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Noll, Ingrid – Apothekerin, Die (SZ Kriminalbibliothek 45)

Die Apothekerin Hella Moorman liegt im Heidelberger Frauenkrankenhaus. Ihre Bettnachbarin ist die ältere Rosemarie Hirte, der sie nach und nach aus ihrem abenteuerlichen Leben erzählt. Hella erlebte eine schwere Kindheit, mit einem strengen Vater und einem Außenseiterdasein in der Schule. Ein katastrophaler Unfall sorgt endgültig für ein Trauma bei dem jungen Mädchen, das sich seitdem ganz zurückzieht und verbissen für gute Noten arbeitet.

Ihre Partner entpuppen sich gewöhnlich als labile Sorgenkinder, die mit Selbstmordgedanken spielen oder Drogen nehmen. Mit dreißig Jahren lernt sie den jüngeren Zahnmedizin-Studenten Levin kennen, mit dem sie erstmals an eine dauerhafte Zukunft mit Familie denkt. Levin jedoch ist ein sprunghafter, verschwenderisch lebender Jüngling mit deutlich weniger ernsten Absichten. Während Hella hofft, dass ihr Traum von Hochzeit und Kindern doch noch in Erfüllung geht, wartet Levin auf den Tod seines reichen Großvaters Hermann Graber, der an einer Herzkrankheit leidet. Der alte Herr, der wenig von Levin hält, lebt in einer feudalen Villa, gemeinsam mit der jungen, liederlichen Margot, die ihm den Haushalt führt. Levin steht unter Druck, seit Dieter, Margots Ehemann, aus dem Gefängnis entlassen wurde. Dieter ist sein alter Kumpel, der Rache sucht und Levin erpresst. Levin überredet Hella zur Beihilfe zum Giftmord an seinem Großvater, um rascher an das Erbe zu gelangen. Nach langem Zögern willigt Hella ein. Sie mag den alten Großvater zwar, aber die Angst um Levin ist größer.

Das Testament birgt eine Überraschung: Als Haupterbin ist Hella eingesetzt, unter der Voraussetzung, dass sie Levin innerhalb eines halben Jahres heiratet. Das frische Brautpaar zieht in die Villa ein, Levin gewährt dort außerdem seinem versöhnten Kumpel Dieter und seiner Frau Margot Unterschlupf. Mit Unbehagen bemerkt Hella, dass Levin sie hauptsächlich wegen des Geldes geheiratet hat und vermutet auch langsam ein Verhältnis mit Margot. Dafür nähert sie sich selber Dieter an, der viel mehr Verständnis aufzubringen scheint als Levin. Doch es dauert nicht lange, bis diese prekären Beziehungskonstellationen eskalieren. Levins Großvater wird nicht der letzte Tote in Hellas Leben sein …

_Morde im Stil der Borgias_

Mörderische Ladys sind Ingrid Nolls Spezialgebiet. Auch ihr dritter Roman überzeugt durch Spannung und viel schwarzen Humor, den ihre Fans so sehr an ihr lieben.

Mit Hella Moormann hat sie eine für sie sehr typische Frauenfigur geschaffen. Hella ist intelligent und strebsam, ein bisschen spröde, vernunftbetont und gut organisiert. Diese Eigenschaften zeichneten sich bereits in der Kindheit ab, die zu Beginn in kurzen Auszügen erzählt wird. Hella hängt an ihrem Vater, der es jedoch als strenger Vegetarier seiner Familie nicht leicht macht. Ein schlimmer Zwischenfall mit katastrophalen Folgen in der Schule zerrüttet das familiäre Verhältnis endgültig und Hellas Außenseiterleben bestätigt sich. Der Beruf als Apothekerin entspricht in mehrfacher Hinsicht ihrem Charakter. Sie hat einen guten Sinn für Details und Kleinigkeiten, sie arbeitet mit viel Sorgfalt und liebt es, Dinge zu sortieren und mit viel Feinsinn zu behandeln. Gleichzeitig besitzt sie ein ausgeprägtes Helfersyndrom. Um die Leere in ihrem eigenen Leben auszufüllen, widmet sie sich mit Hingabe problembelasteten Männern; Selbstmordkandidaten, labile Persönlichkeiten und ehemalige Häftlinge finden bei ihr Zuspruch und ein warmes Bett. Da ist es kein Wunder, dass auch Levin in diese Sammlung hineinpasst. Levin gehört zum Typ der „großen Jungen“; er ist ein Wildfang mit viel Temperament, der sich zu Hellas Freude wie ein Kind für bestimmte Dinge begeistern kann. Andererseits gehört auch eine gehörige Portion Unreife zu seiner Person. Levin liebt den Luxus und die Verschwendung, Porschewagen sind seine große Leidenschaft und er besitzt keine Ambitionen, sein Studium zu beenden. Die kluge Hella erkennt zwar seine Unzulänglichkeiten und sie ahnt, dass Levin ihren Traum von einer kleinen Familie kaum teilen wird, doch sie hofft, mit dem nötigen Einfluss seinen Charakter zu festigen.

Fast alle Figuren im Roman vereinen mehrere Seiten in sich. Das gilt auch besonders für Dieter, den man vor seinem ersten Auftritt als gefährlichen Ex-Knacki beschrieben bekommt, ehe er sich dann zeitweise sogar sehr sensibel verhält und vorübergehend Levin aus Hellas Herz verdrängt. Hauptfigur Hella ist eine gelungene Mischung aus positivem und negativem Charakter. Sie ist wahrlich keine Heldin, beweist Unzulänglichkeiten, fällt auf die falschen Männer herein und nimmt es später mit der Treue selber nicht mehr so genau. Trotzdem fiebert man mit ihrem Schicksal mit, amüsiert sich über ihre ironisch-zynischen Schilderungen und ist gespannt, was in ihrem Leben als nächstes geschieht.

|Viel Spannung, viel Humor|

Die Spannung entspringt dabei vor allem zwei Gründen: Zum einen läuft bei Ingrid Noll fast jeder Charakter Gefahr, um die Ecke gebracht zu werden. Die Handlung nimmt immer neue überraschende Wendungen, sodass man nicht sicher sein kann, wer hier als nächstes gegen wen intrigiert und ob man jemanden nicht voreilig falsch eingeschätzt hat. Nicht nur der leichtlebige Levin, der zwielichtige Dieter und die ordinäre Margot sind unberechenbar, sondern auch Hella selbst. Das beste Beispiel dafür ist die Beihilfe zur Ermordung von Hermann Graber, die Hella schwerste Gewissensbisse einbringt. Auch das reiche Erbe ist kein Trost für sie, denn geldgierig ist sie nie gewesen. Doch der brennende Wunsch, mit Levin ein glückliches Familienleben führen zu können, ist so stark, dass sie dafür selbst kriminelle Methoden in Kauf nimmt. Zum anderen deutet Hella in ihren Gesprächen mit Rosemarie Hirte immer wieder bestimmte Ereignisse an, ohne zu viel vorwegzunehmen, sodass der Leser es kaum erwarten kann, bis er Genaueres erfährt. Nicht nur Frau Hirte wundert sich über manche Andeutungen und fragt sich, welche Wendungen auf den Hörer bzw Leser noch zukommen werden.

Auch in diesem Roman überzeugt die Autorin durch den unverwechselbaren Stil, in dem sie ihre Protagonistin erzählen lässt. Hella Moormann kommentiert ihr Leben in einer lakonischen Sprechart, hat keine Scheu vor Selbstironie und gewinnt so auch tragischen und dramatischen Ereignissen eine galgenhumorige Note ab. Auch wenn Hella ihre Fehler erkennt und vor Selbstkritik nicht zurückschreckt, wird es mit der Moral nicht gerade genau genommen. Empfindliche Leser, die mit schwarzem Humor nicht viel anfangen können, werden womöglich eher befremdet reagieren. Allen anderen dürfte dieser spezielle Krimispaß ein großes Lesevergnügen bereiten.

|Wiedersehen mit Frau Hirte|

Die Handlung spielt zwar in zwei Zeitrahmen, aber Gefahr, dabei durcheinanderzukommen, läuft man ganz sicher nicht. Der größte Teil der Erzählung besteht aus Rückblenden, in denen Hella aus der Zeit mit Levin erzählt. Die Kapitel werden dann oft mit Szenen aus der Gegenwart eingeleitet, in denen Hella im Krankenhaus liegt und sich mit Frau Hirte unterhält. Der besondere Clou in diesem Gegenwartsstrang liegt darin, dass Rosemarie Hirte für Noll-Leser keine Fremde ist, sondern die Hauptfigur in Nolls Debütroman „Der Hahn ist tot“ war. Während Hella Moorman die 58-jährige Dame neben sich für eine alte, etwas langweilige Jungfer hält, die sie mit ihren Mordgeschichten schockt, ahnt sie nicht, dass Rosi Hirte ihr vor nicht allzu langer Zeit in nichts nachstand, selber ein paar Leutchen auf dem Gewissen hat und nicht weniger schauerliche Geschichten zum Besten geben könnte.

|Kleine Mankos|

Nolls große Stärken sind zum einen das Erschaffen von emanzipierten Frauenfiguren, die sich trotz ihrer Durchschnittlichkeit und Sympathie zu Mörderinnen entwickeln, und zum anderen die humorvolle Darstellung von Rache- und Mordgeschichten. Die Schwäche liegt darin, dass sich dieses Schema beinahe in jedem Roman finden lässt und sich die Figuren wie auch die Motive ähneln. Fans kommen dabei jedes Mal aufs Neue auf ihre Kosten, andere Leser können sich, wenn sie schon eines oder mehrere Werke gelesen haben, allerdings langweilen. Alleine die Protagonistinnen aus den Romanen „Der Hahn ist tot“, „Die Apothekerin“ und „Die Häupter meiner Lieben“ weisen starke Parallelen auf. Kindheit, Jugend und frühe Erwachsenenzeit sind geprägt durch Konflikte, Außenseiterdasein und viele Enttäuschungen in zwischenmenschlicher Hinsicht, vor allem in Liebesdingen. Hella Moorman ist zwar jünger als Rosemarie Hirte, aber beide Frauen verbindet die vergebliche Suche nach einem passenden Partner, nach der großen Liebe, mit der sie traute Zweisamkeit und ein Familienleben verwirklichen können. Die Morde ergeben sich nicht aus Gier oder gar Grausamkeit heraus, sondern entstehen beinah ungewollt und als notwendige Übel. Ohne Zweifel ist es höchst amüsant, wie diese jungen und nicht mehr ganz so jungen Damen auf der Suche nach dem großen Glück zu unpopulären Mitteln greifen und in Mordangelegenheiten verwickelt werden, die nicht einmal sie selber sich jemals zugetraut hätten. Doch der Abnutzungseffekt kann nicht wegdiskutiert werden, und wer kein erklärter Fan von Ingrid Noll ist, wird dem Schema auf Dauer kritisch gegenüberstehen.

Stärke und Schwäche liegen auch in den Insideranspielungen nah beieinander. Wer Nolls Debütroman „Der Hahn ist tot“ noch gut in Erinnerung hat, wird über das Wiedersehen mit Rosemarie Hirte begeistert sein. Die Anspielungen auf Rosi Hirtes Leben sind recht dezent gehalten, sodass die Kenntnis des anderen Romans nicht zwingend notwendig ist. Aber der Spaßfaktor liegt doch beträchtlich höher, wenn man um die Umstände aus „Der Hahn ist tot“ weiß. Zudem besteht die Gefahr, dass einem der Lesespaß bei „Der Hahn ist tot“ durch manche Details aus der „Apothekerin“ verdorben wird, denn Rosi Hirte gibt ein paar Einzelheiten preis, die recht bedeutsam für den Handlungsverlauf ihrer Geschichte sind – im letzten Drittel wird sogar ein Teil des Ausgangs dieser Geschichte verraten. Auch wenn die Bücher grundsätzlich voneinander unabhängig zu lesen sind, ist es deswegen dringend anzuraten, sich erst „Der Hahn ist tot“ zu widmen und anschließend zur Lebensbeichte von Hella Moormann zu greifen.

Irritierend ist außerdem Hellas Reaktion auf einen positiven Schwangerschaftstest, den sie erst vom Arzt überprüfen lassen will. Dass ein Test fälschlich negativ ausfällt, kommt schon mal vor, entweder weil man zu früh getestet hat oder sich das Schwangerschaftshormon erst später in ausreichender Menge bildet. Dass umgekehrt das Hormon vorhanden ist, obwohl man nicht schwanger ist, ist praktisch nicht möglich, außer bei seltenen Tumoren, die das Hormon ebenfalls produzieren, oder bei einer unbemerkten Fehlgeburt im frühen Stadium. So wie die Protagonistin hier spricht, klingt es, als sei es gar nicht mal selten, dass falsch positive Teste vorkommen, was so nicht stimmt. Gerade weil Hella Moormann selber Apothekerin ist, also das nötige Fachwissen besitzt, stört diese Ungenauigkeit.

_Unterm Strich_ hat man es hier mit einem vergnüglich-spannenden Krimi zu tun, der vor allem weibliche Leser mit Spaß an schwarzem Humor begeistern wird. Kleine Parallelen zu Nolls anderen Romanen schwächen den Gesamteindruck zwar ein klein wenig, der aber trotzdem insgesamt sehr überzeugend ist.

_Die Autorin_ Ingrid Noll wurde 1935 als Tochter eines Arztes in Shanghai geboren. Mit 14 Jahren siedelte sie mit ihrer Familie nach Deutschland über, wo sie in Bonn Germanistik und Kunstgeschichte zu studieren begann. Erst im Alter von 55 Jahren veröffentlichte sie mit „Der Hahn ist tot“ ihren ersten Roman, der sofort die Bestsellerlisten stürmte. Es folgten weitere Werke, allesamt humorvolle Krimis, die sich meist um mordende Alltagsfrauen drehen, u. a.: „Die Häupter meiner Lieben“, „Selige Witwen“, „Röslein rot“. Mehrere ihrer Bücher wurden bereits verfilmt.

Sommer-Bodenburg, Angela – kleine Vampir, Der

Der achtjährige Anton hat ein ganz besonderes Hobby: Vampire! Nichts ist ihm lieber als Vampirfilme zu sehen oder Vampirgeschichten zu lesen. Nur einem echten Vampir ist er noch nicht begegnet – denn die gibt es ja schließlich nicht. Oder etwa doch?

An einem Samstagabend ist Anton mal wieder allein zu Hause. Seine Eltern sind ausgegangen und Anton freut sich auf einen Gruselfilm im Fernsehen – als er plötzlich einen Schatten auf seinem Fensterbrett entdeckt. Anton glaubt seinen Augen nicht zu trauen, denn vor ihm sitzt ein leibhaftiger Vampir. Aber es ist kein Vampir wie aus seinen Büchern. Nein, der kleine Vampir ist selber noch ein Kind, wenn auch schon über 150 Jahre alt. Rüdiger von Schlotterstein heißt er, und anstatt Anton zu beißen, möchte er sich lieber mit ihm unterhalten. An diesem Abend schließt Anton die ungewöhnlichste Freundschaft, die er sich denken kann. Und das bleibt nicht ohne Folgen:

Zum einen gibt es da das Vampirgesetz, das es strengstens untersagt, mit Menschen freundschaftlichen Kontakt zu haben. Rüdiger muss also höllisch aufpassen, dass keiner der erwachsenen Vampire von ihrer Freundschaft erfährt. Doch schon bald lernt Anton weitere Mitglieder aus Rüdigers Familie kennen, die allesamt in einer unterirdischen Gruft auf dem städtischen Friedhof „leben“. Sein älterer Bruder Lumpi ist ein unheimlicher Zeitgenosse, ein launenhafter Teenager-Vampir, dem Anton lieber nicht alleine im Dunkeln begegnen will. Ganz anders steht es mit Rüdigers kleiner Schwester Anna, die noch keine Vampirzähne hat und statt Blut nur Milch trinkt. Scheu, freundlich und zugleich ausgesprochen mutig, wie sie ist, schließt Anton das Vampirmädchen sofort in sein Herz. Und umgekehrt verliebt sich Anna augenblicklich in Anton – und hilft ihm einige Male aus der Patsche. Denn Anton muss die Erfahrung machen, dass es alles andere als leicht ist, mit Vampiren befreundet zu sein …

Ein anderes Problem sind Antons Eltern, die nicht an Vampire glauben und das Hobby ihres Sohnes eher argwöhnisch betrachten. Irgendwann lassen sich die heimlichen Besuche seiner Freunde nicht mehr verbergen und sie bestehen darauf, Anna und Rüdiger kennen zu lernen. Natürlich hat Anton furchtbare Angst, dass sie bemerken, um wen es sich dabei wirklich handelt …

Und zu guter Letzt gibt es da noch den Friedhofswärter Geiermeier. Er glaubt nicht nur an Vampire, sondern er macht auch noch Jagd auf sie. Onkel Theodor fiel ihm einst zum Opfer und auch die restlichen Vampire will er finden, um ihnen den Garaus zu machen.

Trotz aller Turbulenzen und Gefahren ist diese Freundschaft für Anton das Beste, was ihm passieren konnte. Gemeinsam mit Rüdiger und seiner Schwester Anna stolpert er von einem Abenteuer ins nächste. Langeweile ist ab jetzt ein Fremdwort …

_Freundschaft mit Biss_

„Der kleine Vampir“ ist schon jetzt, fast dreißig Jahre nach Erscheinen des ersten Bandes, ein Klassiker der modernen Kinderbuchliteratur. Trotz des unheimlichen Themas sind die Geschichten um Anton und Rüdiger nicht zum Fürchten, sondern zeigen vielmehr auf liebevolle Weise, wie man trotz aller Hindernisse eine Freundschaft miteinander führt.

Darüber hinaus sind der Autorin mit den Gestalten des Rüdiger von Schlotterstein und seiner Schwester Anna zwei absolut Vampir-untypische Charaktere gelungen, an denen selbst ängstliche Kinder Gefallen finden werden. Obwohl er selber ein Geschöpf der Nacht ist, ist Rüdiger nämlich gar nicht so mutig, wie er sich vor allem Anton gegenüber immer gibt. Der kleine Vampir ist kein grausames Monster, sondern eigentlich selbst noch ein Kind, dem manchmal mulmig zumute ist. Sogar im Dunkeln fürchtet er sich sich ab und zu – sympathischer kann man einen Vampir kaum darstellen. Aber Rüdiger ist auch mit allerlei Ecken und Kanten ausgestattet und keine stereotype Heldenfigur. Im Gegenteil: Der kleine Vampir ist oft launisch und leicht eingeschnappt, er ist unzuverlässig und sorgt häufig durch seine Unachtsamkeit dafür, dass Anton in Schwierigkeiten kommt. Das ist kein Wunder, denn die Vampire leben in ständiger Gefahr und unter unwirtlichen Bedingungen; für Mitgefühl ist in ihrem Dasein nicht viel Platz, sodass Rüdiger daran gewöhnt ist, seinen Willen durchzusetzen. In der Freundschaft mit Anton erfährt er aber, dass er manchmal auch nachgeben und ebenfalls einen Teil dazu beitragen muss, damit das gute Verhältnis zwischen ihnen erhalten bleibt.

Seine Schwester Anna ist eine besonders süße Figur. Auch Anna ist leicht eingeschnappt, allerdings nicht aus Arroganz, sondern weil sie in Anton verliebt ist und sich jede Kritik sehr zu Herzen nimmt. Anton mag die kleine Anna außerordentlich gern, doch von Liebe mag er nicht reden. Was sich zwischen den beiden abspielt, spiegelt das typische Verhältnis von Kindern in dem Alter zueinander wider: Anton ist ein noch recht stoffeliger Junge, der mit Mädchen normalerweise nichts anfangen kann, während Anna sehr gefühlvoll ist und Schwärmereien entwickelt. Dass Anna jedoch anders ist als die Mädchen in seiner Klasse, beeindruckt Anton immer wieder. Sie ist nicht nur körperlich viel zäher und stärker, als sie aussieht, sie ist auch äußerst mutig und geht bereitwillig Risiken ein, um Anton oder auch ihren Bruder zu schützen.

Anton schließlich ist die ideale Identifikationsfigur für Kinder in seinem Alter. Er ist ein Einzelkind, dessen Eltern beide berufstätig sind und der sich daher viel mit seinem Hobby, den Vampiren, beschäftigt. Viele Kinder werden seine Begeisterung für alles Unheimliche nachvollziehen können, und der Gedanke, einen Vampir als Freund zu haben, ist verlockend und aufregend zugleich. Das gilt natürlich vor allem für das Fliegen mit dem Vampirumhang, das Anton bald schon fast so gut wie ein Vampir beherrscht. Seine neuen Freunde bringen bisher ungeahnte Spannung in sein Leben, machen es allerdings auch wesentlich komplizierter, denn es besteht ständig die Gefahr, dass Antons Eltern hinter die ungewöhnliche Freundschaft kommen. Rüdiger und Anna müssen ihn heimlich besuchen und auch Anton muss verbergen, dass er sich manche Nacht aus dem Fenster schleicht. Immer wieder bangt der Leser mit ihnen, ob jemand hinter ihr Geheimnis stößt, seien es nun die älteren Vampire oder Antons Eltern.

|Lerneffekt für Kinder|

Kinder werden durch die Bücher vom kleinen Vampir nicht nur sehr gut unterhalten, sondern lernen dabei auch noch auf spielerische Art, welche Probleme in Freundschaften auftauchen und wie man sie beseitigt, auch wenn man völlig unterschiedlich ist. Der Autorin gelingt auf unterschwellige Art ein Plädoyer für die Toleranz zur Andersartigkeit, ohne jemals mit dem erhobenen Zeigefinger zu agieren. Die Freundschaft zwischen dem Menschenkind und den Vampiren ist kein Selbstgänger, sondern erfordert Einsatz und Diplomatie. Antons Vorstellungen von Vampiren beschränken sich auf die Bücher und Filme, die er kennt, die aber natürlich nicht in allen Punkten die Realität treffen. Mehr als einmal gelangt er an einen Punkt, an dem er sich über Rüdiger ärgert, vor allem über seine Unzuverlässigkeit und darüber, dass der keine Vampir sich meistens dann aus dem Staub macht, wenn die Situation unangenehm wird. Einerseits liegt das an seinem Charakter, andererseits aber auch an seinen Lebensumständen, die gar nicht mit dem bequemen Leben von Anton zu vergleichen sind. In den Episoden mit Anna wird die erste Liebe thematisiert, zwar immer nur am Rande und so zuckersüß und harmlos, dass es für Grundschulkinder angemessen ist, aber dennoch lehrreich. Der unerfahrene Anton muss mit Eifersucht und Launenhaftigkeit seiner Vampirfreundin kämpfen, die stets befürchtet, dass er die Mädchen in seiner Klasse hübscher findet als sie – kein Wunder, denn auch wenn Anna für eine Vampirin sehr ansehnlich ist, trägt sie doch zerlumpte Kleidung und riecht streng nach Moder. Auch kann sie es nicht leiden, wenn sich Anton lieber mit Rüdiger trifft, zumal sie genau weiß, dass ihr Bruder sich nie so sehr um Anton bemüht wie sie.

Die Geschichte ist sehr flüssig und mit einfachen Worten geschrieben, ohne dabei in zu kindliche Sprache zu verfallen. So ist das Buch durchaus noch für ältere Leser als die primäre Zielgruppe im Grundschulalter interessant.

|Nur winzige Schwächen|

Mängel gibt es im Grunde keine. Hin und wieder kann man sich daran stören, dass Antons Eltern manchmal sehr naiv sind und es manchmal ein paar Zufälle zu viel sind, die ihm und seinen Vampirfreunden behilflich sind, denn die Ausreden, die Anton erfindet, sind meistens nicht sonderlich überzeugend. Es ist fraglich, ob reale Eltern sich so leicht hereinlegen lassen würden, wie es Herrn und Frau Bohnsack geschieht. Auch Anton selber ist ab und zu etwas begriffsstutzig und wirkt, von seiner Vampirleidenschaft abgesehen, etwas langweilig und bieder. Andererseits ist diese Variante sicher besser als ein strahlender Held ohne Kanten – und gerade dass Anton kaum gute Freunde besitzt, außer seinen Vampiren, macht ihn als Hauptfigur interessant. Etwas zu selbstverständlich wird gehandhabt, dass Antons Eltern fast jeden Samstag ausgehen. Obwohl Anton erst die vierte Klasse besucht, wird er ohne Aufsicht gelassen und kann sich später ganze Nächte davonschleichen, ohne dass seine Eltern davon erfahren.

_Fazit:_ Für Kinder ist es die perfekte Lektüre zur spannenden Unterhaltung und zum angenehmen Gruseln, ohne Alpträume befürchten zu müssen. Für Erwachsene besitzt der kleine Vampir Kultcharakter. Wer ihn als Kind gelesen hat, wird ihn immer wieder gerne zur Hand nehmen.

_Die Autorin_ Angela Sommer-Bodenburg wurde 1948 bei Hamburg geboren und lebt seit 1992 in Kalifornien. Bisher sind über 40 Bücher von ihr erschienen, darunter Romane, Kurzgeschichten, Gedichte und Bilderbücher. Ihre Werke wurden in 27 Sprachen übersetzt.

Weitere Gruselbücher von ihr neben der Reihe um den kleinen Vampir sind z. B. „Die Moorgeister“ und „Wenn du dich gruseln willst“. Eine weitere, sehr erfolgreiche Buchserie ist die Reihe um den sprechenden Bernhardiner „Schokolowski“.

http://www.angelasommer-bodenburg.com

Hammesfahr, Petra – Schatten, Der

Einst war Stella Helling eine glückliche Frau: Als Filmproduzentin feierte sie große Erfolge und mit dem Polizeikommissar Heiner heiratete sie ihre große Liebe. Doch wenige Jahre später wendet sich das Schicksal. Stella kommt nicht mit ihrer dominanten Schwiegermutter aus, die mit dem Ehepaar zusammenlebt, die Quoten sinken, ihre Sendungen werden der Reihe nach abgesetzt und Stella verfällt mehr und mehr dem Alkohol. Zu allem Überfluss kommt das ersehnte Kind schwerbehindert auf die Welt. Stella ist völlig überfordert und wird zum menschlichen Wrack. Ihr einziger Halt ist ihr Mann Heiner, dem es jedoch auch immer schwerer fällt, zu seiner Frau zu stehen.

Eines Nachts ist Heiner mal wieder im Dienst und Stella allein zuhause mit Schwiegermutter Therese und der kleinen Tochter Johanna. Im Fernsehen wird Stellas größter Erfolg wiederholt, „Der Schatten mit den Mörderaugen“. Mit viel Mühe versorgt Stella notdürftig ihr Kind und schläft wie so oft betrunken auf der Couch ein. Sie erwacht durch einen lauten Schrei und sieht die Schattengestalt aus dem Film vor sich. Am nächsten Morgen ist das Haus verwüstet, Therese wird erschlagen im Badezimmer aufgefunden und von dem Baby fehlt jede Spur.

Niemand will Stella glauben, dass der Schatten mit den leuchtend grünen Augen leibhaftig vor ihr stand. Stattdessen gerät sie in Verdacht, Therese und ihr Kind ermordet zu haben. Auch ihr Mann Heiner scheint Probleme zu haben, seiner Frau zu glauben. Kommissar Arno Klinkhammer stößt bei seinen Nachforschungen in Stellas Vergangenheit auf einige interessante Details und eine gemeinsame Bekannte. Gabi Lutz ist nicht nur seit Jahren mit Stella verfeindet, sondern lieferte auch die Romanvorlage für den Schatten-Film. Einige Leute sagen ihr übersinnliche Fähigkeiten nach, mit denen sie schon andere Menschen ruiniert haben soll. Hat sie Anteil an der Tragödie? Oder ist Stella tatsächlich die Täterin? Welche Rolle spielt ihr Mann Heiner in dem Drama? Wurde das Baby entführt oder ist es bereits tot? Klinkhammer steht vor einer Reihe von Rätseln, die weit in Stellas Vergangenheit zurückführen …

Eines kann man Petra Hammesfahr gewiss nicht vorwerfen, nämlich Vorhersehbarkeit der Handlung ihrer Romane. Die Autorin, die sich in Interviews gerne als „gemein“ bezeichnet, neigt dazu, fast jede ihrer Figuren als verdächtig erscheinen zu lassen und verschmäht auch keine offenen Enden, die den Leser grübeln lassen. Es gibt keine Garantie, dass die Hauptperson sich als unschuldig entpuppt, und jeder läuft Gefahr, im Verlauf der Handlung ebenfalls zu sterben.

|Verwirrung durch Zeitsprünge|

In diesen Merkmalen, die Hammesfahr von Durchschnittsthrillerautoren abheben, liegt jedoch auch die Schwäche, die auch diesen Roman kennzeichnet. Das Ausgangsszenario ist spannend und wirft viele Fragen auf, doch anstatt ein solides Grundgerüst zu errichten, verwirrend sich die Fäden im weiteren Verlauf immer mehr. Dabei besitzen die zahlreichen Rückblicke einen nicht unerheblichen Anteil. Immer wieder führen Kapitel zurück in Stellas Vergangenheit, zunächst in ihre frühe Kindheit, später in die Zeit ihrer Erfolge, ihres Kennenlernens mit Gaby und ihrer Ehe mit Heiner. Natürlich sind diese Stationen wichtig für die Entwicklung der Geschichte, aber es das Hin- und Herspringen reißt den Leser immer wieder aus dem Lesefluss heraus. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Rückblicke auch intensiv um Gabis Vergangenheit kümmern. Die kleingewachsene Frau mit dem Elvis-Faible und dem Hexenruf wird zu einer der wichtigsten Personen im Buch, die man als Leser recht intensiv kennen lernt. Allerdings ist auch ihre Vergangenheit kompliziert angelegt und es braucht eine gewisse Konzentration, um den notwendigen Überblick über alle Parallelen im Kopf zu behalten. Je weiter man in die Handlung vorstößt, desto tiefer verweben sich die einzelnen Schicksale miteinander. Kommissar Klinkhammer – übrigens in [„Die Mutter“ 1419 als Ermittler tätig -, Therese, Heiner, Gabi, Stella, Stellas Kollegen, sie alle gehören auf die eine oder andere Art zueinander, und dass diese Verhältnisse oft zwiespältiger Natur sind, macht es nicht einfacher.

Schwierigkeiten bringen auch die mitunter zu ausführlichen Schilderungen mit sich. Wenn die Polizeibeamten versuchen, den Tathergang in Stellas Haus zu rekonstruieren, ziehen sich diese Überlegungen schon mal über mehrere Seiten, in denen es fast nur um Fuß- und Fingerabdrücke, Spurensuche und zeitliche Abfolgen geht. Diese Gedankengänge mögen der Autorin authentisch gelungen sein, passen aber eher in einen Polizeibericht als in einen Roman, wo sie auf Dauer ermüden und einen Spannungsabfall verursachen.

|Licht und Schatten bei den Charakteren|

Auf der Habenseite stehen ein interessanter Ausgangspunkt mit der nötigen Dramatik, schließlich kommen genug Verdächtige für den Mord in Frage und lange Zeit ahnt man nicht, was mit dem verschwundenen Baby geschehen ist. Die Zeit drängt, als sich herausstellt, dass entgegen der Theorie, dass Therese das Kind vor ihrem Tod bei jemandem unterbrachte, sich niemand aus dem Verwandten- und Bekanntenkreis meldet und man über einen weiteren Mord oder eine Entführung spekulieren muss. Zugute halten muss man Petra Hammesfahr die psychologische Tiefe, die sie in den Roman einbringt. Keiner der Charaktere handelt willkürlich, sie alle haben ihre Traumata erlebt, die sie zu ihren Handlungen treiben. Stellas Wandlung von der ehrgeizigen Karrierefrau kommt schleichend, aber nachvollziehbar und ist bereits in ihrem familiären Hintergrund angelegt. Heiner vermittelt ihr Rückhalt und repräsentiert als Polizeikommissar besondere Stärke und Souveränität, gleichzeitig aber wird er von Therese bemuttert und lebt noch als verheirateter Familienvater mit ihr unter einem Dach. Auch die resolute und als Gemeindeschwester sich aufopfernd engagierende Therese ist keine eindimensionale Figur, sondern offenbart eine leichtlebige Einstellung zu Männern, die sie später noch einholen wird. Ebenfalls lange Zeit unklar bleibt, wie man Gabi einzuschätzen hat. Das zierliche Persönchen mit dem frechen Auftreten, dem enormen Arbeitspensum, einem schweren persönlichen Verlust, der zu einem Selbstmordversuch führte, und den angeblich telekinetischen Fähigkeiten ist ebenfalls eine vielschichtige Figur, die man gleichzeitig als unsympathisch und beeindruckend zielstrebig erlebt. Auf der Strecke geblieben ist leider die Sympathie für Stella, für die man zwar gegen Ende ein gewisses Mitleid empfindet, aber zu wenig und zu spät, als dass man intensiv um sie bangen und fiebern würde. Wie üblich entpuppt sich ein scheinbares Dorfidyll als Wespennest. Hammesfahr desillusioniert und das offenbar mit Vergnügen. Nichts ist, wie es scheint, und das wäre gut so, wenn sie es nicht mit den nebulösen Verwirrungstaktiken übertrieben hätte.

Positiv ist dagegen, dass sie sich mit den offenen Fragen diesmal angenehm zurückgehalten hat. Zwar bleibt ein wenig Raum für Spekulationen, aber das Ende befriedigt, wird sogar mehr erläutert als notwendig und das abschließende Grübeln, das man von anderen Werken kennt, bleibt aus.

_Zum Schluss_ kommt man leider zum Fazit, dass „Der Schatten“ kein Highlight unter den Hammesfahr-Romanen ist, trotz des eigentlich Spannung verheißenden Themas. Die Hauptfigur erweckt zu wenig Mitgefühl, die Zeitsprünge und vielen falschen Fährten verwirren und entnerven den Leser, bestimmte Szenen werden unnötig in die Länge gezogen. Erfreulich ist, dass nicht so viele offene Fragen wie bei anderen Werken der Autorin bleiben und sie sich wie üblich um psychologische Tiefe und Vielschichtigkeit bemüht.

_Petra Hammesfahr_ wurde 1951 geboren. Bereits mit 17 Jahren begann sie zu schreiben, doch anstatt zu veröffentlichen, arbeitete sie zunächst als Einzelhandelskauffrau. 1991 erschien ihr erster Roman, weitere Kriminalromane folgten. Ab Mitte der Neunziger schrieb sie u. a. auch Drehbücher fürs Fernsehen. Weitere Werke sind u. a.: „Das Geheimnis der Puppe“ (1991), „Merkels Tochter“ (1993), „Der stille Herr Genardy“ (1993), „Die Sünderin“ (1999), „Der Puppengräber“ (1999), „Die Mutter“ (2000), „Lukkas Erbe“ (2000), „Meineid“ (2001), „Das letzte Opfer“ (2002) und [„Die Lüge“ 2278 (2003).

Geagley, Brad – Jahr der Hyänen, Das

Ägypten im 12. Jahrhundert v. Chr., zur Zeit von Ramses III: Die Einwohner Thebens feiern das Osiris-Fest, bei dem sie den Verstorbenen gedenken. Die alte und nahezu blinde Priesterin Hetephras wird auf dem Weg zum Tempel ermordet, ein kleiner Junge entdeckt die Leiche bald darauf im Schilf. Eine tote Priesterin verheißt Unglück und das Verbrechen soll daher so schnell wie möglich geklärt werden, zumal die Verstorbene in enger Bindung zur Königin stand. Dabei stellen sich jedoch Probleme in den Weg: Theben wird in Osten und Westen von zwei verschiedenen Bürgermeistern, Paser und Pawero, regiert; die Tote gehörte dem einen Bezirk an, wurde jedoch im anderen gefunden. Die Feindschaft der Regierenden sorgt für zusätzliche Spannungen, jeder der beiden beansprucht den Fall für sich.

Überraschend erhält der Detektiv Semerchet den Auftrag, den Mord zu klären. Semerchet ist zwar ein scharfsinniger Ermittler, doch sein Ruf dagegen miserabel. Erst vor kurzem wurde er von seiner Frau Naia verlassen, die obendrein ein Kind von einem anderen Mann erwartet. Seitdem ist Semerchet, der zu cholerischen Anfällen neigt, dem Alkohol verfallen – doch dieser hochbrisante Fall weckt wieder den Lebenswillen in ihm.

Mit der Unterstützung seines Bruders Nenri, Oberster Schreiber des Bürgermeisters Paser, der ihn dem Großwesir als Ermittler empfahl, stürzt sich Semerchet auf seine Aufgabe, die sich als äußerst knifflig erweist. Er ahnt sehr bald, dass der Mord größere Bedeutung hat als zunächst angenommen – und dass er den Auftrag gerade wegen seiner Trunkenheit erhielt, in der Hoffnung, keinen Erfolg zu haben. Semerchet fühlt sich herausgefordert und entsagt dem Alkohol. Die Dorfbewohner verweigern die Mitarbeit, mysteriöse Reichtümer tauchen auf und die Grabwächter leiden seit geraumer Zeit an einer unerklärlichen Müdigkeit und Albträumen. Semerchet wird klar, dass alle Vorkommnisse zusammengehören. Mehr noch: Der Mordfall ist Teil einer viel größeren Verschwörung, die sich gegen Pharao Ramses III richtet und Semerchet in höchste Gefahr bringt …

An Detektivromanen herrscht kein Mangel auf dem Buchmarkt. Aus aller Herren Länder treten die Privatermittler hervor und auch Historienkrimis sind nichts Neues, man denke beispielsweise an die Serienhelden von Paul Harding oder Ellis Peters, die im mittelalterlichen England ihre Fälle aufklären. Das Ägypten zur Zeit der Pharaonen ist jedoch ein orgineller Schauplatz, sodass selbst eingefleischte Krimifans hier auf abwechslungsreiche Kosten kommen.

|Hardboiled-Detektiv im Lendenschurz|

Im Zentrum steht die Gestalt des ungewöhnlichen Detektivs Semerchet, eigentlich eher ein Antiheld mit seinem Hang zum Alkoholismus und seiner oft unleidlichen, sturen Art. Die Handlung spielt zwar vor tausenden von Jahren, doch Semerchet verkörpert ein menschliches Schicksal, das sich genauso gut zur heutigen Zeit ereignen könnte. Der Leser lernt ihn während eines verzweifelten Versuches kennen, seine Ex-Frau zurückzugewinnen. In seiner Not schwört er ihr, von nun abstinent zu leben, was die traurige Naia nicht mehr ernst nehmen kann, woraufhin er sie kurzzeitig sogar mit einem Messer bedroht. Mit seiner kaputten Psyche erinnert Semerchet nicht selten an die Protagonisten der Hardboiled-Schule, nur dass sein Revier nicht in der verregenten Großstadt, sondern am sonnigen Nil liegt und er statt staubigem Trenchcoat einen Lendenschurz trägt.

|Humor und Faktentreue|

Sehr positiv fällt auf, dass sich das Buch als ausgewogene Mischung zwischen Historienroman und Krimi präsentiert. Autor Brad Geagly ist ein Experte auf seinem Gebiet, nicht zuletzt durch seinen Einsatz als zentraler Berater beim Hollywood-Klassiker „Cleopatra“ mit Liz Taylor in der Titelrolle. Auch wenn der Roman ins Reich der Fiktion gehört, stützt sich die Handlung auf historische Fakten, nämlich auf die ältesten bekannten Gerichtsakten und nicht nur Pharao Ramses III. – der tatsächlich beinahe einer Verschwörung zum Opfer fiel -, sondern auch weitere Figuren wie sein Großwesir To beruhen auf realen Personen. Ägyptenkenner werden sich am Detailwissen des Autors erfreuen, der viele historische Fakten einfließen lässt, angenehmerweise ohne dabei je trocken zu werden oder ins Dozieren zu verfallen. Im Gegenteil gelingt es ihm sogar, dem Roman einen humorvollen Unterton zur Seite zu stellen, etwa wenn der wütende To mit Wendungen wie „Bei den Eiern des Horus“ um sich wirft oder der volltrunkene Semerchet in den Lotusteich seiner entsetzten Schwägerin uriniert, woraufhin alle Fische das Zeitliche segnen.

|Kleine Schwächen|

Wenn man vom Schauplatz der Geschichte absieht, ist der Aufbau der Handlung allerdings sehr konventionell geraten. Wie in zahlreichen anderen Krimis auch wird hier das beliebte Schema verwendet, in dem sich ein anfangs nebensächlich erscheinender Mord zu einer gewaltigen Verschwörung ausweitet und ein unscheinbarer Ermittler, dem niemand viel zuzutrauen scheint, letztlich einen großen Erfolg landet. Auch dass höchste Regierungskreise in das Verbrechen verwickelt sind, ist eine altbewährte Idee, inklusive der Korruption und der Beteiligung von Charakteren, die im Privatleben des Ermittlers eine Rolle spielen – wie in diesem Fall seine Ex-Frau Naia, deren neuer Mann Nacht keine unwichtige Figur in der Angelegenheit ist.

Und auch wenn der Autor eine kurze Einleitung in die geschichtlichen Umstände liefert, können Leser, denen das pharaonenregierte Ägypten kein gewohntes Terrain ist, vom Detailreichtum zeitweise überfordert werden. Das Buch besitzt zwar eine doppelseitige Landkarte, in der die wichtigsten Orte verzeichnet sind, aber es fehlt dringend an einem Glossar mit Namens- und Worterklärungsverzeichnis. Allein die Personennamen können am Anfang verwirren, schließlich klingen „Naia“, „Nenri“ und „Nacht“ nicht unähnlich, zumal es nicht leicht ist, den ungewohnten Namen auf Anhieb einen weiblichen oder männlichen Träger zuzuordnen. Ebenso verhält es sich mit ägytptischen Bezeichnungen, die nicht unbedingt jedem Leser geläufig sind, vor allem Götternamen, die sicher jeder schonmal gehört hat, aber bei denen es möglicherweise am Hintergrundwissen hapert. Von diesen kleinen Mängeln abgesehen, ist Geagley jedoch ein unterhaltsamer Roman gelungen, dem zu wünschen ist, dass ihm noch einige Nachfolgebände folgen – der zweite Krimi um Semerchet ist in den USA bereits erschienen.

_Fazit:_ Ein Krimi aus dem alten Ägypten mit einem Antihelden als Privatdetektiv, der mit einem scheinbar unwichtigen Mord beginnt und in eine große Verschwörung mündet, die bis in die Kreise des Pharaos reicht. Die Handlung ist eher konventionell gehalten, der Schauplatz dagegen originell und fundiert aufbereitet, sodass vor allem Historienfans auf ihre Kosten kommen. Für weniger geschichtsversierte Leser fehlt leider ein Glossar mit den wichtigsten Begriffen, das die Lektüre erleichtern würde.

_Der Autor_ Brad Geagley ist seit vielen Jahren ein Experte für das Alte Ägypten und zugleich als Produzent und Drehbuchautor in Hollywood tätig. „Das Jahr der Hyänen“ ist sein erster Roman, der Nachfolger „Day of the false king“ ist in den USA bereits erschienen. Heute lebt er in Palm Springs, Kalifornien.
Mehr Informationen über den Autor und seine Werke findet man auf seiner Homepage: http://www.yearofthehyenas.com/

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Dunant, Sarah – Zeichen der Venus, Das

Florenz zum Ende des 15. Jahrhunderts, zur Zeit der Herrschaft der Medici: Die fünfzehnjährige Alessandra ist die Tochter eines reichen Tuchhändlers. Obwohl sie langsam zu einer jungen Frau heranwächst, benimmt sich Alessandra eher wie ein Junge. Das schlacksige Mädchen interessiert sich nicht für Männer, Bälle oder Kleider. Ihre große Leidenschaft gilt der Malerei. Zu gerne würde sie ihr Können verbessern, doch für eine Frau in dieser Zeit gibt es keine Chancen dafür. Während ihre ältere Schwester heiratet und bald ein Kind erwartet, sucht Alessandra nach jeder Gelegenheit, um sich heimlich neue Farben zum Üben zu besorgen.

Umso aufregender ist für das Mädchen, dass ihr Vater einen jungen Maler mit nach Hause bringt. Seine Aufgabe ist es, die Hauskapelle ihres Palazzos auszumalen. Alessandra erhofft sich, in dem hochbegabten Künstlern einen Lehrmeister zu finden und schleicht sich immer wieder zu seiner Behausung. Doch zu ihrer Enttäuschung verhält sich der junge Mann abweisend und reserviert. Zur gleichen Zeit gerät Florenz durch den Tod von Lorenzo de Medici in Aufruhr. Der erzkonservative Prediger Girolamo Savonarola prangert öffentlich den Verfall der Gesellschaft an. Die Medici werden aus der Stadt vertrieben und der französische König Karl VIII. hält Einzug.

Die florentinischen Bürger fürchten die strengen Gesetze, junge Frauen werden in aller Eile verheiratet oder ins KLoster gebracht. Auch Alessandra wird zu einer Hochzeit gedrängt. Ihr Gemahl ist der deutlich ältere Christoforos, ein undurchsichtiger, aber gelehrter Mann, der ihren Sinn für Kunst und Philosophie teilt. Noch ahnt Alessandra nicht, dass ihr Mann ein dunkles Geheimnis birgt, das sie beide bald in große Gefahr bringen wird. In all diesen Wirrungen kreuzt der geheimnisvolle Maler immer wieder ihren Weg. Wohin verschwindet er jede Nacht, warum benimmt er sich so abweisend? Was verbindet ihn mit den grausam ausgeweideten Leichen, die man in regelmäßigen Abständen in den Straßen findet? Alessandra sieht einem ungewissen Schicksal in einer unruhigen Zeit entgegen …

Das Florenz der Medici ist ein Paradeschauplatz für spannende Historienromane. Prunk und Grausamkeit, vollendete Kunstwerke und unmenschlicher Terror fließen zusammen an einem Ort. Vor diesem Hintergrund kreiert die Autorin ihren ersten historischen Roman, der trotz mancher Schwäche gut unterhält.

|Bunte Mischung an Charakteren|

Im Zentrum steht eindeutig die Ich-Erzählerin Alessandra. Zu Beginn ihres Berichtes ist sie knapp fünfzehn Jahre alt, die unbedarfte Tochter eines Tuchhändlers, die entweder im falschen Körper oder zur falschen Zeit geboren wurde, da ihre Interessen deutlich mehr in die männliche Richtung weisen. Malerei ist ihre Leidenschaft; für Kosmetik oder andere weibliche Gebiete fehlt ihr der Sinn. Als Kind wie als heranwachsende Frau kennzeichnen sie Ehrlichkeit und Offenheit sowie eine scharfe Intelligenz, die man von ihren Geschlechtsgenossinnen nicht gewohnt ist. Es ist nicht schwer, in Alessandra eine Sympathiefigur zu sehen, der man gerne Erfolg auf ihrem Lebensweg wünscht und deren Schicksal uns im weiteren Verlauf immer stärker berührt.

Auch andere Charaktere sind anschaulich und gelungen dargestellt; angefangen bei ihrer schwarzen Sklavin Erila, die für Alessandra eine enge Freundin und mütterliche Beschützerin bedeutet und die mit ihrer lockeren Zunge gerne für humorvolle Szenen sorgt; ihre älteren Brüder Luca und Tomaso, die ihr beide übel mitspielen, jeder auf seine Art – Luca als religiöser Eiferer und Tomaso als leichtlebiger Opportunist, der Alessandra später noch viel größeren Kummer bereiten wird, als sie je geahnt hätte; ihre ältere Schwester Plautilla, eine mollige, frauliche und familienorientierte junge Dame, die sich trotz gegenteiliger Einstellungen gut mit Alessandra versteht; der geheimnisvolle Maler, bei man lange Zeit nicht weiß, wie man ihn einzuordnen hat, und nicht zuletzt Alessandras Ehemann Christoforo, der mal ein sympathisches Wesen und mal Zwielichtigkeit ausstrahlt.

|Spannung auf mehreren Ebenen|

Dass die Autorin urspünglich als Kriminalschriftstellerin aktiv war, merkt man daran, dass eine durchgehende Spannung den Roman durchzieht. Gleich in mehrfacher Hinsicht wird der Leser gefesselt und verfolgt gebannt die Entwicklungen, die zudem nicht vorhersehbar sind:

Da ist zunächst natürlich Alessandras Zukunft als Ehefrau. Ihre Heirat geschieht aus purer Not und nicht aus Liebe, ihr Gemahl ist ein Fremder von fast fünfzig Jahren, über den selbst die Familie nur wenig zu berichten weiß, und bis auf die gemeinsame Liebe zur Kunst erkennt Alessandra keine Gemeinsamkeiten. Zwar ist die junge Frau einerseits erleichtert, dass ihr kein Leben im Kloster blüht, da sie um keinen Preis auf ihre Freiheit verzichten will. Doch vor allem ist sie unsicher und verängstigt, was sie in ihrer Ehe erwarten wird.

Alessandra ist komplett unwissend über Männer und die Aufgaben einer Ehefrau; eben noch ein burschikoses Kind, das die Eltern oft zur Verzweiflung brachte, muss sie nun einen Haushalt führen und einem älteren Mann eine treusorgende Ehefrau sein. Doch schon kurz nach der Hochzeit stellt sich heraus, welches dunkle Geheimnis ihr Mann gehütet hat. Für Alessandra ist es nicht nur in persönlicher Hinsicht schwer, mit dieser neuen Erfahrung umzugehen, sondern sie hat auch berechtigte Angst, dass dieses Geheimnis ihre Zukunft gefährdet in jener Zeit, in der die Gesetzeslage hart und unerbittlich ist.

Lange Zeit im Unklaren wird man auch über ihr Verhältnis zum schweigsamen Maler gelassen. Mal schwebt Sympathie zwischen ihnen, mal ist Alessandra voller Bewunderung für sein Können, doch die meiste Zeit über zieht er sich zurück, und ebensowenig wie Alessandra vermag der Leser seinen Charakter einzuschätzen. Im späteren Verlauf verfällt er in eine Krankheit, er verweigert die Nahrung und verletzt seine kostbaren Hände, und erst zu diesem Zeitpunkt gelingt es Alessandra, sein Schutzschild zu durchbrechen und zu seinem wahren Wesen durchzudringen. Obwohl sie ihn oft für Monate nicht zu Gesicht bekommt, streift er als verwandte Künstlerseele in ihren Gedanken umher.

Zur gleichen Zeit sorgen die unheimlichen Morde in der Stadt für Unruhe, und Alessandra hat zu ihrem Entsetzen Grund zur Annahme, dass ihr verehrter Künstler in diese Ereignisse verwickelt ist. Auch hier darf man gespannt sein, welche Rolle er in diesen grausamen Entwicklungen spielt. Eine durchgängige Spannung besteht außerdem durch die äußeren Einflüsse. Alessandra lebt in einer Zeit des Umbruchs, in der niemand weiß, wer ihre Stadt am nächsten Tag regiert und welche neuen Gesetze erlassen werden. Sowohl in privater als auch in politischer Hinsicht lastet schwerer Druck auf der jungen Frau, die sich ein ums andere Mal gegen widrigste Umstände bewähren muss.

|Kleine Mankos|

Zu den Schwächen des Buches gehört die mangelnde Erfahrung der Autorin mit historischen Romanen. Obwohl die schillernde Gegensätzlichkeit des damaligen Florenz gut eingefangen wird, fehlt es an tiefer gehenden Informationen zur Geschichte. Gegen Ende werden die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse ausführlicher geschildert, doch zu Beginn des Romans herrscht in dieser Hinsicht Mangelware vor. Wer nie zuvor ein Werk aus dieser Zeit gelesen oder sich mit den Hintergründen befasst hat, dürfte leicht überfordert werden von den Namen, die beim Leser vorausgesetzt werden. Verschiedene Vertreter der Medici-Familie, die Enstehung und Entwicklung der italienischen Kriege, die Hetzpredigten des Dominikanermönches Savonarola und seine Auseindersetzungen mit Papst Alexander VI. werden zu Beginn kaum erläutert, was es unter Umständen ein wenig schwer macht, sich ganz auf diese Epoche einzulassen.

Ein kleines Manko liegt auch in Alessandras Persönlichkeit. Zwar ist sie eindeutig eine sympathische Protagonistin, doch dafür wenig originell gezeichnet. Nur zu gerne verwenden Autoren in Historienromanen kluge und eher unweibliche Frauen als Hauptfiguren, die durch ihre männlichen Interessen in einer frauenfeindlichen Zeit diskriminiert werden und sich mühsam durchsetzen müssen. Glücklicherweise verfällt Sarah Dunant nicht in das Klischee, ihre Protagonistin als Mann zu verkleiden, aber auch die Figur der intellektuellen und jungenhaften Frau, die sich mehr auf ihre Griechischkenntnisse als auf Schönheitspflege konzentriert, kennt man aus zahlreichen anderen Romanen dieser Art. Ein wenig schade ist zudem, dass die eingeflochteten Serienmorde nicht so wichtig für die Handlung sind, wie es zeitweise suggeriert wird – auf keinen Fall darf der Leser nach der Erwähnung der ersten Morde auf eine kriminalistische Nebenhandlung warten, sonst wird er höchstwahrscheinlich enttäuscht.

_Insgesamt_ bietet sich hier vor allem weiblichen Lesern ein interessantes Porträt einer mutigen jungen Frau, die sich in einer gefährlichen Zeit bewähren muss, vor dem schillernden Hintergrund des Florenz der Renaissance. Trotz kleiner Schwächen, vor allem in Bezug auf die zu spärlichen Informationen zur Historie, eignet sich der Roman für unterhaltsamen und spannenden Lesegenuss.

_Die Autorin_ Sarah Dunant wurde 1950 in London geboren. Neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit war sie auch als Journalistin aktiv. Bisher verfasste sie Kriminalromane, seit kurzem auch Historienromane. Werke von ihr sind u. a.: „Der Baby-Pakt“, „Mit Haut und Haaren“, „Nachts sind alle Katzen grau“ und „Als Anna verschwand“.

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Kaes, Wolfgang – Herbstjagd

Martina Hahne, alleinerziehende Mutter von zwei Teenagern, hat kein Glück mit Männern. Nach der Geburt ihrer Tochter verlässt sie ihr Mann, auch alle weiteren Beziehungsversuche enden in einer Enttäuschung. Tochter Jasmin will um jeden Preis Model werden, der ältere Boris rebelliert, die harte Arbeit im Supermarkt reibt die gestresste Mutter auf. Da gibt ihr eine Kollegin den Tipp, sich per Internet eine Bekanntschaft zu suchen. Auf diesem Weg lernt sie Mario kennen, einen reichen Kölner Unternehmer, der sie mit Komplimenten und Aufmerksamkeiten überschüttet. Die ersten Treffen verlaufen zaghaft, erst nach und nach werden sie intim miteinander. Dabei verlangt Mario von Martina so genannte „Liebesbeweise“, die immer demütigender für sie werden. Martinas Liebe verwandelt sich in Angst. Als es ihr zu viel wird, trennt sie sich per E-Mail von ihrem einstigen Traummann. Mario verkraftet das Aus nicht und stellt ihr mit Anrufen und drohenden E-Mails nach.

An einem regnerischen Septembertag verschwindet Martinas Tochter Jasmin. Die Fünfzehnjährige kehrt nicht von der Schule heim. Gegen Mitternacht verständigt Martina die Polizei. Zur gleichen Zeit wird auch die vierzehnjährige Anna vermisst gemeldet. Anna stammt aus gutem Haus und kennt Jasmin nicht, doch bei beiden lässt der Täter den Eltern ein Foto der Mädchen zukommen, aufgenommen nach ihrer Entführung. Anhand eines der Bilder gelingt es der Polizei, die beiden Mädchen in einem Naturschutzgebiet zu finden – aber nur eines von ihnen lebt noch.

Der rauhe Bonner Hauptkommissar Jo Morian und seine junge, burschikose Kollegin Antonia Dix übernehmen den Fall. Obwohl sie in alle Richtungen ermitteln, steht der mysteriöse „Mario“ auf ihrer Verdächtigenliste ganz oben. Doch die Nachforschungen erweisen sich als problematisch. Zeugenaussagen ergeben zwei völlig unterschiedliche Phantombilder von „Mario“ und dem Entführer, wichtige Spuren wurden verwischt und einige Polizeimitarbeiter halten die Stalking-Theorie für unglaubwürdig. Auch persönlicher Druck lastet auf dem Duo – Antonia Dix wird wegen ihrer Unerfahrenheit längst nicht von allen Kollegen respektiert. Morian dagegen fühlt sich gegen seinen Willen zu Annas Lehrerin Dagmar, selbst ein Stalking-Opfer von „Mario“, hingezogen. Für die Ermittler beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, denn niemand weiß, wann der Täter wieder zuschlägt …

Nach „Todfreunde“ und „Die Kette“ bekommen die Leser nun einen dritten Fall von Kommissar Morian präsentiert, der sich nach Kindesmissbrauch und Terror mit dem Thema Stalking befasst. Auch hier beweist der Autor wieder einmal sein Gespür für brisante Themen und liefert einen äußerst spannenden und gelungenen Thriller ab.

|Charakterstarkes Ermittler-Duo|

Serienermittler gibt es in der Krimi- und Thrillerwelt mittlerweile wie Sand am Meer. Schwer genug für einen Autoren, einen Ermittler zu erschaffen, der sich von seinen zahlreichen Kollegen, heißen sie nun Wallander, Cross, Wexford oder Pitt, abhebt und dem Leser einprägt. Mit der Figur des Kommissar Josef Morian ist ihm so ein Charakter gelungen. Dabei ist Morian, wie ihn fast alle Kollegen nennen, eigentlich ein Durchschnittstyp und gewiss nicht fehlerlos, was ihn aber gerade so sympathisch macht. Der ehemalige Amateurboxer hat mittlerweile an Gewicht zugelegt, lebt nach seiner Scheidung alleine, hat zu wenig Zeit für seine beiden Kinder, schweigt mehr als dass er redet und ist bekannt für das Vertrauen, das er gegenüber Zeugen ausstrahlt. Morian ist kein makelloser Superman, der jedes Verbrechen im Handumdrehen löst, doch er ist ein zuverlässiger Kollege, der mit viel Herzblut an seinen Fällen arbeitet und in seiner aufreibenden Arbeit seine Berufung gefunden hat. Kollegin Antonia Dix bietet den perfekten Gegenpol. Erfreulicherweise bilden die beiden kein Liebespaar, sondern stehen vielmehr in einer Art leicht distanziertem Vater-Tochter-Verhältnis zueinander. Antonia ist knapp dreißig, verbirgt ihre rassige Schönheit hinter einem raspelkurzen Haarschnitt und burschikosen Auftreten inklusive stämmiger Kickboxerin-Figur und Militär-Jacke. Morian schätzt die scharfsinnige und ehrgeizige Ermittlerin und verspürt des Öfteren einen Beschützerinstinkt in ihrer Nähe. Ganz anders sieht es dagegen Oberstaatsanwalt Arentz, der, wie auch einige der Polizeimitarbeiter, der Jugend und der Unerfahrenheit von Antonia skeptisch gegenübersteht. Vor allem Arentz nutzt jede Gelegenheit, um die junge Frau zu diskriminieren und ihr offen zu widersprechen. Bei den Ermittlungen lastet nicht nur der Druck der Öffentlichkeit auf Antonia, sondern der Fall weitet sich für sie zu einer Bewährungsprobe aus. Gerade unter diesem Druck unterlaufen der sonst so gefassten Kriminalbeamtin kleine Schnitzer, die sie noch verletztlicher und menschlicher wirken lassen. Auch das Privatleben der beiden wird gestreift, angenehmerweise aber nie zum Hauptthema erhoben. Antonia ist einsamer Single, Morian wehrt sich gegen seine Gefühle für die Zeugin Dagmar Losem; beide haben mit ihren privaten Empfindungen zu kämpfen, doch im Fokus steht zu jeder Zeit die Jagd nach dem psychopathischen Stalker.

Unterstützung erhält Morian dabei wie schon in den vorherigen Bänden von seinem Freund Max Maifeld, einem ehemaligen Journalisten, der nach den Rachedrohungen eines Schwerkriminellen in Köln-Mülheim untergetaucht ist und nun als Detektiv schwierige Fälle übernimmt. Mit dabei ist der durchtrainierte Schwarzamerikaner Hurl, Max Maifelds Partner, der nicht viele Worte verliert, dafür aber mit bestechender Verlässlichkeit selbst gefährlichste Einsätze übernimmt. Morian, Antonia, Max und Hurl bilden ein buntes Quartett, das sich trotz oder gerade wegen seiner Gegensätzlichkeit als ein nahezu unschlagbares Team präsentiert. Hin und wieder gibt es trotz aller Aufregung und der Ernsthaftigkeit des Themas bei Max und Hurl sogar amüsante Erlebnisse – denn obwohl sie die perfekte Zusammenarbeit liefern, ist vor allem Max zeitweise genervt von den unterschiedlichen Lebensvorstellungen innerhalb der Zwangs-WG.

|Spannung und Dramatik bis zum Schluss|

Über 500 Seiten umfasst der Schmöker, doch beachtlicherweise wird der Spannungsfaktor von der ersten bis zur letzten Seite konstant hochgehalten. Viele Fragen warten auf die Beantwortung: Werden sie dem Internet-Stalker das Handwerk legen? Wird es bis dahin noch weitere Opfer geben? Wer ist der Informant, der die Presse immer wieder mit vertraulichen Polizei-Interna über den Fall versorgt? Glaubwürdig werden Höhen und Tiefen der Ermittlungsarbeit aufgezeigt. Morian und seine Helfer verzeichnen wichtige Erfolge, die sie dem Täter näher bringen, doch es gibt auch zahlreiche Rückschläge – entweder, weil Fehler passieren oder weil „Mario“ ihnen intellektuell gewachsen ist. Positiv ist zudem, dass der Autor sich nicht scheut, Charaktere sterben zu lassen oder lieb gewonnenen Figuren Enttäuschungen geschehen zu lassen. Bereits vor den letzten Seiten ahnt man, dass den Leser hier kein geschöntes Hollywood-Ende erwartet, sondern dass Wolfgang Kaes es durchaus wagt, auch hier konsequent zu sein und die harte Realität einfließen zu lassen, in der nicht alle Konflikte eine ideale Lösung erfahren. Bis zum Schluss heißt es bangen um die Protagonisten und die Nebencharaktere – und hoffen, aber nicht wissen, dass die Gerechtigkeit siegen wird.

Den ganzen Roman über ist offensichtlich, dass der Autor lange Jahre als Polizei- und Gerichtsreporter tätig war. Detailgenau und immer verständlich bringt er Einblicke in die Ermittlungsarbeit, sodass man spürt, dass hier ein Experte über Dinge schreibt, die er selber erlebt hat, nicht bloß über angelesenes Bücherwissen. Gleiches gilt für das ausgeprägte Lokalkolorit. Bewohner des Köln-Bonner Raums werden nicht nur zentralen Örtlichkeiten, die auch flüchtige Besucher der Gegenden kennen, begegnen, sondern auch unscheinbaren Straßen und Ecken, die zeigen, dass hier ein Einheimischer seine Kenntnisse spielen lässt.

|Nur kleine Mankos|

Schwächen besitzt dieser Roman nur wenige. Eine davon liegt in der Fülle von Handlungssträngen, die das Werk äußerst komplex machen. Die Schauplätze wechseln häufig; am meisten steht natürlich Morian im Zentrum, aber es wird auch zu Antonia, zu Max und Hurl, zu Stalking-Opfer und Zeugin Dagmar Losem sowie auch zum Täter selbst übergeblendet. Bei manchen Absätzen muss man sich erst ein paar Sätze lang einlesen, ehe man weiß, in welchem Handlungsstrang man sich gerade befindet. Die vielen Schicksale, darunter natürlich auch die der Familien der Opfer, bilden ein miteinander verbundenes Netzwerk. Zum Schluss laufen tatsächlich alle Fände zusammen – doch bis dahin ist es zeitweise mühsam, den Überblick zu behalten, wer in welcher Form mit dem anderen verbunden ist. Auch der Zufall wird hier manches Mal zu oft bemüht. Ein paar der Verbindungen sind nicht naturgegeben, sondern entstehen durch unvorhersehbare Ereignisse, die dafür sorgen, dass sich die Wege mancher Personen kreuzen. Das macht es Morian und seinem Team mehrmals zu einfach, eine Spur zu verfolgen. Während in der ersten Hälfte viele Untersuchungen im Sande verlaufen und die Jagd nach „Mario“ phasenweise fast aussichtslos erscheint, fallen vor allem im letzten Drittel den Ermittlern einige Erkenntnisse durch Zufälle oder Dummheit der Täter in die Hände.

Nicht abschrecken lassen darf man sich vom Stil, der einem auf der ersten Seite entgegenspringt: In der hektischen Erzählweise der erlebten Rede, sogar bis hin zu Anklängen an den Bewusstseinsstrom, werden hier stakkatoartige Sätze verwendet, die oft nur aus einem Wort und aus inhaltlichen Gedankensprüngen bestehen. Allerdings zeigt sich bald, dass dieser Stil nur bei „Marios“ Perspektive zum Einsatz kommt und selbst dort nie mehr so penetrant wie auf der ersten Seite. Zwar durchzieht gründsätzlich ein nüchterner Stil mit kurzen Sätzen den Roman, der sich aber flüssig lesen lässt.

_Unterm Strich_ bleibt ein hochspannender Thriller über das brisante Thema „Stalking“, das durch ein sympathisch-interessantes Ermittlerduo, überraschende Wendungen und Dramatik bis zum ungewissen Ende besticht.

_Der Autor_ Wolfgang Kaes, geboren 1958 in der Eifel, arbeitete nach seinem Studium der Politikwissenschaft, Kulturanthropologie und Pädagogik viele Jahre lang als Journalist. Er schrieb unter anderem als Polizei- und Gerichtsreporter für den |Kölner Stadt-Anzeiger|, für den |Stern| und als Lokalchef der |Rhein-Zeitung| in Bonn. 2004 erschien sein erster Roman „Todfreunde“, 2005 der Nachfolger „Die Kette“, beide mit dem Ermittler Kommissar Morian. Mehr über ihn gibt es auf seiner Homepage http://www.wolfgang-kaes.de.

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Pepper, Kate – 7 Minuten zu spät

Die Freundinnen Alice, Lauren und Maggie sind alle Mitte dreißig und stehen sich so nah wie Schwestern. Alice, verheiratet und bereits Mutter zweier Kinder, ist im sechsten Monat mit Zwillingen schwanger. Auch Lauren steht kurz vor der Entbindung ihres zweiten Kindes. Die beiden Frauen freuen sich schon auf die gemeinsame Zeit mit ihren Babys. An einem heißen Sommertag kommt Alice mittags ein paar Minuten zu spät zu ihrer Verabredung. Alice und ihrem Mann wurde die Wohnung gekündigt und sie braucht ihre Freundin dringend als Beraterin, da diese gerade eine ähnliche Erfahrung gemacht hat. Doch Lauren erscheint nicht am Treffpunkt. Zunächst macht sich Alice keine Sorgen. Sie holt ihre beiden Kinder, Nell und Peter, und Laurens Sohn Austin von Kindergarten und Schule ab, schaut bei Kollegin Maggie vorbei, mit der sie gemeinsam einen Schuhladen führt und nimmt deren Sohn mit zum Einkaufen.

Die Zeit vergeht und niemand hat etwas von Lauren gehört. Alice vermutet, dass bei ihr frühzeitig die Wehen eingesetzt haben, aber auch die Anrufe in allen Krankenhäusern bleiben ohne Erfolg. Laurens Ehemann Tim ist in großer Sorge und verständigt am Abend schließlich die Polizei. Die Ermittlungen ergeben, dass Lauren auf dem Weg zu ihrem Schwangerschaftsgymnastik-Kurs verschwunden ist. Wenige Tage später dann der Schock: Laurens Leiche wird im Fluss gefunden. Lauren wurde mit einem Kopfschuss getötet. Anschließend wurde ihr Bauch aufgeschnitten und das Baby entführt.

Alice und die anderen stehen unter Schock. Die Ermittlungen laufen auf Hochtouren. Bereits vor zwei Jahren verschwand eine schwangere Frau in der gleichen Gegend. Hat es ein Serienmörder auf die ungeborenen Babys abgesehen? Lebt Laurens Kind etwa noch? Eine fieberhafte Suche nach dem Täter und dem Baby beginnt. Doch auch Alice bekommt immer mehr das Gefühl, in Gefahr zu schweben, seit sie ein seltsamer Mann verfolgt. Aber sie will nicht eher ruhen, bis Laurens Mörder gefunden ist …

Eine verschwundene Frau, ein grausamer Mord, die Suche nach einem Baby und die Mördersuche einer Schwangeren, die sich selber dabei in Gefahr bringt – aus diesen Zutaten hat die Autorin einen über weite Strecken unterhaltsamen, wenn auch nicht überdurchschnittlichen Thriller gebastelt.

|Spannung in der ersten Hälfte|

Die Spannung ist von Anfang an hoch. Nur wenige Seiten dauert es, bis klar ist, dass Alices Freundin Lauren etwas zugestoßen sein muss. Gerade weil es sich um eine hochschwangere Frau handelt, ist die Situation besonders brisant. Der Leser wird hineingesogen in die hektische Suche nach der werdenden Mutter. Die Polizei führt erste Ermittlungen durch, Alice und ihre Freunde hängen Suchzettel in den Straßen auf, die Freundin macht gar Anstalten, eine Internetseite zu der Vermissten zu erstellen. Mit jeder weiteren Stunde, die vergeht, schwindet die Chance, dass Lauren unversehrt gefunden wird.

Als ihre Leiche auftaucht, entstehen gleichzeitig unzählige neue Fragen: Wo ist das Baby, lebt es noch? War Lauren ein Zufallsopfer oder wurde sie gezielt ausgesucht? Schweben auch andere schwangere Frauen in Gefahr? Besteht ein Zusammenhang mit der vor zwei Jahren verschwundenen Christine? Dem Leser wie den Charakteren ist völlig unklar, wer hinter dem grausamen Mord stecken mag. Lauren schien keine Feinde zu haben, ihre Angehörigen sind geschockt und ratlos.

Besonders fesselnd wird es, als Alice sich mehr und mehr beobachtet fühlt und Grund zur Annahme hat, dass auch sie ins Visier des Täters geraten ist. Gleichzeitig aber weiß Alice oft nicht, wie viele der Gefahren, die sie sieht, wirklich existieren – oder ob sie sich manche Dinge nicht aus Angst einbildet. Auch die Polizei reagiert skeptisch auf einige ihrer Mutmaßungen; immerhin ist Alice hochschwanger, die bevorstehende Zwillingsgeburt schwächt sie körperlich, dazu der schwere Schock über den Tod der Freundin. Ähnlich wie in „Rosemarys Baby“ wissen weder Alice noch der Leser hundertprozentig, welche Verdächtigungen ihrer angespannten Phantasie und welche realer Gefahr zuzuschreiben sind.

Hochgehalten wird die Spannung zusätzlich durch das rasche Tempo, in dem die Handlung verläuft. Es existieren keine abschweifenden Nebenschauplätze. Die Story verläuft geradlinig, auch die Sätze sind eher kurz gehalten, die Beschreibungen eher spartanisch, sowohl was Örtlichkeiten als auch was das Aussehen der Personen angeht. Selbst wenn man das Buch mal eine Weile zur Seite legen sollte, gibt es keine Probleme, sich anschließend wieder in die Geschichte hineinzufinden.

|Sympathische Protagonistin|

Einen guten Anteil an der Spannung trägt auch die Hauptfigur Alice mit sich. Alice ist zwar kein herausragender Charakter, aber angenehm sympathisch. Als Leser leidet man mit ihr, wenn sie vom Tod ihrer Freundin erfährt. Ihre Lage wird durch ihre Schwangerschaft zusätzlich belastet. So fürchtet man nicht nur, dass der Täter es auch auf sie abgesehen haben könnte, sondern ebenso um ihren Gesundheitszustand.

Darüber hinaus lernt man Alice nicht nur als Mörderjägerin kennen, sondern es werden auch Aspekte aus ihrem alltäglichen Leben mit eingeflochten. So muss sie sich mit den oft gegensätzlichen Ansichten ihrer Freundin Maggie auseinandersetzen, die ihr manches Mal weniger eine Stütze als vielmehr ein Ärgernis bedeutet. Auch ihre Ehe ist einer Belastungsprobe ausgesetzt, denn Ehemann Mike arbeitet fast rund um die Uhr. Dazu kommen die Probleme mit ihrem neuen Hauseigentümer, der sie dazu zwingt, sich unter Zeitdruck ein neues Heim suchen zu müssen.

Zu guter Letzt fühlt sich Alice auch, was ihr Verhältnis zur Polizei betrifft, hin- und hergerissen. Einerseits ist ihr die junge Ermittlerin Frannie, die sie per Zufall bereits im Vorfeld kennen lernte, mehr als sympathisch. Sie hofft, in ihr eine neue Freundin zu finden, muss aber feststellen, dass die Umstände kein normales Verhältnis zulassen.

|Schwächen im zweiten Teil|

Leider stellen sich vor allem in der zweiten Hälfte einige Schwächen ein. Zum einen wird bald klar, dass es nicht um einen perfiden Serienkiller geht, der Ritualmorde verübt. Im Gegenteil, die Spuren, die verfolgt werden, deuten auf ganz profane Gründe für den Mord hin. Die Täterfrage wird zwar erst kurz vor Schluss geklärt, aber die Spannung verpufft merklich. Auch wenn Serienmörder nichts Neues mehr sind, bringen sie doch meist ein unheimliches Flair mit sich, ein Katz-und-Maus-Spiel, eine Note des Unberechenbaren, das zusätzlich Angst einflößt. Stattdessen konzentrieren sich die Ermittler und Alice auf Personen, die ganz rationale Gründe verfolgen könnten, Lauren aus dem Weg zu räumen.

Die zweite Schwäche liegt im sehr abrupten Ende, das insgesamt gesehen auch nicht besonders glaubwürdig ist. Im Gegensatz zu guten Thrillern stellt sich hier keine Erleichterung beim Leser ein, wenn sich die Täterfrage klärt. Der Schluss bietet kein klug eingefädeltes Aha-Erlebnis, sondern eher eine Enttäuschung. Statt einer befriedigenden Auflösung erwartet uns eine Pointe, die zu bemüht wirkt, um sich angemessen aus der vorherigen Handlung zu ergeben. Zwar bleiben keine wichtigen Fragen offen, doch das Ende wird zu kurz abgehandelt und wirkt lieblos angefügt.

Noch verwirrender ist der kurze Epilog, der etwa zwei Jahre nach den Ereignissen spielt. Vermutlich soll er beim Leser Nachhaltigkeit bewirken, ruft aber tatsächlich mehr Verärgerung hervor, da die Ereignisse zu konstruiert sind.

_Als Fazit_ bleibt ein in der ersten Hälfte durchaus unterhaltsamer und spannender Thriller um einen Mord und ein entführtes Baby. In der zweiten Hälfte lässt die Spannung deutlich nach, dem Täterkreis und dem Motiv fehlt es an Brisanz. Auch das abrupte Ende und der konstruierte Epilog enttäuschen. Insgesamt ein durchschnittlicher Thriller, der thematisch vor allem Leserinnen anspricht.

_Die Autorin_ Kate Pepper wurde in Frankreich geboren und lebt heute mit ihrer Familie in New York. Nebenbei gibt sie Kurse in Kreativem Schreiben. Ihr Debütroman „5 Tage im Sommer“ erschien 2005.

Kent, Christobel – Ein Sommer in Ligurien

Rose Fell ist Anfang vierzig, als ihr Mann sie wegen einer jüngeren Frau verlässt. Während er seine neue Freundin heiratet, bricht für Rose eine Welt zusammen. Um wieder auf die Beine zu kommen, beschließt sie, ein radikal neues Leben zu beginnen. Sie verlässt England und kauft sich ein kleines Haus an der ligurischen Küste. In der Abgelegenheit eines ländlichen Dorfes richtet sie sich ihr neues Zuhause ein und geht ihrem Beruf als freie Journalistin nach. Doch die Eingewöhnung fällt nicht leicht. Für die überwiegend älteren Dorfbewohner bleibt sie eine Außenseiterin, eine Ausländerin mit fremder Kleidung und fremden Einstellungen. Ihre Tochter Jess lebt ein Studentenleben und meldet sich nur selten, die alten Freunde kommen sie nicht besuchen. Nur der wortkarge Gennaro, der im Dorf kaum weniger als Außenseiter gilt als sie, sucht ihren Kontakt. Rose droht zu vereinsamen, ehe sie per Zufall den reichen und attraktiven Engländer Richard Bourn kennenlernt.

Unweit von Rose lebt die einstige Leinwandschönheit Elvira Vitale, von den Bewohnern wegen ihrer früheren Ehe mit einem Grafen „Contessa“ genannt. Vor vielen Jahren war sie ein gefeierter Star, doch heute lebt sie zurückgezogen mit ihrem Mann Jack auf ihrem Anwesen. Während Elvira unter ihrem Alter leidet, vergnügt sich ihr Mann auf Partys mit jüngeren Frauen. Als Rose davon erfährt, dass Elvira in ihrer Nähe wohnt, hofft sie auf ein Interview mit der Diva. Ein Regisseur, den sie aus einer früheren Zusammenarbeit kennt, soll Elvira eine Empfehlung über Rose vermitteln.

Gerade als Rose sich einzuleben beginnt, erschüttert ein Mordfall das Dorf. Am Strand wird die Leiche einer jungen Frau gefunden, die erst erwürgt und dann aus einem fahrenden Zug geworfen wurde. Der ermittelnde Commissario Cirri erinnert sich an den Mord an einer Prostituierten im vergangenen Jahr, der bis heute nicht geklärt wurde. Besteht etwa ein Zusammenhang? Auch die Bevölkerung zeigt Unruhe, im Dorf wird viel geredet. Rose reagiert vorsichtig auf Richard Bourns Einladungen, obwohl sie sich zu dem interessanten Mann hingezogen fühlt. Elviras Haushälterin, die junge Ania, verschwindet in diesen Tagen und die Contessa erstattet eine Vermisstenanzeige. Nach und nach kreuzen sich die Wege der beiden Frauen Rose und Elvira, trotz ihrer unterschiedlichen Schicksale …

|Interessante Charaktere|

Das malerische Ambiente der italienischen Küstenstadt Levanto bildet den trügerisch-idyllischen Schauplatz für eine Mixtur aus Krimi und Frauenroman. Im Mittelpunkt steht die knapp vierzigjährige Rose, die misstrauisch beäugte Ausländerin, die sich fern von ihrer Heimat England ein neues Leben aufbaut. Die ganze Handlung über bleibt Rose eine sympathische Bezugsperson für den Leser.

Dafür ist vor allem die Ausgewogenheit ihres Charakters verantwortlich: Einerseits fühlt man mit der verlassenen Frau, die weder Familie noch Freunde in ihrer Umgebung hat und auch nach einem Jahr noch verletzt und deprimiert an ihre gescheiterte Ehe zurückdenkt. Andererseits aber präsentiert sie sich als Kämpfernatur, trotzt der Ablehnung, die ihr in Italien entgegenschlägt, und bemüht sich beharrlich darum, endlich den Touristinnen-Status unter den Einwohnern abzulegen.

Ihre Unsicherheiten sind glaubhaft geschildert; die Einsamkeit hat Rose sichtlich vorsichtig gemacht. Sowohl gegenüber dem charmanten Richard als auch gegenüber ihrem entfernten Nachbarn Gennaro wahrt sie Distanz, grübelt über deren Absichten nach, schwankt zwischen Freude über die Zuwendung und Zurückhaltung. Unsicherheit kennzeichnet auch den ehemaligen Filmstar Elvira Vitale, eine fast gebrochene Frau, deren Mann sie mit Tabletten ruhigstellt und sie gerne in der Öffentlichkeit blamiert. So verschieden Rose und Elvira auf den ersten Blick auch sind, ihre Empfindungen gleichen sich und man erwartet gespannt ihr erstes Zusammentreffen.

Ebenfalls gelungen und interessant sind die Nebencharaktere, die in den Leben der beiden Frauen eine Rolle spielen. Da ist der undurchschaubare Richard Bourn, den Rose von Beginn an anziehend findet und bei dem sie doch Vorsicht walten lässt. Eine erste Einladung schlägt sie aus, recherchiert lieber zunächst im Internet über den wohlhabenden Engländer, den eine dunkle Vergangenheit einzuhüllen scheint. Da ist der mysteriöse Gennaro, immer freundlich und zuvorkommend gegenüber Rose, aber gleichzeitig auf eine subtile Art zu aufdringlich in ihren Augen. Auch Commissario Cirri ist mehr als der formelle Ermittler, sondern eine mitfühlende Person mit menschlicher Wärme, der sich mit Gespür und scharfer Logik immer weiter an den Mörder herantastet.

|Psychogramm und Krimi|

Auch wenn schon recht bald am Anfang der Mord geschieht, steht vor allem in der ersten Hälfte weniger die Kriminalistik im Vordergrund. Stattdessen präsentiert sich dem Leser ein Psychogramm zweier Frauen, die, jede auf ihre eigene Weise, unter Vereinsamung leiden und ihrem Leben dringend eine neue Wendung geben müssen. Beiden Frauen wünscht man Erfolg bei ihren Bemühungen, sodass die Mördersuche phasenweise in den Hintergrund tritt. Ihre Schicksale sind ein zusätzlicher Interessenpunkt, auf eigene Art ebenso spannend wie die Frage nach dem Täter und geschickt miteinander verwoben.

Obwohl die Autorin im Vorwort erklärt, dass Roses Heimatdorf Grosso fiktiver Natur ist, entsteht beim Leser ein detailliertes Bild dieses beschaulichen Örtchens. Genau wie Rose empfindet man die beruhigende Idylle dieses Schauplatzes, parallel dazu aber auch die Fremdheit, die von der italienischen Mentalität ausgeht. Auf der einen Seite stehen gemütliche Wärme, wilde Natur, ungestörte Ruhe und ein enttechnologisiertes Leben, auf der anderen Seite lähmende Hitze, misstrauische Nachbarn, tuschelnde Dorfbewohner, ungewohnte Sitten und Einsamkeit. Noch nach einem Jahr tritt Rose in Fettnäpfchen, was die italienische Lebensart angeht, und alle Schönheit des Ortes täuscht nicht darüber hinweg, dass sich Rose ihr Paradies hier erst verdienen muss.

In dieser scheinbar friedfertigen Umgebung wirken die grausamen Morde besonders grotesk. Für die Einwohner kommt nur ein Durchreisender, ein Ausländer, als Täter in Frage, doch die Ermittlungen legen nahe, dass sich bereits seit langer Zeit ein Wolf im Schafspelz unter den Einheimischen aufhält und nicht zum ersten oder letzten Mal seinen Morden nachgegangen ist …

|Kleine Schwächen|

Gerade in der Mischung aus Frauenroman und Krimi liegen leider auch strukturelle Schwächen des Romans. Vor allem im ersten Drittel liegt der Spannungsfaktor noch sehr niedrig. Das hat seine Ursache zum einen in den zu ausführlichen Beschreibungen, die das Lesetempo deutlich verlangsamen. Bereits die ersten zwei Seiten bestehen fast ausschließlich aus Ortsschilderungen. Minutiös wird die Lage des Dorfes geschildert, anschaulich genug für einen Reiseprospekt, aber viel zu ausufernd für einen Roman, der möglichst von Beginn an fesseln sollte.

Auch im weiteren Verlauf wird immer wieder in dieser Ausführlichkeit auf Nebensächlichkeiten eingegangen, die zwar den poetischen Leser angenehm einlullen mögen, gerade die Krimihandlung jedoch zum Stagnieren bringen.

Zum anderen übertreibt es die Autorin mit Szenenwechseln und einer Fülle von Handlungssträngen. Die Geschichte spielt hauptsächlich bei Rose und an zweiter Stelle bei Elvira, doch auch zum Familienleben des Commissario und zum Schicksal der entführten Ania wird immer wieder übergeblendet. Bei zahlreichen neuen Absätzen ist nicht sofort klar ersichtlich, an welchem Schauplatz die Handlung gerade stattfindet, sodass man sich erst ein paar Sätze lang einlesen muss, ehe die Situation geklärt wird.

Lobenswerterweise laufen alle Handlungsfäden am Schluss zusammen, ohne wichtige offene Fragen zu hinterlassen, doch bis dahin erfordern die vielen Schicksale, die zunächst gar nichts miteinander zu tun zu haben scheinen, eine gewisse Konzentration.

_Unterm Strich_ bleibt ein lesenswerter Krimi, der gleichzeitig auch die Schicksale zweier Frauen behandelt. Interessante Charaktere lassen den Leser von Beginn an mitfühlen, die Spannung stellt sich jedoch erst im späteren Verlauf ein. Trotz einer leicht überbordenden Fülle an Handlungssträngen und Szenenwechseln ein lesenswerter Roman, der vor allem Frauen anspricht.

_Die Autorin_ Christobel Kent wurde 1962 in London geboren, wohnte zeitweise in Florenz und lebt heute mit ihrer Familie in Cambridge. 2003 erschien ihr Debütroman „A Party In San Niccolo“.

Gregory, Philippa – Schwiegertochter, Die

Ruth und Patrick Cleary sind seit vier Jahren glücklich verheiratet. Sie leben in einer hübschen Wohnung mitten in der Stadt Bristol, Patrick arbeitet erfolgreich bei den Fernsehnachrichten und Ruth ist zufrieden mit ihrem Job beim Radiosender. Da Ruth mit sieben Jahren zur Vollwaise wurde, ist es für sie umso schöner, dass Patrick engen Kontakt zu seinen Eltern pflegt. Regelmäßig stattet Ruth mit ihm ihren Schwiegereltern Elizabeth und Frederick Besuche ab, sogar die Wohnung war ein Geschenk von ihnen.

Bei einem ihrer Besuche eröffnet Frederick dem Paar, dass ein kleines Haus in der Nachbarschaft sehr günstig zum Verkauf steht. Elizabeth unterstützt den Vorschlag, dass Patrick und Ruth ihre Wohnung aufgeben und zu ihnen aufs Land ziehen sollen. Auch Patrick gefällt diese Idee. Passenderweise erhält er zur gleichen Zeit eine Beförderung, die den Kauf finanziell möglich macht. Nur Ruth ist anderer Meinung. Ihr gefällt die bisherige Wohnung, sie fühlt sich in der Stadt besser aufgehoben als auf dem abgeschiedenen Land und der neue Weg zur Arbeit wäre viel zu weit. Patrick und seine Eltern plädieren dafür, dass sie ihren Beruf aufgeben und bald ein Kind bekommen soll. Zwar möchte Ruth grundsätzlich gerne Kinder haben, doch erst in ein paar Jahren. Lieber möchte sie noch eine Weile arbeiten und schließlich ihren Traum vom Reisen verwirklichen – schon lange plante sie mit Patrick nach Boston zu fahren und dort ihr altes Zuhause zu suchen. Es gelingt ihr jedoch nicht, sich gegen die begeisterten Fürsprecher durchzusetzen.

Kurz darauf verliert Ruth, ebenso wie ein paar ihrer Kollegen, ihren Job durch Stellenabbau. Sie arbeitet nur noch freiberuflich, was Patrick zu ihrem Missfallen begrüßt. Genau zu diesem Zeitpunkt wird Ruth ungewollt schwanger. Während Patrick und seine Schwiegereltern außer sich vor Freude sind, wird Ruth immer deprimierter. Ihre alte Wohnung findet schnell Käufer und in der Übergangszeit zieht das Paar zu Elizabeth und Frederick. Zum Leidwesen von Ruth wird ihre Schwiegermutter immer aufdringlicher. Elizabeth übernimmt alle Organisationen und vermittelt der jungen Frau immer mehr das Gefühl, nichts zufrieden stellend zu erledigen. Das ändert sich auch nicht, als Ruth den kleinen Thomas zur Welt bringt. Im Gegenteil – Ruth verfällt in postnatale Depressionen, ist mit ihrem Kind völlig überfordert. Verzweifelt bemüht sie sich, ihre Schwiegermutter auf Abstand zu halten, die immer dominanter wird und Ruth offenbar vertreiben will …

Fünf sind einer zu viel, scheint das Motto des Romans zu sein. Wenn es nach dem Willen der Clearys geht, bilden Elizabeth, Frederick, Patrick und Baby Thomas das perfekte Quartett, in dem sich die Mutter nur wie ein Störenfried ausmacht. Es ist eine Mischung aus Thriller und Psychodrama, eine Geschichte über die Rivalität von Frauen, über Abhängigkeit und falsche Passivität ebenso wie über die erdrückende Überbehütung einer Mutter, was letztlich zu einer Eskalation im Duell beider Seiten führt.

|Keine Schwarz-Weiß-Malerei bei Charakteren|

Eine der Stärken des Romans liegt in der Darstellung von Ruth‘ Charakter, den der Leser nicht auf Anhieb einordnen kann. Im Beruf präsentiert sie sich als starke Frau, die ihren Willen durchsetzt, erfolgreiche Programme gestaltet und den Kollegen ein Vorbild und eine geschätzte Mitarbeiterin ist. Im Privatleben jedoch schaltete sie um auf Zurückhaltung. Patrick und seine Eltern sind die erste Familie, die Ruth haben darf, und sie ist bestrebt, es ihnen so recht wie möglich zu machen, um jeden Anflug von Zwist zu vermeiden. Sie ordnet sich Patrick völlig unter, was dem dominanten Ehemann wiederum nur zu gut ins Konzept passt. Ruth bewundert ihren attraktiven, beruflich höchst erfolgreichen Mann und fühlt sich kaum würdig, seine Ehefrau zu sein.

Auch Patricks Eltern fördern unbewusst dieses Verhalten. Sein Vater Frederick ist ein kerniger Mann mit Autorität, einem einflussreichen Bekanntenkreis und traditionellen Vorstellungen. Elizabeth ist nicht nur eine hervorragende Hausfrau, sondern auch stets top gestylt, hingebungsvolle Mutter und Ehefrau in einem.

Von Anfang an wagt es das Waisenkind Ruth nicht, dieses Dreiergespann in Frage zu stellen oder gar aufzubegehren. Etwaige Zweifel werden leise, zögerlich und passiv geäußert, ehe Ruth sich der Mehrheit anschließt. Bis zu diesem Punkt genießt sie die Sympathie und das Mitleid des Lesers. Sehr positiv ist jedoch, dass Philippa Gregory sich nicht mit einer Schwarz-Weiß-Darstellung der Charaktere begnügt. Tatsächlich gibt es mehrere Situationen, in denen man Elizabeth zugute halten muss, dass Ruth ihr zu Recht für vieles dankbar ist. Voller Elan übernimmt sie auch unangenehme Aufgaben, ohne Ruth ihren freiwilligen Einsatz vorzuhalten. Sie ist eine Hausfrau mit Leib und Seele, die ihren Männern in vielen Punkten eine Wärme und Geborgenheit bietet, die die junge und recht unerfahrene Ruth nicht vermitteln kann.

Umgekehrt ist Ruth nicht ausschließlich das Opferlamm, dem übel mitgespielt wird. Die ungewollte Schwangerschaft ist zum großen Teil Produkt ihrer Nachlässigkeit und hätte mit etwas Bemühen verhindert werden können. Oftmals ist sie ihrem neugeborenen Sohn nicht gewachsen, bringt ihn sogar mehrmals in Gefahr, so dass einige Kritikpunkte ihrer Schwiegereltern und ihres Mannes sehr gerechtfertigt sind. Mehrere Male reagiert Ruth unverständig auf die Vorwürfe, obwohl sie sich bewusst ist, dass sie ihrem Sohn Thomas alles andere als eine angemessene Mutter ist. Parallel dazu gibt sie manchmal Äußerungen von sich, bei denen ihr klar sein müsste, dass sie bei Patrick oder seinen Eltern Entsetzen hervorrufen und nicht dazu beitragen, ihr Vertrauen in sie zu stärken. Im Gegenteil, in emotionalen Diskussionen über ihre Mutterrolle rutschen ihr Bemerkungen heraus, in denen sie zugibt, dass sie oft nur noch genervt von ihrem Kind ist, einmal gar, dass sie es an manchen Tagen am liebsten aus dem Fenster würfe. Sie erläutert zwar sofort, dass sie diesen Gedanken nicht ernst meint, gießt dadurch aber natürlich unnötig Öl ins Feuer.

Die Autorin kreiert hier keine Heldin, bei der man jeden ihrer Schritte gutheißt, sondern eine durchaus zwiespältige junge Frau, die sich nicht bis ins letzte Detail in ein Raster einordnen lässt. In abgeschwächtem Maß gilt das auch für die restlichen Hauptcharaktere, die trotz ihrer grundsätzlichen Kontraposition zwischendurch immer wieder Verständnis für Ruth durchblicken lassen.

|Spannung bis zum Ende|

Von Anfang bis Ende ist für Spannung gesorgt, so dass der Leser beständig von der Handlung gefesselt ist. Zwar wird bereits auf den ersten Seiten klar, dass es auf einen Zweikampf zwischen Ruth und ihrer Schwiegermutter hinausläuft, aber welche Formen er schließlich annimmt, lässt sich nicht vorausahnen. Die Geschichte durchläuft mehrere Wendungen; sowohl Ruth als auch ihr Mann und dessen Familie greifen zu originellen Methoden, um sich gegeneinander zu verteidigen. Immer wieder bringt Frederick die dank seiner guten juristichen Kontakte als letzte Konsequenz mögliche Entmündigung und Einweisung Ruth ins Spiel, die damit ihren Sohn verlöre. Ärztliche Gutachten zur Untersuchung ihres Gemütszustandes werden angesetzt; bei Ruth wiederum wechseln sich stabile Phasen mit Betäubungsmittelmissbrauch ab. Was als scheinbar kleine Differenz zwischen Mutter und Schwiegertochter begann, wächst sich zu einem Psychokrieg aus, in dem beide Seiten sich gnadenlos bekämpfen und rücksichtslos vorgehen.

Der Leser kann nicht vorhersehen, in welche Richtung die Handlung driftet, denn alles ist denkbar: Wird Ruth ihr Kind durch die Behörden verlieren? Kommt es zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung von Mutter und Schwiegertochter? Wechseln Patrick und Frederick die Fronten? Bekommt Ruth von außerhalb Hilfe? All diese Fragen beantworten sich erst nach und nach, lange Zeit ist offen, welchen Ausgang der Roman für die Leser bereithält. Zum schnellen Lesetempo trägt außerdem der glatte Stil der Übersetzung bei. Das Werk beginnt |in medias res|, gleich zu Beginn werden die Fronten offenkundig und die Ereignisse spielen sich in rascher Zeitfolge ab.

|Zu stark konstruierte Ereignisse|

Abzüge gibt es dagegen für die konstruiert wirkende Anhäufung von Geschehnissen. Offenbar hat sich das Schicksal komplett gegen Ruth verschworen, denn alles, was sich in der nächsten Zeit ereignet, spricht gegen sie und für die Pläne ihrer Schwiegermutter. Ausgerechnet als Patrick und seine Eltern den Kauf des kleinen Hauses in Erwägung ziehen, verabschiedet sich mit Ruth‘ Arbeitsstelle eines ihrer Hauptargumente, das gegen den Umzug sprach. Ruth betont, wie gerne sie beim Radiosender arbeitet und dass sich dieser Job unmöglich mit der Entfernung der neuen Wohngegend vereinbaren lässt. Wenige Tage darauf werden Ruth und mehreren Kollegen aus Rationalisierungsgründen die Stellen gekündigt. Lediglich als Freie Mitarbeiterin darf sie weiterhin im kleinen Rahmen beim Sender mitwirken, was natürlich für Patrick kein Argument mehr gegen einen völligen Ausstieg bedeutet.

Genau zu diesem Zeitpunkt lässt Ruth eine Schwangerschaft zu, die sie endgültig ins Abseits der Argumente katapultiert. Zwar ist sie eigenen Kindern nicht abgeneigt, doch für sie steht fest, dass sie erst in einigen Jahren darüber näher nachdenken möchte. Indem sie sich auf Patricks Drängen auf ungeschützten Geschlechtsverkehr einlässt, besiegelt Ruth ihr Schicksal. Die werdende Mutter bemüht sich, das Beste aus ihrer Lage zu machen, doch auch hier ist ihr kein Glück vergönnt. Patrick erweist sich als unzuverlässiger Schwangerschaftsbegleiter; regelmäßige Überstunden hindern ihn, seiner Frau zur Seite zu stehen, die sich in einsamen Stunden mit Fachliteratur auf das große Ereignis vorbereitet. Wenn sie schon ungewollt schwanger geworden ist, will sie wenigstens möglichen Komplikationen so gut es geht entgegenwirken. Aber statt einer natürlichen Geburt erwartet sie ein komplizierter Kaiserschnitt.

Die ohnehin schon unsichere junge Frau wird nachts von Baby Thomas entbunden, erwacht mittags aus der Narkose und ist somit erst einen halben Tag nach der Geburt in der Lage, ihr Kind zu begrüßen. Nicht die Mutter, sondern Patrick und vor allem die herbeigeeilte Elizabeth verbringen die ersten Stunden mit dem Säugling. Als Ruth ihn zu Gesicht bekommt, ist er bereits gewaschen, gepudert und mit einem Strampler gekleidet. Wie es der böse Zufall will, ist auch Thomas von der langen zeitlichen Distanz beeinflusst und verweigert Ruth die Brust. Kein einziges Mal gelingt es Ruth, ihren Sohn zu stillen. Die mit Kindern unerfahrene Mutter nimmt die Abneigung sehr persönlich. Umgekehrt ist Elizabeth rund um die Uhr bereit, sich um den Kleinen zu kümmern und die Mutterrolle zu übernehmen. Eine übertriebene Verkettung misslicher Umstände sorgt dafür, dass Ruth keine Chance hat, ein normales Verhältnis zu ihrem Kind aufzubauen. Stattdessen spielen alle Entwicklungen ihrer Schwiegermutter in die Hände, was in seiner Gesamtheit sehr unrealistische und übertriebene Züge besitzt, die stark an Groschenheftromanmethode erinnern.

|Übertriebene Dramatik|

In die Richtung von Groschenheftromanen geht auch die zeitweilige Dramatik, die zu sehr auf die Spitze getrieben wird. Regelmäßig reden die Charaktere mit sich selber, sprechen bedeutsame Gedanken aus, die dunkel und unheilvoll in der Luft liegen und auf kommende Konflikte hindeuten, aber ganz und gar unrealistisch sind. Fast jedes Kapitel endet mit einem sinnträchtigen Ausspruch, einer Bemerkung, die Elizabeth‘ Ziele verdeutlicht, etwa wenn ein Unbeteiligter den Einsatz der lieben Oma lobt oder Elizabeth in einem ruhigen Moment darüber sinniert, wie sie Thomas noch mehr für sich vereinnahmen kann.

Während es bei den ersten Kapitel noch nicht weiter stört, fällt es mit zunehmender Lesedauer unangenehm auf. Statt subtile Andeutunmgen einzubauen, wird plakativ dargestellt, dass Elizabeth geradezu manisch in ihrem Vorhaben ist und dass jeder Außenstehender nur die aufopfernde Schwiegermutter in ihr sieht. Besonders ärgerlich ist diese reißerische Methode an der Stelle, an der Elizabeth sich spitz bei Ruth erkundigt, weshalb sie neuerdings von der Anrede „Mutter“ zu „Elizabeth“ gewechselt ist. Statt dass der Leser erfährt, wie sich Ruth aus dieser unangenehmen Situation befreit, endet das Kapitel, die Frage, obgleich sie wirklich interessant war, wird nicht wieder aufgegriffen, der Handlungsort somit zu früh verlassen, zum Zweck eines zweifelhaften Pseudo-Cliffhangers.

_Unterm Strich_ bleibt ein spannender, vor allem für Frauen interessanter Roman in einer Mixtur aus Psychodrama und Thriller. Der glatte, schnörkellose Stil sorgt für eine guten Lesbarkeit, ebenso der hohe Spannungsfaktor, der den Leser von Anfang bis Ende fesselt. Schwächen liegen dagegen in der übertriebenen Dramatik und den unrelistisch konstruierten Ereignissen. Kein Highlight, aber ein unterhaltsamer Roman für kurzweilige Stunden.

Charles P. Crawford – Der Drohbrief

Die drei Freunde Chad, B.G. und Frosch besuchen gemeinsam den Englischkurs von Mr. Patterson. B.G. ist ein vorlauter Anführertyp, der sich in der Schule durchmogelt. Frosch ist ein skurriler Spaßvogel, der alle Dinge als Spiel betrachtet. Chad, ein guter Schüler, ist der Zurückhaltendste und Vernünftigste der drei. Mr. Patterson ist der strengste Lehrer von allen; sein Unterricht ist nicht nur anspruchsvoll, sondern er liebt es auch, böse Witze über seine Schüler zu machen.

Während einer Klassenarbeit beobachtet er, wie B.G. vom deutlich besseren Chad abschreibt. Als Strafe gibt er beiden eine Fünf, was vor allem Chad ärgert. In ihrem Frust über die Schule kommen die Jungen auf die Idee, sich ein paar Streiche einfallen zu lassen, um „das perfekte Verbrechen“ zu üben. Dabei wollen sie keine wirklichen Delikte begehen, nur kleine Mutproben. Sie schleichen sich heimlich ins Kino ein, stehlen eine Flasche Wein, deponieren einen BH auf einer Jagdtrophäe in der Schule. B.G. hat es vor allem auf Mr. Patterson abgesehen. Er deponiert verfaultes Katzenfutter in der Lüftung, so dass Mr. Patterson schließlich den Hausmeister zu Hilfe rufen und die Englischstunde ausfallen lassen muss.

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Rees, Celia – Sommer im Haus der Wünsche

Amerika in den Siebzigern: Wie jedes Jahr verbringt der fünfzehnjährige Richard den Sommerurlaub mit seinen Eltern an einem kleinen Küstenort. Hier lebt auch sein Freund Dylan, dessen Vater der Campingplatz gehört. Früher durchstreiften sie gemeinsam die Wälder, doch jetzt muss der sechzehnjährige Dylan seinem Vater bei der Arbeit helfen. Richard macht seine Spaziergänge alleine. Dabei stellt er überrascht fest, dass einer ihrer Stammplätze, das verlassene „Wunschaus“, inzwischen wieder bewohnt ist. Hier lebt die exzentrische Künstlerfamilie Dalton, über die im Dorf die wildeste Gerüchte kursieren. Mutter Lucia ist eine rassige, attraktive Frau, die sich unbekümmert beim nackten Sonnenbaden zeigt und den verlegenen Richard sofort ins Haus einläd. Mir rauchiger Stimme verleiht sie dem Jungen den Spitznamen „Ricardo“. Vater Jay ist ein Maler, der sich nicht um die sexuelle Freizügigkeit seiner Frau kümmert. Der hagere Mann lebt nur für seine Kunst und ist stets auf der Suche nach neuen Objekten. Der jugendliche Sohn Joe teilt sich wie selbstverständlich einen Joint mit seiner Mutter und die bildschöne Clio, ein Mädchen in Richards Alter, begegnet ihm mit Abweisung. Richard ist verwirrt über das hippihafte Leben der Familie, die sich so ganz anders benimmt, als er es aus seinem Elternhaus kennt.

Bald drauf trifft er Clio in seinem Geheimversteck im Wald. Entgegen ihrer ersten Begegnung benimmt sie sich viel freundlicher, nähert sich ihm an, macht Avancen. Sie verabreden sich für den nächsten Abend und verbringen gemeinsam die Nacht. Der unerfahrene Richard ist fasziniert von der verführerischen Clio, gleichzeitig aber auch immer wieder verunsichert durch ihr Verhalten. Fast jeden Tag des Sommers verbringt er bei den Daltons, streift mit Clio durch die Wälder, nimmt an den ausgelassenen Partys teil und sitzt Jay Modell. Es ist der Beginn des aufregendsten Sommers seines Lebens, der die Schwelle zwischen Jugend und Erwachsensein bildet. Die Liebe zu Clio und die Bekanntschaft mit der Familie Dalton konfrontiert Richard mit neuen Erfahrungen, mit Sex, tiefen Gefühlen, Drogen und dem Tod.

Sechs Jahre später erhält Richard eine Einladung von Clio zu einer Vernissage. Das Wiedersehen und der Besuch der Ausstellung werden für ihn zu einer Reise in die Vergangenheit. Beim Betrachten der Bilder steigen schmerzhafte Erinnerungen in ihm auf, die sich nicht mehr verdrängen lassen …

Das Ende der Kindheit ist ein beliebtes Thema, das die Autorin hier aufgreift. Der letzte unbeschwerte Sommer, die erste Konfrontation mit dem Ernst des Lebens, der erste große Schmerz – all das sind die Facetten, die dieser Roman thematisiert und miteinander verwebt.

|Stärken und Schwächen der Charaktere|

Fast jeder Leser wird sich in den Erfahrungen des jungen Protagonisten wiederfinden. Richard ist ein typischer Fünfzehnjähriger, der zum ersten Mal im Leben nicht wirklich weiß, wo er sich einordnen soll, der in der Schwebe hängt zwischen Kindheit und Erwachsenendasein. Der Sommerurlaub mit seinen Eltern hat an Reiz verloren. Richard fühlt sich zu alt, um mit seinen Eltern Fernsehabende zu verbringen, und ist froh um jede Minute, die er außerhalb ihrer Reichtweite zubringen kann. Er entflieht der häuslichen Überwachung, die ihm in diesem Sommer bewusster ist als je zuvor.

Gleichzeitig aber macht er die schmerzhafte Erfahrung, dass er für seinen Freund Dylan zu jung ist. Dylan ist zwar nur ein gutes Jahr älter, doch der Sechzehnjährige ist in den vergangenen Monaten zu einem jungen Mann herangereift, der seinem Vater regelmäßig bei der Arbeit auf dem Campingplatz zur Hand geht und keine Zeit und keinen Sinn mehr für die Spiele mit Richard hat. Den Abend lässt er mit Freunden im Pub ausklingen, wo Richard wiederum noch nicht zugelassen ist. Obwohl sich die beiden immer noch gut verstehen, ist ein Bruch in ihre Freundschaft getreten. Die Interessen liegen zu weit auseinander, die Lebensumstände haben sich zu weit voneinander entfernt, als dass mehr als unverbindliches Plaudern möglich ist.

Das wilde Leben der Daltons bietet für Richard daher einen starken Reiz, eine neue Erfahrung, der er sich nicht entziehen kann. Jedes Familienmitglied übt auf seine Weise eine Faszination auf Richard aus, der sich mit einer völlig neuen Lebensweise konfrontiert sieht. Fast lächerlich scheint der Vergleich zwischen dem Künstler Jay, seiner frivolen Ex-Muse Lucia und auf der anderen Seite Richards spießigen Eltern. Vor allem die rassige Schönheit Lucia wird überzeugend und anschaulich geschildert. Ihre unverschämt roten Haare, so rot, dass sie „nie und nimmer echt“ sein können, ihre unbefangene Nacktheit und ihre herzlich-frivole Art, mit Richard umzugehen, lassen das unbeschwerte Leben der Hippies lebendig werden. Der wortkarge Jay ist nicht weniger interessant und noch erheblich mysteriöser für Richard. Bereitwillig sitzt er ihm stundenlang Modell, ist aber auch jedesmal froh, wenn die Sitzung beendet ist und er sich von Jay verabschieden kann. Für den Teenager ist unverständlich, dass Jay keine Eifersucht über die Affären seiner Frau zeigt, seine zeitweiligen Wutausbrüche verstören ihn.

Schwächer ist dagegen die Darstellung der zweiten Hauptperson, Clio. Bei der ersten Begegnung verhält sie sich abweisend und mürrisch, sagt Richard beim Abschied sogar direkt ins Gesicht, dass er sich in Zukunft von ihrer Familie fernhalten soll. Ganz anders dagegen ihr Auftritt bei ihrer Begegnung im Wald. Sie umgarnt Richard, unterhält sich begeistert mit ihm über Abenteuerromane und besteht darauf, die nächste Nacht gemeinsam in ihrem versteckten Lager zu verbringen. Für ihre radikale Haltungsänderung führt sie keinen plausiblen Grund an und Richard gibt sich mit den nichts sagenden Antworten zufrieden. Unbefriedigend ist auch seine Reaktion, als Dylan ihm gegenüber behauptet, er habe gleichfalls eine Affäre mit Clio. Zwar ist Richard im ersten Moment geschockt, doch es gelingt ihm, seine verletzten Gefühle vor Dylan zu verbergen und gute Miene zum bösen Spiel zu machen, besser, als es angesichts seiner Lage realistisch wäre.

|Licht und Schatten im Aufbau|

Positiv ist die Spannung, die den Roman von Beginn bis Ende durchzieht. Sie entsteht hauptsächlich durch die Vorankündigungen aus der Gegenwart. Der Leser erfährt, dass Clios Vater Jay, dessen Werke auf der Vernissage ausgestellt werden, verstorben ist, dass es sich um einen „bizzaren Tod“ handelte, der unmittelbar nach der Bekanntschaft mit Richard eingetreten sein muss und der wilde Schlagzeilen in den Zeitungen hervorrief. Erst ganz allmählich rollt sich die Vergangenheit auf, so dass am Ende die Fäden zusammengeführt werden und man kurz vor Schluss erfährt, was es mit Jays Tod auf sich hat und welche Rolle Richard dabei spielt.

Bis dahin verfolgt man interessiert vor allem Richards Begegnungen mit Jay; automatisch stellt man Mutmaßungen an, wie der merkwürdige Künstler enden mag. Sind Drogen im Spiel, ist es Selbstmord, ein Unfall oder gar Mord? Alles scheint möglich bei diesem undurchschaubaren Menschen, den man im gesamten Roman nie wirklich einzuschätzen vermag; die Andeutungen, die man zu Beginn erfährt, sind nur vage. Ebenso undurchsichtig ist zunächst das Verhältnis von Richard zu Clio, da man nicht erahnen kann, welchen Verlauf ihre Beziehung bis zum Ende des Sommers genommen haben wird.

Auch Richards Gefühle sind sichtlich gespalten; die Aussicht auf ein Wiedersehen mit seiner einstigen Geliebten erfreut und verwirrt ihn zugleich. Er fragt sich, warum sie darauf verfallen ist, ihn einzuladen nach all der Zeit; in die Aufregung mischt sich auch Angst vor der Konfrontation mit der Vergangenheit, vor möglichen Begegnungen mit Lucia oder Clios Bruder Joe, mit den Menschen aus jenem Sommer, der sein Leben so sehr verändert hat. Im Geist hört er Jays Stimme, die ihn davor warnt, die Einladung anzunehmen, doch der Drang, Clio wiederzusehen, und seine Neugierde sind stärker.

So spannend die Umstände um Jays Tod gestaltet sind, so schwach ist dagegen die Einbettung eines weiteren Konfliktes, der erst kurz vor Schluss Erwähnung findet und dessen Wirkung verpufft. Durch Zufall macht Richard eine schockierende Entdeckung, die für ihn nur eine entsetzliche Interpretation zulässt. Seine spontane Reaktion sorgt dafür, dass er sich mitschuldig an Jays Tod führt. Auch der Grund, weshalb Jay vom ersten Moment an so fasziniert von Richard ist und ihn unbedingt als Modell nutzen will, klärt sich erst sehr spät und kommt recht überraschend, so dass diese Wendungen ihre volle Wirkung so knapp vor Schluss nicht mehr voll entfalten können.

Mankos liegen auch in der Geschwindigkeit, in der sich die Handlung entwickelt. Zunächst ist Richard befremdet über die vielen Besucher der Familie Dalton, mit denen er Clio teilen muss; befreundete Studenten, Jays Ex-Frau mit ihren Kindern, weitere Künstler und Hippiegenossen bevölkern abends die Umgebung des „Wunschhauses“ und verwirren den scheuen Jungen. In wenigen Sätzen wird jedoch abgehandelt, dass sich Richard immer mehr an diese Gesellschaft gewöhnt und bereitwillig seine Kleidung zum Nacktbaden ablegt. Zu hastig, zu gedrängt und zu komprimiert liest sich diese rasche Entwicklung, bei der man sich wünscht, die Autorn hätte etwas länger an diesen Stellen verweilt, um Richards gewandelte Einstellung plastischer darzustellen.

Der Roman wartet zudem mit der originellen Idee auf, die Gemälde der Ausstellung in die Handlung miteinzubauen. Jedem Kapitel ist ein Auszug aus Beschreibung und Interpretation des jeweiligen Werkes vorangestellt, mit den offiziellen Angaben zum Bild und passend zum entsprechenden Handlungsabschnitt. Leider funktioniert es nur bedingt, die Bilder zum Leser zu transportieren, der seine ganze Phantasie bemühen muss, um eine ungefähre Vorstellung zu erhalten, wie sie wohl aussehen mögen – und selbst das ist im Endeffekt unbefriedigend. Zu abstrakt und oberflächlich sind halbseitige Beschreibungen, etwa wenn Märchenwälder oder pflanzenreiche Gärten das Thema bilden. Ideal wäre gewesen, wenn echte Bilder beigesteuert wären, was vermutlich aber einen zu großen Aufwand bedeutet hätte.

_Unterm Strich_ bleibt ein durchaus lesenswerter, aber in keiner Hinsicht überdurchschnittlicher Roman über Jugend, erste Liebe, erste Leidenschaft und das Ende der unschuldigen Kindheit. Nicht nur Erwachsenen, sondern vor allem jungen Lesern ab etwa fünfzehn Jahren bietet das Buch Raum zur Identifikation mit dem Protagonisten, mit seinen Problemen mit seinen Wünschen. Die Charaktere sind interessant, handeln aber teilweise zu unrealistisch. Der Spannungsaufbau ist gelungen, einige Stellen werden jedoch deutlich zu hastig erzählt. Die Sprache ist unkompliziert und weitestgehend schnörkellos, so dass sich der Roman, auch dank des geringen Umfangs, schnell lesen lässt.

_Die Autorin_ Celia Rees wurde 1949 in England geboren. Sie unterrichtete zunächst jahrelang an einer Schule, bis sie selber zum Schreiben kam. Ihr Fokus liegt auf Jugendromanen, oft angereichert mit mystischen Elementen. Zu ihren weiteren Werken gehören u.a. „Hexenschwestern“, „Piraten!“, „Hexenkind“ und „Das goldene Labyrinth“.

http://www.arena-verlag.de/

Kortner, Alex – Dunkler Tanz

Schon seit seiner Kindheit ist Daniel fasziniert vom Voodoo-Kult. Als Dreizehnjähriger macht er eine Erfahrung, die ihn für immer verändert. Bei einem Spaziergang durch die dichten Wälder des Spessart, um seinem unglücklichen Elternhaus zu entfliehen, entdeckt er eine Höhle. Er kriecht hinein und fällt in einen Trance-Zustand. Sein Geist verwandelt sich in einen Vogel, einen Wolf, einen Luchs und einen Fuchs. In diesen Gestalten hetzt er durch den Wald, bis er wieder in der Höhle zu sich kommt. Zuhause erfährt er, dass er fünf Tage lang verschwunden war. Seine Eltern glauben kein Wort seiner Erlebnisse und schicken ihn zu einer unsypathischen Psychiaterin. Doch seit dieser Erfahrung ist Daniel verändert.

Auch mehr als zehn Jahre später ist Daniel, Danny genannt, immer noch vom Voodoo-Glauben besessen. Nach einem kurzen Ausflug ins Ethnologiestudium, das anders verlief als in seinen Vorstellungen, arbeitet er als Künstler, auch wenn niemand ihm eine große Zukunft zutraut. Seit einem Jahr ist er mit Elsie liiert, einer erfolgreichen Frauenmagazin-Redakteurin. Oft kann Daniel sein Glück kaum fassen, dass ausgerechnet die umwerfend attraktive und begehrte Elsie mit dem Aussehen eines Models und dem Auftreten einer gewieften Geschäftsfrau sich für ihn entschieden hat. Nur seine Vorliebe für Voodoo mag sie nicht teilen. Trotzdem begleitet sie ihn in den Urlaub in die Dominikanische Republik, wo Daniel hofft, dem Voodoo-Kult so nah wie möglich zu kommen. Tatsächlich lernt er bald einen Experten kennen, den haitianischen Kellner Jean Baptiste, der sich zunächst jedoch sehr abweisend verhält. Immer wieder sucht Daniel seine Nähe und erklärt ihm sein Interesse am Voodoo und seinen brennenden Wunsch, persönliche Erfahrungen zu sammeln, anstatt in Büchern darüber zu lesen.

Schließlich läd Jean Baptiste Daniel zu einer nächtlichen Zeremonie im benachbarten Dorf ein, einer Hochzeit im Sinne des Voodoo-Kultes. Die Bedingung lautet, dass Daniel seine Freundin Elsie mitbringen muss. Wider Erwarten ist Elsie einverstanden. Um Mitternacht wird das Paar von Jean Baptiste und dessen Freundin Gabrielle in einem Boot abgeholt. Das magische Hochzeitsritual übertrifft selbst Daniels hohe Erwartungen. Die Götter des Voodoo ergreifen Besitz von den Gästen, auch Elsie und Daniel werden in ihren Bann gerissen. Am nächsten Tag erwacht Daniel benommen und nur mit Badeshorts bekleidet vor seinem Ferienbungalow. Seine Freundin Elsie ist nicht bei ihm. Während Daniel sich langsam von seinem rauschhaften Erlebnis erholt, wird seine Angst immer größer. Was ist mit seiner Freundin geschehen? Er kehrt zurück zum Dorf und findet die apathische Elsie, die ihn nicht zu erkennen scheint. Ehe er sie mitnehmen kann, wird Daniel von den Einheimischen gefangen und für zwei Tage eingesperrt. Nach seiner Freilassung ist Elsie verschwunden – entführt. Daniel wird immer verzweifelter. Er ahnt, dass er in eine teuflische Falle geraten ist und Elsie in höchster Gefahr schwebt. Zu ihrer Rettung muss er in Haiti die Spur eines skupellosen Kartells aufnehmen, das die Macht des Voodoo für seine grausamen Zwecke missbraucht. Um gegen seine Widersacher zu bestehen, muss sich Daniel einem Voodoo-Gott ausliefern, der ihm die nötige Kraft verleiht …

Karibische Hitze, fremdartige Rituale, dunkle Magie und ein Wechselspiel aus Faszination und Abscheu sind die Zutaten, die in diesem Voodoo-Thriller zusammenströmen.

|Starke und schwache Charaktere|

Der Protagonist Danny ist sicher keine herausragende Romanfigur, aber er besitzt das Zeug zum Identifikationscharakter, gerade weil er alles andere als ein vollkommener Held ist. Von Beginn an werden immer wieder Rückblicke in seine Kinder- und Jugendzeit eingeflochten, die angenehm kurz und überschaubar gehalten sind, so dass keine Verwirrungsgefahr besteht. In präganter Darstellung offenbart sich der Terror seines Elternhauses. In kleinen Ausschnitten wird das destruktive, herrschsüchtige Verhalten von Mutter und Vater gegenüber dem hilflosen Jungen beleuchtet. Immer verständlicher wird dadurch, weshalb der Voodoo und die unglaublichen Kräfte, die ihm innewohnen, schon so früh eine magische Anziehung auf Daniel ausübten. Seine Besessenheit kommt nicht aus dem Nichts, sondern lässt sich logisch nachvollziehen, selbst wenn der Leser diese Begeisterung nicht teilen mag. Sehr glaubwürdig wird sein Verhalten durch die Ambivalenz, die sich äußert, als er tatsächlich dem Voodoo-Kult so nah kommt wie nie zuvor. Trotz seiner Bücherkenntnisse und der spirituellen Jugenderfahrung übersteigt das Miterleben des Hochzeitsrituals alle seine Erwartungen; in die Faszination mischen sich auch Angst und Abneigung hinein. Danny muss erleben, dass die Realität nicht mit seinen Träumen und Idealvorstellungen übereinstimmt und dass er trotz aller theoretischen Kenntnisse längst nicht bereit ist für alle Erlebnisse …

Schwächen liegen hingegen in der Darstellung seiner Freundin Elsie. Den gesamten Roman über bleibt sie seltsam unnahbar. Es ist überhaupt schwer nachzuvollziehen, was die beiden miteinander verbindet. Zwar wird darauf verwiesen, dass sich ihre Gegensätze anziehen, dass die strahlende, beherrschte Elsie offenbar gerade die chaotischen Neigungen ihres Freundes anziehend findet, dennoch bleibt ihr Verhältnis zu kühl, als dass der Leser wirklich um ihre Person bangen würde. Unklarheiten bestehen auch an anderer Stelle, beispielsweise als Elsie einen Zusammenbruch erlebt und Daniel seine Freundin hysterisch weinend mit verfilzten Haaren im Bett vorfindet. Als Erklärung gibt sie an, „schlecht geträumt“ zu haben, was für ihre Verfassung ein sehr dürftiger Grund ist.

Umso stärker gelingt die Zeichnung der Nebencharaktere. Vor allem Jean Baptiste und seine Freundin Gabrielle erscheinen als lebendige Figuren mit mysteriöser Ausstrahlung. Jean Baptiste fällt Daniel von der ersten Begegnung an auf. Trotz seiner abweisenden Art sucht er immer wieder seine Nähe, denn als Haitianer verfügt der Keller über das Experten-Voodoowissen, nach dem Daniel förmlich giert. Obwohl es sich von Beginn als als kompliziert und schwierig erweist, von Jean Baptiste auch nur ein Wort zu erfahren, gibt Daniel nicht auf; die Faszination ist stärker, auf keinen Fall will er zwei Wochen später abreisen und nach Deutschland zurückkehren, ohne einen Erfolg auf seiner Suche nach den spirituellen Geheimnissen zu verbuchen.

Als Leser lässt sich der Zwiespalt gut nachvollziehen: Einerseits spürt Danny nur zu gut, dass Jean Baptiste nichts mit ihm zu tun haben will, jede Regung des hageren Schwarzen schlägt ihm wie ein Faustschlag ins Gesicht, so offenkundig ist seine Abneigung. Nichts als Verachtung erfährt Daniel von dem zwielichtigen Mann, der stets eine verspiegelte Sonnenbrille und gerne einen giftgelben Anzug trägt. Dennoch sieht er in ihm die einzigartige Chance, dem Voodoo-Glauben so nah wie nie zuvor zu kommen, und man kann gut nachvollziehen, weshalb er sich nicht abschütteln lässt.

Noch gelungener als der undurchsichtige Kellner ist seine Freundin Gabrielle. Anfangs nur als Begleitung von Jean Baptiste präsent, gewinnt sie im weiteren Verlauf immer mehr an Bedeutung. Auch sie verbirgt ihre Augen fast durchgängig hinter einer verspiegelten Sonnenbrille, der schmale Körper wird in einen übergroßen Totengräberanzug gehüllt, das kurze Kraushaar ziert gerne ein Zylinder – alles ganz im Sinne ihrer bevorzugten Voodoogottheit Gédé, dem Todes-Loa. Ihr schnodderiges Auftreten, die respektlose Anrede „weißer Typ“ und ihre zynischen Bemerkungen verunsichern Danny und stoßen ihn ab, aber ebenso übt ihr androgynes, exotisches Wesen auch einen starken Reiz auf ihn aus, dem er sich kaum entreißen kann.

|Wachsende Spannung|

Die ersten hunderten Seiten weisen noch keine große Spannung auf, zu sehr ziehen sich die ersten Tage des Pärchens in der Dominikanischen Republik. Das ändert sich schlagartig mit Dannys und Elsies Beiwohnen der Voodoo-Hochzeit. Hier regieren Drogenexperimente und sexuelle Ausschweifungen, unter dem Einfluss der Götter lassen die Besessenen jegliche Hemmungen fallen. Danach überschlagen sich die Ereignisse: Elsie ist zunächst verschwunden, wird von Daniel in einem Trance-ähnlichen Zustand aufgespürt, um erneut aus seinem Blickfeld zu geraten. Die Haitianer sind Daniel feindlich gesinnt, einzig Gabrielle ist ihm eine Hilfe – und auch bei ihr ist er nicht sicher, ob er ihr trauen darf oder ob sie ein falsches Spiel mit ihm treibt. Doch da sie seine einzige Hoffnung ist, lässt er sich auf eine gemeinsame Suche nach Elsie und Jean Baptiste ein.

Erschwerend kommt hinzu, dass Daniel dem Feuergott Ogo unterworfen ist. Die Erwählung garantiert ihm die einzige Chance, Jean Baptiste, der ein mächtiger Magier ist, zu besiegen, doch jede weitere Stunde ist für Daniel eine körperliche Qual. Sein Körper scheint von innen heraus zu brennen, seine Augen entzünden Flammen, sobald er ein Objekt zu lange fixiert. Was für Daniel auf dem Papier noch so reizvoll geklungen hatte, entwickelt sich jetzt zu einem unübersichtlichen Albtraum, aus dem es kaum ein Entrinnen zu geben scheint.

Das Ende ist unvorhersehbar, nicht zuletzt wegen des offenen Ausgangs, der durchaus Spielraum für eine Fortsetzung lässt. Daraus ergibt sich eine Spannung bis zur letzten Seite; jederzeit scheint es möglich zu sein, die Handlung in eine beliebige Richtung zu kippen. Der Leser erhält keine Garantie auf ein glückliches Ende, stattdessen schwebt Daniel beinah unablässig in Gefahr. Danny, Elsie, Jean Baptiste, Gabrielle – kein Schicksal ist hier gewiss.

|Routinierter Stil mit kleinen Schwächen|

Positiv zu vermerken ist das Hintergrundwissen um den Voodookult, das der Autor sicher zu beherrschen scheint. Im Gegensatz zu vielen klischeebeladenen Romanen über das Thema wird hier mit einigen Horrormärchen aufgeräumt. Voodoo wird als Religion behandelt, die wie andere Glaubensrichtungen auch ihre guten und schlechten Seiten aufweist und die vom Menschen missbraucht werden kann. Vor allem in Daniels Reflektionen wird die Faszination und parallel auch die Gefahr deutlich, die von diesem Kult ausgeht.

Zu bemängeln ist jedoch das fehlende Sachregister, das dem uninformierten Leser erheblich bei der Lektüre helfen würde. Obwohl während der Handlung die Bedeutungen der Fachausdrücke erklärt werden, sorgt die Fülle von Informationen über Götter, Utensilien und Rituale zeitweise für Verwirrung. Immer wieder mal sieht man sich genötigt, ein paar Seiten zurückzublättern, um sich Informationen ins Gedächtnis zu rufen, was den Lesefluss hemmt. Davon abgesehen liest sich der Stil des Autors grundsätzlich flüssig und locker.

Ein wenig zu unpräzise wird die Schilderung beispielsweise, wenn Danny seiner Urlaubsbekanntschaft Paula ein Zombie-Ritual erklärt, bei dem „die Seele eingefangen“ wird, was zu abstrakt formuliert ist, als dass man sich darüber eine genaue Vorstellung machen könnte. Eine stilistische Entgleisung gibt es an der Stelle, an der es heißt, Gabrielle „latschte (…) wieder voll auf die Bremse“; erfreulich ist hingegen die Darstellung von Daniels verwirrten Gedanken in Extremsituationen, bei der auf die Technik des inneren Monologs zurückgegriffen wird, was die Situation adäquat wiedergibt.

_Als Fazit_ bleibt ein Roman, der informatives Wissen über den Voodoo-Kult mit einer spannenden Handlung verbindet, ohne dabei in reißerische Klischees zu verfallen. Nach etwas langatmigem Beginn steigert sich die Dramatik nach dem ersten Drittel merklich, um auf ein ungewisses Ende zuzusteuern. Schwächen liegen in der Darstellung eines der Charaktere sowie im Überfluss an Hintergrundinformationen, dem ein Sachregister entgegengewirkt hätte. Davon abgesehen sorgt der Thriller für gute Unterhaltung und lässt sich aufgrund des soliden Stils rasch lesen.

_Der Autor_ Alex Kortner ist Jahrgang 1962. Der Halb-Mexikaner hat seinen Wohnsitz in Mexiko, nachdem er mehrere Jahre lang die Karibik und Afrika bereiste, um dort unter anderem den Voodoo-Kult zu erforschen. „Dunkler Tanz“ ist sein Debütroman.

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Laymon, Richard – Insel, Die

Acht Reisende machen mit einer Jacht eine Urlaubsfahrt durch die Südsee. Plötzlich explodiert ihr Boot durch eine unbekannte Ursache. Dabei kommt offenbar Wesley, der an Bord gewesen ist, ums Leben. Der Rest von ihnen befand sich gerade zum Picknicken auf einer einsamen, nahe gelegenen Insel. Die Gruppe besteht aus Familie Collins und ihrem Anhang. Vater Andrew ist ein wohlhabender, pensionierter Marineoffizier, der trotz seiner sechzig Jahre noch relativ fit geblieben ist. Aus seiner ersten Ehe stammen die beiden Töchter Thelma und Kimberley. Die mollige und biedere Thelma ist Wesleys trauernde Witwe. Kimberley dagegen ist eine rassige Schönheit, der man ihr indianisches Blut ansieht. Sie ist verheiratet mit Keith, einem gut aussehenden Erfolgstypen. Billie ist Andrews zweite Frau, mit der er gerade den zwanzigsten Hochzeitstag feiert. Für ihr Alter ist die sehr weibliche Billie noch höchst attraktiv und dabei von sehr herzlicher Natur. Die Jüngste im Bunde ist Connie, die achtzehnjährige Tochter von Billie und Andrew, die zwar ebenfalls hübsch ist, aber weder die Attraktivität noch die Herzlichkeit ihrer Mutter besitzt. Den Abschluss bildet Connies Freund Rupert, den sie gerade an der Uni kennen gelernt hat. Obwohl die beiden ein paar Dates hatten, sind sie nicht richtig zusammen und streiten sich viel.

Auf der Insel versuchen die Überlebenden, sich so gut wie möglich mit ihren geborgenen Utensilien auszustatten, um bis zur Rettung durchzuhalten. Der literarisch ambitionierte Rupert beginnt gleich nach ihrer Ankunft, ein Tagebuch zu schreiben, das ihm später als Basis für einen Abenteuerroman dienen soll. Trotz der Katastrophe genießt der unerfahrene junge Mann das enge Beisammensein mit den schönen Frauen. Vor allem Kimberley und Billie faszinieren ihn, auch wenn er sich bemüht, seine Gefühle vor den anderen zu verbergen. Die Gruppe richtet sich ein Lager ein, fängt Fische und wechselt sich in der Nacht bei der Wache ab.

Am zweiten Tag jedoch geschieht ein Unglück: Keith ist während seiner Wache verschwunden. Nach kurzer Suche finden sie ihn aufgeknüpft im Dschungel, grausig zugerichtet und zweifelsfrei ermordet. Bis auf Thelma sind alle davon überzeugt, dass Wesley mit der Explosion seinen Tod nur vorgetäuscht hat und jetzt Jagd auf sie macht. Die Gruppe bewaffnet sich – doch kurz darauf wird erneut jemand aus ihrem Kreis ermordet. Ist es wirklich Wesley, der dahinter steckt? Was steckt als Motiv hinter den Morden? Wer von ihnen wird überleben? Für die Gestrandeten beginnt ein Katz-und-Maus-Spiel auf Leben und Tod im tückischen Südseedschungel …

Eine Insel in der tropischen Südsee mag ein malerischer Schauplatz sein – allerdings nicht, wenn Richard Laymon die dazugehörige Handlung schrieb. Seine action- und gewaltgeladenen Horrorthriller werden derzeit endlich auch von deutschen Genrefans entdeckt und machen der |Heyne-Hardcore|-Reihe alle Ehre. Das galt bereits für [„Rache“ 2507 und erst recht für seine noch stärkere „Insel“, auch wenn kleine Mängel den Gesamteindruck trüben.

|Straffe Handlung, Spannung bis zum Schluss|

Mit einem „Heute ist die Jacht explodiert“ wird der Leser von der ersten Zeile an hineingerissen in eine turbulente Handlung, die an keiner Stelle Längen aufweist. Den Protagonisten bleibt kaum ein Moment zum müßigen Verweilen, jede Situation wift neue Fragen auf. Zunächst darf gerätselt werden, wie sie ihre Notlandung auf der offenbar unbewohnten Insel meistern; bald darauf folgt der erste Mord, der Schock, Verstörung und Unsicherheit nach sich zieht, wenig später der zweite Todesfall, die Jagd auf den Mörder, Lügen, Intrigen und Kämpfe ums nackte Überleben. Dem Leser stellt sich eine Reihe von Fragen, die ihn bei der Stange halten: Wer ist der kaltblütige Mörder, was für ein Motiv lässt ihn die Taten begehen, nach welchem Prinzip mordet er die Überlebenden, wer wird als nächster an die Reihe kommen, wird es Überlebende geben oder werden sie zuvor gerettet? Kaum etwas ist gewiss in diesem Strudel aus Wahnsinn, Gewalt und Grauen. Immer wenn man glaubt, dass sich eine ruhigere Phase ankündigt, wird man aufs Neue belehrt und eine überraschende Wendung wirft die Ereignisse wieder durcheinander. An Atempausen ist kaum zu denken, stattdessen hetzt man mit den Charakteren durch die grüne Hölle, ohne zu wissen, was hinter der nächsten (Handlungs-)Ecke lauert. Dabei bleiben die Geschehnisse aber erfreulicherweise stets übersichtlich. Es existieren keine Nebenschauplätze, keine Zweighandlungen, die den Leser verwirren könnten, so dass es bei aller Hektik keine große Konzentration braucht, um den Ereignissen zu folgen. Die Spannung wird bis zur letzten Seite gehalten. Bis dahin ist völlig unklar, wie das Schicksal der Gestrandeten endet und wer von ihnen die Katastrophe überlebt – falls überhaupt einer überlebt, denn nicht einmal dessen kann man gewiss sein. Schließlich basiert die Handlung auf Tagebuchaufzeichnungen, die theoretisch jederzeit enden könnten …

Das Prädikat „Heyne Hardcore“ steht für schockierende Inhalte, die nicht mit Gewaltdarstellungen geizen. War aber bereits „Rache“ schon kein Extremfall für den durchschnittlichen Horrorleser, so schocken die Gewaltmomente in der „Insel“ noch weniger. Natürlich passieren hier Morde, doch dem Leser wird meist das Endergebnis präsentiert, statt sich in seitenlanger Schilderung des Vorgangs zu ergehen. Lediglich kurz vor Schluss geht es extrem blutig zur Sache, aber auch hier dürften allenfalls sehr zarte Gemüter verstört reagieren. Grundsätzlich ist „Die Insel“ sicherlich ein harter Stoff, der aber nicht schwerer zu verdauen ist als das meiste andere der aktuellen Thriller- und Horrorliteratur auch. Die dichte Dschungelatmosphäre tut ihr Übriges, um den Leser zu fesseln. Es verbinden sich zwei interessante Ausgangspositionen: Die Gestrandeten müssen im fremden Dschungel überleben und gleichzeitig einen Mörder unter sich entlarven. Die tropische Hitze, die schwindenden Vorräte, Moskitoplagen und die Furcht vor wilden Tieren oder Verletzungen in dem unwirtlichen Gelände sorgen für zusätzlichen Zündstoff, wenn sie auch nicht ausgereizt werden. Diese Faktoren beinhalten durchaus noch ungenutztes Konfliktpotenzial, hätten die ohnehin sehr straffe Handlung allerdings womöglich überladen. Zum schnellen Tempo der Handlung passt der flüssige Stil, der sich leicht und locker lesen lässt. Rupert schreibt weder zu flapsig noch zu formell, sondern findet die ideale Mischung, um ein fließendes Lesevergnügen zu kreiieren.

|Mal Sympathie, mal Antipathie|

Eine von Laymons besonderen Stärken liegt in der Darstellung der Hauptfiguren, die dem Leser nie uneingeschränkt sympathisch sind. Zwar ist Rupert, der Tagebuch schreibende Student, ein netter Kerl, dessen Gedanken man weitestgehend nachvollziehen kann. Aber immer kurz bevor man ihn als Sympathieträger einstufen will, leistet er sich einen gedanklichen oder handlungsweisenden Fehltritt und offenbart abstoßende Charakterzüge. Denn trotz aller Sorge um das Heil seiner Mit-Gestrandeten hegt er gegen manche von ihnen deutliche Abneigungen, denen er in seinen Aufzeichnungen Luft macht. Obwohl er Keith keinen brutalen Tod gegönnt hat, kann er sich nicht eines kleinen Triumphgefühls erwehren, schließlich war ihm die Überlegenheit dieses aalglatten Supermanns schon lange ein Dorn im Auge. Parallel dazu erkennt Rupert mit dem Verstand natürlich an, dass sie alle darauf hoffen sollten, so schnell wie möglich gerettet zu werden. Doch gleichzeitig genießt der unerfahrene junge Mann die Gesellschaft so attraktiver Frauen. Egal wie ernst die Lage der unfreiwilligen Robinsonaden auch ist, für Rupert ist der Anblick der knapp bekleideten Ladys eines der Highlights seines spätpupertierenden Lebens.

Durch die gesamte Geschichte zieht sich dieses Spannungsverhältnis von Vernunft und Primitivität in Ruperts Charakter. Manches Mal fühlt man mit seinen Gedankengängen und kann sich nur zu gut in seine Not hineinversetzen. Andere Male fühlt man sich von seiner Lüsternheit und seiner Sensationsgier abgestoßen. Doch gerade dieser Zwiespalt in Ruperts Charakter macht ihn so authentisch, mehr als es ein heroischer Saubermann je könnte.

Auch die anderen Charaktere lassen sich kaum in ein festes Schema einordnen. Connie ist die meiste Zeit zickig, beweist aber zwischendurch auch ihre sensible Seite, Thelma ist unberechenbar in ihrer Parteinahme für Wesley und Andrew übernimmt in herrischer Befehlsmanier das Kommando. Die Gefahrensituation lässt zudem in jeder Person die Extreme hervorschnellen. Misstrauen greift um sich, die Charaktere entwickeln eine Hass-Liebe zueinander. Vor allem zwischen den Familienmitgliedern brechen alte Konflikte auf, die die Anspannung verstärken. Wer von ihnen ist wirklich so, wie er sich gibt, und wem kann man trauen – das sind zwei der Fragen, die sich Rupert wiederholt stellen muss.

|Schwächen in der Tagebuchform|

Grundsätzlich birgt die formale Umsetzung der Handlung ins Tagebuchformat einige Stärken, vorneweg das ungewisse Ende, denn niemand garantiert dafür, dass Rupert seine Aufzeichnungen zu einem vernünftigen Schluss bringt. Theoretisch könnte er früher sterben und das Manuskript mittendrin abbrechen. Auch ergeben sich ständig neue Erkenntnisse zu den Ereignissen. Wenn Rupert Vermutungen anstellt, kann der aktuelle Stand ein paar Tage darauf wieder ganz anders aussehen. Die Schwäche liegt jedoch in der unglaubwürdigen Umsetzung. Vor allem in der ersten Hälfte sind Ruperts Aufzeichnungen außerordentlich durchdacht und sehr ausführlich. Bis ins kleinste Detail erinnert er sich an die Dialoge, an die Mimiken und Gestiken seiner Inselmitbewohner. Besonders auffallend ist seine Strukturierung, die er sehr literarisch gestaltet, anstatt, wie es erwartenswert wäre, die Ereignisse auf den Punkt zu bringen, um seinen Emotionen Luft zu verschaffen.

Stattdessen formuliert er seine Gedanken, als gäbe ihm seine Situation jede Menge Zeit und Muße dazu. Erst in der zweiten Handlungshälfte weicht er etwas von diesem Schema ab. Seine Aufzeichnungen werden ein wenig wirrer und ungeordneter, sind aber immer noch viel zu ausführlich für ein Inseltagebuch, das unter enormen Druck verfasst wird. Tagebuchformen bringen immer das Problem mit sich, dass authentisch wirkene Aufzeichnungen meist nicht systematisch genug sind, um einen Leser zu fesseln. Trotzdem wäre es vorteilhaft und wünschenswert gewesen, Ruperts Extremsituation mehr in seine Art der Fixierung einfließen zu lassen. Die eingeschobene Erwähnung, dass Rupert literarische Ambitionen hegt und das Tagebuch später als Basis für einen Abenteuerroman nutzen will, erscheint eher als halbherziges Alibi statt als überzeugendes Argument.

|Mangelnder Realismus|

Offensichtlich wird dies auch, wenn Rupert sich bis zum Schluss immer wieder ironische und humorvolle Gedankengänge erlaubt, auch wenn sie angesichts der Lage unpassend sind. Das Gleiche gilt auch für seine sexuellen Phantasien, die er in den unangebrachtesten Momenten verspürt und zu Papier gibt. Diese Überbetonung des Triebhaften ist typisch für Laymon und gibt seinen Werken einen B-Movie-Charakter – glücklicherweise hält sich diese Tendenz jedoch in „Die Insel“ in Grenzen. Unangebrachte Reaktionen gibt es nicht nur von Ruperts Seite aus, sondern auch bei den anderen Figuren. Vor allem bei den Frauen wird zu gefasst auf die dramatischen Entwicklungen reagiert. Nur Thelma verfällt in eine realistische Krise, als sie vom mutmaßlichen Tod ihres Mannes Wesley erfährt. Kimberly und Billie dagegen beweisen während des ganzen Romans über eine außerordentliche Festigkeit und Stärke, in vielen Augenblicken halten sie sich tapferer als Rupert selbst, der als Einziger der Beteiligten keinen Angehörigen verliert und sich somit eigentlich am gefasstesten verhalten müsste. Zusammenbrüche weiblicher Protagonisten können zwar mitunter nervtötend sein, aber es wäre adäquater gewesen, zumindest phasenweise ihr Leiden und ihre Ängste stärker zu zeichnen. Schade ist zudem die ungenutzte Möglichkeit, die Täter-Verdächtigungen noch weiter zu streuen. Zu früh legt man sich auf einen bestimmten Täter fest, zu dem sich später ein zweiter hinzugesellt. Noch prekärer hätte man die Lage gestalten können, indem innerhalb der verbliebenen Gruppe stärkeres Misstrauen zum Vorschein gekommen wäre – um die Schlinge um Rupert so eng wie möglich zu ziehen …

_Als Fazit_ bleibt ein durchgehend spannender und unterhaltsamer Horror-Roman, der die Robinson-Crusoe-Thematik mit einer Mörderjagd verbindet. Von der ersten bis zur letzten Seite ist der Leser gefesselt von den dramatischen Ereignissen und überraschenden Wendungen. Weitere Pluspunkte sind die abwechslungsreichen Charaktere und der flüssige Stil. Kleine Schwächen liegen in der Tagebuchform, die nicht wirklich authentisch wirkt, und den teilweise zu harmlosen Reaktionen der Protagonisten. Von diesen Mängeln abgesehen, bietet sich ein Lesevergnügen für alle Freunde der Horrorliteratur.

_Der Autor_ Richard Laymon wurde 1947 in Chicago geboren und ist einer der meistverkauften Horrorautoren der USA. Er studierte englische Literatur und arbeitete unter anderem als Lehrer und Bibliothekar, ehe er sich dem Schreiben widmete. Im Jahr 2001 verstarb er überraschend früh und hinterließ eine Reihe von Romanen, die vor allem wegen ihrer schnörkellosen Brutalität von sich Reden machten. Nur ein kleiner Teil davon ist bislang auf Deutsch erhältlich. Zu seinen weiteren Werken zählen u.a. „Rache“, „Parasit“, „Im Zeichen des Bösen“ und [„Vampirjäger“. 1138
Mehr über ihn gibt es auf seiner offiziellen [Homepage]http://www.ains.net.au/~gerlach/rlaymon2.htm nachzulesen.

http://www.heyne-hardcore.de

Katzenbach, John – Anstalt, Die

Massachusetts um 1980: Der einundzwanzigjährige Francis Petrel wird gegen seinen Willen in das psychiatrische Klinikum Amherst eingewiesen. Schon seit vielen Jahren hört er Stimmen in seinem Kopf und gilt als Exzentriker. Eines Tages eskaliert ein Streit mit seinen Eltern, er greift nach einem Küchenmesser und bedroht erst seine Familie und anschließend sich selber. In der Klinik wird er durch Medikamente ruhig gestellt. Zunächst ist Francis verzweifelt, da er sich wie ein Gefangener fühlt, doch nach und nach lernt er, mit seiner Situation umzugehen. Sein bester Freund unter den Mitpatienten wird Peter, der wie alle Insassen und Mitarbeiter einen Spitznamen trägt: „the Fireman“, ein ruhiger, intelligenter Mann, der viel zu vernünftig für seine Umgebung erscheint. Francis erhält den Spitznamen „C-Bird“, in Anspielung auf seinen Nachnamen. Außerdem ist da zum Beispiel noch Nappy, der dank seiner Vorliebe für Napoleon alles aus der Lage des 18. Jahrhunderts betrachtet; die übergewichtige Cleo, die sich als Königin Kleopatra sieht und unermüdlich Tischtennis spielt; Newsman, der alle Schlagzeilen auswendig lernt und jedem ungefragt mitteilt, und der schlacksige Lanky, der hinter jedem Neuling den Teufel wittert. Der herrische Psychologe wird Dr. Evil genannt und das nette schwarze Pflegerbrüderpaar ist als Big Black und Little Black bekannt.

Eines Nachts erschüttert ein dramatischer Zwischenfall die Klinik, als die junge Lernschwester „Short Blond“ brutal ermordet aufgefunden wird. Der Verdacht fällt sofort auf Lanky, der erst kurz zuvor eine Auseinandersetzung mit ihr hatte und ihr Blut an seinen Kleidern trägt. Lankys Beteuerungen, dass der „Engel des Todes“ den Mord begangen und ihn anschließend umarmt habe, schenkt niemand Glauben und der verwirrte Mann wird festgenommen. Nur Peter und Francis behalten ihre Zweifel an seiner Schuld. Kurz darauf taucht die Untersuchungsrichterin Lucy Jones in der Klinik auf. Sie berichtet von weiteren Morden nach dem gleichen Schema durch einen unbekannten Täter. Gemeinsam mit Peter und Francis, die ihr durch ihr Insiderwissen helfen sollen, stellt sie nähere Nachforschungen in der Klinik an. Doch es folgen weitere Morde …

Zwanzig Jahre später: Die Anstalt ist seit einigen Jahren geschlossen, Francis wurde entlassen. Noch immer hört er Stimmen, doch die Medikamente halten sie unter Kontrolle. Da erhält er eine Einladung für ehemalige Patienten zu einem Aktionstag an der Klinik. Durch die Rückkehr nach Amherst werden die Erinnerungen in Francis wieder lebendig. Aufgewühlt von den damaligen Ereignissen beginnt er, alle Geschehnisse nochmal zu durchleben und auf seinen Wohnungswänden niederzuschreiben. Wer war der „Engel des Todes“ – eine Schreckensphantasie oder lebendige Wirklichkeit … ?

Die weiße Hand, die im Dunkeln dem Betrachter bedrohlich entgegenstrahlt, ist nicht nur ein nettes Gimmick auf dem Cover, sondern sie verheißt auch Nervenkitzel pur. Dass der Inhalt Ambitionen besitzt, die über einen normalen Schocker hinausgehen, lässt sich weder an der Aufmachung noch am eher reißerischen Klappentext ausmachen. Einschüchterungen in einer Nervenheilanstalt, Widerstand gegen Bevormundungen der Betreuer, Aufstände der Insassen – kein Zweifel, „Einer flog über das Kuckucksnest“ lässt grüßen und damit auch Ankläge an ein sozialkritisches Drama. Tatsächlich ist „Die Anstalt“ mehr als bloß ein Psychothriller, sondern der Roman vereint zudem gesellschaftskritische Elemente durch das Vorhalten eines sozialen Spiegels.

|Von Irren und weniger Irren|

In Francis Petrel findet der Leser einen sympathischen Protagonisten und Ich-Erzähler, der zwar gewöhnungsbedürftig, dafür aber auch umso vielschichtiger ist. Francis hört Stimmen, die ihn mal zu Agressionen, mal zur Zurückhaltung anstacheln. Bis zu seiner Einlieferung führte er das Leben eines Außenseiters, doch auch in der Klinik hat er nicht annähernd das Gefühl, zuhause zu sein. Stattdessen empfindet er seine Lage als Gefangenschaft, hilflos dem zynischen Arzt Dr. „Gulp-a-pill“ Gulptilil und dem Psychologen Dr. „Evil“ Evans ausgeliefert.

Obwohl seine psychischen Defizite offenkundig sind, scheint er nicht in die Welt von Amherst zu passen, eine Welt voller Verrückter unterschiedlichster Arten, die ihm die Eingewöhnung schwer machen. Da er auch in der „normalen“ Welt keinen Anschluss findet, erscheint Francis als zerrissener Charakter, dessen mühevolles Leben dem Leser nah geht. Umso erfreulicher liest sich seine Freundschaft mit Peter the Fireman, der mit seinem scharfen Verstand und seiner besonnenen, weitsichtigen Art absolut nicht in den überdrehten Klinikalltag passen will. Immer wieder sinniert Francis darüber nach, wie qualvoll erst das Leben von Peter sein muss, der zwar ein schweres Verbrechen begangen hat, jedoch tatsächlich kein psychisch Kranker ist, der sich noch fremder als Francis an diesem Ort der Verrücktheit fühlen muss. Seine ruhige Ausstrahlung beeindruckt nicht nur Francis, sondern auch den Leser. Peters Dasein in der Anstalt bedeutet einen Hoffnungsschimmer in all der Trostlosigkeit, Symbol des Kämpfers gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung, eine sympathische Auflehnung gegen die Allmacht der Klinikleiter. Peter gibt nicht nur seinem speziellen Freund Francis den nötigen Rückhalt, er unterstützt auch die anderen Insassen, beispielsweise in den Gruppensitzungen bei seinem Erzfeind Dr. Evans. Obwohl er offiziell nur die zweite Geige in der Handlung spielt, ist Peter ein fast noch interessanterer Charakter als der Protagonist Francis selbst.

Die dritte zentrale Gestalt ist die Staatsanwältin Lucy Jones, eine faszinierende Schönheit; nach außen hin willensstark und um jeden Preis entschlossen, den Mörder zu fassen, insgeheim jedoch auch gebeutelt von einem traumatischen Erlebnis, das die Kämpferin in ihr gegen das Verbrechen erst geweckt hat. Lucy, die vor allem gegen Ende des Romans an Bedeutung gewinnt, ist kein so schillernder oder fesselnder Charakter wie Francis und Peter, bietet aber ein passables Gleichgewicht zu den beiden Hauptcharakteren.

Der Makrokosmos der Gesellschaft zeigt sich im Mikrokosmos der Anstaltsbewohner. Wie im realen Leben existieren auch hier die unterschiedlichsten Persönlichkeiten. Glücklicherweise wird auf ein reines Schwarz-Weiß-Schema verzichtet. Zwar sind die obersten Leiter und Verantwortliche unsympathisch und dominant, dafür überzeugen einige der Pflegekräfte, allen voran die „Black-Brüder“, durch Menschlichkeit und viel Verständnis für ihre Patienten – angenehmerweise ohne wiederum zu lässig oder solidarisch zu sein. Big Black und Little Black machen keinen Hehl aus ihrer Sympathie für Francis, ohne dabei in ein rein freundschaftliches Verhältnis zu verfallen, denn bei aller Wertschätzung und allem Mitgefühl bewahren sie ihre berufsmäßige Professionalität. Unter den Patienten finden sich apathisch Retardierte, kindlich Zurückgebliebene, Brutal-Aggressive und eine Reihe liebenswerter Charaktere mit belustigenden Spleens, allen voran Napoleon, die temperamentvolle Cleo und das wandelnde Lexikon Newsman.

|Spannung trotz Weitschweifigkeit|

Die Grundidee weiß zu fesseln: Eine Nervenklinik und ihre merkwürdigen Insassen bieten immer Stoff für eine interessante Handlung, ebenso wie eine Mörderjagd. Spannung bis zum Schluss wird dem Leser geboten, denn während der Lektüre tun sich eine Menge Fragen auf: Allen voran steht natürlich die Suche nach dem geheimnisvollen Täter, der mehrere Morde auf dem Gewissen hat. Ist es tatsächlich der zurückgebliebene Lanky, den die Polizei sofort dankbar in Gewahrsam nimmt? Was ist mit seinen Beteuerungen über den „weißen Engel“, existiert er wirklich oder ist er ein Gespinst seiner Phantasie? Ist es ein Insasse, ein Mitarbeiter, ein Außenstehender, der sich hier unter den Hunderten von Bewohnern tarnt? Welches Motiv verfolgt der Killer, was verbindet seine Opfer – oder bilden sie bloß die Vorstufe zu einem höheren Ziel?

Fragen gibt es unzählige, Antworten nur wenige. Immer wieder nehmen Peter, Francis und Lucy neue Fährten auf, werden aber allzu oft in die Irre geleitet und enden in seiner Sackgasse. Als zusätzliches Spannungselement kommt der Zeitfaktor ins Spiel. Es gilt nicht nur, einem Mörder rechtzeitig das Handwerk zu legen, bevor er erneut zuschlägt – Lucy soll aufgrund mangelnder Erkenntnisse von ihrem Posten abgezogen werden und die Ermittlungen einstellen; Peter wird von seiner Vergangenheit eingeholt und steht vor der zweifelhaften Wahl zwischen Gefängnis und Verlegung in eine andere Anstalt.

Der Leser sieht sich mit einer Kombination aus kriminalistischen und zwischenmenschlichen Aufhängern konfrontiert; sowohl das Rätselraten um die Identität und Motivation des Mörders als auch die Entwicklung der Schicksale der einzelnen Charaktere gewinnen seine Aufmerksamkeit. Sicher: Es braucht definitiv keine 750 Seiten, um die Handlung angemessen darzustellen; weniger wäre in diesem Fall um einiges mehr gewesen. Dies nicht nur, weil den wenigen actionreichen Handlungsmomenten viele ruhige gegenüberstehen, sondern auch, weil zahlreiche Gedankengänge und Situationen sich mit gegebenenfalls leichten Variationen wiederholen; Kürzungen von 200 bis 300 Seiten hätten dem Werk gut getan.

|Irritierender Perspektivenwechsel|

Am grundlegenden Stil des Autors gibt es nichts zu bemängeln; Katzenbach liest sich locker und flüssig, mal eher neutral und auf schnellen Genuss ausgerichtet, wie es typisch ist für Spannungsliteratur, mal eher mit blumigen Formulierungen, wenn es gilt, Francis‘ wirre Gedankengänge darzustellen. Auffallend und leider mit Mängeln versehen ist allerdings die Struktur, die den Roman in zwei Teile gabelt: Da ist zum einen die Handlungsebene, die in der Jimmy-Carter-Ära spielt, als der junge Francis in die Klinik eingeliefert wird. Und da ist zum anderen die Ebene der aktuellen Handlung, in der ein zwanzig Jahre älterer, aber immer noch Stimmen hörender Francis sich mit der Vergangenheit auseinander setzt.

Die aktuelle Handlung wird in der Ich-Form geschildert und ist zur besseren Übersicht kursiv gesetzt; die Vergangenheit – die den Hauptanteil des Romans ausmacht – besteht aus dem Text, den Francis auf seine Zimmerwände schreibt. Die Idee dieser Art der Vergegenwärtigung ist originell und passt zum psychotischen Charakter des Protagonisten, bleibt in der Umsetzung aber unglaubwürdig. Zum einen sind Francis‘ Ausführungen so ausführlich – eben ein ganzer Roman – und detailliert bis in die kleinste Abschweifung, zum Beispiel bei der Beschreibung von Örtlichkeiten und Mimiken, dass man ihm nicht abnimmt, dass er die Ausdauer besitzt, ein solches Mammutwerk auf die Wohnungswand zu kritzeln. Zum anderen übernimmt Francis in der Er-Form die Perspektive eines personalen Erzählers und gibt auch Situationen wieder, in denen er nicht selber anwesend war, bis hin zu ausführlichen Gedankengängen von Peter oder Lucy. Zwar wird diese Wiedergabe von Dingen, die Francis tatsächlich gar nicht – in diesem Umfang – wissen kann, anfangs einmal damit begründet, dass er sich bei seiner Verschriftlichung Freiheiten herausnimmt und seine Mutmaßungen spielen lässt. Dennoch bleibt der Eindruck zurück, dass dem Roman bei weitem besser damit gedient gewesen wäre, die Ich-Perspektive bzw Francis‘ Wandschreibereien zu streichen und sich auf die Perspektive eines personalen Erzählers zu beschränken. Francis‘ Vorgehensweise ist einfallsreich, aber nur eine Alibi-Strukturierung.

|Schwächen in der Glaubwürdigkeit|

Dem Roman ist zugute zu halten, dass er sich nicht auf sein Thrillerdasein beschränkt, sondern sich auch mit der Behandlung der Patienten auseinander setzt, die auch in der Realität, vor allem in der damaligen Zeit, in vergleichbaren Kliniken zu wünschen übrig lässt. Gemeinsam mit Francis sinniert der Leser über die Würde, die einem innerhalb der Anstaltsmauern noch bleibt – sofern man um sie kämpft. Ruhigstellung mit hochdosierten Medikamenten und Abschiebung in die Isolierzelle sind die Maßnahmen, an die sich die Ärzte halten, die Menschlichkeit bleibt auf der Strecke.

Trotz dieser lobenswert kritischen Darstellung schleichen sich Mängel in die Umsetzung ein. Zu leicht erscheint das Abkommen, dass Francis und Peter als Amateur-Ermittler der Staatsanwältin Lucy Jones zur Seite stehen dürfen. Beide sind mehr als bloße Insider-Informanten; vielmehr präsentieren sie sich als gleichberechtigte Komplizen, die zuweilen die offizielle Ermittlerin sogar in den Hintergrund drängen, als eine Art Detektiv-Duo, das sich gegenseitig die Erkenntnisse wie Bälle zuspielt. Sehr fraglich ist die Reaktion von Klinikleitern und Polizei, als sich ein Todesfall ereignet, den sie als Selbstmord klassifizieren – ungeachtet einiger Details, die deutlich darauf Hinweisen, dass hier eine zweite Person mit im Spiel gewesen sein muss. Am Schluss des Buches und der Entlarvung des Täters scheiden sich die Geister: Einerseits ist das Ende nicht leicht vorherzusehen, andererseits wäre wünschenswert gewesen, einige zusätzliche Andeutungen einzubauen, denn die Identität des Mörders dürfte für viele Leser eine eher enttäuschende Überraschung bilden.

_Unterm Strich_ ist „Die Anstalt“ ein unterhaltsamer und lesenswerter Psychothriller, der sich nicht auf eine Mörderjagd beschränkt, sondern auch interessante Einblicke in das Leben von Psychiatriepatienten liefert. Vor allem dank der gut dargestellten Charaktere versetzt sich der Leser in die Geschichte hinein, nimmt Anteil am Geschehen und am Schicksal der Hauptfiguren. Schwächen gibt es dagegen in der unnötigen Weitschweifigkeit, der Zweiteilung der Perspektive und einiger Unglaubwürdigkeiten in der Handlung, zu denen auch das recht weit hergeholte Ende gehört.

_Der Autor_ John Katzenbach war vor seiner Schriftsteller-Karriere als Gerichtsreporter für die „Miami News“ und den „Miami Herald“ aktiv. 1982 erschien seiner erster Roman, „In the Heat of the Summer“, für den er eine Edgar-Award-Nominierung erhielt. Es folgten mehrere Bestseller, unter anderem „Der Sumpf“, „Die Rache“ und „Das Tribunal“.

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Wendy Morgan – Von schwarzem Herzen

Ein Jahr ist es her, dass Rose Larrabees Mann Sam in einer Winternacht an einem Stromschlag verstorben ist. Die junge Witwe versucht, ihr Leben so gut es geht ohne ihn zu meistern, vor allem ihren beiden Kindern zuliebe, der sechsjährigen Jenna und dem dreijährige Leo. Zusätzlich geht sie ihrer Arbeit in einem Buchladen nach. Obwohl sie ihr Schicksal tapfer erträgt, hängt sie noch zu sehr an Sam, als dass sie sich für andere Männer interessieren könnte. Neben ihren Kindern sorgt vor allem ihre Schwägerin Leslie für Abwechslung in ihrem Leben. Auch Leslie hat den Tod ihres geliebten Bruders noch nicht verkraftet. Während sie nach außen hin fröhlich und ausgelassen wirkt, vergleicht sie insgeheim immer wieder ihren Verlobten Peter mit dem verstorbenen Sam, um festzustellen, dass Peter lange nicht so fürsorglich und liebevoll ist wie er.

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Bresching, Frank – Ruf der Eule, Der

Der sechzehnjährige Alexander, von seinen Freunden bloß Alex genannt, meldet sich zu einem Schüleraustausch nach Cambridge in England an. Für zwei Wochen geht es zu einer Gastfamilie. Anschließend soll der Sohn der englischen Familie im Gegenzug bei ihm in Deutschland unterkommen. Nicht nur Alex, auch einige seiner Klassenkameraden machen bei dem Austausch mit, darunter auch sein bester Freund Dominik.

In Cambridge wird Alex von Familie Taylor aufgenommen, die aus der Mutter Kathryn und den beiden Jugendlichen Patricia und Marc besteht. Gleich bei seiner Ankunft erfährt Alex, dass Familienvater William vor zwei Jahren ums Leben gekommen ist. Kathryn bittet ihn, nicht mehr auf dieses schmerzhafte Thema zu sprechen zu kommen. Kathryn ist eine attraktive Frau um die Vierzig, die die meiste Zeit außer Haus ist, da ihr Job in einem medizinischen Unternehmen sie sehr fordert. Marc und Pat sind Zwillinge, ansonsten aber unterschiedlich wie Tag und Nacht. Marc ist ein rothaariger, ruhiger, zurückhaltender Junge, der immer darauf bedacht ist, es seinem Gast recht zu machen. Alex versteht sich gut mit ihm, verspürt aber auch eine gewisse Distanz. Pat hingegen ist nicht nur eine dunkle Schönheit, sondern strotzt auch vor Selbstbewusstsein und Laszivität. Ihre Ausstrahlung bringt Alex in Verwirrung, zumal er nicht ersehen kann, ob sie ihn leiden kann oder nicht.

Nach den ersten Tagen kommen sich Alex und Pat jedoch näher. Alex ist überglücklich, dass seine schöne Gastschwester sich ernsthaft für ihn zu interessieren scheint, obwohl er sich nach wie vor nicht ganz sicher ist, wie sie wirklich zu ihm steht. Aber kaum dass Alex sich eingewöhnt hat, warnt ihn eine alte Nachbrain vor der Familie, vor allem vor Kathryn. Ein düsteres Geheimnis scheint den Tod von William Taylor zu umgeben. Unheimlich wird es, als Alex herausfindet, dass Kathryns Firma sich mit Leichenkonservierung zur eventuellen Wiederbelebung befasst.

Wie hängt diese Entdeckung mit William Taylors Tod zusammen? Was für eine Bedeutung hat die Gedenkstätte im Keller des Hauses? Und warum träumt Alex in letzter Zeit ständig von seinem verstorbenen Großvater, der ihm offenbar etwas zu sagen versucht? Bald weiß Alex nicht mehr, ob er sich etwas zusammenphantasiert oder sein Verdacht gerechtfertigt ist. Die Atmosphäre im Haus der Taylors wird immer angespannter. Kann Alex ihnen trauen oder schwebt er wirklich in Gefahr? Immer tiefer verstrickt sich der Junge in ein Netz aus Todes- und Jenseitserfahrungen, grausigen Experimente und dunklen Prophezeihungen, aus dem es kaum ein Entrinnen gibt …

Was kommt nach dem Tod? – Das ist die zentrale Frage, um die sich dieser Thriller dreht und mit der er den Leser konfrontiert. Eine Frage, die bereits vor Beginn der eigentlichen Geschichte aufgeworfen und im Verlauf der Handlung immer bestimmender wird.

|Protagonist als Identifikationsfigur|

Sympathischerweise präsentiert sich der Ich-Erzähler als normaler Durchschnittsjugendlicher, mit dem sich der Leser identifizieren kann. Alex ist, im Gegensatz zu seinem Freund Dominik, weder im schulischen Bereich noch bei den Mädchen oder im Sport ein absoluter Überflieger. Lediglich sein Englisch ist überdurchschnittlich gut, ansonsten offenbart er angenehme Unsicherheiten, die man nachvollziehen kann. Enorm schwer tut er sich bei der Einschätzung von Patricias Gefühlen, obwohl er nicht gänzlich unerfahren in Sachen Mädchen und Beziehungen ist.

Trotzdem versteht es seine Gastschwester, ihn immer wieder aufs Neue zu verwirren, seine Gedanken durcheinander zu bringen, so dass seinem besten Freund sehr bald auffällt, dass Alex rettungslos verliebt ist. Auch die Unsicherheitlichen bezüglich seiner Gastfamilie sind gut dargestellt. Mehrere Punkte sprechen dafür, dass sich Alex wirklich in Gefahr befindet, dass sich Marc und vor allem Kathryn ihm gegenüber verändert haben, dass ihre Blicke dafür sprechen, dass er sich mitten in einer Verschwörung gegen sich befindet. Doch es fehlen ausschlaggebende Beweise, so dass Alex in seiner Einschätzung hin und her schwankt. Dem Leser ergeht es ähnlich, denn alles ist möglich: Vielleicht erweisen sich Alex‘ Verdächtigungen als haltlos, aber vielleicht steuert er auch direkt auf eine Katastrophe zu …

|Dichte Handlung|

Die Handlung ist straff gespannt und erlaubt sich keine unnötigen Abschweifungen. Zwar werden kleine Rückblicke in die Vergangenheit zu Alex‘ verstorbenem Opa eingebaut, doch diese sind von zentraler Bedeutung für den weiteren Verlauf, wie sich bald herausstellt. Der Spannungsbogen steigert sich konsequent, bis man mit dem Protagonisten mitfiebert und sich eine Antwort auf all die Fragen herbeisehnt, die sich durch all die merkwürdigen und beunruhigenden Ereignisse ergeben haben. Dabei deutet, bis auf einen kurzen, düsteren Rückblick, zunächst nichts in der Haupthandlung auf eine ungewöhnliche Entwicklung hin.

Ein Schüleraustausch nach England, eine nette Gastfamilie, eine kleine Liebelei zwischen Teenagern bilden den harmlosen Einstieg, der dementsprechend fast belanglos daherkommt. Nach und nach häufen sich jedoch die Vorfälle, die Alex misstrauisch werden lassen, angefangen bei den seltsamen Traum-Visionen über seinen verstorbenen Großvater bis hin zu den Warnungen der alten Nachbarin. Alex wird von Neugierde gepackt und stellt eigene Nachforschungen an – und das Ergebnis beunruhigt ihn zutiefst. Spätestens an diesem Moment ist der Leser gefangen und hofft gemeinsam mit dem Protagonisten, dass sich alles zum Guten weden möge.

Positiv sticht zudem heraus, dass sich der Roman gleichermaßen für Jugendliche als auch für Erwachsene eignet. Das Thema ist ernst und durchaus beängstigend, doch für Leser in Alex‘ Alter gut aufbereitet. Die wissenschaftlichen Details halten sich in Grenzen und die Jugendlichkeit des Protagonisten macht das Buch ideal für diese Altersklasse. Dazu passt auch der leichte, sehr dialoglastige Stil, der für eine flüssige Lesbarkeit sorgt. In spätestens zwei Tagen, unter Umständen auch schon an einem, hat mal als Schnellleser die gut 240 Seiten hinter sich gebracht. Aber auch wenn längere Pausen eingelegt werden, hat man keine Probleme, sich rasch wieder ins Geschehen einzufinden. Es gibt keine verwirrenden Handlungszweige, stattdessen ist der Roman klar strukturiert aufgebaut. Am Ausgang der Geschichte mögen sich die Geister scheiden, feststeht jedoch, dass der Autor Mut zur Konsequenz bewiesen hat. Die Pointe kommt recht unerwartet, fügt sich aber ins Gesamtbild ein und schlägt einen unkonventionellen Weg ein, was selbst derjenige honorieren sollte, dem das Ende inhaltlich nicht gefällt.

|Kleine Schwächen|

Trotzdem ist „Der Ruf der Eule“ nicht frei von Mängeln. Da ist einmal der sehr geraffte Beginn, der zwar das zügige Lesen fördert, aber an manchen Stellen etwas mehr Ausführlichkeit verdient hätte. Zwischen dem Entschluss von Alex, an dem Schüleraustausch teilzunehmen, und seiner Ankunft bei seiner Gastfamilie herrscht ein harter Bruch. Ohne Zwischenstation wird zu einer Szene übergeblendet, in der Alex in England am Küchentisch sitzt. Der Leser weiß die Namen „Kathryn“ und „Marc“ daher zunächst gar nicht einzuordnen. Erst zwei Seiten später folgt ein kurzer Rückblick zu seinem Empfang bei der Ankunft. Grundsätzlich hat man das Gefühl, dass es der Handlung gut getan hätte, sie in einen weitgefassteren zeitlichen Rahmen unterzubringen. Da Alex insgesamt nur einen Aufenthalt von zwei Wochen in England hat, erscheint die Entwicklung der Ereignisse zu überhastet und zu gedrängt. Schöner wäre gewesen, die Zeit des Austausches großzügiger anzulegen und dafür die Entwicklung gemächlicher zu gestalten.

Glaubwürdigkeit büßt der Roman dadurch ein, dass Alex offenbar während seines ganzen Aufenthaltes keinerleih Sprachprobleme zu bewältigen hat. Man erfährt zwar kurz vor seiner Anreise, dass er ein sehr guter Englischschüler ist, aber trotzdem erscheint es unrealistisch, dass er von da an jedes Gespräch wie ein Muttersprachler zu bewältigen scheint. Man vergisst geradezu, dass er sich in einem fremden Land befindet. Nur bei der Begrüßung durch Marc wird erwähnt, dass Alex ihn „in einem guten Englisch“ anspricht – von da an ist es selbstverständlich, dass er sich fließend mit allen Engländern unterhält. Natürlich sollen keine Verständnisprobleme vom Inhalt der Handlung ablenken, aber um Oberflächlichkeit zu vermeiden, wäre es eleganter gewesen, wenigstens ab und zu die Hauptfigur Alex ein wenig ins Nachdenken zu versetzen, anstatt ihm ein fließendes Englisch zu verpassen. Gerade bei den langen Dialogen, die er beispielsweise mit der alten Nachbarin führt, ist es wesentlich glaubwürdiger, wenn der Protagonist angesichts der Ungewöhnlichkeit der Ereignisse kurz innehalten und überlegen muss.

Während sich am Anfang die Geschehnisse in rascher Abfolge ereignen, wird an anderer Stelle die Ausführlichkeit übertrieben. Das ist vor allem in ausufernden wörtlichen Reden der Fall. Als Patricia Alex vom Tod ihres Vaters erzählt, beschreibt sie minutiös alle Vorgänge in epischer Breite. Anstatt sich darauf zu beschränken, den schlechten Zustand ihres Bruder wiederzugeben, erwähnt sie sogar, dass „kleine, feine Schweißtropfen“ seine Schläfen säumten, ganz wie ein allwissender Erzähler, der sich detailgenau jede seiner Figuren vornimmt, was in einer wörtlichen Rede aber zu viel des Guten ist.

Insgesamt ist das Buch sauber lektoriert, wenn sich auch ein paar kleine Fehlerteufel eingeschlichen haben – so verzichtet der Verlag grundsätzlich auf das übliche Leerzeichen vor den Auslassungspunkten, mal werden Anführungszeichen oben statt unten oder fälschlicherweise vor den Satzpunkt gesetzt, aber diese Schludrigkeiten kommen nur vereinzelt vor und fallen nicht weiter auf.

_Unterm Strich_ ist „Der Ruf der Eule“ ein lesenswerter und unterhaltsamer Thriller, der sich sowohl für Erwachsene als auch für Jugendliche eignet. Nach harmlosen Beginn wird der Verlauf der Handlung immer mystischer und bedrohlicher bis hin zu einem überraschenden Ende. Kleine Schwächen in zu hastiger Erzählweise und Glaubwürdigkeit mindern das Lesevergnügen, doch dank des flüssigen Stils bietet sich eine leicht zu konsumierende Lektüre für alle Freunde der Spannungsliteratur.

_Der Autor_ Frank Bresching wurde 1970 geboren. Er verfasste zunächst einige Kurzgeschichten, bevor 1996 sein Debütoman „Der Teddybär“ erschien. Der Autor lebt mit seiner Familie bei Koblenz.

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Kornbichler, Sabine – Im Angesicht der Schuld

Helen Gaspary führt ein glückliches Leben: Die Ehe mit ihrem Mann Gregor, einem erfolgreichen Anwalt, ist harmonisch, die einjährige Tochter Jana ist ihr Sonnenschein, sie besitzt gute Freunde und geht einem interessanten Job nach. Eines Tages bricht ihr Leben von einer Minute auf die andere zusammen, als Gregor bei einem Sturz vom Balkon seiner Kanzlei ums Leben kommt. Die Polizei geht zunächst von Selbstmord aus, doch auch ein Fremdverschulden kann nicht völlig ausgeschlossen werden. Nichts deutete im Vorfeld darauf hin, dass Gregor sich umbringen wollte. Wie jeden Morgen hat er das Haus verlassen, ging seiner Arbeit nach, machte einen unauffällgen Eindruck, schien keine Sorgen zu haben. Da ein Unfall ausgeschlossen wird, ist Helen fest davon überzeugt, dass es sich um Mord handeln muss.

Kurz darauf erfährt die junge Witwe, dass Gregor ein großes Geheimnis vor ihr verbarg. Vor einem Jahr war er in einen Autounfall verwickelt, bei dem ein kleines Kind ums Leben kam. Gregor wurde zwar von jeder Schuld freigesprochen, doch er hat den Vorfall seiner Frau nie erzählt. Für die Polizei und Freunde kommen Schuldgefühle als mögliches Suizid-Motiv in Frage. Helen wird immer unsicherer, wie gut sie ihren Mann tatsächlich gekannt hat. Es stellt sich heraus, dass sowohl seine Familie als auch ihre gemeinsamen Freunde Anette und Joost über den Unfall Bescheid wusste. Helen sollte wegen früherer Depressionen geschont werden.

Immer weitere Rätsel um Gregors Tod tauchen auf und Helen weiß bald nicht mehr, wem sie glauben soll: Wer war der letzte Anrufer, mit dem sich Gregor kurz vor seinem Tod treffen wollte? Warum verschwieg Anette ihrer Freundin ein Telefonat mit ihm? Was verband Gregor mit Franka Thelen, der Freundin der Mutter des verstorbenen Kindes, die er regelmäßig traf? Selbstmord oder Mord, wie kam er ums Leben? Entgegen dem Rat ihrer Angehörigen überlässt Helen die Ermittlungen nicht allein der Polizei, sondern forscht in Gregors Vergangenheit nach Hinweisen, was zu seinem Tod geführt haben könnte …

Sabine Kornbichler steht im Ruf, eine Frauenromanautorin zu sein. Sicher steht auch in diesem Werk eine weibliche Protagonistin im Mittelpunkt, doch im Gegensatz zu anderen Büchern wie „Annas Entscheidung“ geht es hier nicht nur um den Alltag einer Frau, sondern um die Einbettung in eine Kriminalhandlung – eine Tendenz, die insgesamt sehr gut gelungen ist.

|Glaubwürdige Protagonistin|

Hauptanteil an der positiven Umsetzung hat die Darstellung der Ich-Erzählerin, deren Schicksal den Leser mitzureißen und zu berühren vermag. Helen Gaspary ist zu Beginn des Romans eine glückliche junge Frau, die kein außergewöhnliches, aber ein harmonisches Leben führt. Von einer Sekunde auf die andere bricht die heile Welt zusammen, als sie vom Tod ihres Mannes erfährt. Vorbei ist das Ehe- und Familienglück, zurück bleibt ein Scherbenhaufen, unter dem sich die geschockte Frau am liebsten begraben würde. Als wäre der Tod nicht schon hart genug zu ertragen, muss Helen nun auch noch auf dunkle Geheimnisse ihres Mannes stoßen, auf einen tödlichen Unfall, auf fremde Namen, auf eine verborgene Vergangenheit. Auch im befreundeten Ehepaar Anette und Joost findet Helen keinen Halt, vielmehr offenbaren sich auch hier verheimlichte Verstrickungen, die die junge Witwe zunächst nicht einordnen kann. In letzter Not klammert sie sich an ihre Tochter, für die sie stark sein muss, und an den unbändigen Willen, das Rätsel um Gregors Tod zu klären. Dieser Spagat zwischen Drama und Krimi ist erfreulich gut gelungen. Die trauernde Helen ist eine durch und durch glaubwürdige Figur, die sich der Situation angemessene Schwächen erlaubt. Tagelang verweigert sie das Essen, weint sich in den Schlaf, führt im Geiste Gespräche mit ihrem verstorbenen Mann, lässt stundenlang die Vergangenheit Revue passieren. Als zaghafte Lichtblicke erweisen sich die Nachbarin, die das Witwenschicksal mit Helen teilt, und natürlich ihre kleine Tochter, die ihrer Mutter immer wieder ein Lächeln abringt.

Besonders hervorzuheben ist die Tatsache, dass Helen nicht, wie es sicher nahe gelegen hätte, zur Privatdetektivin in eigener Sache mutiert. Hauptsächlich ist und bleibt sie die verzweifelte Witwe, die sich nicht mit einem Selbstmord ihres Mannes abfinden will. Sie liefert der Polizei Hinweise und geht diversen Spuren nach, wird aber stets von Zweifeln und Unsicherheiten geplagt. Ebenso kommt die finale Aufklärung von professioneller Seite, wenn auch mit Helens Unterstützung.

|Breite Auswahl an Verdächtigen|

Krimifreunde kommen beim Lesen auf ihre Kosten, denn bis kurz vor Schluss scheint völlig offen zu sein, warum Gregor gestorben ist. Es mangelt nicht an Verdächtigen, sowohl im Freundeskreis als auch bei völlig Fremden. Da sind die Unklarheiten, was Anette und Joost kurz vor seinem Tod mit ihm zu klären hatten, was sie Helen offenbar verschweigen wollen. Da ist Franka Thelen, die unvermittelt auftaucht und sich als nähere Bekanntschaft des Verstorbenen entpuppt. Da ist die Mutter des Unfall-Kindes, die Gregor seine Beteiligung daran nie verziehen hat. Und da sind drei Namen, auf die Helen während ihrer Nachforschungen stößt, mit denen sich Gregor unmittelbar vor seinem Tod befasst haben muss. Die Verdachtsmomente schwanken, sowohl bei Helen als auch beim Leser. Immer undurchsichtiger wird das Netz aus Verstrickungen und Verwicklungen, aus Motiven und Entlastungen, so dass Helen bald kaum mehr weiß, wem sie trauen darf und wem nicht. Auch die Frage, ob es nun Suizid oder Mord war, steht lange Zeit unbeantwortet im Raum.

|Kleine Mankos|

Eine leichte Schwäche steckt in der Nebenfigur Nelli, einer jungen, bildhübschen Frau mit Sangestalent, die bei des Gasparys als Putzhilfe arbeitet und mit den Jahren ein fast freundschaftliches Verhältnis zu ihnen aufgebaut hat. Durch die Handlung zieht sich, beinah wie ein „Running Gag“, Helens beständige Ermahnung, dass Nelli ihre Intelligenz für eine brauchbare Ausbildung verwenden solle, was nach einiger Zeit nicht nur Nelli, sondern auch den Leser nervt. Dazu kommt, dass Nellis Charakter von frechen Bemerkungen und einer eher tendenziell burschikosen Freundlichkeit geprägt ist, was wohl für Auflockerungen sorgen soll – tatsächlich aber wirkt angesichts der dramatisch-spannenden Ereignisse Nellis Art eher wie ein ernüchternder Holzhammer, einfach fehl am Platz.

Ein weiteres, wenn auch nicht gravierendes Manko liegt in den Rückblicken, der Übersichtlichkeit halber kursiv gestaltet. Helens schweift in den Wochen nach Gregors Tod immer wieder in die Vergangenheit und erinnert sich an ihr Kennenlernen. Die ersten Jahre ihrer Bekanntschaft sind zwar aufschlussreich, aber doch zu verkitscht und klischeehaft geraten, da Gregor bereits jahrelang in Helen verliebt war, ohne dass sie seine Gefühle auch nur ahnte und er geduldig sogar ihre erste Heirat miterlebte, um auf seine eigene Chance zu warten. Dieses Verhältnis vom treu wartetenden Gregor und der naiven Helen, die fünf Jahre lang seine Liebe nicht bemerkte, erinnert zu sehr an übertriebene Hollywoodschnulzen, um realistisch zu wirken. Auch sind die Rückblicke, die sich oft über mehrere Seiten ziehen, zu lang geraten, um sich ideal in die Handlung zu integrieren, zumal sie nicht viel zu deren Fortschreiten beitragen.

Der letzte Kritikpunkt betrifft das Ende, wo sich das Rätsel um Gregors Tod endlich löst. Leider spielt dabei der Zufall eine große Rolle. Unbeabsichtigt macht Helen mit Nellis Hilfe einen Fund, der sich als heiße Spur entpuppt, die in kürzester Zeit eine Reihe offener Fragen beantwortet. Der Leser wie auch Helen werden anschließend vor vollendete Tatsachen gestellt, ohne selber die Möglichkeit zu haben, die Hintergründe durch Knobeln zu erschließen. Das enttäuscht vor allem deshalb, weil der Roman bis dato durch Spannung und immer neue Entwicklungen geprägt ist, die man in ihrem Entstehungsstadium mitverfolgen konnte. Der Schluss bringt daher einen Verpuffungseffekt mit sich, trotz der enthaltenen überraschenden Wende.

Positiv ist wiederum der sehr angenehme Stil, der ohne große Schnörkel, immer leicht verständlich und übersichtlich dafür sorgt, dass sich die knapp 400 Seiten in einem Rutsch weglesen lassen. Abgesehen von den Rückblenden in Helens und Gregors Vergangenheit lässt die Autorin keine Abschweifungen zu.

_Als Fazit_ bleibt ein sehr lesenswerter Roman über einen ungeklärten Todesfall und die Suche nach der Wahrheit. Sabine Kornbichler gelingt hiermit eine überzeugende Mischung aus Familiendrama und Krimi mit einer sympathischen Protagonistin, vielen Verdächtigen und spannenden Entwicklungen, verpackt in einen flüssigen Stil. Nur kleine Schwächen schmälern das Gesamtbild, unter anderem die kitschigen Rückblenden und eine Zufallsentdeckung am Schluss.

_Die Autorin_ Sabine Kornbichler wurde 1957 in Wiebaden geboren. Sie studierte zunächst VWL und arbeitete als Texterin und PR-Beraterin. Seit 1998 lebt sie als freie Autorin in Düsseldorf. Ihr Werk umfasst Romane und Kurzgeschichten. Weitere Bücher von ihr sind: „Majas Buch“, „Klaras Haus“, „Steine und Rosen“, „Vergleichsweise wundervoll“ und „Annas Entscheidung“.

Sabine Kornbichler – Annas Entscheidung

Anna, Anfang dreißig und geschieden, verliert ihre Eltern bei einem Flugzeugabsturz. Die junge Frau zieht sich fast völlig von ihrer Umwelt zurück. Bei der Wohnungsauflösung in Bayern lernt sie durch Zufall den Mediziner Steffen kennen. Steffen verarztet nicht nur ihren verstauchten Knöchel, sondern lädt sie auch zum Essen ein. Er macht keinen Hehl aus seinem deutlichen Interesse an Anna. Anna wiederum fühlt sich bei dem sensiblen Mann geborgen, möchte aber derzeit keine Beziehung eingehen. So kehrt jeder zurück in seine Heimat, Anna nach Hamburg, Steffen nach Düsseldorf. Die weiteren Monate bleiben die beiden in telefonischem Kontakt miteinander. Hartnäckig wirbt Steffen weiter um Anna, bis sie sich schließlich auf eine Beziehung mit ihm einlässt.

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Laymon, Richard – Rache

Los Angeles im Hochsommer: In der Stadt herrscht eine erdrückende Hitze, Buschbände wüten am Rand, Sirenengeheul tönt durch die heißeste Nacht des Jahres. Das junge Pärchen Sherry und Duane verbringt den Abend in Duanes Wohnung. Die beiden sind seit ein paar Wochen zusammen. Sherry arbeitet als Aushilfslehrerin, Duane handelt mit alten Büchern. In dieser Nacht wollen sie zum ersten Mal miteinander schlafen – doch es fehlen die Kondome. Sherry ist eine Gesundheitsfanatikerin und hat Angst vor AIDS, also zieht sich Duaine schnell etwas über und fährt zwei Blocks weiter, um welche zu kaufen. In spätestens zehn Minuten will er wieder da sein. Sherry wartet und lenkt sich ab. Nach einer Dreiviertelstunde ist Duane aber immer noch nicht zurück. Sherry wird immer nervöser. Sie fürchtet, dass ihrem Freund im nächtlichen L.A. etwas zugestoßen ist. Schließlich verlässt sie seine Wohnung und geht selber zum Speed-D-Markt.

Auf dem Parkplatz steht Duanes weißer Lieferwagen, doch von ihm fehlt jede Spur. Der Verkäufer bestätigt, dass er ihn vor einer Weile bedient hat, kann jedoch nicht sagen, wohin er gegangen ist. Während Sherry ratlos überlegt, was sie tun soll, spricht sie ein etwa achtzehnjähriger Junge an. Toby gehört zu den Schülern, die sie kürzlich aushilfsweise unterrichtet hat. Er kann sich noch gut an sie erinnern und erzählt obendrein noch, dass er Duane gesehen hat, wie er mit einem Mann in die entgegengesetzte Richtung verschwand. Kurzerhand bietet Toby Sherry seine Hilfe an. Der schüchterne, dickliche Junge erscheint ihr harmlos, dazu beschäftigt sie die Sorge um ihren Freund. Sie steigt in seinen Wagen und sie fahren durch die Nacht, auf der Suche nach Duane.

Sherry ahnt jedoch nicht, dass es kein Zufall ist, dass Toby sie mitgenommen hat. Sie ahnt auch nicht, dass er alles andere als ein harmloser Schüler ist. Stattdessen hat Toby einen perversen Plan, was er mit Sherry anstellen will …

Während Richard Laymon in Amerika den Ruf eines Kultautors besitzt, ist er hierzulande noch eher unbekannt. Das ändert sich möglicherweise in Zukunft, denn nach und nach werden auch seine älteren Werke inzwischen auf Deutsch übersetzt.

|Hardcore ja, Splatter nein|

Dass „Rache“ in der neuen |Hardcore|-Reihe von |Heyne| erscheint, deutet bereits an, womit der Leser rechnen darf: Viel Gewalt und brutale Handlungen, ohne Beschönigungen und viel Drumherumgerede. Diese Rechnung geht auch auf, aber wer wiederum ein Gemetzel oder puren Splatter erwartet, wird enttäuscht. Zwar gibt es tatsächlich ein, zwei harte Szenen, bei denen man als Leser ein mulmiges Gefühl in der Magengrube bekommt, vor allem wenn empfindliche Körperstellen wie Augen oder Ohren traktiert, Gegenstände wie Bohrmaschinen und Schraubenzieher ganz plötzlich zweckentfremdet werden und ein Anflug von Kannibalismus ins Spiel kommt.

Der Antagonist der Story, der kleine Perversling Toby, ist äußerst phantasievoll, wenn es darum geht, seine Opfer zu quälen und schließlich auch zu töten. Allerdings übertritt der Autor hier keine Grenze, die versierte Horrorleser nicht auch schon von anderen Werken gewohnt sein dürften. Auch die bekannten Vertreter wie Stephen King oder Dean Koontz scheuen sich nicht, die eine oder andere Gewaltszene detailliert zu beschreiben, in einigen ihrer Romane geht es sogar noch um einiges blutiger zu als hier. Der Roman ist mitnichten eine Aneinanderreihung von Abscheulichkeiten, sondern setzt seine Brutalismen gezielt und bewusst an die den passenden Stellen ein. Mehr noch – in manchen Szenen verzichtet der Autor sogar darauf, eine explizite Schilderung folgen zu lassen und überlässt stattdessen der Phantasie des Lesers die Ausmalung der grausigen Details.

|Mitreißender Beginn|

Der Anfang des Buches reißt den Leser direkt hinein ins Geschehen. Ohne Umschweife wird man mit Sherry und Duane konfrontiert, die wie das nette Pärchen von nebenan wirken und grundsätzlich sehr sympathisch sind. Die Atmosphäre transportiert das nächtliche Los Angeles über die Buchseiten hinaus zum Leser. Man spürt die Hitze, die auf den Figuren lastet, den kühlenden Wind, der durchs Fenster hineinweht, die Leidenschaft und das spielerische Necken der beiden Verliebten. Das erste Drittel des Romans ist zugleich auch das überzeugendste, was vor allem an der Identifizierung mit Sherry liegt. Die junge, äußerlich etwas burschikose Frau erscheint intelligent, humorvoll und liebenswert. Von Duane erfährt man nicht viel, aber das wenige genügt, um sich mit ihm ebenso anzufreunden.

Umso stärker kann man nachempfinden, was in Sherry vorgehen muss, als ihr Freund von seinem Kurzeinkauf nicht zurückkehrt. Die Gedanken der jungen Frau sind realistisch und genau wie sie wägt man ab, wie man in der entsprechenden Situation handeln würde: Warten, bis Duane wiederkehrt, weil ihm doch bestimmt nichts passiert sein kann in der kurzen Zeit? Oder Sorgen machen und seine Spur nachverfolgen? Immer wieder versucht Sherry, sich zu beruhigen und mit allen möglichen Tätigkeiten abzulenken. Aber jeder neue Blick auf die Uhr ist wie ein Stich ins Herz, der ihr verrät, dass irgendetwas passiert sein muss. Auch beim Leser siegt schließlich die innere Unruhe und gespannt begleitet man Sherry auf ihrer Suche nach Duane.

Die Begegnung mit Toby ist ebenfalls realistisch gestaltet. Der Leser ist durch den Klappentext vorgewarnt, doch Sherry kann man nicht verübeln, dass sie zu Toby ins Auto steigt. Als Lehrerin sieht sie in dem Jungen keine Bedrohung, sondern einen Schüler, der offensichtlich ein wenig für sie schwärmt, ansonsten aber einen durch und durch harmlosen Eindruck macht. Dazu kommt die immer größer werdende Sorge um Duane, der sich laut Toby in Begleitung eines merkwürdigen Mannes befand. Grund genug also für Sherry, auf Toby zu vertrauen, der scheinbar nicht mehr will, als ein bisschen mit einer hübschen Frau zu plaudern und mit ihr durch die Gegend zu fahren.

|Schwindende Glaubwürigkeit|

Dieser Realismus verliert sich leider im Verlauf der Handlung. Die Glaubwürdigkeit bekommt spätestens an der Stelle Risse, als Sherry erfährt, was mit Duane geschehen ist und Toby sie in seine Gewalt nimmt. Obwohl ihr jetzt sonnenklar ist, dass sie in der Hand eines perversen Mörders steckt, kommen ihr hin und wieder trocken-ironische Kommentare in den Sinn, die nicht zu ihrer Lage passen wollen. Überhaupt liegt hier ein Manko in Sherrys Charakterisierung vor, die zuvor so schön überzeugend auf den Leser gewirkt hat: Sherry präsentiert sich als erstaunlich abgeklärtes Opfer.

Sie leistet sich keinen Nervenzusammenbruch, obwohl ihr Freund soeben auf grauenvolle Weise gestorben ist, obwohl sie weitere tödliche Angriffe von Toby auf andere Menschen miterleben muss, obwohl sie beständig in Lebensgefahr schwebt und keine Rettung zu erwarten ist. Im Gegenteil nutzt sie jede Gelegenheit, um vor ihrem Peiniger zu schauspielern und Toby phasenweise vorzutäuschen, dass sie ganz auf seiner Seite ist, um ihn vor weiteren Quälereien abzuhalten. Die Wirksamkeit dieses Plans steht außer Frage, aber es ist unwahrscheinlich, dass ein Opfer sich tatsächlich so sehr zusammenreißen kann, um seinen Peiniger zu täuschen. Natürlich muss nicht jede Frau zwangsläufig in wilde Hysterie ausbrechen, aber diese Reaktion erscheint uns etwas zu nüchtern.

Mangelnde Glaubwürdigkeit muss man auch anderen Charakteren vorwerfen, die im weiteren Verlauf auftauchen. Die beiden halbstarken Teenager Pete und Jeff, die in der zweiten Romanhälfte eingeführt werden, reagieren ebenfalls unnatürlich gelassen auf die plötzliche Konfrontation mit einer Leiche und einem verrückten Mörder. Wenn man bei Pete immerhin noch einige Zweifel erkennt, so erscheint Jeff dagegen als übertrieben cooler Möchtegernheld, der sich nichts sehnlicher wünscht als eigenhändig auf Killerjagd zu gehen und sich dabei grenzenlos überschätzt. Jungs in diesem Alter mögen sicherlich einen härteren Ton anschlagen und sich bisweilen unsensibler benehmen, aber hier wird zumindest einer von ihnen überstilisiert zum Klischee eines lüsternen Playboys, den eine nackte Frauengestalt elektrisiert – auch wenn es sich dabei um eine Leiche handeln sollte.

Wie Darsteller eines C-Movies agieren leider zum Teil auch die Freunde von Brenda, Sherrys Schwester, die im letzten Drittel des Romans zu Tobys Zielscheibe wird. Im Gegensatz zu Sherry reagiert Brenda angemessen auf die katastrophalen Geschehnisse, aber von ihrer Clique kann man das kaum behaupten. Mit einer Portion Wohlwollen könnte man über diese Schwäche noch hinwegsehen. Wirklich störend ist aber eine Nachlässigkeit, die sich Toby erlaubt und die ihn in eklatante Schwierigkeiten bringt. Anstatt zu kontrollieren, ob eines seiner Opfer wirklich tot ist, entlässt er es unabsichtlich in Freiheit – ein Lapsus, der sehr konstruiert wirkt und den Zufall und das Glück überstrapaziert.

|Hohes Tempo in Handlung und Stil|

Ein Pluspunkt ist der locker-flüssige Stil, der sich problemlos lesen lässt und keine Konzentrationsanforderungen stellt. Trotz eines Umfangs von immerhin gut 550 Seiten lässt sich der Roman in ein oder zwei Tagen verschlingen. Laymon vermeidet Abschweifungen oder unnötige Ausführlichkeit. Der Stil passt ideal zum hohen Handlungstempo, reißt mit, sodass man in kürzester Zeit von Seite zu Seite fliegt. Bis zum Schluss darf man sich nicht sicher sein, wer das Killerszenario überlebt. Nach dem Lesen verflüchtigt sich der Eindruck jedoch recht bald wieder. Wenn die Reaktionen der Charaktere nicht teilweise so unrealistisch wären, hätte Laymon hier einen fulminanten Horrorthriller abliefern können. So allerdings bleibt nur ein ordentlicher Hardcore-Schmöker, in dem nur teilweise umgesetztes Potenzial schlummert.

_Fazit:_ Ein junger Mann verschwindet, seine Freundin macht sich auf die Suche und fällt dabei in die Hände eines Psychopathen – vor allem Fans von rasanten Thrillern, die nicht mit Gewaltschilderungen geizen, kommen hier auf ihre Kosten. Nach einem sehr überzeugenden Beginn schleichen sich leider nach und nach Schwächen in die Handlung ein, vor allem in Punkto Glaubwürdigkeit der Figuren. Wer Abwechslung zu den bekannten Stars der Branche wie Stephen King oder Dean Koontz sucht, findet mit diesem Roman vielleicht kein Highlight, aber eine unterhaltsame Alternative.

_Der Autor_ Richard Laymon wurde 1947 in Chicago geboren und ist einer der meistverkauften Horrorautoren der USA. Er studierte englische Literatur und arbeitete unter anderem als Lehrer und Bibliothekar, ehe er sich dem Schreiben widmete. Im Jahr 2001 verstarb er überraschend früh und hinterließ eine Reihe Romane, die vor allem wegen ihrer schnörkellosen Brutalität von sich Reden machten. Nur ein kleiner Teil davon ist bislang auf Deutsch erhältlich. Zu seinen weiteren Werken zählen u.a. „Parasit“, „Im Zeichen des Bösen“ und [„Vampirjäger“. 1138 Für diesen Sommer ist in der |Heyne Hardcore|-Reihe noch „Die Insel“ geplant.
Mehr über ihn auf seiner offiziellen [Homepage.]http://www.ains.net.au/%7Egerlach/rlaymon2.htm

http://www.heyne-hardcore.de

James, Peter – Mein bis in den Tod

Faith Ransome könnte eigentlich glücklich sein: Seit über zehn Jahren ist sie mit dem erfolgreichen Schönheitschirurgen Ross verheiratet, ihr kleiner Sohn Alec ist ihr ganzer Stolz, sie lebt in guten finanziellen Verhältnissen und ist attraktiv. Doch hinter der schönen Fassade ist Faith zutiefst unglücklich. Schon seit Jahren ist Ross nicht mehr der Mann, den sie mal geheiratet und geliebt hat. Nach außen hin präsentiert er sich als perfekter Ehemann, aber gegenüber Faith ist er kompromisslos, hartherzig und bestimmend. Jede kleine Nachlässigkeit im Haushalt bringt ihn in Rage. Faith muss stets perfekt gestylt und gekleidet sein, alles hat sich seinem Tagesrhythmus anzupassen. Sein Drang zu immer neuen Schönheitsoperationen an ihrem Körper verunsichert sie. Immer größer wird ihre Angst, dass er eines Tages auch Gewalt anwendet. Sie denkt an Scheidung, doch sie befürchtet, dabei ihren Sohn an Ross zu verlieren. Alex zuliebe, der sehr an seinem Vater hängt, versucht sie, den Schein zu wahren.

Auf einem Geschäftsessen von Medizinern begegnet Faith dem Arzt Oliver Cabot. Der sensible Mann mit den grauen Haaren ist ihr sofort sympathisch, was auf Gegenseitigkeit beruht. Bald darauf begegnen sich die beiden beim Einkaufen wieder. Faith ist fasziniert von der Ruhe und der Sicherheit, die der Alternativmediziner ausstrahlt. Bei ihm findet sie die Geborgenheit, die ihr in der Ehe mit Ross schon so lange fehlt. Oliver wiederum, dessen Ehe nach dem Tod seines Sohnes scheiterte, fühlt sich zum ersten Mal seit Jahren wieder zu einer Frau hingezogen.

Währenddessen erleidet Faith immer wieder Schwächeanfälle. Auf Drängen ihres Mannes lässt sie sich von ihrem Hausarzt untersuchen. Das Ergebnis ist schockierend. Alles in Faith sehnt sich danach, ihren Mann zu verlassen und mit Oliver ein neues Leben anzufangen und mit seiner Hilfe die Krankheit zu besiegen. Doch sie ahnt nicht, dass Ross grausame Pläne schmiedet, um seine Frau für immer an sich zu binden, und dabei vor nichts zurückschreckt. Er setzt einen Privatdetektiv und einen Killer auf Oliver Cabot an. Faith und Oliver müssen um ihr Leben kämpfen …

Es ist kein neues Thema und es sind keine neuen Zutaten, die Peter James für seinen Thriller verwendet. Das Resultat ist dementsprechend ein unspektakulärer, wenngleich unterhaltsamer Roman über das alte Thema einer Ehefrau in den Händen eines Psychopathen.

|Klappentext weckt falsche Erwartungen|

Die Kurzbeschreibung des Romans erweckt den fälschlichen Eindruck, hier stünden die Operationen von Ross an seiner Ehefrau im Vordergrund, da er Faith „nach seinen Vorstellungen umoperieren“ wolle und seine Frau deshalb nach einem Ausweg sucht. Tatsächlich spielt sein Operationszwang zwar eine Rolle, doch diese ist weitaus geringer, als man zunächst annehmen würde. Ross hat in den vergangenen Jahren ein halbes Dutzend Eingriffe an Faiths Körper und Gesicht vorgenommen und drängt sie zu einer weiteren Nasenkorrektur. Faith lehnt ab, bereut bereits ihre vergangenen Operationen und fürchtet immer mehr, dass Ross nie Gefallen an ihrem ursprünglichen Aussehen empfunden hat. Doch das ist dann auch schon alles und der Roman dreht sich wieder hauptsächlich um die unglückliche Ehe, um Ross‘ Einengung und Eifersucht und Faiths Versuch, der Hölle zu entfliehen. Keineswegs ist es so, wie der Klappentext suggeriert, dass Faith speziell wegen der Schönheitsoperationen aus der Ehe ausbrechen will. Vielmehr geht es um den psychischen Druck, den ihr Ehemann anwendet, die Gewalt, zu der er schließlich greift, und ihre Gefühle für Oliver Cabot.

|Charakterisierungen mit Licht und Schatten|

Das Hauptaugenmerk liegt eindeutig auf Faith Ransome. Mit ihr soll der Leser fühlen und sich so weit als möglich identifizieren. Das gelingt vor allem zu Beginn recht gut. Faith erscheint als sympathische junge Frau, die in ständiger Angst vor ihrem Ehemann lebt. Zum Wohl ihres Sohnes, der sehr an seinem Vater hängt, stellt sie ihr Fluchtbedürfnis zurück und bemüht sich, den heilen Schein zu wahren. Ihr Leben ist bestimmt von Unsicherheit und einer drückenden Spannung. Alles in der Wohnung muss blitzblank aufgeräumt und geputzt sein, Faith selber darf keine Schlabberklamotten tragen, sondern hat stets in perfektem Dress auf ihren Mann zu warten. Dabei wendet Ross zunächst nicht einmal körperliche Gewalt an – doch alles an seinem gebieterischen Auftreten schüchtert Faith ein. In seinen gemeinen Momenten erinnert er seine Frau daran, dass erst seine geschickten Chirurgenhände ihrem Gesicht und ihrem Körper zu der Ebenmäßigkeit verholfen haben, die sie von Durchschnittsfrauen abhebt. Mit unguten Gefühlen erinnert sich Faith daran, wie Ross sie auf Kongressen als Anschauungsmodell vorgeführt hat. Einerseits sagt sie sich, dass jeder Schönheitschirurg seine eigene Frau operiert, Ross sich also völlig normal verhält. Andererseits spürt sie immer mehr, dass er nicht sie selber liebt, sondern die Idealgestalt, die er nach seinen Vorstellungen aus ihr geformt hat. Ein großes Plus bei ihrer Charakterisierung ist die Tatsache, dass der Leser gut versteht, warum sie sich nicht einfach scheiden lässt. Ihr kleiner Sohn Alec, der von der Härte seines Vaters lange Zeit nichts mitbekommt, hängt sehr an seinem Daddy, so sehr, dass sie manchmal fast neidisch auf diese traute Zweisamkeit wird. Dazu kommt noch ihre eigene Mutter, die Ross beinah wie einen Heiligen verehrt, ja selber für ihn ein klein wenig schwärmt und nichts auf ihren geliebten Schwiegersohn kommen lässt. Auch im Bekanntenkreis ist Ross nur der angesehene Arzt mit den großartigen Erfolgen. Faith ist gefangen in einer Scheinwelt, die sie immer stärker spüren lässt, dass sie eines Tages ausbrechen muss, um ihr Glück zu finden.

Ross Ransome ist dagegen ein in jeder Hinsicht zwiespältiger Charakter. Gut gezeichnet sind seine Dominanz, sein befehlendes Auftreten, das keine Widersprüche duldet und ebenso die Souveränität, die er für unwissende Außenstehende ausstrahlt. Es fällt nicht schwer nachzuvollziehen, wieso sich Faith vor ihm fürchtet und weshalb im Gegenzug niemand anderer sein krankhaftes Verhalten erkennt. Etwas gewöhnungsbedürftig aber durchaus interessant ist seine Wechselhaftigkeit. Genau wie Faith weiß der Leser nie so recht, wie Ross auf neue Ereignisse reagieren wird. Wird er seine Frau schlagen, wird er die Nerven verlieren oder versucht er, sie mit Liebesschwüren an sich zu fesseln? Alles ist möglich, denn in seinem Kopf schwebt die fixe Idee, dass Faith ihn niemals verlassen darf. So schlecht er sie auch behandelt, so sehr überschüttet er sie immer wieder mit Beteuerungen, dass sie der Inhalt seines Lebens sei. Erst nach und nach erfährt man als Leser die ganze Grausamkeit seines Denkens. Ein Mittel dafür sind die schrittweisen Enthüllungen, wenn alle paar Kapitel die Zeit zurückgedreht und in seine Kindheit geschaltet wird. Hier sieht man den kindlichen Ross, man erfährt seine familiären Hintergründe und erlebt mir, wie er schon damals zu schrecklichen Taten fähig war. Ab da ist man gewarnt, dass er in seiner Rache vor nichts zurückschrecken wird …

Insgesamt weniger glaubwürdig ist allerdings die Darstellung von Oliver Cabot. Allein sein Hintergrund ist klischeehaft: Oliver verlor seinen Sohn durch eine Krankheit und wandte sich daraufhin der alternativen Medizin zu, trennte aich von seiner Frau und lebte bis zur Begegnung mit Faith in freiwilliger Enthaltsamkeit. Oliver ist der Samariter schlechthin, der Retter von Faith Ransome in allen Lebenslagen. Bereits auf den ersten Blick erkennt er die Traurigkeit der jungen Frau hinter der aufgesetzten Maske und legt es darauf an, sie bald wiederzusehen. Faith kann von Glück reden, dass ihr ein solcher Held begegnet – aber realistisch ist es nicht. Die Zuneigung und Beziehung zwischen den beiden entwickelt sich im Eiltempo und wirkt angesichts aller schwierigen Umstände zu geschönt, um wirklich zu überzeugen.

Ein umso facettenreicherer Nebencharakter indes ist der Privatdetektiv Hugh Caven, den Ross anheuert, um Faith und Oliver zu beschatten. Caven arbeitet einerseits mit unsauberen Methoden und hat eine kriminelle Vergangenheit hinter sich, andererseits besitzt er Herz und Mitgefühl. Sein Auftraggeber ist ihm alles andere als sympathisch und bis zum Schluss darf man mitfiebern, ob sich Hugh Caven für sein Gewissen oder für das Geld entscheidet.

|Gegen Ende konstruiert|

Leider spielt der Zufall grundsätzlich eine übertrieben große Rolle. Das ist vor allem gegen Ende hin ärgerlich, als alles auf einen spektakulären Showdown hinausläuft. Ross verhält sich wie viele Klischee-Psychopathen, die ihrem Opfer genug Spielraum zur Flucht geben, anstatt kurzen Prozess zu machen. Und auch der finale Schluss verläuft etwas zu abrupt und problemlos, als seien dem Autor die Zeit und die Ideen ausgegangen, das Ende realistischer zu gestalten. Es gibt keine wirklich überraschenden Wendungen, im Grunde verläuft alles so, wie der versierte Thrillerleser es bereits nach spätestens einem Drittel des Romans vermutet. Dass man sich trotzdem gut unterhalten fühlt, liegt vor allem am Interesse an der Hauptperson, deren Schicksal den Leser gewiss nicht kalt lässt.

|Verschenkte Spannungsmöglichkeit|

Man hofft auf ein doppeltes Happy-End, denn schließlich muss Faith nicht nur gegen ihren gefährlichen Ehemann, sondern auch gegen eine unberechenbare Krankheit ankämpfen. Und hier liegt auch eine verschenkte Möglichkeit, die Spannung zu steigern. Hin und wieder wird stellenweise in die Perspektive von Ross hinübergelenkt, so dass dem Leser Einblick in seine Gedanken gewährt wird. Dadurch wird Ross in seiner Unberechenbarkeit und Undurchschaubarkeit gebremst – anstatt dass der Leser im Dunkeln gelassen wird, ist er informiert über die Denkweise von Ross und seine Pläne hinsichtlich seiner Frau. Das zeigt sich deutlich, als er von ihrer schweren Krankheit erfährt. Geschickter wäre es gewesen, hier erst einmal offen zu lassen, ob nicht Ross die Blutproben gefälscht hat oder irgendwie an ihrer Krankheit Schuld trägt.

|Flüssiger Stil|

Mehr als 550 Seiten umfasst der Roman, lässt sich aber dennoch in wenigen Tagen verschlingen. Das liegt vor allem an der schnörkellosen Schreibweise, die es dem Leser ermöglicht, der Handlung ohne Mühe zu folgen. Obwohl die Medizin einen nicht unerheblichen Raum dabei einnimmt, kommen keine Unverständlichkeiten auf. Jede Operation von Ross wird verständlich geschildert, keine Fachausdrücke halten den Lesefluss auf. Auch wenn es um Faiths Krankheit geht, wird nicht im medizinischen Fachjargon, sondern immer nachvollziehbar darüber geredet. Die Rückblicke in die Kindheit von Ross sind sehr überschaubar gehalten und sauber vom Rest der Handlung abgetrennt – man muss nicht befürchten, dass die beiden Zeitebenen durcheinander geraten oder für Verwirrung sorgen. Wer zu einem empfindlichen Magen neigt, muss sich keine Sorgen über allzu grausige Szenen machen. Selbst die gewaltvollen Stellen sind nicht übermäßig explizit gestaltet, sodass auch bei Zartbesaiteten kein Ekel aufkommt. Insgesamt ist Peter James hier ein unterhaltsamer Thriller gelungen, der sich gut als Urlaubslektüre eignet, aber nicht dauerhaft im Gedächtnis bleibt.

_Unterm Strich_ erwartet den Leser ein solider, aber in keiner Form herausragender Thriller über einen psychopathischen Arzt und eine Frau in Gefahr. Die größte Stärke liegt in der Identifizierung mit der Hauptfigur, die sich gegen ihren mörderischen Ehemann und eine tückische Krankheit gleichermaßen wehren muss. Gegen Ende verliert die Geschichte leider an Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft. Dank des lockeren, unkomplizierten Stils ist das Buch gut zum Zwischendurchlesen geeignet.

_Der Autor_ Peter James, Jahrgang 1948, liebt Autos, Sport und alles Paranormale. Er lebte jahrelang in den USA als Drehbuchautor und Filmproduzent, ehe er wieder nach England zurückkehrte. Zu seinen Werken zählen unter anderem „Ein guter Sohn“, „Die Prophezeihung“ und „Wie ein Hauch von Eis“. Zuletzt erschien der Horror-Thriller „Stirb ewig“.