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Moning, Karen Marie – Im Bann des Vampirs

MacKayla Lane ist eine typische Southern Belle, eine Südstaatenschönheit, und mehr als stolz darauf. Sie hat lange blonde Haare, perfekt manikürte Nägel und trägt jede Menge Pink. Wir lernen sie kennen, als sie gerade am elterlichen Pool liegt, sich die Sonne auf den Pelz scheinen lässt und ihrer Gute-Laune-Playlist auf dem |iPod| lauscht. Die Idylle wird allerdings jäh gestört, als sie einen Anruf aus Irland erhält: Ihre Schwester Alina, die dort ein Auslandssemester absolvierte, wurde brutal ermordet aufgefunden.

Bald ist Mac überzeugt, dass die irische Polizei ihr Handwerk nicht versteht, denn nach nur einigen Wochen werden die Ermittlungen ergebnislos eingestellt und der Fall landet auf einem Aktenstapel. Mac will sich damit keineswegs zufriedengeben und entschließt sich daher, selbst nach Dublin zu fliegen und die Polizei anzutreiben. Doch dann findet sie auf ihrer Mailbox eine Nachricht von Alina, die diese kurz vor ihrem Tod hinterlassen hat, und alles wird plötzlich reichlich mysteriös.

Einmal in Dublin angekommen, stellt sich bald heraus, dass es viel mehr zwischen Himmel und Erde gibt, als sich Mac in ihrer Schulweisheit bisher träumen ließ. Alina hatte ihr in ihrer Nachricht aufgetragen, das Sinsar Dubh zu finden, und als Mac endlich herausfindet, worum es sich dabei handelt, findet sie sich schon in einer Welt voller dunkler Wesen wieder. Ihre Aufgabe ist es nun, Alinas Mörder zu finden und gleichzeitig Alinas letzten Wunsch zu erfüllen, indem sie jenes ominöse Sinsar Dubh aufspürt.

Immerhin steht ihr bald Jericho Barrons zur Seite, ein Buchhändler von fragwürdigem Lebenswandel. Barrons hüllt sich in Schweigen, was seine Person angeht, und verfolgt offensichtlich seine eigene Agenda (auch er ist auf der Suche nach dem Sinsar Dubh). Trotzdem rettet er Mac in schöner Regelmäßigkeit das Leben, schließlich ist sie wertvoll für ihn. Wie sich herausstellt, ist sie eine Sidhe-Seherin, die die Anwesenheit von Feenwesen und -objekten erkennen kann. Um das Sinsar Dubh zu finden, ist sie daher unerlässlich.

Karen Marie Moning hat sich als Autorin von sexlastigen Liebesschmonzetten einen Namen gemacht, in denen gut gebaute Highlander in Liebesdingen unerfahrene Amerikanerinnen vernaschen. Mit dieser Masche hat sie sich eine durchaus umfangreiche Fangemeinde (und, wie auf ihrer Webseite zu sehen, einen Porsche) erschrieben. „Im Bann des Vampirs“ ist der Auftakt zu einer neuen Serie, die auf insgesamt fünf Bände angelegt ist. Als Leser sollte man also darauf gefasst sein, dass man sich am Ende des Romans mit mehr Fragen als Antworten konfrontiert sieht. Außerdem sollte man sich darüber im Klaren sein, dass der Titel des Romans unglücklich gewählt ist. Es geht hier um Feen und um Magie. Es kommt zwar ein Vampir vor (dessen Echtheit allerdings bis zum Ende weder bestätigt noch widerlegt ist), doch ganz sicher befindet sich niemand in dessen Bann. Also Punktabzug für den irreführenden Titel.

Moning erzählt aus der Perspektive von Mac und verknüpft damit Fantasy mit |Chick Lit| und einem Schuss Erotik. Ihr Universum ist von Feenwesen, den Sidhe, bevölkert, die ursprünglich in einer anderen Realität lebten, aber nun in Scharen in die menschliche Welt zurückkehren. Die bösen Sidhe, die Unseelie, greifen dabei auch gern mal Menschen an und haben es so zum Beispiel geschafft, ganze Stadtteile von Dublin auszulöschen. Trotzdem sind sich die Menschen der Gefahr nicht bewusst, und so ist es an Eingeweihten wie Mac und Barrons, die Invasion aufzuhalten.

Moning wird nicht müde zu erwähnen, dass die Idee zu „Im Bann des Vampirs“ komplett ausformuliert in ihren Gedanken auftauchte und sie diese nur noch aufschreiben musste. „Diese Welt ist so vollständig, so plastisch und detailliert, dass ich denke, sie müsste irgendwo existieren“, hat Moning in einem Interview gesagt. Das ist natürlich zumindest teilweise Koketterie. Natürlich existiert diese Welt irgendwo irgendwie, schließlich zieht Moning ihre Inspiration aus der gälischen Mythologie und spickt sie dann mit eigenen Ideen. Die Gottwesen der irischen Tuatha Dé Danaan werden bei ihr zu einem bunten Völkchen von Monstern, die Menschen auf die ein oder andere Weise um die Ecke bringen können. Schillerndstes Beispiel ist wohl das Tod-durch-Sex-Wesen (ja, das heißt wirklich so), das auf Menschen so anziehend wirkt, dass sie so lange Sex mit ihm haben, bis sie daran zugrunde gehen. Na ja, wenigstens sterben sie glücklich …

Natürlich trifft auch Mac auf ein derartiges Wesen, was dazu führt, dass sie sich in einem gut besuchten Museum die Kleider vom Leib reißt, um sich selbst zu befriedigen. Moning wird nachgesagt, gute Sexszenen zu schreiben. Die Szenen in „Im Bann des Vampirs“ mögen sexy sein. Erotisch sind sie jedoch nicht, dazu kommen sie zu plakativ und aufdringlich daher. Hier wird auf den billigen Effekt gesetzt, und es ist die sprichwörtliche schnelle Befriedigung, die Moning ihrem Leser hier bietet.

Überhaupt Mac. Als Ich-Erzählerin sieht der Leser zwangsläufig die Welt durch ihre Augen. Umso wichtiger ist es, dass sie dreidimensional, unterhaltsam und überzeugend ist. Stattdessen kommt Mac als verzogene, provinzielle Zicke daher, deren Tiraden weite Teile des Romans einnehmen. Sie ist so von sich und ihrer Lebensweise eingenommen, dass es ihr unmöglich ist, sich einer fremden Kultur zu öffnen. Und so beginnen Sätze ständig mit „bei uns im Süden“, wenn sie mal wieder einen Iren zu unhöflich, grob, laut oder anderweitig unverständlich findet. Wenn Mac nicht gerade vor schwabbeligen Sidhe-Monstern flieht, erheitert sie den Leser mit Schönheitstipps à la: „Die Haut von innen stets mit Flüssigkeit zu versorgen, ist viel wichtiger als eine gute Feuchtigkeitscreme.“ Und als Barrons eine Anspielung auf ihre Kleiderwahl macht, kontert sie mit: „Ich trage nicht nur Pink. Ich besitze auch pfirsich- und lavendelfarbene Sachen.“ Will man so einer Person wirklich fast vierhundert Seiten lang Gesellschaft leisten müssen?

Einzig Barrons vermag den Leser zu fesseln, und das einfach nur, weil er absolut nichts von sich preisgibt. Er ist immer zur rechten Zeit am rechten Ort, doch wie oft Mac ihn auch ausfragt, nie erzählt er mehr über sich. Mac tut offensichtlich gut daran, ihm nicht komplett zu vertrauen, denn er scheint selbst einige dunkle Geheimnisse zu hüten, doch andererseits ist er sich nicht zu schade, auch mal den Helden in schillernder Rüstung zu geben. Dazu sieht er gut aus, hat einen viel besseren Geschmack als Mac (schwarz, natürlich), begegnet Macs naivem Gemüt mit beißendem Zynismus und er besitzt einen Buchladen. Was wünscht man sich als Frau mehr?

In einem Interview zu ihrer neuen Romanserie sagte Moning, sie sei geschockt gewesen zu sehen, wie viel Thanatos sich in ihrem Eros fand. Im Gegensatz zu ihrer Highlander-Serie soll „Im Bann des Vampirs“ also dunkel und gefahrvoll sein. Hier gibt es Monster in dunklen Ecke, brutale Morde und Protagonisten, deren Loyalitäten nicht ganz geklärt sind. Und doch kann Moning von ihrer normalen Kost scheinbar nicht lassen. Bei ihrem neuen Roman handelt es sich um Plüsch-Horror, in dem die frohgemute Heldin hauptsächlich darüber nachdenkt, welches Top sie zur Monsterjagd anziehen soll. Wem das zu zu zuckrig ist, der sollte sich lieber in die Hände von Laurell K. Hamilton begeben. Hamilton weiß zumindest, wie man taffe Heldinnen schreibt.

http://www.karenmoning.com
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Meyer, Stephenie – Bis(s) zum Morgengrauen (Bella und Edward 1)

Im zarten Alter von siebzehn Jahren ändert Bella ihr Leben drastisch. Nicht, dass ihr viele Alternativen blieben: Ihre Mutter hat gerade einen Baseballprofi geheiratet und will mit ihm durch die Staaten ziehen. Da ist für Bella kaum Platz, und so entschließt sie sich, zu ihrem Vater in das verschlafene Forks zu ziehen, das sie bisher nur aus diversen Schulferienbesuchen kannte.

Der Umzug nach Forks ist in Bellas Augen keineswegs eine Verbesserung. Eigentlich kommt sie nämlich aus dem sonnigen Phoenix, und so fällt es ihr zunächst schwer, sich an das verregnete Forks zu gewöhnen. Auch die Beziehung zu ihrem Vater gestaltet sich zuerst schwierig – Charlie ist ein Einzelgänger aus Gewohnheit und muss sich daher erst an seine neue Rolle als Vater gewöhnen. Und dann ist da natürlich noch die Tatsache, dass sie an der Highschool die „Neue“ sein wird, was ihr eine berechtigte Gänsehaut über den Rücken jagt.

Letztendlich wird es dann aber gar nicht so schlimm, wie Bella befürchtet hat. Im Gegensatz zu Phoenix ist sie in Forks bald der Mittelpunkt des Interesses. Ihr ganzer Jahrgang scheint erpicht darauf, mit ihr befreundet sein. Die Jungs laufen ihr – fast sprichwörtlich mit sabbernder Zunge – scharenweise hinterher und auch die Mädchen nehmen sie sofort in ihre Clique auf. Nur ihr Banknachbar in Bio verwehrt sich Bellas Charme. Edward scheint eine sofortige Abneigung gegen sie zu verspüren und ihr ständig aus dem Weg zu gehen.

Bella ist konsterniert und gekränkt, kann sie sich doch nicht vorstellen, dem mysteriösen und schweigsamen Edward einen Anlass gegeben zu haben, sie nicht zu mögen. Und dass er schließlich sogar seine Biostunden zu schwänzen scheint, nur um ihr nicht begegnen zu müssen, erscheint ihr dann doch ein wenig drastisch.

Bella und Edward haben also nicht den besten Start. Und doch kommen sie sich näher, als Edward ihr bei einem Auffahrunfall das Leben rettet. Diesmal ist Bella nicht gekränkt, aber doch immer noch konsterniert, kann sie sich doch nicht des Eindrucks erwehren, dass Edward den auf sie zurollenden Wagen mit reiner Muskelkraft gestoppt hat – ohne einen Kratzer abzubekommen. Als sie dann noch bei einem Ausflug ins nahegelegene Indianerreservat erfährt, dass Edwards Familie der Zutritt verwehrt ist, weil sie Bluttrinker sind, ist ihr Interesse dann doch geweckt. Könnte Edward tatsächlich ein Vampir sein oder bildet sie sich da nur etwas ein?

Der Leser wird die Antwort schnell erraten: Natürlich ist Edward ein Untoter und natürlich hat er sich nicht von Bella ferngehalten, weil er sie nicht leiden kann. Er will Bella, und Bella ist sich schon lange darüber im Klaren, dass sie Edward will, doch die kleine Nebensache mit dem Vampirismus verkompliziert die Sache ein wenig.

Die Betonung liegt hier auf „ein wenig“, denn Stephenie Meyer lässt nie einen Zweifel daran, dass sie mit „Bis(s) zum Morgengrauen“ einen Liebesroman geschrieben hat. Sie hält sich nicht mit einem B-Plot auf, und auch Nebenfiguren sind hauptsächlich Staffage. Bei ihr geht es um Bella und Edward: Bella, wie sie im Geheimen Edward hinterherschmachtet. Edward, wie er unverschämt gut aussieht und einfach alles kann. Bella, deren Körper elektrische Stromstöße durchfahren, als Edward sie zufällig berührt. Edward, der ihr ganz romantisch auf einer Sommerwiese seine Liebe gesteht. Bella, die immer wieder in Gefahr gerät und von Edward gerettet werden muss. Und am Schluss geht doch alles irgendwie gut aus.

Meyers Liebesgeschichte ist buchstäblich wie aus dem Bilderbuch. Die Handlung ist schablonenhaft und bietet kaum überraschende Wendungen. Auch Meyers eher durchschnittliches erzählerisches Talent kann darüber nicht hinwegtrösten. Sie ergeht sich in endlosen Wiederholungen, bis dem Leser Edwards überirdische Schönheit und Bellas absolut unrealistische Tolpatschigkeit zu den Ohren herauskommen. Sie wird es nicht müde, Edwards Alabasterhaut zu beschreiben, seinen gottgleichen Körper und seine changierenden Augen, sodass auch die letzte Leserin begreift, dass sie hier den perfekten Mann vor Augen hat. Gleichzeitig ist Bella tapsig (sie fällt ständig auf die Nase), aber schön – die typische Damsel in Distress, die sich vom mutigen Helden aus potenziellen Gefahrensituationen retten lassen muss (will). Sie bietet damit eine mehr als geeignete Projektionsfläche für jugendliche Mädchenherzen.

Als Vampirroman kann „Biss zum Morgengrauen“ kaum überzeugen. Da findet sich nichts, was man nicht schon mal irgendwo anders gelesen oder gesehen hätte. Edward ist genauso empfindsam und „menschelnd“ wie Anne Rices Louis, ohne jedoch dessen Weltschmerz und Leid an seiner Existenz zu teilen. Die Liebesgeschichte hat das Überlebensgroße von Joss Whedons Buffy und Angel, ohne die potenzielle Gefahr, eine Bestie zu entfesseln. Meyers Vampire sind seltsam blutarm. Edwards Familie ernährt sich von Tieren, während sie sich gleichzeitig Mühe gibt, vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu sein (Edwards „Vater“ ist ein angesehener Chirurg). Edward ist zwar stark und kann einem Menschen gefährlich werden, doch wie Bella kann man diese Tatsache als Leser nicht so recht glauben. Er ist einfach zu gut, um wirklich böse zu sein.

Doch schließlich ist „Biss zum Morgengrauen“ ja nicht in erster Linie ein Vampir-, sondern ein Liebesroman, und in dieser Hinsicht fährt Meyer definitiv alle Geschütze auf. Wer also einmal so richtig dahinschmelzen will in einer Geschichte, die ein bisschen verbotene Gefahr verspricht, ohne je wirklich gefährlich zu werden, der wird „Bis(s) zum Morgengrauen“ vermutlich in zwei Tagen verschlungen haben und sich sofort den nächsten Band vornehmen. Schließlich hat Stephenie Meyer bisher drei erfolgreiche Schmöker veröffentlicht, die sich um Bella und Edward drehen – eine Verfilmung ist in Arbeit.

Interessanterweise beschreibt Meyer anhand der Vampire, was eine glückliche Familie ausmacht. Während Bella sich zwischen ihrer Mutter und deren neuen Mann wie das fünfte Rad am Wagen vorkommt und daraufhin zu ihrem Vater flieht, den sie auch kaum kennt, bietet Edwards Vampirfamilie Geborgenheit und ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das sie so offensichtlich noch nicht kennengelernt hat. Beim traditionellen „Freundin der Familie vorstellen“ fühlt sich Bella sofort wie zu Hause, wohl auch, weil Edwards „Eltern“ sie sofort annehmen und akzeptieren – etwas, das ihr bei ihren leiblichen Eltern schmerzlich zu fehlen scheint. In diesen Szenen gelingt es Meyer auch, überzeugende Nebencharaktere zu schildern. Während Bellas menschliche Schulfreunde nämlich alle austauschbar und nicht mehr als Rauschen im Hintergrund der Handlung sind, ist Edwards Vampirfamilie offensichtlich wirklich aus Fleisch und Blut – Charaktere, die man greifen kann, die Gefühle haben, genauso wie Vorlieben und Abneigungen.

„Bis(s) zum Morgengrauen“ begründet das wohl neue Genre der Feelgood-Vampir-Schmonzette. Das heißt, man darf auf der einen Seite weder große Charaktertiefe noch anspruchsvolle Prosa erwarten. Und auch einige Logikprobleme sollte man in Kauf nehmen können (das größte davon ist wohl die Frage, warum ein Vampir freiwillig zur Highschool gehen würde). Dafür bekommt man dann aber eine Story, die sich durchaus flott wegliest und genau in die Richtung geht, die der Leser erwartet. Manchmal ist es schließlich auch ganz nett zu sehen, wie die Protagonisten sich kriegen, anstatt frühzeitig dahinzuscheiden (à la „Romeo und Julia“ oder „Sturmhöhe“). Die jugendliche (oder junggebliebene) Leserin darf sich gern in der Rolle der Bella sehen, die von Edward erobert wird und mit ihm die Freuden der ersten großen Lieben durchlebt. Und das macht wahrscheinlich auch den großen Erfolg des Romans aus.

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Schröder, Tanja – Hirudo II – Blut der Finsternis

In [„Hirudo – Dunkles Erbe“ 4449 stellte Autorin Tanja Schröder dem Leser die junge Karen vor, die sich, auf der Suche nach ihrem Vater Lucas, plötzlich in der Gesellschaft einer ganzen Familie von Vampiren wiederfand. Lucas nämlich ist das Oberhaupt der Hirudo – so heißen die Vampire in der Welt von Tanja Schröder -, und von Gewissensbissen ob seiner väterlichen Abwesenheit während Karens Kindheit geplagt, erlaubt er ihr nun, im Haus der Vampire ihr Lager aufzuschlagen.

An dieser Stelle ließen wir Karen am Ende des ersten Romans zurück. Mit „Hirudo – Blut der Finsternis“ hat Tanja Schröder eine Fortsetzung geschrieben, die direkt an die Ereignisse aus dem Erstling anknüpft. Fünf Jahre sind vergangen, seit Karen bei Lucas eingezogen ist. Als einziger Mensch zwischen einer ganzen Schar von Vampiren, muss sie sich ständig behaupten und auf ihre Dazugehörigkeit pochen. Trotzdem scheint es ihr, als würden die Vampire sie nicht als einen Teil der Familie akzeptieren. Sie ist ein Außenseiter.

Dabei haben die Vampire offensichtlich andere Probleme, als sich mit Karens angeschlagenem Stolz zu beschäftigen. Ein totgeglaubter Widersacher, Dorian Prior, taucht plötzlich wieder auf und will sich an seinen alten Feinden rächen. Dafür ersinnt er einen ausgeklügelten Plan, der die Vampire um Lucas ganz schön auf Trab hält und schlussendlich Karen die Möglichkeit gibt, ihr eigenes Potenzial auszuschöpfen und zu beweisen, dass sie doch ein vollwertiges Mitglied der Familie ist.

„Blut der Finsternis“ schafft es, viele der Schwächen des ersten Teils auszugleichen und damit den Leser auf den gut 200 Seiten angenehm zu unterhalten. War die Handlung in „Dunkles Erbe“ recht dünn, so schafft es Tanja Schröder hier nun, nicht nur einen ausgeklügelten Plot, sondern auch einen würdigen Widersacher zu präsentieren, die die Geschichte am Laufen halten. Gleich der Einstieg in den Roman zeigt dem Leser, wo es langgeht: Schröder beginnt mit dem Bösewicht Prior und seinem menschlichen Wächter, zeigt den fundamentalistischen Wahnsinn des Vampirs und den ganz normalen Irrsinn seines „Menschen“. Die beiden sollen im Laufe des Romans den Guten wieder und wieder die Schau stehlen. Prior und sein Diener Turner sind die ausgefeiltesten Charaktere des Romans und es ist ein Vergnügen, besonders Turners schrägen Gedankengängen zu folgen. Wer also Romane mag, die starke und überzeugende Widersacher aufweisen, der sollte sein Glück mit „Blut der Finsternis“ versuchen.

Dass die Bösen so stark herüberkommen, führt allerdings auch dazu, dass die Guten stellenweise reichlich blass erscheinen. Gerade Lucas, der dem Leser ja im ersten Teil als der Obervampir präsentiert wurde, ist hier unscheinbar, unentschlossen und über weite Strecken einfach nicht präsent. Stattdessen konzentriert sich Schröder auf den neu eingeführten Charakter Calman, mit dem Karen eine Art Lehrer-Schüler-Verhältnis unterhält. Während Lucas in anderen Sphären zu schweben scheint, ist Calman für Karen erreichbarer und verstehbarer.

Man muss Tanja Schröder ankreiden, dass sie sich für ihren Roman zu viele Charaktere aufgehalst hat. Schon in „Dunkles Erbe“ war das in Anfängen zu erkennen, doch hier nun rächen sich die vielen Nebenfiguren. Während Prior und Turner beim Leser wirklich „ankommen“, da auf sie viel Papier verwendet wird, stehen in der Ecke der Guten zwar viele Spieler bereit, sie kommen jedoch nicht zum Einsatz. Beryl und Eliane, die noch im ersten Teil so hübsch gruselig ihre Schwingen ausbreiten durften, sind hier dazu verdammt, am Schluss ein paar gälische Sätze in den Himmel zu schreien. Schlimmer noch erwischt es Blanche und Galina. Warum die beiden überhaupt vorkommen, bleibt unklar. Sie haben keinen (oder kaum nennenswerten) Text und treiben auch die Handlung nicht voran. Sie sind nichts weiter als Dekor, füllen sie doch keine weitere Funktion aus, als die Lebensabschnittspartner der beiden Hauptvampire zu sein (nämlich Lucas und Seamus).

Trotzdem, im Vergleich zum Erstling „Dunkles Erbe“ ist Tanja Schröders zweiter Roman eine bemerkenswerte Verbesserung. Sie hat ihre Handlung viel enger geschnürt und schreibt konsequent auf einen Schlusspunkt zu. Sie lässt ihre Charaktere in einer Art Krimiplot einen Mord aufklären, lässt sie Spuren entdecken und schließlich auf Dorian treffen. Alles in allem bietet sie dem Leser damit einen wirklich durchdachten und vor allem funktionierenden Plot, der dem Roman Bewegung gibt. Außerdem ist sie sich auch nicht zu schade, einige Anspielungen und komische Passagen einzubauen. Jarout beispielsweise, der ja durch die Spiegel reisen kann, ist unfähig, den Kölner Flughafen zu finden. Ständig kommt er an einer anderen Spiegelfläche heraus, was seine Gefährten zur Weißglut bringt. Doch natürlich würde er nie, in bester männlicher Tradition, seine Schuld eingestehen. Oder gar nach dem Weg fragen. Oder wahlweise ein Taxi nehmen. Solche Stellen zeigen, dass Schröder sich selbst und ihre Charaktere auch auf die Schippe nehmen kann. Und so etwas ist immer ungemein sympathisch.

Dem Roman ist anzusehen, dass er auf einen dritten Teil hinausläuft. Handlungsstränge werden begonnen, aber nicht weitergeführt, Gefahren werden aufgezeigt, die dann aber nicht eintreten. Und die Vampirwelt Melacar wird ein weiteres Mal vorgestellt, ohne dass sie einen direkten Einfluss auf die Handlung hätte. All diese Dinge wollen in einer weiteren Geschichte erzählt werden, denn für sich genommen wirken sie unfertig. Leider ist bisher keine weitere Fortsetzung über die Hirudo erschienen. Bleibt abzuwarten, ob Tanja Schröder weiterhin Lust hat, sich in ihrer Vampirwelt herumzutreiben.

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Hein, Corinna – Jules Suche

Jule braucht nicht viel zum Leben. Alvus ist ihr Zuhause, ein kleines gottverlassenes Dorf irgendwo im Nichts. Das zumindest glaubt Jule, denn für sie existiert nur das: der kleine Teich, die Ziegen, mit denen sie den Stall teilt, die Dorfbewohner, die Mücken, die ihr den Arm zerstechen. Ihre Welt ist klein, sie reicht nur so weit, wie Jule blicken kann, und doch führt sie ein überaus zufriedenes Leben.

Im Dorf dagegen hält man sie für verrückt. Ist einfach eines Tages aufgetaucht, mit dieser riesigen Narbe am Kopf, und kann sich an nichts erinnern. Trotzdem scheint niemand beunruhigt genug, die Polizei zu rufen. Man kümmert sich um sein eigenes Leben, Jule wird geduldet, und keiner kommt auf die Idee, dass jemand sie vermissen könnte. Am allerwenigsten Jule selbst.

Jule könnte bis an ihr Lebensende so weiterleben, in ihrem eigenen kleinen Paradies, in dem sich alles fügt und die Dinge ihren Platz haben. Wäre da nicht … natürlich ein Mann. Wostok kommt aus dem Wald, aus diesem dunklen Nichts, direkt auf Jule zu. Sie verbringen eine gemeinsame Nacht und am nächsten Morgen schnappt er sich sein Moped und verschwindet wieder. Ohne ein Wort.

Doch Jule ist erwacht. Sie will diesen Wostok wiederfinden, will wissen, woher er gekommen ist, was sich hinter dem Wald befindet. Und so beginnt sie zu laufen. Der Waldweg wird bald zu einer asphaltierten Straße, die asphaltierte Straße führt in eine Stadt und als der LKW-Fahrer, der sie freundlicherweise mitgenommen hat, sie in diesem Betondschungel ausspuckt, weiß sie zunächst nicht, wohin sich wenden.

Jule jedoch ist ein Glückskind. Ihr scheint das Schicksal immer hold. Und so landet sie zunächst bei einer Gruppe Hausbesetzern, später dann bei einem Schnellimbiss. Die Jahre vergehen und aus dem Schnellimbiss wird ein Restaurant. Sie versteckt ihr verdientes Geld in einer Keksdose, weil sie nicht weiß, was damit anfangen, aber sie vergisst nie ihre Suche.

„Jules Suche“, der Debütroman einer jungen Schriftstellerin aus dem allertiefsten Osten, ist auf nur reichlich hundert Seiten vieles auf einmal, ohne je überfrachtet zu wirken. Er ist Entwicklungsroman, verfolgt er doch das Erwachsenwerden dieser geheimnisvollen Jule. Er ist Wenderoman, spielt sich doch die Handlung in den frühen 90er Jahren ab. Da sind die Anklänge des magischen Realismus, die Jules Geschichte zuweilen fast märchenhaft wirken lassen. Selbst einige versteckte religiöse Motive sind zu finden, wenn Jule zu Anfang des Buches in diesem paradiesischen Zustand von gleichzeitiger Ahnungslosigkeit und völliger Zufriedenheit lebt. Doch wie in der Bibel auch, kann es so nicht bleiben. Bei Jule zerstört der Einbruch von außen, nämlich Wostoks plötzliches Auftauchen, das Gleichgewicht ihres Lebens. Das Ereignis lässt sie erwachen – Wostoks Gegenwart erweckt ihren Geist, seine Berührung ihren Körper – und schickt sie auf die Suche.

Diese Suche scheint zunächst etwas diffus – sie sucht nach diesem Mann und nach dem, was sich außer ihrem Dorf in der Welt befindet –, doch wird bald klar, dass der Sinn ihrer Suche ein ganz anderer ist. Sie sucht ihren Platz und letztendlich sich selbst. Denn was ihr nicht bewusst war, ist die Tatsache, dass sie selbst verloren war.

Die Autorin erzählt die Geschichte einer jungen Frau vor dem Hintergrund der Wendezeit. Vieles ist mittlerweile über die DDR und über den Fall der Mauer geschrieben worden. Im Vergleich mit all den kuriosen, kritischen, reflektierenden, erschöpfenden Ansichten über die DDR und die Wendezeit wirkt „Jules Suche“ geradezu zurückhaltend. Die deutsch-deutsche Geschichte drängt sich nie in den Vordergrund, gleichzeitig fungiert sie aber auch nicht nur als Schablone, vor der die Charaktere agieren sollen. Die Wende ist etwas, das einfach passiert, das die Menschen überrollt, an Jule jedoch vorbeirollt. Für sie finden Politik und gesellschaftliches Leben nicht statt, und so nimmt sie zwar Veränderungen wahr, kann sie auch benennen, sie ist jedoch nicht fähig, diese Veränderungen bis zu ihrem Ursprung zurückzuverfolgen.

Ungemein knapp und ökonomisch werden Prozesse nachgezeichnet, die in den Jahren nach der Wende überall in Ostdeutschland zu beobachten waren: der rückkehrende Wessi, der die unbedarften Zonis übers Ohr hauen und den großen Schnitt machen will, der ABV, der plötzlich nichts mehr zu beobachten hat, der Aufsteiger, der die Gunst der Stunde nutzt. Sie alle sind versammelt und der Leser darf ihren Aufstieg (und Niedergang) verfolgen. Geradezu als Überdosis gestaltet Corinna Hein hier den ganzen Wahnsinn der 90er Jahre, konzentriert auf ein unbedeutendes Dorf irgendwo in Ostdeutschland.

Corinna Hein, Jahrgang 1977, hat einige Veröffentlichungen im Kurzgeschichten- und Lyrikbereich vorzuweisen. Ihr erster Roman, „Jules Suche“, hat im |Ronald Hande|-Verlag ein Zuhause gefunden, der einige Titel zum Thema DDR-Geschichte im Programm hat. Wie so oft bei kleinen Verlagen, darf man auch vom RH-Verlag keine Perfektion verlangen. Ein fähiger Lektor hätte den Text sicherlich noch an der ein oder anderen Stelle abrunden und schlichte Satzfehler korrigieren können. Trotzdem vermag das schmale Bändchen den Leser zu fesseln. Sprachlich einfach traumhaft, spickt Corinna Hein ihren Text mit Bildern, die erst im Kopf des Lesers ihre ganze Farbenpracht entfalten werden. Fast meint man, der Nebel der Geschichte würde schon über Jule und ihrem Dorf Alvus hängen, so verträumt und märchenhaft kommen manche Passagen daher. Doch dann werden lakonisch und mit messerscharfer Zunge Lebensschicksale rezitiert und man realisiert, dass man sich doch fast noch im Hier und Heute befindet.

Jule hat ihre Unschuld verloren, und diesen Riss kann auch alles spätere Glück nicht kitten. Ihre Reise ist exemplarisch für eine ganze Generation, und doch bleibt sie als Einzelschicksal märchenhaft schön. Definitive Leseempfehlung!

http://www.rh-verlag.de
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Schröder, Tanja – Hirudo – Dunkles Erbe

Hirudo – das klingt irgendwie exotisch und fremd. Tatsächlich ist Hirudo die lateinische Bezeichnung für den medizinischen Blutegel, und wenn das dem Titel von Tanja Schröders Roman auch ein wenig den Glanz nimmt, so ist die Anspielung doch zumindest treffend. Schließlich hat Tanja Schröder mit „Hirudo – Dunkles Erbe“ einen Roman über Blutsauger geschrieben.

Karen Grant ist auf der Suche nach ihrem Vater Lucas Vale. Zwar hat sie ihn nie kennengelernt, doch weiß sie aus den Geschichten ihrer Mutter sehr viel über Lucas. Dieser ist ein Vampir und hat Karen offenbar ein paar Extragene vererbt. So ist sie in der Lage, die Gedanken anderer Menschen zu lesen oder die Stimmung eines Gegenstandes zu erfühlen. Das ist eine durchaus praktische Gabe, hilft sie ihr doch bei ihrer Suche nach Lucas. Nacht für Nacht durchstreift sie die Stadt, in der Hoffnung, in den Gedanken eines Passanten den Namen ihres Vaters aufzuschnappen.

Die Ausweglosigkeit ihrer Suche ist Karen durchaus bewusst, allerdings bekommt sie unerwartet Hilfe. Jarout, ein junger Hirudo – also ein Vampir -, kennt Lucas und ist willens, Karen zu ihm zu bringen. Was die junge Frau zunächst nicht ahnt, ist die Tatsache, dass Jarout nicht aus Nächstenliebe handelt, sondern seine eigene Agenda verfolgt.

Jarout nimmt Karen mit in Lucas‘ Haus in der Nähe von Genf, doch der Hausherr ist nicht da. Stattdessen sieht sich Karen einer ganzen Familie von Vampiren gegenüber, die mal freundlich und mal hungrig gestimmt sind. Nachts schließt sie also Freundschaft mit Teilen von Lucas‘ Familie und versucht, nicht vom Rest verspeist zu werden. Und tagsüber, wenn die Hirudo schlafen, durchstreift sie das riesige Haus auf der Suche nach Hinweisen auf ihren Vater.

Tanja Schröders erster Roman ist ein seltsamer Hybrid. „Hirudo“ ist weit davon entfernt, ein schlechter Roman zu sein, aber gleichzeitig vermag er auch nicht durchgehend zu fesseln. Dazu kommen einige Kinderkrankeiten, die verhindern, dass der Roman sein volles Potenzial ausschöpft. Da wäre zum einen der hauchdünne Plot: Frau sucht ihren Vater. Daraus ließe sich selbstverständlich einiges machen: Durchwachte Nächte in staubigen Bibliotheken, das Durchwühlen alter Kirchenregister, das Streuen von Informationen und das Finden von überraschenden Helfern. Wie man eine derartige Geschichte genüsslich ausschmückt, hat Elisabeth Kostova in [„Der Historiker“ 2000 gezeigt. Tanja Schröder entscheidet sich für das Gegenprogramm. Karens Suche ist nicht mehr als die Exposition des Romans – bevor sie richtig losgegangen ist, übernimmt Jarout die Bühne und präsentiert Karen ihren Vater quasi auf dem Silbertablett. Über die Hälfte des Buches besteht dann aus Warten, nämlich dem Warten darauf, dass Karens Vater endlich von seiner Geschäftsreise heimkehrt. Schröder nutzt diese Zeit ausgiebig, um Karen das Haus durchstöbern zu lassen (da sie kaum etwas Nennenswertes findet, hält sich der Mehrwert in Grenzen) und die Mitglieder von Lucas‘ Familie vorzustellen. „Vorstellen“ ist dabei das zentrale Wort. Mehr passiert nicht, es gibt keinen Konflikt und über lange Strecken keine Bewegung in diesem Roman. Nachdem der Leser dann über hundert Seiten auf die Begegnung zwischen Karen und ihrem Vater gewartet hat, wirkt das groß erwartete Ereignis in seiner tatsächlichen Schlichtheit wie ein Antiklimax.

Dazu kommt, dass die Charaktere nicht völlig ausgearbeitet sind. Einzig Denis bleibt dem Leser in Erinnerung: Der geistig zurückgebliebene Hirudo ist offensichtlich Schröders Lieblingsfigur. Sie verwendet viel Zeit auf die erste Begegnung von Karen und Denis, der ein talentierter Maler ist und Karen in sein kleines Refugium entführt. Schröder schildert dies in einem wirklich schönen Kapitel, das letztendlich aber ins Leere läuft, da es nichts zur eigentlichen Romanhandlung beiträgt. Ähnliches wiederholt sich mit allen Bewohnern des Hauses. Sie werden dem Leser vorgestellt, ohne dass sie dann im Gesamtzusammenhang etwas zu tun bekämen. Einzige Ausnahme ist hier wohl Jarout, der seine eigenen Pläne verfolgt. Aber auch seine Motivation bleibt im Dunkeln. Schröder ist selten in der Lage, ihre Figuren für den Leser zu erhellen.

Viele dieser Kritikpunkte dürften der Tatsache geschuldet sein, dass „Dunkles Erbe“ nur der erste Teil eines Romanduos um die Hirudo ist. Vieles wird nur angedeutet – so z. B. der Ursprung der Hirudo und wie sie in unsere Welt kamen. Es ist davon auszugehen, dass all diese kleinen Appetithäppchen im Folgeroman „Blut der Finsternis“ wieder aufgegriffen werden, doch führt diese Taktik dazu, dass sich „Dunkles Erbe“ über weite Strecken wie ein Prolog liest. Wer nur den ersten Teil in der Hand hält, wird das Buch unbefriedigt zuklappen, da nichts gelöst und eigentlich auch noch kein Problem in den Raum gestellt wurde. Der Roman plätschert dahin, mehr nicht.

Einem wirklichen Lesevergnügen steht leider auch der technisch schlechte Text gegenüber, wobei unklar bleibt, ob die Schnitzer hier von der Autorin selbst oder vom Lektorat kommen. Tanja Schröder gelingen durchaus stilistisch schöne Passagen und überzeugende Bilder. Leider stehen diese in ständigem Kontrast zu so unausgewogenen Formulierungen wie „die übliche Schwelle war nicht vorhanden und leicht zu überwinden“ (Karen versucht hier gerade, in Denis‘ Geist einzudringen). Hinzu kommt, dass Tanja Schröder ein Problem mit richtigen Fallendungen hat und die Genitiv-s-Regel einfach ignoriert. Bei einem Roman mit drei Charakteren, die auf -s enden (nämlich Lucas, Denis und Seamus) ist das ein Fallstrick, den ein Lektor hätte ausbügeln müssen.

Die Hirudo sind faszinierende Geschöpfe. Schröder lehnt ihre Vampire weniger am klassischen Dracula als am modernen Lestat an. Lucas, das Familienoberhaupt, lehnt es beispielsweise ab, zu töten. Er ist empfindsam, von Schuldgefühlen geplagt und erpicht darauf, sich in die Welt der Menschen zu integrieren, auch wenn er nicht wirklich dazugehören kann. Darüber hinaus erlaubt Schröder dem Leser flüchtige Blicke auf den Ursprung der Hirudo. Ein anderer Planet? Eine andere Wirklichkeit? Eine andere Zeit? Das wird man wohl nur erfahren, wenn man sich den zweiten Band, „Blut der Finsternis“, zu Gemüte führt.

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Allende, Isabel – Inés meines Herzens

Letztes Jahr erst war Isabel Allende mit ihrem Buch [„Mein erfundenes Land“ 2979 in Deutschland auf Lesereise. Und schon ein Jahr später, zu ihrem 65. Geburtstag, ist sie wieder unterwegs: Dieses Mal hat sie den historischen Roman „Inés meines Herzens“ im Gepäck.

Ganze fünfhundert Jahre in die Vergangenheit entführt Allende den Leser in ihrem neuesten Roman, um ihm Inés Suárez vorzustellen, die historisch verbürgte Mitbegründerin Chiles. Als Autobiographie getarnt, schildert Allende Inés‘ Leben – ihre Lieben, Leidenschaften und Abenteuer – und läuft damit einmal wieder zu literarischer Hochform auf: „Inés meines Herzens“ ist mit Leichtigkeit Allendes bester Roman seit langem.

Inés wird 1507 in Plasencia in der Extremadura geboren. Sie ist Analphabetin, kann aber gut nähen, kochen und heilen. Sie heiratet Juan de Malaga, einen Spieler und Weiberheld, der jedoch im Bett ein echter Verführer ist und Inés in die Künste der körperlichen Liebe einweiht – eine Unterweisung, von der sie ihr ganzes Leben lang zehren soll. Die beiden haben, außer ihrer Kompatibilität im Bett, kaum etwas gemein, und so ist Inés kaum geknickt, als sich Juan ohne ein Wort des Abschieds in die „Neuen Indien“ = Südamerika) einschifft. Wie so viele andere vor ihm, hofft auch Juan darauf, in der Neuen Welt schnell das ganz große Geld zu machen. El Dorado lockt …

Die lebenslustige Inés sieht sich in einer Zwickmühle. Zwar ohne Mann, aber doch keine Witwe, kann sie nicht wieder heiraten. Als sie erkennt, dass sie in Spanien nur noch Nähen und Kochen erwarten, setzt sie alles daran, ihrem Mann nach Amerika zu folgen. Im Gegensatz zu Juan locken sie weder Geld noch Gold. Stattdessen ist es die zweite Chance, die sie reizt – die Möglichkeit eines Neuanfangs weit weg von ihrer Heimat.

Schon bald nach der Überfahrt stellt sich heraus, dass Juan das Zeitliche gesegnet hat. Inés findet, etwas Besseres hätte ihr kaum widerfahren können, schließlich ist sie als Witwe nun wieder frei. Sie lässt sich zunächst in Cuzco (Peru) nieder und verdingt sich als Näherin und Köchin. Als ihr eines Nachts ein aufdringlicher Schürzenjäger nachstellt, wird sie von Pedro Valdivia gerettet. Der schlägt den Lüstling kurzerhand in die Flucht und sinkt sodann mit Inés in die Federn.

Inés wird die Geliebte des Kommandeurs und gibt zunächst die Liebeslektionen ihres verstorbenen Mannes an Pedro weiter. Dieser hat zwar eine Frau in Spanien, doch hält sich in den Neuen Indien jeder Spanier eine ganze Armada von Mätressen, und so stößt sich niemand an dem Paar. Selbst als Pedro eine Expedition nach Chile auf die Beine stellt, ist Inés mit dabei. Sie findet für die wandernde Schar Wasser in der Wüste (per Wünschelrute), sie kämpft an vorderster Front gegen die Indios und sie ist Valdivias Vertraute. Und doch hält das Schicksal noch einen dritten Mann für Inés bereit …

Wieder einmal hat sich Isabel Allende des Schicksals einer starken Frau angenommen. Eine wie Inés gibt es in jedem Allende-Roman: Sie ist stark, unabhängig, mutig, abenteuerlustig, leidenschaftlich, loyal und auch etwas skurril und verschroben. Überlebensgroß, so stellt sie Allende dar. Manche Kritiker werfen ihr genau dies vor: aus einer historischen Figur des 16. Jahrhunderts eine moderne Heldin gemacht zu haben. Sicher, diese Taktik wirft einige Probleme auf. Inés ist zu feministisch, teilweise zu kritisch gegenüber der Eroberung des Kontinents, als dass der Leser tatsächlich glauben mag, hier wirklich authentische Empfindungen eines Zeitzeugen zu lesen. Inés ist mitfühlend, ja gar verständnisvoll gegenüber den Mapuche, den Eingeborenen Chiles, die es zu vertreiben gilt. Umso seltsamer mutet dann an, wenn sie (wie historisch belegt ist) beim Angriff der Mapuche auf das neugegründete Santiago sieben Geiseln eigenhändig die Köpfe abschlägt, um sie den Angreifern als Abschreckung vor die Füße zu werfen. Solche Episoden vertragen sich nicht mit der sonst so empfindsamen Inés. Allende ist sich der Diskrepanz bewusst und muss sich mit einem Kniff behelfen: In der Retrospektive kann sich Inés ihre Tat selbst nicht mehr erklären, und so macht es nichts, wenn der Leser sie auch nicht nachempfinden kann.

Trotzdem, Inés als moderner Charakter, als Sympathieträger für den Leser bricht dem Roman keineswegs das Genick. Ganz im Gegenteil, Inés ist das Zentrum, um das sich die Handlung dreht. Wäre dieser Charakter kein Sympathieträger, böte er keine Identifikationsfläche für den Leser, würde der ganze Roman daran kranken. Und so ist es nicht verwunderlich, dass sich Allende entscheidet, ihre Hauptfigur so faszinierend wie möglich zu gestalten. Das Buch profitiert davon.

„Inés meines Herzens“ ist auch als historischer Roman überzeugend. In einem Genre, das viel zu oft mit 1000-Seiten-Büchern daherkommt, die sich leicht auf die Hälfte zusammenkürzen ließen, liefert sie einen Schmöker mit kaum 400 Seiten ab, der sich so schlank präsentiert, dass sich nirgends etwas Überflüssiges finden lässt. Das führt natürlich auch dazu, dass die Lektüre immer spannend und unterhaltsam bleibt. Darüber hinaus erscheint Allende auf den Seiten des Romans so erzählfreudig wie lange nicht mehr, und so ist es eine wahre Freude, ihr in die Extremadura, auf den Atlantikkreuzer, nach Peru, in die Wildnis zu folgen.

Apropos Wildnis: Schon immer legte Isabel Allende besonderen Wert auf Sinnlichkeit. Wenn sie die Liebe beschreibt, dann sind das Passagen, die das Wiederlesen und das Lautlesen lohnen. In „Inés meines Herzens“ kommt nun eine neue Form der Sinnlichkeit dazu: die Sinnlichkeit der unberührten Natur. Wenn Allende Inés von Peru und Chile erzählen lässt, von der Wildnis, die erst noch gebändigt werden will, dem Artenreichtum von Flora und Fauna, dann wähnt man sich fast mit ihr an diesem vergangenen Ort. Alles ist lauter, chaotischer, farbenprächtiger und beeindruckender, als wir es von unserer heutigen Natur kennen. Und so schwingt immer auch ein wenig Bedauern mit, dass es immer weniger Möglichkeiten gibt, unberührte Natur derartig zu erleben.

„Inés meines Herzens“ ist ein Roman, der zum genüsslichen Schmökern einlädt. Sicher, man könnte darüber diskutieren, ob die Eroberung der neuen Welt (und die damit einhergehende Entrechtung der Eingeborenen) nicht kritischer behandelt werden müsse. Man könnte darüber diskutieren, wo die historische Inés aufhört und die Allende-Inés anfängt. Doch mal ehrlich, will man das, wenn man stattdessen auch einen fesselnden Roman genießen kann?

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Yarbro, Chelsea Quinn – Palast der Vampire

[„Hotel Transylvania“ 2706 war der erste Streich in Chelsea Quinn Yarbros episch angelegter Chronik um den Vampir Saint-Germain. Damals trieb er im Paris des 18. Jahrhunderts sein Unwesen – wobei „Unwesen“ zu viel gesagt wäre: Saint-Germain ist nämlich ein Untoter mit Anstand und einem Faible für die schönen Dinge des Lebens. Anstatt sich wie sein berühmtester Artgenosse an Burgmauern hinabzuhangeln und das Blut von unschuldigen Jungfrauen in alle Ecken des Zimmers zu verspritzen, beschäftigt er sich lieber mit Kunst – und mit der genussvollen Verführung schöner und williger Frauen!

Wer nun aber denkt, der zweite Band „Palast der Vampire“ knüpfe nahtlos an „Hotel Transylvania“ an, der irrt. Yarbro überrascht ihre Leser damit, dass sie den Roman nicht nur in einem anderen Land, sondern auch in einer anderen Zeit spielen lässt. Diesmal befinden wir uns im Florenz des ausgehenden 15. Jahrhunderts. Florenz ist zu dieser Zeit ein florierendes wirtschaftliches und kulturelles Zentrum Europas. Unter der Führung der Medici wird nicht nur Tuch exportiert, sondern auch Künstler wie Botticelli werden gefördert. Also genau der richtige Ort für Saint-Germain, der sich mit Vorliebe am Puls der Zeit niederlässt.

Zwar gilt er in Florenz als Ausländer, doch ist er gebildet und faszinierend genug, um von den Florentinern akzeptiert zu werden. Mit großem Brimborium baut er einen Palazzo – natürlich mit geheimen Kammern für seine alchimistischen Studien. Diese sollen ihm jedoch bald zum Verhängnis werden, denn als Laurenzo de Medici stirbt, schlägt die liberale Stimmung in Florenz rasch um.

Mehr und mehr reißt nämlich der Dominikanermönch Savonarola die Macht in Florenz an sich. Mit einer rigiden Bibelauslegung verdammt er alle Kunst, alle Annehmlichkeiten und alle Schönheit als eitle Sünde aus der Stadt. Seine Militia Christi, bei genauer Betrachtung nicht mehr als eine Gruppe randalierender Jugendbanden, dringt in Häuser ein und zerstört die Einrichtung. Gemälde werden verbrannt, das Spielen von Musik untersagt. Und Saint-Germain als Ausländer wird natürlich schnell zur Zielscheibe von Savonarolas Hass. Als eine ehemalige Geliebte in einer öffentlichen Beichte seinen Namen in den Schmutz zieht, muss Saint-Germain fliehen. Doch was ist mit seinem Protegé Demetrice, die darauf besteht, in Florenz zu bleiben?

Es ist ganz allein der Erzählkunst der Autorin zu verdanken, dass „Palast der Vampire“ ein so gelungenes Lesevergnügen ist. Denn wenn man es genau betrachtet, bietet der zweite Band gegenüber „Hotel Transylvania“ nicht viel Neues: Wir haben den Vampir, seinen treuen Diener, eine sich schüchtern entwickelnde Liebesgeschichte und äußere Einflüsse, die sich dem Paar entgegenstellen. Nach dem gleichen Schema verfuhr Yarbro schon in „Hotel Transylvania“, und doch ist „Palast der Vampire“ kein billiger Abklatsch. Und Langeweile kommt auf den 500 Seiten gleich gar nicht auf. Es muss also die Erzählfreude Yarbros sein, die den Leser so bei der Stange hält.

Saint-Germain ist ein Vampir für romantische Frauenträume. Er spielt lieber auf der Laute als Menschen umzubringen. Für ihn ist die Teilnahme am Leben der Menschen, an deren Kultur und Sorgen offensichtlich ein Lebenselixier, das er genauso benötigt wie Blut. Es ist seine Art, die Ewigkeit erträglich zu machen. Dass sich ihm dabei gern eine schöne und ebenso kluge Frau an die Seite stellt, macht die Sache nur noch interessanter. Demetrice ist, wie schon Madeleine in „Hotel Transylvania“ keineswegs ein Frauchen. Sie ist studiert, hat die Bibliothek des Medici katalogisiert und überredet Saint-Germain, sie in der Alchimie zu unterrichten. Erst als klar ist, dass beide gleichberechtigte Partner sein können, bringt Yarbro zarte Gefühle ins Spiel.

Ebenso faszinierend ist ihr Florenz des 15. Jahrhunderts. Wie auch schon im ersten Band, ist „Palast der Vampire“ in erster Linie ein historischer Roman. Yarbro versteht es, ins Detail zu gehen, ohne zu langweilen. Der Roman lebt von dem Gegensatz zwischen dem schöngeistigen Saint-Germain und dem radikalen Mönch Savonarola. Für Yarbro ist das Florenz des 15. Jahrhunderts keineswegs der Sündenpfuhl, den der Dominikaner darin sieht. Florenz ist für sie das Zentrum der Renaissance. Durch die Medici kommt die Stadt zur Blüte, Kunst und Naturwissenschaft sind auf dem Höhepunkt. Ausländer und Studenten strömen in die Stadt, um am Fortschritt teilzuhaben. Savonarola jedoch wirft Florenz um Jahre zurück. Mit seinen apokalyptischen Prophezeiungen vom Ende der Welt trifft er offensichtlich einen Nerv bei der Bevölkerung. Doch das führt nur dazu, dass in Florenz der Scheiterhaufen vorweggenommen wird, der später ganz Europa überziehen wird.

Wie auch schon im ersten Band, steht Saint-Germain wieder ein verlässlicher Diener zur Seite. Seinerzeit aus einer offenbar misslichen (und fast tödlichen) Lage befreit, ist Ruggiero seinem Meister treu ergeben. Er ist der einzige Charakter, den ich mir mehr ausgebaut gewünscht hätte. Außer seiner Treue zu Saint-Germain bedenkt ihn Yarbro mit keinen weiteren Charaktereigenschaften, und doch hat man als Leser ständig das Gefühl, hinter der Fassade des Dieners verberge sich ebenfalls eine spannende Geschichte, die das Erzählen lohnen würde. Doch wer weiß, vielleicht erfährt man in einem späteren Band ja mehr über Ruggerio.

„Palast der Vampire“ ist ein echter Schmöker, den man im gestreckten Galopp verschlingen wird. Auf 500 Seiten präsentiert Yarbro eine Geschichte ohne Hänger und Längen, mit einer ausgewogenen Mischung aus Historie, Erotik, Spannung und einem wirklich verachtenswerten Bösewicht. Wenn sie es schafft, dieses Erzähltempo auch in den Folgebänden zu halten, dann steht der geneigten Leserin ein langanhaltender Lesegenuss bevor, schließlich umfasst die Serie bereits 19 Bände!

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Harris, Charlaine – Vampire bevorzugt

Band 1: [„Vorübergehend tot“ 788
Band 2: [„Untot in Dallas“ 939
Band 3: [„Club Dead“ 1238
Band 4: [„Der Vampir, der mich liebte“ 2033

„Vampire bevorzugt“ ist der fünfte Streich von Charlaine Harris‘ Serie um die gedankenlesende Kellnerin Sookie Stackhouse. Und bevor irgendwelche falschen Vorstellungen aufkommen: Wie auch schon im Vorgängerband, ist der Titel unglücklich gewählt. Denn wenn Sookie in den vergangenen Bänden etwas gelernt hat, dann auf jeden Fall, dass Vampire nicht zu bevorzugen sind. Leider hat sich |dtv| nicht auf die Masche der Autorin eingelassen, in jedem Titel das Wort „dead“ vorkommen zu lassen. Das führt leider dazu, dass die deutschen Titel reichlich hölzern und unhandlich wirken. Doch sollte man sich davon nicht abhalten lassen (genauso wenig wie vom Glitter auf dem Cover) und „Vampire bevorzugt“ möglichst an einem freien Wochenende zu Hand nehmen. Denn eines kann Charlaine Harris garantieren: dass man ihre Bücher so schnell nicht aus der Hand legt!

Um auf die Vampire zurückzukommen: Da wäre zunächst Bill, der es sich mit Sookie verscherzte, als er mit seiner Meisterin in die Laken hüpfte. Und dann wäre da noch Eric, der nordische (und untote) Sexgott, der sich während seines Gedächtnisverlustes zwar zum perfekten Liebhaber entwickelte, aber nach der Aufhebung des Fluchs keinerlei Erinnerung mehr daran zu haben scheint, dass er zusammen mit Sookie sämtliche Stellungen des Kamasutra ausprobiert hat. Kurzum: Sookie hat die Nase voll. Sie will einfach nur in Ruhe gelassen werden, zur Arbeit gehen und sich vielleicht ein neues Auto kaufen.

Doch das wäre natürlich kein Stoff für einen Roman. Stattdessen stellt sich heraus, dass in Bon Temps, Sookies provinziellem Heimatort, ein Unbekannter auf Gestaltwandler schießt. Als es auch ihren Boss Sam erwischt (der sich gern mal in einen Collie mit samtweichem Fell verwandelt), muss Sookie nach Shreveport fahren und Eric um einen Ersatzbarkeeper bitten. Der stellt ihr Charles Twining zur Verfügung, einen charmanten Piraten mit Augenklappe, der nur deshalb keinen Papagei auf der Schulter trägt, weil das Halten von Tieren in einer Bar mit zu hohen Auflagen verbunden ist. Charles, charmant und ein echter Haudegen, ist natürlich eine fleischgewordene Anspielung auf einen gewissen Piratenfilm, der in den letzten Jahren mit ziemlichem finanziellen Erfolg gesegnet war. Unser Vampir hatte sogar mal die Gelegenheit, nach Tortuga zu segeln. Wenn das kein Glück ist …

Charles soll eigentlich in der Abstellkammer des „Merlotte’s“ schlafen, doch Sam überredet Sookie, den Vampir mit zu sich nach Hause zu nehmen. Das erweist sich durchaus als sinnvoll, denn gleich in derselben Nacht legt jemand Feuer an Sookies Haus. Charles kann den Brandstifter festsetzen, bricht ihm aber im Eifer des Gefechts das Genick. Sookie hat den Toten noch nie gesehen, warum sollte dieser also ihr Haus anstecken?

Es geht ähnlich rasant weiter: Alcide, Sookies Werwolf-Bekannter, versucht ständig, ihr Avancen zu machen und schleppt sie zu Veranstaltungen seiner Werwolf-Gemeinde, die sie lieber nie gesehen hätte. Eric versucht dauernd, sie zu überreden, ihm doch zu erzählen, was während der Zeit seines Gedächtnisverlusts zwischen ihnen passiert ist. Bill ist hauptsächlich deprimiert, aber trotzdem immer zur rechten Zeit am rechten Ort. Und schließlich wird auch noch Sookie selbst angeschossen, als sie ihre Bücher zur Bibliothek bringen will.

Man sieht, als Leser hat man – wie Sookie selbst auch – auf den 300 Seiten des Romans kaum Zeit, einmal durchzuatmen. Charlaine Harris scheint mit jedem Band mehr Freude daran zu finden, ihre Handlung flott voranzutreiben und damit ein hohes Tempo vorzulegen. Dabei entfernt sie sich immer mehr vom Schnulzencharakter des ersten Bandes und setzt stattdessen auf Action, Mystery und fesselnde Charaktere. Das soll natürlich nicht heißen, dass die Romantik ganz flöten ginge, im Gegenteil: So viele Männer wie in „Vampire bevorzugt“ hat Sookie wohl noch nie geküsst. Sämtliche männlichen Supras in ihrer näheren Umgebung scheinen magisch von ihr angezogen und Sookie kann sich all der Avancen kaum erwehren. Doch läuft die Buhlerei um ihre Gunst kaum auf eine heiße Affäre hinaus. Vielmehr hat man als Leser den Eindruck, dass sie Exposition für viele neue Probleme in zukünftigen Bänden ist. Man darf also gespannt sein!

Harris‘ Pool an Charakteren und übernatürlichen Gattungen erweitert sich ständig, und es ist eine wahre Freude, ihr bei der Entwicklung ihres Romankosmos zuzuschauen. Ihre Figuren werden dreidimensionaler und Sookie ist im fünften Band weit entfernt von der scheuen und sozial zurückgezogenen Kellnerin, die sie noch im ersten Band war. Ähnliches könnte man über einen Großteil von Harris‘ Charakteren sagen – ihre Welt wird mit jedem Roman kompletter, bunter, aber auch gefährlicher. Sookie gerät ins Schussfeld von immer mehr konkurrierenden Gruppierungen und damit erhöht sich selbstverständlich auch die Spannung für den Leser. Trotzdem verliert Harris nie den Sinn für Humor und Ironie. Sie schafft es sogar, ihre eigene Schreibe auf die Schippe zu nehmen; inwiefern, wird der Leser aber erst erfahren, wenn am Ende des Romans der Bösewicht enthüllt wird.

Bis dahin kann man nur wünschen: Gute Unterhaltung!

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Allende, Isabel – Mein erfundenes Land

[„Zorro“ 1754 war das letzte von Isabel Allende auf Deutsch erschienene Buch, eine Art Biographie der frühen Jahre des berühmt-berüchtigten Rächers mit der Maske. Und wenn der Roman auch alles bot, was man von einer Abenteuergeschichte erwarten würde, so war er doch ein außergewöhnlicher Stoff für eine Autorin, die mit starken Frauenfiguren, südamerikanischen Settings und weit ausladenden Familiengeschichten bekannt geworden ist. In „Mein erfundenes Land“ dagegen, im Spanischen bereits 2003 erschienen, hält sie sich wieder an Bewährtes, was dazu führt, dass man als Leser genau das bekommt, was man von Isabel Allende erwartet. Bei der Lektüre der 200 Seiten (geradezu Kurzprosa für Allendes Verhältnisse) stellt sich daher sofort der gewünsche Effekt ein: eine wohlige Wärme ob der flott dahingeschriebenen, teils liebenswerten, teils skurrilen Erinnerungen der Autorin.

Dabei ist „Mein erfundenes Land“ ein seltsamer Hybrid – irgendwo zwischen Autobiographie, Reiseführer, politischem Essay und Fiktion. Es ist der Versuch, die Sehnsucht nach diesem Land Chile, in dem sie tatsächlich nur einen geringen Teil ihres Lebens verbracht hat, in Worte zu fassen, zu erklären oder wenigstens zu beschreiben. Und es wäre kein Buch von Isabel Allende, würde man nicht ständig das Augenzwinkern der Autorin beim Umblättern der Seiten spüren.

Sie beginnt mit einer farbenprächtigen Kartographie ihres Heimatlandes – das Gebirge, das Meer, die Wüste, die brodelnde Stadt Santiago. Das alles klingt für den gemeinen Mitteleuropäer exotisch und weckt unweigerlich die Reiselust. Nie wirken Allendes Beschreibungen hier trocken oder gar abgeschrieben, denn in gewohnter Manier ist eine Bergkette bei ihr immer auch mehr als das: Die Beschaffenheit des Landes weist über sich hinaus, ist unabdingbare Voraussetzung für den Charakter seiner Bewohner, ihre Traditionen und Macken. Und von diesen Macken gibt es viele, wie die Autorin nicht müde wird zu erwähnen …

Vielleicht ist es die Tatsache, dass sie schon immer ein Querkopf war, sich dem Machismo Chiles nicht unterordnen wollte. Vielleicht ist es ihre journalistische Tätigkeit, die ihr diesen scharfen Blick ermöglicht. Vielleicht aber auch die Tatsache, dass sie nun schon seit zwanzig Jahren in Kalifornien lebt und daher aus einer anderen Perspektive auf Chile blickt. Sei’s drum, die Kapitel, welche die Skurrilitäten, die Eigenheiten und (für uns) fremdartigen Charakterzüge der Chilenen zum Thema haben, sind ein wahres Feuerwerk an genauer Beobachtung gepaart mit literarischer Verfremdung: Denn man kann sich nie ganz sicher sein, wann Isabel Allende Tatsachen beschreibt und wann sie ins Fiktionale abgleitet. Die Frage nach der Beziehung von Wahrheit und Fiktion ist eine typisch deutsche, meinte Allende, als sie das Buch in Berlin vorstellte. Für sie ist alle Erinnerung eine Mischung aus beidem – Tatsächlichem und Erfundenem. Was macht es da, ob etwas wahr oder unwahr ist? Genau aus diesem Spannungsfeld ergibt sich auch der Titel des Buches, der tatsächlich kein Widerspruch, sondern eine unbedingte Folge von Allendes Wahrnehmung ist.

Eingebettet in die Beschreibung von „Land und Leuten“ erfährt man auch viel Persönliches von der Autorin. Man trifft Charaktere aus ihren früheren Romanen wieder (allen voran natürlich „Das Geisterhaus“) und stellt fest, dass sie auf Mitgliedern ihrer Familie fußen. Mit viel Zuneigung, aber auch einem verschmitzten Lächeln gibt sie all die kleinen Absurditäten ihrer großen Sippe wieder: die hellsichtige Großmutter, der überlebensgroße Großvater, die Eindrücke, die ihre Kindheit geprägt haben. Einiges daraus kennt der treue Leser bereits aus „Paula“, doch fehlen in „Mein erfundenes Land“ die unbändige Trauer und das Verlangen, Dinge dem Vergessen zu entreißen. Das verleiht ihrem neuen Erinnerungsbuch eine uneingeschränkte Leichtigkeit, die dazu führt, dass man den Kapriolen und Sprüngen der Autorin gern folgt. Ihre Wege mögen verschlungen sein und sich von Zeit zu Zeit unvermutet kreuzen, doch ist dies kaum ein Grund zu bereuen, überhaupt auf die Reise gegangen zu sein. Im Gegenteil, es macht die Lektüre abenteuerlich und überraschend!

Es gibt natürlich ernste Momente. Wenn Allende den Militärputsch von 1973 beschreibt, der sie ins Exil trieb und ihre Heimat mit Folter und Repression überzog, dann bleibt kaum Raum für das altersweise ironische Lächeln, mit dem sie sonst ihr Lebens betrachtet: „Das hab ich hinter mir, und es hat mich stärker gemacht“, scheint ein Credo zu sein, das einen Großteil ihres Schreibens beschreibt. Doch der Putsch bleibt eine Wunde, die nur langsam heilt, und das Narbengewebe überzieht sowohl Chile als auch die Autorin.

„Mein erfundenes Land“ hat viele Eigenschaften, die für das Buch sprechen: Es ist unterhaltsam, kurzweilig, humoristisch und von Zeit zu Zeit sogar lehrreich. Es weckt die Neugier auf ein Land am Ende der Welt, wo die Sitten gleichzeitig fremd und sympatisch sind. Das Buch wirkt spontan, erfrischend, mit leichter Feder heruntergeschrieben, und dieses Gefühl überträgt sich unweigerlich auf den Leser, der sich mitnehmen lässt auf eine Reise, deren Ende nicht klar bestimmt ist. Doch, wie heißt es so schön: Der Weg ist das Ziel. Und selten war es so erfrischend, vom Weg abzukommen, wie in „Mein erfundenes Land“.

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Bionda, Alisha / Parzzival, S.H.A. – Calvin (Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik, Band 6)

Band 1: [„Der ewig dunkle Traum“ 1899
Band 2: [„Kuss der Verdammnis“ 1900
Band 3: [„Die Kinder der fünften Sonne“ 1949
Band 4: [„Blutopfer“ 1977
Band 5: [„Der Schattenkelch“ 2483

„Calvin“ heißt der sechste Band der „Schattenchronik“, diesmal aus der Feder der ominpräsenten Alisha Bionda und ihres Gastautors S. H. A. Parzzival. Und Calvin ist auch Programm in diesem rasanten Mix aus Mystery, Crime und Romanze. Er ist es schließlich, der das Wissen um den Schattenkelch besitzt – nur kann er sich daran leider nicht wirklich erinnern. Doch der Kampf um den Gral, der im letzten Band begonnen hat, erreicht nun seinen Höhepunkt und Calvin sollte möglichst schnell eine Seite wählen; am besten natürlich die richtige!

Zunächst jedoch lockt ihn sein Vater nach St. Barbara. Er drängt auf eine Versöhnung, impliziert, dass seine Ende naht. Doch tatsächlich will er Calvin nur in seine Gewalt bringen, um ihm unter Drogeneinfluss die Geheimnisse des Schattenkelchs zu entlocken. Allerdings hat er die Rechnung ohne Dilara gemacht. Diese reist ihrem Seelengefährten natürlich hinterher und kann ihn aus den Fängen seines Vaters befreien: Zwischen Vater und Sohn kommt es danach endgültig zum Bruch.

Währenddessen sind Mick und Cassandra in London immer noch damit beschäftigt, die brutale Mordserie aufzuklären, die die Stadt heimsucht. Dass Micks Ermittlungsmethoden einige Ungereimtheiten aufweisen, kann Cassandra dabei nicht länger übersehen; auch wenn sie immer noch hoffnungslos in Mick verknallt ist. Und so bleibt Mick nichts anderes übrig, als Cassandra endlich in seine Arbeitsweise einzubeziehen. Tatsächlich ist er nämlich nicht nur ein Vampir, sondern auch noch ein Necromancer, fähig, in Trance Verbindung zu den Toten aufzunehmen. Dort bezieht er seine Informationen von seinem ermordeten Partner Greg Lane und ist damit den bösen Buben immer haarscharf auf den Fersen.

Luna Sangue wiederum muss mit unvorhergesehenen Problemen kämpfen: Unerwarteterweise hat sich nämlich ihr Handlanger Mark Garimont den Schattenkelch geschnappt und versucht nun – recht ungeschickt – Luna Sangue damit zu erpressen. Doch hat er die Rechnung ohne die leicht schizophrene Vampirin gemacht.

Die Handlung verdichtet sich also zusehends. Die Schlinge zieht sich zusammen und das Geheimnis um den finstren Gral wird Stück für Stück vor dem Leser ausgebreitet, bis es auf den letzten Seiten zu einem Finale kommt, das den Leser vor Spannung die Tage bis zur Fortsetzung der Reihe zählen lässt (der nächste Band erscheint im November).

Die eigentlichen Stars dieses Bands sind das dynamische Duo Cassandra/Mick: Mick, der gut aussehende Zombie-Vampir, der genau weiß, wie er seine Reize einzusetzen hat, und die pummelige Cassandra, die Mick vergeblich schöne Augen macht und deren innere Monologe über ihre Verliebtheit, ihr Gewicht und die Ungerechtigkeit der Welt wohl jede Frau kennt. Die beiden landen – wenig überraschend – mitten in dem Kampf um den Gral und sollen dabei lange keine Nebenrolle spielen!

Als einzigen neuen Charakter lernen wir diesmal Delphine kennen. Man könnte ihr nachsagen, ein „plot device“ zu sein, ein Charakter, der nur dazu da ist, die Handlung in die richtige Richtung zu forcieren. Doch sollte man sich hüten, dem Autorenteam so niedere Motive nachzusagen. Wir erfahren wenig über Delphine: Eine alte Freundin von Dilara ist sie, die nun – aus rein egoistischen Gründen – plötzlich wieder in deren Leben auftaucht. Die beiden scheint in der Vergangenheit ein enges Band verbunden zu haben, doch dieses zerriss, als Delphine Dilaras Vertrauen missbrauchte. Es gibt nur Andeutungen über die Vergangenheit der beiden, gerade so viel, um den Leser nur noch neugieriger auf diese vampirische Lolita zu machen. Und da Bionda/Parzzival dem Leser diesmal einen Handlungsstrang in der Vergangenheit vorenthalten haben, ist davon auszugehen, dass wir in Zukunft noch mehr von Delphine sehen werden.

Alles in allem ist „Calvin“ wieder ein gelungenes Puzzleteil innerhalb des Schattenchronik-Universums. Weder die Charaktere noch die Handlung stagnieren an irgendeinem Punkt. Bionda und Parzzival erzählen flott und ohne Schnörkel und vermeiden so das Schicksal vieler anderer Romanserien; nämlich im Sumpf der eigenen Charaktere stecken zu bleiben und die Handlung aus den Augen zu verlieren. Diese Gefahr besteht hier keineswegs: Die Handlung bewegt sich unweigerlich auf das Finale zu, und in gewohnter (und lang erprobter) Serienmanier lassen die beiden Autoren den geneigten Leser in der Luft hängen. Wie wird sich nun der Schattenkelch auswirken? Welche Macht besitzt er tatsächlich? Wie geht es weiter? In welche Richtung wird sich die Handlung wenden?

Da gibt es wohl nur eine Antwort: Im November geht’s weiter mit Band 7, „Zorn des Drachen“.

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Bionda, Alisha / Kleugden, Jörg – Schattenkelch, Der (Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik, Band 5)

Band 1: [„Der ewig dunkle Traum“ 1899
Band 2: [„Kuss der Verdammnis“ 1900
Band 3: [„Die Kinder der fünften Sonne“ 1949
Band 4: [„Blutopfer“ 1977

Antediluvian, Dilaras Förderer und Erzfeind, wurde am Ende von „Blutopfer“ recht spektakulär der Garaus gemacht. Das mag nun bei einer Romanserie (gerade einer mit vielen Rückblenden) nicht unbedingt viel heißen, doch zumindest ist Antediluvian für den Moment von der Bildfläche verschwunden. Das gibt dem Autorenteam Alisha Bionda und Jörg Kleudgen ausreichend Möglichkeiten, neue Charaktere und Handlungsstränge zu entwickeln. Und es gelingt ihnen mit Leichtigkeit, der Serie um die Vampirin Dilara neue Impulse zu geben!

Der Titel des fünften Bandes lässt es schon vermuten: In „Der Schattenkelch“ geht es um nichts Geringeres als die Gralssuche. Calvin, der bisher als Charakter hinter der schillernden Dilara zurückstehen musste, bekommt nun seine eigene Geschichte und seine eigenen Geheimnisse. Denn als die beiden sich kennen lernten, hatte er ihr lange nicht alles über sich erzählt. Tatsächlich hat sich seine Familie nämlich der Suche nach dem Gral verschrieben und Calvin, der sich von seinem Vater losgesagt hatte, wird nun von seiner Vergangenheit eingeholt. Denn auch Luna Sangue, der neue „Player“ in der „Schattenchronik“ ist scharf auf den Kelch; verspricht er doch den Vampiren tatsächliche Unsterblichkeit und Unverwundbarkeit.

Und so werden in gewohnter Manier Vergangenheit und Gegenwart verwoben: Während nämlich im heutigen London Dilara und Calvin versuchen, die Spur des Schattenkelchs aufzunehmen, erinnert sich Dilara, dass sie es schon vor fast hundert Jahren mit dem Gral zu tun hatte: Damals nämlich wurde sie, kurz vor Ausbruch des I. Weltkriegs, in Frankreich zu einer Séance mit illustrem Klientel geladen. Doch das Medium, eine gewisse Geneviève Zaeppfel, wird entführt, um ihr durch Folter den Aufhaltsort des Grals zu entlocken. Dass der Name der Dame gerade Geneviève ist, ist sicherlich kein Zufall, und so ist zu erwarten, dass wir in zukünftigen Bänden noch einiges von ihr sehen (und vor allem lesen) werden.

Auch in Band fünf der Serie sind noch keine Ermüdungserscheinungen zu erkennen. Im Gegenteil: Die Autoren nutzen Antediluvians furiosen Abgang dazu, die Handlung in eine neue Richtung zu wenden und den Schwerpunkt auf bisher vernachlässigte Charaktere zu lenken. So ist natürlich Dilara wie gewohnt die Protagonistin des Romans (schließlich hält sie, auch durch die Rückblende, die verschiedenen Handlungsstränge zusammen), doch sind vor allem die bisherigen Nebencharaktere Calvin, Guardian und Mick die Stars des Romans.

Alle drei bekommen ihre eigenen Geheimnisse, die es in den nächsten Bänden zu lüften gilt. Warum und wodurch is Calvin der Schlüssel in der Gralssuche? Was ist Guardians Masterplan? Und vor allem, was ist Micks düsteres Geheimnis? Der Cop scheint kein Vampir zu sein, und doch ist er auch kein Mensch. Auf welche Seite wird er sich schließlich stellen? Alles Fragen, die sich der Leser stellt, während er nervös an seiner Lippe kaut. Und alles Fragen, die die Autoren sicher genüsslich ausbreiten, aber nicht sofort beantworten werden!

Wie immer, gibt es auch in „Der Schattenkelch“ wunderbare und lebendige Schauplätze. Diesmal ist Frankreich an der Reihe und besonders die Rückblenden atmen die Atmosphäre der Zeit: Da gibt es geheimnisvolle Séancen, waberndes Ektoplasma, fliegende (und brennende) Zeppeline, Dreidecker, Zigeuner und Priester, die geheime Bibliotheken bewachen. „Die Schattenchronik“ ist international, global – eine Art Reiseführer für vampirbesessene Leseratten. Und wie immer schaffen es die gut recherchierten Schauplätze, die Handlung zu unterstützen anstatt vordergründig auf den Effekt aus zu sein. Auch die französischen Schauplätze der heutigen Zeit, St. Michel und Les Saintes-Maries-de-la-Mer, sind farbenprächtig und lebendig – und machen darüber hinaus sofort Lust auf Urlaub.

Die Handlung zieht also Kreise: Von der Jagd nach der Schattenchronik (die auch hier nicht ganz vergessen wird) zur Jagd nach dem Schattenkelch. Von der Jagd nach Calvins Vergangenheit zur Jagd nach Luna. Jeder jagt nach irgendetwas in dieser Romanserie und das macht wohl das hohe Tempo der Romane aus. Ständig passiert etwas Neues, sodass der Leser schon aufmerksam mitdenken muss, um am Ball zu bleiben. Doch das eigene Tüfteln und Kombinieren erhöht ja nur den Spaß an der Lektüre. Und der ist ohnehin schon hoch!

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Weinland, Manfred / Fickel, Florian – Vampira: Der Moloch (02)

Wir erinnern uns: Vampira, alias Lilith Eden, erwacht zwei Jahre zu früh aus ihrem 100-jährigen Schlaf. Wie Dornröschen wurde sie dabei von einem recht eigensinnigen Haus bewacht, das keine Eindringlinge einließ, um die Sicherheit der schlafenden Schönen zu gewährleisten. Doch da Lilith nun schon einmal wach ist, gilt es, ihr neues vampirisches Leben zu erkunden. In der ersten Folge „Das Erwachen“ lernte der geneigte Hörer daher hauptsächlich, was es mit Vampiren so auf sich hat, und dass Lilith eine wichtige Prophezeiung zu erfüllen hat: Sie ist nämlich diejenige, die die Vampire vernichten soll. Elende Nestbeschmutzerin, denken sich da natürlich ihre Artgenossen und wollen ihr prompt ans Leder.

Doch schon in der zweiten Folge, „Der Moloch“, ist Lilith keine Hauptfigur mehr. Ja, sie darf sich durchaus wieder einen geistig minderbemittelten und ausreichend schmierigen Kerl angeln und ihn nach Strich und Faden verführen und ausbluten (langsam muss man sich schon fragen, warum Lilith einen so schlechten Männergeschmack hat), doch viel mehr hat sie im zweiten Teil der Serie kaum zu tun. Ihr skurriles formveränderndes Kleid hat wieder einen rettenden Auftritt, aber das war es dann auch schon.

Stattdessen beleuchtet „Der Moloch“ nun die zukünftigen (menschlichen) Gegenspieler Liliths, allen voran Detective Jeff Warner, gesprochen von Norbert Langer, den man hauptsächlich als die deutsche Stimme von Burt Reynolds und Tom Selleck kennen dürfte. Langer macht mit seiner Rolle das einzig Richtige: Er nimmt den Klischeecop Warner und übertreibt jeden seiner Sätze und alle seine Ausrufe. Warner ist der typische harte Kerl mit dem Herzen aus Gold, ein Charakter, wie man ihn schon in Hunderten billigen Krimis gesehen hat, sodass es eigentlich nicht nötig ist, ein ganzes Hörspiel damit zu verwenden, ihn als Cop in die Serie einzuführen.

Mittlerweile ist nämlich endlich das seltsame Haus in der Paddington Street auch den Gesetzeshütern aufgefallen. Warner und sein Sidekick Needles stellen überrascht fest, dass es für das Haus nicht einmal einen im Grundbuch eingetragenen Besitzer gibt. Und darüber hinaus kann niemand das Haus betreten. Niemand? Nicht ganz, denn aus nicht näher spezifizierten Gründen arbeitet die Polizei von Sydney mit einem Parapsychologen zusammen. Und nämlicher Parapsychologe, Brian Secada, wird prompt in das Haus gesogen und muss fortan versuchen, den Ausgang zu finden. Wieso das Haus gerade Secada Zugang gewährt, was das alles mit dem Plot um Lilith zu tun haben soll, und warum Secada von der körperlosen Stimme seiner ersten großen Liebe verführt wird, bleibt wohl ewig das Geheimnis der Macher dieses Hörspiels. In jedem Fall konnten so aber wieder eine vor Holzhammer-Erotik triefende Szene und eine süßliche Ruf-mich-an-Frauenstimme untergebracht werden – und das allein scheint einer der wichtigsten Tagesordnungspunkte auf der Liste von Frank Weinreich (der für die originale Heftromanserie verantwortlich zeichnet) und Florian Fickel (der die Fäden für das Hörspiel in den Händen hält) zu sein.

Zumindest ist das Verhältnis von Erzähler (Christian Rode) und dialogorientierter Handlung (die meist von den Cops bestritten wird) hier bereits ein wenig ausgewogener als noch in „Das Erwachen“. Das ist durchaus positiv zu bewerten, da es Lilith (mit der Stimme von Tina Haseney) weniger Möglichkeiten gibt, zu stöhnen, zu seufzen oder generell Unsinn zu erzählen.

Ein echter Lichtblick ist die absolut unernste und ironische Musikuntermalung von Rainer Scheithauer und Joschi Kauffmann. Bereits im ersten Teil brachten die beiden einen Grusel-Horrorsound zu Gehör, der verdächtig nach Horror-B-Movies aus den 70ern klang. In „Der Moloch“ kommt nun ein neues Thema für Detective Warner hinzu, das frappant an die unzähligen hippen Krimiserien der 80er Jahre erinnert. Da kann man sich eines Schmunzelns wirklich nicht erwehren!

Ansonsten gibt es über „Der Moloch“ kaum etwas zu berichten. Es werden neue Figuren eingeführt, Liliths Haus macht den Abgang, es gibt ein kleines Gerangel mit den bösen Vampiren und ein paar Tote. Doch Spannung wird dabei kaum aufgebaut. Für Liliths blassen Charakter kann man kaum Sympathien aufbringen und auch Jeff Warner ist leider ein Cop, wie man ihn schon unzählige Male gesehen hat. Es gibt auch immer noch keine Antworten darauf, warum Lilith die anderen Vampire bekämpfen soll. Ebenso wenig erfährt man, warum die Vampire überhaupt solche Bösewichter sind (sein sollen?). Dann noch Empathie für die Schicksale der Charaktere aufzubringen, fällt mehr als schwer.

„Vampira“ ist empfohlen für Hörer ab 16, die der Serie vermutlich mehr werden abgewinnen können als ältere Hörer. Lilith ist oberflächliche Frauenpower. Sie nimmt die Männer mit nach Hause und tritt ihnen dann in den Hintern. Doch ihre Wahl lässt ständig zu wünschen übrig, und dass sie ohnehin alle fünf Minuten unlautere Angebote und Vergewaltigungsversuche abwehren muss, macht sie nicht gerade zur feministischen Leitfigur. Lilith will beides sein: toughes Vorbild für junge Mädchen und Ausklapp-Poster für Jungs. Letztendlich ist sie auf keinem Gebiet wirklich erfolgreich.

Weinland, Manfred / Fickel, Florian – Vampira: Das Erwachen (01)

Das ist uns doch allen schon mal passiert: Da wacht man im Morgengrauen nur dürftig bekleidet auf einem Friedhof auf und hat keinerlei Erinnerung daran, wie man dorthin gelangt ist. Und bevor man sich noch orientieren kann, stürzt sich auch schon eine bluthungrige Kreatur auf einen, die aber glücklicherweise durch die aufgehende Sonne in die ewigen Jagdgründe befördert wird.

Genau mit diesem Tableau startet „Vampira – Das Erwachen“, |Lübbe|s Hörspielserie um Lilith Eden. Ursprünglich bevölkerte Lilith die |Bastei|-Heftromane von Manfred Weinland, wo sie sich gern halbnackt und lasziv auf dem Cover rekelte. Doch nun gibt’s auch was auf die Ohren, nämlich Liliths erste Schritte in die Welt der Vampire in „Das Erwachen“.

Das erste Hörspiel der Reihe startet |in medias res| – zusammen mit der amnesiegeplagten Lilith versucht der Hörer, das Geheimnis um ihre Identität zu lüften. Ein erster Anhaltspunkt bietet sich, als Lilith aus der Jackentasche des toten Angreifers eine Adresse fischt: Lilith Eden, Paddington Street 333. Natürlich verfolgt sie diesen einzigen Anhaltspunkt. Sie nimmt sich ein Taxi – und den dazugehörigen Taxifahrer (schließlich hat auch frau so ihre Bedürfnisse) und findet sich bald auf einem scheinbar verwunschenen Grundstück wieder: Der Garten ist überwuchert, Bäume und Sträucher scheinen die Herrschaft übernommen zu haben. Das Haus jedoch gewährt ihr sofort Einlass, und während Lilith sich noch fragt, was das alles mit ihr zu tun hat, wird sie schon von verstörenden Visionen und Erinnerungen heimgesucht.

Lilith ist eine Art weiblicher „Blade“ – ein Mischwesen zwischen Mensch und Vampir, laut Prophezeiung dazu erschaffen, die Vampire zu bekämpfen. Wie sich das damit verträgt, dass ihre Mutter selbst Vampirin war (sie gab – ebenfalls prophezeiungsgetreu – ein paar Tage nach Liliths Geburt den Löffel ab), wird dem leicht verwirrten Hörer allerdings vorenthalten. Nach einem hundertjährigen Schlaf sollte sie erwachen und eben jene Prophezeiung erfüllen, doch ihr „Blutdepot“, nämlich ihre Jugendfreundin Marsha, will endlich sterben und erweckt Lilith daher zwei Jahre vor der Zeit.

Offensichtlich hat das Lilith nicht wirklich gut getan. Ihre Amnesie scheint nur langsam zu verfliegen, und da nun sowohl ihre Eltern als auch Marsha das Zeitliche gesegnet haben, steht sie im Kampf gegen die Vampire ganz allein da. Und das, wo der Oberbösewicht Landru immer näher rückt und ihr offensichtlich ans Leder will.

„Vampira – Das Erwachen“ ist nette Unterhaltung, vor allem für Jugendliche, mehr wird aber nicht geboten. Die Handlung plätschert seicht dahin, und wie der Erzähler (wie immer grandios – Christian Rode) sollte man als Leser eventuelle Ungereimtheiten wohlweislich ignorieren. Überhaupt bestreitet Rode den Hauptteil des einstündigen Hörspiels. Alle anderen Charaktere – selbst Lilith – sind zu reinem Hintergrundsound verdammt. Tina Haseney in der Titelrolle der Lilith ist hauptsächlich damit beschäftigt zu stöhnen, zu keuchen und zu seufzen, was das Zeug hält – ihre Dialoge sind ohnehin zu vernachlässigen. Als kleines Schmankerl wird der Oberfiesling und vermutliche Endgegner Landru allerdings vom allseits bekannten Bela B. gesprochen. Aber auch er hat im ersten Teil noch nicht wirklich viel zu tun, das wird sich aber sicher in den Fortsetzungen ändern.

Man merkt dem Hörspiel seine Wurzeln durchaus an: Klischees werden gern bedient. Lilith ist zwar noch lange keine Männer verschlingende Göttin (so wie ihre Namensvetterin aus der Mythologie), doch sie arbeitet dran. Den Großteil der Zeit ist sie halbnackt (wahlweise ist ihr Kleid auch gern durchgeschwitzt oder zerrissen) und überlässt nichts der Fantasie. Die Beschreibung von Liliths körperlichen Vorzügen ist dick aufgetragen, dürfte aber den männlichen Hörern trotzdem (oder gerade deshalb) gefallen. Überhaupt, das Kleid: Offensichtlich das Vermächtnis ihrer Mutter, krallt sich das Ding in Liliths Haut und kann dann zu jedem Kleidungsstück mutieren. Das ist ungefähr so existenziell wichtig wie die wechselnde Klamottenfarbe im unterirdisch schlechten „Ultraviolet“, aber na ja. Der oben erwähnte Grundsatz gilt auch hier: Ungereimtheiten ignorieren.

Technisch ist das Hörspiel dagegen durchaus überzeugend: Musik und Sound bilden eine gelungene Kulisse für die mittelmäßig fesselnde Handlung. Die Sprecher machen das Beste aus dem Wenigen, das ihnen geboten wird, denn abgesehen vom Erzähler Christian Rode haben sie nicht wirklich etwas zu tun. Es bleibt zu hoffen, dass sich das Verhältnis Erzähler/Charaktere in zukünftigen Folgen noch relativieren wird.

„Das Erwachen“ ist empfohlen für Hörer ab 16 und dort ist die CD wohl auch am besten aufgehoben. Es gibt schöne Frauen (na gut, eine), böse Machenschaften, ein bisschen Grusel (nicht zu viel, damit die Klientel nicht vergrault wird) und seufz-intensive Erotik. Genau das richtige Rezept für die Zielgruppe. Für alle anderen wird „Vampira“ nicht viel Überraschendes oder Neues bieten. Auf die eine oder andere Weise hat man das alles schon mal gesehen / gehört / gelesen. Und wie gesagt: Sind wir nicht alle schon mal ohne Erinnerung auf einem Friedhof erwacht?

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Chelsea Quinn Yarbro – Hotel Transylvania

Bereits 1978 veröffentlichte Chelsea Quinn Yarbro „Hotel Transylvania“, den ersten Roman um den Vampir Saint-Germain. Ein ganzes Konglomerat an Fortsetzungen folgte. Trotzdem ist die Autorin in Deutschland (noch) weitgehend unbekannt. Vor drei Jahren hat sich dann der |Festa|-Verlag ihrer Bücher angenommen und zunächst „Hotel Transylvania“ auf deutsch veröffentlicht, gefolgt von „Palast der Vampire“ (2005).

„Hotel Transylvania“ spielt in Frankreich, genauer gesagt im Paris des Sonnenkönigs. Saint-Germain ist eine Lichtgestalt der Pariser Gesellschaft. Auf Partys ist er gern gesehen, als gut aussehendem Junggesellen laufen ihm die Debütantinnen scharenweise hinterher, und als Musiker begeistert er seine Zuhörer. Doch darüber hinaus gibt er der Gesellschaft auch genug Anlass zum Klatsch: Woher kommt Saint-Germain eigentlich? Warum sieht ihn nie jemand essen? Und woher nimmt er all die beeindruckenden Diamanten, mit denen er seine Garderobe aufpeppt?

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Elrod, P. N. – tanzende Tod, Der (Jonathan Barrett 4)

[„Der rote Tod“ 821
[„Der endlose Tod“ 863
[„Der maskierte Tod“ 1582

Wir befinden uns im London des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Jonathan Barrett ist zusammen mit seiner Schwester Elisabeth aus den Kolonien angereist, um seine lang verschollene Flamme Nora Jones wiederzufinden. Doch tut er dies nicht (nur) aus gänzlich romantischen Gründen. Jonathan ist nämlich ein Vampir, und Nora für seinen Zustand verantwortlich. Und da im 18. Jahrhundert Vampire lange noch nicht so berühmt sind wie heute, tappt Jonathan im Dunkeln, wenn es darum geht zu definieren, was es mit seinem Zustand genau auf sich hat. Und so hofft er darauf, dass Nora seine zahlreichen Fragen beantworten kann – sollte er sie denn finden.

P. N. Elrods „Der tanzende Tod“ ist nun schon Band vier der Romanreihe um die Abenteuer von Jonathan Barrett. Der Leser durfte ihn zum Studium begleiten, seine Vampirwerdung beobachten, seine ersten zaghaften Schritte als Untoter anfeuern und seine Suche nach Nora Jones begleiten. Doch wurde eben jene Suche im letzten Band, „Der maskierte Tod“, relativ zügig unterbrochen, da Jonathan zwischen die familiären Fronten geriet und – mal wieder – dem Tod mit einem gewagten Satz von der Schippe springen musste, schließlich bewahrt ihn auch sein Vampirismus nicht vor Intrigen, Anschlägen, Duellen und Morddrohungen.

Dies führt dazu, dass sein (Un)Leben in „Der tanzende Tod“ ziemlich auf den Kopf gestellt ist. Plötzlich ist er nämlich Vater (war er doch während seines Studiums in London längst kein Kostverächter) und bekommt den Jungen von dessen leiblicher (und nicht ganz zurechnungsfähigen) Mutter sofort untergeschoben, die das Balg loswerden will. Und so kehrt in Jonathans Haushalt wieder die Friedefreudeeierkuchen-Stimmung ein, die der Leser von P. N. Elrod gewohnt ist.

Doch halt: Ganz so einfach ist die Sache nicht. Wie immer will man Jonathan an den Kragen. Und so muss er auch in diesem Band einigen Kugeln und Anschlägen auf sein Leben ausweichen und nebenbei herausfinden, wer ihm denn eigentlich ans Leder will …

In „Der tanzende Tod“ fährt P. N. Elrod wieder alle Kaliber auf. Jonathan, Elisabeth und Oliver leben mittlerweile zusammen in einem Haushalt und Elrod ergeht sich darin, die Idylle dieser Patchwork-Familie ausgiebig zu beschreiben. Da sind Teestunden mit einer Extrakanne voll Blut für Jonathan nichts Außergewöhnliches. Und als dann auch noch der kleine Richard dazustößt, wird es vorrübergend schier unerträglich zuckersüß. Kein kleines Kind ist ständig so putzig und gut erzogen. Und all die Spielstunden, die Vater und Sohn abends unternehmen, sind relativ repetitiv und tragen darüber hinaus nichts zum Fortkommen der Handlung bei.

Nur gut, dass Elrod ihren Plot bei all dem familiären Zusammensein nicht aus den Augen lässt. Es scheint sich nämlich einiges zusammenzubrauen. Während Jonathan und Oliver genüsslich einen Puff besuchen, der sich als türkisches Bad tarnt, wird Jonathan prompt erschossen. Und als er sich danach anschickt herauszufinden, wer die maskierten Übeltäter waren, hat er schnell noch mehr Häscher auf den Fersen. Nach guter alter Elrod-Manier geht es für Jonathan danach erst einmal steil bergab, bevor er es schafft, die Verschwörung aufzudecken und zu zerschlagen. Und das ist durchaus wörtlich gemeint …

Jonathan hat endlich ein Maß von Vertrauen in seinen Zustand gewonnen. So schließt er nicht jedes Mal mit seinem Leben ab und betet zu sämtlichen Gottheiten (denn eigentlich ist Jonathan ein rechter Feigling), wenn ihm jemand Böses will. Dieses Schema wurde in den vergangenen Romanen langsam ermüdend und so ist es zu begrüßen, dass Elrod es aufgegeben hat. Das bedeutet nicht, dass es keine brenzligen Situationen für Jonathan gibt – der Roman ist voll davon. Doch geht er nun anders mit diesen Situationen um und spielt den Helden auch schon mal überzeugender als in den Anfängen seines untoten Zustands.

Ach, und dann ist da ja noch Jonathans verzweifelte Suche nach seiner verschollenen Liebe Nora Jones. Seit vier Bänden wartet der geneigte Leser nun darauf, dass die beiden sich endlich wiederfinden. Wird es in „Der tanzende Tod“ nun endlich so weit sein, dass die beiden sich in die Arme fallen können? Oder sind die Gerüchte tatsächlich wahr, dass Nora krank darniederliegt? Wird Jonathan eine weitere Seefahrt wagen, um sie in Italien zu suchen?

Um das herauszufinden, gibt es nur eine Möglichkeit: Selber lesen!

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Bionda, Alisha / Kleudgen, Jörg – Blutopfer (Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik, Band 4)

Dilara ist schockiert. Was sie Calvin über ihre Reise nach Italien, über Gelophee und Cippico berichtet hat, sind Ereignisse, an die sie sich bisher gar nicht erinnern konnte! Sie vermutet zunächst ihren damaligen kleinwüchsigen Diener als Ursache dieses Übels, doch welche Motivation könnte er gehabt haben? Und dann stellt sich heraus, dass Dilaras Amnesie viel tiefer reicht …

Im vierten Band der „Schattenchronik“ mit dem Titel „Blutopfer“ reisen wir wieder zurück in die Vergangenheit, und langsam dürfen wir die ersten Blicke auf alte Hochkulturen werfen, die mit der Geschichte der Vampire scheinbar unlösbar verbunden sind. Diesmal geht es nämlich nach Mexiko, tief ins Reich der Atzeken.

1895 begleitete Dilara den Londoner Archäologen Roger Gallet auf seiner Expedition zu der geheimnisvollen Atzeken-Stadt Aztlan. Die erste Überraschung: Die verschollene Stadt existiert tatsächlich und ist immer noch bewohnt. Die zweite Überraschung: Dilara stellt verwundert fest, dass sie die Sprache der Einwohner nicht nur versteht, sondern auch fließend spricht. Könnte das mit dem geheimnisvollen Kind zusammenhängen, das einst in der Aztekenstadt geboren wurde? Was macht Dilara so besonders? Ist sie eine Schlüsselfigur in der ominösen Schattenchronik? Kann sie Prophezeiungen erfüllen, oder soll sie sie doch eher verhindern? All dies bleibt uns weiterhin verborgen – und so heißt es, weiterlesen!

Dilara hatte sich nach Mexiko begeben, um Antworten zu finden auf Fragen, die sie nicht genau formulieren konnte. Doch was sie schließlich an ihrem Ziel findet, soll all ihre Vermutungen übertreffen. Nicht zufällig wird nämlich in Aztlan der Blutopfer-Kult zelebriert. Man ahnt es schon: Dilara ist nicht der einzige Vampire dort. Und so landet sie bald Hals über Kopf in einem Abenteuer, bei dem es nicht nur ihr, sondern auch Gallet an den Kragen geht.

Die „Schattenchronik“ erweist sich mit jedem neuen Band – „Blutopfer“ ist schließlich schon der vierte – erneut als literarische Zwiebel. Alisha Bionda und ihre wechselnden Gastautoren verstehen es mühelos, mit jedem neuen Roman (und damit jedem neuen Abenteuer) eine Haut der Zwiebel abzustreifen und dafür eine neue Haut zu enthüllen, die auf neue, noch mysteriösere Geheimnisse schließen lässt: getreu dem Gesetz der Serie, immer mehr Fragen aufzuwerfen als beantwortet werden. Und so lösen sich zwar einige Fragen zu Dilaras Ursprung und der Mythologie der Vampire im Allgemeinen, doch sollte das nicht dazu verführen zu glauben, man wüsste nun, wohin die Reise geht! Mit Sicherheit hat die „Schattenchronik“ noch mehr in petto.

Wie auch schon in „Der Kuss der Verdammnis“ und „Die Kinder der fünften Sonne“ ist „Blutopfer“ sauber recherchiert. Man merkt der Romanreihe das Interesse an anderen Zeiten und Kulturen an, was der Handlung und den Charakteren die nötige Tiefe gibt, um auf lange Sicht interessant zu bleiben. Bisher durfte der Leser zusammen mit Dilara London, Italien und Mexiko erleben – da gibt es also noch einiges zu entdecken; die Welt ist schließlich groß!

Stilistisch unterscheidet sich „Blutopfer“ sehr vom Vorgängerband. Trotz der zwei Erzählebenen ist der Roman rein sprachlich weniger experimentell und bewegt sich auf eher bekannten Pfaden. Es geht also geradliniger voran, was allerdings nur für die Sprache gilt, nicht für die Handlung! Bionda/Kleudgen haben großes Vergnügen daran, durch die Jahrhunderte und Handlungsebenen zu springen, Verbindungen zu ziehen und Andeutungen zu machen. So wird natürlich Spannung aufgebaut, aber die „Schattenchronik“ verlangt auch einen aufmerksamen Leser. Schließlich macht die Lektüre ungleich mehr Spaß, wenn man die Andeutungen der bisherigen Bände in zukünftigen Romanen dann endlich zu deuten weiß.

Zugegeben, die Azteken haben mich weit weniger begeistert als beispielsweise Dilaras Fahrt durchs mediterrane Italien im letzten Band. Doch dies ist eine rein subjektive Präferenz und ich bin sicher, dass Fans der Azteken oder der Geschichte Mexikos an „Blutopfer“ besonderen Spaß haben werden. In jedem Fall war es eine originelle Idee, Dilara auf der Suche nach ihrer Geschichte gerade dorthin zu führen. Anne Rice verortete seinerzeit den Ursprung der Vampire ins Alte Ägypten. Mal sehen, wohin uns die „Schattenchronik“ in dieser Hinsicht noch führt!

Und da uns Bionda/Kleudgen am Ende von „Blutopfer“ mit einem ordentlichen Cliffhanger zurücklassen, empfiehlt es sich unbedingt, gleich in Band fünf weiterzulesen. Es kann dem BLITZ-Verlag nicht nachgesagt werden, seine Leser nicht bei Laune zu halten!

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E.-E., Marc-Alastor – Kinder der fünften Sonne, Die (Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik, Band 3)

Eine Romanserie über eine Vampirin – die Idee ist so einfach wie genial. In Einzelbänden verschiedener Autoren verfolgt man so Dilaras (eben jene Vampirin) Reise durch die Jahrhunderte, ihre Abenteuer und ihre Bekanntschaften. Unter Wolfgang Hohlbeins schützender Hand erscheint genau diese Serie unter dem Titel „Schattenchronik“ im BLITZ-Verlag und verspricht nicht nur reichhaltiges (mittlerweile ist der sechste Band erschienen), sondern auch abwechslungsreiches Lesefutter.

Marc-Alastor E.-E. zeichnet für den dritten Band, „Die Kinder der fünften Sonne“, verantwortlich und enthüllt auf 330 spannenden Seiten mehr von Dilaras Vergangenheit, wobei – in guter Serientradition – mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet werden. Wir befinden uns im Frankreich des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Dilara und ihr zwergenwüchsiger Diener Cippico versuchen, in einem urigen Hotel in Avignon auszuspannen. Doch dieser Plan wird schnell von Antediluvian vereitelt, der Dilara zu sich ruft, um sie zu beauftragen, den Codex Vaticanus aus einem römischen Geheimarchiv zu beschaffen. Was bleibt Dilara anderes übrig als zuzustimmen – wäre jede andere Entscheidung ihrer Gesundheit doch kaum zuträglich. Selbst so kann sie nur knapp mit ihrem (Un)Leben entkommen.

Zurück im Hotel, wird sie von der so geheimnisvollen wie schönen Gelophee Roche davor gewarnt, sich mit Antediluvian einzulassen. Doch enthüllt die Rosenkreuzerin auch, dass sie Informationen besitzt, wie man an den ominösen Codex Vaticanus gelangen kann. Und so begibt sich eine Zweckgemeinschaft, bestehend aus Dilara, Cippico und Gelophee (zunächst gefesselt), auf eine lange Zugreise nach Rom. Natürlich verläuft diese alles andere als beschaulich. Zwischen den Dreien gibt es immer wieder Spannungen, ist doch nicht ganz klar, ob Gelophee, die ihre Hilfsbereitschaft immer wieder beteuert, tatsächlich zu trauen ist. Darüber hinaus wird Dilara von ihrem abgelegten Liebhaber verfolgt, der offensichtlich noch ein Hühnchen mit ihr zu rupfen hat.

Ob es die Drei nach Rom schaffen, ob sie den Codex Vaticanus ausfindig machen können, was in ihm steht und was Antediluvian wohl mit diesen Informationen anzufangen wünscht – das lese am besten jeder selbst.

In Band zwei, „Kuss der Verdammnis“, verließen wir Dilara im London der heutigen Zeit. Band drei macht also einen gewaltigen Sprung rückwärts und beleuchtet Dilaras Vergangenheit und ihre (schon immer) gestörte Beziehung zu Antediluvian. Außerdem werden einige mysteriöse Informationsbrocken eingestreut, die mehr als neugierig darauf machen, wie sich die Vampirmythologie der „Schattenchronik“ wohl genau gestalten wird. Sicher scheint eins: In zukünftigen Bänden werden wohl einige alte Hochkulturen wieder aufleben!

Marc-Alastor E.-E. malt ein sehr genaues, wenn auch verstörendes Bild von Dilara. Sie selbst scheint sich als durchaus empfindsam wahrzunehmen, wenn sie sich ihrer vampirischen Natur auch ständig bewusst ist. Doch auf ihre Umwelt (selbst auf ihren Diener Cippico) wirkt sie gefährlich, angsteinflößend und doch betörend. Der geneigte Leser jedoch ist uneingeschränkt fasziniert – von Dilaras Gefühlsschwankungen, ihren Wutausbrüchen, ihrer aufbrausenden Art.

„Die Kinder der fünften Sonne“ ist auch stilistisch eine Kehrtwende vom Vorgängerband. Marc-Alastors geradezu historisch anmutende Sprache mag gewöhnungsbedürftig sein. Es kommt schließlich nicht häufig vor, dass man in einem aktuellen Roman Worte wie „itzt“ oder „alsdann“ liest. Je weiter man jedoch in die dichten Sprachgebilde des Autors vordringt, desto mehr weiß man sie zu schätzen. Rein sprachlich ist „Die Kinder der fünften Sonne“ ein wahres Vergnügen. Da ist jedes Wort am richtigen Platz. An jedem Satz wurde bis zur Perfektion gefeilt. Und wenn Marc-Alastor so richtig aufdreht, dann entstehen surreale Wortwelten, die den Leser eintauchen lassen in den Roman – mehr aber noch in die Wunderwelt der Sprache.

Was den dritten jedoch augenfällig mit dem zweiten Band verbindet, ist die Freude an den sich verändernden Settings. Schon in „Kuss der Verdammnis“ entführte Alisha Bionda den Leser ins historische und heutige London. Marc-Alastor E.-E. tut nun selbiges mit Italien. Neben der spannenden Handlung macht es ebenso Spaß, den Roman als Reiseführer zu lesen, haben die Charaktere doch während ihrer Zugreise (wenn sie nicht gerade verfolgt werden) ausreichend Muße, die vorbeiziehende Landschaft zu betrachten. Und dann stoßen in einer kurzen Passage auch noch zwei besondere Personen dazu (wer, soll hier nicht verraten sein), die noch eine ganz andere Art zu sehen propagieren. Solch angenehme Überraschungen in einem fantastischen Roman darf es ruhig öfter geben!

Auch für den dritten Band der Serie kann damit eine uneingeschränkte Leseempfehlung ausgesprochen werden. Hoffen wir, der Romanzyklus kann die Spannung halten!

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Tokarczuk, Olga – Letzte Geschichten

Drei Geschichten erzählt Olga Tokarzuk in ihrem neuen Roman. Drei letzte Geschichten – Geschichten vom Tod, vom Sterben, vom davor, danach und währenddessen. Mit ihrer einfühlsamen Sprache lässt sie den Tod zurück in unser Leben; einen Exilanten, der so gern tabuisiert oder schlicht verdrängt wird.

Im ersten Teil des Romans, „Das reine Land“, kommt die Reiseführerin Ida vom rechten Weg ab. Sie ist auf dem Weg zum Haus ihrer Kindheit. Jahre zuvor hatte sie es nach dem Tod ihrer Eltern verkauft, doch nun ist sie in der Nähe und verspürt plötzlich so etwas wie Neugier, Nostalgie, Heimweh gar. Der geliehene Wagen kommt jedoch im Schneegestöber von der Straße ab und verwandelt sich in einen Haufen teuren Schrott. Ida bleibt unverletzt und sucht bei einem Rentnerehepaar Unterschlupf, bis sie die Polizei und die Besitzerin des Wagens informieren kann.

Doch etwas hält sie bei dem gastfreundlichen Ehepaar. Die Tage verstreichen, ohne dass sie die nötigen Telefonanrufe getätigt hätte. Wie in einer Luftblase lebt sie plötzlich dahin, neben der Zeit schwebend, während ihr Leben innehält und abwartet. Statt sich fortzubewegen, weiterzumachen, verfällt Ida in Stillstand. Oder ist das vielleicht nur ein Irrglaube?

Denn auch wenn das alte Ehepaar scheinbar von den Wirren der äußeren Realität unberührt bleibt, so helfen sie doch bedüftigen Kreaturen auf den Weg. Sie sind Reiseführer anderer Art, nehmen todkranke Haustiere bei sich auf und lassen sie sterben: in ihrem eigenen Tempo. Die beiden Alten stehen an der Tür zwischen Leben und Tod, sie bereiten dem Sterben einen Ort und eine Zeit. Und Ida, die Großstädterin, nimmt für ein paar Tage teil an diesem Prozess.

Im zweiten Teil, „Parka“, ist es Idas Mutter, deren Umgang mit dem Tod wir beobachten. Wir befinden uns in einem einsamen Haus in den Bergen. Im Sommer kommt unter Umständen mal die Post und regelmäßig wird auf Vorrat eingekauft. Doch im Winter ist das alte Ehepaar eingeschneit – selbst der Fernseher zeigt nur Schneeflocken. Petro, über 90, stirbt in diesem Winter, und da seine Frau keine Möglichkeit hat, das Dorf zu verständigen, schiebt sie Petros Bett (mitsamt Petro selbstverständlich) schließlich auf die Veranda. Das Leben geht weiter wie bisher. Sie fragt Petro um Rat, beschwert sich über sein Schweigen, rasiert seine Bartstoppeln und schneidet die Fingernägel. Sie lebt mit der Leiche, und schlussendlich scheint es kaum einen Unterschied zu machen, ob Petro nun tot oder lebendig ist. Der tote Ehemann auf der Veranda ist ein Anlass zur Reflektion und Erinnerung und wir erfahren von dem tiefen Keil, den die Repatriierung zwischen die beiden getrieben hat. Aus der Ukraine sind sie gekommen, damals nach dem Zweiten Weltkrieg. Paraskewia kann in Polen keine Wurzeln schlagen, doch die ehemalige Heimat in der Ukraine bleibt ihr ebenfalls verschlossen. Tokarczuk beschreibt hier ein herausgerissenes Leben, einen abgesägten Baum.

Und dann ist da im letzten Teil „Der Magier“ Maja, Idas Tochter. Mit ihrem Sohn bereist sie eine asiatische Insel. Sie arbeitet, sagt sie. Maja schreibt nämlich Reiseführer. In der tropischen Hitze liegt sie da, während Insekten sie plagen und die Geräusche des Dschungels ihr den Schlaf rauben. Ein Buch aus der Heimat verschafft ihr Linderung, es beschreibt die Stadt im Norden, mit ihrer balsamischen Kühle und all den bekannten kleinen Dingen, die einem sagen, man ist zu Haus.

Und doch ist Maja losgelöst, eine treibende Seele in dieser globalisierten Welt. Sie ist überall, doch nirgends zu Hause. Während Maja in der Schwermut versinkt, die Tokarczuk so liebevoll über ihr Südseeparadies legt, freundet sich ihr Sohn mit einem todkranken Magier an. Der bringt dem Jungen ein paar Taschenspielertricks bei (darunter die klassische zersägte Jungfrau) und vollführt am Ende das größte magische Kunststück überhaupt: Er stirbt.

In einem Interview sagte Tokarczuk einmal, sie schreibe in Bildern. Als Autorin übersetze sie Bilder in Wörter. Diese sensible Herangehensweise an Sprache und die damit verbundene Verknüpfung von innerer mit äußerer Welt machen Tokarzcuks Erzählungen so lesenswert. Ob sie einen schreienden Affen an Majas Fenster beschreibt oder Paraskewias Umsiedlung nach Polen: Als Leser wird man nie das Gefühl los, dass selbst der kleinste Nebensatz, das nebensächlichste Bild noch auf größere Zusammenhänge verweisen kann. Träume sind für Tokarzcuk eine wichtige Inspiration, und wie im Traum kann auch in ihren Geschichten jede Kleinigkeit eine tiefere Bedeutung haben. Vor allem aber wirken diese kraftvollen und doch so leisen Bilder intuitiv auf den Leser. Ihre suggestive Sprache bohrt sich geradezu in die Erinnerung, setzt sich fest und erstrahlt irgendwann zu voller Blüte. Selbst wenn die Handlung stagniert (eigentlich „passiert“ kaum etwas in „Letzte Geschichten“), treibt die Sprache selbst den Leser immer weiter voran, tiefer in das Herz der Finsternis, hinein in die Erinnerungen, Ängste und enttäuschten Hoffnungen seiner Protagonisten.

Wie immer zeichnet Esther Kinsky für die Übersetzung verantwortlich, die seit Jahren Tokarczuk meisterlich ins Deutsche überträgt. Man muss nicht unbedingt ein Fan polnischer Literatur sein, um Tokarczuk zu mögen. Was sie beschreibt, ist universell. Es sind immer Menschen, die zwar lose in der polnischen Geschichte verankert sind. Doch letztendlich ist ihre Welt die unsere. Ihre Probleme sind die unsrigen.

Wer auf sprachliche Meisterschaft Wert legt und statt eines Glases Wein lieber einmal einen sorgfätig komponierten Roman genießen möchte, der ist bei Olga Tokarczuk immer gut aufgehoben. „Letzte Geschichten“ macht da keine Ausnahme.

http://www.dva.de/

Bionda, Alisha – Kuss der Verdammnis (Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik, Band 2)

Wolfgang Hohlbeins „Schattenchronik“ geht mit „Kuss der Verdammnis“ in die zweite Runde. Oder, um es anders auszudrücken: Mit dem zweiten Roman legt die Serie um die 400 Jahre alte Vampirin Dilara erst so richtig los. Eröffnet wurde die Serie nämlich mit [„Der ewig dunkle Traum“, 1899 einer Anthologie von Horror- und Fantasyerzählungen, in denen Dilara, die Heldin der Serie, nur eine untergeordnete Rolle spielte. Wolfgang Hohlbein stellte sie in der Titelerzählung dem geneigten Lesepublikum vor. Alisha Bionda bringt sie uns in „Kuss der Verdammnis“ nun endlich näher.

Wir befinden uns im London der Gegenwart. Dilara lebt, recht einsam und verlassen, in einer alten Villa am Hyde Park und weigert sich, sich dem Urvampir Antediluvian anzuschließen, der sie einst zur Untoten machte. Dilara widersetzt sich dem gängigen vampirischen Regelwerk, auch wenn dem Leser bisher noch verborgen bleibt, um was für Regeln es sich dabei genau handelt. Wenn Dilara die Langeweile packt, besucht sie die Galerie des Aplsey House und schaut sich in der Ecke für gehängte Verbrecher ihr eigenes Porträt an. Die „doppelte Dilara“ fällt einem gewissen Roderick auf, der sich sofort unsterblich in die Unbekannte verliebt und es sich zur Aufgabe macht, mehr über sie zu erfahren. Doch scheinbar hat er sich damit mehr eingehandelt, als er bewältigen kann. Denn dieser Kontakt mit der dunklen Seite ruft Gefühle und Erinnerungen wach, die lieber vergessen hätten bleiben sollen.

Währenddessen lernt Dilara auf einem Trödelmark den Buchhändler Calvin kennen; ein Mann ganz nach ihrem Geschmack. Die beiden werden ein Paar und schließlich macht sie Cal zu ihrem Gefährten. Die Idylle hält jedoch nicht lang. Antediluvian fordert Gefolgschaft – ein Aufruf, dem Dilara immer noch nicht nachkommen will. Eine offene Auseinandersetzung steht damit kurz bevor …

Dilara ist eine Protagonistin, mit der sich der Leser sicherlich schnell anfreunden wird. Natürlich ist sie schön: Lange Haare, grüne Augen und exotische Kleider gehören selbstverständlich zum Standardrepertoire. Sie ist verführerisch und doch keineswegs eine Männerfresserin. Sie selbst ist innerlich zerrissen, ihre lange Existenz hat sie bitter und pessimistisch gemacht. Dilara ist Alisha Biondas große Stärke. Es ist kaum zu übersehen, dass die Autorin auf ihren Hauptcharakter viel Zeit verwendet hat. Sie ist der dreidimensionalste und überzeugendste Charakter in „Kuss der Verdammnis“, dicht gefolgt von Roderick, der langsam vom Wahnsinn zerfressen wird. Daneben bleibt Cal seltsam farblos, wohl weil er bisher hauptsächlich im Schatten Dilaras steht – etwas, das sich sicher in späteren Bänden ändern wird.

Biondas Charaktere sind in ein sehr lebendiges London eingebettet. Besonders Dilara, mit ihren 400 Jahren Lebens- und Geschichtserfahrung, weiß viel zu berichten, und so erfährt selbst der gut informierte Londontourist noch etwas Neues, wobei Bionda es aber immer vermeidet, oberlehrerhaft zu klingen oder solche Passagen als reine Füller einzubauen. Die farbenfrohen Beschreibungen Londons (und auch des London Below, wie Neil Gaiman wohl Biondas Schattenwelt unter Londons Tempeln der Macht nennen würde) unterstützen die Geschichte, sie behindern sie nicht.

Da es sich bei „Kuss der Verdammnis“ erst um den zweiten Band einer Serie handelt (sechs sind bisher lieferbar), scheint Alisha Bionda besonderes Vergnügen daran zu finden, den Leser mit Anspielungen neugierig zu machen. So erfahren wir, gerade über die offensichtlich stark reglementierte Vampirkultur, nur wenig. Wir wissen, Antediluvian ist das Oberhaupt der Londonder Vampire (oder der Vampire überhaupt?), doch seine Geschichte bleibt bisher im Dunkeln, ebenso wie seine genaue Verbindung zu Dilara und was die beiden schlussendlich auseinander getrieben hat. Bionda wirft dem Leser Häppchen zu, kleine Informationsschnipsel, die sich jedoch bisher noch zu keinem ganzen Bild zusammenfügen lassen. Es bleibt also spannend – zumindest ist nicht zu befürchten, dass Alisha Bionda und ihren Gastautoren in absehbarer Zeit die Ideen ausgehen werden!

„Kuss der Verdammnis“ ist also ein Buch, das man nur ungern aus der Hand legt: Es ist kurzweilig, spannend und flüssig geschrieben. Die Charaktere sind glaubhaft und agieren in einer lebendigen Kulisse. Bewusste Löcher in Handlung oder Hintergrund werden an strategisch günstiger Stelle platziert, um die Neugier des Lesers zu wecken – ein Unterfangen, das mehr als gelingt. Eine uneingeschränkte Leseempfehlung!

Bionda, Alisha / Borlik, Michael (Hrsg.) – ewig dunkle Traum, Der (Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik, Band 1)

Dämonenjäger, Vampire, Zombies, Mumien, wiederauferstandene Tote, ekelerregende Monster – das ist der Stoff, aus dem die Träume des Horrorliebhabers gemacht sind. „Der ewige dunkle Traum“, eine Anthologie, herausgegeben von Alisha Bionda und Michael Borlik, entführt meisterlich in die dunklen Abgründe menschlicher Existenz und deckt durch die Auswahl der Erzählungen ein breites Spektrum bekannter Gruselmotive ab.

Sechzehn Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen – mit einer Länge von zwei bis fünfzig Seiten – füllen den umfangreichen Band, und als kleine Draufgabe gibt es am Schluss noch kurze Essays zu dunklen Themen wie Vampiren, Werwölfen oder dem ägyptischen Totenkult.

„Der ewig dunkle Traum“ ist der Auftakt zu der von Wolfgang Hohlbein herausgegebenen „Schattenchronik“, einer Romanserie beim |BLITZ|-Verlag, die die Vampirin Dilara durch die Jahrhunderte begleiten soll. Zusammen mit Alisha Bionda wird jeweils ein Gastautor für einen Roman der Serie verantwortlich zeichnen und so – hofft zumindest der Leser – vergangene Jahrhunderte wieder auferstehen lassen. Die hier vorliegende Anthologie jedoch soll den geneigten Leser zunächst neugierig machen, in geheimnisvolle Welten entführen und Autoren des deutschen Fantasy- und Horrorgenres vorstellen: ein Vorhaben, das grandios gelingt!

Wolfgang Hohlbein, seines Zeichens Vielschreiber und ungekrönter König der deutschen Fantasy, leiht der „Schattenchronik“ seinen Namen. Und er bringt die Kugel ins Rollen, denn in der Titelgeschichte „Der ewig dunkle Traum“ aus seiner Feder begegnen wir Dilara zum ersten Mal. Da ist sie noch menschlich und erlebt ihren ersten Zusammenstoß mit den Wesen, die in den Schatten hausen. Ein Vampir nähert sich ihr, kennt sie scheinbar. Und ja, etwas beginnt sich in Dilaras Gedächtnis zu regen. Unbekannte Namen plagen sie, halbe Erinnerungen, die sie nicht zuordnen kann, und so fürchtet sie den Abstieg in den Wahnsinn. Eine wunderbare Novelle, die vieles nur anreißt und so nur noch neugieriger darauf macht, wie es denn nun mit Dilara weitergeht.

Die Qualität der in die Anthologie aufgenommenen Geschichten ist durchweg hoch. Nie hat man das Gefühl, einen Autor vor sich zu haben, der sein Handwerk nur halb versteht. Dazu kommt, dass thematisch für jeden Leser etwas dabei sein dürfte. Es gibt die verschiedensten Vampire, Geister und sonstigen Schattenwesen – bekannt oder unbekannt – zu entdecken. Einige der (meiner Ansicht nach) gelungensten Erzählungen sollen hier kurz erwähnt werden.

Da wäre zunächst Eddie E. Angerhubers „Das Nachtbuch“, die mit der Widmung an E.A.P. und T.L. schon zeigt, wohin uns Angerhuber entführen will. Hier wird das Spiel um die wiedererweckte Geliebte, das besonders Poe so gern betrieb, bis zu Ende gespielt. Ein Paar; er offensichtlich ein obsessiver Liebhaber, sie die Leiche, aufbewahrt und wiedererweckt zu seinem Vergnügen. Gerade die Anspielungen zu Poes „Berenice“ sind kaum zu übersehen. Die Erzählung lässt noch einmal die Schönheit des Todes auferstehen, die in der Literatur des 19. Jahrhunderts so beliebt war. Die sehr suggestige Prosa tut ein Übriges.

Alisha Biondas Erzählung „Seelenpfand“ ist ebenfalls technisch überzeugend. Die reine Form der Geschichte ist originell, ebenso wie Biondas Interpretation des Seelenvampirs. Diese Form des Vampirs, der seinem Opfer die Lebenskraft aussaugt, ist an sich keine neue Erfindung. Doch fragt sich Bionda: Wo fängt ein Seelenvampir an? Ist er überhaupt ein übernatürliches Wesen oder nur eine Metapher für einen verzehrenden Menschen, dessen Liebe seinem Gegenüber geradezu die Lebensenergie aussaugt? Und so bleibt es dem Leser überlassen, ob „Seelenpfand“ nun eine übernatürliche Erzählung oder die psychologische Betrachtung einer (zu?) intensiven Liebesbeziehung ist.

Frank H. Haubolds „Die Stadt am Fluss“ ist von einem gänzlich anderen Kaliber. So realistisch und beschaulich die Geschichte auch beginnt, so steigert sie sich doch unweigerlich ins Bedrohliche und Surreale. Haubolds Protagonist Robert begibt sich auf eine Reise in seine provinzielle Heimatstadt, ein Ort, in den er seit Jahren keinen Fuß mehr gesetzt hat. Doch seine Reise in die Vergangenheit wird bald zu einer Reise ins Verderben, denn was einmal verloren ist, das kann nicht so einfach wiederbeschafft werden. Roberts Suche nach seiner verlorenen Jugend scheitert nicht nur, sie endet in einer Katastrophe. Erscheint Robert die Stadt zunächst nur einsam, so wird die Atmosphäre bald unheilschwangerer. Die Straßen sind verlassen, das Haus seines ehemaligen Schulfreundes verwahrlost. Und als die Dunkelheit hereinbricht, wird er gar von einem Rudel streunender Hunde angefallen. Und was hat es mit seiner Jugendliebe Sara auf sich, die eines Tages spurlos verschwand? Als Schmankerl ist die Geschichte von musikalischen Anspielungen durchzogen, versorgt Roberts Autoradio ihn doch nicht nur ständig mit Musik, sondern lockt in schließlich auch in die zuschnappende Falle. Und so dröhnt nicht nur Jim Morrison aus den Boxen, sondern gar „In a Gada da Vida“- die Langversion wohlgemerkt!

Abschließend sei noch Christel Schejas „Der Verfluchte von Tainsborough Manor“ erwähnt, eine Liebeserklärung der Autorin an die schwarze Romantik. An der walisischen Küste lässt sie die Stimmung der Schauergeschichten des 19. Jahrhunderts wiederauferstehen, ganz im Stile der damaligen Größen wie Byron und Shelley. Selbst ihr Vampir hat grüne Augen, ein kleines aber feines Detail, das Liebhaber zum Schmunzeln bringen wird. Doch anstatt bei den tatsächlich blutrünstigen Vampiren des 19. Jahrhunderts stehen zu bleiben, vermischt sie Elemente der schwarzen Romantik mit der modernen Vorstellung vom Vampir als sensiblem Einzelgänger und schreibt eine überzeugende Erzählung, ohne jemals in den Kitsch abzurutschen.

Über „Der ewig dunkle“ Traum gibt es noch viel zu sagen, vereint die Anthologie doch Geschichten von Markus Heitz, Eddie M. Angerhuber, Mark Freier, Alisha Bionda, Armin Rößler, Frank H. Haubold, Dominik Irtenkauf und Javier Hurtado, Wolfgang Hohlbein, Barbara Büchner, Marc-Alaster E.-E., Michael Borlik, Boris Koch, Linda Budinger, Christel Scheja und Markus K. Korb. Es soll an dieser Stelle jedoch genügen, zu versichern, dass die Anthologie 400 Seiten reinstes Lesevergnügen bietet. Da ist garantiert für jeden Geschmack etwas dabei – Gänsehaut garantiert!

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