Alle Beiträge von Eva Schuster

Joyce Carol Oates – Mit offenen Augen

Eigentlich führt die fünfzehnjährige Francesca ein glückliches Leben in Seattle mit ihrem älteren Bruder Todd und der kleinen Schwester Samantha. Ihr Vater Reid Pierson ist ein ehemaliger Football-Star, der inzwischen als Sportkommentator Karriere gemacht hat. Doch die Idylle zerbricht in einem Sommer: Auf einer Party will ein älterer Junge Franka zum Sex zwingen. Nur mit Mühe kann sie sich befreien und fliehen. In diesem Moment wird „Freaky Green Eyes“, ihr Alter Ego geboren, ihre starke, kämpferische Seite, die sich von niemandem schikanieren lässt.

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Martina Dierks – Zauber der Johannisnacht

Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Auf dem Landgut Fünf Eichen von Baron und Baronin von Steckel in der Mark Brandenburg wachsen zwei ungleiche Schwestern auf. Die dreizehnjährige Tessa ist ein rothaariger Wildfang. Sie liebt es, in den Wäldern umherzustreifen und Abenteuer zu erleben. Die kleine Florentine dagegen ist ein sanftes blondes Mädchen, das von den Eltern behütet wird. Seit Jahren leidet Tessa darunter, dass ihre Schwester bevorzugt wird, obwohl Florentine nichts für die Zurücksetzung kann.

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Vantrease, Brenda – Schriftenhändlerin, Die

Europa im 15. Jahrhundert: Der Buchillustrator Finn ist aus England geflüchtet und hat sich mit seiner Enkelin Anna in Prag niedergelassen. Gemeinsam illustrieren sie religiöse Texte und übersetzen heimlich die lateinische Bibel, was als ketzerisch gilt. Kurz vor seinem Tod bittet Finn daher Anna, Schutz beim befreundeten Sir John Oldcastle in England zu suchen. Die gefahrenvolle Reise führt Anna ins französische Reims, wo sie überwintert und weiterhin als Illustratorin arbeitet.

Zur gleichen Zeit wird der Ablasspriester Gabriel vom Erzbischof als Spion ausgesandt, der nach Ketzern Ausschau halten soll, welche die Bibel ins Englische übersetzen. Als flämischer Händler VanCleve getarnt, begegnet er Anna in Reims auf dem Marktplatz und erteilt ihr einen Auftrag. Obwohl sich Gabriel verzweifelt gegen seine Gefühle wehrt, verliebt er sich in Anna, die dies erwidert. Der Priester steht im doppelten Konflikt, Anna belogen zu haben und sie verraten zu müssen. Unter einem Vorwand verlässt er schließlich das Land.

Anna setzt nach vergeblichem Warten ihre Reise nach England fort und wird von Sir John aufgenommen. Mittlerweile weiß sie, dass sie ein Kind von VanCleve erwartet. Als sich auch hier in England die Lage zuspitzt, kommt sie in einem Nonnenkloster unter, ohne zu wissen, dass die Äbtissin ihre Großmutter ist, von der Finn glaubte, sie sei verstorben. Hier begegnet sie auch Gabriel wieder und erkennt seine wahre Identität, während die Kirche sie als Ketzerin jagt …

Mit dem [„Illuminator“ 3361 stürmte Brenda Vantrease zu Recht sofort die Bestsellerlisten und legte die Latte für den Nachfolgeroman dementsprechend hoch – was glücklicherweise kein Hindernis war, um nicht sehr überzeugend daran anknüpfen zu können.

|Spannende Fortsetzung|

Der Vorgänger-Roman drehte sich vor allem um die Liebesgeschichte zwischen der verwitweten Lady Kathryn und dem Illustrator Finn, dem mitsamt seiner Tochter auf Kathryns Herrensitz Unterkunft gewährt wurde. Im vorliegenden Werk steht ihre gemeinsame Enkeltochter als junge Frau im Mittelpunkt. Der geschichtliche Hintergrund ist der gleiche geblieben; immer noch werden die Übersetzer der Bibel als Ketzer von der katholischen Kirche gejagt, immer noch müssen heimlich in die Volkssprache übertragene Schriften versteckt gehalten werden. Damals war Finn der Ketzer, der sein Leben aufs Spiel setzte, heute führt seine Enkelin dieses wagemutige Erbe fort. Für den Leser ist es einmal spannend zu verfolgen, wie sich Gabriel gegenüber Anna verhält, ob er sich für seine Gefühle entscheidet oder der Kirche loyal bleibt, aber auch, wann Anna von seiner wahren Identität erfährt. Immer wieder gibt es Momente, in denen sie ahnt, dass er etwas zu verbergen hat, doch es braucht lange, bis sie die Dimensionen begreift.

Ähnliches gilt für Annas Verhältnis zu Kathryn. Ungeduldig wartet man auf den Augenblick, in dem beide erfahren, dass sie Enkelin und Großmutter sind. Fast ununterbrochen muss man um Annas Leben fürchten, denn die Kirche sucht unermüdlich nach „Ketzern“ wie ihr. Selbst bei Sir John Oldcastle, der einst mit dem jungen König befreundet war, ist sie nicht in Sicherheit, denn auch die alten Bande bewahren Sir John und seine Angehörigen nicht davor, ins Visier der Jäger zu geraten.

|Gelungene Charaktere|

Wie schon im „Illuminator“ gelingt es Brenda Vantrease überzeugend, die Liebesgeschichte vor kitschigen Schilderungen zu bewahren, was angesichts der klischeebehafteten Konstellation der verbotenen Liebe bzw. Priester und Geliebte nicht selbstverständlich ist. Anna ist ein glaubwürdiger und vor allem höchst sympathischer Charakter, eine starke junge Frau, die ihr Leben trotz erheblicher Widrigkeiten meistert. Ebenso fasziniert Gabriels Ringen zwischen seinem kirchlichen Gelübde, seinen Spionageabsichten und seinen Gefühlen für Anna. Im späteren Verlauf wird außerdem seine unbekannte Herkunft zu einem wichtigen Punkt in der Handlung. Bislang wusste Gabriel nur, dass seine Mutter eine Prostituierte war und ihn früh ins Kloster gab, wo Pater Francis sein spiritueller Vater wurde. Die Wahrheit über seine Herkunft bedeutet für Gabriel eine zusätzliche Belastung, die sein bisheriges Leben ins Wanken bringt.

Interessante Nebenfiguren sind die alte Roma-Zigeunerin Jetta, die Anna vor dem Ertrinken bewahrt, und ihr Findelkind Bek, ein scheinbar autistischer Junge, der später mit unglaublicher musikalischer Begabung verblüfft. Anna lebt für eine Weile bei den Zigeunern, ehe sie mit Klein-Bek als Ziehsohn einen neuen Lebensweg einschlägt. Dieser führt sie zu Sir John Oldcastle, dessen Gestalt vermutlich einst Shakespeare zur Figur des Sir John Falstaff inspirierte. Ganz in diesem Sinn lässt die Autorin Sir John als andeutungsweise satirischen Charakter mit seiner Genusssucht und seinem deftigen Humor auftreten, der einerseits wegen seiner Jovialität schnell die Sympathien der Leser gewinnt und andererseits vehement für seine Überzeugungen eintritt, auch wenn sie sein Leben gefährden.

|Kaum Schwächen|

Auch wenn es nicht zwingend notwendig ist, den „Illuminator“ zuvor gelesen zu haben, bringt dies doch erhebliche Vorteile mit sich. Vor allem die Zusammenhänge zwischen Kathryn und Finn werden anderenfalls erst sehr allmählich klar. Der Lesegenuss erhöht sich eindeutig, wenn man die Vorgeschichte kennt – wenn man weiß, dass Annas Mutter, Kathryns Tochter, bald nach der Geburt starb und Kathryn ihre Enkelin zunächst wie ihr eigenes Kind aufzog, und wenn man weiß, dass Kathryn ihren Tod gegenüber Finn nur vortäuschte und was sie dazu bewog, obwohl sie nie aufhörte, ihn zu lieben. Außerdem dauert es übertrieben lange, nachdem Anna in Kathryns Nonnenkloster eingekehrt ist, bis beide endlich erfahren, dass sie miteinander verwandt sind.

_Als Fazit_ bleibt ein spannender Historienroman, der an die Ereignisse in „Der Illuminator“ anschließt und in keiner Hinsicht hinter diesem Werk zurückbleibt. Lebhafte Schilderungen einer bewegten Epoche ergänzen sich mit interessanten Charakteren, sodass die kleinen Schwächen so gut wie gar nicht ins Gewicht fallen.

Die Autorin Brenda Vantrease, Jahrgang 1945, studierte und promovierte in Tennessee in englischer Literatur. Anschließend arbeitete sie als Englischlehrerin und Bibliothekarin. Auf ausgiebigen Reisen nach Großbritannien und Irland erkundete sie die Schauplätze der Geschichte und verfasste zahlreiche Essays und Kurzgeschichten. [„Der Illuminator“ 3361 war ihr Romandebüt.

http://www.limes-verlag.de

Kaes, Wolfgang – Feuermal, Das

Detektiv Max Maifeld, Spezialist für dubiose Fälle, erhält einen brisanten Auftrag: Er und sein Team sollen ein gestohlenes Bild ausfindig machen und dem anonymen Auftraggeber zurückbringen. Bei dem Gemälde, das er in Spanien aufspürt, handelt es sich vermutlich um ein bisher unbekanntes Frühwerk von Dalí. Bei der Übergabe stellt sich jedoch heraus, dass der vermeintliche Besitzer gar nicht der Auftraggeber war. Dieser wiederum scheint Max rund um die Uhr zu beobachten und ein persönliches Interesse zu verfolgen, das weit über die Bildbeschaffung hinausgeht.

Zur gleichen Zeit geschehen in der Köln-Bonner Gegend zwei spektakuläre Morde. Der eine Tote ist ein abgehalfterter Journalist, der andere ein alter Mann kurz vor dem Leberzirrhosentod. Das Kommissarenteam Josef Morian und Antonia Dix stellt bald eine Verbindung zwischen den Mordfällen und ihrem Freund Max her. Der Journalist recherchierte kurz vor seinem Tod über Max‘ Vergangenheit, der alte Mann arbeitete als Knecht für den Großunternehmer Franz Brandesser, dessen Sohn Walther einst aus unbekannten Gründen eine Operation für den damals dreijährigen Max bezahlte.

Allen Warnungen von Morian und Antonia zum Trotz stürzt sich Max in die Recherchen. Dabei führt ihn sein Weg zurück in das abgeschiedene Eifeldorf seiner Kindheit, wo ein dunkles Geheimnis seiner Familie ans Licht kommt. Sein Leben scheint noch enger mit dem Fremden verknüpft als befürchtet. Der einzige Hinweis auf den Mörder ist das Feuermal, das sein Gesicht entstellt. Fieberhaft ermitteln Morian und Antonia, um ihrem Freund zu helfen – denn auch er droht ein Opfer des Rachefeldzuges zu werden …

„Das Feuermal“ ist der vierte Fall von Kommissar Josef Morian und seiner Kollegin Antonia Dix und wie schon die vorherigen Bände ein überzeugender Thriller mit einem durchweg sympathischen Ermittler-Duo.

|Gelungene Charaktere|

Diesmal liegt der Fokus nicht auf Morian und Antonia, sondern auf ihrem gemeinsamen Freund Max Maifeld, der ihnen schon bei früheren Fällen als Privatdetektiv zur Seite gestanden hat und hier einmal von ihrer Hilfe profitiert. Seit ihm ein Schwerstkrimineller Rache geschworen hat, lebt der Ex-Journalist als Detektiv für schwierige Fälle untergetaucht in Köln-Mülheim. Zu seinem Team gehören sein gutmütiger Bruder Theo und der hünenhafte, durchtrainierte Schwarzamerikaner Hurl, den ein besonderes Flair umgibt. Der schweigsame Hurl ist ein ehemaliges Mitglied der Navy Seals, einer Eliteeinheit der US-Marine, bei der er zum perfekten Kämpfer ausgebildet wurde, ehe er sich lossagte und nun in Deutschland ein neues Leben begonnen hat. Auch wenn sein scheinbar völlig anspruchsloser Lebensstil Max immer wieder vor Rätsel stellt – denn Hurl kann dank fernöstlicher Meditationskünste beinah beliebig sowohl auf Schlaf als auch auf Nahrung verzichten -, ergänzen sich die beiden grundverschiedenen Charaktere großartig.

Ein perfektes Team bilden wiederum auch Josef Morian und Antonia Dix. Besonders positiv sticht hervor, dass die beiden trotz enger Zusammenarbeit und guter Freundschaft kein Liebespaar bilden, sondern eine Art Vater-Tochter-Verhältnis zueinander besitzen. Der schweigsame Morian, Ex-Amateurboxer und geschiedener Vater, hat fast sein gesamtes Leben auf die Ermittlungsarbeit ausgerichtet. Den Gegenpol zu ihm macht Antonia Dix aus, eine rassige Halb-Brasilianerin, die nichts mehr hasst als auf ihre Optik reduziert zu werden. Als Konsequenz trägt sie raspelkurze Haare und ein sportlich-militärisches Outfit, was zu ihrem burschikosen Auftreten passt.

Die Nebenfiguren um das Ermittler-Duo sind vor allem der Gerichtsmediziner Dr. Ernst Friedrich, wegen seines Aussehens heimlich „Fledermaus“ genannt, die arrogante Staatsanwältin Ulrike Strehle und Oberkommissar Ludger Beyer, der nie müde wird, Antonia auf schleimig-primitive Art Avancen zu machen. Sowohl Morian als auch Antonia sind sehr engagierte Ermittler, über deren Privatleben man nicht sehr viel erfährt, genug zwar, um ihren Charakter einzuschätzen und sich mit ihnen zu verbünden, aber nie so viel, dass es in der Handlung dominieren würde.

|Durchgängige Spannung|

Die Handlung setzt ein mit dem Mord an Journalist Pelzer und setzt somit direkt ein Ausrufezeichen. Längen gibt es bis zum Schluss keine, dafür sorgen schon allein die häufigen Schauplatzwechsel. Mal konzentriert sich die Handlung auf Antonia Dix, mal auf Josef Morian, der anfangs noch im Urlaub weilt, dann wieder auf Hurl oder auf Max, die ebenfalls teilweise unabhängig voneinander unterwegs sind. Über den Täter steht lange Zeit nur fest, dass er durch ein Feuermal gezeichnet ist, sich auf einem Rachefeldzug befindet und auf Max fixiert ist, mit dem ihn etwas zu verbinden scheint.

Große Teile spielen im Eifeldorf Roggenrath, einem abgeschiedenen Ort, in dem Max seiner Vergangenheit auf die Spur kommt. Das Oberdorf wird von der Unternehmerfamilie Brandesser dominiert, während im Unterdorf einst die ärmliche Arbeiterschicht lebte. Noch heute bilden die Bewohner eine verschworene Gemeinschaft, die sich den Ermittlungsarbeiten verschließt und Max feindselig gegenübersteht. Gezwungenermaßen muss er sich mit seinem verhassten Vater auseinandersetzen, dessen schlechter Ruf bis in die Gegenwart reicht und Max zum Verhängnis wird.

Mehrere Dorfbewohner scheinen in die Geschehnisse involviert zu sein. Zum einen entsteht die Spannung durch die Frage, was sie über den Mörder wissen, zum anderen durch die Geheimnisse, die Max nach und nach in seiner eigenen Familie aufdeckt. Wolfgang Kaes gelingt es, glaubwürdig die kleine, verschrobene Welt der Dorfbewohner aufzuzeigen, die sich gegen jeden äußeren Einfluss wehren und die düstere Vergangenheit abschotten.

|Nur kleine Schwächen|

Da die ersten drei Viertel so gelungen aufbereitet werden, stellt sich beim Leser automatisch eine hohe Erwartungshaltung an das Finale ein, die nicht ganz bestätigt werden kann. Im Vergleich zur vorherigen Handlung verläuft das Ende relativ unspektakulär. Offene Fragen werden zwar beantwortet, doch einen richtigen Showdown, wie man ihn lange Zeit vermutet, gibt es nicht.

Ein weiterer kleiner Makel sind die Ermittlungsarbeiten von Max bezüglich des Bildes, die zu einfach ablaufen. Die ursprüngliche Aufgabe, das Bild anhand eines Fotos zu finden und obendrein lückenlos alle Vorbesitzer aufzulisten, scheint beinah unlösbar; letztlich aber genügen Max und seinem Team die guten Kontakte in die Kunst- und Halbwelt, sodass sich die Mühe in Grenzen hält. Auch die Ermittlungsarbeiten von Morian und Antonia verlaufen verhältnismäßig unkompliziert dank ihrer Informanten, die trotz weniger Hinweise konkrete Feststellungen treffen. Gerade dort wünscht sich der Leser manchmal ein wenig mehr Finesse im Vorgehen.

_Als Fazit_ bleibt wieder einmal ein gelungener Band um das Ermittler-Trio Morian, Antonia Dix und Max Maifeld aus der Feder von Wolfgang Kaes. Der Thriller besticht durch Spannung, gelungene Hauptfiguren und eine unterhaltsame Handlung. Die Schwächen fallen sehr gering aus, sodass sich das Werk allen Krimi- und Thrillerfans empfiehlt, in der Hoffnung, dass Kommissar Morian bald im nächsten Fall ermitteln darf.

_Der Autor_ Wolfgang Kaes, geboren 1958 in der Eifel, arbeitete nach seinem Studium der Politikwissenschaft, Kulturanthropologie und Pädagogik viele Jahre lang als Journalist. Er schrieb unter anderem als Polizei- und Gerichtsreporter für den |Kölner Stadt-Anzeiger|, für den |Stern| und als Lokalchef der |Rhein-Zeitung| in Bonn. 2004 erschien sein erster Roman „Todfreunde“, 2005 der Nachfolger „Die Kette“, 2006 [„Herbstjagd“, 2934 alle mit dem Ermittler Kommissar Morian. Mehr über ihn gibt es auf seiner Homepage http://www.wolfgang-kaes.de.

http://www.rowohlt.de

King, Stephen – Wahn

Edgar Freemantle ist ein äußerst erfolgreicher Bauunternehmer in den Fünfzigern, der mit seiner Frau Pam und den erwachsenen Töchtern Ilse und Melinda ein glückliches Leben führt. Alles ändert sich schlagartig, als Edgar auf einer Baustelle einen schweren Unfall erleidet. Er überlebt knapp, verliert aber seinen rechten Arm. Dazu kommen immer wieder kurzzeitige Gedächtnislücken durch die Kopfverletzung und Probleme beim Laufen, die ihn zu heftigen Wutanfällen veranlassen. Während der komplizierten Genesungszeit verlässt ihn seine Frau und Edgar steht kurz vor dem Selbstmord. Sein Psychologe Dr. Kamen rät ihm zu einer Auszeit an einem abgeschiedenen Ort.

Edgars Wahl fällt auf die idyllische Florida-Insel Duma Key, wo er sich für ein Jahr ein Strandhaus mietet. Hier widmet er sich der Malerei, eine längst verschollen geglaubte Tätigkeit, die seit vielen Jahren auf Eis lag. Überrascht stellt Edgar fest, dass Duma Key eine starke Inspiration auf ihn ausübt. Im Rausch entstehen zahlreiche brillante Gemälde, deren Intensität Edgar zugleich beunruhigt.

Bei seinen Strandspaziergängen lernt er den ehemaligen Anwalt Wireman kennen, der die alte Dame Elizabeth Eastlake betreut und bald zu einem engen Freund von Edgar wird. Miss Eastlake gehört der größte Teil der Insel, darunter auch Edgar gemietetes Haus. Obwohl sie langsam im Alzheimer versinkt, erlebt Elizabeth immer wieder wache Momente, in denen sie Edgar mit ihrem Scharfsinn erstaunt. Nach und nach erschließt sich ihm ihre tragische Familiengeschichte, die eng mit der Insel verbunden ist – und mit seinen Bildern. Nicht nur, dass Edgar sich über sein plötzliches Talent wundert, in seinen Bildern schlummern auch übernatürliche Fähigkeiten – die allmählich ein gefährliches Eigenleben entwickeln …

Nachdem es sich bei Kings letztem Werk um einen kurzen Roman im Bachman-Stil handelte, legt er mit „Wahn“ (eine unselige ‚Übersetzung‘ des Originaltitels „Duma Key“) wieder einen Wälzer im gewohnten Umfang von über 800 Seiten vor – und weiß damit, von Kleinigkeiten abgesehen, auch zu überzeugen.

|Vom Leben und Leiden des Edgar Freemantle|

Betrachtet man den Ich-Erzähler Edgar Freemantle, so liegt es nahe, eine Parallele zu Kings eigenem Leben zu ziehen. 1999 erlitt er selbst einen schweren Autounfall, den er bereits in seinem Sachbuch „Das Leben und das Schreiben“ thematisierte. Edgar Freemantle ist in einem ähnlichen Alter wie King damals und der Autor dürfte viele der schmerzhaften Situationen in der Rehabilitationszeit aus eigener Erfahrung kennen. Edgar ist ein glaubwürdiger Charakter, der sich schnell zur Sympathie- und Identifikationsfigur entwickelt, denn trotz seiner Millionen und seines außergewöhnlichen Schicksals verbirgt sich dahinter ein Durchschnittsmensch mit nachvollziehbaren Schwächen und angenehmer Bodenständigkeit. Man erlebt förmlich mit, wie ihn die Phantomschmerzen in den Wahnsinn treiben, wie er immer wieder automatisch an den fehlenden Arm greift und mit sich ringt, wenn ihm wieder einmal kurzzeitig das passende Wort entfallen ist.

Auch das Scheitern der langjährigen Ehe will verarbeitet werden, nicht zu vergessen die Schuldgefühle, da Edgar seit jeher die jüngere Ilse zu seiner Lieblingstochter erkoren hat. Phantastik oder gar Horror nehmen sehr lange nur einen untergeordneten Raum in der Handlung ein, der Fokus liegt stattdessen auf der langsamen Rückkehr des Protagonisten ins Alltagsleben, auf die Bewältigung seiner persönlichen Schwierigkeiten und der Auseinandersetzung mit Verlust, Beinah-Tod und Depressionen.

|Gelungene Nebencharaktere|

Weitere starke Figuren sind Wireman und die alte, pflegebedürftige Elizabeth Eastlake. Wireman entpuppt sich als raubeiniger Geselle mit weichem Kern, mit Sinn für trockenen Humor und Selbstironie und gelegentlichen lakonischen Einwürfen auf Spanisch. Aus dem ehemaligen Anwalt ist ein Aussteiger geworden, der sein Leben ganz auf Elizabeth Eastlake eingerichtet hat, für die er mehr Freund als Betreuer geworden ist. Der tragische Verlust von Ehefrau und Tochter hat Schatten auf Wiremans Seele hinterlassen, ihn jedoch nicht davon abgehalten, seinem neuen Leben eine Chance zu geben – kein Wunder also, dass die neuen Nachbarn rasch zu engen Verbündeten werden.

Elizabeth Eastlake, aufgrund ihrer grotesken Erscheinung mit Sonnenhut und Turnschuhen von Edgar spontan als „Braut des Paten“ bezeichnet, schwankt zwischen hellwachen Augenblicken, in denen sie sarkastische Bemerkungen einstreut, Zigaretten raucht und direkt in Edgars Seele zu blicken scheint, und den alzheimertypischen Versinkungen, in denen ihr die einfachsten Begriffe entfallen. Ihre lichten Momente sind Trost und Schmerz zugleich, denn die alte Dame ist sich ihrer Krankheit bewusst. Mit fortschreitender Handlung enthüllt sich ihre Familiengeschichte, die auf unheimliche Weise mit Edgars Bildern verknüpft ist. Ertrunkene Zwillingsschwestern spielen dabei eine wichtige Rolle, ebenso wie Elizabeth‘ eigenes Maltalent und ein roter Picknickkorb, in dem der Schlüssel zu allem verborgen liegt.

|Humor und Sensibilität|

Wie üblich bei King liegen Lachen und Grauen eng beieinander. Seine Charaktere verhalten sich erfrischend uneitel und können sich über ihre eigenen Schwächen amüsieren. Für bizarre Komik sorgt immer wieder Edgars Wut-Managementpuppe Reba, die ihm seit seiner Krankenhauszeit als Ventil für seine Ausraster dient, wenn ihm ein Wort entfällt, was Reba stets mit einem Blick, der „Aua, du böser Mann!“ zu sagen scheint, erwidert.

Obwohl man sich über Edgars Ausbrüche amüsiert, läuft man als Leser nie Gefahr, den Respekt vor ihm zu verlieren. Gleiches gilt auch für Elizabeth Eastlake, über deren schrulliges Auftreten man zwar schmunzeln mag, ohne jedoch sie oder ihre Krankheit zu veralbern. Damit gelingt King die schwierige Gratwanderung, die Gebrechen seiner Charaktere humorvoll zu schildern und gleichzeitig anzurühren. Vor allem in Hinblick auf das Ende, das, wie man schon vorher ahnt, nicht alles zum Besten zusammenfügt, überwiegt im Roman die Melancholie, und es ist typisch King, dass dies keineswegs zahlreiche witzige Szenen ausschließt.

|Nur kleine Schwächen|

Mit knapp über 800 Seiten ist „Wahn“ ein Mammutwerk, in dem sich der Autor phasenweise zur übertriebenen Geschwätzigkeit hinreißen lässt. Sehr detailliert verfolgt man Edgars tägliche Abläufe, oft unnötig weitschweifig geschildert. Für Horror-Fans kommt enttäuschend, dass gerade dieser Part sehr spät einsetzt. Abgesehen von den wahnhaften Malereien kann man erst ungefähr ab Seite 500 von einem Horror-Roman sprechen, zuvor dominiert eindeutig das Seelenleben des Edgar Freemantle. Unheimliche Szenen gibt es zwar, doch ist der Horror-Teil eindeutig nicht das Stärkste im Werk. Das spricht zum einen für die Darstellung und Entwicklung der Charaktere, zum anderen bedeutet es kleine Durststrecken im Spannungsaufbau. Auch Actionfreunde kommen kaum auf ihre Kosten, trotz einiger Turbulenzen im Finale. Nicht ganz befriedigend ist außerdem das Schicksal, das am Ende Jerome Wireman widerfährt.

Für treue Kingfans könnten sich Parallelen zu früheren Werken störend auswirken. Bilder, die augenscheinlich zum Leben erwachen, kennt man aus „Das Bild“, eine übernatürliche Fähigkeit nach einem Unfall gewinnt auch der Protagonist in „Dead Zone – Das Attentat“, verstorbene Zwillingsmädchen tauchen bereits in „Shining“ auf, wiederkehrende Tote allgemein in „Friedhof der Kuscheltiere“. Das Buch ist eindeutig mehr als ein Aufguss früherer Ideen und kein Meisterwerk des Originellen. Es ist vor allem Kings solidem Stil zu verdanken, der sich vor anderen literarischen Größen nicht zu verstecken braucht, dass der Leser trotz manch langwieriger Phase nicht den Anschluss verliert.

_Als Fazit_ bleibt ein überzeugender Roman aus der Feder von Meisterautor Stephen King, der nicht ganz an seine besten Erfolge heranreicht, aber dennoch sehr gute Unterhaltung, sympathische Charaktere und eine schlüssige, oft bewegende Handlung bietet. Auffallend sind die Weitschweifigkeit und die Parallelen zu früheren Werken, zudem kommt der Horror erst spät ins Spiel – davon abgesehen jedoch ist „Wahn“ ein empfehlenswerter Roman.

_Stephen King_, Jahrgang 1947, zählt zu den erfolgreichsten Autoren der Welt. 1973 veröffentlichte der ehemalige Lehrer mit »Carrie« nach mehreren Anläufen seinen ersten Roman, der zum Bestseller wurde. Alle folgenden Bücher wurden ebenfalls Welterfolge, viele davon sind von namhaften Regisseuren verfilmt worden. Bislang hat der Autor mehr als 400 Millionen Bücher verkauft (Verlagsangabe |Heyne| 2007).

King wurden sechs |Bram Stoker Awards|, sechs |Horror Guild Awards|, fünf |Locus Awards|, drei |World Fantasy Awards| (darunter der |Lifetime Achievement Award| 2004), ein |Hugo Award|, der |Lifetime Achievement Award| 2003 von der |Horror Writers‘ Association| sowie 2003 eine noch immer diskutierte Medaille für |Distinguished Contribution to American Letters| von der |National Book Foundation| und 2007 als einzigem Nicht-Kanadier ein |Award for Lifetime Achievement| von der |Canadian Literary Guild| verliehen.

Zu den bekanntesten Werken gehören unter anderem: »Es«, »Christine«, »Shining«, »Misery«, »The Stand« und die siebenteilige Saga vom »Dunklen Turm«. Weitere Bücher erschienen unter dem Pseudonym Richard Bachman. Mehr über ihn auf seiner Homepage http://www.stephenking.com.

|Originaltitel: Duma Key
Originalverlag: Scribner
Aus dem Amerikanischen von Wulf Bergner
Gebundenes Buch, 896 Seiten
2 Schwarzweiß-Abbildungen|
http://www.heyne.de

_Stephen King bei |Buchwurm.info|_ (Auswahl):

[„Qual“ 4056
[„Brennen muss Salem – Illustrierte Fassung“ 3027
[„Brennen muss Salem“ 3831 (Hörbuch)
[„Briefe aus Jerusalem“ 3714 (Audio)
[„Friedhof der Kuscheltiere“ 3007 (Audio)
[„Puls“ 2383
[„Trucks“ 2327 (Audio)
[„Colorado Kid“ 2090
[„The Green Mile“ 1857 (Audio)
[„Das Leben und das Schreiben“ 1655
[„Atemtechnik“ 1618 (Audio)
[„Todesmarsch“ 908
[„Der Turm“ 822 (Der Dunkle Turm VII)
[„Der Sturm des Jahrhunderts“ 535
[„Tommyknockers – Das Monstrum“ 461
[„Achterbahn“ 460
[„Danse Macabre – Die Welt des Horrors“ 454
[„Christine“ 453
[„Der Buick“ 438
[„Atlantis“ 322
[„Das Mädchen“ 115
[„Im Kabinett des Todes“ 85
[„Duddits – Dreamcatcher“ 45

Fielding, Joy – Nur der Tod kann dich retten

Gegen ihren eigentlichen Willen zieht Sandy Crosbie mit ihrem Mann Ian und den beiden Teenagern Megan und Tim in die verschlafene Kleinstadt South Torrance in Florida, wo Sandy als Lehrerin an der einzigen High School arbeitet. Kurz darauf erfährt sie, dass ihr Mann sich wegen seiner Affäre Kerri, einer gelifteten Blondine aus der Stadt, scheiden lassen will. Am liebsten würde Sandy die Stadt sofort wieder verlassen, doch vor allem Megan hat sich gerade erst eingelebt und Freundinnen gefunden.

Für Sandy beginnt ein einsamer Lebensabschnitt. Viele Schüler sind aufsässig und oberflächlich, ihre eigenen Kinder fühlen sich durch die Anwesenheit der Mutter an der Schule gestört und zu allem Überfluss muss Sandy auch noch die Tochter ihrer Rivalin unterrichten, die schüchterne Außenseiterin Delilah. Zudem hofft Sandy immer noch, dass ihr Mann seine Affäre beendet und zu ihr zurückkehrt.

Noch schlimmer wird für Sandy das Leben in Torrance, als ihre Schülerin Liana Martin spurlos verschwindet. Wenige Tage später werden alle Hoffnungen zerstört, als ihre Leiche auftaucht. Sheriff Weber übernimmt die Ermittlungen, ohne dass sich ein Anhaltspunkt findet. Bald fürchtet er, dass auch das verschwundene Mädchen aus dem Nachbarort einem Verbrechen zum Opfer gefallen sein könnte. Tatsächlich ist ein Serienmörder am Werk, der schon das nächste Mädchen ins Visier genommen hat …

Frau in Gefahr, das ist das Motto eines jeden Joy-Fielding-Romans, so auch bei diesem Thriller.

|Spannende Handlung|

Solide wie üblich versteht es die Autorin, den Leser zu fesseln und die Identität des Mörders lange Zeit im Dunkeln zu halten. Dabei bangt man nicht nur um die Hauptfigur Sandy Crosbie, sondern darf auch rätseln, welches Opfer es als nächstes trifft. Ein paar Verdächtige geraten ins Visier, aber es ist absehbar, dass der wirkliche Täter nicht dabei ist.

Joy Fielding spielt mit Cliffhangern und wechselt häufig die Handlungsstränge, bevor Langeweile einsetzen kann. Mal gerät Sandy in eine brenzlige Lage, mal spielt sich ein Drama bei Kerri und Delilah ab, mal scheint Megan in Gefahr zu schweben. Erfreulicherweise werden keine Gewalt- oder Ekelszenen geliefert, zart besaitete Leser brauchen also vor der Lektüre nicht zurückschrecken, und es sind keine voyeuristischen Szenen dabei – das Werk hat sich vielmehr den Titel Psycho-Thriller redlich verdient.

|Sympathische Charaktere|

Keine der Figuren besitzt außerordentliche Tiefe oder Nachwirkung, dennoch sind einige von ihnen durchaus sympathisch, sodass man als Leser mit ihnen fühlt und sich inständig ein gutes Ende für sie wünscht. Dazu gehört natürlich vor allem Sandy Crosbie, sitzengelassen und einsam, die sich in einem ständigen Widerstreit der Gefühle befindet: Einerseits hofft sie, ihren Mann doch noch zur Rückkehr bewegen zu können, andererseits lässt sie sich von ihrer Freundin zu einem Blinddate überreden. Mit Recht bemerkt ihre irritierte Tochter, dass Sandy sich zeitweise wie ein alberner Teenager aufführt und genau die Fehler begeht, die sie Megan vorwirft.

Ein interessanter Nebenstrang dreht sich um die unansehnliche, unbeliebte Delilah – ausgerechnet die Tochter von Sandys Erzrivalin -, für die sie gegen ihren Willen Mitleid empfindet. Von ihrer Großmutter erntet sie nur zynische Spitzen, ihre zur Barbie-Puppe operierte Mutter schenkt ihr nur flüchtige Aufmerksamkeit, von den Mitschülern hagelt es böse Spitznamen. Sandy fühlt sich verpflichtet, das Mädchen zu ermuntern, obwohl sie zugleich jedes Zusammentreffen schmerzhaft an den Betrug ihres Mannes und sein neues Leben ohne sie erinnert.

Auch Sheriff Weber steht zeitweilig im Fokus. Einen Serienmörder im verschlafenen Torrance zu jagen, bedeutet eine große Aufgabe für ihn, der sich sonst höchstens mit Kneipenschlägereien befasst. Daneben muss er sich um sein kompliziertes Familienleben kümmern. Die Ehe mit Pauline ist eingeschlafen, seine ehemalige Affäre mit Kerri droht öffentlich zu werden und Tochter Amber scheint der Magersucht verfallen.

Neben der Suche nach einem Killer präsentiert der Thriller also auch ein typisches Kleinstadt-Szenario, in dem kein Geheimnis lange verborgen bleibt und alle Einwohner wie Nachbarn zueinander stehen. Die kleinen und großen Sorgen und Ängste der Bewohner werden zum zweiten Hauptthema der Handlung gemacht. Da sind der drängende Wunsch von Megan, endlich vollkommen von ihren neuen Freundinnen akzeptiert zu werden, die ersten Liebeleien und Eifersuchtsprobleme, die Befürchtungen eines Jungen, für schwul gehalten zu werden, das Wetteifern um Schönheit und Beliebtheit unter den Teenagern, lauter Ausschnitte aus dem Leben und Leiden von Highschool-Absolventen, die sich erst noch auf der Welt zurechtfinden müssen.

|Schwaches Ende|

Leider bleibt der positive Aha-Effekt bei Finale größtenteils aus. Zwar ist die Auflösung der Frage, wer sich hinter den Morden verbirgt und welches Motiv den Anlass gab, nicht leicht vorherzusehen. Allerdings ist die Präsentation des Mörders auch gleichzeitig einigermaßen unglaubwürdig. Vor allem die Sequenzen, die zwischendurch aus dem „Totenbuch“ des Täters verfasst wurden, sind in Hinblick auf seine Identität nicht immer stimmig. Die Gedanken, die der Mörder dort preisgibt, erscheinen teilweise unplausibel. Ungeschickt ist zudem, dass man über die Beweggründe und Vorgehensweise des Täters fast nur über dessen Geständnis informiert wird, anstatt dass andere Figuren diese erschließen. Sogar die letzten Zeilen enttäuschen, in denen Raum für eine Fortsetzung gelassen wird oder zumindest ein kleiner Schockeffekt erzielt werden soll. Tatsächlich aber lesen sich die Andeutungen eher aufgesetzt und erinnern an schlechte Horrorfilme, in denen das Monster nie endgültig besiegt wird.

_Als Fazit_ bleibt ein Werk in gewohnter Joy-Fielding-Qualität mit solider Spannung. Zwar bleibt der Thriller nicht lange im Gedächtnis haften und die Täter-Identifikation ist nicht wirklich überzeugend, doch bei nicht zu hohen Erwartungen bietet sich dennoch unterhaltsamer Lesestoff.

_Die Autorin_ Joy Fielding, geboren 1945 in Toronto, Kanada, hatte bereits in ihrer Kindheit großes Interesse am Schreiben. Vor ihrer Karriere als Schriftstellerin studierte sie englische Literatur und arbeitete eine Weile als Schauspielerin. 1991 gelang ihr mit dem Roman „Lauf Jane, lauf“ der internationale Durchbruch. Seitdem landen ihre Frauenthriller regelmäßig auf den Spitzenpositionen der Bestsellerlisten. Weitere Werke sind u. a. „Sag Mammi goodbye“, „Ein mörderischer Sommer“, „Schlaf nicht, wenn es dunkel wird“ und „Träume süß, mein Mädchen“.

http://www.joyfielding.com
http://www.randomhouse.de/goldmann/

_Joy Fielding auf |Buchwurm.info|:_
[„Schlaf nicht, wenn es dunkel wird“ 556
[„Träume süß, mein Mädchen“ 4396

Franz, Andreas – Spiel der Teufel

Kommissar Sören Henning und seiner Partnerin Lisa Santos stehen besonders unangenehme Ermittlungen bevor. Ihr Freund und Kollege Gerd Wegner wird tot in seinem Auto gefunden, offenbar Selbstmord durch Kohlenmonoxid-Vergiftung. Es existiert jedoch kein Abschiedsbrief und niemand kann sich vorstellen, dass er sich umgebracht haben sollte. Vor allem seine schöne Witwe, die Russin Nina, glaubt nicht an die Selbstmord-Theorie.

Kurz darauf taucht die Leiche einer jungen Asiatin am Kieler Hafen auf, genau an jenem Ort, an dem sich Gerd kurz vor seinem Tod aufgehalten hatte. Weggeätzte Fingerkuppen deuten auf eine Auftragskillerin hin, die von ihresgleichen beseitigt wurde. Henning und Santos wittern einen Zusammenhang. Der Mordverdacht erhärtet sich, als sich herausstellt, dass Gerd verdeckte Ermittlungen für das Landeskriminalamt führte, die ihm womöglich zum Verhängnis wurden.

Leider stellen Henning und Santos auch fest, dass Gerd ein Doppelleben führte. Eine Frau meldet sich, die sich als seine Geliebte ausgibt, zudem kassierte Gerd anscheinend Schmiergelder, die ihm ein luxuriöses Leben ermöglichten. Die Spur führt zu einer russischen Organhandel-Organisation, die in ganz Europa Stützpunkte unterhält – und auch zu einer Kieler Schönheits-Klinik, in der illegale Operationen vorgenommen werden …

Nach „Unsichtbare Spuren“ gibt es in diesem Buch ein Wiedersehen mit dem Kieler Kommissar Sören Henning, das erfreulicherweise an die positiven Erwartungen des Vorgängers anknüpfen kann.

|Spannung bis zum Schluss|

Es ist in mehrfacher Hinsicht ein besonders aufreibender Fall für Sören Henning und Lisa Santos. Nicht nur, dass das Mordopfer ihr geschätzter Kollege Gerd Wegner ist, sondern im Laufe ihrer Ermittlungen erhärtet sich auch noch der Verdacht, dass die Mittäter in den eigenen Reihen zu finden sind. Brisant ist auch das Thema Organmafia, das im weiteren Verlauf die Handlung dominiert.

Schnell ist dem Leser ebenso wie den Ermittlern klar, dass der angebliche Selbstmord von Gerd Wegner fingiert wurde, doch die Frage nach dem Täter bleibt spannend. Ein persönlicher Racheakt ist ausgeschlossen, bleibt also nur noch die Möglichkeit, dass Gerd aufgrund von Ermittlungen ausgeschaltet wurde. Seine verdeckte Nebentätigkeit und der Verdacht der Korruption bringen Henning und Santos ins Wanken, immerhin betrachteten sie Gerd als einen ihrer engsten Freunde und wollen kaum glauben, dass der zuverlässige, ruhige Familienvater in dubiose Machenschaften verwickelt war. Für Bestürzung sorgt auch das Obduktionsergebnis, nach dem er kurz vor seinem Tod Sex mit einer Frau hatte, die unmöglich Ehefrau Nina gewesen kann, die sich zu der Zeit in Hamburg befand. Henning und Santos rätseln, ob die mysteriöse Geliebte an seinem Tod beteiligt war oder zumindest als Zeugin helfen kann. Besonders im letzten Viertel ist der Roman reich an überraschenden Wendungen. Sogar der Epilog kann noch mit neuen Ergebnissen aufwarten, sodass man sich bis kurz vor Schluss nie sicher sein kann, wie die Dinge wirklich liegen.

In einem Nebenstrang wird immer wieder zu den Organhändlern geschaltet. Durch leere Versprechungen von einem besseren Leben lotsen sie Kinder und junge Leute aus dem Armutsvierteln in St. Petersburg auf ein Schiff, das sie nach Deutschland führt. Anstatt jedoch von liebevollen Familien in Empfang genommen zu werden, erwarten sie eine ärztliche Untersuchung, eine Betäubungsspritze und der Tod auf dem OP-Tisch, wo ihnen wichtige Organe entnommen werden. Mit eiskalter Kalkulation wickeln die Macher ihre Geschäfte ab, ohne Scheu, den Immigranten ins Gesicht zu lügen.

Andreas Franz verzichtet bewusst auf Szenen mit Gewaltdarstellung; seine Schilderungen lösen dennoch beim Leser heftige Beklemmung aus. Inständig wünscht man sich, dass die jüngsten Opfer des Organhandels noch rechtzeitig gerettet werden können, während man verfolgt, wie den eingepferchten Gefangenen nach ihrer Ankunft langsam eine Ahnung aufsteigt, dass sie in eine Falle gelaufen sind. Die Verwicklung höchster Kreise von russischer Politik, Justiz und Polizei in das organisierte Verbrechen schockiert nicht zuletzt dank des Wissens, dass Andreas Franz sich hier mehr an recherchierten Fakten denn an Phantasie orientiert und das totgeschwiegene Thema Organhandel präsenter sein dürfte, als es einem lieb ist. Der Leser sei vorgewarnt, dass er sich auf ein sehr düsteres Werk einlässt, das dicht an der traurigen Realität bleibt.

|Gelungene Hauptcharaktere|

Sören Henning ist auch hier gerade durch seine überlegte Art ein Sympathieträger, von dem man sich noch viele weitere Romane wünscht. Kenntnisse über das Vorgänger-Werk sind nicht notwendig, denn die wichtigsten Informationen fließen wie nebenbei in die Handlung ein. Sören Henning ist ein geschiedener Kommissar Anfang vierzig, der sehr unter der Trennung von seinen Kindern leidet. Seine Ex-Frau stellt unablässig finanzielle Forderungen, während sie im Gegenzug versucht, jeden Kontakt zwischen Henning und den Kindern zu vermeiden.

Einziger Halt ist, wie schon im letzten Band, Lisa Santos, mit der er inzwischen eine Beziehung führt, die in Einklang mit dem Alltagsstress gebracht werden muss. Die Liebesbeziehung steht aber angenehm im Hintergrund. Franz benutzt sie weder, um Sexszenen noch Eifersüchteleien einzubauen. Einziger Konfliktpunkt ist Santos‘ ältere Schwester Carmen, die vor über zwanzig Jahren bei einem brutalen Überfall schwerste Gehirnverletzungen davontrug und seither im Wachkoma liegt. Für Henning ist es schwer zu akzeptieren, dass Carmen für Lisa den wichtigsten Punkt in ihrem Leben darstellt und sie nicht davon abrückt, sie mehrfach die Woche zu beobachten, obwohl wenig dafür spricht, dass Carmen ihre Gegenwart überhaupt registriert. Davon abgesehen werden Henning und Santos als gleichwertige Partner präsentiert, die einander in einem besonders belastenden Fall gegenseitig eine Stütze bieten. Der Fokus liegt eindeutig auf den Ermittlungsarbeiten statt auf dem Privatleben der Kommissare.

|Kleine Schwächen|

Auf der Gegenseite sind die Charaktere nicht ganz so überzeugend gelungen. Sowohl beim Leiter der Klinik als auch bei seinen niederen Handlangern vermisst man Züge abseits der Klischees. Der Leiter besticht nach außen hin durch Charme und weltmännisches Auftreten, um hintenrum seine grausamen Geschäfte abzuwickeln. Da gibt es keine Überraschungen in Verhalten oder Motivation der Figuren; die oberen Drahtzieher sind geld- und machtbesessen, die Untergebenen werden genötigt, da ihnen bei Zuwiderhandlungen der Tod oder der eines Familienangehörigen droht.

Etwas weniger Schwarzweiß-Malerei und etwas differenzierte Darstellungen wären schön, vor allem ein paar schwankende, an ihrer Tätigkeit zweifelnde Charaktere auf der Seite der Bösen hätten der Handlung gut getan. Und obwohl die Wendungen und der Ausgang generell sehr überraschend sind, gibt es zumindest zwei Personen, deren nähere Beteiligung man schon etwa in der Mitte des Buches zu erahnen beginnt, sodass die Bestätigung am Ende nicht allzu überraschend ausfällt.

_Als Fazit_ bleibt ein sehr düsterer und realistischer Krimi über das brisante Thema Organmafia. Auch das zweite Werk mit den Kieler Kommissar Sören Henning überzeugt durch interessante Hauptcharaktere und Spannung inklusive Wendungen bis zum Schluss. Die kleinen Schwächen fallen dagegen kaum ins Gewicht.

_Der Autor_ Andreas Franz wurde 1956 in Quedlinburg geboren. Bevor er sich dem Schreiben widmete, arbeitete er unter anderem als Übersetzer, Schlagzeuger, LKW-Fahrer und kaufmännischer Angestellter. 1996 erschien sein erster Roman. Franz lebt mit seiner Familie in der Nähe von Frankfurt, wo die meisten seiner Krimis spielen. Weitere Werke von ihm sind unter anderem: „Jung, blond, tot“, „Das achte Opfer“, „Der Finger Gottes“, „Letale Dosis“, „Das Verlies“, „Teuflische Versprechen“ und „Unsichtbare Spuren“.

Mehr über ihn auf seiner Homepage: http://www.andreas-franz.org.

http://www.droemer-knaur.de

_Andreas Franz auf |Buchwurm.info|:_
[„Teuflische Versprechen“ 1652
[„Unsichtbare Spuren“ 3620

Link, Charlotte – letzte Spur, Die

Die junge Elaine Dawson hatte bisher wenig Glück im Leben. Nach dem Tod ihrer Eltern lebt sie zurückgezogen im ländlichen Kingston St. Mary, wo sie sich um ihren älteren Bruder Geoffrey kümmert, der seit einem Unfall im Rollstuhl sitzt. Die Hochzeitseinladung ihrer ehemaligen Kinderfreundin Rosanna in Gibraltar sorgt für einen Lichtblick in ihrem trüben Alltag. Doch Elaine hat Pech, Nebel verhindert den Flug und sie sitzt hilflos am Flughafen Heathrow. Ein Anwalt, der ihre missliche Lage erkennt, bietet ihr eine Übernachtung bei sich zuhause an. Elaine nimmt dankbar an – und verschwindet spurlos.

Fünf Jahre später: Rosanna Hamilton fühlt sich in ihrer Ehe und ihrem Leben auf Gibraltar immer weniger glücklich. Sie sehnt sich danach, wieder in ihrem alten Beruf als Journalistin zu arbeiten. Dankbar nimmt sie ein Angebot ihres ehemaligen Chefs an und reist nach London. Sie soll eine Zeitungsserie über vermisste Personen schreiben, darunter auch über den ungelösten Fall von Elaine. Rosanna rollt den Fall wieder auf, nicht nur aus journalistischem Interesse, sondern auch, um ihre Schuldgefühle über das Verschwinden der Freundin zu bewältigen.

Dabei konzentriert sie sich auf den Anwalt Marc Reeve – den Mann, der Elaine damals mit nach Hause nahm. Obwohl er stets beteuerte, Elaine am nächsten Tag zum Flughafen zurückgebracht zu haben, und die Polizei ihm nie etwas nachweisen konnte, wurde er den Verdacht nie los. Besonders Geoffrey versuchte mit allen Mitteln, sein Leben zu zerstören. Nur widerstrebend zeigt er sich zur Kooperation mit Rosanna bereit. Doch bald stößt die Journalistin auf Hinweise, dass Elaine möglicherweise noch lebt …

Verschwundene Personen, ein unbekannter Mörder und Frauen in Gefahr, das sind die Zutaten, die Charlotte Link nicht zum ersten Mal für einen Spannungsroman verwendet.

|Spannende Handlung, überraschende Wendungen|

Solide wie üblich versteht es Charlotte Link, durchgängig Spannung aufzubauen. Trotz des Umgangstons stellen sich erfreulicherweise keine Längen ein. Vielmehr fesselt den Leser von Beginn an die Frage, was mit Elaine Dawson geschehen sein mag. Dabei sind viele Möglichkeiten denkbar: Wurde Elaine auf dem Weg zum Flughafen entführt und ermordet? Wird sie vielleicht irgendwo gefangen gehalten und fristet vielleicht ein Dasein als Zwangsprostituierte? Gab es vielleicht einen Unfall, bei dem sie unbemerkt ums Leben kam? Oder ist Elaine gar freiwillig aus ihrem Leben ausgestiegen, hat eine neue Identität angenommen und will gar nicht gefunden werden?

Alles scheint möglich und zugleich nichts davon wirklich realistisch. Nicht nur Rosanna, auch dem Leser fällt es schwer zu glauben, dass der charmante, attraktive Marc Reeve etwas mit dem Verschwinden der unscheinbaren Elaine zu tun haben soll. Auch dass sie einem brutalen Killer in die Arme gelaufen sein soll, scheint fraglich, denn Elaine war zwar unerfahren, aber nicht vollends naiv. Die Dominanz ihres schwierigen Bruders Geoffrey, der sie als Bezugsperson beständig einspannt, mag vordergründig ein Motiv zur Flucht gewesen sein, dennoch kann sich niemand, der Elaine kannte, denken, dass sie, die schüchterne, einsame Dorfpflanze, tatsächlich einen solch großen Schritt wagte und ein heimliches neues Leben begann.

In einer Parallelhandlung tauchen jedoch zwei weitere Frauenleichen auf, deren Fälle womöglich mit Elaine zusammenhängen. Sowohl die Prostituierte Jane French als auch die sechzehnjährige Linda werden gefesselt und ertränkt aufgefunden, brutal getötet von einem Sexualverbrecher. Während die Polizei zunächst im Dunkeln tappt, verdichten sich die Hinweise, dass beide Frauen an den gleichen Mann gerieten und seiner psychopathischen Ader zum Opfer fielen. Eine fieberhafte Suche beginnt, mit dem Verdacht, hier endlich etwas über Elaines Schicksal zu erfahren. Für Leser wie Charaktere beginnt ein Wechselbad der Gefühle voller neu aufkeimender Hoffnungen, die sich mit Enttäuschungen und Misserfolgen abwechseln. Das Ende ist kaum vorhersehbar und dennoch plausibel, und bis zum Finale halten überraschende Wendungen den Leser in Atem.

|Private Verwicklungen|

Aber nicht nur die Suche nach Elaine Dawson, sondern auch die Schicksale der Menschen, die mit ihrem Fall verwoben sind, sorgen für Spannung. Vordergründig geht es dabei um Rosanna Hamilton, die nicht verwinden kann, dass es ihre Hochzeitseinladung war, die zum Verschwinden von Elaine führte, der sie nie besonders nahe stand und bei der sie wusste, dass eine solche Reise die junge Frau womöglich überfordern würde. Im Fokus liegt aber auch Rosannas Ehe- und Familienleben. Nie hat sie sich auf Gibraltar eingelebt, stattdessen vermisst sie ihr ländliches Kingston St. Mary und ihre abwechslungsreiche Arbeit als Journalistin.

Ihr Mann Dennis dagegen hadert mit seinem aufmüpfigen sechzehnjährigen Sohn Rob, der seinerzeit ungeplant zur Welt kam, von seiner jungen überforderten Mutter abgegeben wurde und inzwischen auch den Vater über Gebühr belastet. Da der Kontakt zur leiblichen Mutter schon vor vielen Jahren abbrach, hat Rosanna diese Rolle übernommen. Umso schlimmer für Rob, dass nun auch sie für unbestimmte Zeit nach England zurückgeht und sich offenbar immer weniger wohl in ihrer Ehe fühlt. Weitere Rollen spielen auch die Annäherungen zwischen Rosanna und Marc Reeve, die die verheiratete Frau in schwere Gefühlskonflikte bringen, sowie das Leid von Geoffrey, der seit Elaines Verschwinden in einem Pflegeheim lebt und sich an Marc rächen will, den er nach wie vor verantwortlich macht.

|Kleine Schwächen|

Trotz der eingebauten Nebenhandlungen, die sich um die Probleme der Figuren abseits der Suche nach der Vermissten drehen, besitzt das Buch keine wirkliche Tiefe und wirkt nicht lange nach der Lektüre nach. Zwar lässt einen das Schicksal der Charaktere nicht kalt, aber es reicht nicht, um den Leser mitleiden zu lassen. Dazu kommt, dass die Dialoge oft gestelzt klingen, gerade in emotionalen Momenten zu überlegt und dadurch nicht realistisch. An ein paar entscheidenden Stellen der Handlung springt der Zufall ein, sodass auch hier der Realismus ein wenig auf der Strecke bleibt und man unweigerlich spürt, dass sich die Handlung nicht von selbst ergibt, sondern sorgfältig konstruiert wurde.

Etwas fraglich ist außerdem, dass die Polizei bei ihren Ermittlungen zum Tod von Linda nicht von selbst auf die Idee kommt, an ihrem ehemaligen Arbeitsplatz zu recherchieren. Dies übernimmt stattdessen, einer Eingebung folgend, ihre Schwester Angela, die über Lindas ehemalige Kollegin auf eine heiße Spur gerät. Erst hier schaltet sich die Polizei ein, ohne dass erklärt wird, warum sie nicht längst dieses Umfeld überprüfte. Ein wenig übertrieben mutet auch der Einbau der Liebesbeziehung zwischen Rosanna und Marc an, als sei diese Entwicklung ein Muss, um das Chaos zu vervollständigen.

Als _Fazit_ bleibt ein solider Thriller von Erfolgsautorin Charlotte Link, der sich um mysteriöse Frauenmorde und die Suche nach einer verschwundenen Person dreht. Für Spannung ist durchgehend gesorgt, auch dank der überraschenden Wendungen. Kleine Schwächen liegen in der mangelnden Tiefe, die das Werk nicht weit über einen durchschnittlichen Unterhaltungsroman ohne größere Ansprüche hebt.

_Charlotte Link_, Jahrgang 1963, gehört zu den erfolgreichsten deutschen Autorinnen der Gegenwart. Fast alle ihre Bücher wurden zu Bestsellern. Ihre Spezialgebiete sind historische Romane sowie Psychothriller. Zu ihren bekanntesten Werken zählen: „Das Haus der Schwestern“, „Verbotene Wege“, „Die Sünde der Engel“ und die Sturmzeit-Trilogie („Sturmzeit“, „Wilde Lupinen“, „Die Stunde der Erben“). Mehrere ihrer Bücher wurden fürs Fernsehen verfilmt.

http://www.randomhouse.de/goldmann/

|Siehe ergänzend dazu:|

[„Am Ende des Schweigens“ 1606
[„Der fremde Gast“ 1080
[„Das Echo der Schuld“ 3753

Barnes, Jonathan – Albtraumreich des Edward Moon, Das

London im Jahr 1901: Der Bühnenzauberer Edward Moon, mittlerweile über vierzig, hat seine besten Zeiten hinter sich gelassen. Vor Jahren war er der große Star, der stets mit ausverkauften Vorstellungen rechnen konnte. Inzwischen hat seine Show, obwohl immer noch spektakulär, an Beliebtheit verloren. Moons Leidenschaft gilt allerdings dem Lösen von Kriminalfällen. In über sechzig Fällen hat er als Hobbydetektiv ansehnliche Erfolge verzeichnet und Scotland Yard große Dienste erwiesen. Moon sehnt sich danach, endlich wieder einen solchen Fall bearbeiten zu können.

Kurz darauf wird er von Inspektor Merryweather berufen, eine seltsame Mordserie aufzuklären. Bereits zwei Männer, die aus reichen Familien stammten und dem Laster verfielen, stürzten aus ungeklärten Gründen aus einem unbewohnten Gebäude in einer finsteren Gegend, das früher als Wasserturm diente. Das zweite Opfer erzählt im Sterben noch, von einem affenartigen Wesen mit Schuppen im Gesicht angefallen worden zu sein.

Edward Moon ist überzeugt davon, den Mörder finden zu können. Gemeinsam mit seinem Assistenten, dem riesigen, stummen Schlafwandler mit dem kindlichen Gemüt, nimmt er die Fährte auf. Sein Weg führt ihn in die Unterwelt des viktorianischen London, in Opiumhöhlen, einen Wanderzirkus mit Kuriositätenkabinett und zu einem Geheimbund. Bei seinen gefährlichen Ermittlungen kommt Moon einer großen Verschwörung auf die Schliche …

Ein „grässliches Konvolut von Unsinnigkeiten“ verspricht der Klappentext dem Leser und stimmt ihn damit passend auf den skurril-ironischen Tonfall des Buches ein. Oberflächlich betrachtet, handelt es sich um einen spannenden Kriminalfall, der auf jeder weiteren Seite zunächst immer rätselhafter wird. Der Mörder scheint ein Fliegenmensch zu sein, doch das Motiv der Morde bleibt im Dunkeln. Edward Moon jedoch leckt Blut und will alles daransetzen, endlich wieder einen spektakulären Fall zu lösen.

|Originelle Charaktere|

Den Leser erwartet ein buntes Potpourri von bizarren Gestalten, von denen man einige rasch ins Herz schließt. Im Mittelpunkt steht Edward Moon, durchaus recht häufig ein mürrischer Charakter, den man dennoch aufgrund seines trockenen Humors liebgewinnt, wie es der Erzähler beinah abfällig vermutet. Moon ist alles andere als ein fehlerfreier Mensch, dabei aber auf eine liebenswürdige Art verschroben. Vor dem Auge des Lesers entsteht das Bild eines ehemals gefeierten Zauberers, dessen Beliebtheit in den letzten Jahren gelitten hat und dessen heutige Vorstellung ihn nur noch langweilen. Edward Moon ist ein eitler und tendenziell zynischer Mensch, der sich bisweilen auch seinen engsten Vertrauten wie dem Schlafwandler entzieht. Immer wieder wird sein Versagen in einem speziellen Kriminalfall angedeutet, das bis heute Spuren hinterlassen hat. Besonders gelungen dargestellt wird Moon im Kontrast zum launigen Inspektor Merryweather, der in seiner polterigen Art dem steifen Moon auf die Nerven geht.

Eine sehr sympathische Nebenfigur ist die mütterliche Mrs. Grossmith, die auf resolute Weise den Haushalt führt und den guten Geist in Edward Moons Räumlichkeiten verkörpert. Eine besondere Rolle kommt dem Erzähler zu, der bis über die Mitte des Buches hinaus seine Identität verschweigt, immer wieder kommentierende Einwürfe hinzugibt und auch vor kleinen Lügen nicht zurückschreckt. Erst am Ende werden die Umstände der Entstehung des Werkes enthüllt und der Erzähler offenbart sich endlich dem Leser. Faszinierend ist auch die Figur Barabbas, ein abstoßender Fleischberg, der in einem Kerker dahinvegetiert und in einem früheren Leben, damals ein schöner Jüngling, eine besondere Rolle in Moons Leben spielte. Nur in Andeutungen wird das Verhältnis der beiden Männer gestreift, doch diese genügen, um ein paar berührende Momente, frei von Kitsch, hervorzuzaubern, die selbst im Zyniker Edward Moon verborgene Empfindungen wachrufen – und beim Leser den Wunsch, Jonathan Barnes möge diesen Handlungszweig noch einmal in einem neuen Werk aufgreifen.

Die interessanteste Gestalt ist zweifellos der Schlafwandler, der dem Original den Titel verlieh, und durchgehend bei diesem Namen genannt wird. Zwar ist die Figur des freundlichen Riesen alles andere als originell, dennoch ist der stumme Zauber-Gehilfe viel mehr als ein bloßes Abziehbild. Ob er wirklich stumm ist oder nur nicht sprechen möchte, weiß nicht einmal Edward Moon selbst, zumindest scheint es ihm zu genügen, sich mittels handlicher Kreidetafel in telegrammartigen Äußerungen zu verständigen – auch wenn es dabei hin und wieder zu Komplikationen kommt, etwa wenn er in der Dunkelheit nicht seine Höhenangst mitteilen kann, in heftiger Erregung dank übergroßer Buchstaben in Platznot gerät oder Edward Moon mal wieder angesichts der sehr fragwürdigen Rechtschreibung innerlich die Augen verdreht. Seine übermenschlichen Kräfte auf der Bühne sind offenbar nicht vorgetäuscht, als einziges Getränk nimmt er Milch zu sich und dies dafür in rauen Massen, und trotz seiner freundlichen Ausstrahlung bewährt er sich mehrfach als zuverlässiger Leibwächter.

|Londoner Kuriositäten|

Die Halbwelt, in der sich Edward Moon bewegt, ist eine seltsame Ansammlung voller in ihrer Übertriebenheit leicht parodistischer Klischees des viktorianischen London. In den dunklen Gassen bewegen sich zahlreiche zwielichtige Gestalten, in den Wanderzirkussen leben unaussprechliche Geschöpfe und Moon selbst ist Stammgast in einem Bordell, das außergewöhnliche Neigungen befriedigt mit seinen Mädchen, die mit Launen der Natur wie Bartwuchs oder Entstellungen versehen sind. Es ist eine finstere, bedrohliche Welt, in der die Untoten Jagd auf Menschen machen und ein Zeitreisender Warnungen über Bombenangriffe auf London ausspricht, gleichzeitig aber auch eine Karikatur etlicher Schauerromane, in denen die Unholde durch die Straßen streifen und dunkle Pläne schmieden.

In seiner Bühnenvorstellung gibt Edward Moon eine perfekte Darbietung im Stil eines Sherlock Holmes, und seine Zauberei führt alle bekannten Tricks ad absurdum, da er sie in origineller Weise abwandelt. Während der ganzen Handlung liegen trockener Humor und erschreckende Erlebnisse dicht beieinander. Obwohl es vor amüsanten Szenen nur so wimmelt, werden auch grausame Morde verübt, und auch Unschuldige, die der Leser ins Herz geschlossen hat, bleiben nicht unbedingt von einem schlimmen Schicksal verschont.

|Schwächen im letzten Drittel|

So brillant der Roman auch in der ersten Hälfte und vor allem im ersten Drittel daherkommt, er besitzt auch Schwächen, die vor allem gegen Ende zutage treten. Der geradlinige Handlungsverlauf wird verlassen und durch überflüssige Nebensächlichkeiten angereichert. Anstatt den Fokus weiterhin auf skurrile Begebenheiten zu legen, rücken wilde Verschwörungstheorien in den Mittelpunkt, die unnötig aufgebauscht werden, als wolle der Roman sich dadurch zusätzliche Wichtigkeit verleihen. Diese steigende Dramatik verringert gleichzeitig leider die charmante Leichtigkeit, die bisher so vergnüglich dominierte.

Unnötig übertrieben ist die Ausweitung des mysteriösen Kultes, der zu apokalyptischen Szenen führt. Bedauerlicherweise wird die anfangs aufgebaute kriminalistische Atmosphäre, die an die Geschichten von Sherlock Holmes oder Auguste Dupin erinnert, nicht fortgeführt. Die Phantastik nimmt überhand, anstatt wie zu Beginn als liebevolles Beiwerk zu fungieren, die Ereignisse überstürzen sich und letztlich vermisst man beim Verhalten von Edward Moons Schwester eine subtilere Wandlung. Etwas unbefriedigend ist auch die Erklärung am Schluss zur Entstehung des Manuskriptes, die rückwirkend ein paar Fragen über das Wissen des Erzählers aufwirft.

_Als Fazit_ bleibt ein bemerkenswerter Debütroman aus dem viktorianischen London voller Zauberei und Halbweltflair mit leichten Schwächen. Nach furiosem Beginn, originellen Charakteren und einer rätselhaften Mordserie stehlen sich kleine Mankos in das Werk hinein, vor allem durch eine übertriebene Ausschmückung der Handlung, welche die liebenswerten Details überlagert. Dennoch ist „Das Albtraumreich des Edward Moon“ auch dank des durchgehend trocken-ironischen Tonfalls des undurchsichtigen Erzählers ein sehr lesenswertes Erstlingswerk, das Fantasy, Horror und Krimi miteinander verbindet.

_Der Autor_ Jonathan Barnes studierte in Oxford englische Literatur und arbeitet als Kolumnist für mehrere britische Zeitungen. „Das Albtraumreich des Edward Moon“ ist sein erster Roman, der sofort international große Beachtung fand. Derzeit schreibt Barnes an seinem zweiten Buch.

http://www.piper-verlag.de

McCaig, Donald – Rhett

Charleston zur Mitte des 19. Jahrhunderts: Der junge unbeugsame Rhett Butler wächst auf der Reisplantage seines Vaters auf. Schon früh überwirft er sich jedoch mit Langston Butler und verlässt das Elternhaus. Vor allem der Abschied von seiner jüngeren Schwester Rosemary fällt ihm schwer. Erst viele Jahre später treffen sich Rhett und Rosemary wieder. Rhett Butler ist inzwischen ein erfolgreicher Geschäftsmann, der für seinen Charme und seine Schlitzohrigkeit bekannt ist. Während seine geliebte Schwester Rosemary in die Ehe mit dem zuverlässigen aber langweiligen John Haynes gedrängt wird, bietet er ihr Halt, wann immer er kann.

1861 bricht der Sezessionskrieg aus, der Norden und Süden spaltet. Rhett ist einer der wenigen Südstaatler, der schon zu Beginn die Chancenlosigkeit des Südens erkennt, der zahlenmäßig bei aller Tapferkeit zu stark unterlegen ist. Auf einem Ball in Atlanta begegnet Rhett der jungen Scarlett O’Hara, einer temperamentvollen und eigensinnigen Südstaatenschönheit, die den sensiblen Ashley Wilkes begehrt, der jedoch bereits an die ebenfalls ruhige und sanfte Melanie Hamilton vergeben ist.

Rhett begreift sofort, dass er und Scarlett füreinander bestimmt sind. Noch nie hat ihn eine Frau dermaßen faszinieren können, und für ihre sinnlose Schwärmerei für den Gentleman Ashley hat er nur Spott übrig. Scarlett aber ignoriert sein Werben. Auch nach seiner Hochzeit trauert sie noch Ashley Wilkes hinterher. Während der Krieg tobt, nimmt sich Scarlett widerwillig ihrer heimlichen Rivalin Melanie an, um wenigstens auf diese Weise regelmäßig Kontakt zu Ashley zu haben. Und immer wieder stiehlt sich Rhett Butler in das Leben von Scarlett …

„Vom Winde verweht“ ist auch rund achtzig Jahre nach seinem Erscheinen ein höchst beliebter Klassiker, der auch durch die grandiose Verfilmung mit Clark Gable und Vivien Leigh unsterblich wurde. Das offene Ende, in dem sich die beiden – womöglich nur zeitweilig? – trennen, hat seitdem unzählige Fans beschäftigt und zu Spekulationen aufgerufen. 1991 folgte die Fortsetzung [„Scarlett“]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3455063268/powermetalde-21 von Alexandra Ripley, die die Geschichte fortsetzte und ihr zu einem glücklichen Ende verhalf. Wer sich immer noch nach weiterem Material um eines der berühmtesten Liebespaare der Literatur sehnt, für den bietet „Rhett“ einen interessanten Stoff – diesmal mit dem Fokus auf Rhett Butler.

|Alte und neue Bekannte|

Ohne Zweifel ergibt sich erst dann ein besonderer Reiz aus „Rhett“, wenn man ihn mit dem Wissen um [„Vom Winde verweht“]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3548269338/powermetalde-21 liest. Stand dort fast ausschließlich Scarlett im Mittelpunkt, erfährt man hier endlich Details aus dem Leben des legendären Schlawiners: Ereignisse aus seiner Kindheit und Jugend, der Bruch mit seiner Familie, das Verhältnis zu seiner Schwester Rosemary und die Bezüge zu Belle Watling. Belle Watling ist die rothaarige Prostituierte, die mit Rhett in enger Verbindung steht und für Scarlett in „Vom Winde verweht“ daher ein rotes Tuch war. Der Leser erfährt, dass er sich in jungen Jahren einmal wegen ihr duelliert hat und Belle ihm eine clevere Geschäftspartnerin war. Dennoch ist es keine Bedingung, Margaret Mitchells Roman zu kennen (auch wenn nur Banausen ihn nicht spätestens danach lesen wollen und werden).

Eine interessante Figur ist Rosemary Butler, die sich in den hübschen, schneidigen Andrew Ravenel verliebt. Trotz eines leidenschaftlichen Kusses in der Öffentlichkeit muss sie, um dem strengen Vater zu entfliehen, den weit weniger attraktiven, wenn auch anständigen John Haynes heiraten. Andrew dagegen, der im Krieg zu einem gefeierten Helden wird, heiratet die unscheinbare Charlotte. Ihre Tochter Meg bedeutet für Rosemary einen Lichtblick und eine der wenigen Gemeinsamkeiten mit ihrem Ehemann, doch viel zu früh muss diese in den Kriegswirren sterben – und damit hat Rosemary noch längst nicht alle schwierigen Zeiten hinter sich gebracht.

Ein ebenfalls oft leidvolles Schicksal ist Belle Watling zugedacht. Die Besitzerin des prunkvollen Etablissements „Chapeau Rouge“ ist zwar Rhett Butlers Vertraute, kann aber nicht mehr als seine platonische Liebe erringen. Der Leser erfährt die Herkunft ihres unehelichen Sohns Taz, der lange Zeit glaubt, dass Rhett Butler sein Vater sei, und gewinnt Einblicke in die enge Freundschaft zwischen Rhett und Belle. Zur tragischen Figur wird Belle, als sie sich mit Melanies Hilfe darum bemüht, eine „feine Dame“ zu werden und nicht mehr als Prostituierte zu arbeiten, ein Versuch, der bitter endet und Belle demonstriert, dass sie ihre Hoffnungen auf ein Leben als Mrs. Butler endgültig begraben muss.

Die Zeit des Bürgerkrieges wird längst nicht so intensiv wie in „Vom Winde verweht“ aufbereitet, dennoch gewinnt der Leser auch hier einen Einblick in die Schrecken des Krieges. Familien werden auseinandergerissen, Städte zerbombt und Plantagen in Brand gesetzt. Die wichtigsten Schlachten und Schachzüge der Unionisten und Konföderierten werden eingebracht. Angedeutet wird auch das wechselhafte Verhältnis zu der farbigen Bevölkerung. Selbst unter ihrem eigenen Volk stehen sich freie Schwarze und Diener, die bei ihren Herren bleiben, oft misstrauisch und ablehnend gegenüber, und es fehlt nicht an grausigen und schockierenden Szenen, in denen nach dem Krieg der neu gegründete Ku-Klux-Klan die Schwarzen verfolgt.

|Kopie mit Schwächen|

Auch wenn es auf der Hand liegt, soll ruhig noch einmal deutlich gesagt werden, dass „Rhett“ in keiner Weise mit „Vom Winde verweht“ mithalten kann. Es ist eine bestenfalls nette Light-Version und bietet vor allem den Fans des Originals neuen Diskussionsstoff sowie den Reiz einiger zusätzlicher Figuren. Doch allein schon der geringere Umfang bedeutet automatisch, dass „Rhett“ sich nicht viel Zeit für die Entwicklung der Handlung nimmt. Das Epos der Mitchell umfasst beinah tausend Seiten, McCaigs Werk ein paar hundert weniger, und das trotz rund zwanzig Jahren mehr Handlung. Viele Szenen, die man liebevoll-detailliert aus dem Original kennt, werden hier in wenigen Sätzen abgehandelt. Die Zeit zwischen dem Tod von Scarletts zweitem Ehemann und ihrer Hochzeit mit Rhett wird kaum erwähnt, die Umstände von Gerald O’Haras Tod nicht erklärt und den tödlichen Unfall von Scarletts und Rhetts Tochter Bonnie, die sie für lange Zeit entzweit, erfährt man sogar nur aus einem Briefwechsel zwischen Melanie und Rosemary. Auch das Sterben von Melanie verläuft unspektakulär und erreicht nicht im Mindesten die traurige Intensität der Vorlage. Für Nichtkenner des Originals wird außerdem die Figur von Will Benteen, der später Scarletts Schwester Suellen heiratet, unzureichend eingeführt.

Da die Geschichte den Fokus auf Rhett legt, fallen zwangsläufig einige Szenen aus „Vom Winde verweht“ heraus, die damals von Scarlett erlebt werden, etwa die schwierige Geburt von Melanies Sohn, während die Yankees in Atlanta einfallen. Leider können die Erlebnisse von Rhett, die man dafür im Gegenzug präsentiert bekommt, in kaum einem Fall an diese Schilderungen heranreichen, sondern bleiben blass dahinter zurück. Anhänger der Fortsetzung „Scarlett“ müssen außerdem erkennen, dass dieses Werk hier ignoriert und quasi eine Alternativ-Fortsetzung geschrieben wurde.

Zudem gibt es mehrere Unstimmigkeiten bei den Charakteren. Sind Rhett und Scarlett im Wesentlichen mit den Originalen identisch, so ist Melanie Hamilton Wilkes deutlich unglaubwürdiger geraten. Unbeabsichtigt belauscht sie ein Gespräch zwischen Rhett und Scarlett, das enthüllt, das Scarlett ihren ersten Ehemann, Melanies Bruder Charles, nie geliebt hat. Schwer vorstellbar, dass die sensible Melly, die ihren Bruder abgöttisch liebte und nichts mehr hasste als Unaufrichtigkeit, mit diesem Wissen Scarlett nach wie vor wie eine Schwestern geliebt haben soll. Noch schwerer vorstellbar sind die Briefe, die Melly an Rosemary schickt, in denen sie, zwar verhalten, aber dennoch ungewohnt offen über ihr sexuelles Verlangen nach Ashley schreibt – dem sie nicht nachgeben darf, da eine zweite Geburt ihr Leben gefährden würde – und ihre Eifersucht gesteht, weil sie über Scarletts und Ashleys gegenseitiges Begehren Bescheid weiß. Margaret Mitchells Melanie mag zwar geahnt haben, dass sich ihr Ehemann zur unbändigen und lebenslustigen Scarlett hingezogen fühlte – doch gleichzeitig wusste sie auch, dass sie ihm stets vertrauen konnte, dass er Melanie niemals für eine Affäre ohne Zukunft verlassen hätte. Die eifersüchtige Melly, die Rosemary gesteht, dass sie sich bemüht, bisweilen Zusammentreffen von Ashley und Scarlett zu verhindern, passt einfach nicht zum Verhalten des Originals und lässt die beeindruckende Stärke dieser Melanie vermissen.

_Als Fazit_ bleibt ein Wiedersehen mit Scarlett O’Hara und Rhett Butler, das sich vor allem für Hardcore-Fans des Originals eignet, die sich neuen Stoff um das Traumpaar herbeiwünschen. Nicht alle Personendarstellungen passen zur Vorlage, und das Werk erinnert nur in ganz wenigen Momenten daran. „Rhett“ ist ein lesbares Buch, das sich als Zeitvertreib eignet, aber keinesfalls ein Ersatz oder eine wirkliche Ergänzung für „Vom Winde verweht“.

_Der Autor_ Donald McCaig wurde 1940 in Montana geboren und zog 1971 mit seiner Frau ins Hochland von Virginia. McCaig hat sowohl Gedichtsammlungen herausgegeben als auch Artikel für Zeitschriften verfasst und bereits mehrere Romane über den Amerikanischen Bürgerkrieg geschrieben. Für seine Werke erhielt er bereits mehrfach Preise, unter anderem den |American Library Association Award| für das Beste Kriegsbuch, den |John Esten Cooke Award| für das Beste Südstaatenbuch und im Jahr 2000 den Ehrendoktortitel der Christopher Newport University. Die Fortsetzung „Rhett“, an der er vierzehn Jahre lang arbeitete, wurde von den Erben Margaret Mitchells autorisiert.

|Originaltitel: Rhett Butler’s People
Übersetzerin: Kathrin Razum
640 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag|
http://www.rhett-dasbuch.de
http://www.hoffmann-und-campe.de

Minninger, André – Die drei ??? – Nacht in Angst (Folge 86)

_Besetzung:_

Justus Jonas: O. Rohrbeck
Peter Shaw: J. Wawrczeck
Bob Andrews: A. Fröhlich
Morton: A. von der Meden
Mr. Peacock: H. Ahner
Alpha: A. Schülke
Erzähler: M. Fuchs

_Inhalt:_

Nachdem Justus, Peter und Bob vergeblich versucht haben, Karten für den neuen Star-Wars-Film zu ergattern, lassen sie sich von Morton abholen. Morton erhält auf der Fahrt einen Anruf von Mr. Peacock, dem Direktor des Steadmans-Museums, der ebenfalls sein Kunde ist und zum Museum gebracht werden will. Der nette, aber etwas schusselige Mr. Peacock hat seinen Cheftimer mit allen wichtigen Daten im Museumsbüro vergessen. Als Entschädigung für den kleinen Umweg bietet er den drei Detektiven eine kurze nächtliche Museumsführung an.

Da morgen eine interessante Ausstellung beginnt, bei welcher der wertvollste Diamant der Welt gezeigt werden wird, nehmen die Jungs die Einladung erfreut an. Während Justus und Morton den Aufzug nehmen, gehen die anderen zu Fuß in den dritten Stock. Doch kurz darauf erlöscht plötzlich das Licht. Zunächst glauben sie noch an einen Stromausfall, aber alles deutet auf einen Einbruch hin. Mr. Peacock und Bob eilen rauf ins Büro, um die Leitungen zu überprüfen, während Peter den Diamanten in Sicherheit bringen soll. Justus und Morton stecken derweil im Aufzug fest.

Bob und Mr. Peacock werden jedoch von der Diebesbande gefangen genommen und eingesperrt. Sie halten den flüchtigen Peter für einen weiteren Dieb und Bob und Mr. Peacock für Komplizen. Nach einer langen Verfolgungsjagd wird auch Peter gefangen – doch den Stein hat er nicht mehr bei sich. Ein weiterer Dieb, der sich als Nachtwächter ausgab, hat ihn ihm abgenommen. Während der Anführer der Diebesbande immer unberechenbarer wird und seine Komplizen das Museum durchsuchen, hoffen Peter und Bob entkommen zu können …

_Bewertung:_

„Nacht in Angst“ ist eine sehr gelungene Folge der drei Fragezeichen, die allen Erwartungen standhält.

|Spannende Echtzeit-Handlung|

Das Besondere an dieser Folge ist ihr Tempo, denn anders als gewöhnlich wird sie quasi in Echtzeit erzählt. Der Hörer erlebt hautnah mit, wie Justus, Peter, Bob, Morton und Mr. Peacock von den Verbrechern gefangen gehalten werden. Das ist eine angenehme Abwechslung zu den sonstigen Fällen, die sich meist über Tage oder Wochen hinziehen. Weiterhin gelungen ist die Abweichung vom üblichen Schema, indem die drei die meiste Zeit über getrennt voneinander agieren. Justus steckt mit Morton im Fahrstuhl fest und kann nur per Sprechanlage mithören, was im Museum geschieht, aber lange Zeit nicht eingreifen. Bob wird gemeinsam mit Mr. Peacock festgehalten, während Peter zunächst durch das Museum irrt, verfolgt von den Gangstern, die ihn ebenfalls für einen Dieb halten. Jeder der drei Detektive trägt auf seine Weise etwas zur Lösung bei, und auch wenn Justus am Ende mal wieder derjenige ist, der die Zusammenhänge am besten durchschaut, haben seine beiden Kollegen zuvor schon ganze Arbeit geleistet.

Spektakulär ist die Folge auch wegen der Gefahr, in welcher die Freunde schweben. Der Anführer der Diebesbande richtet eine Pistole auf sie, Mr. Peacock wird niedergeschlagen und es besteht kaum eine Chance zu entkommen. Zeitweise wissen weder die drei Detektive noch die Gangster, wie viele Leute sich eigentlich zurzeit im Museum bewegen. Der unbekannte Auftraggeber sorgt trickreich dafür, dass sich die Verbrecher gegenseitig nicht mehr trauen, indem er sie gegeneinander ausspielt, und die Handlung hält mehrere überraschende Wendungen bereit. Nie kommt Langeweile auf, da sich die Jungs entweder auf der Flucht oder in Gefahr befinden oder neue Informationen erhalten.

|Amüsante Szenen|

Humorvolle Auflockerungen gibt es auch in dieser spannungsgeladenen Folge. Dass Justus lieber den Aufzug statt der Treppe nimmt, bietet Peter mal wieder Grund zur Häme, denn auf diese Art wird der Erste Detektiv seine überflüssigen Pfunde nie los. Das ist zwar eine recht gemeine Bemerkung, aber da Justus andererseits gerne mal besserwisserisch auftritt und ein gesundes Selbstbewusstsein besitzt, durchaus legitim. Unfreiwillig komisch ist der wütende Alpha, der Anführer der Diebesbande, als er entdeckt, dass sich nicht nur Peter und Bob, sondern anscheinend auch noch ein Nachtwächter im Museum befinden, und er seine Leute anbrüllt, warum hier zig Leute im Gebäude herumrennen, von denen sie keine Ahnung haben. Eine witzige Kabbelei gibt es zwischen Peter und Bob, als Peter zögert, in den Wasserkasten der Toilette zu greifen, und Bob ihn tadelt: „Eklig wird’s erst weiter unten.“ Die größten Lacher auf seiner Seite hat aber Justus, der beim großen Finale völlig unverhofft auftaucht und das obligatorische Überreichen der Visitenkarte diesmal äußerst originell gestaltet.

|Sehr gute Sprecher|

Die Darsteller der Nebenfiguren sind keine Unbekannten und liefern eine sehr gute Leistung ab. Helmut Ahner kennt man auch als Stimme des Butlers Johann in „Duck Tales“, als unfreundlicher Nachbar in „Benjamin Blümchen als Gärtner“, als distinguierte Bulldogge Francis im |Disney|-Film „Oliver und Co“ und bei den |Drei Fragezeichen| beispielsweise als Kapitän Joy in „Der rote Pirat“ und als Slater in „Der Super-Wal“. Auch Achim Schülke hatte bereits Auftritte bei den |Drei Fragezeichen|, beispielsweise in „Das Gold der Wikinger“. Regelmäßig spricht er in der Serie „Bob der Baumeister“ und bei den „Teenage Mutant Hero Turtles“ und als Titus Jonas in der Ablegerserie „Die drei Fragezeichen-Kids“. Gut wie immer ist auch Andreas von der Meden als vornehmer Morton, der ähnlich umständlich auch als Kastellan in der Hörspielserie „Hui Buh“ auftritt. Populär auch seine Rolle als zerstreuter Onkel Quentin bei den „Fünf Freunden“.

|Kaum Schwächen|

So gut gelungen, wie die Folge ist, kann von echten Schwächen nicht die Rede sein. Es ist nur ein kleines bisschen störend, wie ausführlich Justus seine Freunde auf deren Flucht informiert und ihnen wichtige Informationen zukommen lässt. Anstatt kurz und knapp den entscheidenden Namen zu sagen, verliert er mehrere Sätze, als hätten sie alle Zeit der Welt, und umschreibt umständlich die Person, was angesichts der Eile unrealistisch ist. Weiterhin kommt Justus bei der Entlarvung des Täters ein kleiner Zufall zu Hilfe. Zwar gelingt ihm die Identifizierung anhand von logischen Schlussfolgerungen, doch beweisen kann er seine Theorie erst durch einen Zufall, der seine Vermutung bestätigt. Aber beide Punkte sind insgesamt kaum der Rede wert.

_Als Fazit_ bleibt eine sehr empfehlenswerte Folge, sicherlich eines der Highlights unter den neueren Produktionen. Die Episode überzeugt durch Spannung, überraschende Wendungen, eine temporeiche Handlung in Echtzeit und sehr gute Sprecher. Die winzigen Mängel sind kaum der Rede wert.

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Rubenfeld, Jed – Morddeutung

New York, 1909: Der berühmte Psychoanalytiker Sigmund Freud trifft per Schiff zu seiner Amerikareise ein. Geplant ist eine Reihe von Vorträgen an der Clark University. Begleitet wird er von zwei Kollegen, dem ernsten Züricher Carl Jung und dem herzlichen Ungarn Sándor Ferenczi. Sie werden von dem amerikanischen Psychoanalytiker Stratham Younger empfangen, einem jungen Mediziner, der bemüht ist, Freuds bahnbrechende Theorien in den USA zu verbreiten.

Zur gleichen Zeit wird in einem Luxusappartement eine junge Frau grausam ermordet. Ihr Körper hängt an einem Kronleuchter und sie wurde ausgepeitscht, ehe der Mörder sie erwürgte. Kurz darauf wird die junge, aristokratische Miss Nora Acton auf ähnliche Weise misshandelt, kann jedoch rechtzeitig gerettet werden, während der Täter flieht. Miss Acton hat jedoch jede Erinnerung an den Mörder und die Geschehnisse verloren und verweigert zunächst sogar die Sprache.

Die Polizei setzt große Hoffnungen in die einzige Zeugin. Stratham Younger wird beauftragt, mit Freuds Unterstützung das Trauma aufzuarbeiten, damit Miss Actons verdrängte Erinnerungen endlich wieder in ihr Bewusstsein zurückkehren. Die Arbeit kommt nur mühsam voran, da sich Miss Acton zunächst gegen die ungewöhnliche Therapie sperrt. Bald darauf deutet sich an, dass die Suche nach dem Mörder in die höchsten Kreise der New Yorker Gesellschaft führt. Die Zeit drängt, denn es besteht die Gefahr, dass der Täter erneut zuschlägt – oder Miss Acton als Zeugin ausschalten wird. Allerdings wird der Fall auch zunehmend verwirrender, und Younger weiß bald kaum noch, wem er trauen darf …

Schon die Amerikareise von Sigmund Freund und Carl Gustav Jung alleine böte genug Stoff für einen historischen Roman, die Verquickung mit einer Thriller-Handlung sorgt jedoch für einen besonderen Reiz.

|Tätersuche mit Tücken|

Der Fall wirft gleich zu Beginn viele Fragen auf, die nur ganz allmählich beantwortet werden und bis kurz vor Schluss eher stets neue Überraschungen mit sich bringen. Eine Leiche und ein versuchter Mord gehen auf das Konto des Täters; die bizarren Umstände, eine Fesselung und Auspeitschung der Opfer, sorgen für zusätzliches Entsetzen. Nora Acton erweist sich als schwierige Patientin, deren Erinnerungen unzuverlässig erscheinen und die sich gegen die ungewohnte und damals revolutionäre Vorgehensweise der Psychoanalyse wehrt. Dr. Younger wiederum hat mit doppelter Verunsicherung zu kämpfen; zum einen sieht er sich gezwungen, unter den Augen des von ihm bewunderten Sigmund Freud eine überzeugende Leistung abzuliefern, und zum anderen entwickelt er recht schnell tiefere Gefühle für Nora, auch wenn er diese als Resultat der Behandlung zu erklären versucht.

Bis zum Schluss ergeben sich einige unvorhersehbare Wendungen, denn viele ist anders, als es auf den ersten Blick erscheint, und bis zu diesem turbulenten Finale, in dem die Masken fallen, muss der Leser um weitere mögliche Opfer bangen, erst recht um die Sicherheit von Nora Acton, die als Zeugin auch ohne zuverlässige Erinnerung in Gefahr schwebt.

|Verquickung von Realität und Fiktion|

Auch wenn Sigmund Freud nicht die zentrale Gestalt des Romans ist (denn diese Aufgabe kommt Stratham Younger zu), wird er als interessanter Charakter eingeführt; eine Autoritätsperson mit zugleich väterlicher Gutmütigkeit, scharfsinnig und zurückhaltend in einem. Stratham Younger ist ein ganz eindeutiger Sympathieträger, ein junger Arzt, der unter dem Selbstmord seines Vaters leidet und trotz seiner Intelligenz nicht frei von Unsicherheiten ist.

Zwielichtig in Szene gesetzt wird dagegen Carl Gustav Jung. Von seiner Ankunft in Amerika an distanziert er sich von seinen Kollegen und deutet vermehrt eine kritische Haltung gegenüber Freuds Theorien an. Der einstige Schüler entwickelte sich später zu einem Gegner des Vaters der Psychoanalyse, und erste Anzeichen für diesen Bruch werden hier in die Handlung mit eingewoben.

Zunächst gewöhnungsbedürftig sind die verschiedenen Perspektiven, da einmal aus der Ich-Perspektive Youngers und dann wieder aus der Sicht eines unbeteiligten Erzählers gesprochen wird, der wiederum abwechselnd die Handlungsstränge um Younger und Freud sowie um die Ermittler Coroner Hugel und Detective Littlemore verfolgt. Der knurrige, erfahrene Coroner Hugel wählt ausgerechnet den Neuling Littlemore zum Assistenten, der sich mit Feuereifer auf seinen ersten Mordfall stürzt und, zum Amüsement des Lesers, voller Begeisterung wilde Theorien entwickelt. Allerdings entwickelt sich der überaus sympathische Littlemore von einer Humorfigur nach und nach zu einem fähigen Ermittler, der sich immer näher an die Wahrheit heranarbeitet. Eine nette Einbettung in die Handlung ist auch seine Romanze mit dem Dienstmädchen Betty, das ursprünglich als Zeugin für den Mord fungierte.

Der Aufhänger für den Roman ist Freuds bis heute nicht ganz geklärte Abneigung gegen die USA nach seiner Vortragsreise. Die Verwicklung in einen mysteriösen Mordfall ist eine gelungene, phantasievolle Begründung für Freuds Verhalten. Zudem wurden zahlreiche verbürgte Zitate von Freud und Jung in ihre Dialoge eingebaut, sodass Kenner der Psychoanalyse ihren Spaß daran haben werden, die biographisch korrekten Elemente herauszufiltern. Auch Historienfreunde kommen auf ihre Kosten, denn das New York zu Beginn des 20. Jahrhunderts bildet einen bunten Schauplatz, der gerade im Begriff ist, sich zur Modernität aufzuschwingen und in dem zahlreiche neue Erfindungen auf dem Vormarsch sind. Es ist eine Zeit, in der die Automobile allmählich die Droschken auf den Straßen verdrängen, in der sich die Architekten mit den höchsten Gebäuden gegenseitig zu übertreffen anstreben und in der aristokratische Dynastien wie die Vanderbilts und die Astors den Ton der Gesellschaft angeben.

|Nur geringe Schwächen|

Auch den von der Psychoanalyse Überzeugten werden Freuds Analysen teilweise zu hellseherisch erscheinen. Dank seiner Theorien gelingen ihm auf Gesellschaften Erkenntnisse über das Leben fremder Leute, die nicht mehr realistisch sind. Des Weiteren müssen Historienfreunde hinnehmen, dass der Autor einige Fakten zugunsten seiner Geschichte abwandelt oder zeitlich versetzt. So wurde beispielsweise das Leichenschauhaus in einen anderen Stadtteil versetzt, der Baufortschritt der Manhattan Bridge verändert und ein Streik ein paar Monate früher angesetzt. Zudem fällt Noras Charakter gegenüber den anderen Figuren ab; sie wird recht klischeehaft gestaltet, was sich vor allem in der Auflösung aller Zusammenhänge offenbart.

_Als Fazit_ bleibt eine gelungene Mischung aus Historienroman und Thriller, in dem Sigmund Freud eine wichtige Rolle spielt. Die verschachtelte Handlung kann mit einigen überraschenden Wendungen aufwarten und die Hauptfiguren überzeugen. Kleine Abstriche gibt es für ein paar konstruierte Elemente und eine klischeehafte Nebenfigur. Ansonsten ist „Morddeutung“ sehr lesenswert, auch ohne Vorkenntnisse in der Psychoanalyse.

_Der Autor_ Jed Rubenfeld, Jahrgang 1959, ist Professor an der Yale-Universität und Experte für Verfassungsrecht. „Morddeutung“ ist sein erster Roman und setzte sich direkt an die Spitze der Bestsellerlisten. Die Filmrechte wurden bereits verkauft. Rubenfeld arbeitet an seinem zweiten Roman.

http://www.interpretationofmurder.com/
http://www.heyne.de

http://de.wikipedia.org/wiki/Sigmund__Freud
http://de.wikipedia.org/wiki/Carl__Gustav__Jung
http://de.wikipedia.org/wiki/S%C3%A1ndor__Ferenczi

Haubold, Frank W. – Schatten des Mars, Die

Die Menschheit in einer nahen Zukunft: Die Welt steht im Zeichen von Krieg und Zerstörung. Martins Freund Steve kommt im Kindesalter mit seinen Eltern bei einem Terroranschlag ums Leben. In Gedenken an seinen Freund, der davon träumte, Astronaut zu werden, widmet sich Martin ebenfalls der Raumfahrt. Bereits in seiner Jugend konstruiert er zusammen mit seinen Freunden Jeff und Nikos eine Rakete, später führt ihn sein Weg zur Air Force.

In Deutschland erleidet auch Julius Fromberg einen schlimmen Verlust, als seine Freundin Julia nach einem Sturz auf dem Heuboden stirbt. Julis widmet sein Leben der Forschung. Er studiert Informatik und spezialisiert sich auf die Entwicklung künstlicher Intelligenzen. Sein Traum ist die Erschaffung eines Bewusstseins, das seiner geliebten Julia zum Verwechseln ähnlich sieht und ihren Platz einnehmen kann. Seine Forschungen machen beeindruckende Fortschritte, doch bald muss Julius einsehen, dass ihn sein Ziel vor ein moralisches Dilemma stellt.

Währenddessen kehrt die gefeierte russische Primaballerina Lena, die mittlerweile zum Star des American Ballet Theatre in New York geworden ist, mit inzwischen 46 Jahren für einen Auftritt in ihre Heimat zurück. Ihre Reise beginnt verheißungsvoll mit dem Wiedersehen ihres Jugendfreundes und endet dramatisch mit einem Anschlag während der Aufführung. Lena überlebt, verliert jedoch beide Beine.

Die Wege dieser Menschen führen sie schließlich auf den Mars. Martin ist der erste Mensch, der den roten Planten betritt, der von da an von immer mehr Menschen besiedelt wird. Julius Fromberg entwickelt die Rummdogs, die als mechanische Spürhunde fungieren. Die gläserne Stadt, ein mystischer Ort unter der Oberfläche des Mars, bedeutet für viele Menschen neue Hoffnung …

Altmeister Ray Bradbury und seine [Mars-Chroniken 1294 standen unzweifelhaft Pate für diesen Roman, der sich aus einer Reihe von Erzählungen zusammensetzt. Die Besiedelung des Mars ist das Oberthema, der Fokus liegt jedoch vor allem auf der Entwicklung verschiedener menschlicher Schicksale.

|Bunte Schicksale in mehreren Handlungssträngen|

Der Astronaut Martin, der geniale Erfinder Julius und die Balletttänzerin Lena sind die drei zentralen Gestalten des Werkes. Sie alle haben schwere Schicksalsschläge erlitten, die ihr Leben deutlich geprägt haben. Martin muss in früher Jugend nicht nur den Tod seines Freundes verwinden, sondern auch den des schwerkranken Vaters. Der einstige Marine verliert aufgrund seiner Krankheit nicht nur die Arbeit, sondern zieht sich auch mehr und mehr von seiner Familie zurück. Der zwölfjährige Martin gibt die Hoffnung auf eine Heilung lange Zeit nicht auf, muss jedoch miterleben, wie sich sein Vater zu einem körperlichen Wrack wandelt, das nur noch am seidenen Faden im Leben schwebt. Eine verwirrende Begegnung mit einer Wahrsagerin auf einem Jahrmarkt nimmt die schweren Prüfungen voraus, die ihm in Zukunft bevorstehen. Die Welt, in der Martin heranwächst, ist geprägt von Krieg und Gewalt, doch bei alldem lässt er nie sein großes Ziel, den Mars, aus den Augen.

Julius Fromberg ist schon als Kind ein Einzelgänger, der sich mit Technik auseinandersetzt. Soziale Kontakte werden für ihn erst interessant, als er Julia kennenlernt. Ihr früher Tod ebnet den Weg für seine Forschungen zu künstlicher Intelligenz, die in der Erschaffung der Rummdogs münden. Vor allem im ersten Teil berührt der spürbare Verlust seiner kaum gelebten Jugendliebe, die ihn in einem schweren Zwiespalt führt. Die gleiche Emotionalität erreicht der Handlungsstrang um die Tänzerin Lena, deren Rückkehr in ihre Heimat in einem dramatischen Schock endet und die dennoch nicht zum letzten Mal getanzt hat. So liebevoll ihre Einführung gestaltete ist, sodass sich der Leser über das Wiedersehen mit Jugendfreund Sergej freut, so sehr trifft einen dann die harte Wendung, welche die aufkeimende Romantikstimmung drastisch zerstört.

Eine weitere kleine Rolle spielt die Agentin Miriam Green, deren Weg sich mehrfach mit dem Schachweltmeister Nikolai Borodin kreuzt, den sie einst ausspionieren musste. Einen kurzen Beitrag steuert Autorin Heidrun Jänchen mit der kompakten Erzählung „Adrienne“ bei – die sich beinah nahtlos in die anderen Geschichten einfügt -, in der eine Mutter um ihr früh verstorbenes Kind trauert und auf dem roten Planeten eine Möglichkeit zur Bewältigung ihres Kummers erhält.

Es sind traurige Schicksale, die man als Leser präsentiert bekommt, allerdings durchsetzt mit Augenblicken der Hoffnung und des Glücks. Jeder Lebensweg verläuft unvorhersehbar, und was bleibt, ist der Wunsch, dass jede Figur am Ende das finden möge, was sie sich erträumt. Passend zum anspruchsvollen Inhalt ist die edle Ausstattung der limitierten Ausgabe. Der Roman ist in Leinen gebunden und mit einem Schutzumschlag versehen und innen ergänzen zahlreiche ausdrucksstarke Schwarzweiß-Illustrationen von Björn Lensig den Inhalt, während Brita Seifert das Titelgemälde schuf.

|Nur kleine Schwächen|

Wer sich eine detaillierte, womöglich gar techniklastige Schilderung der Mars-Besiedelung wünscht, wird von diesem Roman sicher zumindest teilweise enttäuscht werden. Die Spannung aufgrund der Unvorhersehbarkeit definiert sich eher als Teilnahme am Schicksal der Charaktere, und temporeiche Szenen tauchen nur selten auf. Stattdessen dominiert eine nachdenkliche bis melancholische Atmosphäre mit teilweise traumartigen Sequenzen. Es ist ein stilles Werk, für das man sich Zeit nehmen sollte.

Aufmerksamkeit erfordern allein schon die verschiedenen Handlungsstränge, die einander rasch abwechseln, und auch die Form eines Episodenromans ist gewöhnungsbedürftig. Innerhalb mancher Episoden fällt zudem ein kleiner Bruch zwischen den poetischen Innenperspektiven und der nüchternen Informationsvermittlung auf, wenn recht unverwoben ein paar neutrale, erklärende Sätze eingeschoben werden. Das fällt umso mehr auf, da der Großteil des Werkes aus einer bilderreichen Sprache mit stimmungsvollen Elementen besteht.

_Als Fazit_ bleibt ein sehr stimmungsvoller Episodenroman über die Besiedelung des Mars, der sich nicht auf die technische Seite, sondern auf das Schicksal der Hauptcharaktere konzentriert. Ein leises SF-Werk, das sich vor allem an anspruchsvolle Leser richtet, und zugleich eine Hommage an Ray Bradburys berühmte [Mars-Chroniken. 1294

_Der Autor_ Frank W. Haubold, Jahrgang 1955, studierte Informatik und Biophysik. Seit 1989 veröffentlicht er in unterschiedlichen Genres. 1997 erschien sein Episodenroman „Am Ufer der Nacht“. Weitere Werke sind u. a. die Geschichtensammlungen „Der Tag des silbernen Tieres“ (mit Eddie M. Angerhuber), „Das Tor der Träume“, „Das Geschenk der Nacht“ und aktuell [„Wolfszeichen“. 4716 Parallel dazu gab er mehrere Anthologien heraus.

http://www.frank-haubold.de/
http://www.edfc.de/

Haubold, Frank W. – Wolfszeichen

Die Sammlung „Wolfszeichen“ vereint eine Auswahl der besten unheimlichen Geschichten von Frank W. Haubold, die erstmals zwischen 1999 und 2007 erschienen sind.

_“Der hinter den Reihen geht“_: Morten gelingt die Flucht aus einer Nervenheilanstalt. Draußen angekommen, beobachtet er seltsame Vorgänge – und das verhängnisvolle Trommeln in seinem Kopf setzt wieder ein …

_“Leonora“_: Heiligabend 1849. Der einsame Schriftsteller William Blake sitzt in seiner Bibliothek und schreibt sein düsteres Schicksal nieder, in dem das verstorbene Dienstmädchen Leonora eine große Rolle spielt …

_“A flor dos sonhos“_: Daniel schlendert über einen leeren Jahrmarkt. Überraschend trifft er dort auf den alten Kapitän Jakobsen, der ihn zu einem Würfelspiel einlädt. Für Daniel beginnt eine Reise in seine Vergangenheit …

_“Sieben“_: Die junge Witwe Lisa beschleicht an Halloween ein ungutes Gefühl. Während ihre beiden Kinder Süßigkeiten sammeln gehen, meint sie zu spüren, dass jemand in ihrem Haus herumschleicht …

_“Thors Hammer“_: Deutschland steht am Ende des Zweiten Weltkrieges kurz vor der Einnahme der Alliierten. Standartenführer Roehner plant, das Dritte Reich mit Hilfe des Projektes „Thors Hammer“ unsterblich zu machen. Währenddessen plagen Oberleutnant düstere Träume von riesigen Vögeln und dunklen Reitern …

_“Der Wunderbaum“_: Nach vielen Jahren zieht es den Schriftsteller Gabriel zurück in das Steininger Land. Vor allem an dem alten Forsthaus hängen düstere Erinnerungen, die wieder lebendig werden …

_“Stille Nacht“_: Die kleine Marie erlebt einen alles andere als friedlichen Weihnachtsabend …

_“Die Stadt am Fluß“_: Nach vielen Jahren besucht Robert wieder seine Heimatstadt Meerburg. Während der Fahrt denkt er an seine alten Freunde zurück und vor allem an seine alte Liebe Lara. Sein Weg führt ihn auch zum leer stehenden Haus seiner verstorbenen Großeltern, wo sich seltsame Dinge abspielen …

_“Welcome to the Machine“_: Nach dem Ausbruch einer Seuche müssen sich alle potenziell infizierten Menschen von einer Maschine überprüfen lassen. Fabian hofft inständig, dass er sich als gesund erweist …

_“Rosen für Salvatore“_: Auf Salvatores Hotelzimmer wurde ein Strauß Rosen hinterlassen. Als er erfährt, dass ein kleines Mädchen die Überbringerin war, steigen schreckliche Erinnerungen in ihm auf …

_“Die Stimme des Blutes“_: Christoph, ein großer Anhänger okkulter Literatur, wird von seinem Briefpartner Dr. Thoreald auf dessen Schloss eingeladen. Besonders gespannt ist er auf die Bibliothek, die außergewöhnliche Werke beinhalten soll …

_“Am Ende aller Tage“_: Der alte Bauer Manuel zieht in den Krieg. Vergeblich versucht seine Frau Evita, ihn zurückzuhalten. Sie fürchtet, dass er das „Licht der Verdammten“ sehen könne, das niemanden zurückkehren lässt …

In seiner Sammlung legt Frank W. Haubold zwölf Kurzgeschichten vor, deren Bandbreite von nostalgischem Grusel bis hin zu erschreckenden Zukunftsszenarien reicht.

Mit _“Der hinter den Reihen geht“_ eröffnet der Band sogleich mit einem ersten Höhepunkt. Deutlich orientiert sich der Autor an den postapokalyptischen Szenarien von James Graham Ballard, dem die Geschichte auch gewidmet ist. Obwohl die Hintergründe dem Leser verborgen bleiben, wird man von Beginn an von der düsteren Stimmung gefesselt, deren bedrohliche Wirkung sich im weiteren Verlauf immer mehr zuspitzt. Das vorangestellte Zitat und der Titel _“Leonora“_ verweisen direkt auf Edgar Allan Poes Gedicht „Der Rabe“, in dem ein Unglücklicher über seine verstorbene Geliebte Lenore trauert. Ganz ähnlich gestaltet sich auch hier das Grundgerüst der Hommage. Manche Formulierungen bewegen sich hart an der Grenze zum Kitsch, was aber gerade dem leicht überladenen Stil Poes Tribut zollt. Eindeutig ein Text für nostalgische Leser, der das Flair des 19. Jahrhunderts aufgreift.

_“A flor dos sonhos“_, zu deutsch „Die Blume der Träume“, wurde sicher nicht zu Unrecht 2002 für den Deutschen Phantastik-Preis nominiert. Allein schon der menschenleere Jahrmarkt, von dem wie aus dem Nichts plötzlich Stimmen ertönen, legt den Grundstein für eine unheimliche und unwirkliche Stimmung. Im weiteren Verlauf enthüllen sich dramatische Details aus der Vergangenheit, bis die Erzählung mit einem wehmütig-melancholischen Schluss zu Ende geführt wird. _“Sieben“_ beschreibt eine unheilvolle Halloweennacht, die für mehrere Beteiligte Überraschungen bereithält. Was als Thriller beginnt, der zunächst leicht an den Filmklassiker „Halloween“ erinnert, wechselt bald in eine Horrorhandlung über. Die Pointe ist weder neu noch sehr überraschend, alles in allem ist die Geschichte aber solide inszeniert.

_“Thors Hammer“_ verbindet eine Alternativwelt zur Zeit des Zweiten Weltkriegs mit phantastischen Einschlägen. Eindrücklich wird das Grauen des Krieges demonstriert und trotz der Kürze treffsicher eingefangen, die Pointe setzt dem ohnehin schon düsteren Szenario die Krone auf. Ungewöhnlicher, aber wirkungsvoller Horror. _“Der Wunderbaum“_ ist eine klassische Horrorgeschichte, die einen gemächlichen Einstieg wählt und sich langsam aufbaut. Erst nach und nach erfährt der Leser die Hintergründe, die sich aus Andeutungen puzzleartig zusammensetzen. Dem gegenüber steht ein recht knapper Schluss, der aber nachwirkt.

_“Stille Nacht“_ bildet mit nur zwei Seiten die kürzeste Geschichte des Bandes, besticht dafür aber durch eine umso stärker ausgeprägte Intensität. Der Gegensatz zwischen dem besinnlichen Heiligabend und der bedrohlichen Stimmung in Maries Zuhause entfaltet seine Wirkung, indem er gleichzeitig sowohl Horror als auch Traurigkeit verbreitet. Die brutalen Szenen werden erfreulicherweise nur sanft angedeutet. _“Die Stadt am Fluss“_ erinnert inhaltlich stark an „Der Wunderbaum“, da es sich auch hier um einen Heimkehrer dreht. Davon abgesehen liegt hier eine der stärksten Geschichten des Bandes vor, auch wenn das Ende nicht wirklich überraschen kann. Die mit |Doors|-Songs untermalte Handlung beschwört eine wehmütige Stimmung herauf, die vielleicht keinen Horror, aber intensiven Grusel transportiert.

In _“Welcome to the Machine“_ entführt der Autor den Leser in eine leicht futuristische Welt, in der man den Protagonisten Fabian bei seiner Untersuchung begleitet. Trotz der Kürze entwickelt sich eine dichte, von Angst erfüllte Atmosphäre und die beiläufigen Informationen über diese Gesellschaft genügen, um die Beklemmung der Menschen mitzufühlen. Selbst ohne die passende Pointe eine gelungene Geschichte, die nachdenklich stimmt.

_“Rosen für Salvatore“_ gehört zu den konventionellen Geschichten des Bandes. Die Handlung erinnert ein wenig an „Sieben“, auch aufgrund der Vermischung von kriminalistischem Vordergrund mit Mystik. Nicht die stärkste Geschichte des Bandes, aber routinierte Unterhaltung mit einem kleinen Aha-Effekt am Ende. _“Die Stimme des Blutes“_ führt den Leser auf ein abgelegenes Schloss, in dem sich eine Gesellschaft mit Anhängern des Okkultismus versammelt hat. Schon die Anreise des Protagonisten verspricht drohendes Unheil, der Schauplatz ist düster-romantisch gewählt, während die Handlung gegen Ende in nackten Horror umschlagt. Eine der längeren Geschichten des Bandes, die besonders allen Freunden von typischen Schauererzählungen gefallen wird.

_“Am Ende aller Tage“_ bildet den prägnanten Abschluss des Bandes und entführt erneut in eine apokalyptische Welt. Erst in der zweiten Hälfte erschließt sich dem Leser, warum der Text bereits unter dem Titel „Stille Nacht II“ erschienen ist. Die überraschende Wendung ist zwar nicht mehr wirklich originell, wird aber angenehmerweise mehr angedeutet als erklärt und umschifft somit die Gefahr der Plakativität. Eine ruhige Geschichte mit viel Tragik, die sich somit ideal für den Ausklang eignet.

_Als Fazit_ bleibt eine abwechslungsreiche Phantastik-Kurzgeschichtensammlung, deren Beiträge sich in den Genren Horror und Soft-Science-Fiction bewegen. Zwar überzeugen nicht alle Geschichten in gleichem Maß, aber es ist kein Tiefpunkt zu verzeichnen. Positiv ist zudem, dass man keine SF-Hintergrundkenntnisse als Leser besitzen muss, um allen Erzählungen zu folgen.

_Der Autor_ Frank W. Haubold, Jahrgang 1955, studierte Informatik und Biophysik. Seit 1989 veröffentlicht er in unterschiedlichen Genres. 1997 erschien sein Episodenroman „Am Ufer der Nacht“. Weitere Werke sind u. a. die Geschichtensammlungen „Der Tag des silbernen Tieres“ (mit Eddie M. Angerhuber), „Das Tor der Träume“, „Das Geschenk der Nacht“ und aktuell „Die Schatten des Mars“. Parallel dazu gab er mehrere Anthologien heraus.

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Kornbichler, Sabine – gestohlene Engel, Der

Sophie, Ariane und Judith, alle Ende dreißig, sind seit der Schulzeit enge Freundinnen. Die drei teilen alle Probleme miteinander, so auch Sophies aktuelle Trennung von ihrem Mann Peer nach seinem Seitensprung und damals Arianes Scheidung von ihrem ebenfalls untreuen Ehemann Lucas. Diesmal jedoch übertrifft Arianes Kummer alles bisher Gewesene. Sie gesteht den Freundinnen, dass sie unheilbar an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt ist. Für eine Operation ist es zu spät, die Chemotherapie wird vermutlich nur aufschiebende Wirkung haben.

Ariane möchte, dass die achtjährige Tochter Svenja nicht bei ihrem Ex-Mann Lucas aufwächst. Nachdem Ariane ihn an ihre Rivalin verloren hat, soll diese Frau nicht auch noch Svenjas Stiefmutter werden. Sie wünscht sich, dass Judith als Patin das Mädchen aufnimmt. Als Anwältin Sophie fürchtet, dass die Gesetze dem Vater den Vorzug vor der Patin geben werden, überrascht Ariane die Freundinnen mit dem Geständnis, dass Lucas nicht Svenjas leiblicher Vater ist. Tatsächlich erlebte Ariane während einer Ehekrise auf Sylt einen One-Night-Stand mit einem Unbekannten, von dem sie schwanger wurde, was ihr in der Ehe versagt geblieben war.

Alles, was Ariane über ihre Affäre weiß, ist sein Vorname. Außerdem besitzt sie einen Anhänger in Form eines goldenen Engels, der ihm am Strand aus der Tasche gefallen sein muss. Sophie macht sich auf die Suche nach Svenjas biologischem Vater und findet auch bald einen Anhaltspunkt. Doch nicht nur, dass ihr der Anhänger plötzlich gestohlen wird, auch Judith besteht vehement darauf, die Nachforschungen einzustellen. Sophie gibt nicht auf und stößt auf ein dunkles Geheimnis. Offenbar haben ihre Freundinnen ihr in einigen Punkten nicht die Wahrheit gesagt …

Sabine Kornbichlers Spezialität sind sanfte Spannungsromane, die das Schicksal von Frauen in den Mittelpunkt stellen.

|Spannende Suche nach der Vergangenheit|

Zum einen stellt sich für den Leser wie auch für Sophie die zentrale Frage, was hinter der Affäre zwischen Ariane und dem mysteriösen Andreas steckt. Sophie fühlt sich dazu berufen, den Besitzer des Engels zu finden und der kleinen Svenja für die Zukunft die Option zu bieten, dass sie ihren leiblichen Vater kennenlernen kann. Da sie kaum Anhaltspunkte besitzt, liegt eine schwierige Suche vor ihr, auf der sie aber nie ans Aufgeben denkt. Für zusätzliche Verwirrung sorgt die Auskunft, dass Frau Larsson, eine Geschäftsfrau Ende fünfzig, den Engel vor rund vierundzwanzig Jahren anfertigen ließ. Sophie will nicht daran glauben, dass der Anhänger rein zufällig in Arianes Besitz kam, sondern dass es eine Verbindung geben muss, die sie sich allerdings lange Zeit absolut nicht erklären kann.

Auffallend ist die Entwicklung des Verhaltens von Ariane und vor allem Judith, die plötzlich beide vehement dafür plädieren, dass Sophie ihre Suche einstellt. Immer stärker drängt sich der Freundin der Verdacht auf, dass ihr eine wichtige Sache verschwiegen wurde, dass Judith mit Ariane ein Geheimnis teilt und mehr über die Herkunft des Engels weiß – und vor allem einen guten Grund besitzt, dass Sophie den Besitzer nicht finden soll. Die Auflösung ist verblüffend, wird nicht zu früh angedeutet und fügt sich dennoch gut in das Muster ein, auch wenn die doppelte Pointe, die noch mal für eine letzte Überraschung sorgt, nachdem scheinbar alle Fragen geklärt sind, nicht notwendig gewesen wäre. Sophie stößt bei ihren Nachforschungen in ein Wespennest, sie gerät an eine wohlhabende Familie, die einiges zu verbergen hat, und kann lange Zeit ebenso wenig wie der Leser einschätzen, welche Verbindung es zu Ariane gibt.

|Dramatische Schicksale|

Als Ich-Erzählerin steht Sophie unweigerlich im Zentrum der Handlung, aber natürlich dreht sich ein großer Teil auch um die schwer kranke Ariane. Parallel zu der Suche nach dem Engel-Besitzer verfolgt man ihren Leidensweg. Ihre körperlichen Beschwerden nehmen zu, die Krankheit wird stärker, die Medikamente schlagen immer weniger an. Verzweifelt müssen die Freundinnen Judith und Sophie beobachten, wie Ariane sich langsam auf den Tod vorbereitet und sich vor allem um ihre Tochter sorgt. Während Judith als Hebamme den Umgang mit Kranken gewohnt ist, ist Sophie zeitweise überfordert, passiv mitzuerleben, wie Ariane immer schwächer wird. Dazu kommen die schwelenden Konflikte der drei, da Sophie sich weigert, ihre Forschungen einzustellen, auch wenn sie von Judith gar als besessen bezeichnet wird.

Schließlich spielt auch noch Sophies Beziehung zu ihrem Exfreund Peer eine große Rolle. Mitten in diesen Umwälzungen, die sich aus Arianes Erkrankung und der komplizierten Suche nach „Andreas“ ergeben, muss sie sich auch noch mit dem Aus ihrer Beziehung befassen. Peer hat sie betrogen, weil er sich vernachlässigt fühlte, wünscht sich jedoch einen Neuanfang und lässt nichts unversucht, um Sophie davon zu überzeugen, ihm noch eine Chance zu geben. Die prinzipientreue Anwältin Sophie will dagegen nicht von ihren eisernen Grundsätzen abweichen, auch wenn sie die ungewohnte Einsamkeit schmerzt und Ariane ihr dazu rät, sich mit Peer wieder zu versöhnen.

|Ein paar Schwächen|

Schade ist der etwas konstruierte Verlauf, der Sophie auf die Spur der Engels-Herkunft bringt. Zu ihrem Glück handelt es sich um ein Unikat, das eine freundliche Antiquitätenhändlerin sofort dem richtigen Goldschmied zuordnen kann, der wiederum genau weiß, dass er niemals eine weitere derartige Arbeit angefertigt hat, und der in seinen Unterlagen noch den Namen der Auftraggeberin hat. Sowohl mit der hilfreichen Antiquitätenhändlerin als auch mit der Frau des durch einen Schlaganfall geschwächten Goldschmieds kommt Sophie sehr schnell in guten Kontakt und erhält regelmäßig detaillierte Auskünfte, was in der Realität nicht so wahrscheinlich wäre. Die doppelte Pointe ist auch mehr ein unnötiger Überraschungseffekt; die Auflösung hätte keine Steigerung gebraucht.

Sieht man zudem von den überraschenden Wendungen der Handlung ab, verhalten sich die Charaktere selbst eher schematisch. Es fallen viele Gemeinplätze in den Gesprächen, sowohl bei den drei Freundinnen als auch zwischen dem getrennten Ehepaar Sophie und Peer. Gerade diesen Dialogen fehlt das individuelle Element, das sich von den schon allzu oft in sehr ähnlicher Form gelesenen Szenen abhebt.

_Als Fazit_ bleibt ein unterhaltsamer und spannender Frauenroman, der aber nicht deutlich über den Durchschnitt herausragt. Dank der überraschenden Wendungen bleibt man bis zum Schluss gefesselt, allerdings vermisst man vor allem in den Dialogen Abweichungen von Klischees. Empfehlenswert als leichte Lektüre, die mit ein wenig Krimi und Psychologie gewürzt wird.

_Die Autorin_ Sabine Kornbichler wurde 1957 in Wiesbaden geboren. Sie studierte zunächst VWL und arbeitete als Texterin und PR-Beraterin. Seit 1998 lebt sie als freie Autorin in Düsseldorf. Ihr Werk umfasst Romane und Kurzgeschichten. Weitere Bücher von ihr sind: „Majas Buch“, „Klaras Haus“, „Steine und Rosen“, „Vergleichsweise wundervoll“, „Annas Entscheidung“ und [„Im Angesicht der Schuld“. 2561

http://www.sabine-kornbichler.de/
http://www.knaur.de/

Clauß, Martin – Atem des Rippers, Der

London im Jahr 1903: Der sterbende Priester Henry Ouston gesteht auf dem Totenbett der Krankenschwester Ellen, dass er die Identität des legendären Jack the Ripper kennt, der das ganze Land vor fünfzehn Jahren mit seinen grauenvollen Frauenmorden im Stadtteil Whitechapel in Angst versetzte. Kurz darauf stößt der Kunstmaler Walter Sickert in London auf ein Tagebuch, das offenbar von Jack the Ripper verfasst wurde. Hin- und hergerissen zwischen Grauen und Faszination liest er in seiner Herberge die Geständnisse des berühmten Mörders, die im Jahr 1888 beginnen.

Im Jahr 1881 reist der englische Assistenzchirurg Alan Spareborne durch Norditalien. In Padua trifft er am Namenstag des Heiligen Antonius einen Geistlichen und kommt mit ihm ins Gespräch. In lateinischer Sprache unterhalten sie sich über ihre Lieblingsthemen, Reliquien und Chirurgie. Der Geistliche bittet ihn, die Echtheit eines konservierten Organs zu überprüfen, bei dem es sich um die Leber des Heiligen Antonius handeln soll. In Gegenwart des angereisten Papstes entlarvt Spareborne das Organ als Fälschung und ergreift im anschließenden Tumult die Flucht.

Von nun an erfährt Sparebornes Lebens eine radikale Wende. Er betrachtet sein Erlebnis als göttliches Zeichen, tritt zum Katholizismus über, studiert Theologie und wird Priester. Sein besonderer Schwerpunkt ist die Erforschung von Reliquien – und vor allem ihre Beschaffung. Eine Serie von Frauenmorden nimmt ihren Anfang …

Nach wie vor ist der unbekannte Mörder, den man „Jack the Ripper“ genannt hat, eine dankbare Inspirationsquelle für mediale Verarbeitungen aller Art, und allen an dieser legendären Gestalt Interessierten bietet der Kurzroman von Martin Clauß eine spannende und lohnenswerte Schilderung, die versucht, einen etwas unkonventionellen Weg einzuschlagen.

|Verwobene Handlungsstränge|

In den nur knapp über 100 Seiten, die das Büchlein umfasst, steckt ein Komplex aus mehreren Handlungsebenen, die eng miteinander verknüpft sind. Die Geschichte beginnt im Jahr 1903 mit dem schockierenden Geständnis eines Mannes, der weiß, wer sich hinter Jack the Ripper verbirgt und wo dieser sich heute befindet. Unmittelbar nach diesem Paukenschlag schwenkt die Handlung um auf Mandalay, die Hauptstadt Burmas, in die sich der Ripper zurückgezogen hat.

Ein weiterer Handlungsstrang konzentriert sich auf den Kunstmaler Walter Sickert, der im Mai 1903 wieder in England einkehrt und das Tagebuch eines gewissen Geistlichen namens Alan Spareborne findet, dessen Einträge von 1888 bis 1902 reichen. Den größten Teil der Erzählung nehmen schließlich die Tagebucheinträge selbst ein. Gemeinsam mit Walter Sickert verfolgt der Leser den Werdegang von Jack the Ripper, dessen Leben ganz gewöhnlich beginnt, ehe er sich erleuchtet fühlt und ihn ein immer wieder ausbrechendes Fiebergefühl zu den grausamen Morden zwingt.

Interessant ist an dieser Konstellation vor allem, dass dieser Jack the Ripper weit davon entfernt ist, ein Frauen- oder Prostituiertenhasser zu sein, wie man es in der Forschung allgemein annimmt. Folglich fühlt sich Spareborne von der Presse missverstanden, denn niemand ahnt etwas von der religiösen Motivation für seine Taten. Die Suche nach dem Täter konzentriert sich auf Männer, die eine krankhafte Abscheu gegenüber Frauen haben, und nicht auf einen katholischen Geistlichen. Spannend für den Leser ist vor allem die Frage, welches Schicksal Alan Spareborne in der Gegenwart von 1903 widerfährt, nachdem der sterbende Henry Ouston seine Identität preisgegeben hat, und wie Walter Sickert mit den Erkenntnissen aus dem Tagebuch umgeht.

|Sorgfältige Fakteneinbindung|

Auch wenn Tagebuch und Gestalt des Alan Spareborne als Ripper fiktiv sind, finden sich viele historische Fakten im Roman wieder. Die Tagebuchaufzeichnungen bestätigen die allgemein meistvertretene Theorie der „kanonischen Fünf“, die Mary Ann Nichols, Annie Chapman, Elizabeth Stride, Catherine Eddows und Mary Jane Kelly zu den Opfern zählt. Auch Martha Tabram, die nicht wenige Experten als sechstes Opfer hinzuzählen, findet Erwähnung, wird aber von jemand anderem getötet. Sehr schön gelungen sind die Bedeutung, die den Todestagen zugewiesen wird, sowie die Erklärung für das Entwenden der Organe, über das noch heute gern gerätselt wird.

Eine besondere Stellung nimmt Tagebuch-Finder Walter Sickert ein, ein berühmter Kunstmaler zwischen Impressionismus und Moderne, der wegen seiner gewaltdarstellenden Gemälde und seiner Bekanntschaft mit der später ermordeten Mary Jane Kelly in wenig beachteten Theorien als Tatverdächtiger genannt wurde, zuletzt von Kriminalautorin Patricia Cornwall in [„Wer war Jack the Ripper?“. 957 Mit dem Okkultisten Robert Donston Stephenson und dem Quacksalber Francis Tumblety treten zudem noch zwei weitere Verdächtige auf und natürlich die legendären Ripper-Briefe, die an die Polizei geschickt wurden und über deren Authentizität noch heute diskutiert wird. Es gelingt dem Autor, die Handlung glaubwürdig mit dem historischen Kontext zu verschmelzen. Fakten und Fiktion ergeben vermischt ein ansprechendes Gebilde, das dem bewährten Jack-the-Ripper-Thema eine durchaus originelle Seite abgewinnt.

|Nur kleine Schwächen|

Angesichts der Komplexität, bedingt durch die verschiedenen Handlungsstränge, ist es schade, dass das Werk so knapp ausfällt. Gerne würde man die Ereignisse noch etwas detaillierter auf hundert bis zweihundert weiteren Seiten verfolgen, denn verdient hätte dies die Handlung auf jeden Fall. Ein bisschen Einlesearbeit erfordert zudem der umständliche, gestelzte Stil der Tagebucheinträge, im Gegensatz zu den sehr flüssig geschilderten anderen Handlungsebenen. Letztes kleines Manko ist ein fehlendes Glossar. Verfügt der Leser nämlich über keine Hintergrundkenntnisse zum Fall „Jack the Ripper“, entgehen ihm sicher manche der historischen Gestalten, die eingearbeitet werden.

_Als Fazit_ bleibt eine gelungene und sehr lesenswerte Variante zum immer noch beliebten Jack-the-Ripper-Thema, das trotz seines geringen Umfangs eine verschachtelte Handlung mit mehreren Ebenen aufweist. Historische Fakten werden gekonnt mit Fiktion verwoben, der Hauptcharakter glaubwürdig dargestellt. Abgesehen von sehr geringen Schwächen eine empfehlenswerte Lektüre für alle Kriminalfans.

_Der Autor_ Martin Clauß, Jahrgang 1967, studierte Japanologie in Tübingen und unterrichtet seit 1998 an der Volkshochschule Esslingen am Neckar. 2005 veröffentliche er bei |BoD| „Das große Anime-Lösungsbuch“, 2007 „Das Schloss der Geister“, den ersten Band der Serie „Falkengrund“, und Anfang 2008 erschien der phantastische historische Asien-Roman [„Die Saat der Yôkai“]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3800054000/powermetalde-21 in Zusammenarbeit mit Maho Clauß bei |Ueberreuter|.

http://www.atlantis-verlag.de/
http://martinclauss.blogspot.com/

Katzenbach, John – Rätsel, Das

Die USA in naher Zukunft: Die Gewalt hat überhand genommen und jeder Bürger verlässt nur noch bewaffnet das Haus. Um einen Gegenpol zu der täglichen Kriminalität zu erschaffen, wurde der 51. Bundesstaat, „New Washington“, geplant, der demnächst offiziell anerkannt werden soll. In diesem Territorium leben ausgewählte reiche Bürger in völliger Sicherheit, ständig bewacht von der „State Security“. Der Preis ist ein eingeschränktes Privatleben, dafür können die Bürger ohne Waffen, Alarmanlagen und verschlossene Türen leben.

Der junge Jeffrey Clayton ist Professor für kriminelle Verhaltensstörungen an der Universität Massachusetts. Mehrfach schon war er der Polizei als Profiler für Serienmörder behilflich. Diesmal tritt Agent Martin an ihn heran und bittet ihn um Unterstützung in einem ganz besonderen Fall. Ausgerechnet im geplanten 51. Bundesstaat wurde eine junge Frau ermordet. Der Mord wird vertuscht und als Unfall dargestellt, um die Bürger nicht zu beunruhigen. Doch nicht nur, dass ein Mord in diesem streng überwachten Gebiet ein Skandal ist – Agent Martin ist davon überzeugt, dass es sich bei dem Mörder um Jeffreys Vater handelt.

Vor 25 Jahren verließ seine Mutter mit Sohn und Tochter ihren Mann und nahm eine neue Identität an. Damals geschah ein Mädchenmord, der stark an diesen Fall erinnert und bei dem Jeffreys Vater als Verdächtiger galt. Inzwischen ist er offiziell verstorben, doch die Polizei hat Zweifel. Kurz darauf geschieht ein neuer Mord und Jeffrey findet Hinweise, dass auch frühere Unfälle in das Muster passen. Zur gleichen Zeit nimmt ein Unbekannter durch verschlüsselte Botschaften Kontakt zu Jeffreys Schwester und Mutter auf …

Thrillerspezialist John Katzenbach inszeniert in diesem Roman ein Katz-und-Maus-Spiel der besonderen Art, das allen Freunden von Werken über Serienkiller willkommen sein dürfte.

|Spannung und Dramatik|

Es ist nicht der erste Mord, zu dem Professor Clayton hinzugerufen wird, aber bei weitem der pikanteste, denn im Territorium des geplanten neuen Bundesstaates sind Gewaltverbrechen dank einer orwellschen Überwachungstechnik schier ausgestorben. Der Killer, der in solch einem Gebiet ein junges Mädchen ermorden kann, muss demnach äußerst intelligent und gewieft sein und stellt für Jeffrey Clayton eine besondere Herausforderung dar.

Lange Zeit bleibt für Jeffrey und seine Familie wie auch für Ermittler und nicht zuletzt den Leser unklar, ob wirklich Jeffreys Vater für die Morde verantwortlich ist, wie viele tote junge Mädchen und Frauen auf sein Konto gehen und wie sich womöglich weitere Morde rechtzeitig verhindern lassen. Susan und ihre Mutter müssen bestürzt feststellen, dass der Unbekannte, der die rätselhaften Botschaften an Susan schickt, sich sogar Zutritt zu ihrem Haus verschaffen kann. Der Mörder ist wie ein Phantom, das sich unsichtbar auf dem überwachten Terrain bewegt und immer einen Schritt voraus zu sein scheint. Es bedeutet eine mühselige und langwierige Arbeit, herauszufinden, was Clayton senior in den letzten 25 Jahren getrieben hat und ob er wirklich gestorben ist.

Bis zum Schluss muss man um die drei Hauptprotagonisten bangen, denn sowohl Jeffrey als auch seine Schwester Susan und seine Mutter Diane schweben fast beständig in tödlicher Gefahr. Fraglich ist auch für lange Zeit die Bedeutung von Agent Martin, zu dem Jeffrey stets eine gewisse Distanz bewahrt und auch seiner Schwester rät, ihm nicht vollständig zu vertrauen. Nach dem großen Finale gibt es im Epilog noch einmal eine kleine Wende, die unter Umständen sogar Raum für eine Fortsetzung lässt, zumindest aber einen letzten Hauch wirkungsvolles Unwohlsein beim Leser hinterlässt.

Interessant ist auch der subtile Science-Fiction-Hintergrund. Die Handlung spielt etwa um 2030, die allgegenwärtige Gewalt liegt wie ein Schatten über dem Land und der utopische Neu-Staat „New Washington“ spaltet die Meinungen. Auf der einen Seite garantiert er scheinbar ein harmonisches Leben, auf der anderen Seite führen seine Bewohner ein gläsernes Leben und opfern einen Großteil ihrer Privatsphäre für die gelobte Sicherheit. Um die Morde zu vertuschen, sind die Politiker und Beamten der Staatssicherheit zu fast jedem Mittel bereit. Der Schein muss aufrechterhalten werden, koste es, was es wolle, auch wenn dies bedeutet, eine Mordserie zu verleugnen und an Eingeweihte Schweigegelder zu bezahlen …

|Interessante Charaktere|

Der Roman verbindet seinen Thriller-Charakter mit Elementen eines Familiendramas. Ausgerechnet der Verdacht auf Clayton sr. als Serienmörder sorgt dafür, dass sich die drei verbliebenen Familienmitglieder wieder näher kommen. Während Susan in Florida die krebskranke Mutter versorgt, lebt Jeffrey im weit entfernten Massachusetts und hat keine rechte Vorstellung davon, wie schlecht es um Diane mittlerweile wirklich steht. Diane wiederum ist eine angesichts ihrer aussichtslosen Lage sehr tapfere Frau, die um nichts in der Welt zulassen will, dass sie stirbt, bevor nicht endgültig geklärt ist, ob ihr Ex-Mann für diese Morde verantwortlich ist.

Zudem werden den beiden Kindern endlich einige Fragen zu ihrem Vater beantwortet, denn seit Diane vor 25 Jahren ihren Mann verließt, wurde vermieden, ihn überhaupt wieder zu erwähnen. Vor allem für Jeffrey ist die Suche nach dem Mörder und seinem Vater auch eine Reise zu sich selbst. Er will kein Instrument, kein Lockvogel der Special Agents sein, sondern in erster Linie seinem Vater persönlich gegenüberstehen und aus eigenem Mund erfahren, ob er wirklich der berüchtigte Mörder ist. Er traut Agent Martin, der ihn auf Schritt und Tritt überwachen soll, nicht gänzlich über den Weg und findet immer wieder Möglichkeiten, um gegen den Willen der State Security zu agieren und seinen eigenen Kopf durchzusetzen. Vatersuche, Vergangenheitsbewältigung und langsamer Abschied von der krebskranken Mutter sind zwar nicht die Hauptkomponenten des Romans, spielen aber deutlich in die Thrillerebene mit hinein.

|Kleine Schwächen|

Wie üblich bei John Katzenbach, ist der Roman an vielen Stellen zu ausführlich geraten. Gespräche und Beschreibungen verlieren sich oft in Details, die nichts Wesentliches zum Fortschreiten der Handlung beitragen, und ein paar Kürzungen hätte das Werk durchaus vertragen. Außerdem gibt es ein paar Stellen, bei denen Jeffrey der Zufall stark zu Hilfe kommt. Auf der Suche nach Hinweisen gerät er an einen ehemaligen Professoren-Kollegen seines Vaters, der, obwohl er Clayton sr. nur flüchtig kannte, mit einer Reihe pikanter Auskünfte dienen kann, die Jeffrey eine Menge Arbeit ersparen.

Bei der guten Grundidee des orwellschen Überwachungsstaates und der alltäglichen Gewalt, der man nicht Herr wird, stört, dass die Handlung wohl gerade mal zwanzig Jahre in der Zukunft spielt und es schwer vorstellbar ist, dass sich innerhalb dieser Zeit die Zustände so verschlimmert haben, dass jeder Bürger in ständiger Angst liegt, jeden Moment erschossen zu werden. Hier bleibt der Autor zu schwammig und gibt zu wenig preis über die Entstehung und Entwicklung dieser futuristischen Gegenwart.

_Als Fazit_ bleibt ein über weite Strecken spannender Thriller über einen perfiden Serienmörder in einem futuristischen Überwachungsstaat. Trotz kleiner Schwächen, die etwa in den teilweise langatmigen Details liegen, ist der Roman unterhaltsam zu lesen, vor allem dank der interessanten Grundidee und der psychologischen Elemente des brisanten Vater-Sohn-Verhältnisses.

_Der Autor_ John Katzenbach war vor seiner Schriftsteller-Karriere als Gerichtsreporter für die „Miami News“ und den „Miami Herald“ aktiv. 1982 erschien seiner erster Roman, „In the Heat of the Summer“, für den er eine Edgar-Award-Nominierung erhielt. Es folgten mehrere Bestseller, unter anderem „Der Sumpf“, „Die Rache“, „Der Patient“, „Das Opfer“ und „Der Fotograf“.

http://www.john-katzenbach.de/
http://www.knaur.de

_John Katzenbach auf Buchwurm.info|:_
[„Der Fotograf“ 4360
[„Das Opfer“ 3414
[„Der Patient“ 2994
[„Die Anstalt“ 2688

Andras – Schatten

Ein Serienmörder treibt in Wien sein Unwesen. Seine Opfer sind junge Mädchen, die erst gekreuzigt und anschließend ausgepeitscht werden. Nach dem dritten Mord ist die Polizei sicher, dass der Täter aus dem Sado-Maso-Milieu stammen muss. Aus diesem Grund ziehen die Ermittler den ehemaligen Kriminalbeamten Marcus Wolf hinzu.

Marcus arbeitete lange Jahre als Polizist, erst bei der Sitte und später bei der Mordkommission, ehe er vor sechs Jahren über Umwege den SM-Club „Dominion“ und ein Edelbordell von seinem reichen Großonkel erbte. Marcus quittierte den Polizeidienst, leitet seitdem Club und Bordell und lebt mit seiner Frau Caro, der extrovertierten Amber und der zurückhaltenden Jacqueline in einer Viererbeziehung. Obwohl sein Ruf stark unter seiner neuen Tätigkeit gelitten hat, ist er zur Zusammenarbeit bereit.

Auch Marcus ist sich beim Anblick des Opfers sicher, dass der Mörder aus der SM-Szene stammt. Zu seiner Bestürzung stellt sich heraus, dass alle drei Opfer in seinem Club verkehrten. Als er dann auch noch erfährt, dass die Kreuzigungsszene vor neun Jahren exakt auf die gleiche Art in seinem Club gespielt wurde, steht fest, dass der Mörder damals unter den Zuschauern war – und vermutlich auch heute noch zu Marcus‘ Kunden gehört.

Marcus nutzt seine zahlreichen Kontakte in der SM-Szene und der Halbwelt für die Ermittlungen. Die Zeitungen überschlagen sich mit Skandalmeldungen über seinen Club, und kurzzeitig wird er sogar als Täter verdächtigt. Einer seiner Mitarbeiter wird erschossen aufgefunden – angeblich Selbstmord. Marcus ahnt, dass er dem Mörder näher steht, als er dachte, und dass er plötzlich auch um seine eigene Sicherheit fürchten muss …

Mörderjagd im Sadomaso-Milieu, das bedeutet zu Recht ein „Hardcore“-Prädikat vom |Heyne|-Verlag, da mit expliziten Schilderungen in Sachen Sex und Gewalt nicht gespart wird. Wer sich davon allerdings nicht abschrecken lässt, bekommt darüber hinaus noch einen spannenden Thriller geliefert, der keineswegs der oberflächliche Softporno ist, den man vermuten mag.

|Interessante Charaktere|

Im Mittelpunkt steht Ich-Erzähler Marcus Wolf, ein Mann mit augenscheinlich vielen Facetten. Marcus ist ehemaliger Kriminalbeamter, der auch Jahre danach nichts von seinem Spürsinn verloren hat, ein schwergewichtiger Zweimeterhüne, der für seine drei Frauen dominanter Herr, liebevoller Partner und zuverlässiger Freund zugleich ist. Caroline ist seine Ehefrau und Managerin, studierte Juristin aus steinreicher, alteingesessener Wiener Familie, die ein inniges Verhältnis zu ihrer Uroma besitzt, während der Kontakt mit ihrem Vater aufgrund ihrer Lebensweise abgebrochen ist. Gemeinsam mit dem Chateau übernahm Marcus auch die beiden jungen Frauen Amber und Jacqueline, die wohl die bemerkenswertesten Figuren sind. Die offensive Amber, zierliche 1,50 Meter groß, und die ruhige, hingebungsvolle Jacqueline gehörten zu den Kindern, die Marcus‘ Großonkel im Chateau gefangen hielt und regelmäßig von Kunden benutzen ließ. Als Elfjährige bereits zum Sex gezwungen, werden sie von Marcus als junge Frauen in eine Therapie geschickt, die jedoch nichts daran ändert, dass sie sich zu devoten Sexspielen hingezogen fühlen und das Chateau als Zuhause empfinden.

Die anfangs unrealistisch harmonische anmutende Viererbeziehung wird im weiteren Verlauf differenzierter dargestellt. Die beinah grenzenlose Liebe und Hingabe, die ihm die drei Frauen entgegenbringen, verunsichert Marcus bisweilen. Obwohl er weiß, dass Amber und Jacqueline freiwillig bei ihm leben und seine Quälereien genießen, fühlt er ein schlechtes Gewissen, da er sich unweigerlich mit seinem perversen Onkel vergleicht, der die Mädchen schonungslos ausbeutete. Auch die offene Beziehung ist nicht immer ungetrübt. Amber und Jacqueline fühlen sich zeitweise zurückgesetzt, da Marcus mit seiner Frau Caro die meiste Zeit verbringt, und Caro wiederum zeigt eifersüchtige Regungen, wenn den beiden anderen mehr Aufmerksamkeit zuteil wird. Damit bleibt das Verhältnis immer noch mehr als ungewöhnlich, wird aber erfreulicherweise nicht als völlig unkompliziert hingestellt. Bei aller Innigkeit bleibt noch Raum für kleine Spannungen, (Selbst-)Zweifel und Schwierigkeiten, die dieser Konstellation den nötigen Realismus verleihen.

Eine interessante Nebenfigur ist außerdem Sergei, früher Major bei der Armee, heute offiziell Geschäftsmann und inoffiziell Mitglied der russischen Mafia. Gegen jährliche Abzahlungen hält sich Marcus Probleme mit der Russenmafia vom Hals, während Sergei im Gegenzug kleine Gefälligkeiten leistet und auch bei der Suche nach dem Mörder behilflich ist, wobei sich schließlich sogar herausstellt, dass er auch ein persönliches Interesse verfolgt. Marcus verbindet ein zwiespältiges Verhältnis mit Sergei, mit dem er nie Ärger hatte, den er aufgrund seiner Machenschaften aber auch nicht als Freund sehen kann. Trotz der eingehaltenen Distanz findet Marcus Sergei beinah wider Willen sympathisch, zumal Sergei kein gewissenloser Mörder ist, sondern, auch als Mafioso, bestimmte Grenzen nicht überschreitet.

|Spannende Mörderjagd|

Bis kurz vor Schluss bleibt die Handlung weitgehend temporeich und durchweg spannend. Bereits auf den ersten Seiten wird der Leser mit dem dritten Mordopfer konfrontiert. Das tote Mädchen, dessen Augen dem Mörder bis zum Schluss verächtlich entgegenblickten, verursacht beim Leser gleichsam wie bei Marcus Wolf ein unwohles Gefühl. Brisant wird es, als sich herausstellt, dass der Mörder in irgendeiner Form in Verbindung mit dem „Dominion“ stehen muss und sich Marcus von allen Seiten bedroht fühlt. Bereits zu Zeiten von Marcus‘ Großonkel ist der Täter offenbar im Chateau ein- und ausgegangen und der Verdacht erhärtet sich, dass Marcus ihm bereits persönlich begegnet ist. Weitere Morde geschehen, Marcus selbst steht unter Verdacht und die Zeit läuft ab, denn in wenigen Tagen wird das nächste Mädchen getötet, wenn Marcus und seine Freunde nicht rechtzeitig die Lösung finden. Der Leser entlarvt den Täter aufgrund von Hinweisen leicht etwas früher als die offizielle Enthüllung, doch das ist kein großes Manko, denn selbst als Marcus und seine Leute von seiner Identität überzeugt sind, fehlt ihnen der Beweis, um ihn zu überführen.

|Einblicke ins Milieu|

Wer sich überhaupt nicht für die Sadomaso-Szene interessiert oder sich gar davon abgestoßen fühlt, der wird an diesem Roman keine Freude haben. Allerdings muss man auch kein Anhänger sein, um Gefallen zu finden. Vor allem im ersten Viertel nehmen die sexuellen Schilderungen zwar ein wenig überhand und die scheinbar perfekte Abstimmung der jeweiligen Personen aufeinander erinnern an derartige Szenen aus Historicals. Es fließen jedoch auch viele Erklärungen des Ich-Erzählers ein, der dem Leser die bizarre Welt der Sadomasochisten ein wenig näher bringt. Gerade weil Marcus Wolf kein klassischer Sadist ist, sondern Hemmungen kennt und sich manchmal von seinen Frauen überhaupt erst überreden lassen muss, bestimmte Dinge zuzulassen, versteht man die Faszination, die er beschreibt, selbst wenn man sie nicht teilen sollte. Im „Dominion“ begegnet man Auspeitschungen, Sklaven mit Halsbändern, Ganzkörperkostümen, die auch das Gesicht einschließen, stolzen Doms mit ihren unterwürfigen Subs, die sich zu ihren Füßen kauern und an der Leine geführt werden. Die Schilderungen sind ausschweifend, aber nicht obszön, befremdlich, aber nicht pervers.

|Kleine Schwächen|

Es gibt nicht viele Mankos in diesem Roman, ein paar haben sich aber doch eingeschlichen. Im Verhältnis zwischen Marcus und seinem ehemaligen Kollegen Malowsky liegt eine Menge ungenutztes Potenzial. Ihre einstige Freundschaft wandelte sich in Feindschaft, die auch noch Bestand hat, als sie sich jetzt angesichts der Mordserie wiedersehen. Nachdem sie gezwungenermaßen zusammenarbeiten müssen, blüht die alte Verbundenheit wieder auf – und zwar rascher, als es angebracht wäre. Zu schnell söhnen sich die beiden wieder aus, reizvoller wäre aber gewesen, die Zwietracht noch etwas auszubauen und erst gegen Ende abzulegen.

Etwas ärgerlich sind die konstruierten Verhältnisse um Caro und ihre Familie. Nicht nur, dass sie aus einer millionenschweren Familie stammt, was der Skandal-Presse, die Marcus und das „Dominion“ umlagert, seltsamerweise verborgen geblieben ist, ihre geliebte „Uomi“ ist eine 118-jährige Dame, die gut ein paar Jahrzehnte jünger wirkt und das Chateau mit all seinen Lustspielchen noch aus den Gründertagen kennt. So liebenswert die „Madame“, wie Marcus sie ehrfürchtig nennt, auch geschildert wird, ihr methusalemisches Alter bei gleichzeitig fast jugendlicher Wachheit ist doch arg übertrieben. Ähnliches gilt auch für die Versöhnung zwischen Caro und ihrem Vater, die zu plötzlich herbeigeführt wird. Bei den Ermittlungen ist es ein wenig schade, dass den Löwenanteil der Täter-Identifizierung ein ausgeklügeltes Computer-System und Kommissar Zufall erledigt und Marcus nicht so sehr durch Recherche auf den Mörder kommt.

_Als Fazit_ bleibt ein spannungsgeladener Thriller, der in der Wiener BDSM-Szene spielt und mit interessanten Einblicken in das Milieu aufwarten kann. Wer sich nicht an recht expliziten Schilderungen von Sex und Gewalt stört, wird trotz kleiner Schwächen gut unterhalten. Auch wenn darüber bisher nichts zu hören ist, wären weitere Werke mit Marcus Wolf in der Hauptrolle willkommen.

_Der Autor_ ist ein Frankfurter Schriftsteller, der den Namen „Andras“ für dieses Werk als Pseudonym verwendet. Er bewegt sich seit mehreren Jahren in der BDSM-Szene und ließ sich für manche Charaktere von den Lebensgeschichten wirklicher Personen inspirieren.

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Haubold, Frank W. (Hrsg.) – Mirakel, Das (Jahresanthologie 2007)

Wie im Jubiläumsjahr 2006 präsentiert sich auch die Jahresanthologie von 2007 als Doppelband mit mehr als zwei Dutzend Geschichten. Bekannte und weniger bekannte Autoren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz geben ein phantastisches Stelldichein. Zusammengestellt wurde die Anthologie von Frank W. Haubold und mit Schwarzweiß-Illustrationen von Thomas Homann versehen.

_“Bubble Boy“_ (Malte S. Sembten): Der neunjährige Jakob erzählt seinen Eltern von seinem neuen Freund, einem Jungen in einem Weltraumanzug mit vogelartigem Gesicht, der angeblich Kaulquappen isst. Anfangs halten seine Eltern es nur für ein Märchen, bis sie schwebende Gesteinsbrocken bei Jakob entdecken, ein Geschenk des seltsamen „Bubble Boys“ …

_“Absolutum“_ (Wolfgang Fienek): In einem Café geraten zwei Männer ins Gespräch. Einer der beiden behauptet, das absolute Gedächtnis zu besitzen. Er erinnert sich nicht nur an eine flüchtige Begegnung der beiden Jahre zuvor, sondern auch an das kleinste Detail ihrer ersten Unterhaltung …

_“Slomo“_ (Heidrun Jänchen): Eigentlich heißt er Eyk, aber weil er sich so viel langsamer bewegt als die Menschen der neuen Generation, wird er schon als Kind hämisch „Slomo“ gerufen. Eyk gehört nicht zu den geboosteten Kindern, die später in wichtigen Berufen begehrt sein werden. Doch Booster zu sein, hat nicht nur Vorteile …

_“Madame Delvaux“_ (Hans-Dieter Furrer): Ein Brüsselreisender besucht eine Kunstausstellung und findet Gefallen an den Bildern des Malers Delvaux. Kurz darauf macht er in einem Lokal eine merkwürdige Begegnung …

_“So was wie Joghurt_“ (Friederike Stein): Auf dem Planetoiden C-4 wird eine sonderbare Lebensform entdeckt …

_“Inspektor Pyrrhon und der Killerfön“_ (Frank Schweizer): Nachdem 2948 der letzte große Krieg wegen verschiedener Staatsphilosophien entbrannte, führten die überlebenden Völker den Skeptizismus als Staatsreligion ein. Jeder Satz, den ein Bürger von sich gibt, muss einen Zweifel beinhalten, um keine Angriffsfläche mehr zu bieten. In diesen schwierigen Zeiten wird Inspektor Pyrrhon mit seinem Gehilfen zu einem potenziellen Mordfall gerufen …

_“Der Klomann“_ (Anke Laufer): Montageteile für den Körper sind der letzte Renner. Wer es sich leisten kann, lässt sich damit aufrüsten …

_“Terminal“_ (Michael Iwoleit): Gabriel trifft sich in Riga mit der hübschen Madara. Aus guten Gründen erinnert sie ihn an seine geliebte Anjelica …

_“Meine liebe Stella“_ (Stephan Peters): Nachdem Frank und seine Frau Stella beschlossen haben, sich eine Auszeit voneinander zu nehmen, zieht er sich in ein abgelegenes Ferienhaus zurück. Hier will er in Ruhe das düstere Bild restaurieren, das er vor einiger Zeit auf dem Dachboden gefunden hat …

_“Die List in der Ehre“_ (Christel Scheja): Fürstin Auna von Tylandis ist voller Hass auf die junge Königin Reiya, da sie ihr den Verrat des Reiches ankreidet. Im Kerker unter der Arena erwartet Auna, von den Dienern der Königin hingerichtet zu werden – doch stattdessen fordert die Königin sie zum Zweikampf heraus …

_“Invasive Techniken“_ (Nicklas Peinecke): Drei Forscher entwickeln die Möglichkeit, per bakteriengroßem Exkursionskörper in andere Körper einzudringen. Während Dr. Shankar die Technik nur für medizinische Projekte einsetzen will, hofft van Gerken auf den großen Reichtum …

_“Das Mirakel“_ (Lothar Nietsch): Ein Junge beobachtet von seinem Dachfenster aus eine Krähe, die zu ihrem Schlafplatz im Maurwerk fliegt. Seit jeher fühlt er sich von diesem Ort angezogen. Wie in Trance gibt er schließlich dem Drang nach und klettert aufs Dach …

_“Doppelte Hochzeit“_ (Bertram Kuzzath): Ein Affe scheint in einen Baum geflohen zu sein. Ein Mann hört eine lockende Stimme aus dem Geäst und wird kurz darauf von der Polizei als mutmaßliches „Plamplam“ festgenommen …

_“Nur ein wenig Grün“_ (Andrea Tillmanns): Frank und seine Verlobte Marie mieten sich ein Haus in Italien. Während Frank von dem Anwesen begeistert ist, findet Marie es zu düster. Vor allem das Moos an den Wänden bereitet ihr von Anfang an Unbehagen …

_“Gerolsteiner Fit“_ (Hartmut Kasper): Beim Getränkekauf testet Bergengruen die neue Sorte für sportlich-fitte Kunden. Zu seiner Überraschung entsteigt der Flasche eine Dschinni, die ihm drei Wünsche freigibt …

_“Der mikrokosmische Maler_ (Volker Groß): Der opiumabhängige Maler Borkat träumt von einem vollendeten Meisterwerk. Kurz vor der Fertigstellung fehlt ihm jedoch eine wichtige Zutat für die perfekte Farbe …

_“Pleissetal-Blues“_ (Uwe Schimunek): Endlich hat Schorsch einen festen Job als Lektor in einem Verlag und ein hübsches Haus auf dem Land. Sein aktuelles Projekt ist eine Lindwurmgeschichte, deren Autor sich als komischer Kauz erweist …

_“Andromeda“_ (Matthias Falke): Pete ist fasziniert von seiner Kommilitonin Andy, über die alle möglichen Gerüchte umgehen. Das unnahbare Mädchen wohnt abgeschieden am See und scheint ein Geheimnis zu verbergen …

_“Thors Hammer“_ (Frank W. Haubold): Deutschland steht am Ende des Zweiten Weltkrieges kurz vor der Einnahme der Alliierten. Standartenführer Roehner plant, das Dritte Reich mit Hilfe des Projektes „Thors Hammer“ unsterblich zu machen. Währenddessen plagen Oberleutnant düstere Träume von riesigen Vögeln und dunklen Reitern …

_“Feuerpause“_ (Hahnrei Wolf Käfer): Vier grundverschiedenen Brüder, unterdrückte Spannungen und Zwergenschießen als Sport …

_“Haft“_ (Achim Stößer): Ein Gefangener schreibt in der Fremde sein bedrückendes Tagebuch …

_“Gothic Tours Inc.“_ (Alexander Amberg): Tess sorgt sich um ihren überarbeiteten Ehemann Hagen, der sich, wenn überhaupt, nur noch von Horrorbüchern ablenken lässt. Zur Erholung bucht sie eine gemeinsame Woche Aufenthalt in einem schottischen Spukschloss …

_“Ölkollaps“_ (Horst Geßler): Bert und Otto grübeln über eine zündende Idee für ihr gemeinsames Drehbuchprojekt. Otto schlägt vor, in der Geschichte Benzin in Wasser verwandeln zu lassen. Aus den Folgen lässt sich eine originelle Handlung schmieden …

_“Der Puppenspieler von Mex-III-Ko“_ (Frank Neugebauer): Im Sommer des Jahres 2207 hält ein kleiner Zirkus von einer Erdkolonie Einzug. Der Postbeamte schlägt einem der Zirkusleute einen Kredit aus, besucht aber als Wiedergutmachung eine Vorstellung …

_“Franks Spruch“_ (Wilko Müller jr.): Karls Freund Frank hat eine Vorliebe für witzige Ansagen auf seinem Anrufbeantworter. Während Karl an die vergangenen Sprüche denkt, braut sich ein Unwetter zusammen …

_“Die Angst und die Stadt“_ (Michael Siefener): Auf der Suche nach einem Restaurant streift David abends durch die verregnete Stadt. Zufällig landet er dabei in einem Geschäft und wird durch eine Tür geschickt, hinter der eigenartige Dinge auf ihn warten …

Sowohl Fantasy, Horror, Science-Fiction als auch Mischformen werden geboten, wobei diesmal vor allem SF-Freunde auf ihre Kosten kommen.

_“Bubble Boy“_ bildet einen ruhigen Auftakt, in dem sich nach nach die Spannung immer weiter zuspitzt. Die Geschichte um den mysteriösen Fremden streift die Science-Fiction nur so leicht, dass man kein Leser dieses Genres sein muss, um Gefallen daran zu finden. Auch wenn die Geschichte gerne noch etwas unheimlicher und schockierender hätte ausfallen können, ist sie ein guter Einstieg in den Band, der zum Weiterlesen einlädt.

_“Absolutum“_ ist eine sehr dialoglastige Geschichte über eine ungewöhnliche Begegnung und eine noch ungewöhnlichere Begabung, Segen und Fluch zugleich. Die Stimmung schwankt zwischen leicht humorvoll, skurril und nachdenklich, der Abschluss überzeugt auch ohne spektakuläre Pointe.

In _“Slomo“_ entwirft Heidrun Jänchen eine erschreckende Zukunftsvision mit düsterer Atmosphäre. Trotz weniger Seiten entwickelt sich beim Leser ein Gespür für die futuristische Welt, in der die alte Generation als überholt und unnütz gilt und die Schwächen der auf Leistung gepolten Menschen übersehen werden. Eine kleine, feine Geschichte, die sich auch für nicht Nicht-SFler eignet.

_“Madame Delvaux“_ ist leider eine sehr vorhersehbar geratene Gruselgeschichte, die eine der meistgewählten Pointen bietet, auch wenn sich der ruhige, flüssige Stil angenehm lesen lässt.

Bei _“So was wie Joghurt“_ deutet schon der Titel den saloppen Tonfall der Geschichte an, der sich durch die ganze Handlung zieht. Der Leser wird auf amüsant-schnodderige Weise mit dem Fund einer außerirdischen Lebensform konfrontiert. Der Verlauf ist nicht wirklich überraschend, aber unterhaltsam aufbereitet.

_“Inspektor Pyrrhon und der Killerfön“_ ist das erste große Highlight des Bandes. Der staatlich verordnete Zweifel, der bei Nichtbeachtung drakonische Strafen nach sich zieht, ist eine originell-absurde Idee, welche die Geschichte zu einem vergnüglichen Genuss mit geistreichen Witzen macht. Der Clou am Ende wird zwar unnötig ausführlich erklärt, anstatt dem Leser etwas Denkarbeit zu lassen, trübt aber nicht den sehr guten Gesamteindruck.

_“Der Klomann“_ ist eine flotte SF-Geschichte, in der sich die reichen Leute ihre defekten Körperteile aufrüsten lassen können. Der Ich-Erzähler verfolgt misstrauisch den mysteriösen Klomann, der ein Geheimnis zu verbergen scheint, und der Leser gewinnt dabei einen Einblick in eine veränderte Welt. Das Ende kommt recht plötzlich, und was bleibt, ist eine solide, unterhaltsame Geschichte, die allerdings nicht länger im Gedächtnis haftet.

Die SF-Story _“Terminal“_ besticht vor allem durch eine gute Pointe, die der technikgespickten Handlung sensible Töne verleiht und erfreulicherweise nicht aus dem Hut gezaubert, sondern, im Nachhinein erkenntlich, bereits zuvor in der Handlung unauffällig angedeutet wird. Ermüdend sind allerdings die zu ausführlichen Schilderungen, insbesondere der Umgebung, die den Einstieg erschweren.

_“Meine liebe Stella“_ besteht aus einer Reihe von Briefen, aus denen sich eine unheimliche und geheimnisvolle Geschichte mit düsterer Atmosphäre entwickelt. Leser des Vorgängerbandes „Die Jenseitsapotheke“ werden einige Begebenheiten wiedererkennen, da es sich um eine (eigenständige) Fortsetzung der Geschichte „Mein lieber René“ handelt. Gelungener als der Vorgänger und schön gruselig, allerdings ist unrealistisch, wie chronologisch und ausführlich Frank seine schockierenden Erlebnisse an seine Freundin schreibt.

_“Die List in der Ehre“_ ist die einzige klassische Fantasygeschichte des Bandes. Sie verbindet eine interessante Geschichte mit einer guten Pointe, allerdings braucht es eine Weile, bis man den Überblick über das Geschehen gefunden und sich in den etwas gestelzten Stil eingelesen hat.

Die Titelgeschichte _“Das Mirakel“_ stellt einen wunderlichen Jungen in den Mittelpunkt, der auf ungewöhnliche Weise zu seiner wahren Berufung findet. Ein leicht melancholischer Text mit Fantasyeinschlag, nicht spektakulär, aber doch nett zu lesen.

_“Doppelte Hochzeit“_ ist eindeutig die komplizierteste Geschichte des Bandes, ein Füllhorn von Absurditäten, die sich in bissig-ironischer Weise aneinanderreihen. Definitiv keine leichte Kost, dafür eine Herausforderung für anspruchsvolle Leser.

_“Nur ein wenig Grün“_ ist eine auf sanfte Weise unheimliche Geschichte, die ohne blutigen Horror auskommt. Sie wird souverän erzählt, entwickelt jedoch nur mäßige Spannung, da Titel und Verlauf zu vorhersehbar sind.

_“Gerolsteiner Fit“_ ist eine kurze, sehr amüsante Geschichte mit Fantasy-Anleihen. Geschichten mit Flaschengeistern und fatalen Wünschen sind nichts Neues, die Idee wird hier aber auf witzige, moderne Weise umgesetzt und auch die Pointe überzeugt. Definitiv ein Highlight des Bandes.

_“Der mikrokosmische Maler“_ ist eine futuristische Variante zum alten Thema des wahnsinnigen Genies und seiner grenzenlosen Leidenschaft für die Kunst. Trotz des bekannten Plots kann die Geschichte am Ende überraschen und überzeugt vor allem durch ihre wohldosierten Horrormomente, die ohne platte Ekeleffekte auskommen.

_“Pleissetal-Blues“_ beginnt harmlos und harmonisch im Lektorenalltag, bis zur originellen Wendung. Eine sehr angenehm erzählte Geschichte, die eine amüsant-fantastische Entwicklung nimmt und gut unterhält.

_“Andromeda“_, wie die seltsame Andy von Pete genannt werden will, ist eine düstere Liebesgeschichte mit einer gelungenen Wendung. Lediglich der etwas umständliche Stil beeinträchtigt den Lesegenuss.

_“Invasive Techniken“_ ist eine gelungene SF-Geschichte, bei der man als Leser eine Exkursion in den Kopf eines EU-Angestellten verfolgen darf. Allein die originelle Ausgangslage weckt bereits Interesse, das durch den eingefügten Rückblick verstärkt wird.

_“Thors Hammer“_ verbindet eine Alternativwelt zur Zeit des Zweiten Weltkriegs mit phantastischen Einschlägen. Eindrücklich wird das Grauen des Krieges demonstriert und trotz der Kürze treffsicher eingefangen, die Pointe setzt dem ohnehin schon düsteren Szenario die Krone auf. Ungewöhnlicher, aber wirkungsvoller Horror.

_“Feuerpause“_ ist wiederum skurrile Science-Fiction mit einer Geschichte, die zunächst vor allem Verwirrung stiftet, bis man sich in die Verhältnisse eingelesen hat. Interessant ist vor allem der lakonische Stil, in dem beiläufig die Absonderlichkeiten und Spannungen geschildert werden.

_“Haft“_ ist die wohl kürzeste Geschichte des Bandes, die zudem nur aus knappen Tagebucheinträgen besteht, in denen sich die deprimierende Stimmung der Gefangenschaft eines Häftlings entfaltet, der ungewöhnliche Folterqualen erleidet. Daher nicht nur eine SF-Geschichte, sondern zugleich auch ein Plädoyer für Veganismus.

Bei _“Gothic Tours Inc.“_ handelt es sich um eine klassische Geistergeschichte, die sich langsam entwickelt und in einer netten Pointe endet. Die Geschehnisse auf dem schottischen Schloss sind zwar nicht unbedingt originell, hinterlassen aber einen soliden Eindruck.

_“Ölkollaps“_ ist eine unkonventionelle, ironische Geschichte, die trotz des vorschnell erahnten Endes auf launige Weise gut unterhält.

_“Der Puppenspieler von Mex-III-Ko“_ bietet unterhaltsam-amüsante Science-Fiction, die mit einer skurrilen Idee aufwarten kann. Während man allerdings recht wenig über die Hintergründe der terranischen Kolonien erfährt, fallen zur Pointe wiederum unnötig detaillierte Erklärungen.

_“Franks Spruch“_ umfasst nur knapp drei Seiten, braucht aber auch tatsächlich keine Zeile mehr, um seine Wirkung zu entfalten. Eine humorvolle und dennoch dramatische Geschichte mit sehr guter Pointe, die vielleicht nicht lange im Gedächtnis bleibt, aber sehr positiv auffällt.

_“Die Angst und die Stadt“_ bildet den kompakten, düsteren Abschluss des Bandes. Die Ausgangslage ist zwar recht alltäglich angesiedelt, doch die Handlung wird schon bald mit traumartigen Sequenzen angereichert. Über der ganzen Geschichte liegt eine beklemmende Stimmung, die sich zum konsequenten Ende hin immer weiter steigert.

_Als Fazit_ bleibt eine empfehlenswerte Sammlung von Kurzgeschichten, die sich vor allem für SF-Freunde, grundsätzlich aber für jeden Leser phantastischer Literatur eignet. Obwohl nicht alle Geschichten gleich stark gelungen sind, lohnt sich der Kauf alleine schon wegen der Highlights, zumal kein Beitrag wirklich schwach zu nennen ist.

_Der Herausgeber_ Frank W. Haubold, Jahrgang 1955, studierte Informatik und Biophysik. Seit 1989 veröffentlicht er in unterschiedlichen Genres. 1997 erschien sein Episodenroman „Am Ufer der Nacht“. Weitere Werke sind u. a. die Geschichtensammlungen „Der Tag des silbernen Tieres“ (mit Eddie M. Angerhuber), „Das Tor der Träume“, „Das Geschenk der Nacht“ und aktuell „Die Schatten des Mars“. Parallel dazu gab er mehrere Anthologien heraus.

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Hill, Joe – Black Box

_“Best New Horror“_: Eddie Carroll ist Herausgeber der Buch-Reihe „Best New Horror“ und auf der Suche nach originellen Geschichten. Dabei wird ihm die Geschichte „Buttonboy“ empfohlen, die aufgrund ihrer schonungslosen Brutalität und ihres schockierenden Ausgangs für Aufruhr sorgte. Carroll beschließt, die Geschichte in seinem neuen Band abzudrucken, und macht sich auf die Suche nach dem exzentrischen Autor …

_“20th Century Ghosts“_: Im nostalgischen Kino „Rosebud“ spukt der Geist eines jungen Mädchens. Als Fünzehnjähriger begegnet Alec der verstorbenen Imogene zum ersten Mal. Jahre später ist er selber der Besitzer des Kinos, und immer noch erzählen verstörte Besucher von ihrer Begegnung mit der Gestalt, die sich neben einen setzt und ihre Lieblingsfilme anschaut …

_“Pop Art“_: Arthur Roth ist kein gewöhnlicher zwölfjähriger Junge. Geboren mit einem Gendefekt, besteht er aus aufblasbarem Gummi, ohne innere Organe und immer in Gefahr, zu zerplatzen. Da er stumm ist, kommuniziert er über Zettelbotschaften. Nur bei seinem besten und einzigen Freund kann er kurzzeitig ein normaler Junge sein, der gerne Astronaut wäre, alberne Scherze macht und sich fragt, wie das Leben nach dem Tod aussieht …

_“Der Gesang der Heuschrecken“_: In der Schule ist Francis ein Außenseiter, zuhause liefert er sich Streitereien mit seinem Vater und der ungeliebten Stiefmutter. Als Kind erwarb er sich bei Spielkameraden Aufmerksamkeit, indem er Insekten aß, heute trägt er dafür den verächtlichen Spitznamen „Mistkäfer“. Eines Morgens erwacht Francis im Körper eines riesigen Ungeziefers …

_“Abrahams Söhne“_: Max und Rudolf sind die kleinen Söhne des Vampirjägers Dr. van Helsing, der einst Jagd auf Graf Dracula machte. Heute lebt van Helsing mit seinen Söhnen in zweiter Ehe in Amerika. Die beiden Jungen wissen nicht viel vom Vorleben ihres strengen Vaters, doch sie leiden unter seiner beständigen Furcht vor Vampiren …

_“Besser als zu Hause“_: Der kleine Homer leidet unter Zwangsstörungen. Sein Essen muss er vor dem Verzehr erst genau prüfen und auseinander nehmen, störende Geräusche von Klimaanlagen oder Videorecordern können ihn in den Wahnsinn treiben und Familienstreits enden oft mit hysterischen Ausbrüchen. Nur sein Vater, ein Baseballtrainer, den Homer tief bewundert, versteht es, mit ihm richtig umzugehen …

_“Das schwarze Telefon“_: Der dreizehnjährige Finney wird von einem dicken Mann entführt. Als er in einem fremden Zimmer wieder zu sich kommt, ahnt er, dass er in die Fänge eines langgesuchten Kindermörders geraten ist …

_“Endspurt“_: In der Highschool war Wyatt ein erfolgreicher Baseballspieler, doch seine schlechten Noten bedeuteten das Aus in der Mannschaft. Zu allem Ärger verliert er auch noch den Job in der Videothek. Als er sich frustriert auf den Heimweg macht, begegnet er Mrs. Prezar, der er früher den Rasen mähte. Die völlig verstörte Frau bittet ihn um Hilfe …

_“Das Cape“_: Als Kind hat Eric eine Lieblingsdecke, die er überallhin mit sich trägt. Beim Spielen auf einem Baum wird er vom Cape in der Luft getragen, ehe der Wind ihn stürzen lässt. Die Decke verschwindet und Erics Leben nimmt einen normalen Lauf. Zehn Jahre später findet er das Cape im Keller seiner Mutter wieder – und schafft es erneut zu fliegen …

_“Ein letzter Atemzug“_: Eine Familie besucht das ominöse Atemmuseum von Dr. Alinger. Hier bewahrt der Leiter die letzten Atemzüge verstorbener Menschen, darunter auch vieler Prominenter, auf, die sich Besucher anhören können. Während Vater und Sohn von der makaberen Ausstellung begeistert sind, hält die Mutter die Sammlung für pervers …

„_Totholz“_: Nicht nur Menschen können zu Geistern werden, sondern auch Bäume …

_“Witwenfrühstück“_: Die Freunde Kilian und Gage ziehen als Landstreicher umher, bis Gage ums Leben kommt. Nach einem Sommer zielloser Herumreiserei landet Kilian beim Haus einer Witwe und ihren Töchtern, die ihm ein Frühstück anbietet …

_“Bobby Conroy kehrt von den Toten zurück“_: Nachdem seine Karriere als Komiker in New York gescheitert ist, kehrt Bobby als Schauspieler nach Pennsylvania zurück. Am Set für einen Zombiefilm von George A. Romero trifft er auf seine alte Jugendliebe Harriet …

_“Die Maske meines Vaters“_: Der dreizehnjährige Luke fährt mit seinen Eltern in die Hütte seines verstorbenen Großvaters. Seine Mutter erklärt ihm, es sei ein Spiel, bei dem sie auf der Flucht vor Spielkartenleuten seien. In der Hütte hängen seltsame Masken, die Luke beängstigen, und auf dem Waldpfad hat er eine seltsame Begegnung …

_“Die Geretteten“_: Jubal Scott macht sich mit seinem neuen Truck auf den Weg nach Norden, um nach drei Jahren seine Ex-Frau und endlich seine kleine Tochter Kelly wieder zu besuchen. Auf der verschneiten Fahrt nimmt Jubal einen Anhalter mit, der ein religiöser Fanatiker zu sein scheint …

_“Black Box“_: Nolans jüngerer Bruder Morris ist autistisch veranlagt. Mit aller Leidenschaft baut er im Keller des Hauses ganze Burgen und Irrgärten aus Pappkartons. Es erscheint wie ein harmloser Spleen, doch Nolan ahnt eines Tages, dass mehr dahintersteckt …

Mit seinem Debütroman [„Blind“ 3842 hat Joe Hill bewiesen, dass er mehr ist als nur der Sohn des berühmten Stephen King, sondern auch selbst durchaus respektablen Horror zu schreiben vermag. Mit seiner ersten Kurzgeschichtensammlung „Black Box“ unterstreicht Hill die Vermutung erst recht, denn während „Blind“ ein solider Roman war, wartet diese Sammlung gar mit einigen Juwelen auf.

Die Startgeschichte _“Best New Horror“_ spielt im Schriftstellermilieu, und allein schon die Wiedergabe der dort thematisierten Kurzgeschichte „Buttonboy“ versteht es, den Leser zu verstören. Hin- und hergerissen zwischen Faszination und Ablehnung, verfolgt man die Kontaktaufnahme zwischen Eddie Carroll und dem Autor. Über der ganzen Handlung liegt eine unheilvolle Atmosphäre, obwohl man diese lange nicht begründen kann, bis zum harten und unerbittlichen Ende. In _“20th Century Ghosts“_ erlebt man den Geist einer jungen Frau, die einst in ihrem Lieblingskino verstarb und sich auch nach dem Tod nicht davon trennen kann. Die Geschichte ist eher melancholisch als unheimlich und vor allem, aber nicht nur, für Cineasten interessant. _“Pop Art“_ ist Joe Hills eigene Lieblingsgeschichte und tatsächlich ein absolutes Glanzlicht, in dem Tragik und Komik in beeindruckener Manier miteinander verschmelzen, sodass sich berührende Momente und amüsante Szenen die Klinke in die Hand geben. In selbstverständlichem Tonfall erzählt der Ich-Erzähler rückblickend von seiner komplizierten und zugleich erfüllenden Freundschaft mit dem eigenartigen Gummijungen, einem verträumten Außenseiter mit liebenswertem Charakter, der auf seine Zettelchen mal trocken-ironische Bemerkungen und mal schlichte Weisheiten kritzelt. Ein origineller, bewegender Text, den man mit Sicherheit nicht mehr vergisst.

_“Der Gesang der Heuschrecken“_ ist unverkennbar eine Kafka-Hommage, doch anders als Gregor Samsa begnügt sich Francis nicht damit, im Bett liegen zu bleiben. Stattdessen fühlt er sich endlich von seinem alten Ich befreit und macht sich auf, sein neues Leben voll auszukosten … Eine brutale, dabei aber schon wieder amüsant-parodistisch anmutende Geschichte, die in vielen Momenten an die Monsterfilme der fünfziger Jahre erinnert. In _“Abrahams Söhne“_ bedient sich Joe Hill an Bram Stokers literarischer Figur Dr. van Helsing, ohne ihn jedoch in den Mittelpunkt zu stellen. Stattdessen konzentriert er sich auf das Schicksal seiner beiden Söhne, die unter der rigorosen Erziehung leiden und von klein auf zu Vampirjägern geschult werden sollen. Den Dracula-Bezwinger als brutal-düstere Vaterfigur darzustellen, ist eine originelle Idee und nicht nur für Dracula-Kenner faszinierend.

_“Besser als zu Hause“_ ist weit von Horror entfernt. Vielmehr präsentiert sie sich als Rückblick auf eine schwierige Kindheit, die mit einzelnen Glücksmomenten durchsetzt ist. Der Leser braucht kein Baseballfan sein, um mit dem Ich-Erzähler zu fühlen und die Verbundenheit mit seinem Vater, dem Trainer, zu spüren. Eine leise Vater-Sohn-Geschichte, wehmütig und nachdenklich. _“Das schwarze Telefon“_ bietet die Besonderheit zweier Enden, da Joe Hill einst die gekürzte Version veröffentlichte und hier eine Variante mit Anhang anbietet, auf dass der Leser selber entscheiden möge, welche Form ihm besser gefällt. In jedem Fall ist es eine gelungene, sehr spannende Geschichte über einen Jungen, der verzweifelt hofft, dem Schicksal als Mordopfer zu entkommen. Die beklemmend realistische Schilderung eines Entführungsopfers erhält durch das seltsame schwarze Telefon, das sich in seiner Zelle befindet, einen mystischen Beiklang. Die kürzere Version übertrifft die längere Variante, da der Anhang nichts wesentlich Neues mehr beitragen kann.

_“Endspurt“_ beginnt mit dem unrühmlichen Leben eines zornigen jungen Mannes und endet in einem Thrillerfinale mit recht offenem Ausgang. Eine gemäß dem Titel temporeiche Geschichte, die aber zu den schwächeren Beiträgen gehört, was auch am blassen Protagonisten liegt. _“Das Cape“_ ist eine herrlich böse Geschichte, die vor allem alle Freunde von Superhelden faszinieren dürfte. Lakonisch erzählt von einer unberechenbaren Hauptfigur, phantasievoll, mit einem würdigen Schluss. _“Ein letzter Atemzug“_ ist eine originelle Geschichte mit einer düsteren Romantik, die nicht zu Unrecht im Vorwort mit den Geschichten Ray Bradburys verglichen wird. Mit einer tragikomischen Selbstverständlichkeit präsentiert der Eigentümer seinen Besuchern die letzten Atemzüge von Edgar Allan Poe und Roald Dahl, aber auch ganz durchschnittliche Bürger haben hier ihr letztes Vermächtnis hinterlassen. Nur die Pointe, die etwas aufgesetzt und konstruiert wirkt, vermag den ansonsten sehr positiven Eindruck von der Geschichte zu trüben.

_“Totholz“_ umfasst nur zwei Seiten und ist daher weniger eine Geschichte als mehr eine Momentaufnahme, eine Ansammlung von Gedanken des Ich-Erzählers. Trotz der Kürze strahlt der Text eine hübsche, leicht morbide Poesie aus, kann aber nicht an die Intensität der meisten anderen Beiträge anknüpfen. _“Witwenfrühstück“_ ist ursprünglich ein Kapitel eines unfertigen Romans des Autors und setzt eine Nebenfigur daraus in den Blickpunkt der Handlung. Horror sucht man hier vergebens, stattdessen trifft man auf eine melancholisch-nachdenkliche Atmosphäre. Mindestens ebenso interessant wie die Haupthandlung sind die Andeutungen über die Vergangenheit, über den kürzlich verstorbenen Freund des Protagonisten und das Landstreicherleben während der dreißiger Jahre.

_“Bobby Conroy kehrt von den Toten zurück“_, doch es sind nur Zombiedarsteller, die hier grausig entstellt umhertorkeln. Inmitten von Dreharbeiten von George A. Romero und Tom Savini spielt sich eine humorvolle und einfühlsame Geschichte ab, als Bobby unverhofft auf seine frühere Romanze, ihren kleinen Sohn und ihren Ehemann trifft. _“Die Maske meines Vaters“_ ist eine surreale Erzählung, die Märchenmotive in eine moderne Welt einfließen lässt. Ein beklemmendes Spiel mit Phantasie und Realität voller (alb-)traumhafter Sequenzen. Nicht uninteressant, aber kein Höhepunkt der Sammlung. _“Die Geretteten“_ beginnt als alltägliches Drama eines Vaters, der einen verzweifelten Versuch unternimmt, seine alte Familie zurückzugewinnen. Die Mitnahme des seltsamen Anhalters nimmt eine unerwartete Wendung, der Horror fällt jedoch nicht so groß aus wie erwartet.

_“Black Box“_ gab der deutschen Sammlung nicht zu Unrecht ihren Namen, denn sie ist eine der besten Erzählungen des Bandes. Die Novelle vereint die berührende Geschichte zweier grundverschiedener Brüder, gewährt einen kleinen Einblick in das Leben eines Autisten sowie die Schwierigkeit der Familie, damit umzugehen, und enthält zugleich eine Prise sanften Horrors. Obwohl der Verlauf nicht wirklich überraschend ist, schafft es der Autor mühelos, eine beklemmende Atmosphäre aufzubauen, die sich immer weiter zuspitzt und in einem melancholischen Abschluss endet.

_Als Fazit_ bleibt eine überzeugende Sammlung phantastischer, unheimlicher und nachdenklicher Geschichten, die bis auf ganz wenige Ausnahmen deutlich über dem Durchschnitt angesiedelt sind. Nur hartgesottene Horrorfans könnten enttäuscht werden, da der Fokus eher auf melancholischen Stimmungen liegt. Nachdem Hills Debütroman „Blind“ schon ein sehr positives Echo fand, darf man nach der noch gelungeneren Kurzgeschichtensammlung umso gespannter auf seine nächsten Werke warten.

_Der Autor_ Joe Hill, eigentlich Joseph Hillstrom King, ist ein Sohn des bekannten Autorenehepaares Stephen & Tabitha King. 2005 erschien seine Geschichtensammlung „20th Century Ghosts“, die 2007 bei |Heyne| unter dem Titel „Black Box“ auf Deutsch veröffentlicht wurde. Er ist Träger des |Ray Bradbury Fellowship|, wurde bereits zweimal mit dem |Bram Stoker Award| sowie dem |British Fantasy Award|, dem |World Fantasy Award|, dem |A. E. Coppard Price| und dem |William L. Crawford Award| als bester neuer Fantasy-Autor 2006 ausgezeichnet. Erst im Zuge des Verkaufs der Filmrechte von [„Blind“, 3842 seinem Debütroman, wurde das Pseudonym gelüftet. Joe Hill wurde 1972 in Bangor/Maine geboren und lebt mit seiner Familie in New Hampshire.

http://www.joehillfiction.com
http://www.heyne.de