Alle Beiträge von X-Zine

Bunch, Chris – Dunkle Schwingen (Die Drachenkrieger 2)

Nach „Herrscher der Lüfte“ legt Chris Bunch nun mit „Dunkle Schwingen“ den zweiten Teil seines Zyklus um den Drachenmeister Hal Kailas vor. Während der erste Band den Aufstieg des jungen Mannes vom Bauernburschen, der davon träumt, ein Drachenreiter zu sein, zu einem erfolgreichen Offizier schilderte, widmet sich dieses Buch nun seinen Bewährungsproben im Krieg zwischen den Ländern Deraine und Roche und der Rache an dem Mörder seines ersten Lehrmeisters Athelny.

Hal Kailas hat es weit gebracht. Er, der einst in den Dienst der Armee gepresst worden war, ist vom einfachen Soldaten der leichten Kavallerie inzwischen zu einem Anführer der Drachenreiter aufgestiegen und von seinem König in den Adelsstand erhoben worden.

Anders als viele der von Geburt an adligen Heerführer kennt er die Gefahren des Kampfes aus erster Hand und ist deshalb umsichtiger im Einsatz seiner Kräfte und der seiner Kameraden. Deshalb soll er in der nun geplanten Offensive Sondereinsätze fliegen, um den Bodentruppen weitere Vorstöße zu ermöglichen, denn noch immer leisten die Drachengeschwader Roches erbitterten Widerstand.

Doch zunächst geht alles schief. Da Hal zunächst nicht mit seinem eigenen Drachen fliegen kann und auf einen Ersatz ausweichen muss, gerät er durch die Unerfahrenheit des neuen Tieres in die Gefangenschaft der Roche. Er trifft dort nicht nur seinen Todfeind Ky Bale Yasin wieder, der ihn zum Verrat zu überreden versucht, sondern wird auch in ein angeblich ausbruchssicheres Gefangenenlager in einer Burg verbracht.

Eine Flucht scheint zunächst aussichtslos, aber Hal bleibt geduldig, beobachtet und sucht nach Schwachstellen in der Bewachung der Roche. Mit der Hilfe einiger anderer, denen er vertrauen kann, gelingt es ihm, sein Gefängnis hinter sich zu lassen, doch er schwört zurückzukommen und die anderen Derainer dort herauszuholen – ein Plan, den er sofort in die Tat umsetzt, als er wieder bei seinem Geschwader ist.

Und auch später setzt er alles daran, um seinen Teil dazu beizutragen, den Krieg so schnell wie möglich zu beenden, auch wenn er weiß, dass gerade seine Pläne viele unschuldige Menschenleben auslöschen werden. Eines weiß er aber ganz sicher: Wenn er Erfolg haben will, muss er zuallererst Ky Bale Yasin ausschalten, der als eine treibende Kraft auf der Seite des Feindes gilt.

Chris Bunchs Romane um „Die Drachenreiter“ lesen sich mitnichten wie eine Kopie von Anne McCaffreys oder vergleichbaren Romanen, in denen Drachen eine Rolle spielen, denn hier sind diese Geschöpfe nur Tiere, die bis zu einem gewissen Grade dressiert werden können.

Am ehesten kann man die Bücher wohl mit Landser-Romanen vergleichen, die das Leben von Soldaten an einem Kriegsschauplatz oder während einer Kampagne schildern. Menschliche Schicksale werden nicht gefühlvoll ausgewalzt und breitgetreten, sondern nüchtern geschildert, ebenso wie Pläne, die auch das Leben Unschuldiger massiv bedrohen könnten. Die Zerrissenheit zwischen Hals Gewissen und der Notwendigkeit, grausame Entscheidungen zu treffen, wird gut herausgearbeitet.

Heldentum und Pathos sind der Hauptfigur fremd, wichtig ist Hal Kailas nur, dass er und sein Geschwader ohne allzu schwere Verluste durch die nächsten Kämpfe kommen; den Krieg zu überleben, ist alles. Die einzige Freude seines Lebens ist Lady Khiri Carstairs, bei der er so etwas wie Frieden findet.

Insgesamt dürfte der Roman wie sein Vorgänger vor allem denjenigen gefallen, die ein Faible für ausgefeilte Schlachten, ausführlich beschriebene Kämpfe und militärische Schilderungen und sich vielleicht auch schon in Konfliktsimulationen damit beschäftigt haben. Romantik und ausgefeilte Beziehungen sollte man allerdings in diesem Werk nicht erwarten.

|Originaltitel: Dragonmaster, Vol. 2, Knighthood of the Dragons
Aus dem Amerikanischen von Wolfgang Thon|

_Christel Scheja_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de veröffentlicht.|

Nix, Garth – Sabriel (Das alte Königreich 1)

Garth Nix ist Fantasy-Lesern sicherlich durch den Zyklus um „Der Siebte Turm“ bekannt, welcher in den letzten Jahren beim |Dino|-Verlag erschien und sich vor allem an ein jugendliches Publikum richtete, das die Fantasy gerade erst durch Harry Potter, die „Herr der Ringe“-Filme oder entsprechende Computerspiele für sich entdeckt hatte. Jugendliche Helden wurden berufen, um ein düsteres Geheimnis zu lösen und durch die Reise erwachsen zu werden. Auch in seiner neuesten Trilogie müssen sich junge Helden bewähren.

Eine große Bannmauer trennt das Alte Königreich, in dem Magie und Zauberei noch an der Tagesordnung sind, vom technisch viel fortschrittlicheren Ancelstierre. Soldaten bewachen die Grenze, über die immer wieder freie Magie ausbricht und Schaden anrichtet, und lassen nur wenige Grenzgänger durch. Zu ihnen gehört auch Terciel Abhorsen, ein Magier und Nekromant des Alten Königreiches, der als einer der wenigen Garanten für die Sicherheit beider Reiche gilt, da das magisch begabte Herrschergeschlecht des Alten Königreichs vor ein paar Generationen ausgestorben ist.

Seine Tochter Sabriel wächst in Ancelstierre auf. In einem Mädcheninternat hat sie für das Leben wichtige Dinge gelernt und mit ihren Freundinnen viel Spaß gehabt, aber auch ihre Wurzeln nicht vergessen. So zögert sie nicht lange, als sie eine düstere Botschaft erreicht. Ihr Vater Abhorsen ist verschwunden, und an den Grenzen gehen seltsame Dinge vor sich: Die Toten versuchen nach Ancelstierre vorzudringen – es ist fast so, als würde sie eine düstere Macht kontrollieren.

Sabriel weiß, was sie nun zu tun hat. Sie lässt die Schule und ihre Kindheit hinter sich und kehrt in das Alte Königreich zurück, um ihren Vater zu retten. Sehr schnell stellt sie fest, dass sie sich noch einiges an Wissen aneignen muss, um gegen den geheimnisvollen Feind bestehen zu können, denn bei einem Überfall mächtigerer Toter verliert sie fast ihr Leben.

Dank der magischen Katze Mogget, die ihrer Familie schon viele Jahrhunderte dient, erlangt sie die ihr noch fehlenden Kenntnisse. So gerüstet, bricht sie ihrerseits auf, um den Feind herauszufordern. Doch auf dem Weg zu ihrem Ziel muss sie erkennen, dass sie nicht allein ausersehen ist, um die dunkle Macht zu brechen.
Auch der geheimnisvolle Jüngling Touchstone, der für Jahrhunderte in die Gallionsfigur eines Totenschiffes gebannt war, scheint ein Schlüssel zur Lösung des Problems zu sein, denn er ist vom Blut der alten Könige …

Die ersten Kapitel von „Sabriel“ erwecken den Eindruck, es mit einem weiteren Harry-Potter-Klon zu tun zu haben. Denn die Geschichte beginnt in einem englischen Internat, dessen Schülerinnen durchaus mit Magie vertraut sind. Garth Nix macht keinen Hehl daraus, dass Ancelstierre England irgendwann im 20. Jahrhundert ist.

Allerdings verfliegt der erste Eindruck ziemlich schnell und „Sabriel“ entwickelt sich zu einem eigenständigen Werk, das einen sehr eigenständigen Kosmos mit ungewöhnlicher Magie und fantasievoller, düsterer Atmosphäre entwickelt, die stellenweise die Dichte klassischer „Gothic Novels“ erreicht. Auch die Vermischung von Moderne und Fantasy ist gut gelungen und wirkt an keiner Stelle des Romans aufgesetzt.

Mich hat beeindruckt, wie elegant Garth Nix mit einem zwiespältigen Thema wie Nekromantie, d. h. der Totenbeschwörung, umgeht und ihre guten wie auch schlechten Seiten aufzeigt. Magie ist kein schmückendes Beiwerk, sondern das Hauptthema des Buches und nicht immer leicht zu beherrschen, wie Sabriel immer wieder lernen muss. Als Heldin ist sie angenehm normal – immer wieder wird sie in überheblichen Momenten in ihre Schranken verwiesen, kann aber auch durch Erfolge und Siege wachsen.

Auch die Nebencharaktere haben es in sich – Mogget ist nicht unbedingt das, wofür man ihn zunächst halten mag, und die Beziehung zwischen Sabriel und Touchstone bleibt bis zum Ende angenehm kitschfrei.

„Sabriel“ ist nicht nur für Jugendliche spannende Unterhaltung. Garth Nix hat ein interessantes und atmosphärisch sehr ausgereiftes Universum mit komplexer und ausbaufähiger Magie erschaffen, in eine Handlung verpackt, die immer wieder mit neuen und vor allem nicht nur vordergründigen Überraschungen aufwartet. Also Fantasy, in die man ruhig einmal einen Blick werfen sollte, wenn man der Drachen, Elfen und Zwerge einmal überdrüssig ist.

Wem die gebundene Ausgabe von |Carlsen| übrigens zu teuer ist, der kann auch auf die im April 2005 erschienene Taschenbuchausgabe von |Lübbe| zurückgreifen, die in ihrer Aufmachung dem Hardcover in nichts nachsteht, wenngleich das Titelbild dieser Ausgabe viel stimmungsvoller wirkt.

_Christel Scheja_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Brust, Steven – Athyra

„Athyra“ ist bereits der sechste Band der Serie um den Hexer und Assassinen Vlad Taltos, der nicht als strahlender Held sondern mit einem blauen Auge die meisten seiner Aufträge hinter sich bringt. Während die ersten fünf Romane alle noch in der großen Stadt Adrilankha spielten, wo Taltos sich mit Menschen und Dragaeranern herumschlagen musste, und in denen er sich durch die Kontrolle eines Stadtteils noch ein wenig Geld nebenher verdiente, ist dies in diesem Roman Vergangenheit.

Vlad Taltos ist auf der Flucht. Er hat sich einmal zu viel mit den Mächtigen der Stadt Adrilankha und des Imperiums angelegt und alles verloren außer dem nackten Leben: seinen Besitz, seine Stellung im Hause Jhereg und seine Gefährtin.
Trotzdem ist er nicht in Depressionen verfallen und hadert mit seinem Schicksal, sondern macht das Beste aus dem, was ihm geblieben ist. Unaufhörlich auf Wanderschaft, gelangt er schließlich in das Herrschaftsgebiet des Barons Kleineklippe. Der Landstrich ist von sturen Bauern bewohnt, die sich nur widerwillig mit der Regentschaft ihres neuen Herrn abfinden können, denn dieser ist ihnen mehr als unheimlich.

Dort lernt Vlad den jungen Savyn kenne, den Lehrburschen des Heilers. Wie viele Jungen in seinem Alter, träumt er von Abenteuern und Reisen, die ihn weg von seinem langweiligen und den Erwachsenen vorbestimmten Alltag führen, auch wenn er es besser hat als die meisten seiner Freunde.
So ist es für Vlad Taltos einfach, Savyns Neugier zu erregen. Er kennt viele spannende Geschichten und verspricht dem Jungen, ihm die Hexerei beizubringen, im Gegenzug für ein paar Informationen, nachdem ein Mann umgebracht wurde, den er zu seinen Bekannten zählte. Und die sind mehr als wichtig, denn ein Verdacht von Vlad wird dadurch bestätigt: Baron Kleineklippe ist kein anderer als Loraan, ein Magier des Hauses Athyra, der mit ihm ein Hühnchen wegen seiner Ermordung zu rupfen hat und nun als Untoter über noch mehr Macht als früher gebietet.

Es wird ernst, als Attentäter Vlad angreifen und schwer verletzen. Nun muss Savyn handeln und all seine Kenntnisse und Fähigkeiten einsetzen, um ihm zu helfen …

Da Steven Brust die einzelnen Bände seines Zyklus so angelegt hat, dass sie unabhängig voneinander lesbar sind und jeweils ein abgeschlossenes Abenteuer schildern, ist „Athyra“ ist ohne Vorkenntnisse für einen Neuleser verständlich. Wer bereits die anderen Roman kennt, wird aber schnell die versteckten Querverweise zu „Phönix“ (die Gründe für Vlads Flucht aus Adrilankha) und „Taltos“ (die erste sehr kurze Begegnung von Vlad Taltos mit Loraan) wiedererkennen.

Anders als die anderen Romane spielt „Athyra“ nicht im Herzen des dragaeranischen Reiches, sondern in einem verschlafenen Dorf – und was noch auffälliger ist, anstatt die Geschichte aus der Ich-Perspektive seines Helden zu erzählen, betätigt sich Steven Brust diesmal als unabhängiger Erzähler in der dritten Person, was etwas befremdlich wirkt – lernen wir Vlad diesmal doch aus den Augen dritter Personen können und erfahren nicht viel über die Gedanken hinter seinen schnoddrigen Äußerungen. Das ist manchmal etwas gewöhnungsbedürftig, wenn man sich an die früheren Bücher gewöhnt hat, mindert aber nichts an der Spannung der Geschichte.

Der Autor erzählt nicht von strahlenden Helden und epischen Abenteuern, seine Romane lassen sich mit den Krimis der „Schwarzen Serie“ vergleichen. Hier werden die Auswirkungen und Zaubern und Kämpfen nicht beschönigt oder umschrieben, sondern sehr realistisch und schmutzig dargestellt. Vlad Taltos ist ein Zyniker, der meistens erst einmal vom Schlechtesten ausgeht und froh ist, wenn er eine Sache hinter sich gebracht hat, der seine schwarze Seele nicht hinter Masken versteckt und erschreckend ehrlich ist. Im Gegensatz dazu steht der naive und unerfahrene Savyn, der die Lektionen in seinem Leben erst noch lernen muss.

Das macht den besonderen Reiz dieses Romans aus, der zwar keine neue Geschichte, dafür aber aus einem besonderen Blickwinkel erzählt und über lebendige Menschen erzählt, die mehr als nur Archetypen oder oberflächliche Schemen sind, die die Handlung tragen.

Wer jedenfalls ein Faible für düstere, schmutzige Fantasy hat, ohne gleich mit exotischen Waffen durch actionreiche Blutbäder und Metzeleien waten zu wollen, der wird an Steven Brusts Romanen sicher seinen Spaß haben.

_Christel Scheja_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de veröffentlicht.|

Rößler, Armin (Hrsg.) – Überschuss

Bereits in die dritte Runde geht die Anthologiereihe des |Wurdack|-Verlages. Leider sind „Deus Ex Machina“ und [„Walfred Goreng“, 844 die Vorgänger dieser Anthologie, an mir vorüber gegangen, aber wenn „Überschuss“ eine konsequente Fortsetzung in Auswahl und Präsentation darstellt, sind auch die ersten beiden SF-Kurzgeschichten-Sammlungen eine nähere Betrachtung wert.
Der Herausgeber Armin Rößler spricht im Vorwort von einer Bewegung im Kurzgeschichtenbereich, von einer „positiven Entwicklung“. Diese ist an eine kreative Schicht von Autoren gebunden, die sich aktiv um eine Veröffentlichung ihrer Werke bemühen und dabei zunächst nicht mit den großen Serien an die Öffentlichkeit treten, sondern ihre Ideen in kurzen Geschichten ausformulieren und dabei ein in Deutschland wenig genutztes Sprungbrett für sich entdecken, das besonders durch den fehlenden Markt für Pulp- und SF-Magazine wenig Aussicht auf Erfolg verspricht.
Aber vielleicht ist auch nur die Zeit der großen Verlage vorbei, die neben |Star Trek| ab und zu ein Erstlingswerk wagen.
Also her mit den Autoren der neuen deutschen Literatur!

Die Titelgeschichte von Torben Kneesch präsentiert eine Methode zur Entsorgung menschlichen Überschusses, die die Motive von Zeitreise und Kälteschlaf mischt. Nicht wirklich neu, aber in seiner logischen Konsequenz sehr gut vorstellbar. Eigentlich fehlt nur die Technik, sonst könnte Kneeschs sarkastische Vision Realität sein.

Ähnlich dicht an die bekannte Welt lehnt sich auch Lutz Herrmanns „Der Irrtum“ an. Kaltes Managergehabe in einer gefühlsarmen Welt. Der Sieg des kleinen Mannes hinterlässt einen fahlen Geschmack, die Story bleibt im Grunde pessimistisch. Solide, wenn auch wenig inspirierend.

„Barrieren“ von Armin Rößler hat es schwer. Der Stoff ist für eine Kurzgeschichte eigentlich zu umfangreich. So bleiben zu viele Fragen übrig. Die Hauptfigur, die hier eine kolossale Weiterentwicklung der Evolution symbolisiert, bleibt ungewohnt blutarm.

Fritten ins Weltall schießt Birgit Erwin mit ihrer Groteske „Nur ein Gedanke“. Witzig, überraschend und kurz. Definitiv eine Glanzleistung der spacigen Frittierkunst.

„Der Spaziergang“ von Markus K. Korb überzeugt in der präzisen und detailgetreuen Beschreibung eines „Lost in Space“-Erlebnisses. Allerdings hinterlässt diese kurze Skizze keine bleibenden Eindrücke, es fehlt ihr die Idee für eine Geschichte.

Die Mediensatire „Der Untergang der Titan“ von Bernhard Weißbecker verhilft den öffentlich-rechtlichen Sendern zu unverhoffter Unterstützung. Das unmenschliche Gerangel um die Übertragungsrechte der letzten Stunden einer vom Untergang bedrohten Raumschiffbesatzung ist pointiert und absolut realistisch in Szene gesetzt.

Andrea Tillmanns begleitet in „Nicht ganz Atlantis“ ein junges Mädchen, das die Grenzen ihrer Welt kennen lernt. Eine unaufdringliche Erzählung, die besonders durch die einfühlsame Sprache auffällt und dabei dennoch ein gewichtiges Thema angeht: Die menschliche Zivilisation ist nur eine hauchdünne Schicht über den Trieben des Tieres Mensch.

Eine rabiate Art zukünftiger Bestrafungen präsentiert Peter Hohmann in „Strafvollzug“: Den Delinquenten wird das aufgebrummte Strafmaß in Form von Lebenskraft entzogen. Leider ist der Plot selbst zu vorhersehbar und wenig fesselnd.

In „Wider Willen“ werden Tradition und Familienehre einer Kolonialwelt in Frage gestellt. Mit drastischen Mitteln versucht ein Vater, seinen Sohn zu einer Vernunftehe zu zwingen, allerdings gibt es genau gegen diese Ehen ein Gesetz; man soll nur aus Liebe heiraten. Die Geschichte lässt den Leser irritiert zurück, handelt es sich doch um eine unübliche Science-Fiction-Story, die am ehesten noch mit einer „Darkover“-Erzählung zu vergleichen ist.

Der Horror geht um im „Festtagsprogramm“ von Thorsten Küper. Die Raumstation Lowell ist Schauplatz einer grausigen Auseinandersetzung, die actionreich, mit Sarkasmus und einer gehörigen Menge Blut unter die Haut geht. Die Darstellung ist dabei sehr plastisch, was der Atmosphäre zugute kommt.

Nina Horvaths „Spirale“ ist ein kurzer philosophischer Moment. Wenn auch wenig passiert, enthält die Kurzgeschichte genau jene Nachdenklichkeit, die nach dem gruseligen „Festtagsprogramm“ angebracht scheint. Die Frage, inwieweit das Leben in vorgefertigten Abläufen stagniert, und wie man diese durchbrechen kann, ist eindringlich bearbeitet worden.

„Der Besucher“ ist ein Alien vom Planeten Xeracox, der die Erde bereist und dort so seine Erfahrungen macht. Die leichtfüßige Geschichte von Uwe Herrmann macht Spaß, ohne dabei mehr zu wollen.

Da hat es der Besucher in „Albas bestes Spiel“ von V. Groß schon schwerer. Um sein Leben wird gespielt. Die Geschichte ist solide, beschränkt sich aber mehr auf die Personen als auf eine tatsächliche Story.

Edgar Güttge bleibt seinem Ruf als Meister der Groteske treu. „Flasken“ ist eine großartige Parodie mit bösen Seitenhieben, neckischen Einfällen und einer temporeichen Erzählweise, die begeistert. Für mich ist Güttke eines der großen erzählerischen Talente unter den unentdeckten Autoren.

Nicht minder hochwertig geht es mit Ilka Sehnerts „Das Buch“ weiter. Im Autorenkästchen, deren Präsenz zu Beginn jeder Geschichte zunächst irritiert, aber zunehmend interessanter wird, stellt man die Schauspielerei der Autorin als Ursache für ihren knappen und rhythmischen Sprachstil dar. Tatsächlich fällt er aus den Rahmen der übrigen Texte; von graziler Schönheit, ist die Wiederfindung einer natürlichen Fortpflanzung auch inhaltlich ein Glanzstück dieser Sammlung.

Die Realität in Frage stellt Bernhard Schneider in „Der Bewohner“. Die Geschichte zielt auf die Pointe ab und ist trotz des bereits arg strapazierten Themas lesenswert.

Die dritte herausragende Geschichte der Anthologie ist Antje Ippensens „Alles wandelt sich“. Die grüne Evolution wird in treffsicheren Bildern und Wortspielen ausgeführt, sie wächst quasi zur vollen Blüte. Es ist bewundernswert, wie leicht der Autorin der Umgang mit dem pflanzlichen Sujet fällt, wie einleuchtend ihr die GRASWURZELDIMENSION (welch Wort!) gelingt.

Uwe Sauerbrei beschreibt eine etwas andere Art der Verwandlung in „Allmacht“. Aus einer sehr genau und detailliert dargestellten Alltagszenerie heraus entwickelt er eine Mutation über den menschlichen Status Quo hinaus, bis die Grenzen der Schöpfung erreicht werden. Nach dem außergewöhnlichen Besuch der GRASWURZELDIMENSION erscheint die Erzählung etwas bieder.

Die Anthologie endet abrupt mit der „Fallstudie: Terroristin Jenny S.“ von Heidrun Jänchen. Hier wird recht gefühlvoll die Auswirkung einer rigiden Einsetzung der Klontechnologie beschrieben. Jenny Seidel gerät in die Zerhacker einer genmanipulierten Gesellschaft, in der es normal ist, Klone als Ersatzteillager zu halten. Mit dieser bedrückenden Geschichte verschiebt sich die Waage der besonders guten Geschichten in dieser Anthologie noch weiter hin zur weiblichen Seite.

„Überschuss“ ist besonders im zweiten Teil eine Sammlung überaus interessanter und beeindruckender Erzählungen und Shortstorys. Armin Rößler und der |Wurdack|-Verlag sorgen dafür, dass der deutsche SF-Markt eine kreative Unterfütterung mit dem Nährboden guter Phantastik erhält: Brillante Kurzgeschichten.

© _Ralf Steinberg_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de veröffentlicht.|

Heitz, Markus – 05:58

„Poolitzer“ is back in the ADL und zu Besuch bei seinen Freunden, dem Ex-Nega-Magier Xavier, dessen Geliebter, der hermetischen Magierin Cauldron, und dem Troll Ultra. Zufälligerweise treibt im Stuttgarter Raum gerade ein Serienmörder sein Unwesen, welcher den Modus Operandi berühmter Vorbilder wie Jack The Ripper (und anderer) akkurat imitiert. Gleichzeitig wird die Modeszene der Metropole durch Fememorde in Unruhe versetzt. Gospini wäre nicht Poolitzer, wenn er nicht eine große Story hinter dem Geschehen vermutete. Bedauerlicherweise fühlt sich sein Chummer Ultra dazu berufen, auf den Spuren seines großen Idols zu wandeln und selbst Journalist zu werden. Und so stürzt sich Serverin Timur Gospini in die Ermittlungsarbeit, im Schlepptau einen riesigen Troll in schrillem Outfit.

Doch wie immer sind ihm Glück und Zufall hold; diesmal in Person des Hypnotiseurs Guru Mahatma Citta aka Ranjit Felix Ficker II. Während einer Vorstellung ging ein Trick schief und dem Künstler kam ein hypnotisierter Zuschauer abhanden, welcher nun zu einem in Serie killenden Zeitgenossen mutiert sein könnte. Gut nur, dass Severin Timur Gospini so gute Kontakte zu den örtlichen Polizei-Behörden, vertreten durch den mittlerweile zum BKA beförderten Vigo Spengler, hat. Das sollte die Angelegenheit zu einem Spaziergang machen, … meint man.

Während die Reporter ihrer Arbeit nachgehen, haben Xavier und Cauldron andere Sorgen. Xavier geht es richtig mies, weil er seine Nega-Magie-Fähigkeiten eingebüßt hat und auch ansonsten körperlich unter den Nachwirkungen des letzten Abenteuers (in „Aeternitas“) leidet. Cauldron fühlt sich berufen, den Geist einer jungen Magierin vor der Vernichtung zu bewahren. Dazu bedarf es allerdings der Hilfe einer Todfeindin, der Gestaltwandlerin Abongi, welche selbst von einem äußerst mächtigen und bösartigen Elementar besessen ist (vgl. „Aeternitas“).

„05:58“ ist der fünfte Shadowrun-Roman von Markus Heitz, dessen belletristischer Output sich quantitativ mittlerweile mit dem anderer Vielschreiberlinge der deutschen Phantastik-Szene messen kann. Da sich Millionen von Fliegen nicht irren können, ist es auch der fünfte Band, in dem Severin Timur Gospini „Poolitzer“ sein enthüllungsjournalistisches Unwesen treiben darf. Ließen sich im vierten Teil, „Sturmvogel“, noch mit viel gutem Willen und nach mehreren Klaren gesellschaftskritische und politische Anspielungen ausmachen, so zeichnet sich „05:58“ durch eine triviale 08/15-Story aus. In wenigen Worten lässt sich diese Buch wie folgt kennzeichnen: Locker-flockig leichte Lesekost, routiniert zusammengeschrieben und so sättigend wie ein Papadam; „Gute Zeiten – Schlechte Zeiten“ in Buchform; magere Protagonisten in einer hanebüchenen Story; Atmosphäre, so fesselnd ist wie ein Werbeclip für Hühneraugenpflaster. Viele Leser – dieselben, die Wolfgang Hohlbein für einen begnadeten Literaten halten – werden dieses fade, deutsche Curry-Gericht lieben. Ich nicht!

Zu allererst vermisse ich das Spezifische und die Düsterheit des Backgrounds. Oberflächliche Bezüge – und mehr als das wird man kaum finden – machen noch keinen Shadowrun-Roman, ein bisschen Riggen, Decken (nein, nicht die Dame von nebenan) und Zaubern noch keine fesselnde Story, wobei es alleine Cauldrons „Auftritte“ sind, die dem Buch den zarten Hauch eines Dark-Science-Fantasy-Elementes verleihen.

Der Rest der Geschichte ist so austauschbar und beliebig wie die Protagonisten. Diese sind nicht mehr als Abziehbilder, leidlich animierte Strichmännchen, die sich verbal Sahnetorten ins Gesicht schmeißen. Zugegeben: Poolitzer und seine Chummer kennen wir schon aus den vorangegangenen Bänden und insofern brauchten sie keine sehr detaillierte Zeichnung, aber das entschuldigt nicht, sie bar jeglicher nachvollziehbarer Motivation durchs Bild taumeln zu lassen. Ich konnte weder die Beweggründe für Ultras vorübergehende Journalimus-Fixierung, noch Cauldrons helfende Zauberhand, Fickers Persönlichkeitsstörung oder das Handeln des Slashers nachvollziehen, denn auch hier begnügt sich Heitz mit oberflächlich konstruiert wirkenden Erklärungen, mit Trivialitäten wie beispielsweise einer juckenden Journalistennase oder obskuren Mutterinstinkten.

Das „Originelle“ in diesem Buch beschränkt sich auf zwei Story-Twists gegen Ende und einige vermeintlich lustige Namen, von denen „Fritz Ficker“ sehr schön den dumpfen, trashigen Humor des Autors (oder des Publikums?) illustriert.
Weniger wäre mehr gewesen! Weniger Protagonisten, weniger Handlungsstränge, weniger Oberflächlichkeit, weniger Zufälle. Stattdessen Konzentration auf das Wesentliche oder wenigstens auf irgendetwas, denn für sich genommen bietet jeder der Stränge ausreichend Potenzial für eine atmosphärisch dichte, glaubwürdige Geschichte. So aber ist „05:58“ einer der schwächsten Shadowrun-Romane der letzten Jahre.

Ein belangloser, uninspirierter Shadowrun-Roman, der zwar routiniert heruntergeschrieben wurde, den ich aber auf Grund der fehlenden Atmosphäre und der „soapigen“ Handlung guten Gewissens nicht einmal Shadowrun-Fans empfehlen kann. Wahrscheinlich werden sich aber genug Leser finden, die dieses Werk als gelungen ansehen. Schade!

_Frank Drehmel_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de veröffentlicht.|

Lawhead, Stephen – Sohn der grünen Insel, Der

„Der Sohn der grünen Insel“ ist ein üppiger Historienroman aus der Zeit, in der auch der neuere „King Arthur“-Film spielt. Die Römer sind nur noch auf Abruf in Britannien, die Zeit der Römer geht ihrem Ende zu, die Völkerwanderung und die Missionierung mit dem christlichen Glauben gehören zu der Zeit, zu der dieser Roman von Stephen Lawhead spielt.

Dies ist die Geschichte von Succat, einem jungen Britannier aus römisch-patrizischem Hause. Der ist eigentlich ein ziemlich verwöhntes Etwas, säuft und hurt sich durch die Gegend, immer gesponsert von Papa. Aber das geht auf radikale Weise zu Ende: Iren überfallen die britische Küste, brandschatzen das Dorf in der Nähe seines Gutes und später auch dieses selbst. Succat gerät in Gefangenschaft und wird Sklave von König Milliucc. Einem alten Schäfer als Helfer zugeordnet, brennt der junge Mann aus gutem Hause dringend auf Flucht, doch gelingt diese gleich dreimal nicht, was jedes Mal mit üblen Prügeln endet. Vom Hirten Madog lernt er Irisch, die schöne Sionan erobert sein Herz und lange spricht er mit Cormac, einem jungen Barden und Druiden und Bruder von Sionan. Bald dient er dem örtlichen Druidenhaus, macht sich dort zwar auch einen Feind, überzeugt aber auch den Ollamh, den Oberdruiden Datho, davon, dass es sich lohnen würde, den jungen Römer zu einem Druiden zu machen.

Durch viel Trouble kommt Succat aber wieder von seinem Weg ab, kehrt zurück nach Britannien, findet seine Freunde der Jugendzeit wieder, wird Legionär und sogar Centurio, kommt nach Rom und wird Quästor, heiratet und zeugt eine Tochter, und doch wird er nach Irland zurückkehren, und dort soll er noch eine wichtige Rolle spielen.

Das ist schon eine komplexe Geschichte, die Lawhead aus Succats Perspektive erzählt. Und auch wenn dieser am Anfang ziemlich unsympathisch ist, fiebert man doch bald mit ihm mit. Wie sich das für einen Roman gehört, macht der Held eine Wandlung durch, und die ist ein paar Klassen heftiger, als das gewöhnlich der Fall ist. Auch die Nebencharaktere sind gut gezeichnet, nicht die üblichen Holzschnitttypen. Allerdings fehlt dann doch ein bisschen die Ansprache des Gefühls, der Gesamteindruck ist doch ein wenig kühl, was für einen Roman aus der Ego-Perspektive eher ungewöhnlich ist.

Das Buch atmet Tiefe; da wurde offenkundig richtig gut recherchiert, der Autor trumpft nicht nur mit ein bisschen Latein, sondern gleich mit einigem Altbritisch und Altirisch auf, beschreibt, was das Zeug hält, und ist mit dieser Welt völlig in seinem Element. Vielleicht hat er dann doch hier und da mehr recherchiert, als er hätte unterbringen sollen, vielleicht liegt es aber auch an seinem etwas trockenen Stil, dass dieses Buch nicht der ganz große Knaller ist. Auf der anderen Seite ist „Der Sohn der grünen Insel“ auch kein schlechtes Buch, Lawhead erschafft eben auch diese unglaubliche Welt, er hält eine brauchbare Spannung, die allerdings vom Klappentext übel torpediert wird, denn alle Wegpunkte sind dort vorgezeichnet. Da hat irgendwer bei |Lübbe| des Guten definitiv zu viel getan.

Der eigentliche Clou dürfte den meisten Lesern ein wenig abgehen. Succat wechselt auch seinen Namen immer wieder mal und am Ende nennt er sich Patricius. Das ist kein Clou? Richtig, aber im englischen Original heißt das Buch „Patrick – Son of Ireland“ – also ist Succat vermutlich der irische Nationalheilige St. Patrick – na, darauf ein Guinness.

Sehr schöne Aufmachung, üppige 684 Seiten und sogar ein Lesebändchen, diese gebundene Ausgabe lohnt ihren Preis von 24,50 Euro. Ein Buch für Fans von St. Patrick und überhaupt von historischen Romanen.

_Holger Hennig_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de veröffentlicht.|

Alpers, Hans J. / Fuchs, Werner / Hahn, M. Ronald / Munsonius, Jörg M. / Urbanek, Hermann – Lexikon der Fantasy-Literatur

Das „Lexikon der Fantasy-Literatur“ auspacken, heißt zuerst einmal: Gewicht stemmen! 1.600 Gramm lebendige Fantasy wuchtet das Autorenteam auf die Waage. Der erste Eindruck ist bekanntlich oft der gewichtigste, aber bei diesem Lexikon trifft das eben in besonderer Weise zu. Dagegen sehen Schmalschinken wie das selige „Lexikon der Science-Fiction-Literatur“, das anno dazumal im |Heyne|-Verlag erschien, auf den ersten Blick ein wenig schwach auf der Brust aus, doch ein zweiter Hingucker relativiert die Euphorie: Heynes Büchlein im Taschenformat umfasste knapp 1.300 Seiten. Na ja, behandelt werden 400 Autoren, dieses Fantasy-Lexikon dürfte numerisch mehr zu bieten haben (nein, ich zähle nicht nach, und einen Hinweis auf die Anzahl der Autoren habe ich nirgendwo entdecken können).

Wo ich gerade von Format spreche, sollte nicht unerwähnt bleiben, dass |FanPro| sich nicht hat lumpen lassen. Das Lexikon kommt in einer sehr stabilen, offensichtlich für dauerhaften Gebrauch konzipierten Gestaltung mit sehr schön aufbereiteten Cover und einer soliden Verarbeitung daher. Während eben Gebrauchsbücher wie das eben genannte SF-Lexikon rasch aus den Fugen geraten, spricht bei |FanPro|s Foliant vieles dafür, dass es bis zu einer möglichen Neuauflage seine ansehnliche Form beibehalten wird. Bei dem zu Recht verlangten Preis käme mir das sehr entgegen.

Gleich zum Preis, denn ob ich zu Anfang die Leut erschrecke oder zum Schluss: gesagt werden muss es. 60 Euronen sind kein Pappenstiel und schnell mal aus der Portokasse rausgeschüttelt. Umgerechnet sind das beinahe passgenau drei vom neuen Hohlbein („Anubis“ zu 19,90). Mal nachgedacht: auf den Hohlbein verzichtet, dann noch zwei andere Bücher in der selben Qualitätslage, die ich nach einmaligem Lesen vielleicht zufrieden, vielleicht auch nicht beiseite lege und für immer vergesse, stattdessen einen richtig spannenden Schmöker gekauft namens „Lexikon der Fantasy-Literatur“ … das lässt sich wahrlich überlegen. Mir jedenfalls fiele die Entscheidung förmlich in den Schoß, und sie wöge 1,6 Kilo …

Aber für einen solchen Kauf bedarf es guter Gründe. Einer wäre, |FanPro| für das lobenswerte Wagnis zu belohnen, in Zeiten des allgegenwärtigen Internets und der grassierenden Googlemanie, die den Bedürftigen mit Informationen zuschüttet, jedenfalls vieles zugänglich macht, was bislang verborgen oder nur schwer erreichbar war. Brauche ich das Lexikon als Interessierter dann überhaupt?

Ich bin mir sicher: ja! Ich recherchiere auch gerne und manchmal zu häufig via Internet. Es kommt – die Erfahrung macht ein jeder – sehr viel zusammen, was sich gar nett liest, ausgedruckt ergäbe das für einen x-beliebigen Autor beispielsweise, dem man einen Nachmittag über die ganze Welt hinterherjagt, gleich einen netten Stapel an Papier. Infos in Hülle und Fülle – aber ist das sinnvoll? Leider nicht immer, einerseits sind viele Informationen nicht verifiziert, jeder Hansel (Entschuldigung, wenn sich jemand angesprochen fühlt) kann nun geradewegs behaupten, Arnie Schwarzenegger sei der Autor der Conan-Geschichten über einem österreichischen Bauern-Barbaren, der gar nicht fiktiv ist, sondern lebt, und wer den sehen möchte, müsse nur das Fitness-Center am Fiaker-Markt frequentieren. Okay, deutlich gesagt: Wer gibt mir die Sicherheit, dass die Informationen von Hinz und Kunz zutreffen, echt sind, verlässlich? Niemand, und deshalb genügt eine schnelle (oder auch zeitraubende) Internet-Recherche nicht, um zuverlässig Details herauszuarbeiten.

Beim vorliegenden Print-Lexikon gehe ich davon aus, dass durch den profilierten Mitarbeiterstab eine gewissenhafte Aufarbeitung des Datenmaterials erfolgt ist, demzufolge alle Inhalte so weit stimmen und ich mich darauf verlassen kann, die Angaben auch zitieren zu können. Bei Internet-Informationen dünkt mir das eher ein Drahtseilakt zu sein, bei dem ich permanent ganz schön auf die Schnauze fallen kann.

Der profilierte Mitarbeiterstab bedarf einiger Worte, obwohl die Erwähnung von Alpers, Hahn und Urbanek jedem Kundigen den Pfad aufzeigt: da sind Urgesteine der phantastischen Sekundärliteratur (und darüber hinaus) am Werke, die sich im Genre auskennen und wissen, wo es langgeht. Sie werden begleitet von weiteren Mitarbeitern, die sich der Legion an Autoren angenommen haben: Dr. Florian F. Marzin, Heinz Jürgen Galle, Gustav Gaisbauer oder Dr. Franz Rottensteiner sind, wie die Mehrzahl der übrigen auch, so lange im Metier unterwegs, dass erstklassige Arbeit erwartet werden darf.

Diese Arbeit eröffnet sich dem Leser natürlich erwartungsgemäß. Die Autoren werden alphabetisch sortiert gelistet. Bei Pseudonymen erfolgt ein Verweis auf den Autor; unter Pseudonym geschriebene Titel werden entsprechend zugeordnet und benannt. Ein erläuternder Text befasst sich in unterschiedlichem Umfang mit den wichtigen Werken. Danach folgen die deutschen bibliographischen Einträge, wobei Serien gesondert aufgeführt werden. Fremdsprachige Veröffentlichungen eines Autors werden unter diesen Einträgen nicht gelistet (was auch wegen des Umfangs gar nicht möglich wäre), die Originalveröffentlichungen werden jedoch im biographischen Teil genannt. Sollte ein Autor Genre übergreifend tätig sein, werden nur seine Fantasytitel aufgeführt.

Sachbücher, die für die Fantasy-Literatur von Bedeutung sind (zum Beispiel Dr. Helmut Pesch: „Fantasy – Theorie und Geschichte einer literarischen Gattung“), wurden als Ausnahmen ebenso eingebunden. Einige Autoren ohne deutsche Veröffentlichungen wurden wegen ihrer Bedeutung gleichfalls aufgenommen.

Im Anhang notiert wurden weiterhin wichtige Fantasy-Preise und ihre Preisträger („Deutscher Fantasy Preis“, „Phantastik-Preis der Stadt Wetzlar“, „World Fantasy Award“) sowie eine Auflistung der Serien mit Fantasythema.

Den Einstieg in die Materie gewinnt der Leser durch vier Artikel von Florian F. Marzin und Rainer Nagel: „Quellen der Fantasy-Literatur“ (Marzin), „Die Geschichte der Fantasy-Literatur“, „Reiche und Welten der Fantasy-Literatur“ und „Die Artuslegende“ (jeweils Nagel).

Der Stoff reicht für nächtelanges Lesen! Und es macht wirklich Freude, einfach aufs Geradewohl durch die Seiten zu wandern, irgendwo springt einem doch wieder ein Fakt ins Auge, den man so nicht kannte oder nicht mehr in Erinnerung hatte. Zudem ist es erstaunlich, wie viele deutschsprachige Autoren Fantasyromane geschrieben haben – wobei ein Bonmot des Lexikons dabei augenscheinlich wird. Es wurden nicht bloß die großen Verlage wie |Heyne|, |Goldmann| oder |Klett-Cotta| mit Aufmerksamkeit bedacht, sondern auch die als „Book on Demand“ oder in Kleinverlagen erschienenen Bücher. Wer dabei desavouiert knurrt, dass die Leserschaft solcher Romane so überschaubar ist wie der Big-Brother-Zoo, der sei besänftigt: ich hab lieber ein wenig zu viel, als ein bisschen zu wenig. Autorenbeschreibungen, die mich nicht interessieren, die kann ich ignorieren. Autorennamen, die dagegen wichtig sind und fehlen, die würde ich schmerzlich vermissen. Nach meinem Dafürhalten ist das Lexikon wirklich umfassend, ich wäre aber nicht überrascht, wenn wegen der Unüberschaubarkeit des Genres nicht doch der eine oder die andere Autorin durchgerutscht wäre (aber davon wird der Verlag sicherlich schnell informiert, wie ich die sehr wissende Leserschaft einschätze).

Nach diesen lobenden Worten könnte vielleicht doch die Frage auftauchen, ob es nicht irgendetwas zu mäkeln geben würde. Na ja, es muss ja noch etwas zu verbessern geben …

Beispielsweise hätte ich mir mehr Ausführlichkeit bei den vier Artikeln gewünscht. Wenn schon sekundärliterarische Beiträge, dann ähnlich ausgiebig wie im zuvor erwähnten Science-Fiction-Lexikon, bei dem diese Kapitel knapp 140 Seiten aufs Papier bringen. Okay, da mag dann der Preis die entscheidende Rolle spielen, aber etwas dezidierter hätten die Ausführungen zu den einzelnen Subgenres „High Fantasy“, „Heroic Fantasy“, „Dark Fantasy“ und so weiter ausfallen können (wodurch zeichnet sich „Sword & Sorcery“ aus, welche Vertreter repräsentieren die Linie von ihren Anfängen bis heute), damit ein Nicht-Fantasy-Fachmann die einzelnen Autoren und ihre Werke eindeutig bewerten kann. Rainer Nagel pflegt dies in seinen Beitrag „Die Geschichte der Fantasy-Literatur“ zwar ein, überlässt aber dann die Definition beispielsweise von „epischer Fantasy“ dem Leser. Das sagte mir beim SF-Epigonen doch besser zu, bei dem Spielarten wie die „Space Opera“ durchaus eingehend begutachtet und auch in ihren Ausprägungen bewertet wurde.

Bewertungen der Romane sucht man im Übrigen meist vergebens, weil dies auch nicht unbedingt beabsichtigt war, wie die Herausgeber im Vorwort betonen: „Die Information steht dabei über der kritischen Bewertung.“ Das ist in Ordnung, aber andererseits auch schade. Ich hätte sehr gerne einige sicherlich nicht unsüffisante Bemerkungen von Ronald M. Hahn gelesen, bei dem ich eine eher kritische Haltung zur Fantasy erwarte. Wie amüsant etwas Derartiges sich dann liest, beweist „Das neue Lexikon des Horrorfilms“ …

Viele Portraits zieren Fotos der Autoren, aber nach meinem Geschmack hätten die besonders bei den zeitgenössischen Vertretern etwas reicher an Land gezogen werden können. Insbesondere bei den deutschen Autoren sollte dies doch möglich sein. Es lockert ja nicht nur auf, sondern untermalt auch das Bild vom Autor, das sich beim Leser aufbaut und das sich hinter der Biographie verbirgt.

Und warum Robert Jordan ein Schattendasein mit einer mageren Randnotiz fristet, obwohl seine „Wheel of Time“-Serie ohne Frage internationale Relevanz für die Fantasy besitzt (und wovon die unzähligen Internetseiten beredt Zeugnis ablegen, die sich speziell mit der Welt beschäftigen), Wolfgang Hohlbein dagegen 2 ½ Seiten in Beschlag nimmt, das ist eines der großen Mysterien der Fantasy-Literatur. Na ja, es veranschaulicht eben, dass manche Beiträge auch sehr von den Vorlieben oder Nachforschungen der Lexikon-Verfasser abhängig sind.

Und: Der Redaktionsschluss ist mir entweder durch die Lappen gegangen – oder er fehlt als Angabe doch tatsächlich. Der gehört aber in ein solches Werk, um den Stand der Aktualität erfassen zu können.

Natürlich sind das Peanuts, die unter den Tisch fallen, wenn das Lexikon in seiner Gesamtheit betrachtet wird. Und dabei gibt es nichts zu deuteln, das „Lexikon der Fantasy-Literatur“ ist ein bedeutendes Stück Sekundärliteratur, das sich zwischen Tolkien und Leiber so richtig wohl fühlt –am liebsten aber durchgeblättert werden will. Diejenigen Fantasy-Leser, die über das reine Konsumieren hinaus Interesse an der Literatur haben, etwas erfahren wollen über die Autoren und ihr Schaffenswerk, Nachschlagen möchten, wer wann welche Bücher beim Verlag publizierte, der wird bestens verköstigt. Ein dicker Prachtband, der rundum satt macht.

Und bitte keine Ausflüchte von wegen „teuer“: Dieses Lexikon gehört einfach in jeden Bücherschrank.

_Karl-Georg Müller_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de veröffentlicht.|

Powers, Tim – Declare – Auf dem Berg der Engel

Am 2. Januar 1963 wird Andrew Hale, nach 14 Jahren ruhigen Berufslebens als Dozent in Oxford, von James Theodora, der Grauen Eminenz des britischen Geheimdienstes. wieder einberufen und unter höchst konspirativen Umständen nach London verbracht, wo er vom Geheimdienstchef und Premier MacMillan persönlich mit der Beendigung des Geheimauftrages DECLARE beauftragt wird. Dringende Umstände, unter anderem eine bevorstehende russische Geheimaktion, in die auch der britische Doppelagent Kim Philby verwickelt ist, machen es notwendig, dass Hale sich unter der rasch ersonnenen Tarnung, sich der drohenden Verhaftung durch den MI5 durch einen Doppelmord entzogen zu haben, nach Kuweit absetzt und den Kontakt zu dortigen russischen Agenten sucht.
Bereits in der Vergangenheit, sogar seit seiner Kindheit, war Hale in Kontakt mit „den Leuten der Krone“; dorthin gebracht von seiner Mutter selbst, stand doch auch der Vater des in Palästina Geborenen in deren Diensten. Nach Erziehung in einem katholischen Jugendheim ging er nach Oxford, schloss sich einer kommunistisch orientierten Studentengruppe an und wurde alsbald als Neunzehnjähriger ins besetzte Paris des Jahres 1941 eingeschleust. Dort trifft er die spanische Bürgerkriegswaise Elena, die bereits eine Agentin für die Russen ist, und verliebt sich in sie. Anfang 1942 entkommen sie nur knapp (und unter mysteriösen Umständen …) der Verhaftung durch die Gestapo. Über Lissabon zurück in England, versucht Kim Philby, bereits damals als Doppelagent tätig, ihn vergeblich auszuschalten. Nach einigen Jahren in höchst geheimen Archiven muss Hale im Sommer 1945 in Berlin erneut in den aktiven Dienst, wo er Elena wiedertrifft, aber auch seine mysteriöse Aufgabe (die Platzierung eines Steines an der russischen Sektorengrenze) unter Lebensgefahr (und nicht nur von Seiten der Russen) erfüllt. Nach wiederum einigen Jahren als Außerdienstleiter in Arabien leitete er 1948 den Beginn der Operation DECLARE, die von britischer Seite mit einem völligen Debakel endete; fünf Geheimdienstmitarbeiter sterben in der Osttürkei, zusammen mit einigen aus Russland eingeschleusten Agenten, deren Pläneebenfalls nicht erfüllt wurden. Von diesem „Versagen“ damals noch immer frustriert, muss er sich erneut der höchstgefährlichen Mission widmen, und wiederum ist Kim Philby sowohl sein Mit- wie sein Gegenspieler; doch bei aller Verschlagenheit: Philby ist nur ein Mensch, und die Gefahren in diesem Fall lauern ganz woanders, hoch droben auf dem „Berg der Engel“…

Das ist ein großes Buch.
Man muss die Handlungsbeschreibung entsprechend knapp und geschraubt formulieren, denn verrät man einige Schlüsselworte, kann man sich leider bereits ausmalen, worum es geht. Schon die Äußerlichkeiten lassen einiges ahnen. Der Klappentext vermeldet: „(Tim Powers) … schrieb einen beispiellosen Roman, der sowohl Spionagethriller wie auch Horrorroman à la Clive Barker ist, aber auch eine Liebesgeschichte und ein episches Abenteuer“. Die letzten beiden Bezeichnungen sind leicht übertrieben, aber die Mischung aus Spionageroman und Übernatürlichem erkennt man bereits auf dem kargen, aber symbolhaften Titelbild, das eine Gewehrpatrone mit dem roten (esoterischen) Zeichen des Ankh, des ägyptischen Henkelkreuzes zeigt.
Das Buch ist in zwei Abschnitte (plus Epilog) eingeteilt. Der erste, betitelt mit „Lernen, nicht reden“, beschreibt anhand des Werdegangs von Andrew Hale (auch dieser Name ist wie fast alles im Buch ein Symbol) eben jene Spionagegeschichte, die sich von der Zeit des Zweiten Weltkriegs bis zum Höhepunkt des kalten Krieges spannt, halbwegs in der Tradition eines John le Carré geschrieben (und Andrew Hale, widerstrebend, manchmal furchtsam, manchmal kühl und besonnen, aber auch desillusioniert, erscheint vor dem geistigen Auge wie weiland Richard Burton als der Spion, der aus der Kälte kam). Die genretypischen Unwahrscheinlichkeiten eines solchen Romans sind natürlich auch vorhanden: verwirrende Handlung, Intrigen und Gegenattacken sogar innerhalb der eigenen Geheimdienste, Geheimnisgebaren der Handlungsträger, die sich allesamt in jeder Situation auskennen (obwohl sie zwei Leben brauchen müssten, um allein die grundlegendsten Kenntnisse zu erwerben, mit denen sie protzen) und der ungeheure Einsatz von „Manpower“, mit der die einzelnen Aktionen ausgestattet sind. Gewünscht hätte man sich auch ein kleines Glossar, und sei es nur mit den Erklärungen der zahlreichen Abkürzungen für Spionagedienste.
Etwas störend – nicht erkennbar, ob dem Autor oder der Übersetzung zuzuordnen – sind einige Modernismen, die in die Dialoge eingemischt sind; und bei dem konzentrierten Lesen, mit dem der ganze Roman behandelt werden sollte (denn nichts, rein gar nichts erscheint unwichtig) stößt man auch auf einige Patzer. Dass Hale sich 1941 als Erstsemesterstudent sein späteres Berufsziel als „in einer Reihe der großen Oxforddozenten wie Lewis oder Tolkien“ vorstellt, kann man noch belächeln, und als amerikanischer Autor (trotz Kartenzugangs?) kann man schon mal seine Hauptfigur von Göttingen nach Helmstedt reisen und dabei die Oder überqueren lassen (quo vadis, ungenannter deutscher Lektor?). Doch keine Fantasy lässt es zu, dass der britische Geheimdienstchef im Dezember 1962 in Rom ein Treffen mit Papst Pius XII. absolviert. Das Bereithalten eines umfangreichen Lexikons (oder gleich einer Ausgabe von „Stein’s Kulturfahrplan“) während der Lektüre ist zu empfehlen.

Und doch ist der erste Teil nur die Fassade, das fast dreihundert Seiten umfassende Deckgestein, unter dem der phantastik-interessierte Leser die goldenen Nuggets suchen muss. Sie kommen einzeln, sehr selten zunächst (auf Seite 87 wird zum ersten Mal in vier Worten erwähnt, worum es überhaupt 1948 bei DECLARE gegangen ist), dann öfters auftretend (seltsame fluoreszierende Leuchterscheinungen, die wundersame Errettung vor der Verhaftung in Paris). Es liegt im ganzen Roman immer so etwas wie ein „großes Raunen“ in der Luft, und das auch zu Recht. Kann man die kleinen Traumsequenzen, die Andrew Hale (meist zu seinem Geburtstag kurz nach Neujahr) hat, noch als phantasievolle Vorstellungen akzeptieren und ein Geschehnis in Berlin 1945 vielleicht noch mit „extremen meteorologischen Ereignissen“ (obwohl es, nachgerade betrachtet, damals schon die Grundsteinlegung der Berliner Mauer gewesen ist …), so blitzt es dann golden auf (etwa auf Seite 220), als Hale und sein arabisch-russischer Kontaktmann eine Oase in der Wüste aufsuchen und sich das Übernatürliche ganz offen aus dieser erhebt … und spätestens mit dem Beginn des zweiten Buchteils („Wissen, nicht glauben“) ist man, um im Bild zu bleiben, auf die „Mother Load“ der Bonanza gestoßen. Von hier an treten die Elemente des Spionageromans zugunsten der Beschäftigung mit „dem Übernatürlichen“ immer weiter in den Hintergrund. Und Tim Powers hat, von alten Sagen und Erzählungen über die Bibel, Qmranschriften, den Koran bis hin zu Legenden der Neuzeit (etwa dem Unfalltod Lawrence’ von Arabien … der mutmaßlich Andrews Vater gewesen ist … aber auch das bleibt im Ungewissen), so ziemlich alles hinein- und neuverpackt.

In seinem Nachwort (das man eben an dieser Stelle, also unbedingt nach der Lektüre des Romans, lesen sollte) schildert er seine Quellen und Vorgehensweise. Als Fan von le-Carré-Romanen hat er auch Sekundärmaterial dazu gelesen, etwa Biographien über Kim Philby, den bekanntesten (historischen) (Doppel-)Agenten des Kalten Krieges, dabei einige Merkwürdigkeiten festgestellt, sich eine Grundthese mit Phantastik-Inhalt gebildet und danach alles weitere zugeordnet, wobei vieles wie Puzzlesteinchen sich zusammengefügt hat. Das ist im Wesentlichen auch die Methode, nach der Verschwörungstheoretiker ihre obskuren Ansichten zusammenbasteln, aber da Tim Powers ja „nur“ einen Roman schreiben will, gibt er sich entsprechend lustvoll und locker dieser Methodik hin.

Herausgekommen ist ein sehr gutes, sehr schönes, aber auch anstrengendes Buch, als Schmöker für die langen Winterabende und -nächte immer zu empfehlen. Und solange man nicht an den Inhalt glaubt (und Occams Skalpell stecken lässt) …

_Manfred Roth_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Hohlbein, Wolfgang – Gejagte, Der (Die Chronik der Unsterblichen 7)

Im Frühjahr 1565 droht dem kleinen Mittelmeerstaat Malta ein apokalyptischer Untergang. Nach Jahren der stillen Auseinandersetzung mit dem Osmanischen Reich kommt es nun zum offenen, unverhohlenen Krieg. Dem letzten Herrschaftsgebiet der Johanniter mit seinen spartanischen Waffenarsenalen und Munitionslagern steht nahezu die gesamte türkische Armee gegenüber. Inmitten dieser angespannten Situation finden sich die Protagonisten der Chronik der Unsterblichen, Andrej Delany und Abu Dun, wieder.

Auf der Suche nach einem Ort, der sie als Fremde wohl aber nicht als Verfluchte akzeptiert, haben sie ihre Oase der Stille in Malta gefunden. Allen voran haben die beiden Krieger und Söldner ihre Ruhe dem Großmeister des Johanniter-Ordens, La Valette, zu verdanken, der schützend seine Hand über sie hält. Aus Dankbarkeit oder der unbestimmten Gewissheit, später einen Nutzen daraus zu ziehen, hat sich Andrej infolgedessen dem Orden angeschlossen und seine Dienste den Befehlen des Großmeisters unterstellt. Diese Option hat sich dem nubischen Riesen nicht eröffnet.

Angesichts der übermächtigen türkischen Bedrohung hat es sich für Abu Dun empfohlen, das Leben abseits der Ordensfestung vorzuziehen. Drei friedvolle Jahre hat ihnen diese Insel geschenkt, drei Jahre ohne Verfolgung durch andere Unsterbliche und ohne den Zorn der Inquisition, drei Jahre, in denen Abu Dun eine Familie gegründet hat und Andrej zu einem hochrangigen Ritter des Ordens emporgestiegen ist. Doch mit den ersten Gerüchten um einen Angriff der Osmanen unter Suleiman zerfällt das Paradies in eine Wüste der Gefahren und Bedrohungen. Ihr erster Auftrag führt sie in die Höhle des Löwen. Als Spione im Auftrag der Johanniter ist ihr Ziel das Waffenlager in Konstantinopel. Dieses Unterfangen hätte mit absehbarer Gewissheit jeden gewöhnlichen Mann in den sicheren Tod geführt, doch allein ihrer Freundschaft und ihren übermenschlichen Kräften haben sie es zu verdanken, dass sie nach einer schier endlosen Reise die weiß leuchtenden Klippen Maltas wohlbehalten wiedersehen.

Doch vielleicht wären sie bei ihrer Flucht aus dem Herzstück des östlichen Reiches besser von einer der zahlreichen Kanonenkugeln auf ewig in die Tiefen des Meeres versenkt worden. Denn ohne die Erlebnisse und Erkenntnisse, die sie mitbringen, wären ihnen die quälende Gewissheit einer totalen Niederlage und das Warten auf die erste Salve der zu Hunderten erwarteten Galeeren erspart geblieben. Doch mit dem Mut der Verzweiflung beginnt die Aufrüstung und Befestigung der Insel.

Was Andrej und Abu Dun jedoch nicht preisgeben, ist ebenso beängstigend. Ein Unsterblicher, so mächtig, dass seine Präsenz ihnen den Atem zu rauben vermag, ist ihnen begegnet und scheint offenbar in den Diensten der Osmanen zu stehen. Allzu früh offenbart sich ihnen der Fremde. Einem Schatten gleich überfällt er die beiden Gefährten und erweist sich als der einzig wahre Unsterbliche unter ihnen dreien. Doch nie bringt er zu Ende, was er beginnt, jedes Mal lässt er den beiden ihr Leben, aber nimmt ihnen ein Stück ihres Glücks indem er jene leiden lässt, die ihnen etwas bedeuten. Das Kriegsgeschehen gerät im Verlauf der Geschichte in den Hintergrund, ist jedoch allgegenwärtig, muss dem Handlungsstrang um den unbesiegbaren Vampyr aber weichen. Die Ereignisse spitzen sich zu und ziehen immer weitere Kreise.

Abu Duns Familie wird durch den Fremden zerstört, der Orden durch Zwietracht zerrüttet und selbst Abu Dun und Andrej, Freunde seit mehr als einem Menschenleben, haben miteinander zu kämpfen. Zu allem Überfluss erweisen sich darüber hinaus der Großmeister La Valette und sein englischer Sekretär Sir Starkey als undurchsichtige Figuren, die nie mehr preisgeben, als ihnen gut zu Gesichte steht. Das Schicksal bindet sie jedoch aneinander. Als Sir Starkey Andrej offenbart, von seiner Existenz als Vampyr zu wissen, unterbreitet er ihm ein Angebot. Im Tausch für den Kopf des Kommandierenden des türkischen Heeres und die Leiche des unbesiegbaren Vampyrs erhält Andrej die Möglichkeit, Einsicht in die geheimen Aufzeichnungen des Ordens zu bekommen, die seine Suche nach der Erklärung für sein Dasein als Vampyr beenden sollen. Doch dies erweist sich weder als Fluch noch Segen, es ist vielmehr eine Bestätigung dessen, was Andrej schon immer gefürchtet und nie zu glauben gewagt hatte. Schließlich müssen Andrej und Abu Dun ihren Teil der Vereinbarung erfüllen, was sich als äußerst schwierig erweist …

Sechs weitere Bücher liegen diesem siebten Band der Chroniken der Unsterblichen zu Grunde und erweisen sich als wichtige Grundlage. Wolfgang Hohlbein bezieht sich oft auf Ereignisse, die weit zurück liegen und aus verschiedenen Abschnitten der Lebensgeschichte der beiden Protagonisten stammen. So entsteht allmählich ein abgerundetes Bild der Handlung, deren Rahmen die Suche nach einer Erklärung für die Existenz von Vampyren darstellt. Die Ereignisse verdichten sich mit diesem Band und werden miteinander verwoben und doch weiß der Leser nach der Lektüre dieses Buches nicht mehr als zuvor.

Nach dem hervorragenden sechsten Band enttäuscht sein Nachfolger. Die Handlung beginnt zunächst rasant, doch der Spannungsbogen bricht sehr schnell ab. Das Kriegsgeschehen und die Ereignisse auf der Insel mit dem mysteriösen und scheinbar unbesiegbaren Vampyr kitzeln die Nerven des Lesers nur wenig, vielleicht weil das Motiv des unbekannten, starken Fremden mittlerweile überstrapaziert ist.

Wer die Chroniken so weit verfolgt hat, vermag den Ausgang der Handlung abzuschätzen, da sie immer wieder einem ähnlichen Schema folgt. Dieser Fakt ist aufgrund überraschender Wendungen und brilliant ausgearbeiteter Charaktere bisher nie sonderlich störend aufgefallen. Doch hier bleiben vermeintlich wichtige Charaktere wie der Großmeister La Valette blass, und Sir Starkey erscheint zwar durchaus interessant, bringt der Handlung dennoch nicht das gewünschte Prickeln. Als weitaus störender erweisen sich allerdings inhaltliche Schwächen. Abu Duns Familie existiert plötzlich und wird nur mit wenigen Worten beleuchtet, ebenso zweidimensional sind die Erklärungen für mancherlei Entscheidungen Andrejs oder Abu Duns.

Gleichzeitig sind eben diese beiden Charaktere und ihre Entwicklung der Glanzpunkt der Geschichte. Sowohl ihre Freundschaft als auch Abu Dun als einzelner Charakter erhalten eine immense Tiefe, und jene Stellen im Buch, die dies Thema ansprechen, fesseln den Leser, der zweifelsohne beide bereits in sein Herz geschlossen hat, doch noch bis zum Ende (das zugleich Höhepunkt der Entwicklung ist).

Als Anhänger dieser Reihe möchte ich nur ungern davon sprechen, dass dieses Buch summa summarum nicht gut ist, aber es steht weit hinter den anderen zurück und besticht mehr durch einen historisch trockenen Stil und appelliert weniger an die Emotionen der Leser.

Dennoch: Wer einmal begonnen hat, die Chroniken zu lesen, wird sich aus diesem Buch die besten Körner picken und auf baldige Fortsetzung hoffen! Band 8, [„Die Verfluchten“,]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/380253459X/powermetalde-21 erscheint im Mai 2005.

_Stefanie Borgmann_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de veröffentlicht.|

Hickman, Tracy – Im Sog der Dunkelheit (StarCraft # 3)

Die Handlung des vorliegenden Romans führt uns zurück nach Mar Sara, dem Schauplatz des ersten Bandes, „Libertys Kreuzug“ (Jeff Grubb); diesmal jedoch erleben wir die Invasion der Zerg und den Fall des Planeten aus Sicht eines einfachen Marines der Konföderation.
Ardo Melnikov verlor bei einem Angriff der Zerg auf seinen Heimatplaneten Bountiful alles, was ihm etwas bedeutete: die Geliebte, die Eltern, die Heimat. Pures Glück ließ ihn überleben und so kämpft er nun in den Reihen der konföderierten Marines als einfacher Gefreiter gegen jene Aliens, die seine Welt vernichteten. Über Mar Sara erhält seine Kompanie den Auftrag, eine Kiste mit geheimem Inhalt inmitten des Zerg-Territoriums zu bergen und zum nächsten Stützpunkt der eigenen Streitkräfte zu schaffen. Doch von Anfang an läuft alles schief: nicht nur, dass die Bergung des Gegenstandes die Hälfte seiner Einheit das Leben kostet, auch die Konföderation scheint kein Interesse daran zu haben, dass irgendjemand dieses Himmelfahrtskommando überlebt. Dennoch gelingt es einigen Marines, sich in die vermeintliche Sicherheit des Stützpunktes zu retten, nur um festzustellen, dass dieser längst aufgegeben wurde. Von einer geretteten menschlichen Telepathin erfährt Ardo die schreckliche Wahrheit darüber, was die Konföderation ihm, anderen „Soldatenjungen“ und nicht zuletzt der Welt Mara Sara angetan hat, und schließlich steht die Gruppe vor der Entscheidung, auf eigene Faust die Flucht zu wagen oder aber Tausenden von Zivilisten das Leben zu retten.

Tracy Hickman dürfte den meisten Fantasy-Fans als Co-Autor vieler Drachenlanze-Romane (|Goldmann| / |Blanvalet|) und des Death-Gate-Zyklus (in Deutschland unter dem Titel [„Die vergessenen Reiche“ 13 bei |Bastei| erschienen) bekannt sein. Mit „Im Sog der Dunkelheit“ stellt er unter Beweis, dass er nicht nur im Genre (Science-)Fantasy zu Hause ist, sondern durchaus auch als Autor von harter Military-SF zu überzeugen vermag.
Die fast schon klaustrophobische Atmosphäre der Geschichte ist geprägt von Hoffnungslosigkeit und Sinnlosigkeit angesichts der Verbrechen, die von der Konföderation im Namen der Menschheit begangen werden, und eines gnadenlosen – im wahrsten Sinne des Wortes – unmenschlichen Gegners. Egal ob die Protagonisten überleben oder nicht, sie haben verloren – eine Erkenntnis, die in der Realität auf viele unserer Kriege zutrifft. Und wenn gerade zum Schluss ein deutlicher Pathos in die Geschichte Einzug hält, so ist zu bedenken, dass diese Leidenschaftlichkeit das Einzige ist, was die Helden (Opfer) bis zum eigenen Untergang kämpfen lässt.

Der bedrückenden Atmosphäre folgt in angemessener Weise die Wahl einer streng personalen Erzählperspektive, deren Perspektivfigur Ardo Melnikov ist. Durch seine Augen erleben wir das Grauen des Krieges, sehen und beurteilen die Kameraden; zu keinem Zeitpunkt wissen wir mehr, haben mehr Informationen über die Gesamtsituation als jener unbedeutende Gefreite, und dies lässt uns direkt an seiner Hilflosigkeit teilhaben. Hinzu kommt der besondere Umstand, dass der Marine einer sogenannten Neural-Resozialisation unterzogen wurde, wobei seine echten Erinnerungen durch ein „Erinnerungs-Overlay“ mit falschen, kriegsdienlichen überdeckt wurden. Immer wieder durchstoßen religiöse Visionen die Oberfläche seines konditionierten Verstandes, flüstern ihm die Worte „Du sollst nicht töten“ oder „Friede kommt von innen“ zu, während er mit seinem Sturmgewehr Feinde niedermetzelt, so dass der Leser ob dieser Zerrissenheit ständig zwischen dem Zorn darüber, was ein unmenschliches System seinen „Soldatenjungen“ antut, und Mitleid schwankt.

Auch rein stilistisch gibt es an dem Roman nichts auszusetzen. Hickman bedient sich eines gefälligen, mitreißenden Stils und ist in der Lage, sowohl lebendige Bilder als auch lebendige Dialoge zu entwerfen. Leider ist dieser gute Roman relativ kurz geraten und man ist nur zähneknirschend bereit, ihn als das akzeptieren, was er ist: ein kurzes Intermezzo in einem epischen Konflikt.

Spannend, pathetisch, düster, desillusionierend. Großartige Military-SF nicht nur für StarCraft-Fans.

_Frank Drehmel_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine.de]http://www.x-zine.de veröffentlicht.|

Mina, Denise – Refugium

Lachlan Harriot ist 29 Jahre alt und gelernter Mediziner. Er hat aber nie praktiziert, denn fehlender Ehrgeiz, eine auf die Karriere konzentrierte Gattin und eine Erbschaft ermöglichen es ihm, zuhause bei seiner kleinen Tochter zu bleiben. Eine Haushaltshilfe und ein Kindermädchen machen es ihm dabei leicht, den Hausmann zu spielen und vage schriftstellerische Pläne zu wälzen. Dann wird plötzlich Susie, seine Frau, entlassen. Sie hat als Gefängnispsychologin gearbeitet und angeblich vertrauliche Unterlagen entwendet. Doch nicht einmal das kann Lachlan aus seiner Zufriedenheit reißen, denn finanziell ist die kleine Familie nicht auf dieses Einkommen angewiesen. Allerdings stürzt seine rosarote Welt brutal in sich zusammen, als Susie wegen Mordes am Serienkiller Andrew Gow angeklagt und schließlich zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt wird. Das Gericht warf ihr vor, ihren ehemaligen Patienten Gow aus blinder Eifersucht getötet zu haben.

Lachlan will das nicht wahrhaben, kann sich weder vorstellen, dass seine vergötterte Gattin in Gow verliebt war noch dass sie die ihr zur Last gelegten Verbrechen tatsächlich begangen hat. Nun sitzt er mit seiner Tochter und einem Au-Pair-Mädchen zuhause und versucht, sein Leben wieder auf die Reihe zu bekommen und seiner Frau auf irgendeine Weise zu helfen. Zu diesem Zweck begibt er sich in deren „Refugium“, in ihren kleinen Arbeitsraum unter dem Dach und sichtet auf der Suche nach potenziellem Entlastungsmaterial für die anstehende Berufungsverhandlung ihre Dokumente und Computerdateien. Als er Susie bei einem Besuch davon erzählt, reagiert sie zornig und befiehlt ihm, seine Finger davon zu lassen. Was befindet sich in diesen Unterlagen, was er nicht zu Gesicht bekommen soll? Je mehr sich Lachlan in das Material einarbeitet, desto misstrauischer wird er … Ist seine Frau am Ende etwa doch schuldig? Was hat sie vor ihm zu verbergen? Er durchläuft ein Wechselbad der Gefühle, denn mal findet er Hinweise, die auf ihre Unschuld hindeuten, dann wieder stößt er auf Indizien, die die Wahrscheinlichkeit ihrer Schuld erhöhen. Wo liegt die Wahrheit?

_Kommentar:_

Denise Mina bedient sich eines uralten literarischen Tricks: sie gibt vor, nur aufgefundene Dokumente wiederzugeben. Im konkreten Fall handelt es sich dabei um die Tagebucheintragungen von Lachlan. Weil der vieles, was für ihn selbstverständlich ist, nicht extra erläutert, erschließen sich für die Leser verschiedene Aspekte des linearen Ablaufs und der inneren Zusammenhänge des Geschehens erst nach und nach. Einen Teil seiner Spannung bezieht der Roman aus dem Versuch, diese einzelnen Puzzleteilchen zusammenzusetzen. Auf einer zweiten Ebene kann man Lachlan dabei zusehen, wie er für sich selbst die essenzielle Frage, ob Susie schuldig ist oder nicht, zu klären versucht.

Dabei verzichtet die Autorin zur Gänze auf sonst übliche plakative Spannungsszenarien und Action, sondern verlässt sich vollkommen auf die undurchsichtige Geschichte und auf ihre psychologisch genauen Beobachtungen, womit sie sich z. B. in die Tradition einer Patricia Highsmith oder eines Andrew Taylor stellt. Diese beiden zum Vergleich herangezogenen Schriftsteller können einerseits auf ein treues Stammpublikum zählen, andererseits gibt es auch gar nicht so wenige, bei denen bei Erwähnung dieser Namen das große Gähnen ausbricht. Anzunehmen ist, dass Denise Mina mit „Refugium“ ebenso zwiespältig aufgenommen wird: Die einen werden sich aufgrund ihrer einfühlsamen psychologischen Schilderungen begeistern lassen, die anderen eventuell die Lektüre vorzeitig aufgeben, weil sie sich langweilen. Ich für meinen Teil zähle mich zur ersten Gruppe.

Es ist faszinierend mitzuverfolgen, wie Lachlan verschiedene emotionale Zustände durchläuft; in einem bestimmten Aspekt macht man als Leser eine analoge Erfahrung, denn man weiß nie so recht, was von ihm zu halten ist: Mal erscheint er sympathisch, dann wieder lächerlich und weinerlich, bemitleidenswert, großherzig oder kleinlich … Und jeder Eindruck hat seine Berechtigung, denn Denise Mina zeichnet ihre Hauptfigur als Menschen mit vielen Facetten und kommt dabei der Realität viel näher als in den sonst ziemlich eindimensionalen Charakterisierungen, die üblicherweise in der Unterhaltungsliteratur zu finden sind. In Lachlans Tagebucheintragungen finden sich viele bissige Kommentare und entlarvende Aussagen, die sowohl zum Schmunzeln anregen als auch unzählige kleine Erbärmlichkeiten vor Augen führen, mit denen Herz & Hirn der Spezies Homo sapiens oft angefüllt sind.

Allerdings gibt es einen gewaltigen blinden Fleck im Plot: Warum hat die Polizei nicht das Haus der Mordverdächtigen durchsucht und ihre Aufzeichnungen beschlagnahmt? Ein solches Vorgehen gehört doch ganz einfach zur unverzichtbaren Ermittlungsroutine! Über diese gravierende Ungereimtheit muss die Autorin hinweggehen, weil sie ansonsten ihre Geschichte nicht in vorliegender Form hätte erzählen können. Um die Story richtig zu genießen, muss man bereit sein, dieses grundlegende Manko zu ignorieren.

_Fazit:_

Dieser Roman lässt uns in die chaotische Gefühls- & Gedankenwelt eines zutiefst verunsicherten und schwachen Mannes stürzen. Dabei überzeugt das Buch trotz des Verzichts auf konventionelle Spannungsmomente durch seine Intensität und Sensibilität. Dadurch wird jedoch der Kriminalfall etwas in den Hintergrund gedrängt, was mit ein Grund dafür ist, dass „Refugium“ für alle jene, die es gerne deftiger und plakativer haben, wahrscheinlich eine schlechte Wahl sein dürfte. Wer allerdings ein Faible für subtilere Unterhaltung hat, die zugleich einen Blick in seelische Abgründe bietet, sollte zugreifen.

_Martin Weber_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine.de]http://www.x-zine.de veröffentlicht.|

M. John Harrison – Licht

„Licht“ ist einer dieser Romane, deren Bewertung wohl stark davon abhängt, wie groß das Ego des Lesers ist. Wer von seinem eigenen Intellekt ausreichend überzeugt ist, hat kaum ein Problem damit, fest davon auszugehen, dass Harrison schlicht und ergreifend nicht in der Lage war, eine sinnvolle Handlung zu konstruieren und vermutet somit hinter sprunghafter Konzeptlosigkeit keine avantgardistische Genialität.
Zu dieser Gruppe bekenne ich mich nach gründlicher Lektüre des Romans, die erst von Langeweile und schließlich von gelegentlichen Frustmomenten geprägt war. Harrison erzählt nicht, sondern spielt, und das in einer penetrant unfesselnden Art und Weise. Und als sich die Handlung endlich fängt (ungefähr ab der Hälfte des 450 Seiten starken Taschenbuches), hat man als Leser die Faxen bereits gründlich dicke.

M. John Harrison – Licht weiterlesen

Dick, Philip Kindred – galaktische Topfheiler, Der

Joe Fernwright, kleiner Handwerker und Meister der aussterbenden Kunst des Topfheilens, steckt in einer Sackgasse. In einer keramiklosen Zeit, die offensichtlich für seine Fähigkeiten keine Verwendung mehr hat, wartet er seit Monaten tagtäglich untätig in seiner Werkstatt auf Arbeit. Endlich eröffnet ihm der Auftrag eines außerirdischen Überwesens von einem fernen Planeten die Chance, sich aus dieser hoffnungslosen Situation zu befreien. Joe Fernwright entschließt sich, den Auftrag anzunehmen und verlässt die Erde, um auf dem Planeten Plowman, gemeinsam mit einer bunt zusammengewürfelten Gruppe verschiedener Spezialisten unterschiedlichster Spezies, das gigantische Projekt anzugehen. Ein alle Grenzen sprengendes Abenteuer beginnt.

Das Vorhaben – und der Roman – entpuppt sich schon bald als Reise in metaphysische, philosophische Dimensionen, wie es typisch für Philip K. Dicks Romane ist. Diese Hintergründigkeit hebt den Roman deutlich aus der Masse einfacher gestrickter SF-Storys hervor. Dazu wimmelt die Geschichte von skurrilen Einfällen und seltsamen Wesen, die den Leser mit wunderbarer Leichtigkeit in die Tiefen von Dicks Gedankenwelt eintauchen lassen. Besonders köstlich etwa die Seelsorgerzelle, in der sich Verunsicherte gegen Münzeinwurf entsprechend den Regeln des Zen, der puritanischen Ethik, der römisch-katholischen Kirche, des Islam oder wahlweise des mosaischen Glaubens beraten lassen können.
Oder das Spiel, mit dem man in jener Gesellschaft (unter einem repressiven, pseudosozialistischen System, das völlig abgewirtschaftet wurde) die Langeweile des Alltags betäubt – ein Ratespiel, bei dem zuvor per Computerübersetzung verstümmelte Buchtitel wieder dechiffriert werden müssen. (… darauf kam Dick im Jahr 1969!)
Dann der Android, der Schriftsteller werden möchte und Klassiker zitiert (überhaupt, die werden im Roman öfters zitiert, vor allem Goethes Faust – und auch klassische Musik spielt immer wieder eine Rolle). P. K. Dicks Begeisterung für die deutsche Sprache und seine Leidenschaft für Musik blitzen in dem Roman immer wieder durch. Auch in der Szene, in der das Radioprogramm mit seinen absonderlichen Wechseln zwischen geistlicher/klassischer Musik und Werbung für Korsetts, Mittel gegen Menstruationsbeschwerden, Hämorrhoidensalbe und Katzenstreu beschrieben wird. Selbst solche Slapstickszenen führen kleine, hintergründige Extrabotschaften mit sich und regen zum Denken an, ohne belehrend zu wirken. Schon die Idee, das Heilen zerbrochener Keramik zu einem Handwerksberuf der Zukunft zu machen – und den Besten dieser Zunft zum Helden eines Romans – hat eine metaphorische Extradimension – verdeutlicht die Allegorie. Das Thema Vorherbestimmung/Vorhersage der Zukunft fügt Dick im „galaktischen Topfheiler“ einmal als Ergebnis einer computergenerierten Partnerschafts-Simulation ein, ein andermal als geheimnisvolles Buch der mysteriösen Kalenden, die einzig damit beschäftigt sind, darin die Zukunft vor(aus)zuschreiben.

Zum Ende hin wird der Roman stetig surrealer und zeigt immer deutlicher seine erweiterte Dimension. Metaphysische, theologische und philosophische Fragen – die Suche nach dem wahren Wesen des Menschen, dem Sinn der Existenz, der Frage nach Vorbestimmung, nach Täuschung und Realität, der Struktur der Zeit – sind in Dicks Roman so spritzig verpackt, dass man sich trotz der „Schwere“ der Themen bestens amüsiert. Im Backcovertext wird der Roman sehr treffend als „faszinierend absurde Parabel“ bezeichnet – dass die Handlung an manchen Stellen etwas holpert, an anderen die Logik wackelt, tritt angesichts der Aussagekraft auf anderer Ebene völlig in den Hintergrund – das Buch bleibt eine in vielerlei Hinsicht zum Nachdenken anregende und gleichzeitig kurzweilige Lektüre, ein Stück Literatur weit jenseits der Trivialität.

Zum zwanzigsten Todestag Philip K. Dicks begann der |Heyne|-Verlag im Jahr 2002 damit, ausgewählte Werke des Autors sukzessive in einer neuen Taschenbuchreihe auf den Markt zu bringen. Mit „Der galaktische Topfheiler“ wurde jetzt, im Januar 2005, Band 11 der Edition herausgebracht – der nächste ist für April angekündigt – weitere werden folgen.
Die Reihe präsentiert sich einheitlich im seriös-distinguierten Nadelstreifenlook (in von Band zu Band unterschiedlicher Grundfarbe) – darauf prangen schlicht und edel, in silberglänzenden Prägelettern Titel und Verlagsname, in Blau der Autorenname. Diese Aufmachung hebt nun auch optisch Philip K. Dicks Werk aus der vorurteilsbeladenen Trivialecke heraus. „Der galaktische Topfheiler“ kommt in einem die winterlich fröstelnden Finger wärmenden sonnigen Orangecover daher.

Beklagenswerterweise verzichtete Heyne in diesem Band auf ein einführendes bzw. erläuterndes Vor- oder Nachwort. Es findet sich lediglich der dürre Hinweis, es handele sich um eine erstmals ungekürzte deutsche Ausgabe, und zwar die Übersetzung von Joachim Pente (*) in von Alexander Martin neu durchgesehener und vollständig überarbeiteter Version. Weder wurden eine bibliographische Einordnung des Romans, noch etwas ausführlichere Anmerkungen zur Überarbeitung, noch gar eine leicht vertiefte Betrachtung Dicks wechselvoller Biographie angefügt.

(*) 1976 bzw. 1984 erschien der Roman bereits in deutscher Übersetzung (von Joachim Pente) – unter dem Titel „Joe von der Milchstraße“. Allerdings in gekürzter Fassung: 168/192 Seiten hatte der Roman in jener Version (Fischer/Moewig). Die hier besprochene, ungekürzte Ausgabe ist 207 Seiten lang.

Ob die Neuausgabe denn nun – abgesehen vom geschmackvoll schlichten Design des Covers – auch von den inhaltlich Qualitäten her betrachtet einen Gewinn gegenüber den Vorgängern darstellt, lässt sich, ohne allzu sehr in Details zu gehen, vielleicht so beantworten: Wer bei Übersetzungen Wert auf eine gelungene Kombination aus inhaltlicher Werktreue, möglichst weitgehend erhaltener „Handschrift“ des Autors und dabei noch gutes Deutsch legt, ist mit der Neubearbeitung bestens bedient. Auch die Wahl des Titels zeugt vom Bestreben des Verlags, das Werk Dicks in dieser Edition möglichst originalgetreu wiederzugeben.

Vom einzigen kleinen Wermutstropfen – dem fehlenden Vor- oder Nachwort – abgesehen, kann ich Heynes ungekürzte Neuausgabe von P. K. Dicks „Der galaktische Topfheiler“ jedem Freund tiefgründiger und origineller Literatur wärmstens empfehlen! Dass dieser Roman unter Dicks Werken bisher eher wenig beachtet wurde, wird sich durch die Neuausgabe hoffentlich ändern: Das Buch hat es verdient.

|Originaltitel: „Galactic Pot-Healer“, 1969|

_Susanne Jaja_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de veröffentlicht.|

Kastner, Jörg – Engelsfluch

Auch nach der Aufregung um das vom Geheimorden |Totus Tuus| verübte Attentat auf den neu inthronisierten Papst Custos hält dieser an seinem radikalen Kurs fest: Der Heilige Vater räumt mit verstaubten Traditionen auf und versucht, die katholische Kirche trotz anhaltender Widerstände aus konservativen Kreisen auf einen neuen, modernen Kurs zu bringen. Allerdings hat niemand damit gerechnet, dass die seinen revolutionären Bestrebungen entgegenschlagende Ablehnung in einem extrem radikalen Akt kulminieren würde – ein Teil des Klerus sagt sich von Rom los und gründet die „Heilige Kirche des wahren Glaubens“, welche über ein eigenes geistliches Oberhaupt (einen Gegenpapst) verfügt. Ein neuzeitliches Schisma spaltet also die katholische Gemeinschaft. Unsicherheit darüber, wer die richtige Lehre vertritt, greift unter den Gläubigen um sich.

Die innerkirchlichen Turbulenzen werden noch durch grausame Priestermorde angeheizt, die Rätsel aufgeben. Der ehemalige Schweizergardist Alexander Rosin und Commissario Donati, die beide Custos schon früher zur Seite standen, werden mit den Ermittlungen beauftragt. Rosin arbeitet inzwischen als Journalist und bildet zusammen mit der Reporterin Elena nicht nur im Privatleben ein Paar. Alexander, Elena und Donati versuchen Licht ins Dunkel der Gewalttaten zu bringen. Eine Spur, ein am Tatort aufgefundenes Silberkreuz, lässt vermuten, dass erneut – wie bereits beim Attentat – Mitglieder der Schweizergarde beteiligt sind. Ist Totus Tuus gar nicht zerschlagen? Ist die Garde wieder von dieser Organisation unterwandert? Hat der Geheimorden mit den Morden ein neues Zeichen gesetzt und steckt er vielleicht sogar hinter dem Schisma?

Als Elena in Borgo San Petro, dem Geburtsort des Gegenpapstes, recherchiert, trifft sie auf den Deutschen Enrico Schreiber, der dort nach seinem ihm unbekannten Vater sucht. Kurz nach ihrer Ankunft geschieht auch hier ein blutiges Verbrechen und die beiden werden in einen Strudel seltsamer Ereignisse hineingezogen. Übernatürliche Heilkräfte, ominöse Prophezeiungen sowie uralte etruskische Hinterlassenschaften spielen dabei eine Rolle. Und dann sind da noch Enricos ständig wiederkehrende Albträume, in denen ihn eine Zwittergestalt aus Dämon und Engel quält. Schließlich stellt sich heraus, dass ein Geheimnis von geradezu monströsen Dimensionen hinter all dem steht und dass die Tage der Welt, wie wir sie kennen, gezählt sein könnten …

Wie der kurzen Inhaltsangabe zu entnehmen ist, greift das kleine Wörtchen „Thriller“ auf dem Buchcover zu kurz, um diesen Roman korrekt zu charakterisieren. Die Bezeichnung „Phantastischer Thriller“ trifft den Sachverhalt schon besser. Für Krimi- & Thrillerleser, die es gerne halbwegs bodenständig und realistisch haben, ist dieses Buch daher weniger empfehlenswert. Eine weitere Einschränkung ergibt sich daraus, dass der „Engelsfluch“ die Fortsetzung von „Engelspapst“ ist. Deshalb empfiehlt es sich, zuerst letzteres Werk zu lesen. Prinzipiell ist zwar der besprochene Roman auch ohne Kenntnis des (in sich abgeschlossenen) Vorgängerbandes problemlos zu verstehen, weil dessen Inhalt zusammengefasst präsentiert wird. Falls man allerdings nur das aktuell besprochene Buch zu lesen beabsichtigt und dann vielleicht Lust auf den ersten Teil bekommt, birgt dieser keinerlei Überraschungen mehr in sich.

Die Leserschaft von „Engelspapst“ wird rasch erkennen, dass Jörg Kastner sein bewährtes Rezept beibehalten hat: Es gibt als Aufhänger ungeklärte, spektakuläre Mordfälle im Umfeld des Vatikans, eine kräftige Prise alter Rätsel mit übersinnlichem Inhalt, Intrigen und Täuschungsmanöver, eine zweite Erzählebene mit alten Aufzeichnungen, eine problematische Vater-Sohn-Beziehung etc. Es kommt also das gleiche Strickmuster zum Einsatz, nur will leider diesmal der berühmte Funke nicht so recht überspringen, vielleicht gerade weil die einzelnen Bestandteile und das Prinzip ihrer Verknüpfung bereits vertraut sind. So kann jeder, der ein bisschen aufmerksamer liest und sich seine eigenen Gedanken macht, viele Enthüllungen vorhersehen. Aus diesem Grund – und weil echte dramaturgische Höhepunkte über weite Strecken rar gesät sind -, kommt erst im letzten Viertel so richtig Spannung auf. Ein Grund für dieses Dahintreiben der Handlung könnte im Fehlen von eindrucksvollen Gegenspielern der Helden liegen. Die böse Macht im Hintergrund ist unfassbar und anonym, lange verleiht ihr niemand ein Gesicht, wodurch sie seltsam leblos und uninteressant bleibt (als der Oberschurke dann endlich in dieser Rolle die Bühne betritt, mangelt es ihm auch noch eklatant an Charisma). Außerdem wird leider die Schisma-Thematik überhaupt nicht vertieft und bleibt somit ein reiner Plakativ-Effekt.

Trotz der aufgezählten Schwachpunkte ist „Engelsfluch“ mit seinen fast fünfhundert Seiten ein angenehm zu lesender Schmöker, der einen zwar über weite Strecken nicht vor Spannung an den Fingernägeln knabbern lässt, aber dennoch diesseits der Grenze zur Langeweile bleibt. Wer sich ohnehin nur für einige Stunden in eine Welt der phantastischen Abenteuer entführen lassen will, ohne dabei alles kritisch zu hinterfragen, kann diesem Buch mit Sicherheit mehr abgewinnen als der Rezensent.

_Martin Weber_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Daschkowa, Polina – Für Nikita

Von den derzeit so erfolgreichen russischen Krimiautoren schreibt Polina Daschkowa wohl am überzeugendsten und spannendsten über das „real existierende“ Verbrechen im postsowjetischen Russland. Mit ihrem neuesten Roman „Für Nikita“ beweist sie zudem, wie sehr man sich in Menschen täuschen kann und wie schnell man von ihnen getäuscht wird. Der ganze Roman besteht schließlich aus mehr oder minder geschickt geplanten und ausgeführten Täuschungsmanövern, in deren Mittelpunkt der berühmte Kriminalautor Viktor Godunow alias Nikita Rakitin steht.

Dessen ehemaliger Freund, der zukünftige Gouverneur eines sibirischen Bezirks, Grigori Russow, beauftragt ihn mit der Abfassung seiner Biographie. Doch die beiden verbindet nicht nur eine Freund-, sondern auch eine Nebenbuhlerschaft. Russows Frau Nika war nämlich Nikitas erste und einzige große Liebe, die lange Zeit auf Gegenseitigkeit beruhte. Eine belastete Vergangenheit also, unter der jeder der beiden noch immer leidet. Russow, weil seine Ehefrau den Schriftsteller nie ganz vergessen konnte, und Nikita, weil er Nikas Verlust durch sein egomanisches Verhalten verschuldet hatte und dies noch immer bereut.

Das bis aufs Äußerste gespannte Verhältnis reißt in dem Moment, als Nikita bei seinen Recherchen nicht nur auf die Ruhmestaten, sondern auch auf die Schandtaten seines Auftraggebers stößt. Der sibirische Gouverneur ist skrupellos genug, um Nikita dafür „von finsteren Gesichtern“ töten zu lassen. Nikita soll bei einem inszenierten Wohnungsbrand ums Leben kommen und sein Geheimnis mit ins Grab nehmen. So identifiziert schließlich eine sehr gute Freundin die total verbrannte Leiche Nikitas an einer Halskette. Nun erst treten aus den unterschiedlichsten Winkeln und Gründen die eigentlichen Totengräber aus dem Schatten der Vergangenheit. Doch dieses Mal sind es die Totengräber des Provinzpolitikers, der sich einen ehemaligen Schulkameraden, die organisierte Kriminalität und am Schluss sogar seine Frau zum Feind macht. Und der Schleier über seine menschenverachtenden Geschäfte beginnt sich dank Daschkowas genialer Dramaturgie nur langsam zu lüften.

Fast keiner ihrer Figuren, egal ob Täter oder Opfer, gewinnt sie nur positive oder nur negative Seiten ab. Und genau das macht ihre Figuren so lebensnah und glaubwürdig in ihrem Handeln und Denken, das auf gesellschaftlich desaströsen Verhältnissen beruht. Diese sozialen und psychologischen Mechanismen weiß Polina Daschkowa ebenso eindringlich zu schildern wie Einzelheiten über den Einfluss krimineller Sektenführer auf die Politik und den perfekt ausgeführten Auftragsmord.

Wollen wir hoffen, dass Frau Daschkowa als Journalistin und Kriminalschriftstellerin nicht ähnlich realen Verbrechen auf der Spur ist wie ihr alter ego Viktor Godunow alias Nikita Rakitin. Denn wie eng erzählerische Phantasie und brutale Wirklichkeit miteinander zusammenhängen, hat sie uns mit diesem Roman abermals eindrücklich gezeigt.

|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Hohlbein, Wolfgang / Hohlbein, Heike – Anders 1: Die tote Stadt

Es sind Schulferien. Für den Internatsschüler Anders Beron ist das die schönste Zeit des Jahres. Denn nun kann er endlich seinen Vater sehen, den ebenso reichen wie mächtigen Ottmar Beron, Besitzer eines riesigen Vermögens an Firmen, Land und Geld. Er wird von seinem Freund und Leibwächter Jannek abgeholt, der zwar freundlich lächelt, aber sehr nervös zu sein scheint. Dafür hat er auch alle Gründe, denn am Privatflugzeug kommt es zur Katastrophe. Jannek und Anders geraten in die Fänge zweier skrupelloser Entführer. Diese zwingen Jannek, das Flugzeug zu starten und die Berge anzusteuern. Schnell nimmt die Polizei in Hubschraubern die Verfolgung auf und die Entführer zwingen Jannek, in ein militärisches Schutzgebiet zu fliegen. Dort werden sie von futuristischen Kampfhubschraubern abgeschossen und müssen notlanden. Die Entführer überleben den Absturz nicht, doch wie durch ein Wunder bleiben Anders und Jannek am Leben. Doch dann tauchen Männer in Schutzanzügen auf und nehmen sie unter Beschuss, ebenso wie die Kampfhubschrauber. Eine abenteuerliche Flucht beginnt, bei der Jannek tödlich verletzt von einem Dach stürzt und Anders von einem unbekannten Mädchen gerettet wird.

Dieses Mädchen führt ihn durch eine zerstörte Stadt, in der eine schreckliche Katastrophe gewütet haben muss. Noch immer wird er von den Männern in den schwarzen Schutzanzügen verfolgt. Und noch andere Schrecken lauern in den Ruinen. Ein Schwarm von spinnenähnlichen Tieren frisst alles, was den Insekten begegnet. Nur knapp können die beiden den geheimnisvollen Männern mit ihren todbringenden Waffen und den Insektenmonstern entkommen. Das Mädchen bringt ihn zu ihrer Zuflucht, wo auch andere Überlebende der Katastrophe eine Notgemeinschaft bilden. Diese nach strengen Regeln lebende Sippe besteht aus merkwürdigen Geschöpfen. Teilweise sind sie menschlich, teilweise sehen sie aus wie Tiere. In welch einer Welt ist Anders gelandet und wie kann er ihr wieder entkommen?

Das vorliegende Buch ist der Beginn der vierteiligen Romanfolge von Heike und Wolfgang Hohlbein, die damit wieder mal ihrem Lieblingsthema folgen, das sie beispielsweise in „Druidentor“ und vielen anderen Romanen pflegen und hegen. Sie bringen ein Stück Fantasie (Legenden und Fantasy bunt gemischt) in unsere Welt. Dazu bemühen sie moderne Technik und Wissenschaft, die durch Legenden und Märchen angereichert werden. In diesem Fall haben Wissenschaftler in ihrem Labor etwas freigesetzt, das zusammen oder allein mit der nuklearen Vernichtung der Stadt in den Bergen (so ganz deutlich wird das nicht) Mutationen unter den Lebenden hervorruft. Jeder, der das Gebiet betritt und/oder mit den dort Lebenden konfrontiert wird, leidet unter einer schrecklichen Krankheit, die fast immer zum Tod führt. Die Mutationen sind nun eine praktische Angelegenheit für die Autoren, beliebige Fabel- und Fantasywesen auf die Bühne zu holen. So treffen wir hier Tiermenschen, Insektenvölker, Trolle, Zwerge, Gnome, Orks, Elfen und was die einschlägige Literatur noch so hergibt (wenn auch eventuell unter einem anderen Namen).

Die Geschichte beginnt schnell und furios und bleibt bis zum Ende des Buches sehr spannend. Fasziniert folgen wir Anders in sein persönliches Endzeitszenario, aus dem er von Anfang an verzweifelt zu entkommen versucht. Die Schrecken und Gefahren, die ihm dabei begegnen, sind bedrohlich und glaubhaft vermittelt.

Der Einstieg in das vierbändige Werk ist dem Autorenpaar am besten gelungen. Während die späteren Romanteile ein paar Längen, Wiederholungen, Brüche und Schleifen aufweisen, ist der erste Band eine spannende und interessante Angelegenheit.

Autorenhomepage des Verlages: http://www.hohlbein.at/

_Jens Peter Kleinau_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Tolkien, John Ronald Reuel – Elbenstern, Der

In dem Dorf Großholzingen lebte einst ein Schmied, der – sei es durch Glück oder die Vorsehung – in den Besitz eines magischen Elbensterns gelangte.

Als Kind nahm er an einem ganz besonderen Fest teil, das nur alle paar Jahre stattfindet. Der Meisterkoch des kleinen Örtchens liefert zu dieser Gelegenheit stets sein Meisterwerk ab: Eine Torte, die ihn in den kulinarischen Annalen von Großholzingen unsterblich machen soll. In jenem besonderen Jahr, zu dem das Fest wieder einmal stattfand, war jedoch gerade ein besonders schlechter und fauler Mann Meisterkoch und nur mit Hilfe seines Lehrlings gelang es ihm überhaupt, eine Torte zu diesem Anlass zu präsentieren.
Da es üblich war, allerlei Tand, wie wertlose Münzen u. ä. in dem Backwerk zu verstecken, tat er auch den merkwürdigen Stern hinein, den er in der Gewürzkiste seines unter seltsamen Umständen hinfortgegangenen Vorgängers fand. So kam der Sohn des Schmiedes in den Besitz des Elbensterns, denn er verschluckte ihn versehentlich und war von nun an für alle, die es zu sehen vermochten, ein Besucher beider Welten: Der Stern der Elben leuchtete von Stund an auf seiner Stirn.

So begleitet der Zuhörer den Schmied durch ein ereignisreiches Leben. In dieser Welt ist er ein angesehenes Mitglied seiner dörflichen Gemeinschaft und ein Schmied ohnegleichen. Was er in seiner Schmiede aus Metallen macht, grenzt an Zauberei und erfreut das Auge ebenso, wie es sich im Alltag als nützlich erweist. Als Mann von Ehre und Gewissen nutzte er sein herausragendes Talent niemals, um eine Waffe herzustellen; obgleich ihm klar war, dass ein Schwert oder ein Speer aus seiner Schmiede den Stoff für Legenden geboten hätte, war ihm das Leben doch zu heilig, um seine Kunst einem so fürchterlichem und destruktiven Zweck zu unterstellen.

Im Land der Elben, das er dank seines wundersamen Sterns ebenfalls bereisen kann, ist er ein Wanderer, der die Wunder zu schätzen weiß und den sein Herz voller Liebe immer wieder in das geheimnisvolle Reich jener Wesen zieht – auch wenn er weiß, dass er dort nur Gast sein kann.

Was es jedoch mit dem geheimnisvollen Stern auf sich hat, wieso gerade er ihn bekommen hat und all die anderen Fragen, die sich im Laufe der Geschichte herauskristallisieren, das wird der freundliche Schmied erst am Ende eines langen und glücklichen Lebens erfahren.

Mit dem Namen Tolkien kann man dieser Tage eine Menge Geld machen, und da wäre es doch dumm, sich auf den „Herrn der Ringe“ zu beschränken. Schon munkelt man von einer Verfilmung des „Kleinen Hobbits“, Tand und Schrott aller Art – Hauptsache, es hat irgendetwas mit dem Kultautoren zu tun – erscheinen massenhaft und da bringt der Hörverlag also den „Elbenstern“ als Hörbuch heraus. Man mag sich seinen Teil dazu denken, doch kann man den Hype offensichtlich auch zu positiven Zwecken nutzen.
„Der Elbenstern“ ist ein wundervolles und poetisches Märchen – nicht mehr und nicht weniger. Wer also Fantasy erwartet, ist hier sicher falsch. Kein orkmordender Legolas und auch kein weiser Elrond, Tolkien präsentiert die Elben hier ganz in der Tradition der englischen Märchen und Sagen und schafft natürlich dennoch eine Synthese aus den überlieferten Volksmärchen und seiner eigenen Welt.
Tatsächlich ist es nicht uninteressant, festzustellen, wo Tolkien ihm wichtige Gedanken aus dem „Herrn der Ringe“ auch im „Elbenstern“ aufgreift, etwa seine berühmte Liebe zu den Bäumen oder auch das Sujet vom „kleinen Mann“, der es zu etwas ganz Besonderem bringt, ohne dabei seine Wurzeln zu vergessen.

Dass es sich beim „Elbenstern“ um ein Märchen handelt, bedeutet allerdings auch, dass sich die Geschichte in erster Linie an Kinder richtet. Ich höre jetzt natürlich schon den Aufschrei und lese vor meinen inneren Augen bereits die Anmerkungen sämtlicher Fans zu dieser Rezension, in denen sie versichern, dass sie den „Elbenstern“ auch als Erwachsene genießen und ihn allen wärmstens weiterempfehlen – meinetwegen. Fakt ist aber, dass sich die Figuren in typischer, märchenhafter Eindimensionalität bewegen, die Geschichte eigentlich keinen Höhepunkt hat, sondern stattdessen auf ihre moralische Botschaft hinsteuert und das alles in einem sehr gemächlichen Tempo.

Perfekt besetzt ist Joachim Höppner in der Rolle des Erzählers – dem Kinogänger dürfte er noch als Gandalf im Ohr sein. Seine ruhige und einfühlsame Art und Weise passt perfekt zum Stil der Kurzgeschichte, doch auch hier bedeutet dies zweierlei: Zwar ist Höppner ebenso poetisch und warmherzig wie der „Elbenstern“ selbst, doch klingt er auch ein bisschen zu sehr nach „Märchenonkel“, was sich insbesondere in den sehr pointiert vorgetragenen Dialogen zeigt.

Am Ende muss jeder selbst wissen, was er vom „Elbenstern“ hält. Im Gegensatz zum „Herrn der Ringe“ wird man vielleicht nicht automatisch verzaubert, sondern muss die Bereitschaft mitbringen, sich auf das Märchen einzulassen.
Kinder sind mit Sicherheit sehr gut bedient, Erwachsenen dürfte die recht simpel gestrickte Geschichte mit ihrem gemächlichen Tempo vielleicht doch ein wenig zu einfach geraten sein.
Die durch die Erzählung herausgestellte Moral, die immerhin nicht ganz so aufdringlich wie in klassischen Märchen daherkommt, ist aber in jedem Fall mehrheitsfähig: Ein Plädoyer für die Macht der Phantasie – wer könnte da schon nein sagen?

_Marcel Dykiert_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Feige, Marcel – neue Lexikon der Fantasy, Das

Marcel Feige als Verfasser von „Das neue Lexikon der Fantasy“ hat nach der 1. Auflage (2000) im Juli 2003 eine überarbeitete Ausgabe zum Abschluss gebracht. Das Buch wurde diesmal in einer Taschenbuchausgabe publiziert; mit 562 Seiten ist es umfangreicher als sein Vorgänger (384 Seiten), etwa 100 s/w-Abbildungen (zuvor: 48 Abbildungen) vervollständigen den Inhalt. Der Verlag definiert als Zielgruppe Harry-Potter-Fans, Tolkien-Anhänger, Märchen-Freunde, Fantasy-Leser, Rollenspieler, Kinogänger, überhaupt alle, die sich für phantastische Welten interessieren. Also genau das Publikum, das beim |X-Zine| nach Informationen sucht …

Marcel Feige, alleinverantwortlicher Verfasser des Nachschlagewerkes, verrät uns gleich auf seiner Seite 1, „dass das Lexikon Informationslücken besitzt … Natürlich spielte bei der Zusammenstellung des Lexikons auch die persönliche Vorliebe des Autors eine gewisse (wenngleich zurückhaltende) Rolle.“ Nun gut, das lässt einiges erahnen, leider dämpft eine solche Bemerkung gleich die Erwartungshaltung empfindlich. Erstaunlich ist auch, dass ich an keiner Stelle den Vorschlag entdecken konnte, bei Fehlern oder Lücken den Verfasser auf diese hinweisen zu wollen. Ein gesundes Selbstbewusstsein macht ein solches Ansinnen sicher überflüssig, wer alles weiß, hat kein Bedürfnis nach Hinweisen oder Vorschlägen. Das wiederum ist für mich eine regelrechte Aufforderung, dieses Lexikon umso genauer durchzuarbeiten.

Zwei Mitarbeiter (Kuno Liesegang und Ralf Krause) werden neben Marcel Feige aufgeführt, mir ebenso wie der Verfasser selbst aus dem Dunstkreis der Fantasy-Facharbeiter in Deutschland gänzlich unbekannt (Kuno Liesegang fällt mir im Zusammenhang mit dem Horror-angehauchten Magazin „Nocturno“ ein, so wie er überhaupt mehr diesem Genre verhaftet zu sein scheint; ein Einfluss, der sich in der Auswahl der Beiträge im vorliegenden Lexikon durchaus bemerkbar gemacht haben kann).

Nach zwei Vorworten fasst Marcel Feige die „Geschichte der Fantasy“ auf sechs Seiten zusammen; er beginnt ganz früh bei Homer vor 2.800 Jahren und schmeißt zur Gegenwart den Deckel aufs Thema. 5000 Jahre Literaturgeschichte auf 6 Seiten – das kann nur ein sehr gewagter Überblick sein. Und ist demnach bestenfalls für völlig von der Fantasy Unbeleckte mit informativem Gehalt angereichert. Der von mir unkommentierte Vergleich: „Die Entwicklungsgeschichte der Science Fiction“, Seite 26 bis 150 (!), in Alpers/Fuchs/Hahn/Jeschke: Lexikon der Science Fiction Literatur, München 1987.

Doch das, was mich grundsätzlich interessiert, entblättert sich auf den Beiträgen danach, anfangend bei A wie „Abenteuer“ und endend bei Z wie „Zyklopen“. Marcel Feige stellt in seinem Lexikon Personen, Bücher, Filme, Spiele, Legenden, Märchen, Magazine und Firmen vor, alphabetisch geordnet, wie es sich gehört.

Unter dem Buchstaben „D“ beispielsweise entdecken wir: Dalí, Salvador; Damona King; Dämonen-Zyklus; Dämonen-Zyklus; Dark Fantasy; Dark Force; de Camp, L(yon) Sprague; De Lint, Charles; Dean, Roger; Demontower; Demonworld; Dent, Lester; Deryni-Zyklus; Deutsche Tolkien Gesellschaft e. V.; Deutscher Phantastik Preis; Dhana; Dickens, Charles; Dickson, Gordon R(upert); Der Dieb der Zeit; Der Dieb von Bagdad; Der Dieb von Bagdad; Der Dieb von Bagdad; Die Diebin von Bagdad. Die Erläuterungen zu den einzelnen Begriffen sind unterschiedlich lang geraten; zu einigen Beiträgen hätte ich mir mehr Details gewünscht, zu anderen weniger. Zu aufgeführten Roman-Serien werden die dazugehörigen Einzelbände (wo möglich, die deutschen Übersetzungen) gelistet. Querverweise führen weiter und vervollständigen die lexikalischen Einträge.

Die Auswahl ist, wie oben angesagt, von den persönlichen Vorlieben des Autors geprägt. Ich würde diese „Vorlieben“ vielleicht auch gleichsetzen mit „Erfahrungen“, denn das, was dann Eingang gefunden hat ins Buch, liest sich bisweilen wie ein Sammelsurium an Begrifflichkeiten, deren Plausibilität manchmal sehr zu wünschen übrig lässt.

„Shadowrun“ wird auf 2 ½ Seiten abgehandelt, „Dungeon & Dragons“ dagegen nur auf einer mageren Seite (wobei nur in einem einzigen Satz auf die deutschen Ausgaben hingewiesen wird.) Dabei ist lt. |FanPro| „Shadowrun … eine Science-Fiction-Hintergrundwelt, in der Geschichten und Abenteuer angesiedelt sind, vergleichbar mit den Hintergrundwelten von Science-Fiction-Filmen, -Fernsehserien und -Romanen.“

Erstaunlich sind auch Bemerkungen wie im |Dungeons & Dragons|-Beitrag: „… ist eines der ersten Rollenspielsysteme, das der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.“ Oder zu Gary Gygax: „1974 gründete er die Firma TSR und veröffentlichte eines der ersten Rollenspiele, ‚Dungeons & Dragons‘.“ Vor D&D gab es nichts Vergleichbares.

Unter einem eigenständigen Eintrag wird der „Vielflächner“ beschworen, der mehrseitige Würfel. Dieser Begriff ist mir zwar aus der Geometrie bekannt, aber im Rollenspiel noch nicht untergekommen.

Dazu schleichen sich Recherchefehler ins Innere des Lexikons. George R. R. Martins Roman-Serie „Das Lied von Eis und Feuer“ wird umfirmiert in „Das Lied von Feuer und Eis“. Klingt nicht schlecht, ist aber falsch.

Das Magazin „Magira“ wurde der Herausgeberschaft des gesondert aufgeführten EDFC e. V. (Erster Deutscher Fantasy Club) zugeordnet, was sich alleine durch einen sorgfältigen Blick in das Magira-Impressum als schlichtweg falsch erweist: „Herausgegeben von Hubert Straßl und dem Fantasy Club e. V.“

Überhaupt vermisse ich eine Erwähnung des „Fantasy Club“, noch immer der bedeutsamste Fantasy-Verein im deutschsprachigen Raum ist. (Immerhin veröffentlichte dort Dr. Helmut W. Pesch, im Lexikon zu Recht mit einem eigenen Eintrag geehrt, aber im Vorwort gleichsam herabgekanzelt als „hoffnungsvoller Nachwuchs“; dabei hat dieser bereits professionell gearbeitet, als Marcel Feige das Wort „Fantasy“ nicht einmal vorwärts buchstabieren konnte.)

Hinzu kommen widersprüchliche Beiträge wie der zu „Sword & Sorcery“: „Geprägt wird der Begriff zum ersten Mal durch Fritz Leiber, der die Abenteuer seiner beiden Helden im Schwerter-Zyklus einordnen möchte …“ (Seite 424). „Mit der Anthologie ‚Sword & Sorcery‘ prägt de Camp 1963 ein Subgenre der Fantasy und gibt ihm einen Namen: Sword & Sorcery.“ (Seite 91). Ja, wer denn nun, de Camp oder Leiber? („Der Begriff stammt von Fritz Leiber und taucht zum ersten Mal in einem Magazin namens |Ancalagon| bzw. 1961 in der Julinummer des Magazins |Amra| auf.“ Hetmann, Frederik: Die Freuden der Fantasy, Ullstein 1984)

Magazine werden von Marcel Feige angeführt, die „WunderWelten“ gehört mit Fug und Recht dazu, doch was kommt dann: die „Fantasywelt“ („eher fanmäßiges Infomagazin“). Wo lese ich etwas von der ungleich bedeutsameren „ZauberZeit“, wo ist die Rede von der „Spielwelt“ (der ersten ernsthaften Rollenspielzeitschrift in Deutschland)? Ein solch weitergereichtes Informationsdefizit ist nicht einfach mit der Hand wegzuwischen, denn dieses Lexikon bietet laut Klappentext „einen umfassenden Überblick“, von Lücken und Nachlässigkeiten kein Wort. Was also wird jemand, der sich dieses Lexikon zur Grundlage seiner Arbeit nimmt (weil nichts anderes als Konkurrenzprodukt zur Verfügung steht), womöglich in seinen Artikel aufnehmen: „Deutschlands bekannteste Fantasy-Magazine Fantasywelt und WunderWelten …“

Weshalb werden die Spielbücher mit keiner Silbe erwähnt, die immerhin ein wichtiger Schritt hin zu den textbasierten PC-Rollenspielen waren (von denen Nachfolger wie die „Ultima“-Serie nicht erwähnt werden, aber ein simpler Konsolen-Epigone wie „Zelda“ verewigt wird. Hineingehört hätten stattdessen „Baldur’s Gate“, „Neverwinter Nights“ oder „Diablo“) und in Deutschland eine breite Leserschaft amüsierten?

Ich freue mich über den Versuch, der deutschsprachigen Gemeinde ein Fantasy-Lexikon zu präsentieren. Die Mehrzahl der Beiträge in diesem Lexikon ist ordentlich geraten. Doch die Ausreißer sind nicht von der Hand zu weisen, im Gegenteil: Sie sind in mancher Hinsicht sehr ärgerlich. Damit verhindert Marcel Feige, dass dieses Lexikon als Grundlagenbuch oder Referenz empfohlen werden kann. Es fehlt zu viel, und einiges ist nicht richtig.

Wozu eignet sich dieses „Neue Lexikon der Fantasy“? Zum Schmökern, zum Nachschlagen, als eine mögliche Informationsquelle für Neugierige, die eine erste Übersicht über Fantasy gewinnen möchten.

_Karl-Georg Müller_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Berndorf, Jacques – Eifel-Feuer

Siggi Baumeister ist wieder mal auf der Suche nach einer Titelstory. Und die wird ihm prompt und überraschend geliefert. Als er General Otmar Ravenstein in seiner Jagdhütte in der Eifel besuchen will, stößt er nur noch auf dessen sterbliche Überreste. Der von der NATO als extrem wichtig eingestufte Logistikexperte für militärische Großeinsätze ist mit einer Maschinenpistole grausam hingerichtet worden. BND, MAD, CIA und der Geheimdienst der NATO sind nach nur wenigen Minuten zur Stelle und verpassen dem neugierigen Journalisten sofort einen Maulkorb.

Doch der „politisch ungehorsame“ Baumeister recherchiert trotz Nachrichtensperre auf eigene Faust weiter und findet schnell heraus, dass Ravenstein den Drahtziehern eines politisch motivierten Attentats dicht auf den Fersen war. Entscheidende Schützenhilfe erhält er von seinem Freund Rodenstock, der als hauptamtlicher Kommissar über das nötige Fingerspitzengefühl und kriminalistisches Fachwissen verfügt. Von nun an bestreiten sie gemeinsam den Wettlauf mit den Geheimdiensten, die alle Spuren des Verbrechens verwischen und die Identität des Mörders vertuschen wollen.

Jacques Berndorf (= Michael Preute) gelingt es mit diesem Kriminalroman, der Eifel internationales Flair zu verleihen und sie glaubhaft zum Schauplatz raffinierter Verbrechen und unerhörter Skandale werden zu lassen. „Die Deutschen erreichen durchaus internationalen Standard“, lässt der Autor den ermittelnden CIA-Agent über den BND urteilen. Ein Etikett, das durchaus auch auf Berndorf als Krimi-Autor zutrifft. Eifel-Feuer kann in Dramaturgie und Figurenzeichnung durchaus mit amerikanischen Vorbildern Schritt halten, bei denen das Lokalkolorit dem Werk den letzten, vielleicht sogar entscheidenden Schliff gibt.

„Nichts ist so spannend wie ein Mord am schönsten Arsch der Welt“, hat Berndorf einmal über seine Krimis gesagt. Im Hörspiel wird es aber erst richtig spannend, wenn die Charaktere von den Sprechern glaubhaft mit Leben erfüllt werden. Baumeister wird von dem Schauspieler Jochen Kolenda kongenial als kaltschnäuziger und waghalsiger Journalist interpretiert, während Rodenstock uns durch seinen Sprecher Walter Gontermann mit der ihm eigenen trockenen und überlegenen Gelassenheit gegenübertritt. Auch dessen Freundin Emma, gesprochen von Marianne Rogee, lässt uns durch ihren Akzent wissen, dass Holland nur einen Steinwurf von der Eifel entfernt liegt.

Ein rundum gelungenes Hörspiel, das mit durchweg überzeugenden Sprechern besetzt ist und vom Soundtrack des Kinofilms „alaska.de“ atmosphärisch und dramaturgisch untermalt wird. Hierdurch hebt sich das vor zwei Jahren vom WDR produzierte Hörspiel noch einmal von den bereits sehr gelungenen szenischen Lesungen der Eifel-Krimis mit Dietmar Bär als Baumeister und Günter Lamprecht als Rodenstock ab.

_Jörg von Bilavsky_
|Die Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de veröffentlicht.|

Douglas Adams – Per Anhalter ins All

|In vielen der etwas lässigeren Zivilisationen am äußersten Ostrand der Galaxis hat der Reiseführer „Per Anhalter durch Galaxis“ die große „Encyclopaedia Galactica“ als Standard-Nachschlagewerk für alle Kenntnisse und Weisheiten inzwischen längst abgelöst. Denn obwohl er viele Lücken hat und viele Dinge enthält, die sehr zweifelhaft oder zumindest wahnsinnig ungenau sind, ist er dem älteren und viel langatmigeren Werk in zweierlei Hinsicht überlegen.
Erstens ist er ein bisschen billiger und zweitens stehen auf seinem Umschlag in großen, freundlichen Buchstaben die Worte KEINE PANIK.|

Aus: „Per Anhalter durch die Galaxis“

„Per Anhalter durch die Galaxis“ ist über den Status eines reinen Kultbuches längst hinaus: Man darf sagen, dass es längst ebenso sehr Eingang in die westliche Kultur gefunden hat wie Mickey Mouse, Batman oder die Simpsons – der Anhalter gehört für jeden Reisenden (und wer wäre das nicht?) längst zur Allgemeinbildung. In diesem Sinne will ich gar nicht lange mit einer (ohnehin bestens bekannten) Inhaltsangabe langweilen, sondern lieber einen Blick auf die skurrilen Personen werfen, die das Universum bevölkern.

Da wäre natürlich zunächst Arthur Dent zu erwähnen, einer der letzten Nachkommen jener vom Affen abstammenden Spezies, die den Planeten Erde bevölkerten und deren simples Gemüt man leicht daran erkennt, dass sie Digitaluhren noch immer für eine ganz tolle Sache halten. Zu Beginn der Erzählung teilen sich Arthurs Haus und dann auch sein Planet das gleiche Schicksal: Beide müssen einer Umgehungsstraße weichen. Die eine ist von der Stadtverwaltung geplant und liegt als Konzept im Klo des Kellers einer Behörde aus, die andere ist von der Rasse der Vogonen vorgesehen und war auf einem unserer Nachbarsterne zu begutachten. Arthur wie auch die Menschheit im Allgemeinen hätten also jede Chance gehabt, gegen das Bauvorhaben zu protestieren, nur haben es leider beide versäumt, ihre Ansprüche gelten zu machen und so muss man sich eben von Haus und Heimat trennen.
Natürlich ist die Sprengung der Erde ein Ereignis, dem man sich nur schwer entziehen kann, aber Arthur Dent hat Glück im Unglück, denn kurz bevor der Planet Erde in seine Bestandteile aufgelöst wird, trifft er auf …

… Ford Prefect. Ford ist zwar dem Äußeren nach ein Mensch, stammt aber tatsächlich von einem fernen Stern aus dem Beteigeuze-System. Sein Name resultiert aus schlampiger Recherche – er dachte, er wäre auf der Erde unauffällig. Er ist so eine Art freischaffender Journalist und schreibt Artikel für den „Anhalter“. Unglücklicherweise ist er vor einigen Jahren in dem abgelegenen Spiralarm gestrandet, der bis vor kurzem auch das Sonnensystem und die Erde enthielt und kommt nun nicht mehr weg. Immerhin gab ihm das genug Zeit, einen neuen und verbesserten Artikel über den seltsamen Planeten zu verfassen, auf dem er da gestrandet war. Der alte Eintrag „harmlos“ war der reichen Kultur und der Geschichte des Planeten und seiner ganzen Bedeutung nicht mehr so richtig würdig und so konnte er im Laufe der Jahre auf „weitgehend harmlos“ erweitert werden.

Ford ist um drei Ecken mit dem Präsidenten des Universums verwandt und ein erfahrener Reisender und Anhalter, weswegen er auch nie ohne Handtuch an Bord eines fremden Raumschiffes gehen würde. Mit den Vogonen hat er sich und Arthur Dent leider relativ ungemütliche Zeitgenossen als Gastgeber gesucht. Nicht nur, dass diese sie durch die Luftschleusen einfach ins Vakuum hinausbefördern wollen, sie geben auch vorher einige Kostproben ihrer berüchtigten Dichtkunst ab. Da der Tod in der Kälte des leeren Alls jederzeit der vogonischen Dichtkunst vorzuziehen ist, finden sich die beiden Freunde schnell auf der falschen Seite der Schleuse wieder, doch da geschieht das Unwahrscheinlichste, was hätte passieren können … Die „Herz aus Gold“ nimmt sie im selben Moment auf!

Das ist selbstverständlich so unwahrscheinlich, dass es quasi gar nicht vorkommt, aber das Raumschiff „Herz aus Gold“ hat einen Unwahrscheinlichkeitsdrive, der auf der Theorie der Instochastik basiert. Mit Hilfe der Instochastik können ein Raumschiffantrieb konstruiert werden, die Wahrscheinlichkeit berechnet, dass sich eine Rakete in einen Wal verwandelt oder – und daran sieht man wirklich, um welche Potenzen es bei der Unwahrscheinlichkeitstheorie geht – Fehler in einer Restaurant-Rechnung gefunden werden!

Die „Herz aus Gold“, das modernste Schiff der Galaxis, wurde jedenfalls soeben von Zaphod Beeblebrox entführt. Dieser ist ein Egomane vom Herrn, Präsident der Galaxis, Abenteurer und Ex-Hippi. Als Präsident obliegt es seiner Pflicht, von den wahren Machtverhältnissen im Universum abzulenken und daher gilt er als einer der erfolgreichsten Männer, die dieses würdevolle Amt je innehatten. Er hat übrigens einen zweiten Kopf und einen zusätzlichen Arm. Trotz der körperlichen Unterschiede ist er mit Ford Prefect verwandt.

Ebenfalls an Bord der „Herz aus Gold“ befinden sich Tricia McMillan, genannt Trillian, eine lose Bekannte von Arthur Dent, die ihn mal auf einer Party hat abblitzen lassen und lieber mit Zaphod davongebraust ist (weswegen sie die Zerstörung der Erde auch überlebt hat) und der Roboter Marvin, der über ein Gehirn mit einer absolut fantastischen Rechenleistung verfügt und zudem mit einem echten menschlichen Persönlichkeitsprofil ausgestattet ist – er ist also ständig depressiv.

Zusammen mit diesen – nennen wir sie doch in Ermangelung eines besseren Begriffs „Leute“ – mit diesen Leuten also durchstreift Arthur Dent das Universum, erlebt Abenteuer, bekommt tiefere Einblicke in den Sinn des Lebens und muss dazu nicht einmal einen Pangalaktischen Donnergurgler trinken – eine Kreation von Zaphod, die sich anfühlt, als würde einem mit einem in Zitronenscheiben gehüllten Goldbarren das Gehirn rausgeprügelt werden …

Der Kreis schließt sich: Als Radiohörspiel hat das Kultbuch „Per Anhalter durch die Galaxis“ seinen Siegeszug begonnen und nun ist es dort auch wieder angekommen: Dazwischen liegen alle bekannten Formen der medialen Umsetzung eines Stoffes, sowie der Eingang des Werkes – oder doch zumindest einiger seiner Teile – in die westliche Kultur: „Per Anhalter durch die Galaxis“ gehört längst zum Kanon einer Literatur jenseits Marcel Reich-Ranickis.

Jeder Mensch, der auf die eine oder andere Art und Weise an Büchern interessiert ist, wird früher oder später auf dieses brillante Werk stoßen und nun hat |Der Hörverlag| eine Möglichkeit gefunden, es auch allen Lesemuffeln zugänglich zu machen.

Das Hörspiel ist erfolgreich bemüht, die abstruse Atmosphäre des Buches einzufangen und dabei jener legendären, beinahe mystisch verklärten BBC-Produktion nachzueifern, die nun auch schon demnächst ein Vierteljahrhundert alt ist. Dies gelingt souverän und die Gründe heißen Dieter Borsche, Klaus Löwitsch und Bernhard Minetti. Als Stimmen der Hauptdarsteller hauchen sie den Textzeilen des großen Douglas Adams Leben ein, sind so verrückt und überdreht, so seltsam und philosophisch, so gleichgültig und engagiert, wie die Helden der einzig bekannten fünfbändigen Trilogie. Es wäre jedoch unfair, nur diese Sprecher lobend zu erwähnen, denn auch und gerade die Nebenrollen sind liebevoll und mit viel Feingefühl besetzt, man denke nur an die Rede der Frau vor der Demonstration gegen die Errichtung der Schnellstraße durch Arthurs Haus – eine staunenswerte Leistung, die mich ungläubig und sprachlos vor den Boxen kauern ließ: Gerade in diesen Zwischentönen bzw. Zwischensequenzen brilliert die Hörbuchfassung ungemein.

Leider ist mir nicht bekannt, ob die textliche Vorlage des Hörspiels die der Originalfassung des „Anhalters“ ist, aus dem ja erst später ein Buch wurde, oder ob es sich um ein eigenes „Drehbuch“ handelt, aber so oder so sind die Kürzungen, die vorgenommen wurden, eine Reduzierung auf das Maximum. Schnell und witzig kommt die Geschichte nun daher, ohne jedoch auf den Tiefgang der Romanvorlage zu verzichten.

Die optische Gestaltung des Covers dürfte ganz im Geiste der ersten Erscheinungen des berühmten Buches sein, meine Uralt-Taschenbücher sehen jedenfalls so ähnlich aus … Löblich zu erwähnen ist auch die Trackunterteilung, die so angelegt ist, dass ein schnelles Wiederfinden einer bestimmten Szene oder die Wiederaufnahme nach Unterbrechung des Hörgenusses kein Problem darstellt.

Ein Ersatz zur Lektüre des „Anhalters“ ist das Hörbuch nicht – aber den kann und wird es sowieso nicht geben. Vielmehr bietet die Produktion von |Der Hörverlag| eine willkommene Möglichkeit, in die unendlichen Weiten des Douglasschen Kosmos einzutauchen, selbst, wenn das Buch nicht zur Hand ist. Somit kann es Kennern wie Neulingen nur wärmstens empfohlen werden – macht’s gut und danke für den Fisch.

_Marcel Dykiert_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de veröffentlicht.|