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RatCon 2004

20 Jahre DSA – dieses Jubiläum schwebte nach den Veranstalteraussagen |FanPros| weit über der gesamten [RatCon]http://www.ratcon.de/ im September 2004, an altgewohntem Ort, dem Fritz-Henßler-Haus im Zentrum Dortmunds.
Viele altbewährte Veranstaltungspunkte der letzten Jahre wurden wiederholt, interessante Ergänzungen rundeten das Programm ab, sodass die RatCon dieses Jahr zu einer rundum gelungenen Veranstaltung wurde.

Neben fast allen Redaktionsmitgliedern des „Schwarzen Auges“ war auch erneut eine Illustratorenkolonne angerückt: Besonders Caryad und Sabine Weiß schufteten fast rund um die Uhr, um auch noch dem Letzten ein Bild seines persönlichen Helden aufs blütenweiße Zeichenpapier zu bannen.

Erneut dominierten (wie es bei FanPros „HausCon“ auch nur allzu verständlich ist) die Systeme |DSA|, |Shadowrun| und |Battletech| – zumindest Letzteres fand jedoch in Turnierform hinter verhängten Türen statt, sodass der normale Conbesucher kaum Einblicke erhielt. Alle Nicht-Tabletopper mischten sich jedoch fröhlich, und schon knapp zwei Stunden nach Eröffnung der „48 Stunden Spielspaß“ waren sämtliche Tische besetzt und der Marathon begann.

Highlights für viele Spieler waren sicherlich nicht die angebotenen Workshops, sondern die multiparallelen Abenteuer: Hier kamen die Alveraniare zum Einsatz, die von FanPro zum Zwanzigsten des bekanntesten deutschen Rollenspiels ernannten Sendboten der Götter. Doch auch Shadowrunner kamen mit den nach Spieleraussagen ebenfalls sehr professionell organisierten MPAs und 24-Stunden-Runs nicht zu kurz, und wer einen der begehrten Plätze erhalten hatte, durfte sich glücklich schätzen.

In die Vollen ging Florian Don-Schauen direkt um 20 Uhr: Die letzte der vier Vorrunden zum „Drachengedächtnis“-Quiz startete in der gut gefüllten Aula. Wie üblich stand am Anfang zunächst das gesamte Publikum, das an dem Quiz teilnahm, doch schnell lichteten sich die Reihen durch knallharte Fragetechnik („Wer ist älter – Thomas Römer oder Florian Don-Schauen?“) und die wahrhaft Würdigen sowie der Tagessieger, der am nächsten Abend gegen die ihm ebenbürtigen Drachen antreten sollte, kristallisierten sich im kurzweiligen Verlauf recht schnell heraus.

Neben dem Hauptact des Freitagabends liefen auch noch kleinere Veranstaltungen, eine rege Vorfreude jedoch baute sich merkbar zum traditionellen Hadmar-Vortrag am Samstagmorgen auf: Als Tempelwache verkleidet (obwohl das Kostüm ob seiner Knappheit am großen Hadmar irgendwie nicht zur Bewegung gemacht zu sein schien, die es regelmäßig aus seinen Fugen geraten ließ) unterhielt der Entertainer und DSA-Autor die Fangemeinde im rappelvollen Kinosaal mit Anekdötchen und Analysen, die jedoch gegenüber den letzten Jahren irgendwie an Konsistenz verloren: Viele Wiederholungen der letzten Jahre mit teilweise langatmigen Stellen blieben ohne rechte Aussage, die Witze leider eher Spontanlachern des Publikums als wirklichem, sprühendem und vor allem durchgängigem und die Veranstaltung tragendem Humor verpflichtet.
Da stimmt dann die Frage ans Publikum (nur eine unter vielen), ob man sich einen komödiantischen Hadmar auf CD wohl kaufen würde, eher seltsam – ein erwartungsgemäß divergentes Ergebnis rief sie hervor.

Interessant, wenn auch nicht komplett uneigennützig, war der Talentworkshop (die Atmosphäre hatte etwas von einem Casting ohne künstlich aufgebauten Druck), den FanPros Romanabteilung (früher Phoenix) ebenfalls am Samstag veranstaltete: Jungautoren konnten ihre Texte einer kritischen Jury vortragen, die entweder lobte oder konstruktive Verbesserungsvorschläge verteilte.
„Die Zukunft des Horasreiches“ wurde von Frank Batels und Thomas Römer en passant in Zusammenarbeit mit den Fans gestaltet, bis schließlich die |Gezeitenwelt|-Autoren die Aula erneut füllten: Eine Lesung aus dem zum Zeitpunkt der RatCon noch nicht erschienenen Roman „Das Traumbeben“ von Karl-Heinz Witzko sowie aus dem wohl ersten Buch, das gemeinsam von vier Autoren geschrieben wurde, stand an: Das „Geheimnis der Gezeitenwelt“ begeisterte die Anwesenden durch eine Handlung, die 500 Jahre vor dem eigentlichen Beginn der Zeit, in der die Romane der Hauptreihe liegen, spielt.

Der erfolgreiche (Shadowrun-)Autor Markus Heitz (unter anderem „Die Zwerge“ und „Der Krieg der Zwerge“) hielt am Nachmittag ebenfalls eine Fragestunde ab, die nach Fanaussagen durchaus erwartet gut besucht und ansprechend gestaltet war.

Auch der Workshop zur Zukunft des Güldenlandes / Myranors war mit den Autoren Olaf Michel, Thomas Römer, Stefan Küppers und Michael Wuttke durchaus prominent besetzt und zog entgegen der Workshops in den vergangenen Jahren auch gleich ein Zehnfaches an Fans an: Statt fünf saßen die verdutzten Autoren gleich 50 Fans gegenüber, die sich für die Zukunft der vernachlässigten Region Deres interessierten.

Neben einigen kleineren und parallel laufenden Workshops (unter anderem „DSA – Abenteuer gestern und heute“, Schreibworkshops, Improvisationsanleitungen für den Spielleiter und Spielertrainings) fand am Samstagabend die Endrunde des Drachengedächtnisquiz statt, der der Berichterstatter leider nicht beiwohnen konnte, da ein kulinarisch angehauchtes Treffen des harten Kerns der |Gezeitenwelt|-Fans mit den Autoren anstand.

Am Sonntag jedoch begeisterten die Fans vor allem die Verleihung des „Gänsekiel & Tastenschlag“-Abenteuerautorenwettbewerbes, ausgerichtet von mehreren großen Internetseiten rund um DSA, sowie die große Podiumsdiskussion: Doch auch hier waren schon einmal mehr Fans anwesend – angesichts der wenig spannenden News, die die Redaktion zu verkünden hatte und die sich hauptsächlich auf Stimmungsmache zum anstehenden „Jahr des Feuers“ sowie die Bekanntgabe der Produktreleases beschränkte, kein Wunder.

Durchgehend (und zum Ende hin mehr werdend) fand man todesähnlich aussehende Schlafleichen in den Fluren und Gängen des FHH, gespielt wurde von einigen Eiferern tatsächlich 48 Stunden nonstop und mit gehörigem Spaß. Doch auch das fast durchgängig geöffnete DSA-Museum (unter anderem mit der Supersonderdeluxespezialausgabe des |Liber Cantiones| und weiteren Spezereien) begeisterte die Fans erheblich – eine gehörige Portion Nostalgie immer im Gepäck.

Insgesamt bot die RatCon tatsächlich die angepriesenen „48 Stunden Spielspaß“ – allerdings nur für den, der imstande war, 48 Stunden Bierzeltgarnitur lebend zu überstehen. Die Atmosphäre war diesmal gut; keine Demo (mit folgender Gegendemo) wie im letzten Jahr störte die Parker und Conbesucher, die sich nichts ahnend in Richtung der „Fressmeile“, der Brückstraße, aufmachten – kurzum: Eine Großveranstaltung, die ohne merkbare Reibereien oder Probleme ablief und einige kleine Akzente in Richtung „20 Jahre DSA“ setzen konnte. Am nächsten Wochenende nach den Sommerferien NRWs steht sie wieder vor der Tür, die RatCon – wie eine verpflichtende, weil sehr angenehme Tradition.

_Alexander Noß / Firunew _
hausherr@firunews-villa.de

|Dieser Con-Bericht wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Felten, Monika – Nebelsängerin, Die (Das Erbe der Runen 1)

Einst lebten die Stämme der Menschen mit den Ureinwohnern, den Uzoma, in Frieden und Eintracht. Doch dies ist lange her, denn ein finsterer Gott verlangt die Auslöschung derjenigen, die ihm nicht den hinreichenden Respekt und die entsprechenden Opfer bringen. Durch Intrige und religiösen Fanatismus erlangte seine Hohepriesterin Macht über die Uzoma und ihr Hass übertrug sich auf die Seelen der Ureinwohner. Nun streben sie danach, die Menschen von ihrem Land zu tilgen. Doch die Menschen schlossen sich trotz unterschiedlicher Herkunft zusammen zu einem Bund der Stämme und zogen sich auf ein gut zu verteidigendes Terrain zurück. Aber die militärische Macht der Uzoma war zu groß. Nur ein Wunder konnte die Menschen retten.
Und so geschah es, dass ein Schiff der Elfen an der Küste der Menschen strandete. Die Neuankömmlinge erkannten schnell, dass sie in derselben Gefahr schwebten wie die Menschen. Ihre größte Zauberin beschloss, einen unglaublichen Zauber zu wagen. Verbunden mit einer List sperrte sie die Uzoma in einen Nebel ein, den kein Wesen lebend durchqueren konnte. Doch sie selbst blieb in höchster Gefahr und ihr Leben konnte sie selbst dadurch nicht retten, dass sie die Grenzen der Welten überschritt. So verfügte sie in einem letzten Zauber, dass die Frauen ihrer Blutlinie die Kraft erben sollten, den Zauber des tödlichen Nebels zu erneuern. So sollte es auch jahrhundertelang sein. Immer wieder fand die neue Nebelsängerin ihren Weg und wurde von ihrer Mutter angeleitet. Doch die Kräfte der Hohepriesterin des finsteren Gottes werden immer stärker. Durch Zeit und Raum kämpft sie gegen das Gefängnis aus Nebelschleiern. Und schließlich gelingt es ihr, dass das Wissen über den Nebelzauber verloren scheint. Auch ist die Blutlinie so schwach, dass die Erbin des Zaubers nichts von ihrer Bestimmung weiß. Und dann weichen die Nebel zurück und das mächtige Heer der Uzoma marschiert auf, die Menschen zu vernichten.

Schon der nach sorgfältig aufgebauter Legende schmeckende Hintergrund des Romans lässt erahnen, dass Monika Felten hier weitaus mehr Arbeit hineingesteckt hat als in ihre Geschichten um den Thale-Hintergrund. Vom „Elfenfeuer“ zur „Nebelsängerin“ war es ein großer Schritt, auch wenn unweigerlich Parallelen auftauchen. So wird auch in diesem Roman die Protagonistin zwischen vorherbestimmtem Schicksal und eigenen Vorstellungen hin und her geworfen. Doch nun ist der Konflikt schärfer herausgearbeitet. Sie zweifelt an der moralischen Richtigkeit ihrer Aufgabe. Zwar erfüllt sie ihr Schicksal – aber ihre menschliche Seite und ihre christlich-moralische Gesinnung lehren sie, das Leben aller zu achten. Sie ahnt den Preis, den die Uzoma bezahlen müssen und leidet mit dem Volk, an dessen Unglück sie nun eine Schuld trägt.

Dass die Uzoma mehr sind als Tolkiens Orks, wird in verschiedenen Szenen klar. Zwar drängt sich der Vergleich mit Szenen aus Tolkiens Romanen auf, wenn man Uzoma als Orks und die Echsenreiter als Nazgul betrachten will. Doch nachdem sich die Tolkienschen Szenen auf solch cineastische Weise in das Gedächtnis gebrannt haben, wird jede Schlacht mit Helms Klamm und jeder Drachenreiter mit einem Nazgul verglichen werden. Der Verlag tat Recht daran, den schon fertig gedruckten Roman noch eine Weile in der Schublade zu halten.

Monika Felten hat ein sehr klassisches Thema der Fantasy gewählt. Sie beschreitet Pfade, die vor ihr schon von Größen wie Stephen R. Donaldson, David Gemmel, Philip José Farmer und Roger Zelazny beschritten wurden. Hier mit dem Argument der Einfallslosigkeit oder der Abkupferung zu kommen, wäre wohl albern, da dies seit Homer nichts Neues ist. Gerade die Neuinterpretation und das Aufzeigen von Varianten des gleichen heroischen Schemas machen das Buch interessant. Und Monika Felten meistert diese Aufgabe, indem sie dem Zwang des Schicksals den Wunsch nach Eigenbestimmung entgegensetzt. Wie schon Thomas Covenant (in Stephen R. Donaldsons meisterlicher Zyklus) fügt sich ihre Protagonistin nur unwillig in ihr Schicksal. Doch während Thomas Covenant nicht an sich selber glauben kann, zweifelt sie an der moralischen Richtigkeit ihrer Vorherbestimmung. Dies nicht von ungefähr, denn historische Vergleiche mit der Besiedlung Amerikas oder der Kolonialisierung Afrikas drängen sich schnell auf. Auch hier waren aus der Sicht der Weißen die aufständigen andershäutigen Ureinwohner die primitiven Fieslinge. Moralisch befanden sich die Ureinwohner allerdings unzweifelhaft im Recht. Ob es wieder Frieden zwischen den Menschen und den Uzoma geben wird, bleibt zu hoffen und wird in einem eventuell noch folgenden Band geklärt werden.

Neben der zentralen Figur zeichnet Monika Felten noch weitere Charaktere, die ihrem persönlichen Schicksal gegenübergestellt sind. Die Aufgaben sind so unterschiedlich wie die Personen selbst. Und trotz starrer Strukturen im Hintergrund der erfundenen Welt, kämpfen sie alle um ihre individuelle Größe.

Der Roman wird versierten Lesern nicht perfekt erscheinen, denn Monika Felten ist sicherlich keine Expertin für mittelalterliche Belagerungen und Strategien. Doch die Geschichte ist äußerst lesenswert und stellt für Jugendliche und Erwachsene ein sehr empfehlenswertes Buch da. Der flüssige Erzählstil und die spannende Entwicklung fesseln, während gleichzeitig das Bild einer fantastischen Welt vor den Augen entsteht.

Verlagsinformationen:
Monika Felten, geboren 1965, lebt mit ihrer Familie in der Holsteinischen Schweiz, einem Landstrich, wo zwischen Wäldern, Seen und Hünengräbern immer noch Elfen und Feen ihr Wesen zu treiben scheinen. Ihre Romane »Elfenfeuer« und »Die Macht des Elfenfeuers«, für die ihr jeweils der |Deutsche Phantastik-Preis| verliehen wurde, knüpfen an den Mythen und Legenden ihrer Kindheit an und begeisterten auf Anhieb zahlreiche Leser.
Mehr zur Autorin: http://www.monikafelten.de , http://www.daserbederrunen.de und http://projekt.daserbederrunen.de

Nachbemerkung des Editors: Das Buch wird mit einer Musik-CD von Anna Kristina ausgeliefert, die einen Soundtrack zum Buch beisteuert.

Bitte beachtet auch das [Interview]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=32 mit der Autorin anlässlich dieser Buchveröffentlichung.

_Jens Peter Kleinau_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Interview mit Monika Felten

_X-Zine:_
Gratulation zur Fertigstellung deines neuen Romans „[Die Nebelsängerin. 635 Das Erbe der Runen“. Es ist wieder ein recht dickes Buch geworden. Wie lange hast du damit gerungen?

_Monika Felten:_
Gerungen eigentlich gar nicht. Die Geschichte schrieb sich sehr fließend.
Die ersten Ideen und ein Exposé dazu entstanden bereits im Juni 2003. Da schrieb ich noch an „Die Hüterin des Elfenfeuers“, was meine Begeisterung für den neuen Stoff allerdings nicht schmälerte. Wann immer ich Ideen hatte oder Anregungen aus dem DEDR-Team kamen, wurden diese notiert und gesammelt. So entstanden allmählich ein umfangreicher Plot für die Story und jede Menge Informationen über die Protagonisten, die Völker und das Land Nymath selbst, auf die ich später aufbauen konnte.
Ab September 2003 habe ich mich dann für sechs Monate ausschließlich der Nebelsängerin gewidmet.

_X-Zine:_
Mit dem klassischen Prinzip der Weltensprünge hast du dich auf gut befahrenes Terrain begeben. Welche Gründe waren für dich wichtig, dass deine Heldin Ajana einen Fuß in unserer Wirklichkeit hatte?

_Monika Felten:_
Ajana sollte unbedingt eine „Außenstehende“ sein, also jemand, der nicht durch seine Erziehung von den gängigen Wertvorstellungen, die in Nymath herrschen, beeinflusst ist. Nur so ist sie dazu in der Lage, die recht verfahrenen Situation, in die sie hineingerät, wirklich objektiv zu beurteilen und Verständnis für beide Seiten aufzubringen.
Das ist übrigens etwas, das ich auf dem „gut befahrenen Terrain“ der Weltensprüngen als Leser oft vermisst habe. Meist fügen sich die Protagonisten recht schnell und brav in ihr Schicksal und erfüllen ihre Aufgabe, ohne zu fragen oder gar an der Richtigkeit ihres Tuns zu zweifeln.
Ajana soll ihre Erziehung und Vorstellung von Gerechtigkeit mit in die neue Welt tragen und dort auch das Recht, ja sogar die Pflicht haben, den herrschenden Konflikt kritisch zu betrachten. Mit sechzehn ist sie alt genug, um Parallelen zu ähnlichen Situationen in unserer Welt zu schaffen (z. B. Indianer und Weiße, aber auch der Palästinenser-Konflikt in Israel). Das alles wäre kaum möglich, wenn sie in Nymath aufgewachsen wäre.

_X-Zine:_
Ist Fantasy eine Traumwelt, in der wir die Probleme unserer Welt durch Magie und Schwert lösen können?

_Monika Felten:_
Schwert und Magie sind gängige Mittel der Fantasy und für mich persönlich auch ein unverzichtbarer Bestandteil dieses Genres. Zur Problemlösung taugen sie jedoch ebenso wenig wie eine Protonenkanone in einer SF-Story. Allerdings muss man berücksichtigen, dass meine Bücher immer in einer mittelalterlich anmutenden Welt angesiedelt sind. Eine ausgeklügelte Diplomatie ist, mangels Bildung, dort nur begrenzt möglich und so eskalieren Konflikte doch recht schnell.
Nicht selten zeichnet gerade die Fantasy das Bild einer Albtraumwelt, in die sich der Leser gerade deshalb so gern begibt, weil er weiß, dass ihm die geschilderten Szenarien in der Realität kaum begegnen werden.
Wer allerdings glaubt, hieraus etwas für unsere Welt ableiten zu können, hat meiner Ansicht nach das falsche Genre gewählt.

_X-Zine:_
In Fantasy ist fast immer Gewalt enthalten. Auch in deinem Roman sterben etliche Menschen und andere Wesen auf recht brutale Weise. Ist das ein Spiegel unserer Welt?

_Monika Felten:_
In gewisser Weise schon. Ein Blick in die Geschichtsbücher genügt, um Szenarein zu finden, die kein Fantasyautor sich besser hätte ausdenken können. Barbarei und okkulte Grausamkeiten sind genauso vertreten wie Verrat und erotische Ausschweifungen. Aber man braucht gar nicht so tief zu graben. Auch heute werden wir durch die Medien ständig mit Dingen konfrontiert, die an Gewalt und Grausamkeit über unser Vorstellungsvermögen gehen.

_X-Zine:_
In einem früheren [Interview]http://www.x-zine.de/xzine__interviews.id__16.htm mit dem |X-Zine| fragten wir nach dem Konzept von Gut und Böse in der Fantasy. Welche Aussage würdest du nach der Arbeit an der „Nebelsängerin“ dazu treffen?

_Monika Felten:_
Ich halte das Konzept noch immer für ein klassisches Grundelement der Fantasy. Und immer noch erachte ich gerade die Wandlung eines vermeintlich Bösen zum Guten als eine große Herausforderung. Deshalb habe in „Die Nebelsängerin“ bewusst darauf geachtet, das „Böse“, also in diesem Fall die Uzoma, nur aus der Sicht der Vereinigten Stämme darzustellen. Es war mir wichtig, dass die Leser mit den bedrängten Menschen empfinden und deren Ansichten teilen.
Schon im zweiten Band wird sich allerdings herausstellen, dass die vermeintlich Bösen im Grunde auch nur Opfer sind und nicht wirklich Böse. „Gut“ und „Böse“ werden sich dann gegen den wahren Feind verbünden … Aber ich will da nicht zu viel verraten.

_X-Zine:_
Gibt es einen moralischen Anspruch, den Autoren an ihr Werk stellen sollten?

_Monika Felten:_
Ich denke, dass es auch in der Fantasy Tabus gibt, die nicht gebrochen werden dürfen, diese sind jedoch längst nicht so differenziert wie z. B. in den Jugendbüchern, die ich schreibe. Hier versuche ich, den jugendlichen Lesern mithilfe der Texte Werte zu vermitteln, wie z. B. Freundschaft, Hilfsbereitschaft und Mitgefühl, damit sie etwas von dem Text „mitnehmen“ können, wenn sie das Buch zuschlagen.
In den Fantasyromanen für Erwachsene liegen die Schwerpunkte allerdings anders und die Spielräume sind auch viel größer. Die Bücher sollen in erster Linie unterhalten und eine Flucht vom Alltag ermöglichen. Dass es dabei nicht unmoralisch zugeht, versteht sich von selbst, aber wenn man als Autor zu softig schreibt, handelt man sich schnell den Vorwurf „weichgespülter Fantasy“ ein.

_X-Zine:_
Was bedeutet Fantasy nach den unglaublichen Kinoerfolgen von „Harry Potter“ und „Herr der Ringe“?

_Monika Felten:_
Das ist schwer zu sagen. Ganz sicher sind mehr Leser auf das Genre aufmerksam geworden und viele neue Fans hinzugekommen. Mehr begeisterte Leser zu haben, bedeutet aber noch lange nicht, dass sich der Stellenwert innerhalb der Literaturszene geändert hat.
Trotz aller Erfolge hat Fantasy es hierzulande immer noch schwer. Das bekommt man sehr schnell zu spüren, wenn man PR-Arbeit macht. Die großen Kultur-Medien winken meistens ab. Auch Harry Potter und Tolkiens Erfolge konnten leider nicht dazu beitragen, der Fantasyliteratur den Status des „Kulturellen“ zu geben. Viele packen sie immer noch in die gleiche Schublade wie Arzt- oder Liebesromane, die ja auch Millionen Anhänger haben, aber dennoch nicht erwähnenswert sind.

_X-Zine:_
Werden die neu erschienenen Romane an diesen Werken gemessen?

_Monika Felten:_
Ich denke (und hoffe doch) nicht. Sowohl Tolkien als auch. J. K. Rowling haben in der Literatur einen Status erreicht, an den man kaum mehr herankommen kann. Andere Autoren daran zu messen wäre schlichtweg nicht fair. Es gibt viele gute Bücher, die an die Qualität der beiden heranreichen, aber zu so einem gigantischen Erfolg gehört leider noch weit mehr, als nur ein gutes Buch zu schreiben.

_X-Zine:_
Ruft nicht jeder „Plagiat“, wenn ein Autor den Begriff „Elfe“ in seinen Roman erwähnt?

_Monika Felten:_
Das fände ich doch reichlich übertrieben. Immerhin hat Tolkien die Elfen nicht erfunden, sondern sie auch nur aus der keltischen Mythologie entliehen. Elfen gehören ebenso zur Fantasy wie Zwerge, Druiden, Drachen etc. …
Welche Völker und Wesen ein Autor für seine Bücher wählt, bleibt allein ihm überlassen. Das Reich der Mythen und Sagen bietet hier einen unerschöpfliche Quelle.

_X-Zine:_
Die Uzoma sind die dunkelhäutigen Ureinwohner dieser Welt. Sie sind keine Menschen. Auch Tolkiens Werk wird anhand der Orks mit Vorwürfen des Rassismus konfrontiert. Rechnest du mit ähnlichen Vorwürfen?

_Monika Felten:_
Eigentlich nicht. Die Vertreibung eines Volkes durch ein stärkeres, nach Expansion strebendes Volk, findet sich in unserer Weltgeschichte hundertfach wieder. Es liegt scheinbar in der Natur des Menschen, seine Artgenossen beim Kampf um Wasser- und Nahrungsquellen rücksichtslos zu verdrängen.
Wie ich aber oben schon anmerkte, habe ich die Unterdrückung eines Ureinwohnerstammes ganz bewusst als Dreh- und Angelpunkt des ersten Romans gewählt. Und ich freue mich, wenn die Story dazu beiträgt, sich mit dem Schicksal unterdrückter und vertriebener Völker auseinanderzusetzen.

_X-Zine:_
Der Hintergrund, der Titel und der Roman selber versprechen trotz abgerundeter Handlung eine Fortsetzung. Gibt es dazu schon feste Pläne?

_Monika Felten:_
Oh, ja. Fürs Erste sind drei Bände geplant. Mit dem zweiten „Die Feuerpriesterin“ (VÖ Herbst 2005) habe ich gerade begonnnen. Er wird nahtlos an den ersten Teil anknüpfen und nicht nur alle offenen Fragen des ersten Bandes beantworten, sondern auch recht überraschende Wendungen bringen. So wird man z. B. den wahren Feind erkennen und den Kampf gegen ihn aufnehmen.
Der dritte Band schließlich wird den Leser bis nach Andaurien führen, das Land der Ajabani und Djakun. Ajana wird die ganze Zeit über in Nymath bleiben. (Es wird also keine weiteren Weltensprünge geben.) Sie wird, abweichend von dem gut befahrenen Terrain, auch altern und in unserer Welt als vermisst gelten.
Ganz konkret kenne ich schon den Schluss des dritten Bandes (VÖ Herbst 2006), aber bis dahin ist es ja noch eine Weile.

_X-Zine:_
Werden wir bekannten Figuren in einer Fortsetzung begegnen?

_Monika Felten:_
Ganz sicher. Diesmal läuft die Story (anders als bei der „Saga von Thale“) chronologisch weiter. Viele der Protagonisten werden also (soweit sie das Ende des Buches überlebt haben 😉 auch wieder mit dabei sein.

_X-Zine:_
Ajana beweist als junges Mädchen schon eine ziemliche Reife, wie wird sie sich weiterentwickeln?

_Monika Felten:_
Ajana wird ja älter und durch die Erlebnisse in Nymath auch reifer.
Ist sie im ersten Band noch unsicher und auf die Hilfe anderer angewiesen, wird sie die Rolle, die ihr das Schicksal zugedacht hat, in den Folgebänden nicht nur annehmen, sondern auch darüber hinauswachsen und dabei auch eine völlig andere Einstellung zu ihrem elbischen Blut entwickeln. Dadurch erlangt sie die Fähigkeit, mithilfe der Runen weit mehr zu leisten als ihre Vorgängerinnen und wird dies auch zum Wohle Nymaths einsetzen.

_X-Zine:_
Die CD zum Roman ist sehr gut gelungen. Wie kam die Zusammenarbeit mit der Sängerin Anna Kristina zustande?

_Monika Felten:_
Der erste Kontakt kam auf der |Nord Con| 2003 zustande. Eine Hamburger Agentur suchte nach einem Fantasy-Autor, der sich für das Konzept „lesen und hören“ begeistern konnte. Also für ein Buch mit Soundtrack. Da ich meine Lesungen auch schon früher mit Musik unterlegt habe und weiß, wie wunderbar dies die Stimmungen der einzelnen Passagen unterstreicht, war ich von der Idee sofort begeistert.
Ich habe ein Konzept für den möglichen Roman entworfen und ein langes Exposé geschrieben. Die Story kam gut an und nachdem sich auch Piper für das Thema „Soundtrack zum Buch“ begeistern ließ, stand der „Nebelsängerin“ nichts mehr im Wege.
Dass wir die junge und ambitionierte Sängerin Anna Kristina für die Songs gewinnen konnten, freut mich besonders. Ich hatte kurz vor der |Nord Con| einen TV-Beitrag über sie auf Pro 7 gesehen. Ihre Stimme und Persönlichkeit haben mir auf Anhieb gefallen. Allerdings hätte ich damals nicht im Traum daran gedacht, dass ich schon so bald mit ihr zusammenarbeiten werde.

_X-Zine:_
Sind noch weitere „Nebelsängerin“-Produkte in der Mache?

_Monika Felten:_
Angelehnt an die Atmosphäre und landschaftlichen Stimmungen in „Die Nebelsängerin“ hat der Graphik-Designer Torsten Reinecke einen Kalender mit 13 phantastischen Landschaftsmotiven auf der Basis stimmungsvoller Fotos entwickelt, der schon unter dem Titel [„Mystische Welten“]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3832709193/powermetalde-21 im Verlag |teNeues| erscheint. Er enthält zudem kurze Textauszüge aus dem Buch, eine kleine Runenkunde und zwölf gezeichnete Charakterstudien zu den Protagonisten und Figuren des Romans.
Ab Februar 2005 startet dann eine Puzzle-Reihe aus dem Hause |Ravensburger| mit drei Motiven zu meiner Roman-Trilogie, ebenfalls mit einer Soundtrack-CD zu jedem Puzzle. Die Motive »Falcon Wild« (500 Teile), »Magic Weaver« (1.000 Teile) und »Legend of Heroes« (1.000 Teile) werden von dem Illustrator und Charakter-Designer Alexander Jung in Abstimmung mit mir geschaffen.
Es gibt bereits auch schon Verhandlungen über ein Hörbuch, aber dazu kann ich zu diesem Zeitpunkt noch nichts Konkretes sagen.
Der Roman ist zudem, wie der geneigte Leser sicher erkennen wird, in einer rollenspieltauglichen Welt angesiedelt. Hier gibt es schon erste Gedanken zu einem möglichen Rollenspiel, doch ob und wann dies Gestalt annimmt, wird nicht zuletzt der Leser entscheiden.

_X-Zine:_
Dann wünschen wir viel Erfolg und danken für das Interview.

|Dieses Interview wurde von unserem Partnermagazin [X-Zine]http://www.x-zine.de geführt und mit Zustimmung der Redaktion bei |Buchwurm.info| veröffentlicht.|

Kettlitz, Hardy / Geus, Klaus / Ritter, Hermann – vergessenen Science-Fiction-Klassiker, Die (SF Personality Sammelband 1)

„Es gibt allgemein sehr wenig Sekundärliteratur über Science Fiction in Deutschland“ – mit diesen leider zutreffenden Worten leitet Herausgeber Hardy Kettlitz den ersten „SF Personality Sammelband“ ein. Wer sich nicht vor vielen Jahren zur Blütezeit der Science-Fiction erschienene Bücher wie „Reclams Science Fiction Führer“ oder Brian W. Aldiss’ „Der Milliarden Jahre Traum“ sicherte, kann noch nicht einmal auf diese längst überholten Werke zurückgreifen.

Umso erfreulicher ist das – von Hardy Kettlitz mehrmals als „fannisch“ benannte – Projekt des |Shayol|-Verlages zu bewerten, sich aus der immensen Liste an SF-Autoren (und SF-Autorinnen!) zumindest ein paar herauszupicken und ihr Gesamtwerk einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Dass dabei nicht die mutmaßlich besten Schriftsteller (wobei sich über „beste“ natürlich trefflich streiten ließe) erfasst werden, sondern solche, die Hardy Kettlitz und den Mitarbeitern besonders am Herzen liegen, sollte mehr als entschuldbar sein. Fanarbeit lebt vom Spaß an der Sache, und sobald etwas mit Unlust verbunden nur mehr „erledigt“ wird, merkt man dies dem „Produkt“ an.

„Die vergessenen Science-Fiction-Klassiker“ haben offensichtlich den notwendigen Spaß gebracht, denn mit sehr viel Akribie und außerordentlichem Aufwand wurden die in der Regel auf Deutsch verfügbaren Romane und Kurzgeschichten besprochen. Nicht alle Elaborate der behandelten Autoren, aber auf jeden Fall die, welche wichtig sind. Und ein gutes Maß an Schriftgut, nach dem sich heute kein Lektor die Finger lecken würde. Aber damals war alles anders.

Der Terminus „damals“ trifft es sehr gut, denn die sechs Autoren haben noch das „Golden Age“ der Science-Fiction erlebt, das von 1938 bis 1950 währte und maßgeblich von John W. Campbell geprägt wurde, dem Herausgeber des amerikanischen SF-Magazins |“Astounding“|.

Wer jedoch heute nach Veröffentlichungen der besprochenen Autoren Murray Leinster, C. L. Moore, Henry Kuttner (Ehemann von C. L. Moore), H. Beam Piper, Leigh Brackett oder Gustav Meyrink (der ein wenig aus der amerikanischen Riege heraussticht) sucht, wird es schwer haben. Die einschlägigen SF-Antiquariate oder der gescholtene, aber von vielen heimgesuchte Internetauktionator müssen aufgesucht werden, um noch eines der längst vergriffenen „Terra“ oder „Terra Fantasy“-Taschenbücher oder – ach, selig, wer diese sein Eigen nennen darf – die „Utopia“-Romanhefte zu entdecken, die das bevorzugte Publikationsmedium vergangener Tage darstellten.

Mit ein wenig Wehmut habe ich deswegen auch die zahlreichen Abbildungen nicht nur deutscher Coverabbildungen, sondern auch die der amerikanischen Originale betrachtet, die sich im Innenteil des Bandes wiederfinden. Die Abbildungen sind zwar „nur“ schwarz-weiß, aber in Anbetracht des mehr als gerechtfertigten Preises ist dieser Umstand zu verschmerzen.

Hardy Kettlitz, Klaus Geus und Hermann Ritter nehmen sich mit sehr viel Sachverstand der genannten Schriftsteller an. Sie greifen dabei auf einen großen Fundus an Veröffentlichungen zurück, und bei ihren teilweise sehr ausführlichen Besprechungen nehmen sie gottlob keine Rücksicht auf Namen, so dass Anmerkungen wie: „Diese Story war, wie der Großteil des Leinsterschen Schaffens, eine geballte Ladung routiniert erzählten Unsinns“, (Seite 48) nicht ungewöhnlich, sondern amüsant (und zutreffend) sind. Aber es handelt sich halt um „Unsinn“, den man sich als SF-Fan ins Gedächtnis rufen muss, denn er gehört zur Geschichte des Genres.

Wer bisher dachte, alles über Brackett oder Kuttner zu wissen, wird enttäuscht. Klar, Brackett schrieb nicht nur am Drehbuch zu „The Big Sleep“ mit, sondern verfasste auch das zu „Rio Bravo“. Dies weiß man als Western-Fan – aber dass der Roman dazu bei |Heyne| erschien, genau das habe ich trotzdem verpasst. Doch Hardy Kettlitz klärt mich auf. Auf diese Weise wird jeder noch ein Detail aus seinem und ihrem Schaffen erfahren, das ihm bis dato unbekannt geblieben ist.

Erleichtert wird die eigene Suche nach den „vergessenen“ Autoren durch Bibliographien und einen Titelindex. Der Sammelband ist im Übrigen ordentlich verarbeitet und sauber gedruckt. Und den Kauf ohne Wenn und Aber wert! Wer über die heute modernen Autoren hinaus ein Interesse an Science-Fiction hegt, sollte auch einmal zurückschauen. Ein solcher Band bietet dazu den idealen Einstieg, um sich entweder zu erinnern oder erstmals Erfahrung zu machen mit denen, die den Boden bereitet haben für Schriftsteller wie – ach, ihr wisst ja selbst, wer momentan „angesagt“ ist.

Ich habe erst durch einen Freund von der mittlerweile auf 12 Einzelbände angewachsenen Reihe erfahren, die in kleiner Auflage erschien und deshalb teilweise längst vergriffen ist. Die Nachfrage mündete zum Glück im vorliegenden Sammelband, in dem die ersten Bände nicht einfach nachgedruckt, sondern korrigiert und ergänzt wurden. Aber, lieber Hardy Kettlitz, wann erscheint Sammelband 2?, denn die Betrachtungen zu Marion Zimmer Bradley oder Jack Vance sind nicht mehr lieferbar. Und wer folgt Michael Moorcock, der im jüngsten Band gewürdigt wurde?

Zumindest kann ich mit einer Antwort auf die Frage dienen, ob Sekundärliteratur langweilig sein muss: Nein, wie eindrucksvoll bewiesen wird. Und deshalb bleibt für den SF-Fan nur eins: das Buch bestellen. Und die Folgebände.

_Karl-Georg Müller_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de veröffentlicht.|

Disher, Garry – Willkür

Wyatt, inzwischen 40 Jahre alt, kann auf eine 20-jährige Karriere als Berufsverbrecher zurückblicken. Er hatte „klein angefangen, sich zunehmend vervollkommnet, um mit ungefähr dreißig dann ehrgeizigere Vorhaben anzupacken – Banken, Lohngelder, Goldvorräte.“ Jetzt steckt er in einer kritischen Phase: Verschiedene Coups waren in der jüngsten Vergangenheit schief gegangen und ihm fehlt das Geld, weitere Coups vorzubereiten. Zu allem Überfluss hat das Syndikat ein Kopfgeld auf seine Liquidierung ausgesetzt und das macht down-under zu einem gefährlichen Pflaster für ihn.

|“Nicht zum ersten Mal musste er wieder bei null anfangen, doch aus irgendwelchen Gründen stellte er seit neustem langfristige Überlegungen an.“|

Und Wyatt hat noch eine offene Rechnung mit dem Mescis-Clan zu begleichen. Sie hatten ihn in der Vergangenheit um 200.000 Dollar betrogen (von dem im dritten Wyatt-Roman [„Hinterhalt“ 613 erzählt wurde). Wyatt nimmt Kontakt über den pensionierten Berufsverbrecher Rossiter zu seinem alten Partner Frank Jardine auf. Gemeinsam stören die beiden erst mal die operativen Geschäfte des Syndikats, um einerseits die Aussetzung des Kopfgeldes auf Wyatt zu erreichen und andererseits einen Vorschuss für die Ausschaltung des Mescis-Clans zu bekommen. Aber ihre Pläne kollidieren mit den Interessen anderer, die gänzlich andere Absichten verfolgen:

|“Bisher war immer der Ertrag das bestimmende Motiv seines Handelns gewesen. Diesmal jedoch hatten sich zusätzlich Rachegedanken Einlass verschafft.“|

_Victor und Leo Mesic:_ Nach dem Tod des Vaters, dem Clanchef Karl Mesic, droht den beiden Brüdern der Verlust ihrer lukrativen Geschäfte, weil Konkurrenten ihre Schwäche auszunutzen versuchen.

_Bax:_ Der korrupte Detective steht auf der Lohnliste des Mesics-Clans und ist heimlicher Geliebter der Ehefrau von Leo, Stella Mesic. Bax fürchtet nichts mehr als den Verlust seines Lebenstandards, nämlich teure Klamotten und schnelle Autos.

_Rossiter:_ Der ehemalige Berufsverbrecher hat sich aus seinen früheren, erfolgreichen kriminellen Geschäften zurückziehen müssen, als ein Killer ihn übel zurichtete, um Wyatts damaligen Aufenthaltsort herauszubekommen. Eillen, seine Ehefrau, und Niall, sein Sohn und Neonazi, sind deshalb gar nicht gut auf Wyatt zu sprechen.

_Napper:_ Der korrupte Sergant ist geschieden und die Alimentenzahlungen an seine Frau und Tochter haben ihn an den Rand des finanziellen Ruins gebracht. Er sucht verzweifelt Geldquellen, um die sich türmenden Rechnungen bezahlen zu können.

|“Wollte er für den Rest seines Lebens so weitermachen? Würde seine Courage ihm treu bleiben? Wenn er aufhörte zu arbeiten (ein Ende durch Festnahme, Verletzung oder Tod fand keine Berücksichtigung in seinen Erwägungen), besäße er dann ein hinreichend dickes finanzielles Polster für ein angenehmes Leben?“|

Garry Disher erzählt einen komplexen Plot aus den unterschiedlichen Perspektiven seiner Protagonisten. Souverän verknüpft er dabei die einzelnen Erzählstränge, er wechselt Schauplätze und Perspektiven, beschleunigt und bremst das Tempo und man folgt gespannt und fasziniert seinen Geschichten. Disher erschafft lebendige, unverwechselbare Charaktere, deren Schicksal uns bis zum bitteren Ende fesselt. Die zunächst ruhig dahinfließende Geschichte verdichtet sich mehr und mehr bis hin zu einem furiosen Finale. Garry Disher erzählt seine Geschichte sehr filmisch, knappe Beschreibungen, knappe Dialoge. Sein Stil ist lakonisch, trocken und trotzdem packend. Beeindruckend ist die düstere, |hardboiled| Atmosphäre und die Zwangsläufigkeit, mit der die verschiedenen Interessen der Protagonisten sich in einem großen, explosiven Finale entladen.
Dishers Roman zeichnet sich aber auch durch Ironie, Humor und Persiflage aus. Napper, die heimliche Hauptfigur, wird bis an den Rand der Lächerlichkeit geführt und doch ist er es, der die Zündschnur in Brand setzt.

|“Er schüttelte den Kopf. Ich unterscheide mich nicht im Geringsten von anderen Männern meines Alters, dachte er, mache mir Gedanken über die Jahre bis zum Ruhestand, bis zum Tod.“|

Garry Dishers Wyatt-Romane stehen in der Tradition Donald E. Westlakes, der in den 60er Jahren Furore mit seinen Romanen um den professionellen Dieb Parker machte. Dishers Protagonisten sind ebenfalls Kriminelle und korrupte Bullen. Disher zeichnet dabei seine Figuren als gewöhnliche Menschen mit normalen privaten und beruflichen Problemen. Wyatt plant nicht den großen Coup, sondern sein krimineller Job dient dem ganz normalen Broterwerb. Seine jüngsten Fehlschläge bedrohen seine Unabhängigkeit und zum ersten Mal macht Wyatt sich Sorgen um seine Zukunft. Deutlicher als in seinen früheren Romanen gibt Disher Wyatt menschliche Züge. Er ist nicht mehr der eiskalte Profi, dem niemals Unsicherheit oder Zweifel an seinen Fähigkeiten, eine riskante Situation zu meistern, zu schaffen machen. Wyatt wird zunehmend bewusster, dass er ein Anachronismus in den Zeiten von Kreditkarten und elektronischen Geldtransfers ist, mit seinem Bestreben, ausschließlich Bargeld bei seinen Überfällen zu erbeuten. Mit Wyatt hat Disher eine faszinierend ambivalente Figur geschaffen, die man wider Willen sympathisch findet.

„Willkür“ wird in einem Sog erzählt, der den Leser mitreißt und ihn nicht ruhen lässt, bis die 250 Seiten verschlungen sind. Ein absoluter page-turner. Wyatt macht süchtig … nach mehr Geschichten von Wyatt.
Garry Disher beweist mit seinem vierten Wyatt-Roman seine große Klasse. Er muss einen Vergleich mit dem großen Donald E. Westlake nicht scheuen. Unbedingt empfehlenswert!!!

_Claus Kerkhoff_
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Disher, Garry – Hinterhalt

20.000 Dollar hat Wyatt eingesackt, viel weniger als die erhofften dreihunderttausend Dollar, die das Lohnbüro gebunkert haben sollte. Und die läppische Beute wird ihm gleich im Motel von zwei Typen aus den Händen gerissen: Einen von ihnen, Mostyn, kann er kaltstellen, aber Whitney, der zweite Detektiv, macht sich mit dem Geld auf und davon. Wyatt bleiben „zweihundert Dollar, ein paar Dietriche und an Kleidung nur das, was er am Leibe trug“. Reichlich wenig für jemanden, der immer auf der Suche ist nach „dem großen Ding“. Jetzt hängt er fast mittellos in der Nähe Melbournes herum und ist so weit, jede seiner lächerlichen Ausgaben auf den Cent genau nachzuhalten.

Wyatt hätte sich aber nicht sein Leben lang halbwegs erfolgreich durchs Leben geschlagen – immerhin hat er sich ein schnuckeliges Farmhaus mit nettem Gelände auf einer abgelegenen Halbinsel zulegen können -, wenn ihn ein Rückschlag wie dieser in seinem Elan gestoppt hätte. Freunde hat er, zumindest ein paar, denen er vertrauen kann. Okay, sein Verbindungsmann Rossiter fällt aus, und die Ehefrau reagiert allergisch auf Wyatts Anruf: „Deinetwegen haben sie meinen Alten fast erwürgt!“ Und Loman – na ja, am Apparat meldet sich eindeutig ein Polizist: „Er ist buchstäblich verkohlt.“

Bleibt Harbutt, die dritte Wahl. Und der kreuzt nicht alleine am Treffpunkt auf, sondern mit Dern, der eine Latte an möglichen Aufträgen mit sich herumschleppt, die von Wyatt gleich einmal der Reihe nach aussortiert werden. Außerdem schließt sich Thea dem Trio an: „Damals hatte sie sich Maxine genannt“. Dieses „damals“ hängt Wyatt noch nach, jedenfalls taucht Thea-Maxine später alleine auf, um einen früheren eiligen Abschied nachzuholen. Dern hat sein Mädchen aber nicht aus den Augen verloren. Nach einer einseitigen Prügelei macht sich Wyatt wieder einmal aus dem Staub.

An einem anderen Ort braut sich bereits neue Unbill zusammen: Mark Stolle, Chef des Detektiv-Duos, will selbst den Auftrag erledigen und Wyatt aufspüren; seine Auftraggeberin lässt auch nach dem ersten Fehlschlag nicht locker.

Wyatt macht sich in der Zwischenzeit zu seiner Farm auf, um sich das dort deponierte Geld und eine Waffe vor dem Zugriff anderer zu sichern: Seine Farm steht längst zum Verkauf, nachdem er landesweit gesucht wird. Auf der Farm schließt sich auch der Kreis, denn Finn, der Bruder eines Ermordeten, passt ihn dort ab. Vor drei Monaten hatte er eine Kanzlei ausgeraubt, Anna Reid hatte den Job ins Rollen gebracht. Und eben diese Anna Reid kommt plötzlich mit ins Spiel, als Stolle auf der Suche nach Wyatt erst einmal dessen Farm anläuft. Finn wird erschossen, Wyatt kann entkommen – aber Stolle lässt nicht locker. Und die Auftraggeberin wird auch zufrieden gestellt …

258 Seiten Umfang hat „Hinterhalt“, nicht unbedingt viel für den Preis, der verlangt wird. Für ein paar Euro mehr kann ich schon Bücher mit dem doppelten Umfang einbringen – habe ich da für teuer Geld ein schlechtes Geschäft gemacht? Keineswegs und ganz im Gegenteil: Ich bin ja schon dankbar, wenn sich Autoren auf das Wesentliche zurücknehmen können und da von Zeilenschinderei absehen, wo es insbesondere dem Lesegenuss zugute kommt. „Hinterhalt“ legt ein rasantes Tempo vor, es bleibt für den Leser kaum Zeit zum Verschnaufen, und das hängt auch damit zusammen, dass Garry Disher den Inhalt auf das für ihn Wichtige kondensiert, also auf Reflektionen, Innenansichten, gute Gespräche verzichtet: Pure Action ist angesagt.

Das ist nicht jedermanns Sache, und auch der Rezensent würde sich mit argem Bauchgrimmen nach dem zu häufigen und einseitigen Genuss der Disher-Romane nach einem Highsmith-Krimi sehnen. Aber Wyatt, Held und Anti-Held in einer Person, strahlt eine magische Anziehungskraft aus, die vielleicht mit unserer dunklen Saite zu tun hat, die manchmal in uns anklingt, zumindest dann, wenn sie auf ungefährliche Weise angeschlagen wird: Er ist ein gewöhnlicher Verbrecher, dabei wenig ehrenhaft, schnell mit der Waffe und skrupellos, wenn es um den eigenen Vorteil geht. Und doch schimmert auch seine „gute“ Seite durch, wenn er am Ende des Romans die eben eingeheimste Barschaft mit vollen Händen von sich gibt, weil eine Frau – die er zuvor aus dem Gefängnis befreit hat – ihn darum bittet. „… aber er wusste, dass ab jetzt alles nur besser werden konnte“.

Natürlich wird nichts besser werden, weil dieses „besser werden“ auch immer den Klang nach Beständigkeit mit sich trägt, einen Dauerzustand, von dem man sich nicht mehr lösen kann, will man sich nicht wieder verschlechtern. Wyatt dagegen ist unstet, auf Veränderung aus, ein Nomade, den nichts dort hält, wo er gerade ist. Und so ist der Schluss von „Hinterhalt“, als die Frau befreit wird und er den Gedanken hat, mit ihr zusammenbleiben zu können, nur zwangsläufig. „Zwei- oder dreimal im Jahr verschwinde ich für eine Woche, für einen Monat, komme nach Hause …“ Das hätte niemals gut gehen können, doch sie nimmt ihm die Last ab, eine solche Beziehung scheitern zu lassen. Sie nimmt seine Geldofferte an und verschwindet aus seinem Leben …

Garry Disher erhielt zu Recht 2000 und 2002 den Deutschen Krimipreis. „Hinterhalt“ passt sich nahtlos an die beiden Vorgänger „Gier“ und „Drachenmann“ an: schnelle Kost für heiße Sommertage.

_Karl-Georg Müller_
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Jeschke, Wolfgang / Mamczak, Sascha (Hrsg.) – Science Fiction Jahr 2003, Das

850 Seiten offeriert das „Das Science Fiction Jahr 2003“, ein wahrhaft dicker Wälzer, zusammengestellt von Wolfgang Jeschke und Sascha Mamczak. Dominiert wird der Band vom alles umspannenden Thema „Religion“, dem sich auf mehr als 250 Seiten gewidmet wird. Aufgrund der Fülle des gebotenen Materials picke ich das heraus, was für mich in erster Linie augenfällig war. Das bedeutet aber keineswegs, dass der übrige Teil des Buches nicht der Rede wert oder schlecht war.

„Möge die Macht mit dir sein!“ betitelt sich das einleitende Essay von Linus Hauser. Quer durch die Science-Fiction-Literatur stapft er, dabei zahlreiche Sidesteps in Technik und Fortschritt machend und Hinweise gebend auf pseudoreligiöse Heilsbringer, die insbesondere ihr Bestes, aber nicht das unsrige im Auge haben. L. Ron Hubbard und „Scientology“ dürfen in diesem Zusammenhang selbstverständlich nicht fehlen, auch wenn ich den Eindruck gewonnen habe, dass es in den vergangenen Jahren etwas stiller um diese äußerst suspekte Gemeinschaft (sehr vorsichtig umschrieben …) geworden ist. Und ob mich das beruhigen mag, bezweifele ich sehr.

Meine Zustimmung erhält natürlich, dass unter dem Aspekt „Technikglaube und Führerglaube“ scheinbar ehrenwerte Herren wie Wernher von Braun, wenn auch in wenigen Worten, aber dem Rahmen doch angemessen, vom Podest gehoben werden, auf dem sie noch zu meiner Jugendzeit unbehelligt thronen durften. In den 70ern dem Konstrukteur der Saturn-Raketen an die Karre fahren – ein Unding, Sakrileg vielleicht sogar, war er doch „Unser Mann fürs All“. Untaten dürfen nicht vergessen werden, und selbst wenn sie nur in knapper Form festgehalten werden, gehören sie gerade zur Thematik „Technikglaube“ und dessen unheilvollen Auswirkungen.

Wie sehr L. Ron Hubbard wenigstens als beispielhafter Epigone einer religiösen Fehlleitung dienen kann, beweist Thomas Körbel im bezeichnenden Artikel „Ich bin der Auserwählte!“ Er setzt sich mit den „schöpferischen Mythologien der Science-Fiction“ auseinander. Sehr gut, dass auch höchst frische Genreentwicklungen wie „Matrix“ Eingang in einen solchen Text finden, denn ein Jahrbuch hat besonders auf die Tagesaktualität nicht nur Rücksicht zu nehmen, sondern muss sie auch in den Kontext einbeziehen.

Robert Hector ist gleich mit zwei längeren Beiträgen (neben seinen Rezensionen) vertreten: „Mad Max, Leibowitz & Co.“ nimmt alternative Endzeit-Visionen ins Visier, zu Anfang recht rüde alles über einen Kamm scherend durch die bloße Aneinanderreihung von Schlagworten wie „nuklearer Holocaust, globale Erwärmung, Terroranschläge …“, verbunden mit der Frage „Was steht der Menschheit bevor?“ Na ja, wenn ich derartig eingestimmt werde, bleibt mir als Leser nur die Kugel. Doch nach dieser populistischen Einleitung beschäftigt sich Herr Hector mit „Maddrax“, „Mad Max“ oder „Leibowitz“, erzählt von eben den dort stattfindenden Katastrophen, um dann den Kreis mit „Zurück in die Wirklichkeit: Globale Katastrophen in naher Zukunft?“ zu schließen.

Ach, hat er diese nicht schon längst aufgelistet, Aids zählt er dazu, geklonte Menschen – viel ärger mag es nicht mehr kommen (wo er doch eine „gewisse Lust am Untergang“ verspüren will)? Doch, es geht noch schlimmer: „Kampf der Kulturen“ (der einseitige Absatz endet mit „Es kocht in dieser Welt – die große Explosion lässt nicht mehr lange auf sich warten“ – das lässt sich nicht von der Hand weisen, doch ob ein paar warnend-mahnende Worte des Autors irgendeine Art von tragender Bedeutung haben werden?), „Biologische Waffen“, „Treibhauseffekt“, „Angriff aus dem All“ … Leider der phrasenhafteste Artikel des gesamten Buches.

Peter M. Gaschler hat sich die Filmszene 2002 & beyond vorgenommen. Oldies wie „Alphaville“ oder „The Andromeda Strain“ stehen dort neben Neufilmen wie „Die Monster AG“ – liest sich alles gut recherchiert. Und keiner wundere sich, wenn ein Film mit Titel „Der Untergang des Römischen Reiches“ aus dem Jahre 1963 Einlass in das Science-Fiction-Jahrbuch erhielt, die Grenzen zwischen den Subgenres Fantasy und Science-Fiction werden im Jahrbuch durchaus fließend gehalten. Meist verschwimmen sie sogar, wie wir in der Rubrik „Computer“ erlesen, wo eindeutige Fantasy-Titel namens „Neverwinter Nights“ oder „The Art of Magic“ die Rollenspiel-Abteilung dominieren.

Doch eigentlich mag ich mich mit dieser Rubrik am wenigsten anfreunden. Woran das liegt? An der Schnelllebigkeit des Spielemarktes. Das besprochene Spiel „Serious Sam 2“ beispielsweise erschien Anfang 2002, heute ist es längst wieder überholt worden von der technischen Entwicklung. Etwas in dieser Art kann nur eine punktuelle Betrachtung sein, ein ausschnittweiser Rückblick, der nicht Fisch noch Fleisch ist. Viel mehr noch, als dies bei Film und Literatur der Fall ist, leben die PC- und Konsolenspiele vom schnellen Umschlag speziell der „Software“. Und deshalb besänftigt mich der Bücherteil ein wenig – mit dem bitteren Beigeschmack, dass ihm nur zwei magere Seiten mehr als dem Spielepart zugebilligt wurden!

Ans Herz gewachsen, sehr übertrieben formuliert, ist mir Hermann Urbanek durch seine unermüdliche Fleißarbeit, die ihren Ausfluss in „Die deutsche SF-Szene 2001/2002“ erhält. Wofür eine Mitgliedschaft im |Science Fiction Club Deutschland| alleine lohnt, bereitet er für das Jahrbuch in kondensierter Form noch einmal auf. Kein Mensch außer ihm mag überprüfen, ob auch nur ein einziger Titel ihm nicht irgendwie unter die Augen gekommen ist (und sei es bloß durch die reine Namensnennung), weswegen ich einfach davon ausgehe, dass die Auflistung so weit wie irgend möglich komplett ist. (Nicht unterschlagen darf ich, dass er gleich noch die amerikanische und die britische Szene mit anhängt, aber da kann er einfach nicht „komplett“ sein, oder doch?) Bei all der Mühe sollte bedacht werden, dass es sich um keine kritische Betrachtung handelt, und so sind Hermann Urbaneks Bemerkungen wie „zu den besonderen Höhepunkten der letzten Monate zählten die MIDGARD-Romane ‚Lechvelian‘ von Ralph Sander …“ zu ignorieren. Für mich sind das beschönigende Verzierungen, die dem Wert der Arbeit letztlich aber keinen Abbruch leisten können.

Nicht eingegangen bin ich auf Beiträge von Brian W. Aldiss (wie immer sehr gut lesbar; diesmal eine Rede anlässlich eines Literaturkongresses), Interviews mit William Gibson oder Marcus Hammerschmitt, Betrachtungen zu Philip K. Dicks Spätwerk (nein, nicht von Uwe Anton). Und vieles mehr.

Das Vorwort zum Jahrbuch 1986 von Wolfgang Jeschke hat leider auch heute noch Bestand: „Ich muss der Tatsache Rechnung tragen, dass nur ein Bruchteil der Science-Fiction-Leser an Hintergrundinformationen, Autoreninterviews und Berichten aus der Szene interessiert ist.“ Heute klingt das so: „Dass sich dieser Markt wandelt, ist unbestritten; dass es insbesondere im Wandel einer kritischen Betrachtung bedarf – sei es im HEYNE SF-Jahr oder anderswo – hoffentlich auch.“ Das Jahrbuch war immer (wie auch sein Vorgänger „Das Science Fiction Magazin“ bei |Heyne|) ein aus Verlegersicht eher unrentables Geschäft, wie Wolfgang Jeschke Mitte der 80er Jahre bereits kundtat. Daran hat sich offenbar, so lässt es sich den Worten entnehmen, nichts geändert.

Das ist sehr bedauerlich, denn eine Gratwanderung zwischen dem kaufmännischen „Es rechnet sich nicht“ und der Notwendigkeit, ein derart fundiertes Sekundärwerk zu publizieren, wird eines Tages ein trauriges Ende nach sich ziehen.

Deshalb: Trotz des hohen Preis, verglichen mit den üblichen Romanwerken, gehört ein Periodikum wie „Das Science Fiction Jahr“ in den Bücherschrank. Die Beiträge sind nicht allesamt widerspruchslos zu goutieren, aber genau das zeichnet ein derartiges Buch aus: Ansätze bieten zum eigenen Nachdenken, Grundlage sein für Diskussionen, sich Beschäftigen mit der Literatur, die man mag, dem phantastischen Film, in den man gerne „abtaucht“.

„Das Science Fiction Jahr 2003“ lege ich jedem Interessierten sehr nahe ans Herz.

_Karl-Georg Müller_
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Aldous Huxley – Schöne neue Welt

„Gemeinschaftlichkeit, Einheitlichkeit, Beständigkeit“, so der Wahlspruch in Huxleys schöner neuer Welt. Dahinter verbirgt sich eine Gesellschaft, die, in ein strenges Kastenwesen unterteilt, ihren Lebenssinn im staatlich gesteuerten Konsum findet. Horden von in Khaki gekleideten Delta-Klonen – Bokanowskygruppen – finden ihr Glück beim Zentrifugalbrummball, Alphas amüsieren sich in Fühlkinos oder mit Vibrovakuumapparaten, Betas spielen Hindernisgolf. Alle zusammen werden sie schon pränatal in Brutflaschen auf ihre zukünftige Rolle im Gesellschaftsleben vorbereitet. Das Bokanowskyverfahren kennt als Hauptstütze der Gesellschaft keine Mutter und keinen Vater. Epsilon-minus-Halbkretins erhalten bis zu ihrer „Entkorkung“ Chlor, Ätznatron, Blei und Teer zugesetzt, um ihrer Aufgabe als zukünftige Chemiearbeiter gerecht zu werden und diese Arbeit zudem physiologisch zu lieben. Nach der Entkorkung schließt sich die Normung an. In Schlafschulen werden die einzelnen Klone mit jeweils für ihre Kaste spezifischen Schlafschulweisheiten konditioniert. Die Furcht vor dem Tod wird abgenormt, es gibt keine alten Menschen, keine Bücher, keine Ängste, keine Liebe, keine Krankheiten, keine Armut, weder Religion noch Kunst, nur Spiel und Spaß. Soma, eine synthetische Droge, erstickt jeglichen trotz Normung aufkeimenden Kummer, revolutionäre und damit gesellschaftsschädliche Gefühle und tötet jeden Ansatz individuellen Denkens. Regiert wird diese Gesellschaft von zehn Weltaufsichtsräten. Ihnen obliegen die Zensur, die Reglementierung und Bestrafung bei Abweichungen von der Norm. Der Kollektivismus wird durch extrem modern anmutende Motivationstrainings gepflegt.

Sigmund Marx, ein sowohl physiognomisch als auch psychologisch von der Norm abweichender Feigling, bringt aus einer Reservation den „Wilden“ Michel in seine Welt mit. Natürlich geboren, ohne Normung aufgewachsen, ist Michel ein Exot. Die neue Welt ist ihm unverständlich und je mehr er davon sieht, desto mehr fühlt er sich abgestoßen. Eine unglückliche Liebe bringt sein labiles Wesen an den Rand des Wahnsinns. In einer Diskussion mit dem Weltaufsichtsrat Mustafa Mannesmann muss Michel erkennen, dass seine revolutionären Gedanken nicht nur bei der Herrscherriege, sondern auch in der Bevölkerung auf Unverständnis stoßen müssen, dass seine Kritik an diesem Gesellschaftssystem zwar berechtigt sein mag, aber nichts ändern wird, und dass es für ihn in dieser Gesellschaft keinen Platz geben wird. Da ihm auch der Rückweg in seine alte Welt verwehrt ist, bleibt ihm nur noch der Freitod.

Im Gegensatz zu Orwells „1984“, oft in einem Atemzug mit Huxleys Werk genannt, fühlen sich Huxleys Menschen nicht unterdrückt. Sie sind glücklich mit dem, was sie sind und was sie tun. Die Vorstellung, etwas könne sich daran ändern, bereitet ihnen Unbehagen und deshalb ist Huxleys Welt wesentlich glaubhafter. Orwell bedient sich in der Geschichte, Huxley (1894 – 1963) ist innovativ. Ein totalitäres Regime, wie von Orwell beschrieben, hat, und das lehrt die Geschichte, langfristig keinen Bestand. Huxleys Welt ist dauerhaft, ein stabiles System mit Klonierung und „neo-pawlowscher“ Normung als Basis für Beständigkeit, Einheitlichkeit und Gemeinschaftlichkeit, mit Konsum als Selbstzweck und Soma als staatlich verordnetes, magisches, nachwirkungs- und nebenwirkungsfreies Antidepressivum.
„Schöne neue Welt“, in den Dreißigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts als Utopie begonnen, entwickelt sich mittlerweile zu einer beißenden Gesellschaftssatire, da die Ähnlichkeiten unserer Gegenwart zu Huxleys Welt immer frappanter werden. Huxleys Roman zählt sicher zu den besten SF-Werken, die bisher geschrieben worden sind.

Mehr über A. Huxley bei |wikipedia|: http://de.wikipedia.org/wiki/Aldous__Huxley

_Jim Melzig_
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|Unsere hauseigene Rezension von Michael Matzer findet ihr in aller Ausführlichkeit [an dieser Stelle. 2462 |

Baudelaire, Charles / Huysmans, Joris-Karl / Mirbeau, Octave – Blumen des Bösen, Die / Tief unten / Der Garten der Qualen

Es gibt Klassiker der unheimlichen Literatur, welche heute nur noch selten ihren Weg zu den Lesern finden, da die Autoren zumeist vergessen sind und nur noch Kenner der Phantastik aus literaturhistorischem Interesse heraus versuchen, antiquarische Exemplare zu ergattern. Löblicherweise erscheinen nun im |area|-Verlag einige dieser Werke im edlen Hardcover zu moderaten Preisen.

Im vorliegenden Band sind drei Werke vereint, welche bislang – bis auf eine Ausnahme – selten lieferbar waren. Es sind dies die Gedichtsammlung „Die Blumen des Bösen“ von Charles Baudelaire, „Tief unten“ von Joris-Karl Huysmans und „Der Garten der Qualen“ von Octave Mirbeau.

_Charles-Pierre Baudelaire_ (1821 – 1867) ist den Phantastik-Kennern als Poe-Übersetzer bekannt. Baudelaire hat die Poe-Rezeption in Frankreich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts angestoßen und damit auch für die Verbreitung der Poe’schen Werke in Deutschland viel Gutes getan, nachdem E. A. Poe einige Zeit zu Unrecht vergessen war. Seine eigenen Werke stecken – wie bei Poe – voller rätselhafter, verschrobener Charaktere und behandeln die Themen Tod, Verwesung, Gewalt. Dies ist auch in der viel gelobten Gedichtsammlung „Die Blumen des Bösen“ („Les Fleurs du mal“, 1857) der Fall. In nahezu hundert Gedichten beschwört Baudelaire eine Welt voller Wahnsinn und Zerfall, und das in einer poetischen Sprache, die voller betörender Bilder ist. Diese Sammlung gilt zu Recht als ein Meilenstein in seinem Werk und ist schwer zu übersetzen. Die Ausgabe des |area|-Verlages wurde von Terese Robinson übersetzt, welche mit großer Akribie daran ging, den Rhythmus des französischen Originals und seine Bildsprache auch im Deutschen beizubehalten. Das Ergebnis ist gelungen.

„Tief unten“ („Là-bas“, 1891) von _Joris-Karl Huysmans_ (1848 – 1907) ist ein Roman, der das Thema Satanismus in aller Breite und Ausführlichkeit schildert. Die Hauptfigur des Romans ist Durtal, ein Schriftsteller, der als ein Dandy des |Fin de Siècle| geschildert wird. Er recherchiert für eine Biographie über Gilles de Rais, besser bekannt als „Blaubart“. Gilles de Rais hatte sich der Legende nach ganz dem Satanismus verschrieben und versuchte die Gunst des Teufels zu erringen, in dem er u. a. Kinder auf grausamste Weise ermordete. Durtal ist auf dunkle Art fasziniert von seinen Ergebnissen und nimmt an Schwarzen Messen teil. Doch davon ist er angewidert und wendet sich ab, um wieder die Einsamkeit eines Dandys zu leben.
Das Werk ist eine Mischung aus Essay und Roman und zeigt vor allem den historischen Satanismus des |Fin de Siècle| als eine Sinnsuche in einer für die damaligen Künstler als sinnlos empfundenen Welt.

_Octave Mirbeau_s „Der Garten der Qualen“ wendet sich dem Thema Sadismus zu. In China erlebt ein französischer Exilant, wie Gefangene in einem Straflager, das einem Garten nachempfunden ist, zu Tode gequält werden. Die Methoden sind dabei dermaßen perfide, dass sich ein Clive Barker hiervon inspirieren lassen und diese nicht extremer schildern könnte. In bester Tradition eines Marquis de Sade schildert Mirbeau (1848-1917) die Qualen als Mittel zum sexuellen Genuss der Betrachterin, einer schottischen Adeligen. Am Ende jedoch überwältigt auch sie das Gesehene und sie fällt in eine Ohnmacht, wobei klar ist, dass die Adelige wieder und immer wieder zu Besuch in den „Garten der Qualen“ gehen wird. Dieser Roman diente Kafka als Vorlage für „In der Strafkolonie“.

Alle drei Werke sind wahre Klassiker der unheimlichen Literatur und jedem empfohlen, der sie noch nicht kennt. „Der Garten der Qualen“ ist normalerweise besonders schwer zu erhalten, demnach sollte man nicht zögern zuzugreifen, vor allem, da der Preis für ein Hardcover wirklich günstig ist.

_Markus K. Korb _
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Tad Williams – Der Blumenkrieg

Theo ist dreißig Jahre alt, zieht aber immer noch mit seiner Band und deren – noch fast jugendlichen – Mitgliedern durch die Gegend. Seine Freundin Cat erleidet eines Nachts – während Theo auf einer seiner berühmten Proben ist – eine Fehlgeburt und beschließt nach dem Verlust ihres gemeinsamen Kindes, sich von Theo zu trennen. Dieser zieht schweren Herzens zu seiner Mutter – doch er weiß nicht, dass diese an Krebs leidet. Etwa sechs Monate später stirbt sie. Theos Leben befindet sich nun endgültig am Tiefpunkt. Er zieht sich in die Berge zurück und beginnt damit, ein einsames, doch friedliches Leben zu führen. Im Nachlass seines Großonkels Eamonn Dowd findet er eine Art Tagebüchlein. Interessiert beginnt er zu lesen – und was er da liest, wird mehr und mehr zur Beschreibung einer fantastischen Welt. Dennoch behauptet Eamonn Dowd in einem Brief, den er einst an Theos Mutter schickte, alles in dem Buch Beschriebene sei wahr.

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Matthew Gregory Lewis / E. T. A. Hoffmann – Der Mönch / Die Elixiere des Teufels

„Der Mönch“

Ambrosio wurde als Säugling auf den Stufen des Klosters gefunden. Die Mönche erzogen ihn, und so war es nicht weiter verwunderlich, dass er selbst die Kutte ergriff. Inzwischen hat das einstige Findelkind sich zu einem Mönch gemausert, der in Madrid zu einer Berühmtheit avanciert, die heutzutage eigentlich nur Popstars genießen. Doch diese Berühmtheit hat einige Nebenwirkungen – unter anderem die, dass Luzifer persönlich auf den frommen Mann aufmerksam wird …

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Kerr, Philip – zweite Engel, Der

Ein tödliches, sich global verbreitendes Virus hat die Menschheit in zwei Gruppen gespalten. Infizierte, die mit stark verkürzter Lebensdauer in heruntergekommenen Vorstadtghettos ein von Gewalt und Willkür geprägtes Leben fristen, und Nichtinfizierte, mit Privilegien ausgestattet und von den Aussätzigen weitestgehend isoliert in Luxus schwelgend. Da mit Hilfe eines Blutaustausches Infizierte geheilt werden könnten, ist die einzig wirklich zählende Währung Blut. Daran haben jedoch die elitären Bonzen kein Interesse und horten stattdessen ihr selbst gespendetes oder auch zusätzlich erworbenes Blut in gigantischen Depots.

Dallas, ein Computer- und Sicherheitsexperte, entwickelt komplexe und trickreiche Verteidigungsanlagen, um diese Blutbanken zu schützen. Als klar wird, dass seine Tochter an einer schweren genetischen Erbkrankheit leidet, die nur mit kontinuierlichen Bluttransfusionen gemildert werden kann, erklärt ihn sein Arbeitgeber zum Sicherheitsrisiko. Er würde für die Behandlung seiner Tochter mit der Zeit mehr Blut konsumieren als er sich leisten kann. Die Firma setzt den Killer Rimmer auf ihn an. In einer gnadenlosen Jagd gelingt es Dallas zunächst zu entkommen, doch Rimmer tötet seine Familie. Dallas schwört Rache und schmiedet einen Plan, die größte Blutbank auf dem Mond auszurauben. Dazu muss er den Supercomputer Descartes überlisten und, wie Theseus den Minotaurus, einen Roboter in einem finsteren und voll böser Überraschungen steckenden Labyrinth überwinden.

In großen Teilen erfreulich anspruchsvoll liest sich der Roman des Schotten und hebt sich im Niveau wohltuend von denjenigen seiner amerikanischen Kollegen ab, nicht zuletzt durch die zahlreichen Anspielungen auf klassische Philosophie beziehungsweise auf die griechische Mythologie und die Apokalypse. Den Titel „Der zweite Engel“ hat Kerr vermutlich der Johannes-Offenbarung entlehnt:
|“Und der zweite Engel goß aus seine Schale ins Meer; und es wurde zu Blut wie von einem Toten, …“| (Joh. Offb. 16,3; Luther-Fassung von 1984).

Etwas ermüdend können zwar die zahlreichen Anmerkungen wirken, in denen Kerr die wissenschaftlichen Hintergründe zu erklären versucht, doch die fein durchdachte Geschichte mit der richtigen Dosis Spannung, faszinierenden Spekulationen in Richtung Nanotechnik und Quantenphysik, interessanten technischen Spielereien und einem überraschenden Schluss vertreibt die zähen Passagen zuverlässig und schnell. Dabei kann man auch gelassen über manche biologische Unstimmigkeiten hinwegsehen. Die Vermischung zwischen Fiktion und Realität mag zwar hin und wieder zu einer schwer nachvollziehbaren Logik führen, ist aber sehr unterhaltsam.
Eine Stelle, etwa in der Mitte des Buches, als sich der rachedurstige Dallas mit seiner Crew Richtung Mond aufmacht, um die |First National Blood Bank| auszurauben, erscheint sehr schwach. Der Stil verflacht hier merklich, die Dialoge zwischen den Hauptpersonen sind ziemlich banal und die Spannung kommt erst wieder, als sich der Bösewicht Rimmer eindrucksvoll zurückmeldet.
Hin und wieder mag man starke Ähnlichkeiten zu Dicks „Blade Runner“, „Total Recall“ und Gibsons „Neuromancer“ entdecken, doch auch wenn Kerr hier Vorbilder hatte, gelingt es ihm vortrefflich, sie mit seinen eigenen Ideen zu einem runden Gesamtbild zu verflechten. Ein prächtiges Buch, das in jeder guten SF-Sammlung einen Platz verdient hat:
„Seid guten Blutes“.

_Jim Melzig_
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Nachtrag: „Der zweite Engel“ erscheint derzeit zusammen mit „Game Over“ in einem Band bei |Wunderlich| zum Einzelbuchpreis. Zugreifen!

Taylor, Andrew – verriegelte Fenster, Das

Thomas Penmarsh (Spitzname Rumpy), ein Junge von elf Jahren, ist ein unansehnliches Kind und im Umgang mit Menschen hilflos. Zu seinem Glück steht dem sozial Gehemmten sein Cousin Esmond zur Seite, der das genaue Gegenteil von ihm ist: charmant, gut aussehend, eloquent. Die beiden wachsen gemeinsam in Finisterre auf, nachdem zuerst Esmonds kleine Schwester und wenig später auch seine Mutter versterben. Finisterre – das Ende des Landes – ist der Name des Gutes in Nord-Cornwall, in dem die Penmarshs in der Nähe der Küste residieren. Rumpys verwitwete Mutter hat einen Narren an Esmond gefressen und nimmt ihn quasi als zweiten Sohn an, doch das ist kein Grund für Thomas, eifersüchtig zu werden, denn auch er verehrt Esmond und sieht in ihm einen großen Bruder, für den er alles tun würde. Das neue Familienmitglied, das aus ärmlichen Verhältnissen stammt, profitiert wiederum von der besseren finanziellen Situation der Penmarshs.

Die beiden Jungen gehen gemeinsam durch Dick und Dünn, doch als junger Erwachsener will der lebenshungrige und ehrgeizige Esmond der provinziellen Langeweile und Perspektivenlosigkeit entfliehen und zieht nach London, wo er dubiose Geschäftsideen verfolgt. Der Kontakt zu Finisterre bleibt dennoch aufrecht, und Esmonds Machenschaften in der fernen Großstadt zeitigen letztlich auch hier Auswirkungen.

Mehr als zwei Jahrzehnte später hat der mittellose Esmond mit seiner Freundin in Rumpys Haus Quartier genommen und fühlt sich als eigentlicher Hausherr. Nun, als Alice – die bei entfernten Verwandten aufgewachsene Tochter von Thomas – ihren Besuch ankündigt, sieht er seine Machtposition bedroht. Rumpy sitzt zwischen den Stühlen und hat außerdem Angst vor seinem Kind, das ihm fremd ist. Und Esmond ist kein Mensch, der tatenlos zusieht, wie sich die Dinge zu seinem Nachteil entwickeln …

Mit Sicherheit ist „Das verriegelte Fenster“ kein Roman für jene, die ein Faible für rasante Entwicklungen und plakative Spannungsmomente haben. Deshalb mutet es etwas merkwürdig an, dass das Buch im Klappentext als Psychothriller bezeichnet wird und von Taylor als einem Spannungsautor die Rede ist – so richtig „thrillt“ es hier nicht. Über lange Strecken scheint die Geschichte kaum mehr als eine in gemächlichem Tempo erzählte Biographie zu sein, die sich durch ihre Begeisterung für die Figuren und eine genaue Beobachtungsgabe auszeichnet. Erst kurz vor dem Ende kommt dann das Krimi-Element zum Vorschein. Dennoch wird es wegen der guten Schilderung der Charaktere und des Geschehens nie wirklich langweilig. Auch der Wechsel zwischen vergangener und gegenwärtiger Erzählebene sowie die gekonnt subtile Vermittlung des Eindrucks, dass da etwas unter dem oberflächlichen Schein lauert, entschädigen für die fehlende Geschwindigkeit.

Fazit: Empfehlenswert für alle, die sich für das Ausloten psychologischer Untiefen begeistern können.

_MW_
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Fried, Hel – Tinnitus

Der Tinnitus ist ein beständiges, subjektives Geräusch im Ohr, welches man nicht unterdrücken oder abstellen kann. Ähnlich den Menschen mit dieser Krankheit ergeht es den Telepathen in Hel Frieds Roman. Jeder Mensch mit diesem Talent nimmt beständig ein Signal wahr, welches ihn unwiderstehlich zu einem bestimmten Ort zieht. Leider leben die Telepathen nicht in einer modernen Welt, sondern in einem postapokalyptischen Mittelalter und werden dort als Dämonen betrachtet, weswegen sie gnadenlos verfolgt und getötet werden.

200 Jahre nach der großen Katastrophe macht sich der Telepath Kramsky auf, den Ursprung des Geräuschs zu finden, um, wenn möglich, das Geräusch zu beseitigen, damit andere Telepathen nicht mehr von diesem Zwang erfüllt sind und ein freieres Leben führen können. Auf seinem Weg begegnet er anderen Personen, die entweder selbst Telepathen sind oder damit beschäftigt sind, Telepathen zu töten.

Hel Fried nimmt sich viel Zeit, seinen Hauptakteur darzustellen, seine Beweggründe aufzuzeigen und seinen Hintergrund zu erläutern. Ebenso nimmt er sich die Zeit, andere Personen gründlich einzuführen, bevor er sie oft sehr schlagartig wieder sterben lässt. Dass dabei die Akteure streckenweise dennoch flach bleiben, ist etwas schade. Besonders fällt dies bei Lazarus auf, der durch seine reine Übermenschlichkeit uninteressant wird, obwohl seine Geschichte anfänglich doch neugierig macht.

Dem Autor gelingt es dabei, alle Handlungsbögen wieder zu spannen und jeden Akteur, den er eingeführt hat, am Ende ans Ziel oder in den Tod zu führen (selbst bei Charakteren, die man bereits vergessen hatte). Dabei schöpft er aus einer Fülle von Ideen. Und hier liegt eine der größten Stärken und auch gleichzeitig Schwächen des Buches. Man bekommt zum Ende des Buches hin den Eindruck, als hätte Hel Fried versucht, 90 Prozent aller gängigen Themenkomplexe der Science-Fiction-Literatur in einem Buch unterzubringen. Geheimnisvolle Herkünfte und Mutationen sind nicht nur auf eine Art entstanden, sondern auf gleich drei verschiedene. Außerirdische tauchen auf, eine unheilbare Krankheit, Gentechnologie, Strahlung etc. Und am Ende ist der Ursprung des Ganzen doch in einer einzigen Ursache zu finden. Einen Hintergrund, den man als Leser hinnehmen oder woran man sich stören kann. Eine komplexe Hintergrundgeschichte mit vielen Akteuren, Einflüssen und Wendungen, die am Ende doch nur auf einem Umstand basieren. Der Autor läuft in solchen Fällen Gefahr, des Verdachts des |deus ex machina| ausgesetzt zu sein. So ist die Auflösung am Ende auch unbefriedigend und für meinen Geschmack zu plötzlich. Doch über das etwas abrupte Ende wird man schließlich auch mit dem letzten, nur eine halbe Seite langen Kapitel ein wenig hinweggetröstet.

Alles in allem hat die Lektüre von „Tinnitus“ Freude bereitet, nachdem ich über das erste Kapitel hinweg war, welches mich anfänglich befürchten ließ, dass die Vita des Autors interessanter sein könnte als der Roman. Hel Fried könnte vielleicht ein großer SF-Autor werden, wenn er sich ein wenig mehr Zeit für seine Ideen nehmen würde. Für den kleinen |Eldur|-Verlag ist „Tinnitus“ ein Roman, mit dem er sich durchaus nicht hinter den Großen der Branche verstecken muss. Für den Leser bleibt am Ende auf jeden Fall das Gefühl, einigen interessanten Ideen und Charakteren begegnet zu sein.

[_Kolvar_]http://www.orfinlir.de/
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Jean-Patrick Manchette – Blutprinzessin

Einige einleitende Informationen über den Autor und sein Werk findet ihr in der Rezension zu „Volles Leichenhaus“.

Dieser posthum erschienene Roman von Jean-Patrick Manchette ist wie seine anderen Werke von einem rasanten Tempo geprägt. Schon nach drei Seiten geht das Gemetzel los. Eine missglückte Entführung, bei der sich die Verbrecher gegenseitig abknallen, bildet den Beginn der Story. Das Anfangstempo wird eine Weile beibehalten, es werden in Zeitsprüngen und Ortswechseln viele Figuren in die Geschichte eingebracht. Der Roman umfasst die Zeitspanne von kurz nach dem 2. Weltkrieg bis zur Mitte der 50er Jahre und verknüpft die Handlung mit Zeitgeschichte, wie etwa den Aufstand in Ungarn oder die Algerienkrise. Der Stil ist einem Spionageroman nachempfunden, denn die Handlung ist international, die Figuren spielen ein doppeltes Spiel und viele Statisten tauchen auf. Manchette spielt mit diesem Genre, wenn er etwa den Tagesablauf der Protagonistin Ivory Pearl in ihrem einsamen Unterschlupf auf Kuba mit genauen Uhrzeitangaben verbindet, was fern jeglicher Zivilisation absolut irrelevant scheint.

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Fortuin, Henny – Geheimnis der Spinnenhexe, Das

Als der alte König stirbt, verfügt er in einer Prophezeiung, dass das dritte Kind eines seiner Kinder einst herrschen solle auf dem Thron des Landes. Seine drei Kinder sollen sich das Land teilen in drei Gebiete und jedes Kind soll König sein, bis denn dereinst das dritte Kind, ein Sohn, geboren würde. Seine Kinder schworen und glücklich starb der Vater. Die Kinder zogen in ihre Lande und bald war die väterliche Burg verlassen und das Land um sie herum vergessen. Drei neue, starke Königreiche entstanden in dem Gebiet des einstigen Reiches und es verging eine lange Zeit, bis das dritte Kind sich im Bauch regte. Doch die Tochter des alten Königs fürchtete um das Leben des jungen Kindes und flehte die Nebelhexe um Hilfe an. So wurde eine Tochter geboren, doch die Mutter zahlte einen harten Preis für die Hexerei. Der Vater des Kindes war entsetzt. Hatte er doch einen Sohn erwartet, wie es prophezeit war. Verbittert wendet er sich von seinem Kind ab, das stumm in der Wiege liegt. Niemand will für das Töchterchen sorgen und schließlich ist es die alte Spinnenhexe, die im Ostturm haust und das Kind bei sich aufnimmt. Doch während es heranwächst, nimmt der Kampf um die zerteilten Königreiche zu. Jeder will die Macht für sich haben und über das gesamte Gebiet herrschen.

Die Geschichte von Henny Fortuin vereint alle Ingredienzien, die zu einem Märchen dazugehören. Es gibt einen Zwerg, Hexen, Elfen, Könige, Zauberer, Königinnen, einen Kriegsherrn, einen Barden und nebenher noch ein wenig Fußvolk. Dazu noch eine Prophezeiung in den Hexenkessel geworfen und fertig ist das Ganze. Doch ganz so einfach hat es die Autorin sich selbst und uns Lesern nicht gemacht. Ihre Arbeit beginnt schon allein mit dem Stilmittel der unterschiedlichen Erzähler. Aus der Sicht einzelner Protagonisten wird die Geschichte berichtet. Dabei ändern sich der Stil, die Kommentare und auch die Sichtweise entsprechend der erzählenden Figur. Da spricht der Zwerg, der Stimmen im Wind hört. Die Spinnenhexe enthüllt ein paar ihrer Pläne, wenn sie an den Fäden zieht. Die Nebelhexe redet nur unwillig und der Barde übt sich in Selbstdarstellung. Wenn auch die Erzählweise der einen oder anderen Figur nicht leichtgängig ist, so ergibt sich daraus zugleich ein besonderer Reiz. So schweift der Zwerg gerne ab und es dürfte einem Kind nicht leichtfallen, dem Faden zu folgen (das Buch ist ab einem Alter von 12 Jahren vorgeschlagen).

Die Geschichte selbst ist vielschichtig und in mehrer Hinsicht zauberhaft. Henny Fortuin hält sich nicht lange mit Details auf und oft erhalten wir kaum eine Beschreibung der Personen oder Orte der Handlungen. Ganz im Stil der klassischen Märchen überlässt sie es der Phantasie ihrer Leser, die leeren Stellen zu füllen. Und das klappt gut. Denn an wesentlichen Stellen, wo die Phantasie abzuschweifen droht, fängt sie diese wieder durch eine kurze Erläuterung ein und widmet sich zügig erneut der Handlung. Folglich passiert recht viel in dem kleinen Buch, was jugendlichen Lesern sehr entgegen kommen dürfte. Langeweile sollte kaum aufkommen.

Das Buch ist näher an den klassischen Märchen als an der typischen, durch Tolkiens Revival geprägten Fantasy. Hier sind Elfen noch kleine Fieslinge und Zwerge einfach nur magische Geschöpfe. Wer noch ein offenes Auge für die Welt der märchenhafte Wunder hat, der sollte das Buch in die Hand nehmen.

Henny Fortuin, 1954 in Rotterdam geboren, arbeitete nach dem Psychologie-Studium mehrere Jahre als Schulpsychologin, bis sie ihre Lust am Schreiben entdeckte. Nachdem sie zunächst Kurzgeschichten für holländische Zeitungen und Kinderzeitschriften verfasste, schrieb sie ihren ersten Roman. „Das Geheimnis der Spinnenhexe“ ist ihr viertes Buch. |(© CARLSEN Verlag)|

_Jens Peter Kleinau_
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Huff, Tanya – Blutlinien

Obwohl Tanya Huff in den USA durch Fantasy-Zyklen wie die „Quarters“-Tetralogie und eine Unzahl von Romanen, die man sowohl dem Horror als auch der |Urban Fantasy| zurechnen kann, sehr bekannt ist, erschienen in Deutschland nur wenige ihrer Romane bei |Heyne|, bis |Feder & Schwert| sich der Abenteuer der Privatdetektivin Vicki Nelson und des Vampirs Henry Fitzroy angenommen hat. Die bisher fünf Romane dieser Reihe sind mittlerweile auch auf Deutsch erschienen.

Im kanadischen Ontario häufen sich seltsame Todesfälle rund um ein Museum. Ein Doktor der Archäologie und einige Wärter sterben kurz nach der Ankunft eines ägyptischen Mumiensarkophages scheinbar an Herzversagen, doch Detective-Sergeant Michael Celluci will nicht so recht an Zufälle glauben, zumal er mit dem Übernatürlichen vertraut ist und ihm einige Umstände seltsam vorkommen.
Er weiß, dass es mehr gibt als das Sichtbare und Vertraute, denn seine frühere Kollegin Vicki Nelson lebt mit einem Vampir zusammen und hatte selber schon mit ähnlichen Fällen zu tun. Trotz aller Rivalität zu dem gut 500 Jahre alten Nebenbuhler erzählt er den beiden von diesen Vorfällen.
Vicky zieht verrückte, aber gar nicht mal so abwegige Schlüsse: Könnte es nicht sein, dass ein altägyptischer Zauberpriester von den Toten auferstanden ist und versucht – just wie einst Boris Karloff in „Die Mumie“ – sein Werk fortzusetzen? Worin auch immer dies bestehen mag?
Auch Henry, der Bastardsohn Heinrich VIII. horcht auf, denn ihn quälen seit einiger Zeit schreckliche Alpträume. Die beiden beschließen Michael zu helfen und stürzen sich in die Ermittlungen, sammeln bald Informationen über weitere unerklärliche Todesfälle von Erwachsenen und Kindern.
Schon bald kommen sie auf die Spur eines Fremden, der sich Anwar Tawfik nennt, sich in die höchsten Kreise der Gesellschaft eingeschlichen hat und diese Menschen stark zu beeinflussen scheint. Sie rücken ihm auf den Leib, aber das ist ein Fehler…
Vicki und Henry müssen erkennen, dass sie es mit einem mächtigen und über 5000 Jahre alten ägyptischen Zauberpriester zu tun haben, den sie weder in seiner Macht noch in seinem Listenreichtum unterschätzen dürfen. Nicht zuletzt, weil er Vicki als Opfer seines Gottes Akhekh ausersehen hat…

Tanya Huff ist eine packende Erzählerin, der es gelingt, Action und Tiefgang miteinander zu verbinden. Sie setzt nicht nur auf eine spannende und überraschende Handlung, die kaum Kämpfe und nur wenig Blut benötigt, sondern auch auf interessant geschilderte Charaktere. Während jede der Hauptpersonen ihre Ecken und Kanten hat und die Kabbeleien zwischen Fitzroy, Celluci und Nelson die Handlung eher auflockern, gibt die Autorin dem ägyptischen Zauberpriester ebenfalls Tiefe und Raum. Er ist kein bloßer 08/15-Bösewicht, der stur nach seinem Schema handelt, sondern hat auch seine Höhenflüge und Zweifel, kann ebenso leidenschaftlich wie skrupellos handeln und findet sich schnell in der jetzigen Zeit zurecht, die ihn mehr als alles andere fasziniert.
Dadurch werden sowohl die Geschichte als auch die Charaktere lebendig, ohne dass der Roman in sentimentalen Gefühlskitsch abgeleitet, wie es bei vielen Romanen in der Richtung von Anne Rice üblich ist. Ich jedenfalls konnte den Roman kaum aus der Hand legen und möchte ihn vor allem den Leuten empfehlen, die intelligent erzählte Dark Fantasy mögen, die ohne Splatter auskommt.

Rezension des ersten Teils: [Blutzoll 123

http://www.meishamerlin.com/TanyaHuff.html

_Arielen_
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Bradbury, Ray – Fahrenheit 451

Auf dem Kopf den Helm mit der 451, das Salamanderabzeichen am Ärmel und die Phönixplakette – dies sind die Merkmale von Guy Montags Feuerwehruniform. Montags Aufgabe besteht nicht darin, Brände zu löschen, sondern sie zu legen. Auf dem Rücken trägt er einen Flammenwerfer, gefüllt mit Kerosin. In Bradburys Welt vollstreckt die Feuerwehr eine staatlich legitimierte Bücherverbrennung: Fahrenheit 451 ist die Temperatur, bei der Papier brennt (233 Grad Celsius). Literatur ist verboten, wer Bücher besitzt, macht sich strafbar. Es gilt, „die kärglichen Reste der Kulturgeschichte auszutilgen“. Denunziationen lassen die Alarmglocken bei der Feuerwehr schrillen, das Haus wird ebenfalls eingeäschert, und der Delinquent erhält von einem mechanischen Hund mit Kanülenzunge eine kräftige Dosis Morphium injiziert.

Die Bücher wurden ersetzt durch Fernsehwände, auf denen interaktive hohlköpfige Soaps ablaufen -„Wozu etwas lernen, wenn es genügt, den Knopf zu drücken?“ Ansonsten amüsieren sich die Menschen in Turbinenautos, rasen mit aberwitziger Geschwindigkeit über die Autobahnen und wer zu langsam fährt, wird verhaftet. Selbstmorde sind an der Tagesordnung. Es gibt ein eigens dafür eingerichteten Express-Service, der mit Magen- und Blutpumpe anrückt und die Lebensmüden reanimiert. Das Familienleben existiert als solches nicht mehr. Kinder befördert man ins Fernsehzimmer und knipst an. „Es ist wie mit der Wäsche, man stopft sie in die Maschine und knallt den Deckel zu“.

Eines Tages trifft Montag die junge Clarisse, die nicht zu den normalen Menschen gehört, sondern zu jenen, die nicht nur wissen wollen „wie etwas gemacht wird, sondern warum“ und merkt in den Gesprächen mit ihr, wie unzufrieden und unglücklich er ist. „Er trug sein Glück wie eine Maske, und das Mädchen war damit davongelaufen; es bestand keine Möglichkeit, bei ihr anzuklopfen und die Maske zurückzufordern“. Doch die Begegnung ist von kurzer Dauer. Als man sie eines Tages verschwinden lässt, holt Montag die bei seinen Einsätzen heimlich gesammelten Bücher hervor und versucht damit die Wand zu seiner Frau und die Eintönigkeit seiner Ehe zu durchbrechen. Doch es geht um viel mehr. Er sieht die Bücher als einzigen Ausweg „aus dem Dunkel“, als einziges Mittel „zu verhindern, daß wir immer wieder dieselben unsinnigen Fehler machen.“ In den Büchern sucht er ein Mittel, einen Weg, der scheinbar unaufhaltsamen Annäherung an den Abgrund entgegenzusteuern. Seine Frau, das „Haar von Chemikalien zu sprödem Stroh zerfressen“, der Leib von Abmagerungskuren ausgemergelt und „das Fleisch weiß wie Kochspeck“, reagiert mit Befremden und Abscheu auf seine Rezitationen. Nur in dem ehemaligen Literaturprofessor Faber findet Montag einen Verbündeten, der ihn ermutigt und im Widerstand gegen seinen Vorgesetzten Hauptmann Beatty unterstützt. Einerseits bemerkenswert intellektuell und offenkundig belesen, andererseits ein fanatischer Inquisitor, entwickelt sich Beatty zu Montags entschiedenstem Gegenspieler und Feind. Als Montags eigene Frau ihn bei der Feuerwehr anzeigt und er sein Haus niederbrennen muss, hetzt Beatty den mechanischen Hund auf ihn und die Situation eskaliert. Montag muss flüchten und schließt sich einer Gruppe von Intellektuellen an, die in der Wildnis leben und durch das Auswendiglernen von Büchern das Wissen der Menschheit bewahren.

Vielleicht am falschesten verstanden wird die Rolle der Clarisse, vermutlich durch Truffauts Verfilmung des Romans. Clarisse Rolle im Buch ist kurz, sie dient nur als Katalysator, der Montags ohnehin schon schwelendes Umdenken beschleunigt. Faber, der ehemalige Literaturprofessor, unterstützt diesen Wandlungsprozeß. Hauptmann Beatty aber ist derjenige, der ihn bestätigt, indirekt vollendet und damit ist er eigentlich die wichtigste Figur des Romans. Bemerkenswert ist, dass Bradbury ähnlich wie Huxley die Wurzeln seiner Dystopie nicht in Verordnungen oder Zensur bettet, sondern in freiwilliger Lust an der Verdummung. 1953 von Bradbury publiziert, ist Fahrenheit 451 von beeindruckender visionärer Kraft. Die Dekadenz des Fernsehzeitalters, der parallele Verfall der Kultur und die hingebungsvolle Hinwendung zur Blödheit, die sich heute in den Bestsellerlisten und Reality-Soaps widerspiegelt und sicherlich noch krassere Ausdrucksformen finden wird, all das findet man in Bradburys düsterer Welt vorweggenommen.
Fahrenheit 451: ein Meisterwerk!

Ray Bradbury wurde am 22. August 1920 in Waukegan, Illinois geboren. Er besuchte die Schulen in Waukegan, Illinois, und später in Los Angeles, California. Seine schriftstellerische Karriere begann Bradbury 1940 als Zeitungsjunge in Los Angeles. 1943 fing er an, ganztägig zu schreiben, und seit damals hat er mehr als 500 Arbeiten – Romane, Kurzgeschichten, Spiele, Drehbücher, Fernsehspiele und Poesie – veröffentlicht. Als Drehbuchautor ist er durch Werke wie John Huston´s Film |Moby Dick| und François Truffaut´s |Fahrenheit 451| (wo er die Romanvorlage lieferte) bekannt. |Fahrenheit 451| ist auch der Titel, mit dem die meisten Leser den Autor in Verbindung bringen. Von den meisten zeitgenössischen Schriftstellerkollegen der Science-Fiction unterschied er sich deutlich durch das hartnäckige Ignorieren der „Science“. Bei Bradbury spielte der technologische Hintergrund immer eine untergeordente Rolle, menschliche Aspekte stehen in seinen Büchern im im Vordergrund.

Ray Bradbury gewann eine Vielzahl von Preisen für seine schriftstellerische Arbeit, zum Beispiel die |National Book Foundation Medal for Distinguished Contribution to American Letters|, 2000; zwei |O. Henry Memorial Awards|, 1947 und 1948; den |Master Nebula Award|, 1988; den |Benjamin Franklin Award|, 1954 oder den |World Fantasy Award|, 1977.

_Jim Melzig_
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