Archiv der Kategorie: Musik

Joel McIver – Justice For All – Die Wahrheit über Metallica

Über den Status, den METALLICA im Laufe ihrer nunmehr fast zweieinhalb Dekaden andauernden Geschichte im Metal-Business eingenommen haben, braucht man wohl kaum noch Worte zu verlieren. Nach wie vor ist das dänisch-amerikanische Quartett eines der wichtigsten, kontroversesten und meist diskutierten Themen in der gesamten Szene, was nicht nur an musikalischen Neuorientierungen und damit unzufrieden erscheinenden Fans festzumachen ist, sondern vor allem an der Art und Weise, wie die Mitglieder von METALLICA auf all diese Reaktionen und streckenweise auch Anfeindungen seitens der Presse offenbar ziemlich emotionslos reagieren.

Joel McIver – Justice For All – Die Wahrheit über Metallica weiterlesen

Reto Wehrli – Verteufelter Heavy Metal (Erweiterte Neuausgabe)

Schwer & laut – und älter als gedacht

„Verteufelter Heavy Metal“ gliedert sich in zwei Blöcke. Im Kapitel „Grundlagen und Geschichte“ bereitet Verfasser Wehrli die Bühne für seine Darstellung vor, indem er die allgemeine Entwicklung von Ross (= Musik) und Reiter (= Musikzensur) in ihrer (zwangs-) symbiotischen Beziehung seit dem II. Weltkrieg schildert.

Dann rekonstruiert Wehrli in „Ein Phoenix aus der Asche der Jugendkultur: Heavy Metal“ die Geschichte eines Musikgenres, das als solches erst wenige Jahrzehnte alt ist, wobei die Wurzeln weiter zurückreichen, als sich Fan & Feind es sich wahrscheinlich vorstellen können. „‚Stampfen, Toben, Fäusteschwingen‘ – Eskapismus als Lebensrealität“ geht dem Heavy Metal psychologisch auf den Grund und präpariert zwei grundsätzliche Richtungen heraus. Da ist die „dionysische“, deren Anhänger sich dem Rausch der Musik hingeben und dabei auf und vor der Bühne nicht selten völlig vorausgaben. Konträr dazu stehen jene Schwermetaller, die ‚ihre‘ Musik als (auch gelebten) Ausdruck des körperlichen und moralischen Zerfalls der Gesellschaft und des Individuums werten und sich entsprechend düster, manchmal geradezu ‚satanisch‘ geben. Reto Wehrli – Verteufelter Heavy Metal (Erweiterte Neuausgabe) weiterlesen

Mader, Matthias – Over the Top – Das Motörhead-Fanbuch

Neben dem primär auf die Person Lemmy Kilmister ausgerichteten [„Lemmy – White Line Fever“ 954 hat der Verlag |Iron Pages| ein Buch herausgebracht, welches sich mit dem Gesamtphänomen MOTÖRHEAD beschäftigt: „Over the Top – Das Motörhead-Fanbuch“ von Matthias Mader. Mader hat mit „Burning Ambition“ bereits ein „Fanbuch“ zu IRON MAIDEN im selben Verlag herausgebracht und möchte dieses Prinzip nun mit „Over the Top“ fortsetzen.

Zum Inhalt: Mader beginnt nach einem zweiseitigen „ultimativen Quiz für alle MOTÖRHEAD-Kenner“ sofort mit einer einleitenden Rechtfertigung seines Werkes. Zum einen sei der deutsche Markt nicht wirklich offen für MOTÖRHEAD-Biographien aus dem Ausland, und andere deutschsprachige Publikationen zu diesem Bereich seien bis dato nicht „zusammenhängend“ gewesen. Zum anderen sei gerade das Buch „White Line Fever“ ein Produkt der „The Osbournes“-Ära und somit nicht „seriös“. Diese Kritik mutet ein wenig seltsam an, da die deutsche Edition von „White Line Fever“ im selben Verlag wie „Over the Top“ erschienen ist, auf S. 41 ganzseitig beworben wird und obendrein von Lemmy persönlich autorisiert wurde. Man könnte meinen, Mader würde seine Fachkompetenz, was MOTÖRHEAD betrifft, über die von Lemmy selbst stellen. Starker Tobak, zumal Mader eine solche Selbstbeweihräucherung eigentlich gar nicht nötig hätte – „Over the Top“ weiß durchaus aus sich selbst heraus zu überzeugen.

Neben dem Prolog gliedert sich das Buch in sechs weitere Teile. „Teil 2: Die Bandhistory“ beleuchtet zunächst den Werdegang von MOTÖRHEAD, Lemmys Interesse am III. Reich, das freundschaftliche Verhältnis zwischen MOTÖRHEAD und den RAMONES sowie Lemmys Berührungen mit der Filmbranche. Maders Wiedergabe der Bandgeschichte bietet im Grunde das, was bei „White Line Fever“ gefehlt hat: Fakten, Fakten, Fakten in einer chronologisch sinnvollen Reihenfolge. Einige Zitate werden dabei (wie im folgenden Textverlauf auch) noch einmal gesondert in grauen Kästchen hervorgehoben. Dieses Verfahren kenne ich sonst nur aus Zeitschriftenartikeln. Wirklich stören tut es den Textfluss m.E. nicht, aber es trivialisiert das Ganze ein wenig. „Lemmys Faszination mit dem [sic!] II. Weltkrieg“ ist eine erfreulich unaufgeregte Darstellung der Fakten. Wer nach der Lektüre immer noch meint, Lemmy eine rechtsradikale Gesinnung attestieren zu müssen, disqualifiziert sich im Grunde nur selbst. Das Verhältnis zwischen MOTÖRHEAD und den RAMONES wird kurz, aber anschaulich beschrieben. Ich habe MOTÖRHEAD selbst live gesehen und kann daher aus eigener Erfahrung bestätigen, dass der Tod von Joey und Dee Dee (Johnny lebte damals noch) für Lemmy ein großer persönlicher Verlust ist. Schließlich folgt eine Reihe von Kurzbesprechungen sämtlicher Filme, in welchen Lemmy mitgespielt hat. Diese Besprechungen entsprechen natürlich Maders persönlichen Präferenzen. Über Geschmack lässt sich ja bekanntlich nicht streiten, aber weshalb „Airheads“ im Vergleich zu „Eat the Rich“ „platt“ und „langweilig“ sein soll, entzieht sich völlig meinem Verständnis.

In Kapitel Nr. 3 beschreibt Mader en detail, wer wann wo und wie bei MOTÖRHEAD musikalisch mitgewirkt hat, und was für andere Projekte diese Personen verfolgt haben. Inhaltlich gibt es hier nichts zu meckern. Die Frage ist nur, ob und inwiefern man sich für diese Detailfülle begeistern kann.

Kapitel Nr. 4 besteht aus vier O-Ton-Interviews. Zunächst kommen wir in den Genuss eines dreiseitigen Interviews aus dem Jahre 1998, welches Mader mit Lemmy himself geführt hat. Das Hauptthema ist wieder einmal „deutsche Geschichte“. Danach folgt ein längeres Interview mit Fast Eddie Clarke aus dem Jahre 2003, wiederum von Mader geführt. Dieses Interview ist insbesondere deswegen interessant, weil die Gleichung MOTÖRHEAD = Lemmy Kilmister eben nicht aufgeht. Nachdem die Perspektive der Band dergestalt zum Tragen gekommen ist, folgt wieder ein Interview aus dem Jahre 2003, diesmal mit Jörn Rüter von Remedy Records bzw. TORMENT. Rüter ist sowohl Fan als auch Experte und steht mit MOTÖRHEAD in persönlichem Kontakt. Auch hier erwartet den Leser wieder eine Menge Insiderwissen. Zuletzt folgt ein Interview mit dem Hamburger Underground-Filmemacher Peter Sempel. Sempel ist auf Musikfilme spezialisiert und hat mit „Lemmy“ ein filmisches Portrait des selbigen gedreht.

Es folgt mit Kapitel Nr. 5 eine ausführliche Katalogisierung der wichtigsten MOTÖRHEAD-Cover und Tribut-Alben. MOTÖRHEAD-Fans, die musikalisch aufgeschlossen sind, kommen hier sicherlich auf ihre Kosten.

Kapitel Nr. 6 wurde von einem gewissen Ralf Hartmann verfasst und beinhaltet eine Auflistung sämtlicher MOTÖRHEAD-Bootlegs (von denen es tatsächlich nicht allzu viele gibt). Für Sammler eine unentbehrliche Checkliste und wahre Fundgrube.

Das Buch schließt mit einem ausführlichen Quellenverzeichnis. Zwar hat Mader nicht wissenschaftlich (ohne Fußnoten) gearbeitet, aber anhand dieser Auflistung müssten sich die meisten seiner Aussagen überprüfen lassen (wenn es einem der Aufwand wert ist).

Mein Gesamteindruck: Der Schreibstil von Matthias Mader ist soweit okay und der Thematik angemessen, sofern man von seinem inflationären Gebrauch des Ausrufezeichens absieht. Bindung und Papierqualität sind aber – wie schon bei „White Line Fever“ – angesichts des Preises von 18,60 Euro eine absolute Frechheit. Wenn der Verlag |Iron Pages| „Over the Top“ schon als „Fanbuch“ etikettiert, dann sollte er m.E. auch eine entsprechende Preispolitik betreiben.

Letztendlich kommen aber die absoluten MOTÖRHEAD-Maniacs an dieser Ansammlung geballten Fachwissens nicht vorbei. Alle anderen sollten vielleicht mal einen Blick riskieren. „Over the Top“ ist dabei keinesfalls als Konkurrenz zur Quasi-Autobiographie „White Line Fever“ zu sehen, da die beiden Bücher völlig verschiedene Bereiche („Infotaimnent“ respektive „Rockstarmythos“) abdecken. Tatsächlich ergänzen sich die beiden Bücher gerade aufgrund ihrer unterschiedlichen Betrachtungsweisen des motörheadschen Paralleluniversums hervorragend. Wer also bereit ist, knapp 40 Euro zu investieren, erhält dafür ein MOTÖRHEAD-Kompendium, welches (inhaltlich) keine Wünsche offen lässt.

Reto Wehrli – Verteufelter Heavy Metal (Erweiterte Neuausgabe)

Reto Wehrli hat sich nunmehr mit der überarbeiteten Zweitausgabe seines Buches „Verteufelter Heavy Metal“  selbst übertroffen und sich ein eigenes Denkmal gesetzt. Über 700 Seiten voll akribischer Recherchenarbeit, die in ebenso sorgfältig formulierten Thesen zu Ende gedacht werden. Reto Wehrli legt definitiv kein dröges Sachbuch vor, sondern eine umfassende Aufbereitung des Zeitalters der harten Musik, beginnend im Blues und endend in den Brachialgenres der gegenwärtigen Zeitgeschichte.

_Der Autor:_

Reto Wehrli – Verteufelter Heavy Metal (Erweiterte Neuausgabe) weiterlesen

Burgwächter, Till – Schmerztöter

Ring frei zur Runde zwei!

Wer sich nach dem satirischen Rundumschlag [„Juhr Gait Tu Hewi Mettäl“ 26 langsam aber sicher wieder vom Ringboden erhebt, der sollte aufpassen, denn im November 2003 holte der einzig wahre Burgwächter des Metals zum Nachschlag aus: „Schmerztöter“ heißt das Werk, das nur mehr knapp halb so dick ist wie der Vorgänger, dafür aber eine ganze Ecke bissiger.

Der Charakter des „satirischen Nachschlagewerks“, den JGTHM noch hatte, ist bei Schmerztöter ebenfalls nicht mehr vorhanden. Vielmehr finden sich in diesem Buch verschiedene kurze Glossen, die sich alle auf den gemeinsamen Nenner „Metal“ bringen lassen. Lediglich in zwei Kapiteln unterrichtet Dozent Burgwächter noch mal Metal-Basiswissen:
„Bands für Feinschmecker“, in welchem von |Amon Amarth| bis |Wizard| einige weitere Bands zum Vollbad im Schokotrunk geladen werden. Spontan konnte bei mir hier z. B. das Gedicht zur Ägypten-Sound-Death-Combo NILE punkten – Feuer mit Feuer bekämpft, könnte man sagen.
Im Kapitel „Die vergessenen Stile“ geht Till unter anderem auf Comedy Metal („Witzischkeit kennt keine Grenzen“), Gothic Metal („Heul doch“), Mittelalter-Metal („Feuerspuck“) oder Stoner Rock („Eine weitere Erfindung der AJMOBAA, der Arbeitslosen Journalisten Mit Ohne Bock Auf Arbeit“) ein und verdeutlicht dabei auch dem Unkundigen auf gewohnt amüsant-sarkastische Weise, was ihn eigentlich hinter den oftmals kryptischen Genrebezeichnungen erwartet.

Vielen aus dem Herzen spricht unser Till wohl auch mit dem Kapitel „Bands, die nicht Metal sind“, in welchem er unter anderem glaubhaft erläutert, warum die HIM-Herzbuben, The Offspring, Die Happy und Konsorten eben kein Metal sind …

Etwas gewöhnungsbedürftig ist der Joey-DeMaio-„Erlebnisbericht“, genannt „Joey sei mit mir“. Für mich persönlich eins der schwächeren Kapitel dieses Buches, wenngleich auch zahlreiche detailverliebte Anspielungen im Text zu finden sind. Vermutlich bin ich einfach schon zu abgestumpft gegenüber allem, was mit Joey zu tun hat – oder noch nicht genug.

Auch „Ein Gott muss vor Gericht“ will erst im zweiten Durchgang richtig zünden, dann aber um so heftiger. Mit jedem neuen Lesen werden die Parallelen zu den realen Ereignissen deutlicher, lassen sich mehr und mehr Details finden, und nicht zuletzt die stete Aktualität des Textes ist ein weiteres, großes Plus.

Ansonsten profitiert Till ganz eindeutig davon, dass die thematischen Grenzen in „Schmerztöter“ weniger eng gesteckt sind als noch bei JGTHM, denn ein durchaus amüsanter Text wie „Metaller im Urlaub“ hätte dort wohl ebensowenig gepasst wie „Vier verwirrt oder ‚The Osbournes'“ und ich kann versichern: Es wäre eindeutig schade darum gewesen.

Eines der Highlights ist übrigens der Text „Heimreise“, in welchem sich dann doch das geschmissene Studium des Herrn Burgwächter zu Wort zu melden scheint, denn hier plant und beschreibt er eine schwermetallische Kaffee-/Pilgerfahrt quer durch unsere schöne Republik, entlang der wichtigsten Pilgerstätten, von Wacken bzw. Hamburg über München (ich wüßte gerne, wie viele Leser das HAMMER-mäßige Wortspiel in dem kurzen Absatz über München nicht entdecken) bis in „die Zone“. Besucht werden dabei unter anderem „Onkel Tom“ Angelripper, Peavy Wagner, die Schalke-Arena, die Karlsruher Studentenbude von |Nightwish|-Frontfrau Tarja und natürlich der |Subway to Sally|-Kräutergarten.

Die restlichen Themen kann sich jetzt jeder aus dem Inhaltsverzeichnis ziehen, ich habe eigentlich nur noch zu sagen: YES!
Inhaltlich gab es ja schon am Vorgänger nicht wirklich was auszusetzen, aber für mich persönlich ist „Schmerztöter“ die konsequente Weiterentwicklung und damit noch mal ein ganzes Stück lesenswerter. Sowohl sprachlich als auch thematisch präsentiert Till Burgwächter sich in seinem neuen Buch vielseitiger und abwechslungsreicher. Auch der wesentlichste Kritikpunkt, die Rechtschreibung, wurde recht ordentlich behoben, auch wenn im mir vorliegenden Exemplar noch immer der eine oder andere Fehler zu finden ist.

Ganz eindeutig: Wer den Metal mag und nichts dagegen hat, eventuell ein bisschen mit Dreck beworfen zu werden, der muss dieses Buch haben.
Till Burgwächter liefert mit „Schmerztöter“ etwas ab, das mit Sicherheit unterm Tannenbaum jedes Metallers liegen sollte.

_Inhaltsverzeichnis_

1. Vorwort
2. Bands für Feinschmecker
3. Die vergessenen Stile
4. Bands, die nicht Metal sind
5. Joey sei mit mir
6. Ein Gott muss vor Gericht
7. Die Reunion
8. Metaller im Urlaub
9. Heimreise
10. Der Kult um androgyne Bassisten
11. Wir nehmen einen Sampler fürs Auto auf
12. Fünf Platten, die die Welt verändern
13. Vier verwirrt oder The Osbournes
14. Drei Gaffer für ein „Hallo Julia“
15. Zwei wie Durchfall und Verstopfung
16. Eine Band wird gezeichnet: Die Semi-Professionellen
17. Test: Sind sie ein guter Hobbyjournalist
18. Unmetallisches

Fraser, Ian (Kilmister, Lemmy) / Garza, Janiss – Lemmy – White Line Fever

Ian Fraser Kilmister, besser bekannt als „Lemmy“, ist ein (wenn nicht sogar DAS) Urgestein der Rock- und Metalszene. Er wurde am Heiligabend 1945 in Burslem, England geboren und sammelte bereits in jungen Jahren musikalische Erfahrungen bei Bands wie den ROCKING VICARS, OPAL BUTTERFLY und HAWKWIND, bevor er sich ab 1975 als Frontmann von MOTÖRHEAD maßgeblich an der Erfindung des Metal beteiligte. Vielleicht kennt ja der eine oder andere unter euch noch den Gag aus dem Film „Airheads“:

„Wer würde beim Wrestling gewinnen: Lemmy oder Gott?“
„Lemmy?“
„Möööp!“
„Äh, Gott!“
„Falsch! Fangfrage. Lemmy IST Gott.“

Man muss nicht unbedingt ein Fan von MOTÖRHEAD sein, um das Lebenswerk von Lemmy Kilmister würdigen zu können. Ich persönlich habe ein paar Favoriten wie „Born To Raise Hell“, „Killed By Death“ oder das grandiosen Cover von „God Save The Queen“, aber für den entsprechenden Nostalgie-Faktor bin ich wahrscheinlich zu spät geboren worden, und bei den meisten MOTÖRHEAD-Songs fehlt mir einfach die Härte. Nichtsdestotrotz hat Lemmy Musikgeschichte geschrieben, wobei er stets bodenständig geblieben ist und trotz seines exzessiven Lebensstils so manchen Rockstar überlebt hat. Zudem haben sich MOTÖRHEAD niemals dazu verleiten lassen, sich auf ihren Lorbeeren auszuruhen (wie etwa GUNS N‘ ROSES) oder einfach nur aus finanziellen Gründen weiterzumachen (wie etwa die ROLLING STONES), sondern bis heute mit kontinuierlicher Frische ein neues Album nach dem anderen eingezimmert. Das ist an sich schon eine Leistung, die zumindest Respekt, wenn nicht sogar Hochachtung verdient. Dank Lemmy haben wir auch heute noch (z. B. auf dem diesjährigen „With Full Force“) die Möglichkeit, ein |lebendiges| Stück Rock-’n‘-Roll-Geschichte live zu erleben. Ich hoffe, dass uns dieses Privileg noch ein paar Jahre erhalten bleibt. Grund genug für mich, mir die kürzlich bei |Iron Pages| auf Deutsch erschienene Lemmy-Autobiographie „White Line Fever“ zu Gemüte zu führen.

Wie diese „Autobiographie“ zustande gekommen ist, hat Lemmy im Gespräch mit Götz Kühnemund (nachzulesen in der Ausgabe 6/04 des |RockHard|-Magazins) erläutert:

„Ja, ich habe alles auf Band gesprochen, und Janiss Garza hat die Tapes abgehört. Die abgetippte Version habe ich dann noch einmal Korrektur gelesen und stellenweise abgeändert.“

Will heißen: „White Line Fever“ wurde nicht von Lemmy selbst, sondern von seiner Ghostwriterin geschrieben. Das Buch orientiert sich an den freien Assoziationen, welche Lemmy auf Band gesprochen hat, und das merkt man der Struktur des Textes auch an. Streng genommen handelt es sich hier also mitnichten um eine echte Autobiographie, wie es der Untertitel auf dem Cover des Buches suggeriert. Das tut aber dem Lesevergnügen keinen Abbruch – im Gegenteil. Janiss Garzas Schreibe kommt frisch und unverbraucht rüber und außerdem versteht sie es, die Pointen richtig zu setzen. Sie scheint bei der Niederschrift des Textes mindestens genauso viel Spaß wie Lemmy gehabt zu haben. Da er sich selbst mit dem Endprodukt identifizieren kann, dürften die MOTÖRHEAD-Fans m. E. erst recht nichts dagegen einzuwenden haben.

Das Buch folgt keiner streng chronologischen Zeitlinie, obwohl es sich natürlich grob an Lemmys Werdegang orientiert. Lemmy springt in seiner Erzählung immer dann in der Zeit, wenn er den geschichtlichen Kontext einer bestimmten Situation verdeutlichen, oder – was wohl ausschlaggebender sein dürfte – eine amüsante Anekdote zum Besten geben will. Was wir dabei erfahren, ist Lemmys ganz persönliche Sicht der Dinge, aber nicht zwingend eine möglichst „objektive“ Darstellungsweise. Aber das wäre vermutlich auch bedeutend langweiliger als Lemmys erzählerisches Spiel mit Klischees und Übertreibungen. Wenn ein alter Seemann sein „Seemannsgarn“ spinnt, lebt die Geschichte schließlich auch von den Übertreibungen. (Wer eine möglichst realitätsnahe Wiedergabe der mit Lemmy verbundenen Ereignisse haben möchte, sei an dieser Stelle auf „Over the Top – Das Motörhead-Fanbuch“ von Matthias Mader (ebenfalls erschienen bei |Iron Pages|) verwiesen.) Abgesehen davon habe ich aber den Eindruck, dass in Lemmys Schilderungen immer zumindest ein Körnchen Wahrheit enthalten ist. Der Mann hat in seinen (zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung von „White Line Fever“) 57 Lebensjahren mehr skurrile Dinge erlebt als fünf „normale“ Menschen zusammen.

Wir erfahren etwas von Lemmys problematischer, aber dennoch lebensfrohen Kindheit, welche er in Armut und ohne leiblichen Vater durchleben muss. Da seine Mutter samt Stiefvater nach Wales zieht, ist das Schulkind Lemmy von Anfang an ein Exot. Schon früh entdeckt er, dass man mit einer Gitarre Mädchen beeindrucken kann. Als er zusätzlich registriert, dass dies noch besser funktioniert, wenn man sein Instrument auch noch beherrscht, findet er in der Musik schnell eine Alternative zum ungeliebten Schulbesuch. Der damalige Arbeitsmarkt bietet auch keine wirkliche Alternative, so dass er den Entschluss, Musiker zu werden, sicherlich nicht bereut hat. Andere britische Bands wie BLACK SABBATH oder VENOM standen ja vor einer ähnlichen Problematik, und auch jüngere Bands wie RAGING SPEEDHORN zeigen, dass sich daran bis heute nicht viel geändert hat.

Die Liebe zum Rock entdeckt Lemmy, als er zum ersten mal mit BILL HALEY, BUDDY HOLLY, ELVIS PRESLEY und den BEATLES in Berührung kommt. Mit 16 verlässt er Wales, und die 60er verbringt er im Umkreis verschiedener Musiker (u. a. als Roadie von JIMMY HENDRIX) in London. Eine anschaulichere Beschreibung der damaligen Szene wird wohl schwer zu finden sein. Ich habe lange überlegt, ob ich hier ein paar beispielhafte Anekdoten zu seinen Exzessen um Musik, Drogen, Sex und abgefahrenem Zeitgeschehen zitieren sollte, bin aber letztlich zu dem Schluß gekommen, dass es weitaus spaßiger ist, sich selbst von Lemmys Humor überraschen zu lassen.

Damit komme ich zu einem entscheidenden Punkt: Das Buch ist absolut selbsterklärend. Wer erfahren will, welche Schwerpunkte Lemmy aus seinem Werdegang als prägend empfunden hat, kann dies hier aus erster Hand tun. Wir erfahren, wie Lemmy nach und nach in verschiedenen Bands Erfahrungen sammelt, bis er mit MOTÖRHEAD sein eigenes Projekt aufzieht. Wir werden Zeugen, wie die junge Band langsam zu einer eigenen Identität findet, wie sie sich im Business durchschlägt, und wie die Besetzung immer wieder wechselt. Die einzige Konstante bleibt Lemmy, obwohl sich MOTÖRHEAD natürlich nicht auf Lemmy reduzieren lässt. Besonders interessant finde ich persönlich, wie anhand von Lemmys Entwicklung auch der langsame Übergang vom Hardrock in den 70ern zum Metal in den 80ern mitzuverfolgen ist. Später, als MOTÖRHEAD zu einer festen Instanz geworden ist, folgen junge Metalbands nach, die nun ihrerseits zu Lemmy als altem Heroen aufblicken. Wer von euch hat z. B. gewusst, das Lars Ulrich der Leiter des US-Fanclubs von MOTÖRHEAD war, bevor er selbst mit METALLICA durchstartete?

Interesant ist es natürlich auch zu entdecken, mit welchen sonstigen Persönlichkeiten aus Musik und Medien Lemmy noch verkehrt hat und verkehrt. Viele seiner engsten Freunde sind seit längerer Zeit verstorben, so dass seine vergnüglichen Schilderungen auch oftmals einen melancholischen Anstrich bekommen. Zugleich setzt er damit auch hier und da ein kleines Denkmal. Auch dies im Einzelnen zu entdecken, möchte ich dem geneigten Leser überlassen. Das Buch mag zwar ein paar Lücken aufweisen (Wer kann sich schon an alle Einzelheiten seines Lebens erinnern?) aber es ist insofern „vollständig“, als dass es einen überzeugenden Bogen vom Beginn in den 50ern bis zur Gegenwart spannt. Das Ganze wird mit ein paar schönen Fotos veredelt.

Als deutliches Manko empfinde ich allerdings die äußere Aufmachung des Buches: Der Einband besteht aus dünner Pappe, und das Papier der Seiten (ebenfalls dünn und glatt) hätte auch in einem Magazin Verwendung finden können. Für rund 20 Euro muss da m. E. einfach mehr drin sein. Die Die-hard-Fans sollten daher eine zusätzliche Einbindung in Erwägung ziehen, wenn sie auch ihren Enkeln noch Lemmys Eskapaden vermitteln wollen.

Abgesehen davon kann ich „White Line Fever“ aber ohne Einschränkung empfehlen. Es macht einfach Spaß, die Welt einmal aus Lemmys Perspektive zu betrachten. Eine Frage bleibt aber auch nach der Lektüre weiterhin offen: Wie zum Henker ist Lemmy an diese monströsen Warzen gekommen?!?

Roland Seim/Josef Spiegel (Hg.) – „Nur für Erwachsene“ – Rock- und Popmusik: zensiert, diskutiert, unterschlagen

Mit Hilfe von Schallplatten- und CD-Covern aus fünf Jahrzehnten spielen die Verfasser durch, was in der Rock- und Popmusik ‚erlaubt‘ ist oder zum Wohle des (nur scheinbar mündigen) Bürgers, der unschuldigen Jugend & des guten Geschmacks verboten gehört … – Die generellen Fakten, die für und wider eine Musikzensur sprechen, werden zwar knapp aber einleuchtend thematisiert und kommentiert. Die Aussagekraft der aufgelisteten Beispiele historischer Zensurereignisse leidet jedoch unter einer gewissen Zusammenhanglosigkeit – dieses Buch ist ein Ausstellungskatalog. Die Brisanz des Themas Zensur kann daher nur bedingt vermittelt werden.
Roland Seim/Josef Spiegel (Hg.) – „Nur für Erwachsene“ – Rock- und Popmusik: zensiert, diskutiert, unterschlagen weiterlesen

Kavanagh, Bruce – The Osbournes – Talking

Ozzy, Sharon, Jack, Kelly – mit anderen Worten: die Osbourne-Familie. Wie kaum eine andere Familie haben sie in den letzten Jahren die modernen Unterhaltungsmedien bevölkert und die Zuschauer in mehrere Gruppen gespalten. Die einen waren entsetzt davon, dass sich eine Legende wie Ozzy Osbourne dazu hinreißen lassen konnte, seinen Körper und seinen Geist für eine Serie herzugeben, in der er im Endeffekt nur als lachhafte Witzfigur dastehen konnte. Die anderen fanden die unendliche Raffgier seiner Frau Sharon unmöglich, in deren Augen sich selbst bei ihrer Krebsoperation nur die Dollarzeichen zu spiegeln schienen. Dann war da noch die Gruppe, denen die verzogenen Kinder der beiden Osbournes gehörig auf die Nerven gingen und die besonders der recht untalentierten Tochter Kelly jeden möglichen Stein beim Anlaufen ihrer Karriere als Sängerin in den Weg räumen wollten.
Ja, es gab und gibt viele Neider, viele Leute, für die „The Osbournes“ alles andere als eine Kultserie ist und eine Menge Menschen, die einfach nicht verstehen können, warum um diese Familie ein so großer Hype veranstaltet wird. Doch es gibt eben auch die dem entgegenstehende Fraktion, die vor Lachen auf dem Boden liegt, wenn der tolpatschige Ozzy über den Bildschirm huscht, wenn Jack und Kelly sich hitzige Wortgefechte liefern und wenn die Nachbarn der TV-Familie ein weiteres Mal mit fiesen Scherzen auf die Probe gestellt werden.

Egal, auf welcher der beiden Seiten man nun steht, das hier vorliegende Buch wird die jeweiligen Meinungen nur noch weiter verschärfen. „The Osbournes Talking“ ist nämlich eine Art Rückblick auf das Leben der Familienmitglieder, der sich ausschließlich aus vergangenen Statements zusammensetzt. So nehmen die vier Protagonisten Stellung zu allen erdenklichen Themen; Drogen, Sex, Lifestyle, Karriere, Krankheiten, Vorurteile usw. Dass hier manches Mal weit übers Ziel hinausgeschossen wird, war zu erwarten, und wenn Jack über seine Erfahrungen mit Drogen oder die beiden Geschwister über ihre Kindheit reden, dann weiß man als Leser, dass man nicht jedes Wort für bare Münze nehmen darf.

Langweilig ist das Buch daher aber sicherlich nicht, sondern eher sehr unterhaltsam, oft auch sehr komisch, besonders wenn man die Kommentare von Ozzy Osbourne, dem Füsten der Finsternis himself, liest, dessen verwirrtes Gedächtnis hier weitaus mehr Charme ausstrahlt als in der völlig konstruierten und auf Erfolg kalkulierten Serie.
Leider wiederholen sich die Kommentare nach einiger Zeit oder erscheinen nach einer Weile in abgeänderter Form wieder, so dass dem Buch zum Ende hin der Unterhaltungswert abhanden kommt. Zudem erscheinen manche Aussagen als äußerst widersprüchlich und widerlegen so manche vorher aufgestellte These, weshalb man an der Ernsthaftigkeit der Antworten schon mal zweifeln darf.

An der Aufmachung des Buches gibt es indes nichts zu mäkeln, und auch die Idee dahinter wurde recht gut umgesetzt, mit Bildern unterlegt und durch leichte Verständlichkeit auch dem jüngeren Publikum, Ozzys aktueller Zielgruppe, zugänglich gemacht. Nur frage ich mich rückblickend, ob die Osbournes tatsächlich die richtigen Adressanten für eine derartige Statement-Sammlung gewesen sind oder aber, ob ein wesentlich geringerer Umfang diesem Unterfangen dienlicher gewesen wäre, denn irgendwie hat man nach zwei Dritteln den Eindruck, dass alles Wichtige gesagt wurde und jede Zusatzinformation nicht mehr wichtig gewesen wäre.

Wenn man sich also nicht näher mit dem Phänomen „The Osbournes“ beschäftigt hat, ist dieses Buch auch nichts weiter als unnötiger Zeitvertreib, während Fans der Serie hier sicher ihren Spaßfaktor finden werden. Fazit: Gute Idee, gute Umsetzung, aber zum Ende hin etwas überstrapaziert.

Heilemann, Wolfgang „Bubi“ – AC/DC. Hardrock Live – Photos 1976-1980

AC/DC – ein Name, der dereinst von einem schnöden Staubsauger abgeguckt wurde (alternating current/direct current = Wechselstrom/Gleichstrom) – hat Geschichte geschrieben. Die Australier haben in den Siebzigern den harten Rock mit salonfähig gemacht und eine unnachahmliche Karriere gestartet.
Zu der Zeit, als AC/DC in Europa so richtig durchstarteten, war ein gewisser Wolfgang „Bubi“ Heilemann, seines Zeichens Starfotograph der |Bravo|, der Band sehr nah (in fotographischer Hinsicht!) und hielt zahlreiche Konzerte und Fotosessions im Bild fest. Dieser 208 Seiten schwere Bildband bietet viele tolle Schnappschüsse aus der Zeit zwischen „High Voltage“ und „Back In Black“. Es werden dabei sieben verschiedene Kapitel unterteilt (u. a. „AC/DC privat“ und eigene Kapitel für die Herren Angus Young, Bon Scott [R.I.P.] und dessen Nachfolger Brian Johnson) und mit einer kurzen Einleitung von „Bubi“ Heilemann und der ehemaligen TV-Moderatorin und Buchautorin Sabine Thomas versehen. Da „Bubi“ Heilemann aber auch ein sehr guter Freund der Band war und sicherlich einiges an „Insidern“ mitgekriegt hat, hätte ich mir in dieser Hinsicht noch ein paar umfangreichere Ausführungen erhofft. So wird jedes Kapitel lediglich von einer einseitigen „Einleitung“ eröffnet und diese beinhalten zum Großteil eh´ schon bekannte Fakten. Sehr schön finde ich allerdings, dass die gesamten Texte zweisprachig daherkommen, d. h. alles steht sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch in diesem Buch.

Kommen wir aber zum Wesentlichen dieses Bildbandes, und das sind nun mal die Fotos. Die großformatigen Aufnahmen, die sich zum Teil sogar über zwei Seiten erstrecken, geben einem tatsächlich ein wenig das Gefühl, dabei zu sein. Okay, beim Betrachten der Bilder ist es nicht zu verleugnen, dass AC/DC sicherlich nie zu den hübschesten Rock’n’Roll-Bands des Planeten gehörten, aber dafür ist ihr musikalisches Verdienst um so größer einzuschätzen. Für Fans der Australier dürften die zahlreichen Fotos, die in guter Bildqualität daherkommen, sicherlich eine Augenweide sein und gerade für die älteren Semester, die diese Zeit noch „live“ miterlebt haben, kommen bestimmt ein paar Erinnerungen wieder hoch. In dieser Hinsicht bietet das Buch eine gute Gelegenheit, mal ein wenig in Nostalgie zu schwelgen.

Besonders nett anzuschauen ist die erste Fotosession anno 1976, die am Tag nach dem ersten AC/DC-Konzert im legendären Londoner Club „Marquee“ vonstatten ging, und zwar direkt nach dem Aufstehen, was für Rock’n’Roller heißt: am frühen Abend, da die Nacht zuvor natürlich noch eine fette Party gefeiert werden musste. Austragungsort war das Londoner Nobelviertel Chelsea und zu sehen sind ein paar eher schüchtern wirkende Jungs, die fast schon zu „normal“ wirken. Nur Bon Scott entledigt sich während der Session alsbald seines T-Shirts und stellt sogar ein Tattoo zur Schau, das ein gutes Stück unter seinem Bauchnabel prangt. Dürfte wohl für einige irritierte Blicke unter den Alt- und Neureichen in der näheren Umgebung gesorgt haben …

Den weitaus größeren Teil des Buches nehmen aber alle Arten von Konzertfotos ein, wobei auch der eine oder andere Fan abgelichtet wurde. Und gerade diese Live-Schnappschüsse sind es, die die unglaubliche Power der energiegeladenen und schweißtreibenden Shows der Australier sehr gut im Bild festgehalten.

Insgesamt ist „AC/DC. Hardrock Live – Photos 1976-1980“ auf jeden Fall eine gelungene Sache und besonders für AC/DC-Fans ein echtes Schmankerl. Im Handel kostet der Bildband 49,99 Euro, ebenso viel darf man auch bei den einschlägigen Online-Buchhändlern hinlegen.

Philipp, Günter – Klavierspiel und Improvisation

Die erste Version dieses Buches, das damals noch den Namen „Klavier – Klavierspiel – Improvisation“ trug, wurde von Günter Philipp im Alter von 57 Jahren veröffentlicht.

Schon zu dieser Zeit konnte er mehr als nur einige Erfahrungen in der Musikwelt vorweisen: So studierte er an der Leipziger Hochschule sowohl Grafik und Buchkunst als auch Musik und übernahm auch bald an derselben Schule einen Lehrauftrag als Dozent. 1972 verließ er dann die Leipziger Uni und wandte sich der Dresdener Uni zu, an der er Dozent für Klavierspiel und Improvisation wurde. Aber natürlich lehrte er die Musik nicht nur, sondern machte auch selbst eine ganze Menge davon: So zum Beispiel über 450 Rundfunk- und Schallplattenproduktionen sowie zahlreiche Auftritte und Aufführungen. Auch die wissenschaftlichen Studien ließ er nicht zu kurz kommen und so hatte er eine ideale Grundlage, um sein Wissen und seine Erfahrungen niederschreiben zu können.

Leider hatte er dabei nicht die Freiheiten, die ein Autor heute genießt, denn er hielt sich ja zur Zeit der DDR im Osten auf. Deshalb musste seine erste Veröffentlichung einige Zensuren erleiden oder enthielt einige aufgezwungene Aussagen, wie zum Beispiel Zitate des Chefideologen Kurt Hager. Doch das wurde natürlich bei der ersten Gelegenheit nach der politischen Wende 1989 wieder umgeändert, so dass sich in der mir vorliegenden neuen Auflage vom Jahr 2003 keine Spuren der Kontrollen in der damaligen DDR mehr entdecken lassen.

Das Buch ist mit seinen an die 800 Seiten in Din-A4-Größe aber sicher kein Buch, das man einfach mal so durchlesen kann – sondern eher ein Nachschlagewerk, das sich hervorragend dafür eignet, wenn man seine Kenntnisse in den verschiedenen Bereichen, die mit Musik und vor allem mit dem Klavierspiel zu tun haben, auffrischen möchte. Vor allem das beigefügte ausführliche Stichwortverzeichnis hilft dem Leser sehr, sich in der Fülle der Informationen zurechtzufinden, wenn man Antwort auf bestimmte Fragen sucht. Und wenn man dann doch vorhat, diesen Brocken Papier längere Zeit am Stück in den Händen zu halten, sollte man für die zweieinhalb Kilo vielleicht noch ein paar Muckis mitbringen und keine schwächlichen Ärmchen haben wie bei meinereiner.

Auch für Leute, die einfach nur ein wenig Interesse an Musik haben und eine einfache Lektüre über ihr Hobby erwarten, ist dieses Buch mit Vorsicht zu genießen. Denn eigentlich wurde es hauptsächlich für Musikstudenten, Musiklehrer und Pianisten geschrieben, die sich für Interpretations- , Unterrichts- und Improvisationsfragen interessieren. Deshalb ist man auch in manchen Kapiteln ohne ein Fremdwörterlexikon verloren, wenn man kein Experte in diesem Gebiet ist. Vor allem das Kapitel über Interpretationen zu lesen ist nicht gerade entspannend, wenn man ständig über „agogische Freiheiten“, „Semantik“ oder „immanente konstruktive und expressive Tendenzen“ stolpert.
Thematiken, wie ‚Psychologische Grundlagen der Instrumentalpädagogik‘ oder ‚Grundbegriffe des Einzelunterrichts‘ sind da schon wesentlich einfacher zu lesen und auch für rein pädagogisch Interessierte sicherlich interessant.

Auch besteht das Buch nicht nur aus knochentrockenen wissenschaftlichen Abhandlungen, sondern enthält auch zur Auflockerung und zum besseren Verständnis immer wieder anschauliche Fallbeispiele. Natürlich muss man hier auch die erklärenden Zeichnungen und Bilder, sowie die über 400 Notenauszüge erwähnen, die Günter Philipp für dieses Buch ausgesucht hat.

Sogar ein recht ausführliches Kapitel über die Methodik des elementaren und auch des fortgeschrittenen Unterrichts ist in diesem Buch enthalten. Hier geht es zum Beispiel um die Unterrichtsgestaltung für Anfänger, bis hin zu Fingerübungen und Anweisungen über die richtige Handhaltung oder den Einsatz der Pedale.

Ja, sogar Hygiene spielt bei dem Musiker eine Rolle, sodass diese hier extra aufgeführt wird, obwohl hier nun eher Gesundheitserhaltung durch „Schlaf, Ernährung und aktive Erholung“ gemeint ist und weniger die Reinlichkeit des Musikers im Mittelpunkt steht. Aber auch von gesundheitlichen Beeinträchtigungen, zum Beispiel durch Stress, Lampenfieber oder andere Faktoren, ist die Rede. Dabei handelt Günter Philipp aber nicht nur die Aspekte solcher Einwirkungen ab, sondern versucht auch immer einige Tipps zur Problemlösung zu geben.

Da man ja aber doch nicht immer alleine musiziert, wurden auch Themen wie Spielen mit gesanglicher Begleitung oder im Ensemble in diesem Buch bedacht. Auch die anderen Kapitel, in denen es zum Beispiel um ‚Improvisation‘ (wie ja schon der Titel vermuten lässt) , um ‚Akustik‘, ‚Mikrofontechnik‘, oder das ‚Spiel im Studio‘ sowie um den Aufbau und die Eigenschaften des Klaviers geht, dürfen natürlich in so einem Werk nicht fehlen und finden sicher auch bei einigen Leser regen Anklang.

Fazit: Wie oben schon angesprochen, ist dieses Buch sicher für Leute – wie zum Beispiel Studenten, oder Lehrer – die sich in der gehobeneren und komplizierteren Musikwelt zurechtfinden, ein sehr gutes und ausführliches Nachschlagewerk, während ein Ottonormalmusikliebhaber wahrscheinlich so seine Probleme mit diesem Schinken haben könnte.

Michels, Ulrich – dtv-Atlas Musik Band 1

_Band 1: Systematischer Teil / Musikgeschichte von den Anfängen bis zur Renaissance_

Aus der Reihe der beliebten dtv-Atlanten zählt das zweibändige Werk „Musik“ nun bereits seit 25 Jahren zu den festen Größen der musiktheoretischen Veröffentlichungen (Band 1 seit 1977, Band 2 seit 1985; in 14 Sprachen erschienen). Auf insgesamt 600 klein gedruckten Seiten in vom dtv gewohnter ausgezeichneter Papier- und Druckqualität wird ein zwar komprimierter und knapp gefasster, aber gerade dadurch sehr umfassender Rundumschlag mit Überblicken zum systematischen / musiktheoretischen und musikgeschichtlichen Wissen geboten. Jede Themenseite gliedert sich in den eigentlichen, stets gut lesbar strukturierten Sachtext zur rechten und durchgehend mehrfarbige begleitende und gut veranschaulichende Grafiken – mit viel Sorgfalt erstellt und von hohem didaktischen Nutzwert – zur linken Buchseite.

Zwar können die beiden Bände dank eines sehr detaillierten Personen- und Sachregisters als Nachschlagewerk verwendet werden, lassen sich vom eigentlichen Aufbau her aber besonders gut durchgehend lesen, da sie nicht lexikalisch, sondern thematisch aufbauend gegliedert und nicht in Stichpunkten, sondern als zusammenhängende Texte abgefasst wurden. Der systematische Teil im ersten Band umfasst dabei alles Grundsätzliche zur Musik, angefangen bei Akustik, Gehör- und Stimmphysiologie, Hörpsychologie (also physikalischen, biologischen und psychologischen Voraussetzungen) über Instrumentenkunde (die von simplen Schlaginstrumenten alter Zeit bis hin zu elektronischen Klangerzeugern der Neuzeit reicht) und die besonders wesentliche Musiklehre bis hin zu einer Darstellung klassischer Gattungen und Formen der Musik. Aufgrund der Komprimierung ist dieser nicht immer einfache Teil natürlich vor allem für einen Überblick oder zur Auffrischung und Vertiefung durch den musikalisch bereits Vorgebildeten geeignet und kann den interessierten Laien nicht so gut in die Thematik einführen wie ein ausführlicherer Text zur Sache.
Der musikhistorische Teil beginnt in Band 1 bereits mit der Altsteinzeit, geht dann über die antiken Hochkulturen und das Mittelalter zur Renaissance. In Band 2 wird dies dann von Barock bis zur heutigen Zeit noch ausführlicher dargelegt, da natürlich mehr Informationen zur Verfügung stehen. Dabei wird die Musik immer im gesellschaftlichen Kontext analysiert und Einflüsse von Weltanschauung, Spiritualität, Riten, Kultur übergreifender gegenseitiger ‚Befruchtung’ betrachtet. Man beschränkt sich hierbei allerdings nicht auf eine rein geschichtliche Darstellung, sondern bleibt parallel dazu in einem systematischen Kontext, der die besonderen Strukturen, Instrumente, Gattungen der Musik innerhalb der jeweiligen Entwicklungsepoche beachtet. Durch diese dialektische Herangehensweise, zusammen mit der Möglichkeit, Details im vorhergehenden systematischen Teil nachzuschlagen, lässt sich der musikhistorische Part sehr gut lesen und hat einiges Interessantes zu bieten.

Ein kritischer Punkt sei jedoch bei aller Güte der Arbeit erwähnt: Inzwischen wäre es an der Zeit, die Reihe um einen dritten Band zu erweitern, der sich eingehender mit der Moderne befasst, zumindest mit Jazz, Blues und Rock und ihren Variationen und Entwicklungen. Zwar werden beispielsweise dem Jazz und der elektronischen Musik Raum zugestanden, aber die Ausführlichkeit lässt trotz des knappen Grundaufbaus noch zu wünschen übrig, und modernere Entwicklungen (es sei hier nur der neoklassische und progressive Rockbereich erwähnt) fehlen gänzlich, obwohl das 20. Jahrhundert sicherlich ausreichend Ansatzpunkte für theoretische und historische Betrachtungen bietet und das Interesse seitens der Leserschaft an einer solchen Erweiterung gegeben sein dürfte.

Ob man nun gezielt bestimmte Themen nachlesen möchte, die Bände als Nachschlagewerk Verwendung finden oder man sich die Muße nimmt, das gesamte Buch aus Interessenneigung und Gründen der Weiterbildung in Gänze zu lesen – die beiden dtv-Atlanten zur Musik kann ich jedem fachlich musikalisch Interessierten nur zur Aufnahme in die eigenen Buchbestände empfehlen.

Ulrich Michels – dtv-Atlas Musik (Band 2)

Band 2: Musikgeschichte vom Barock bis zur Gegenwart

Aus Gründen der Zweckmäßigkeit ist nachfolgend die gleiche Textbeschreibung zu finden wie bereits zu Band 1.

Aus der Reihe der beliebten dtv-Atlanten zählt das zweibändige Werk „Musik“ nun bereits seit 25 Jahren zu den festen Größen der musiktheoretischen Veröffentlichungen (Band 1 seit 1977, Band 2 seit 1985; in 14 Sprachen erschienen). Auf insgesamt 600 klein gedruckten Seiten in vom dtv gewohnter ausgezeichneter Papier- und Druckqualität wird ein zwar komprimierter und knapp gefasster, aber gerade dadurch sehr umfassender Rundumschlag mit Überblicken zum systematischen / musiktheoretischen und musikgeschichtlichen Wissen geboten. Jede Themenseite gliedert sich in den eigentlichen, stets gut lesbar strukturierten Sachtext zur rechten und durchgehend mehrfarbige begleitende und gut veranschaulichende Grafiken – mit viel Sorgfalt erstellt und von hohem didaktischen Nutzwert – zur linken Buchseite.

Ulrich Michels – dtv-Atlas Musik (Band 2) weiterlesen