und den Honoraren für gute SF-Storys. Unter seiner Ägide schrieb Asimov nicht nur seine bekannten Robotergeschichten, sondern auch seine bekannteste SF-Trilogie: „Foundation“. Neben SF schrieb Asimov, der an die 300 Bücher veröffentlichte, auch jede Menge Sachbücher, wurde Herausgeber eines SF-Magazins und von zahllosen SF-Anthologien.

Übrigens ist in den biobliografischen Daten auch Martin H. Greenberg als Herausgeber ausgewiesen. Er gibt wahrscheinlich noch heute Anthologien zu einfallsreichen Themen heraus. Einmal ist eine Anmerkung von ihm zu Th. Sturgeon zu lesen.

Die Erzählungen

1) Fredric Brown: Der Sternenmäuserich

Prof. Oberburger entwickelt Raketentreibstoffe. Das tut er in seinem eigenen Haus in Hartford, in dem er ein Labor eingerichtet hat. Als er bemerkt, dass eine neugierige Maus sein explosives Treiben ängstlich beobachtet, fängt er sie kurzerhand, nennt sie Mitkey und setzt sie in eine Rakete, die er zum Mond schickt. Wenig später fängt er die Gattin des Mäuserichs, nennt sie folgerichtig Minnie – und muss mitansehen, wie seine Rakete vom Kurs abkommt.

Schuld an der Abweichung ist ein Asteroid namens Prxl, den Oberburger nicht sehen kann, weil er so klein ist. Doch Prxl ist keineswegs unbewohnt. Die Prxlianer sind noch kleiner als Mitkey, verständigen sich durch Telepathie und verfügen über eine hochentwickelte Technik zur Erhöhung der Intelligenz von unterlegenen Rassen. Diese wenden sie bei Mitkey an, bis er ihnen berichten kann, was es mit Prof. Oberburgers Experimenten auf sich hat. Sie schicken ihn wieder auf die Erde zurück, damit er zu Minnie heimkehren kann. Aber er ist nun stark verändert …

Wenig später fragt eine Maus, die rote Hosen und gelbe Handschuhe trägt, einen Betrunkenen nach dem Weg, der nach Hartford/Connecticut führt …

|Mein Eindruck|

Möglicherweise ist dies eine Parodie auf die von Walt Disney erfundene und schon 1942 ziemlich populäre Mickey Mouse – die hier aus urheberrechtlichen Gründen aber Mitkey genannt wird. Der Autor spielt durch, was passieren würde, wenn eine reale Maus zu Eigenschaften wie Mickey Mouse kommen würde und welchen Eindruck sie bei ihrer Umwelt – Ratten, Betrunkene – hinterlassen würde. Das ist der lustige Teil.

Ernster, aber nicht allzu ernst wird es, als Mitkey vorschlägt, den nunmehr intelligent gewordenen Mäusen einen eigenen Kontinent zur Verfügung zu stellen: MAUStralien. Der Professor hat seine Zweifel, dass der Mensch die Mäuse dort lange in Ruhe lassen würde. Es würde auf einen Kampf um die Herrschaft über die Erde hinauslaufen. Daran hat Mitkey schon gedacht. Er würde so etwas wie den Völkerbund vorschlagen, damit sich Mensch und Maus in Verhandlungen verständigen könnten. Der Professor zweifelt auch daran, wenn er an die jüngste amerikanische Geschichte denkt …

Am Schluss verliert Mitkey seine Superintelligenz wieder – durch einen simplen Stromschlag. Der Professor überlegt, dass so glücklich, wie Mitkey nun neben seiner Minnie aussieht, er vielleicht weitaus besser dran ist denn als der König von Maustralien …

2) Isaac Asimov: Basis (Foundation)

Der Psychologe Hari Seldon sieht das Ende des Galaktischen Imperiums voraus und setzt einen genialen Plan in Gang, den er in seinen letzten Tagen einer erstaunten Wissenschaftsgemeinde verkündet. Er hat sich vom Regenten eine Charta geben lassen, um zwei Kolonien namens Terminus und Sternenede gründen zu dürfen. Diese sollen die Encyclopedia Galactica erstellen. Doch das ist nur der Vorwand für den wahren Plan …

Fünfzig Jahre später auf Terminus. Der Bürgermeister der Millionenstadt, Salvor Hardin, ist sehr besorgt um seine Gemeinde. Das Ministerium der Beauftragen für die Enzyklopädie hat zwar nominell die Herrschaft über diese kleine Welt erhalten, doch nach Hardins Meinung geht es damit sehr sorglos, ja, geradezu fahrlässig um. Wie er gegenüber dem Ersten Minister Pirenne deutlich macht, gedenkt die Nachbarwelt Anacreon, die sich kürzlich zum souveränen Königreich erklärt und den Nachbarn Smyrno angegriffen hat, demnächst auch Terminus zu annektieren.

Drei Monate vergehen nach dieser ersten Warnung, ohne dass das Ministerium irgendetwas unternimmt, außer Anacreon noch mehr zu reizen. Auch der Abgesandte des Regenten verspricht keinen Schutz im Falle eines Angriffs. Nur Hardins versteckter Hinweis auf Atomkraft schreckt Anacreon noch – ein wenig – ab. Doch das Ultimatum steht: Terminus hat noch eine Woche Zeit, dann erfolgt die Invasion.

Einen Tag vorher erfolgt jedoch die Öffnung des ersten, zeitgesteuerten Tresors, den Hari Seldon aufgestellt hat. Alle Hoffnungen der Beamten ruhen auf dieser Botschaft: Hat er eine Lösung für das Problem? Das Hologramm des alten Mannes versetzt die Beamten in Bestürzung. Terminus ist schutzlos seinen Nachbarn ausgeliefert. Und überhaupt: Die Enzyklopädie war nur ein Schwindel! Als sich Pirenne entgeistert an Hardin um Hilfe wendet, beruhigt ihn dieser: Der Plan zur Rettung von Terminus sei bereits in Gang gesetzt worden …

|Mein Eindruck|

Asimov schlug John W. Campbell jr, dem Herausgeber von „Astounding Science Fiction“, vor, eine Serie über den Untergang und Neubeginn des Galaktischen Imperiums nach dem Vorbild von Gibbons‘ „Untergang des Römischen Reiches“ zu schreiben. Campbell war begeistert, und Asimov legte los. Schlauerweise ließ er den Schluss seiner Story offen: Campbell musste sie ablehnen oder eine Fortsetzung verlangen. Der Herausgeber wollte Fortsetzungen. Das war der Startpunkt für einen der größten Future-History-Zyklen in der gesamten Science-Fiction. Die erste Trilogie wurde 1960 zur besten SF-Serie aller Zeiten gewählt, und Asimov baute sie durch Prequels und Sequels so aus, dass alle seine Robotergeschichten darin Platz fanden.

Dennoch: Der unvoreingenomme Leser wird sich fragen, wo hier die Action bleibt. Es gibt keine. (Es gibt auch keine Frauen. Oder Roboter, oder Aliens.) Da hauen sich eine Reihe von Männer mal wütend, mal beschwörend, mal blasiert Worte um die Ohren, und das Einzige, was passiert, ist: nichts. Warum die Übersetzerin „Foundation“ als „Basis“ und nicht als „Stiftung“ oder einfach „Foundation“ übertragen hat, ist mir schleierhaft.

3) Alfred Bester: Ein Fingerdruck

New York im 30. Jahrhundert. Der Reporter Carmichael lebt in einer total stabilisierten und reglementierten Gesellschaft, die von einem Komitee von Stabilisatoren und Kontrolleuren im heiligen Status quo gehalten wird. Durch eine günstige Gelegenheit gelangt er jedoch in das Labor, in dem die Stabilisatoren einen Blick in die Zukunft werfen können. Er wird für den Sekretär des Chefstabilisators gehalten, und schon plaudert einer der Wissenschaftler. Dieser hat den Untergang des Universums in seiner Prognosemaschine gesehen – in tausend Jahren. Wie ist so etwas möglich? Carmichael ist erschüttert.

Damit er nichts ausplaudert, wird er zum Mitarbeiter des Chefstabilisators gemacht. Dieser ist offenbar mit seinem Latein am Ende, doch unser Reporter liest nicht umsonst verrückte Kriminalromane. Man muss vom Faktum des Weltuntergangs rückwärts gehen und zwar zu Schlüsselszenen und Knotenpunkten, an denen sich die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung der Realität für das Weltende entscheidet. Indem sie immer weiter zurückgehen, gelangen sie schließlich zum 9.2.2909 – das ist ja der heutige Tag! Sofort werden die entsprechenden Präventionsmaßnahmen eingeleitet – und dann geht alles schief …

|Mein Eindruck|

Bester ist kein Autor, der eine Story einfach von A bis Rechenzentrum ganz linear nach Drehbuch erzählt. Nein, diesmal erzählt den Weltuntergang rückwärts, und zwar so, als wäre Carmichael eine Art Sherlock Holmes. Das macht die Story spannend und anrührend. Denn die Knotenpunktszenen sind ausgefeiltes Drama mit allem Drum und Dran, so dass man sie vor dem geistigen Auge heraufbeschwören kann.

Obendrein kommt das Ende der Entwicklung dennoch überraschend, um zu zeigen, dass in den Stabilitätsgleichungen ein Faktor unterdrückt wird: die Liebe. Und diese Macht sorgt sogar dann noch für Veränderung, wenn klar ist, dass damit der Weltuntergang herbeigeführt wird.

4) A. E. van Vogt: Asyl

Das Sonnensystem wird von der unendlich überlegenen Zivilisation der Galaktiker beobachtet, die allerdings noch nicht in die Entwicklung der Menschheit eingreifen. Das ändert sich, als ein Raumschiff der Dreeghs in unser System verschlagen wird, vampirähnliche Wesen, die sich von Blut und „Leben“ ernähren müssen. Auf der Erde finden die beiden Dreeghs natürlich eine volle Speisekammer vor – wären da nicht die Galaktiker, die eine Gefahr für sie darstellen und beseitigt werden müssen.

Dazu bedienen sich die Dreeghs des Reporters William Leigh, den sie hypnotisiert haben (Hypnose ist eines von van Vogts Lieblingsthemen) und mit dem Raumfrachter des etwas geistig zurückgebliebenen Steve Hanardy zu einem ausgehöhlten Asteroiden in der Nähe des Jupiter schicken. Im Asteroiden ist das Domizil des Prof. Ungarn und seiner Tochter Patricia, die die Dreeghs für die Beobachter der Galaktiker halten.

An Bord des Asteroiden wird es dann kompliziert: Als ein Verteidigungsschirm fällt und alles verloren scheint, wiederholt sich für Leigh eine Szene, die sich gerade erst abgespielt hat, wodurch sein wahres Ich befreit wird: In Wirklichkeit sind Ungarn und Patricia nur geistig minderbemittelte Klugg, (wenn auch den Menschen weit überlegene) bloße Hilfskräfte der Galaktiker, und Leigh selbst entpuppt sich als Großer Galaktiker, der nicht nur diese beiden Dreeghs, sondern alle Überlebenden dieser durch einen Unfall entstandenen Rasse in eine Falle gelockt hat, um sie nun endgültig auszuschalten.

Am Ende steht der Kampf des übernommenen Menschen Leigh gegen die Verschmelzung mit dem Geist des Galaktikers – ein Kampf, bei dem Leigh natürlich keine Chance hat – und dann der schier orgiastische Genuss des „Einsseins“ mit dem Geist des Überwesens.

|Mein Eindruck|

Der Autor stellt die kosmische Konzeption des Sternenimperiums der Galaktiker der Fantasy-mäßig anmutenden Vorstellung des Vampirismus gegenüber. Der Vampir wird jedoch wissenschaftlich erklärt und somit aller Mystik entkleidet. Doch anstatt nun akzeptabler zu sein, werden die Dreegh-Vampire durch diesen Vorgang noch erschreckender und verabscheuungswürdiger.

Auf der anderen Seite verläuft die Entwicklung gegenläufig. Dem Satan der Vampire steht der gottähnliche Galaktiker gegenüber, und zwischen diesen Fronten befindet sich der Mensch Leigh. Er hat jedoch die Chance, ebenfalls gottähnliche Eigenschaften zu erlangen und am Triumph des Göttlichen über das Satanische teilzuhaben. Für den willigen, unbedarften Leser eines Groschenheftes muss diese Story eine irrsinnige Verheißung dargestellt haben.

5) Hal Clement: Der Beweis

Kron ist Pilot eines Forschungsschiffs der Solarzivilisation. Er hat einen Besucher vom Sirius B an Bord, der ihm eine knifflige wissenschaftliche These vorlegt, für die ihn seine Wissenschaftskollegen verspotten. Kron findet die These jedoch plausibel und erzählt Kron als Beweis von einer Begebenheit, die er selbst erlebte.

Nach einer Expedition zu einem fremden Sternsystem kehrten er und sein Freund Akro in getrennten Schiffen zur heimatlichen Sonne zurück. Sie sollten tangential in die Photosphäre eintauchen, doch Akro war in Eile, weil seine Schiffswände sehr dünn geworden waren und er fast von der Sonne gebraten wurde. Er hatte es also eilig. Doch plötzlich wurde er von einer unbekannten Masse angezogen und auf einen anderen Kurs gezwungen. Dieser Kurs, so stellte sich heraus, führte zum dritten Planeten des Sonnensystems.

In Nordaustralien wurde ein Farmer Zeuge des Absturzes von Akros Schiff, und um ein Haar wäre der Beobachter dabei umgekommen. Denn Akros Schiff explodierte und erzeugte dabei solare Temperaturen, die den Felsen schmolzen, und erzeugte außerdem harte Strahlung.

|Mein Eindruck|

Zuerst dachte ich, die Geschichte habe gar keine Handlung, sondern sei bloße Theorie. Doch dann begann Kron mit seiner Anekdote, und die Sache wurde doch noch relativ interessant. Was aber das Ganze soll, also der Beweis, das kann mir wahrscheinlich nur ein Atomphysiker erklären.

6) Lester del Rey: Nerven

Dr. Roger T. Ferrel ist Chefarzt im Kernkraftwerk von National Atomic Products, das irgendwo im Mittelwesten der USA steht. Er ist allgemein beliebt, angesehen und respektiert. Sein neuer Assitent ist Dr. Bob Jenkins, der heute Abend Dr. Blake ablöst, der nach Hause darf. Doch die Nacht wird zeigen, dass es aller drei Ärzte und noch vieler weiterer bedarf, um der ausbrechenden Katastrophe Herr zu werden.

Das Kraftwerk hat vier Reaktoren. In Block 3 und 4 wird wohl mit neuen Uranisotopen gearbeitet, von denen Jenkins etwas andeutet. Dabei kommt es zu einem Unfall, in dessen Verlauf der Reaktor schmilzt und explodiert. Niemand weiß, wie viele Opfer es innerhalb des Gebäudes gibt, aber schon die ersten Opfer, die Ferrel von außerhalb Block 4 erreichen, verraten ihm, dass Unheil im Verzug ist. Die Männer haben Strahlenverbrennungen.

Palmer, der Leiter des Kraftwerks, lässt die Nationalgarde anrücken und alles hermetisch abriegeln. Nur mit Mühe gelingt es weiterem medizinischem Personal, darunter Jenkins‘ Frau Sue, zur Krankenstation vorzudringen. Die Kernschmelze schreitet voran, eine scheinbar unaufhaltsame Kettenreaktion.

Doch wie soll die endgültige Explosion des gesamten Kraftwerks aufgehalten werden, die droht, den gesamten Mittelwesten der USA in die Luft zu jagen? Nur ein überlebenden Ingenieur kann gefunden werden, und auch er scheint trotz Strahlenanzugs bereits halbtot zu sein. Jorgenson kennt die Lösung, um die Kettenreaktion zu stoppen, doch bevor er sie ihnen verraten kann, setzt sein Herz aus. Ferrel öffnet kurzentschlossen Jorgensons Brustkorb und beginnt mit der Herzmassage. Ein Krieg der Nerven beginnt …

|Mein Eindruck|

Hier wird Tschernobyl 1986 vorweggenommen. Man mag viele der Voraussagen, die der Autor trifft, sowie seine schier sträfliche Verleugnung von Strahlengefahren – obwohl natürlich Strahlenverbrennungen auftreten – für Naivität halten, aber man sollte auch berücksichtigen, dass es anno 1942 nur einen Versuchsreaktor von Enrico Fermi gab – nicht mehr. Es hatte noch keine Atombombenexplosion in New Mexico oder in Japan stattgefunden. Und doch schrieb der Autor bereits auf höchst realistische Weise über den Verlauf und die Folgen einer Reaktorexplosion!

Sein Kollege Cleve Cartmill (1908-1964) wird in ewiger Erinnerung bleiben, weil er 1944 in der Story „Deadline“ eine Atombombe beschrieb, bevor diese überhaupt abgeworfen wurde. Der Herausgeber von „Astounding Science Fiction“, der ebenfalls schon bekannte Autor John W. Campbell jr., versicherte den US-Sicherheitsbehörden, die bei ihm auftauchten, glaubhaft, dass sich sein Autor Cartmill nur auf Material gestützt habe, das man in öffentlichen Bibliotheken einsehen könne. Dieser Vorfall wird allgemein als Beleg für die Vorhersagekraft der Science-Fiction herangezogen.

Gilt dies auch für „Nerven“? Es gibt eine Kernschmelze, eine Reaktorexplosion, Fallout, Gegenmaßnahmen und schließlich eine Eindämmung der Kettenreaktion. Ob die Explosion des gesamten Komplexes wirklich den Mittelwesten vernichtet hätte, ist Gegenstand von Spekulation. Feststeht, dass es seit dieser Novelle kaum eine weitere, annähernd so realistische und spannende Darstellung eines Reaktorunfalls gegeben hat, zählt man Heinleins Story „Blowups happen“ nicht dazu.

7) George O. Smith: QRM-Interplanetary

Die Menschen haben Mars und Venus kolonisiert. Die Venus ist ein Sumpfplanet mit nur wenig trockenem Land. Aber immerhin leben tapfere Leute dort, und sie wollen natürlich mit ihren Freunden auf der Erde in Verbindung bleiben. Doch wie soll die Kommunikation per Richtstrahl klappen, wenn gerade die Sonne zwischen Venus und Erde steht? (Und für Erde und Mars gilt natürlich das Gleiche.)

Man braucht also einen Satelliten, der die Kommunikationsstrahlen um die Sonne herumlenkt, und zwar idealerweise dann, wenn die drei Himmelskörper ein gleichschenkliges Dreieck bilden. Daher heißt die Relaisstation, die über der Venus schwebt, Venus-Equilateral bzw. im Storytitel „QRM-Interplanetary“. Die Station wurde in einem ausgehöhlten Asteroiden errichtet, der wie eine drei Meilen lange, dicke Zigarre aussieht, mit dem Sende-/Empfangsgerät an einem Ende und der Andockvorrichtung am anderen.

Die Schwierigkeiten beginnen, als die Erdkommission, die die Relaisstation betreibt, einen neuen Direktor schickt. Francis Burbank ist jedoch eine Krämerseele, wie sie im Buch steht. Don Channing, ein Ingenieur, der auf den Chefsessel gehofft hat, ist stinksauer. Er wird aber noch wütender, als er merkt, welche Auswirkungen Burbanks Sparmaßnahmen zeitigen. Die Kommunikation bricht völlig zusammen!

Nach einem Kinhaken und einer Gardinenpredigt scheint Burbank wieder zur Vernunft gekommen zu sein. Doch der Anschein täuscht. Eines Morgens bemerkt Channing, dass die Luft in der Station so schlecht ist, dass die Leute im Sitzen einschlafen. Was ist passiert? Hoffentlich nicht schon wieder eine Sparmaßnahme!

|Mein Eindruck|

Was zunächst wie eine einfallsreiche, sprich: ulkige Kombination aus Ingenieurwesen und Bürokratie aussieht, entpuppt sich schließlich als eine erfreulich anschauliche, lebhafte Handlung, die in einer lebensbedrohlichen Situation gipfelt. Da stört es auch nur wenig, dass die Hauptfiguren, mit Ausnahme Burbanks natürlich, alle trinken wie die Schluckspechte, wenn es Probleme und Frust gibt. Auch dass die Frauen alle Handlanger und Helfershelfer der Herren der Schöpfung zu sein haben, mutet heute etwas anachronistisch an.

Aber die Mischung war neu und so erfolgreich, dass der „Elektroneningenieur“ George O. Smith eine ganze Serie über Venus-Equilateral schreiben durfte, die 1947 erstmals gesammelt veröffentlicht wurde. Auf einer Station gibt’s immer was zu tun, wie jeder Fan von „Babylon 5“ bestätigen kann. Yippijaja-yippiyippijeh!

8) Donald A. Wollheim: Mimikry

Diese sehr kurze Story von einem der bekanntesten SF-Herausgeber und -Verleger berichtet vom Erlebnis eines jungen Museumsmitarbeiters, der in einer Kellerwohnung ein sehr merkwürdiges Lebewesen vorfindet. Die Polizei hat ihn zur Identifizierung herbeigerufen. Bis dahin hat er den Mann im langen schwarzen Mann nur für einen Sonderling gehalten, doch nun, da der „Mann“ offensichtlich tot vor ihm liegt, stellt er fest, dass von Menschsein keine Rede sein kann. Vielmehr verstellte sich der „Fremde“ mit Hilfe bestimmter Mimikry-Techniken so gut, dass er zwar als Sonderling galt, aber als Mensch durchging. Als der Polizist die Kiste in der Nähe öffnet, entflattern ihr Miniaturausgaben des Fremden – seine Jungen …

|Mein Eindruck|

Der Autor wendet das Prinzip der Mimikry auf die menschliche Gesellschaft an. So wie sich Käfer und Raupen im Strom einer Wanderameisenarmee vor dem Gebissen- und Getötetwerden durch Tarnung schützen, so könnten sich auch in unserer Mitte gewisse Aliens herumtreiben, die wir als Menschen durchgehen lassen.

Vielleicht lässt sich die Story aber auch auf einer politischen Ebene verstehen. Dann ließe sie sich auf „unamerikanische“ Elemente anwenden: deutsche und japanische Spione (Pearl Harbor war am 7.12.41) oder gar auf Kommunisten. In jedem Fall verursacht sie ein gelindes Grauen und Unbehagen: die Furcht vor dem Unbekannten, das man immer als bekannt voraussetzte und das sich nun als etwas ganz anderes entpuppt. Solche Paranoia wäre Senator Joseph McCarthy sehr bekannt vorgekommen.

Unterm Strich

Die Novellen von Asimov, Lester del Rey und A. E. van Vogt stellen die Höhepunkte dieses Auswahlbandes dar. (Aus jeder einzelnen davon entstand später ein Roman, aber das nur am Rande.) Sie nehmen die Entwicklung der späteren Science-Fiction bereits vorweg, einerseits mit gewagten Voraussichten (del Rey), zum anderen mit kühnen Entwürfen (Asimov). Van Vogt schlägt hier bereits sein Dauerthema der Übermenschen und Überwesen an, das so manchem Kritiker Unbehagen bereitet hat, aber seine Leser stets in seinen Bann schlug.

Die übrigen Kurzgeschichten sind mal weise, mal witzig, mal wirklich furchteinflößend – eine gute Auslese aus einer bunten Palette, wie sie in den Magazinen der damaligen Pulp Fiction üblich war. Ich empfehle deshalb, Asimovs ergänzende Auswahlbände für die Jahre 1939-1941 sowie 1943 (alle bei |Moewig|) und 1944 (bei |Heyne|) zu lesen, um einen Gesamteindruck von diesem Goldenen Zeitalter der amerikanischen SF zu erhalten. Alle Bände sind heute sehr kostengünstig zu bekommen.

Taschenbuch: 335 Seiten
Originaltitel: Isaac Asimov presents: The great stories 4 (1942) 1980
Aus dem US-Englischen von Eva Malsch.
ISBN-13: 9783811867178

Der Autor vergibt: (4.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Schreibe einen Kommentar