Archiv der Kategorie: Rezensionen

Herbert, Brian / Anderson, Kevin J. – Schlacht von Corrin, Die (Der Wüstenplanet: Die Legende 3)

[Butlers Djihad 827 (Der Wüstenplanet: Die Legende 1)
[Der Kreuzzug 853 (Der Wüstenplanet: Die Legende 2)
[Das Haus Atreides 1621 (Der Wüstenplanet: Die frühen Chroniken 1)
[Das Haus Harkonnen 1622 (Der Wüstenplanet: Die frühen Chroniken 2)
[Das Haus Corrino 1623 (Der Wüstenplanet: Die frühen Chroniken 3)
[Der Wüstenplanet 1662 (Dune 1)
[Der Herr des Wüstenplaneten 1637 (Dune 2)
[Die Kinder des Wüstenplaneten 1634 (Dune 3)

Genau ein Jahr ist es jetzt her, dass ich mit der Vorgeschichte zum Wüstenplaneten Dune, sprich mit der „Legende des Wüstenplaneten“ begonnen habe, und auch wenn die Trilogie bis dato bei weitem nicht so stark war wie die Bücher, die in der Zeit danach spielen, so hatten sie immerhin ihren Reiz und vor allem auch ihre Daseinsberechtigung. Dies kann man bezüglich des letzten Bandes „Die Schlacht von Corrin“ allerdings nicht mehr behaupten. Die beiden Autoren Brian Herbert und Kevin J. Anderson ziehen die Geschichte unnötig in die Länge und führen das Buch fernab jeglicher Spannung auf das eh schon vorherbestimmte Ende zu. Was ich nach dem zweiten Band „Der Kreuzzug“ schon befürchtet hatte, bewahrheitet sich nun endgültig: Man hätte „Die Legende des Wüstenplaneten“ ebenso in zwei Bänden abhandeln können und so nicht gewaltig am guten Ruf der Serie gekratzt!

_Story_

Der einst von Serena Butler eingeleitete Djihad ist auch Jahrzehnte später noch immer in vollem Gange. Denkmaschinen und Menschen liefern sich an den verschiedensten Schauplätzen nach wie vor erbitterte Kämpfe, und von Zeit zu Zeit ist die eine oder andere Partei sich fast siegessicher, muss dann aber wieder feststellen, dass sie die endgültige Vernichtung des Gegners doch nicht realisieren kann.

An der Spitze der menschlichen Rebellen befindet sich als einzig verbliebener Anführer noch Vorian Atreides, der aufgrund einer lebensverlängernden Maßnahme, die ihm einst sein mechanischer Vater zugefügt hat, seine einstigen Verbündeten überlebt hat. Mit seinen Faltraumschiffen fliegt er auch weiterhin gegen die von der künstlichen Intelligenz Omnius besetzten Planeten und sprengt die dort vorherrschende Roboterübermacht in die Luft. Doch auch die Maschinen sind nicht untätig und versklaven ganze Völker und nehmen ständig wieder neue Planeten ein. Omnius ist sich seiner Sache immer sicherer und beschließt letztendlich, die Heimatwelt der Menschen, Salusa Secundus, anzugreifen. Mit einer schier übermächtigen Riesenflotte attackiert er die Menschenwelt.

Und so geht der Kampf hin und her, bis Vorian Atreides schließlich bis auf einen Omnius sämtliche künstlichen Intelligenzen ausgerotte hat. Doch der letzte Omnius, der sich auf Corrin befindet, lässt sich nicht so einfach vernichten, und so kommt es zu einer alles entscheidenden Schlacht auf dem Planeten Corrin …

Man mag es der kurzen Beschreibung schon entnehmen können: Besonders viel Handlung gibt es in „Die Schlacht von Corrin“ nicht mehr. Die erste Hälfte des Buches zieht sich dabei wie Käse: Es ist ja ohnehin schon klar, was passieren wird, und dennoch steigern sich die beiden Autoren in ein belangloses Hin und Her hinein, bei dem einem die Details mehr und mehr auf die Nerven gehen. Es werden ziemlich lange Überlegungen angestellt, wie genau man nun die künstliche Intelligenz auslöschen kann, und die Sprache kommt dabei immer wieder auf Atomwaffen. Währenddessen geht der viel zitierte Kampf natürlich immer weiter, und irgendwie wünscht man sich relativ bald, dass Herbert und Anderson endlich mal die Kurve bekommen und die Geschichte zum Abschluss bringen. Der Haken für den Leser: Wenn man schon 1500 Seiten gelesen hat, will man natürlich auch wissen, wie es jetzt zu Ende geht, und so schleppt man sich mühselig durch den letzten Band, durch zahllose Diskussionen und Kämpfe, die das Buch nicht mehr voranbringen können, und schließlich durch eine Endlösung, die irgendwie lächerlich wirkt, weil sie in dieser Form schon längst hätte in die Tat umgesetzt werden können. Aber nein, da kann man ja auch drei Bücher schreiben und den Leser am Ende mal so richtig schön enttäuschen … Man verzeihe mir den Sarkasmus, aber ich hatte sehr große Erwartungen an diese Ausgabe und habe kopfschüttelnd hinnehmen müssen, wie die beiden Autoren die Konsequenzen des Butler’schen Djihad ad absurdum führen.

Die teils sehr uninspirierte, fast schon lustlose Art und Weise, mit der die Geschichte erzählt wird, setzt dem Ganzen dann im negativen Sinne die Krone auf. Zu neuen und eigentlich wichtigen Personen wie zum Beispiel Abulurd Harkkonen oder Gilbertus, dem Schützling des eigenwilligen Roboters Erasmus, findet man so ebenfalls keinen Zugang mehr, und weil fast alle Hauptakteure dieses Buches gänzlich neu sind, ist die Auswirkung all dessen schon verheerend.

Wenigstens die Überleitung zur späteren Geschichte hat man noch ganz ordentlich hinbekommen, aber hier gab es ja auch feste Vorgaben, an die sich Brian Herbert und Kevin J. Anderson halten mussten. Abgesehen hiervon ist „Die Schlacht von Corrin“ daher auch eine riesige Enttäuschung, die dem sonst so guten Ruf der „Wüstenplanet“-Reihe eher schadet als nützt und die Diskussionen, ob dieser Zyklus überhaupt hätte entstehen sollen, wieder von neuem entfachen wird. Ich persönlich schließe mich jedenfalls mittlerweile dem Gedanken an, dass man sich diese Trilogie – zumindest mit so einem unterdurchschnittlichen Abschluss – definitiv hätte schenken können!

Heitz, Markus – dritte Expedition, Die

„Die Dritte Expedition“ von Markus Heitz ist ein Abenteuer-Spielbuch im Stile der erfolgreichen englischen Solospielbücher der 80er Jahre. Es spielt im „Geborgenen Land“, wie die erfolgreichen Romane „Die Zwerge“, „Krieg der Zwerge“ und „Die Rache der Zwerge“.

_Inhalt_

„Die Dritte Expedition“ bewegt sich chronologisch im ersten Band der Zwergen-Saga, nämlich an der Stelle, wo die zwei Gruppen von Tungdil und Gandogar aufbrechen, um die Axt Feuerklinge zu erschaffen. Da man selbstverständlich einen Zwerg spielt, setzt man alle Hebel in Bewegung, um einen der beiden Kontrahenten zu begleiten. Doch zunächst ohne Chance, denn entweder ist man nicht stark genug, nicht trinkfest genug oder schlicht und einfach nicht gut genug (zumindest war das bei meinen bisherigen Versuchen so).

Doch da die Zwerge bekanntermaßen überaus beharrlich und dickköpfig sind, lässt man sich von solchen Widrigkeiten natürlich nicht abschrecken und startet seine eigene Expedition, und zwar, wen wird es wundern, „Die dritte Expedition“, um die Zwergenreiche vor dem bösen Magier Nod`onn zu retten.

_Wie spielt man ein Solospielbuch? _

Erfahrene Rollenspieler, die die so genannten Soloabenteuer schon aus Publikationen des „CTHULHU-Rollenspiels“ oder von „Das Schwarze Auge“ kennen, können diesen Abschnitt getrost überspringen. Doch da „Die dritte Expedition“, laut Markus Heitz, auch dazu gedacht ist, Spieler an das Rollenspiel heranzuführen (siehe unser Interview), die noch gänzlich unerfahren sind, halte ich es hier für wichtig, zu erklären, worum es sich bei einem Solospielbuch eigentlich handelt und wie man damit umgeht.

Neben den relativ einfachen Regeln ist „Die dritte Expedition“ in 408 nummerierte Abschnitte unterteilt. Mit der Eins wird selbstverständlich angefangen.

Am Ende eines jeden Abschnittes stehen dann Verweise auf einen oder meistens mehrere andere Abschnitte. So kann man beispielsweise von Abschnitt Nummer 1 entweder weiter zur Nummer 114 (wenn man Gandogar begleiten will) oder zur 63 (wenn man Tungdil begleiten will). Die Geschichte nimmt also mit jeder getroffenen Entscheidung eine andere Wendung. Allerdings hat man nicht immer die freie Wahl, denn ab und an werden auch Würfelwürfe gefordert. Wer keinen sechsseitigen Würfel besitzt, kann auch sechs Münzen werfen oder das Würfelblatt auf der letzten Seite benutzen. Bei diesen Würfeln entscheidet dann der Ausgang des Wurfes, wie es weitergeht.

Ob man das Abenteuer bestehen wird oder nicht, hängt von den getroffenen Entscheidungen ab sowie von etwas Würfelglück. Wer aber denkt, er könne schummeln, der sei gewarnt, denn es sind einige Schummlerfallen eingebaut!

_Mein Eindruck_

Eigentlich bin ich kein Freund von Soloabenteuern, da sie meistens nur dazu dienen, einen Charakter „aufzupowern“, sprich ihn auf eine höhere Stufe zu bringen und einen Haufen Heiltränke und magische Artefakte zu bekommen. Bei „Die dritte Expedition“ ist das anders, da dieses Solospielbuch ja nicht in ein richtiges Rollenspiel eingebettet ist, sondern für sich alleine steht. Auch was den Umfang betrifft, überragt dieses Spiel alle, die mir bisher in die Hände gefallen sind. Flacht meine Aufmerksamkeitspanne bei normalen Soloabenteuern schnell ab, ist das bei „Die dritte Expedition“ nicht der Fall. Zum einen, weil der Schreibstil des Autors sehr unterhaltsam zu lesen ist und es für Fans der Romane einfach toll ist, in dieser Welt zu spielen, und zum anderen, weil die über 400 Abschnitte ein großes Maß an Abwechslung bereithalten. Ich habe das Spiel jetzt schon dreimal durchgespielt und muss sagen, ich habe immer wieder etwas Neues entdeckt, mich nicht einmal gelangweilt und dabei drei völlig unterschiedliche Endergebnisse erzielt. Daher hat „Die dritte Expedition“ eine für solche Publikationen völlig untypische „Langzeitmotivation“, die durch die noch zu erwartenden weiteren Solospielbücher noch erhöht wird. Da sich dieses Solospielbuch in mehreren Komponenten deutlich positiv von der Masse abhebt, kann man es nur als sehr gelungen bezeichnen.

_Ein kleiner Fehlerteufel_

Beim Durchlesen der Regeln für „Die dritte Expedition“ ist mir aufgefallen, dass bei der normalen Regelerklärung der Tragkraft diese mit Konstitution (Ko) minus 3 angegeben ist. Bei der Regelzusammenfassung allerdings mit Ko/2, was bei einer Mindestkonstitution von fünfzehn ein gehöriger Unterschied ist.

Auf Nachfrage beim Autor wurde mir gesagt, dass die Regel mit Ko-3 die richtige ist. Doch der gewitzte Spieler kann diesen Fehler positiv für sich nutzen. Indem er die nicht reguläre Vorgabe benutzt, kann der Spieler die Schwierigkeit beträchtlich erhöhen und sich so das Spiel interessanter machen. Hier hat der |Pegasus|-Verlag also unabsichtlich zwei Schwierigkeitsstufen eingebaut.

_Fazit:_ „Die Dritte Expedition“ ist ein sehr gelungenes Solospielbuch mit „Langzeitmotivation“, das Zwergen-Fans hilft, das „Geborgene Land“ noch plastischer zu erleben.

|Mehr von Markus Heitz bei Buchwurm.info:|

[Interview mit Markus Heitz]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=56
[Die Rache der Zwerge 1958
[Schatten über Ulldart 381 (Die Dunkle Zeit 1)
[Trügerischer Friede 1732 (Ulldart – Zeit des Neuen 1)
[05:58 1056 (Shadowrun)

Murphy, Pat – Geisterseherin, Die

Beinahe 20 Jahre ist es her, dass dieser preisgekrönte Roman von Pat Murphy unter dem Titel „The Falling Woman“ veröffentlicht wurde, und genau so lange hat es dann auch gedauert, bis der Titel, der einst den |Nebula Award| erhielt, den Weg in die deutschen Buchhandlungen gefunden hat. Wobei hiermit nicht die klassische Buchhandlung gemeint ist. „Die Geisterseherin“, so der deutsche Titel, bildet nämlich den Auftakt der 2004 gestarteten |Magic Edition| des |BLITZ|-Verlags und ist in der limitierten Auflage von gerade mal 999 Exemplaren nur über die [Homepage]http://www.BLITZ-Verlag.de des jungen Verlagshauses sowie einige ausgewählte Händler wie |amazon.de| erhältlich.

_Story_

Elizabeth Butler arbeitet schon seit mehr als einer Dekade in Mexiko als Archäologin und hat dort inmitten ihres jungen Teams mittlerweile auch eine neue Familie gefunden. Doch nicht nur das Graben nach alten Schätzen erfüllt sie; auch als Autorin versucht sich Liz und bezieht dabei ihr Wissen über das Volk der Maya und natürlich die fundierten Kenntnisse über ihre Arbeit mit ein. Ihre Vergangenheit hat Mrs. Butler gänzlich hinter sich gelassen. Mehr als 15 Jahre ist es nun her, dass sie nach einem Selbstmordversuch in die Psychatrie eingewiesen wurde und sich schließlich von ihrem Mann trennte. Die unglückliche Ehe mit dem langweiligen Robert kümmert sie nicht mehr – bis eines Tages ihre Tochter Diane auftaucht und sie wieder mit den Dämonen der Vergangenheit konfrontiert.

Diane Butler ist völlig am Boden zerstört: Ihr geliebter Vater ist vor zwei Wochen gestorben, und auch die Beziehung zu ihrem verheirateten Freund, der gleichzeitig auch ihr Chef war, ist kürzlich in die Brüche gegangen. Bei ihrer Mutter in Mexiko hofft sie, den inneren Frieden zu finden, weiß aber nicht so recht, was sie dabei erwartet. Bei ihrer Ankunft wird sie dementsprechend auch skeptisch beäugt. Elizabeth scheint es gar nicht recht zu sein, dass ihre Tochter plötzlich auf der Matte steht, doch widerwillig gewährt sie ihr für eine unbestimmte Zeit Unterschlupf. Diane integriert sich fortan immer mehr in das Archäologenteam ihrer Mutter und freundet sich auch ziemlich schnell mit der jungen Barbara an. Trotzdem ist sie unschlüssig, was ihre Zukunft anbelangt. Sie ist sich nicht im klaren darüber, was sie wirklich in Mexiko will bzw. was sie sich von ihrem Besuch bei Elizabeth erhofft. Bei Barbara kann sie dann schließlich ihre Sorgen loswerden und über das gestörte Verhältnis zu ihrer vor 15 Jahren verschwundenen Mutter reden, doch dieses Verhältnis wird dadurch dennoch nicht besser.

Elizabeth wird derweil von einer geisterhaften Erscheinung heimgesucht. Anfangs nur ein unklarer Schatten, sieht sie immer deutlicher die Umrisse der alten Mondgöttin Zuhuy-Kak. Diese hat damals zur Rettung ihres Volkes die eigene Tochter geopfert, um so die angreifenden Tolteken zu vertreiben, aber dennoch unterlag ihr Volk einst den übermächtigen Angreifern. Weil die Tolteken sich vor der Mondgöttin fürchteten, opferten sie Zuhuy-Kak im heiligen Cenote-Brunnen von Chichén Itzá. Doch die Dame überlebte den Sturz und wurde so zur Götterbotin, die sich fortan der Rache an den Tolteken widmete. Über ihr eigenes Opfer ist sie allerdings seitdem nie mehr hinweggekommen; zu tief sitzt der Schmerz über die verlorene Tochter. Deshalb sucht sie plötzlich auch den Kontakt zu Elizabeth und versucht diese dazu zu bewegen, ihre eigene Tochter als Opfer zu bringen, damit Zuhuy-Kaks Macht wieder erneuert werden kann …

_Meine Meinung_

Nach dem Anblick des Covers bzw. der Verinnerlichung des Titels erwartete ich von „Die Geisterseherin“ eine Fantasy-Horror-Story im Stile von Stephen King, nur eben etwas kürzer als die langen Epen der Horror-Legende. Doch der erste Teil der |Magic Edition| hat mit klassischem Horror, geschweige denn Fantasy nur wenig gemeinsam. Pat Murphy stellt vielmehr die ungewöhnliche Beziehung zwischen Mutter und Tochter in den Vordergrund und beweist so einmal mehr ihre Vorliebe für starke, weibliche Charaktere. Wer nun aber einen billigen Groschenroman berfürchtet, kann sofort beruhigt werden, denn die Autorin zeigt enorm viel Tiefgang bei der Beschreibung der beiden Butler-Damen, und weil sie die Geschichte im ständigen Wechsel aus der individuellen Perspektive der Hauptakteure schreibt, kommen so die beiden völlig unterschiedlichen Charaktereigenschaften und Einstellungen auch noch viel besser zum Vorschein.
Beide haben eines gemeinsam: Ihr Leben ist ziemlich chaotisch und voller dramatischer Schicksalsschläge. Elizabeth hatte eigentlich schon mit ihrem Leben abgeschlossen und sich nach dem Tod gesehnt, als ihr Mann sie auf dem Weg dorthin noch retten konnte. Sie wollte nur noch fliehen und ergriff mit ihrer Arbeit in Mexiko die Chance auf ein harmonisches, erfülltes Leben. Die Vergangenheit zählt nicht mehr, und weil die Kontakte gänzlich abgebrochen sind, erwartet sie von daher auch nichts mehr.

Diane hingegen hat nie so recht verstanden, warum ihre familiäre Situation so chaotisch war bzw. immer noch ist. Als ihre Mutter sie damals an einem Weihnachtsabend verlassen hat, konnte sie dies nicht verstehen, und auch heute noch ist ihr nicht bewusst, warum sie und ihr Vater im Stich gelassen wurden. Weil sie sich jedoch bei ihrem Dad gut aufgehoben fühlte, hegte sie erst gar nicht mehr den Wunsch, sich mit ihrer Mutter zu versöhnen. Nun aber, wo ihr dies der letzte Ausweg scheint, flieht sie nach Mexiko, um dort mit der nahen Vergangenheit abzuschließen und neue Hoffnung zu schöpfen – ähnlich wie damals ihre Mutter, die in der Heimat Los Angeles keinen Halt mehr fand.

Murphy gelingt es sehr gut, diese ständig unter Spannung stehende Beziehung zu beschreiben. So viel Nähe und doch eine so große Distanz, so definiert sich das Verhältnis zwischen Elizabeth und Diane, und obwohl das Umfeld der seltsamen Familie beide Seiten sehr gut nachvollziehen kann, ist doch keine der befreundeten Personen aus dem Archäologenteam in der Lage, zwischen den beiden zu vermitteln.

Eine solche Rolle kommt schließlich der schemenhaften Erscheinung der Mondgöttin Zuhuy-Kak zu, die den Kontakt zu Elizabeth sucht. Hier offenbaren sich schließlich unterschwellige Parallelen, denn in gewissem Sinne hat auch die alternde Butler damals ihre Tochter geopfert, um damit sowohl sich als auch ihre Familie (bzw. im übertragenen Sinne ihr Volk) zu retten. Doch statt eine Versöhnung zwischen den beiden zu ermöglichen, sticht sie mitten in die krisenhafte Beziehung hinein und benutzt die unschlüssige Elizabeth lediglich dazu, ihre alte Machtstellung wieder zurückzuerlangen. Sie kennt die Geschichte der zerstörten Familie nur allzu gut und findet in ihr schließlich das, was sie schon länger gesucht hat. Versucht insbesondere Diane zu retten, was noch zu retten ist, gerät ihre Mutter in eine immer kniffligere Zwickmühle, was ihre Tochter anbelangt, und wirkt letztendlich genauso hilflos wie damals, als sie versucht hatte, sich selbst umzubringen.

Zunächst einmal wirkt die Erzählung ein bisschen langatmig, weil man erst ziemlich spät herausfindet, worauf Pat Murphy eigentlich hinaus will. Vor allem die Motivation der zurückgekehrten Mondgöttin ist lange Zeit unklar, was aber – das weiß man jedoch erst am Ende – genau so auch richtig ist, denn somit bleibt der Autorin genügend Freiraum, um sehr tief in das Seelenleben der beiden Butler-Frauen einzudringen. Es sind jedoch nicht nur Elizabeth und Diane, die im Vordergrund der Handlung stehen; auch das direkte Umfeld spielt eine gewichtige Rolle, der man sich aber auch zunächst nicht bewusst ist. Der Alkoholiker Tony, die smarte Barbara, der Frauenheld Carlos – auch bei ihnen handelt es sich um Personen mit einer ziemlich langen Geschichte, die geradezu prädestiniert für den Umgang mit Elizabeth und Diane scheint. Auch hier hat Pat Murphy sehr gute Arbeit geleistet und die verschiedenen Personen sehr geschickt in das Drama einbezogen. Wenn es überhaupt einen Schwachpunkt gibt, dann ist es die Darstellung der Maya-Kultur, die stellenweise sehr oberflächlich wirkt, an anderer Stelle aber dann auch schon wieder so weit ausholt, dass die Handlung als solche nicht mehr vornan steht. Insofern gefallen mir auch die Passagen, in denen Elizabeth aus ihren Büchern referiert, nicht so gut und wirken für die Erzählung gerade in der ersten Hälfte eher hemmend als förderlich.

Sonst gibt es an „Die Geisterseherin“ allerdings rein gar nichts auszusetzen. Der Auftakt dieser Reihe ist vollends gelungen und bietet eine perfekte Mixtur aus zwischenmenschlichem Drama und einem Schuss historischer Magie. Wichtig ist lediglich, dass man sich vom Cover nicht auf die falsche Fährte locken lässt und sich bewusst macht, worum es in diesem Buch eigentlich geht. Wer nämlich den nächsten großen Schocker sucht, ist bei „Die Geisterseherin“ völlig fehl am Platze. Ansonsten: tolles Buch und der Anfang einer sehr vielversprechenden Reihe!

King, Stephen – Colorado Kid

Das geschieht:

Moose-Lookit ist eine kleine Insel vor der Küste des US-Staates Maine. Die wenigen Bewohner leben vom Sommertourismus, ansonsten bleibt man unter sich. Über die Ereignisse des Insellebens informiert seit einem halben Jahrhundert der „Weekly Islander“, der vom neunzigjährigen Vince Teague und seinem Partner Dave Bowie herausgegeben wird. In diesem Sommer gesellt sich ihnen die 22-jährige Praktikantin Stephanie McCann hinzu. Die junge Frau kommt gut mit den beiden alten Männern klar und zeigt als Journalistin echtes Talent.

Eines Tages hört Stephanie vom „Colorado Kid“. Als sie neugierig nachfragt, erzählen ihr Teague und Bowie vom größten ungelösten Rätsel ihrer langen Laufbahn. 25 Jahre zuvor hatte man am Strand die gut gekleidete Leiche eines unbekannten Mannes gefunden, der offenbar an einem Stück Steakfleisch erstickt war. Er trug keine Papiere bei sich, es gab keine Anzeichen für ein Verbrechen. Die Nachforschungen der Polizei blieben erfolglos, die Leiche ohne Identität, bis mehr als ein Jahr später zufällig Name und Herkunft des Mannes entdeckt wurden: Von seinem Arbeitsplatz im US-Staat Colorado war der Zeichner James Cogan eines Tages plötzlich verschwunden, hatte seine Familie verlassen und war auf unbekannte Weise und in Rekordzeit nach Maine gereist, wo er am Strand von Moose-Lookit gestorben war.

Oder hatte man ihn ermordet? Die Indizien ließen sich in dieser Richtung deuten, aber bestätigen konnten Teague und Bowie diesen Verdacht nie. Ein Vierteljahrhundert später diskutieren sie den Fall Cogan mit Stephanie McCann und ordnen die Fakten neu, um der Kollegin eine wertvolle Lektion über den Journalistenberuf zu erteilen …

Nicht jede Ausgrabung fördert Gutes zutage

Seltsame Ideen sind keine seltene Erscheinung auf dem modernen Buchmarkt, gilt es doch ein Medium lukrativ zu halten, das im digitalen Zeitalter ein wenig altmodisch geworden ist. Immer gern gedrückt wird die Nostalgie-Taste, denn früher war bekanntlich alles besser, auch der Kriminalroman. In unserem Fall soll die Erinnerung an die Pulps der 1940er und 50er Jahre geweckt werden: billig hergestellte, mit grellen Umschlägen versehene Krimireißer voller Sex & Gewalt, die oft von den Großen des Genres in Rekordzeit in die Tasten (damals noch von Schreibmaschinen) gehauen wurden. Nicht selten verbargen sich in diesem Ghetto des Schrillen und Brutalen echte Klassiker, denen die Eile gut bekam, die ihre Verfasser an den Tag legen mussten in einer Zeit, als nur Cents pro Wort gezahlt wurden.

Die Pulp-Tradition wurde 2004 in der US-Reihe „Hard Case Crime“ wiederbelebt. Mehr oder weniger bekannte Autoren schreiben neue Thriller der alten Art, die mit Titelbildern im plakativen Stil versehen und als Taschenbücher preisgünstig auf den Markt geworden werden. Auch Stephen King, der stets bestrebt ist, Marktnischen auszuloten, ließ sich anheuern. Mit „The Colorado Kid“ steuerte er im Oktober 2005 den 13. Band zur Serie bei.

Abergläubische Zeitgenossen könnten darauf hinweisen, dass dieses Experiment aufgrund der Unglückszahl scheitern musste. Das wäre freilich auch die Antwort eines verzweifelten King-Fans, für den der Meister einfach nichts falsch machen kann. Aber er kann, und er hat es hier eindrucksvoll – und glücklicherweise seitenschwach – unter Beweis gestellt.

Vom Rätsel über das Indiz zur Lösung

„Colorado Kid“ wird von King nicht als „hard boiled thriller“ angelegt, sondern ist eher ein philosophischer Exkurs über das Wesen des (journalistisch aufbereiteten) Rätsels. Drei Menschen unterhalten sich über einen Vorfall, der sich vor langer Zeit ereignete und ungeklärt blieb. Wie in einem ‚richtigen‘ Krimi werden Tatort, Indizien und Verdächtige präsentiert. Doch eine Auflösung bleibt aus. Wie so oft im realen Leben gibt es zu wenige Fakten, um das Puzzle zu vervollständigen. Stephanie McCann hat begriffen, was ihre Mentoren sie eigentlich lehren wollten: Ein Rätsel ohne Zugang ergibt keine Geschichte, sondern schafft nur Verdruss und sollte deshalb ungeschrieben bleiben.

Zu Kings Pech trifft Teagues & Bowies Lehrsatz auf auch „Colorado Kid“ voll und ganz zu. Selten ziehen sich knapp 180 großzügig bedruckte Seiten so in die Länge wie hier. Man kann und mag nicht glauben, dass wirklich Stephen King dieses Stückchen Nicht-Unterhaltung zu Papier gebracht hat. Er legt „Colorado Kid“ wie einen seiner epischen Romane an. Zwei Drittel des Buches sind bereits gelesen, und wir befinden uns immer noch in der Einleitung, dem durchaus gelungenen Stimmungsbild einer von der Zeit ein wenig vergessenen Maine-Insel und ihrer angenehm kauzigen Bewohner. Erst dann scheint King einzufallen, dass er ja eine Geschichte zu erzählen hat, nur dass da wie gesagt keine Geschichte ist. Diesen Widerspruch spannend aufzulösen ist ihm gänzlich misslungen.

Aus Figuren werden Menschen

Auf der anderen Seite ist „Colorado Kid“ keineswegs schlecht geschrieben. King, der geborene Geschichtenerzähler, der sich erfolgreich auch jenseits der Phantastik tummelt, hat nach wie vor ein Schreibhändchen für Figuren, die vor dem geistigen Auge Gestalt annehmen. Das ist eine echte Gabe, zumal sich die Handlung in diesem Büchlein auf ein Gespräch zwischen drei Personen beschränkt. Was sich ereignet hat, wird nur erzählt, und das nicht am Stück. Immer wieder unterbrechen Dialoge die Rückblenden ins Jahr 1980, dazu kommen Sprünge, wie sie für eine Unterhaltung typisch sind.

Dennoch ist King die schwierige Aufgabe gelungen, zwischen zwei alten Männern und einer jungen Frau eine besondere, von anzüglichen Untertönen völlig freie Beziehung zu schaffen. Hier diskutieren drei Profis, die sich miteinander wohl fühlen. Als ‚vierte Person‘ tritt Moose-Lookit dazu, die kleine Insel, die auf jene, die für ihr Flair anfällig sind, eine eigenartige Anziehungskraft ausübt. James Cogan musste, Stephanie McCann darf es erfahren, denn im Verlauf der Geschichte schält sich allmählich heraus, dass sie auf Moose-Lockit bleiben und als Journalistin arbeiten wird.

Solche literarischen Kabinettstückchen reichen unterm Strich aber nicht aus. „Colorado Kid“ bleibt eine langweilige, überflüssige Angelegenheit. Der Name Stephen King ist es, der dieses Büchlein verkauft. Dessen Preis ist niedrig aber für das Gebotene trotzdem zu hoch, „Colorado Kid“ weniger eine Weihnachtsüberraschung als ein Windei, das sich nur der King-Komplettist ins Nest legen lassen sollte.

Autor

Eine Biografie des Stephen King kann ich mir an dieser Stelle sparen. Über den Verfasser unzähliger Bestseller der Unterhaltungsliteratur informieren ausführlich und zum Teil vorbildlich viele, viele Websites, zu denen selbstverständlich auch des Meisters eigene (www.stephenking.com) gehört.

Impressum

Originaltitel: The Colorado Kid (New York : Mass Market Paperback 2005)
Übersetzung: Andrea Fischer
Deutsche Erstausgabe: Dezember 2005 (Ullstein Taschenbuchverlag/TB Nr. 26378)
159 S.
ISBN-13: 978-3-548-26378-6
Neuauflage: Mai 2009 (Wilhelm Heyne Verlag/TB Nr. 43396)
176 S.
EUR 7,95
ISBN-13: 978-3-453-43396-0
www.randomhouse.de/heyne
Als e-Book: PeP-Verlag
ISBN-13: 978-3-641-03284-5
EUR 7,95
www.randomhouse.de/pep

Nase, Daniela – Frag doch mal … die Maus!

Wenn man das Jugendalter überschritten hat und gefragt wird, ob man sich noch irgendwelche Kinderserien anschaut, wird man meistens belächelt. „Winnie Pooh“? Kindisch, lautet hier die Antwort. „SpongeBob“? Viel zu albern, werden viele sagen. Sesamstraße? Zu wenig Action. „Die Sendung mit der Maus“? Halt, „Die Sendung mit der Maus“? Ja, die ‚darf‘ man sich anschauen, ohne dabei doofe Kommentare zu ernten. Denn „Die Sendung mit der Maus“ hat jeder mal geliebt, und diese Liebe reißt auch nur in den seltensten Fällen ab. Humor vermischt mit gebündeltem, für alle Altersklassen vertändlichem Allgemeinwissen, da kann man nicht nein sagen. Der weise und kluge Großvater genauso wenig wie der pubertierende besserwisserische Teenager. Denn man kann noch so schlau sein, man wird trotzdem immer noch etwas finden, was einem diese Sendung noch an neuem Stoff vermitteln kann.

Unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Horst Köhler und seiner Frau ist nun ein Buch auf den Markt gekommen, in dem die Maus bzw. die Macher hinter den Lach- und Sachgeschichten die meistgestellten Fragen ihrer Zuschauer beantworten. Bis Mitte des Jahres lief die Aktion „Frag doch mal … die Maus!“, die mit einer Resonanz von sage und schreibe 75.000 eingesendeten Fragen besser kaum hätte sein können. Kinder und Erwachsene – darunter auch Prominente wie Bastian Pastewka und Harald Schmidt – stellten Fragen, die sie schon immer mal beschäftigt haben, und bekamen daraufhin ihre Antwort. Für das Team um die Maus begann anschließend die schwierigende und umfassende Aufgabe, die meistgestellten und interessantesten Fragen herauszupicken und eine Liste mit den Top-100-Fragen zu erstellen. Ungefähr die Hälfte davon ist nun in der Buchausgabe anlässlich der zweimonatigen Aktion aus dem diesjährigen Sommer aufgearbeitet worden, unter anderem auch die zehn Fragen, die am häufigsten geschickt wurden.

Liest man sich das Inhaltsverzeichnis zu Beginn einmal durch, vermutet man, dass es sich eigentlich komplett um ein simples Frage-Antwort-Spiel zu längst beantworteten Problemfällen handelt. Doch Pustekuchen. Gerade diese einfachen Fragestellungen sind es nämlich, die Folge für Folge Inhalt der Fernsehsendung sind und trotz ihrer scheinbaren Simplizität dann doch gar nicht mal so einfach zu lösen sind. Oder weiß vielleicht jemand auf Anhieb, wie die Löcher in den Käse kommen? Oder kann jemand aus dem Stand heraus erklären, warum es eigentlich regnet? Woher stammen die Buchstaben? Warum haben Indianer immer lange Haare? Warum haben die Menschen in Afrika schwarze Haut? Und warum heißt das Martinshorn nicht Julianshorn oder ähnlich? Na, hat irgendjemand das Examen auf Anhieb bestanden? Wohl kaum. Was stellen wir also fest: Auch das Buch ist für alle Altersklassen geeignet, sammelt aber in der Gegenüberstellung mit vergleichbaren Werken deutlich Bonuspunkte durch die immerzu schönen Darstellungen und Illustrationen, die den Sachverhalt nicht nur vereinfachen, sondern ihn auch praktisch verständlich machen. Ich erinnere mich gut daran, wie mein Bruder mir damals bei Schwierigkeiten in der Schule versucht hat auszuhelfen, aber viel zu weit vom Thema abgeschweift ist und so die ganze Situation unnötig verkompliziert hat. Gleichermaßen fällt mir ein, wie doof mein Mathematik-Lehrer sich im siebten Schuljahr angestellt hat, die einfachsten Probleme zu erklären. Eine schlichte Darstellung hätte dabei völlig genügt. Oder mein alter Arbeitgeber: Bevor wir über die Arbeit als solche gesprochen haben, wurde mir erst einmal die völlig irrelevante Struktur der Einrichtung vor Augen geführt, bis dann nach anderthalb Stunden auch mal die Sprache auf meine Stelle kam. Das Leben könnte so einfach sein, würde man es nicht ständig verkomplizieren. Genau das haben sich wohl auch die Macher der Sendung und das Team hinter diesem Buch gedacht. Kurz und dennoch detailliert, einfach und völlig unkompliziert und dazu auch noch mit schönen Bildern unterlegt, geht die Maus hier auf Fragen ein, zu denen sich jeder schon mal Gedanken gemacht hat, die aber irgendwie nie angemessen beantwortet wurden. Tja, warum hat man nicht direkt die Maus gefragt?

_Fazit_

Weihnachten ist zwar just vorüber, aber es ist immer die richtige Zeit für den Kauf eines pädagogisch wertvollen, unheimlich lehrreichen und witzig illustrierten Buchs, mit dem man seinen kleinen wissbegierigen Sohnemann ebenso erfreuen kann wie den BWL-Studenten, der den Kopf von Statistiken und Rechnungswesen frei bekommen möchte. Ich persönlich erhielt dieses Buch eine Woche vor Weihnachten, nachdem ich in der Buchhandlung ziemlich lange fasziniert darin geblättert hatte. Und ganz ehrlich: Es ist eines der schönsten Geschenke, die ich überhaupt bekommen habe. „Frag doch mal … die Maus!“ gehört folglich auch in jeden Haushalt, Widerspruch zwecklos!

http://www.die-maus.de/

Lewis, Clive Staples – Prinz Kaspian von Narnia (Die Chroniken von Narnia, Band 4)

[Das Wunder von Narnia 1858
[Das Wunder von Narnia – Hörbuch 1991
[Der König von Narnia 1758
[Der König von Narnia – Hörbuch 356
[Der Ritt nach Narnia 1933
[Der Ritt nach Narnia – Hörbuch 1984

Nach ewig langer Ankündigung ist er nun endlich in den Kinos, der Film zu den „Chroniken von Narnia“. Doch trotz guter Kritiken und toller Geschichte bin ich persönlich von der Umsetzung des Streifens sehr enttäuscht. Hat man einmal das Buch zu „Der König von Narnia“ gelesen, wird man vielleicht ähnlich denken und mir zustimmen, dass die eigentliche Magie der Geschichte nicht einmal annähernd eingefangen wurde. Viel Brimborium, wenig Zählbares, so lautet mein Fazit zur cineastischen Variante. Um quasi meinen Frust diesbezüglich zu bewältigen, habe ich mir dieser Tage den vierten Band der siebenteiligen Reihe geschnappt und damit den schwachen Eindruck schnell wieder vergessen. „Prinz Kaspian von Narnia“ ist nämlich meiner Meinung nach die bislang stärkste Ausgabe der Chroniken und mitunter auch die spannendste. Warum? Lest einfach weiter:

_Die Story_

Peter, Suse, Edmund und Lucy befinden sich nach ihrer Regentschaft im Königreich Narnia wieder auf dem Heimweg, als sie unerwartet an einem seltsamen Strand landen. Die Gegend kommt ihnen alsbald bekannt vor, und nach kurzem Überlegen stellt man gemeinsam fest, dass man erneut in Narnia angekommen ist – allerdings ungefähr 1000 Jahre nach dem goldenen Zeitalter. Die bekannten Gebäude sind zu Ruinen verfallen, und das einst so bunte Land hat seine gesamte Pracht eingebüßt. Bevor sich die vier Kinder lange Gedanken darüber machen können, was in Narnia vorgefallen ist, stoßen sie auf einen Zwerg, der ihnen die gesamte Geschichte erzählt:

Miraz, der tyrannischer Herrscher von Narnia, ist seit einiger Zeit an der Macht und regiert grausam über sein Land. Seine Thronfolge soll eines Tages sein Neffe Kaspian antreten. Eigentlich mag Miraz den Jungen nicht, aber weil kein geeigneterer Kandidat in Sicht ist, lässt er sich darauf ein, dass Kaspian eines Tages die Krone übernehmen wird. Dabei wäre Kaspian eigentlich der rechtmäßige Erbe gewesen …

Dann jedoch taucht ein bis dahin unbekannter Sohn von Miraz auf, und für den König steht fest, dass dieser nun der offizielle Thronfolger sein soll. Doktor Cornelius kann Kaspian noch gerade warnen und seine Flucht vorbereiten, als Miraz auch schon über das Schicksal seines jungen Neffen richten möchte. Der Prinz macht sich auf Cornelius‘ Geheiß auf die Suche nach den Bewohnern es alten Narnia und plant mit ihnen einen Aufstand gegen den König.

Doch der muss gar nicht mehr herausgefordert werden, denn kurz nach Kaspians Flucht hat er bereits eine Armee zusammengestellt, die seinen Neffen aufspüren soll. Für Kaspian scheint die Lage aussichtslos; die schier übermächtigen Gegner kann er alleine nicht besiegen. Da jedoch fällt ihm wieder ein, dass er noch im Besitz des uralten Zauberhorns ist, das ihm aus alten Zeiten überlassen wurde. Mit diesem Horn ruft er einige alte Bekannte zurück nach Narnia, die ihm in der entscheidenden und erbitterten Schlacht zur Seite stehen sollen: Peter, Suse, Edmund und Lucy …

_Meine Meinung:_

Nachdem, nein, eigentlich schon während ich das Buch gelesen habe, kam mir in den Sinn, dass „Prinz Kaspian von Narnia“ für eine etwaige Verfilmung ein durchaus besserer Kandidat gewesen wäre als „Der König von Narnia“. Das vierte Buch, das Clive Staples Lewis übrigens direkt nach dem Pendant zum gerade angelaufenen Kinofilm schrieb, bietet schon mal weitaus mehr Action als der indirekte Vorgänger. Kämpfe, Intrigen und das deutliche Mehr an Fantasy-Background – all das sind zwar nicht typische Narnia-Themen, aber im Hinblick auf das, was man von einem spannenden Fantasy-Film erwartet, liefert „Prinz Kaspian von Narnia“ definitiv mehr Sehenswertes. Man muss eben einfach sehen, dass bei „Der König von Narnia“ andere Inhalte im Mittelpunkt standen, und die konnte der Film eben nicht entsprechend herüberbringen.

Aber gut, lösen wir uns trotz des aktuellen Anlasses mal von dem, was gerade durch die Medien geistert, und konzentrieren uns auf die Geschichte im vierten Band der „Chroniken von Narnia“. Dieser enthält nämlich erneut eine sehr schöne Erzählung, die – basierend auf bekannten Charakteren – wieder neue Personen aus der Welt von Narnia vorstellt, mit denen sich der Leser sofort identifizieren kann. Im Mittelpunkt steht natürlich der tapfere Kaspian, der von seinen eigentlichen Besitzansprüchen gar nichts weiß und sich gefügig seinem Onkel, dem grausamen König Miraz, unterwirft. Wohl wissend, dass ihm eines Tages die Rolle des Königs zusteht, akzeptiert er die Rolle des untertänigen Jungen, versucht aber gleichzeitig auch mittels des befreundeten Doktor Cornelius mehr über die Geschichte von Narnia herauszufinden. Erst als er selber in die Opferrolle gerät, wird ihm bewusst, wie skrupellos Miraz regiert, und setzt schließlich alles daran, sich dem König zu widersetzen.

Sein Gegenspieler, der König, hingegen erfüllt alle Kriterien, die ein fürchterlicher Bösewicht erfüllen muss. Kompromisslos, herrschsüchtig und brutal regiert er über das mittlerweile finstere Land, und selbst über seinen Tod hinaus will er die Kontrolle über die Krone behalten. Selbst seinen Neffen verschont er in seinen gemeinen Plänen nicht und unternimmt sein Möglichstes, um Kaspian zur Strecke zu bringen.

Auf der anderen Seite stehen die bekannten Figuren, nämlich die vier Kinder von der Erde, die dem Prinzen schließlich zur Hilfe kommen und entscheidend in die Historie von Narnia eingreifen. Leider jedoch ist ihr Einsatz relativ kurz, denn zum Schluss findet die Geschichte recht zügig ihr Ende und lässt den stetig aufgebauten Höhepunkt für meinen Geschmack zu kurz währen. Hier liegt letztendlich auch die einzige Schwäche dieses Buches begraben: Die Erzählung wird einfach zu abrupt beendet, nachdem der Autor sich vorher die größte Mühe gegeben hat, das Szenario sehr ausführlich zu schildern und die Unterschiede zwischen dem Narnia von damals und jenem von heute deutlich herauszustellen. Doch Clive Staples Lewis hat sich strikt an die Vorgabe der übrigen Bücher gehalten und die Seitenzahl hier auch kaum differieren lassen. Schade, denn ausnahmsweise fehlen hier einige Details.

Nun habe ich aber oben geschrieben, dass „Prinz Kaspian von Narnia“ meiner Meinung nach das bis hierhin beste Buch der Serie ist, und das möchte ich trotz der gerade geäußerten Kritik noch einmal betonen. Zweifellos ist der vierte Band nämlich der spannendste und verknüpft auch am besten bekannte Elemente mit neuen Versatzstücken. Gleichzeitig sind die religiösen Einflüsse dieses Mal gänzlich aus der Handlung verschwunden, was dazu geführt hat, dass man gewisse Passagen nicht mehr im Voraus erahnen kann. Das war besonders bei den ersten beiden Romanen noch ganz anders. Und damit wären wir auch am entscheidenden Punkt angelangt: War bei den vorherigen Büchern im Grunde genommen klar, wie die Geschichte enden wird, bleibt die Spannung diesbezüglich bis zum Schluss bestehen. Mehr möchte ich an dieser Stelle nicht verraten, nur dass ich es schön finde, dass nicht immer alles prima und eitel Sonnenschein muss, um ein schönes Ende geboten zu bekommen.

_Fazit_

Ich habe mein persönliches Fazit eigentlich schon mehrmals vorweggenommen: „Prinz Kaspian von Narnia“ sollte man gelesen haben, wenn man bei der gerade präsenten „Narnia“-Mania mitreden möchte. Besser als der missratene Film ist das Buch sowieso, und für meinen Geschmack übertrifft es auch die mir bekannten ersten drei Erzählungen. Wem diese also schon gut gefallen haben, dem ist dieses Buch nur noch umso mehr anzuraten!

http://www.narnia-welt.de/

Brigitte Blobel – Mörderherz

Daniel Panetta, 52 Jahre alt, verheiratet und Leiter der öffentlichen Bibliothek in Washington, leidet seit mehreren Jahren an immer stärker werdenden Herzbeschwerden. Eines Tages eröffnet ihm sein Arzt Professor Grady, dass seine einzige Chance in einer Herztransplantation liegt. Ohne ein neues Organ hat er vermutlich kein Jahr mehr zu leben. Panettas Name kommt auf die Empfängerliste und ein banges Warten beginnt. Sein Allgemeinzustand verschlechter sich immer weiter, seine Arbeit hat er bereits aufgeben müssen, die Ehe mit seiner attraktiven und erfolgreichen Frau Martha leidet.

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Reichs, Kathy – Totgeglaubte leben länger

Was, wenn Jesus nicht am Kreuz gestorben wäre?

Bibelthriller zwischen Fakten und Fiktion haben seit Dan Brown Hochkonjunktur – da wollte Bestsellerautorin Kathy Reichs wohl nicht zurückstehen. Zumindest haben wir es hier mit einer Fachfrau zu tun: Ihre Serienheldin, die Gerichtsmedizinerin Tempe Brennan, hat schließlich ihre Wurzeln in der forensischen Archäologie – ebenso wie die Autorin übrigens.

Diesmal ermittelt Tempe Brennan im Gelobten Land. Wie kommt es dazu? Der jüdische Antiquitätenhändler Avram Ferris ist ermordet worden und liegt auf Tempes Obduktionstisch, während ihr Geliebter Ryan und seine Polizeikollegen bereits ermitteln. Kurz nach der Obduktion spielt ein Fremder Tempe ein Foto zu, welches scheinbar mit Ferris’ Ermordung in Zusammenhang steht: Das Bild zeigt ein korrekt angeordnetes Skelett, daneben Fußabdrücke im Staub und einen Pinsel als behelfsmäßigen Kompass. Tempe geht davon aus, dass das Foto von einer archäologischen Grabung stammt und wendet sich Hilfe suchend an ihren ehemaligen Kollegen, den Archäologen Jake Drum. Der findet heraus, dass das Foto von Grabungen im israelischen Masada stammt und möglicherweise etwas zeigt, das auf dem heiligen Tafelberg nach jüdischer und christlicher Glaubensgeschichte nicht hätte existieren dürfen.

Tempe und Ryan reisen gemeinsam nach Israel. Während Tempe mit Jake eine sensationelle Entdeckung um die Familiengruft Christi macht, lassen ihnen religiöse Fundamentalisten verschiedenster Couleur kaum eine ruhige Minute, die Funde eingehend zu untersuchen.

|Hochspannung mit Schönheitsfehlern|

Der Name Kathy Reichs steht für Hochspannung. Das Thema fasziniert, der zwischen Gegenwart und Vergangenheit angesiedelte Plot ist manchmal ein bisschen wirr, fesselt aber trotzdem bis zur letzten Seite.

Positiv ist anzumerken, dass Kathy Reichs ohne billige Effekte eine spannende und geradlinige Geschichte zu erzählen vermag; mit klassischen Krimizutaten und gar nicht so viel Blutvergießen, wie man es von einem Gerichtsmedizin-Thriller erwarten würde. Die unvermeidbare Liebesgeschichte zwischen Tempe und Ryan ist zugleich ein geschickter Kunstgriff, um unsere Heldin an den gegenwärtigen Ermittlungen ebenso teilhaben zu lassen wie an den Ausgrabungen. Es handelt sich genau genommen auch eher um einen Archäologie-Thriller; wie üblich bei Kathy Reichs fand die Geschichte ihren Ursprung in einem realen Fall: Ihr Freund und Kollege James Tabor untersucht seit 2000 das so genannte Jakobus-Ossuar aus dem ersten Jahrhundert und fragte Reichs, ob sie ihn begleiten und die Geschichte für einen neuen Tempe-Brennan-Fall verwenden wolle. Kathy Reichs war Feuer und Flamme.

Ob nun tatsächlich real oder Verschwörungstheorie – ähnlich wie bei Dan Brown eignet sich die Fiktion hervorragend als Spielplatz, um verschiedene Varianten, wie es durchaus hätte sein können, durchzuspielen. War Jesus tatsächlich kein Einzelkind, war er sogar verheiratet und hatte selbst Kinder? Hat er seine eigene Kreuzigung überlebt und wurde 80 Jahre alt? So ganz hundertprozentig werden wir es nie erfahren, auch wenn es historische Hinweise darauf gibt. Wegen dieser kaum überbrückbaren Kluft zwischen Glauben und Wissen sind solche Bücher wohl so erfolgreich. Von brennender Aktualität sind dagegen die Verweise auf religiöse Fundamentalisten, deren Alleinansprüche auf Wahrheit es immer und in allen Religionen gegeben hat. Die Amerikanerin Kathy Reichs bleibt dabei relativ neutral, bis auf eine Ausnahme. Zitat: „Wütender Mund. Stechender Blick. Der ungestutzte Bart eines islamischen Fundamentalisten.“ (S. 292). Wenn es so einfach wäre, islamische Extremisten auszumachen, hätten die USA mit ihrem „Krieg gegen den Terror“ mehr Erfolg gehabt.

Während der Plot selbst zwar manchmal haarsträubend, aber doch gut recherchiert ist, scheint das Buch jedoch mit heißer Nadel gestrickt worden zu sein. Das ist schade, denn das schmälert manchmal das Lesevergnügen. Wir wollen bei einem Krimi nicht schulmeisterlich werden, doch in Sachen Stil und Satzbau hat Kathy Reichs manchmal den Charme einer gehetzten Wissenschaftlerin, die sich nebenher Notizen macht. Vielleicht ist das ja auch so? Die forensische Archäologin Kathy Reichs hat sicher viel aus ihrem Berufsleben zu erzählen, aber als Bestsellerautorin und Vollbeschäftigte vermutlich auch nicht die Zeit, Bücher am Fließband zu produzieren. Wirklich gut Ding will Weile haben – doch das Buch sollte wohl noch rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft erscheinen.

Was bleibt, ist ein überdurchschnittlich spannender Thriller mit Schönheitsfehlern. An Dan Browns [„Sakrileg“ 1897 jedenfalls, das hier ganz sicher Pate stand und sogar ein paarmal erwähnt wird, reicht Kathy Reichs Roman nicht heran.

Boyle, Rob (Hrsg.) – Shadowrun 4.01D

_Alte Bekannte_

Das Jahr 2005 war eindeutig das Jahr der alten Bekanntschaften im Bereich der Rollenspiele. White Wolf legte seine komplette |World of Darkness|-Reihe neu auf, von Green Ronin und Black Industries wurde uns eine exzellente Neuauflage des |Warhammer|-Fantasy-Rollenspiels geschenkt und eine Reihe von anderen, mehr oder weniger unbekannten Rollenspielen zierten mit ihren Regelbüchern in neuen Gewändern die Bücherregale.

Besonders interessant war es jedoch, wenn der Blick, den man durch die Regale schweifen ließ, auf ein Buch mit grünem Einband fiel. Interessant vor allem deswegen, weil auf dem Buchrücken in schönster Blockschrift stand: „Shadowrun 4.01 D“. Kaum ein Rollenspiel hat wohl im Laufe des Jahres 2005 einen derartigen Aufruhr verursacht wie dieses lang ersehnte Werk, was schon alleine dadurch zu beweisen ist, dass bereits eine Woche nach dem Erscheinen der englischen Originalausgabe diese als vergriffen galt und neu aufgelegt werden musste.

Auffällig ist hierbei auf den ersten Blick, dass das Buch zum ersten Mal in der Geschichte des Shadowrun-Rollenspiels keinen Einband in Schwarz aufwies. Man mag nun durchaus zu viel in derartige Trivialitäten hineininterpretieren, jedoch wird recht schnell beim Durchblättern der Seiten gewahr, dass die Version 4.01 D eindeutig eine neue Ära in dieser Rollenspielreihe einläuten soll. Man kann den Wechsel der Einbandfarbe einfach als das erste Signal werten, das eben diesen Wechsel ankündigen soll.

_Konzept und Prinzip_

Doch worin besteht nun der Unterschied zwischen dieser Version von Shadowrun und allen vorherigen?

Diese Frage zu beantworten, bedarf es natürlich einer eingehenden Betrachtung des vorliegenden Grundregelwerks. Aber wie schon erwähnt, ist bereits ein schnelles Durchblättern des Buchs für jeden Kenner des Spiels ein Augenöffner, teils in positiver Hinsicht, teils in negativer.

Nur die Inhaltsangabe des Buchs betrachtend, wird man keinerlei Auffälligkeiten feststellen, denn die Struktur wie auch die generelle Aufmachung sind erhalten geblieben.

Wir starten bei der üblichen Kurzgeschichte, die auch für den Shadowrun-Anfänger eine Einführung darstellen soll und auf einigen kurzweilig geschriebenen Seiten die Mission eines Shadowrunner-Teams beschreibt.

Direkt aus diesen kurzen Seiten ist eine Menge für den unbedarften Neuling zu erfahren, sie lesen sich sehr flüssig und sind recht interessant geschrieben. Man erfährt, was Shadowrunner eigentlich sind, nämlich der Abschaum der Gesellschaft, der für Geld die Aufträge erledigt, die anderen Leuten zu dreckig und kriminell sind.

Und hierum geht es bei Shadowrun, man spielt einen so genannten Runner, der in den Schatten – also dem kriminellen Untergrund – der Metropolen der Zukunft die Drecksarbeit für kriminelle Organisationen, reiche Geschäftsleute oder auch riesige Mega-Konzerne durchführt. Es obliegt alleine dem Shadowrunner, also dem Spieler, zu entscheiden wo er selbst seine moralisch bedingte Grenze zieht. Macht er zum Beispiel bei einer Entführung mit? Ist er ein Detektiv, der einfach nur Informationen sammelt, oder Leibwächter? Würde er einen Menschen für Geld töten? Diese Fragen machen einen essenziellen Teil des Charakters aus, insbesondere die Einstellung zum Töten ist wichtig für das Konzept der Charaktererschaffung. Da die Spieler-Charaktere grundsätzlich nur die dreckigen und scheinbar unmöglichen Aufträge zugeteilt bekommen – sie gelten immerhin als Spezialisten für derartige Problemfälle –, sollten sie immer damit rechnen, auf einige schwer bewaffnete Wachleute zu treffen. Wählen sie hierbei den einfachen Weg und töten sie leichtfertig, geraten sie damit aber schnell auf die Abschussliste von Konzernen, Sicherheitsdiensten und der Polizei. Wählen sie hingegen die schwierigere Methode, also heimlich vorzugehen und nur im Notfall zu schießen und selbst dann mit Betäubungsmunition, die weniger effektiv ist, so entsteht dabei aber auch ein wesentlich professionellerer Ruf des Teams.

Insofern hat sich also nichts an dem eigentlichen Konzept von Shadowrun geändert. Die Charaktere sind nachwievor die oben umschriebenen Spezialisten für schwierige Probleme.

Auch die Fortführung der Zeitleiste und der Ereignisse in Shadowrun war immerhin zu erwarten, denn wie in jeder neuen Version ist die Zeit etwas weiter geflossen und wir befinden uns nun im Jahr 2069, wobei, wie auch sonst üblich, alle bisherigen Ereignisse im Grundbuch auf zwölf Seiten zusammengefasst werden. Wer hierbei allerdings tiefer greifende Informationen benötigt, wird nicht umhin kommen, etwas Zeit dem Studium der einzelnen Teile der Romanreihe, die zu diesem Spiel erschienen ist, zu widmen. So wird nur der Leser, der z. B. die Drachenherz-Triologie gelesen hat, wissen, warum Dunkelzahn, Drache und ehemaliger Präsident der United Canadian and American States (der Norden der ehemaligen USA zusammen mit Kanada; ja, genau, die USA gibt es nicht mehr, aber schon seit der ersten Edition, und Drachen gibt es auch in Shadowrun, dazu später mehr), ermordet wurde. Der bloße Rollenspieler, der die Romane nicht kennt, wird aber nicht so schnell bei einigen Ereignissen durchblicken, die sich im Laufe der Zeit ereignet haben.

Die Neulinge werden schnell die einmalige Kombination aus Fantasy- und Cyberpunk-Elementen bei Shadowrun feststellen, denn in der Vorgeschichte wird schön beschrieben, wie es dazu kam, dass wieder Elfen und Zwerge, Orks und Trolle und diverse andere Fabelwesen auf Erden wandeln; und auch die Magie ist zurückgekehrt. Es gibt also auch wieder Zauberer und Shamanen, die wohl im Laufe der Zeit zu einem wichtigen Bestandteil des Alltags geworden sind.

Die Schwierigkeit beim Überblicken der Vorkommnisse ist aber, so denke ich zumindest, gewollt, denn viele von ihnen sind durch diverse Intrigen, sowohl zwischen Konzernen als auch Regierungen, bewirkt worden. Der alte Veteran des Spiels wird sicher nur einen interessierten Blick auf die letzten Ereignisse werfen, da wohl jeder gerne wissen möchte, wie die Konzernkriege in Version 3 und die durch Dunkelzahns Ermordung ausgelösten Ereignisse die Welt verändert haben.

_Vom Decker zum Hacker_

Da die bisherigen Elemente des Grundregelwerks keineswegs ein wirkliches Novum darstellen, wollen wir nun aber auf die wesentlich interessanteren Änderungen eingehen. Die Welt von Shadowrun bzw. die Autoren des Spiels haben sich eindeutig an die technischen Begebenheiten in unserer heutigen Welt angepasst, und das ist eine der wirklichen Neuerungen. Gewiss war es bisher auch immer so, dass in diesem Spiel immer der aktuelle technische Stand der Dinge, wie man so schön sagt, beachtet wurde, aber dieses Mal haben die rasanten Entwicklungen im Bereich von Internet, Netzwerktechnik, Autoindustrie und Nanotechnologie der letzten paar Jahre dazu geführt, dass einige der Konzepte in Shadowrun komplett neu gestaltet wurden. Die Matrix, wie wir sie kannten, existiert nur noch bedingt. Sie ist nach wie vor eine „Virtuelle Realität“ und der Nachfolger des Internets, aber das Konzept wurde um einige Details erweitert. So gibt es weder Rigger noch Decker in der Version 4, beides wird nun unter dem Begriff Hacker zusammengefasst. Mittlerweile ist alles mit Schnittstellen zur so genannten AR – Augmented Reality – ausgestattet, angefangen vom Auto und dem Handy bis hin zum Sicherheitssystem einer Bank und sogar dem Jackett, das man am Leib trägt, wie auch dem neustem Cyberauge, das man sich transplantieren ließ. Da außerdem die Matrix in ihrere neuen Version 2.0 nun komplett wireless ist, um diese technischen Anglizismus des Jahres zu benutzen, und jeder Gegenstand, der ein AR-Modul besitzt, auch gleichzeitig in der Realität wie auch in der Matrix vertreten ist und persönliche Daten hinausfunkt, bieten sich hier komplett neue Möglichkeiten für den Hacker von Morgen.

Sicher ist es jedem Menschen möglich, die AR-Stufen zu regulieren, doch unter bestimmten Umständen ist es sinnvoll, einen so genannten offenen oder privaten Modus dem versteckten vorzuziehen. Zwar ist man da in der Matrix sichtbar, genießt aber auch einige Vorteile, so kann z. B. das Team ständig Daten über Position und Befinden austauschen.

Diese Offenheit stellt natürlich auch eine Möglichkeit für Matrixangriffe durch einen Hacker dar; der kann somit ein Auto übernehmen und steuern – und das besser als ein Normalsterblicher, da er immerhin das Auto über Gedanken kontrolliert, sofern er direkt in die Matrix eingestöpselt ist, und dadurch über eine wesentlich genauerer Kontrolle über den Wagen und über schnelle Reflexe verfügt. Der Hacker kann theoretisch sogar den Cyberarm eines Gegners übernehmen oder das Sicherheitssystem eines Gebäudes, und das, während er gerade mit dem restlichen Team unterwegs ist. Das alte Problem, dass ein Decker, der in einer Gruppe gespielt wird, eigentlich die Hälfte der Zeit herumsitzt, weil er nicht interagieren kann und immer an die Matrix angeschlossen ist, somit also nur schwer seine Position wechseln kann, fällt weg. Die neuen Hacker nämlich sind mobil, die Matrix ist schließlich drahtlos.

Durch die ständige Möglichkeit, die interaktiven Eigenheiten der Umgebung bis ins Kleinste ausnutzen zu können, wird aus dem sonst so schwerfälligen Decker ein Hacker, den man durchaus auch Technomagier nennen könnte – um diesen durchaus gängigen Neologismus zu nutzen –, denn einige Tricks, die man nun durch die Matrix bewirken kann, müssen für Außenstehende wirklich eher wie Magie wirken.

_Building of a Character_

Auch die Charaktererschaffung an sich wurde radikal geändert. Zunächst merkt man, dass man an das Aufbaupunkte-System angeknüpft hat, das bisher immer in den SR-Kompendien der jeweiligen vorhergegangenen Versionen vorzufinden war. Man musste also früher ein extra Regelwerk kaufen, andernfalls war man gezwungen, das sogenannte Prioritätensystem zu benutzen, was stark einschränkend war, da man nur 4 bzw. 5 Werte vergeben konnte, um Startkapital, Rasse, Fertigkeiten, Attribute und Magie zu bestimmen. Daraus ergaben sich erst Punkte zum Verteilen.

Dies fällt nun komplett weg. Die Punkte werden direkt von Anfang an festgelegt und können direkt verteilt werden, was eine wesentlich flexiblere Generierung der Charaktere ermöglicht.

Die üblichen Modifikationen der Attribute, abhängig von der gewählten Rasse, bleiben bestehen, werden nun aber einfach als die jeweiligen Startwerte der Attribute angegeben anstatt als Bonusmodifikatoren.

Die Rassen sind geblieben wie bisher. Es gibt also Menschen, Elfen, Zwerge, Trolle und Orks, die man spielen kann, alle mit ihren Stärken und Schwächen.

Auch die Einteilung von Fertigkeiten bleibt wie gehabt. Es gibt Aktions- und Wissensfertigkeiten sowie Sprachen, wobei eine Aktionsfertigkeit ebenso der Umgang mit einer Pistole und das Heranschleichen an einen Gegner sein kann wie auch das Hacken in der Matrix oder der Umgang mit elektronischen Spielereien. Wissensfertigkeiten wiederum repräsentieren üblicherweise die theoretische Ergänzung zu den Aktionsfertigkeiten, können aber auch einfach Fähigkeiten widerspiegeln, die man durch ein Hobby erlernt hat. Damit es keine Überschneidungen gibt, sind die Aktionsfertigkeiten genauestens in einer Tabelle definiert. Die meisten Wissensfertigkeiten kann man sich hingegen selber ausdenken, sie sollen den Charakter vornehmlich lebendiger gestalten und somit sind sie im Detail eher den Spielern überlassen.

Auch die Freunde aller Spieler und Spielleiter sind nun endlich direkt im Grundbuch vorzufinden; immerhin hat es drei Editionen gedauert, aber nun gibt es Gaben und Handicaps direkt hier verzeichnet, anstatt in einem extra Quellenband. Auch die Möglichkeit, ein paar nette Boni herauszuschlagen oder den Charakter etwas lebendiger zu gestalten, ist gegeben. Beispielsweise, indem man sich gegen ein paar Punkte einen Feind zulegt oder auch eine Allergie, aber auch Charakterstärken und Schwächen wie Mut und Feigheit sind zu kaufen. Wer im Übrigen einen Magier oder einen Adepten spielen will, der wird nun einfach eine entsprechende Gabe auswählen können. Dies fügt sich nun auch logisch in das Konzept von Gaben und Handicaps ein, denn was ist die Fähigkeit Magie zu wirken anderes als eine spezielle Gabe.

_Und noch mehr Neuheiten_

Den wirklichen Schock für altgediente Spieler von Shadowrun wird wohl das Regelsystem an sich darstellen. Ist bei der Charaktererschaffung das vorherrschende Prinzip jenem, das wir aus den Kompendien kennen, doch sehr ähnlich, so reicht ein Blick auf das Charakterblatt, um diesen Eindruck des Altbekannten nahezu vollkommen zu vernichten.

Einige Attribute haben sich geändert, es gibt nun Logik und Intuition anstatt Intelligenz. Reaktion wird nicht mehr errechnet, sondern gilt als eigenständiges Attribut. Ansonsten bestehen die Attribute aus einer durchaus übliche Zusammenstellung von körperlichen (Konstitution, Geschick, Stärke und Reaktion) sowie eher geistigen (Willenskraft, Logik, Intuition, Charisma) Eigenschaften.

Ein Konzept, das mitunter wohl durch Shadowrun bereits von Anfang an in der Rollenspielwelt eingeführt wurde, ist uns erhalten geblieben, auch wenn der Name sich leicht verändert hat. Das Attribut „Edge“ stellt eine Fähigkeit dar, wie wir sie mittlerweile auch von Warhammer, einigen D20-Derivaten, Fading Suns usw. unter anderem Namen kennen. Doch bei Shadowrun nahm alles seinen Anfang. Damals noch Karma genannt, dienen die Würfel, die Edge zur Verfügung stellt, dazu, den Charakter besonders heldenhafte Aktionen durchführen zu lassen. Zusätzliche Erfolge oder zusätzliche Würfel können erworben werden, um Aktionen besonders spektakulär zu machen, beziehungsweise den Charakteren, die ja nun mal die Helden sein sollen, zu ermöglichen, immer aus der Menge herauszuragen. Edge stellt theoretisch ein Konzept dar, das es erlauben soll zu simulieren, dass das Schicksal den Spielern – in ihrer Rolle als Protagonisten der Story – immer etwas gewogener ist als den Antagonisten.

Um eine Fertigkeitsprobe abzulegen, wird grundsätzlich immer in der Kombination von einer Fertigkeit und dem zugehörigen, gerade für die Situation angemessenen Attribut gewürfelt. So würfelt ein Spieler zum Treffen des Gegners mit einer Pistole einfach sein Geschick + Fertigkeitswert von Pistolen und erhält somit einen nutzbaren Würfelpool. Auch dies ist also neu. In alten Versionen wurde nur die Fertigkeit oder das Attribut genommen, niemals aber beides.

Desweiteren fällt ein altes Problem unter den Tisch, was bisher oft zu hitzigen Diskussionen zwischen Spielern und Spielleiter führte. Von nun an ist die Schwierigkeit immer fest definiert. Jeder Würfel, der eine 5 oder 6 zeigt, ist ein Erfolg, man würfelt dabei mit den handelsüblichen und von Shadowrun seit jeher gewohnten sechsseitigen Würfeln. Die Schwierigkeit, eine Aktion durchzuführen, wird also nicht durch den üblichen Mindestwurf bestimmt, sondern durch die nötige Anzahl an zu erzielenden Erfolgen. So muss bei sehr einfachen Aktionen nur ein Würfel eine 5+ zeigen. Je schwieriger der Vorgang aber ist, umso mehr Würfel müssen Erfolge sein. Das Konzept sieht im Übrigen verdächtig nach dem neuen WoD-System von White Wolf aus. Allerdings: Bei der Masse an Rollenspielen und Büchern ist es eigentlich kein Wunder, dass sich irgendwann alles einmal ähnlich sieht.

Hat man erst einmal Rasse, Fertigkeiten, Attribute und den Rest festgelegt, bleibt vor allem nur noch eines: Man kann sich Ausrüstung zulegen. Für Nicht-Magier ergibt sich die Möglichkeit, das Fehlen jeglicher übernatürlicher Fähigkeiten mittels Cyberware, Bioware sowie Nanotechnologie zu kompensieren, ein Magier erhält dazu die Chance, sich seine Zauber zu erwählen, ein Adept seine besonderen magischen Kräfte.

Die Mischung aus eben dieser Ausrüstung und den Fertigkeiten macht den Unterschied in der Ausrichtung der einzelnen Charaktere aus. So wird ein Straßensamurai oder ein Söldner vollgepumpt sein mit Cyberware, die seine Reflexe, Körperkraft und Schadenstoleranz erhöht. Ein Hacker wird, je nach seiner Ausrichtung, eher Implantate besitzen, die seine Intelligenz erhöhen, seine Reflexe in der Matrix oder beim Eindringen in ein Fahrzeug bzw. Sicherheitssystem steigern und dergleichen. Adepten wiederum können durch ihre magischen Fertigkeiten zu Ninjas oder Kung-Fu-Kämpfern werden, wie man sie sonst nur aus recht übertriebenen Eastern kennt. Auf Magier muss ich wohl nicht näher eingehen, denn jeder Rollenspieler oder generell jeder Fantasy-Freund kann sich wohl die Fähigkeiten eines solchen „Zauberschleuderers“ vorstellen.

_Fazit_

Als Fazit lässt sich also festhalten, dass das Regelwerk gut strukturiert und sehr übersichtlich gestaltet ist. Besonders gut gefallen konnten hierbei die detaillierten Beschreibungen des Alltagsleben, die Zusammenfassung der Geschichte der Zukunft und die Beschreibung der Matrix. Das Regelsystem ist gewöhnungsbedürftig; ich kenne wie bereits erwähnt das neue WoD-System und war bereits von diesem nicht so wirklich überzeugt. Man mag dazu stehen, wie man will; offensichtlich unterliege ich einer Prägung der alten Schule, aus Zeiten, als man noch selber den Mindestwurf festlegte und durch eine vorbestimmte Mindest-Anzahl an Erfolgen eine zusätzliche Komplexität eingefordert wurde.

Für Neulinge mag das Grundbuch ausreichend sein, um sich in Shadowrun einzufinden, doch diejenigen, die mit dem Spiel bereits länger vertraut sind, werden wahrscheinlich, so wie ich, einen bitteren Beigeschmack verspüren, wenn sie den Umfang des Buchs betrachten. Niemand kann natürlich mehr verlangen als 350 Seiten, die das Regelbuch ausmachen, doch irgendwie schleicht sich eine unterschwellige Frustration ein. Allerdings sind aus vielen der alten Quellenbücher aus der vorherigen Version 3.0 zusätzliche Gedanken eingeflossen, die der Ausführlichkeit diverser Themen dienlich sind; so werden im Kapitel „Magie“ Initiaten besprochen, in der Ausrüstung finden wir auch Bioware vor und unter Fahrzeuge und Matrix sind viele zusätzliche Materialien zu verzeichnen, die wir normalerweise nur in Zusatzbüchern finden. Es fällt hierbei aber auf, dass alles sehr knapp bemessen und vor allem unvollständig ist. Das Schlimmste ist hierbei aber der Systemwechsel. War es bisher immer möglich, alte Materialien zu nutzen und schnell zu konvertieren, wird man hier wohl längere Zeit warten müssen, bis man die nötigen neuen Regelwerke hat, da die Version 3 zu Version 4 inkompatibel ist. Für diejenigen, die schon länger Shadowrun spielen und wissen, was alles möglich ist und was man alles noch z. B. mit Magie erreichen kann, ist das wohl enttäuschend. Cyberware kann man natürlich provisorisch konvertieren, doch auch hier sieht man schnell, dass diverse Kleinigkeiten, angefangen von den Kosten, sich stark geändert haben. So kostet ein neuer Arm nur noch ein Zehntel von dem, was einmal üblich war.

Jedoch alleine für sich betrachtet, ist dies ein Werk, das man durchaus würdigen muss. Übersichtlich und mit genügend Details angefüllt, um ein paar erste Spiele wagen zu können, ist es auf jeden Fall. Und die neue Matrix und die Regeln für die Augmented Reality machen schon alleine Lust darauf, einmal eine Runde Shadowrun 4 zu wagen. Die Phantasie wird definitiv beflügelt.

http://www.fanpro.com

[Shadowrun 4.01D Erata]http://www.fanpro.com/sr/material/Shadowrun4__01D__Errata1__0.pdf
[Shadowrun 4.01D Konvertierungsregeln]http://www.fanpro.com/sr/material/SR4__Charakterkonvertierung.pdf
(Beides wird den neuen Auslieferungen ausgedruckt beigelegt.)

Clark, Mary Higgins – Mein ist die Stunde der Nacht

Dr. Jean Sheridan, eine erfolgreiche Historikerin Ende dreißig, kehrt zu ihrem zwanzigjährigen Abschlussjubiläum an der Stonecroft Academy in ihre Heimatstadt zurück. Bei einem groß angelegten Klassentreffen soll sie mit sechs anderen Absolventen für herausragende berufliche Leistungen geehrt werden. Doch das Treffen wird überschattet: Fünf ihrer Schulfreundinnen sind in den letzten Jahren ums Leben gekommen. Für Jean birgt das Treffen noch weitere düstere Erinnerungen: Kurz vor ihrem Abschluss starb ihr damaliger Freund bei einem Autounfall, Jean trug das gemeinsame Kind in aller Heimlichkeit aus und gab es zur Adoption frei. Auch heute noch trauert sie ihrer Tochter, die sie bei sich „Lily“ nennt, und ihrer verlorenen Liebe hinterher. Umso erschreckender sind die Faxmeldungen, die Jean in letzter Zeit erhält. Alle enthalten Drohungen gegen ihre Adoptivtochter. Jean hofft, dass es sich bloß um einen bösen Scherz handelt und versucht, sich auf dem Treffen abzulenken.

Sie ahnt nicht, dass die Todesfälle kein Zufall waren. Einer ihrer ehemaligen Mitschüler ist ein skrupelloser Mörder, der sich nach und nach an allen rächt, die ihn seinerzeit zurückgewiesen haben. Er nennt sich „die Eule“, nach seinem Spitznamen aus der Kindheit. Wie ein Raubvogel schlüpft er nachts in die Rolle des Jägers und überwältigt seine Opfer. Jean Sheridan, ihre Adoptivtochter und Jeans Freundin Laura sind die Letzten auf seiner Liste, an denen er seine Rache vollziehen will. Als Laura schließlich spurlos verschwindet, ahnt Jean, dass einer der ehemaligen Klassenkameraden dahinter steckt und die anderen Frauen ermordet wurden. Aber wer ist der Täter? Im Verdacht stehen vor allem der zynische Bühnenautor Carter Stewart, der schadenfrohe Komiker Robby Brent, der TV-Psychologe Mark Fleischerman, der unterkühlte TV-Manager Gordon Amory und der skrupellose Geschäftsmann Jack Emerson.

Verzweifelt versucht Jean, den Täter zu entlarven, bevor er sein Werk vollendet. Ihr zur Seite stehen Detective Deegan, ein älterer Polizeibeamter, sowie der vorwitzige Schülerzeitungsreporter Jake Perkins. Die Zeit drängt, denn es schwebt nicht nur Laura, sondern auch Jeans Tochter in höchster Gefahr …

*

Wen weder Titel noch Autorin reizen, der wird spätestens durch das Cover auf das Buch aufmerksam: Eine wunderschöne schneeweiße Eule in Großaufnahme, so dass nur mehr ihr Schnabel und ihr linkes Auge zu sehen sind, zieht den Betrachter in den Bann. Der Blick auf den Klappentext ist dann nur noch reine Formalität, denn der Name Mary Higgins Clark steht gewöhnlich für solide, wenn auch nicht außergewöhnliche Thrillerkost. Es sind auch hier wieder einmal bewährte Zutaten, auf die die Autorin zurückgreift und die sie in einen unterhaltsamen, allerdings nicht mehr als durchschnittlichen Roman umsetzt.

|Identifizierung durch Sympathiefiguren|

Wie so oft dreht sich die Handlung um eine junge, sympathische Frau, die ohne eigenes Verschulden in eine gefährliche Lage gerät. Auch Jean Sheridan hebt sich nicht weiter von dem Strickmuster anderer Higgins-Clark-Heldinnen ab. Die Protagonistin macht es dem Leser leicht, sich mit ihr zu identifizieren. Jean ist erfolgreich und ehrgeizig, dabei aber frei von Arroganz, sondern angenehm bodenständig. Obwohl zwanzig Jahre ins Land gegangen sind, trauert sie immer noch um ihre verstorbene Jugendliebe Reed, und die zur Adoption freigegebenen Tochter, die sie bei sich zärtlich „Lily“ nennt. Voller Zärtlichkeit denkt sie an ihre unbekannte Tochter, von der sie nicht einmal weiß, welchen Namen ihr ihre neuen Eltern gegeben haben. Der Roman ist somit nicht nur Thriller, sondern enthält auch einige melodramatische Komponenten und es kommt zumindest so viel Mitgefühl für die Hauptfigur auf, dass man ihr eine versöhnliche Begegnung mit ihrer verlorenen Tochter wünscht.

Die zweite Sympathiefigur ist der väterliche Detective Sam Deegan, zu dem Jean sofort Vertrauen fasst. Deegan ist mehr als ein unermüdlicher Ermittler; er steckt auch darüberhinaus viel persönliches Interesse in die mysteriöse Mordserie; nicht zuletzt deshalb, weil die Todesfälle offenbar in Zusammenhang mit einem ungeklärten Mord stehen, der ihm seit zwanzig Jahren keine Ruhe lässt …

Für Humor sorgt vor allem der junge Schülerzeitungsreporter Jake Perkins, der in seinen hartnäckigen Rechermethoden seinen älteren Kollegen in nichts nachsteht. Mit viel Witz und Genuss durchschaut er die arroganten Teilnehmer des Klassentreffens und bringt mit seinen forschen Fragen so manchen Interviewparter in Verlegenheit. Übertrieben wird dieses freche Auftreten nur am Schluss, als sich Jake selbst angesichts eines Wettlaufs auf Leben und Tod noch detailliert in seinen brisanten Informationen ergehen will.

|Jeder kann die Eule sein|

Um die Spannung zu erhöhen, greift Mary Higgins Clark tief in die Trickkiste: In fast jedem zweiten Kapitel wechselt der personale Erzähler von der Protagonistin Jean Sheridan zum Mörder hinüber, allerdings ohne dabei seine Identität preiszugeben. Der Killer ist nur „die Eule“, sein richtiger Name fällt nie. Dem Leser ist es kaum möglich, den Täter hinter diesem Decknamen vorzeitig zu erraten. Jeder aus dem engeren Kreis ist aus diversen Gründen gleich verdächtig. Weder der Leser noch Jean Sheridan können mit Gewissheit sagen, wem von ihnen zu trauen ist. Die Hinweise auf die Täterschaft sind dünn gesät und so allgemein gehalten, dass sie auf jeden Verdächtigen zutreffen könnten. Nahezu alle von ihnen haben sich im Erwachsenenleben um 180 Grad gewandelt, haben eine schwere Kindheit hinter sich und machen sich durch gewisse Bemerkungen oder Handlungen verdächtig. Leichte Gruselmomente kommen auf, wenn der Mörder sich seine Eulenmaske überzieht und jenen Spruch aufsagt, der ihm damals nach einer Theatervorstellung zu seinem Spitznamen verhalf: „Ich bin die Eule und ich lebe in einem Baum …“

Leider steckt in diesem Punkt auch ein erhebliches Manko des Buches: Die Autorin ist so sehr darauf bedacht, den Leser aufs Glatteis zu führen und den Täter geheim zu halten, dass sie zu betrügerischen Mitteln greift und es mit der Informationsverweigerung auf die Spitze treibt. Selbst als die entführte Laura ihren Peiniger erkennt und der Leser Einblick in ihre Gedanken bekommt, fällt nicht sein wahrer Name; selbst hier, bei sich, nennt ihn Laura nur „die Eule“. Und wenn sie denn mal trotz seines Verbots seinen wahren Namen ausspricht, so erfährt der Leser natürlich nur, dass sie „immer wieder seinen Namen flüsterte“. Das Bemühen der Autorin um Spannung in allen Ehren, aber dass selbst sein Opfer seinen Namen nicht in Gedanken nennt, lässt die Handlung an diesen Stellen zu unrealistisch und konstruiert erscheinen.

Konstruiert sind auch die zahlreichen Scheinbar-Hinweise und falschen Fährten, die allzu offensichtlich dazu dienen, jeden der Verdächtigen mal kurz ins Licht zu rücken. Im Laufe der Handlung fällt bei jedem von ihnen mindestens ein Satz oder ein Gedanke, der ihn mit dem Täter in Verbindung bringt, meist als Cliffhanger formuliert, um dem Leser besonders nachhaltig im Gedächtnis zu bleiben. Gerade diese Ausgewogenheit der Verdachtsmomente sorgt dafür, dass die Auflösung, wer sich tatsächlich hinter der „Eule“ verbirgt, längst nicht so spektakulär ist wie die eigentliche Mörderjagd selbst. Keiner der in Frage Kommenden drängt sich dem Leser als Täter-Kandidat auf. Allenfalls einen von ihnen wünscht man sich nicht als Mörder, beim Rest spielt es keine große Rolle, ob er sich als Schuldiger entpuppt oder nicht. Zwar ergibt seine Identität letztlich Sinn, alle offenen Fragen werden zufrieden stellend geklärt, aber es fehlt ein letztes Aha-Erlebnis, eine finale Wendung oder Überraschung als abschließende Krönung.

|Leichtverdauliche Thrillerkost|

Unterm Strich bietet der Roman einem versierten Thrillerleser nichts Neues, verlässt sich auf vertraute Strickmuster von netten Charakteren bis hin zum versöhnlichen, beinah schon kitschigen Ende, ohne dabei nachhaltig im Gedächtnis zu bleiben oder gar für echte Überraschungen zu sorgen. Durch den einfachen, glatten Schreibstil und die geradlinige Handlung ohne größere Abschweifungen lässt sich der Roman in wenigen Tagen verschlingen. Da er keine hohen Anforderungen stellt, ist er sowohl für Gelegenheitsleser als auch als Urlaubslektüre ideal geeignet.

_Fazit:_

Ein unterhaltsamer Thriller mit sympathischer Protagonistin, der bis zum Schluss die Spannung und die Frage nach dem Mörder bewahrt. Leichte Abzüge gibt es für die konstruierte Handlung und das konventionelle Strickmuster, das insbesondere an viele weitere Romane der Autorin erinnert. Als leichte Unterhaltung ein lesenswerter Roman, für versierte Thrillerfans jedoch insgesamt zu unspektakulär, um weiter im Gedächtnis zu bleiben.

John Sinclair – Im Nachtclub der Vampire (Folge 1)

_Die Stimmen_

John Sinclair – Frank Glaubrecht (Pierce Brosnan; Kevin Costner; Jeremy Irons; Al Pacino; Christopher Walken …)
Erzähler – Joachim Kerzel (Jack Nicholson; Dustin Hoffman; Harvey Keitel; Anthony Hopkins)
Sir Powell – Karl-Heinz Tafel
Ansage – Fred Bogner
Marcos Tumb – Henning Bornemann
Fahrer – Thomas Friebe
Marina Held – Silke Haupt
Doktor – Jörg Kernbach
Lara – Friedericke Klebert
Gäste – Koma-Leute
Mona – Sibylle Kuhne
Zuhälter – Klaus Nierhoff
Ted Willard – Stephan Runge
Flugzeug-Durchsage – Monika Rydell+
Clara Sanders – Eva Spott

_Story_

Nach einem Kurzaufenthalt in Deutschland befindet sich der berüchtigte Geisterjäger John Sinclair wieder auf dem Heimweg nach England. Im Flugzeug lernt Sinclair die junge Marine Held kennen, die einen längeren Aufenthalt in London plant und sich beim Smalltalk mit John anfreundet. Nach der gemeinsamen Reise verabschieden sich die beiden voneinander und können noch gar nicht ahnen, dass sie sich eines Tages – und vor allem sehr bald – wiedersehen werden.

Marinas erste Nacht in London ist nämlich alles andere als angenehm. Nach ersten Streifzügen durch das Nachtleben der Metropole ist sie plötzlich auf der Flucht vor einem ziemlich aufdringlichen Zuhälter, der sich an ihr vergreifen will. Schließlich landet sie in einer Seitengasse des Stadtviertels Soho und rettet sich in eine ziemlich obskure Bar. Dort wird sie Zeugin einer grausamen Begebenheit: Drei junge Damen, die von oben bis unten mit Blut beschmiert sind, machen sich über eine Leiche her und lassen diese anschließend verschwinden. Marina ist geschockt und kann gerade noch aus dem Laden verschwinden, als die Vampirinnen sie entdecken. Doch die Dienerinnen der anderen Seite lassen nicht mehr von der jungen Deutschen ab, suchen ihre Wohnung auf, fallen ihre Gastwirtin an und entführen Marina schließlich. In einem weiteren Ritual wollen sie ihrem Herren ein Blutopfer bringen, und Marina scheint für diese Zeremonie genau die richtige Person zu sein …

Währenddessen bekommt Sinclair den Auftrag, sich um einen Fall zu kümmern, bei dem es um gestohlene Blutkonserven geht. Man vermutet einen Akt des Vampirismus hinter dem Verschwinden der wertvollen Behälter, und als Sinclair die völlig desorientierte Marina am Tag nach ihrer Bekanntschaft mit Sohos Nachtleben auffindet, hegt er auch keinen Zweifel mehr daran, dass wie befürchtet finstere Mächte aktiv geworden sind. Als er dann mehr über die Geschehnisse der vergangenen Nacht in Erfahrung bringen möchte, findet der Geisterjäger allerdings nur noch eine vampirisierte alte Dame vor, die er als die Gastwirtin von Marina identifiziert. Von der Deutschen gibt es indes weit und breit keine Spur. Jetzt wird es eng für den Bediensteten von Scotland Yard: Bis Mitternacht hat er noch Zeit, um seine neue Bekanntschaft ausfindig zu machen, ansonsten droht der netten Lady alsbald ein blutiges Ende …

_Meine Meinung_

Nach dem sehr vielversprechenden, eigentlich ersten Teil [„Der Anfang“ 1818 erwartet man als Neueinsteiger natürlich so einiges von den weiteren Episoden um den Detektiv und Geisterjäger in Personalunion. Und man wird im Falle von „Im Nachtclub der Vampire“ absolut nicht enttäuscht. Die Geschichte hat alles, was man von einem guten, spannungsgeladenen Hörspiel im Grusel-Genre erwartet: tolle Charaktere, fiese und grausame Bösewichte, einen rundum spannenden Handlungsstrang, sehr schön inszenierte Effekte und eine atemberaubende Atmosphäre, die der Geschichte in dieser Form geradezu auf den Leib geschneidert ist. Alleine der Einstieg mit den ersten Szenen im Vampirclub lohnt schon die Anschaffung dieser Episode. Die Art und Weise, wie hier das dämonische Ritual der drei Vampirladys beschrieben wird, gerantiert für Gänsehaut, die auch bei der späteren Verfolgungsjagd nicht abschwellen will.

Ebenso gut gefällt das Auftreten des Geisterjägers. Ich bin nicht chronologisch vorgegangen und habe mir zuerst die [zweite, 2048 dann erst die erste Folge angehört, und die dort aufgefallenen Mängel, wie die übertriebene Coolness des Hauptakteurs bzw. das Verschieben der Prioritäten zu Ungunsten der Spannung, kann ich hier nicht feststellen. Im Gegenteil: Ich bin hellauf begeistert von der Darstellung des John Sinclair. Hier nervt er nicht mit überzogen lässigen Sprüchen, sondern fokussiert seine Dialoge ausschließlich auf die eigentliche Handlung. Diese wiederum kann davon merklich profitieren, was sich einerseits beim fast schon perfekten Erzähltempo, andererseits aber auch in der Wortwahl der Synchonsprecher bemerkbar macht. Es passt einfach, anders kann man das gar nicht sagen.

Unterlegt wird dieser äußerst positive Eindruck von den unterschiedlichen Soundeffekten, die ebenfalls zur düster-romantischen Atmosphäre des Hörspiels beitragen und die hohen Ansprüche, die man an eine solche Veröffentlichung stellt, voll und ganz erfüllen.

Was wäre aber eine gute Handlung ohne dementsprechende Erzähl- und Synchronstimmen? Doch auch da lässt die Geschichte nichts anbrennen. Frank Glaubrecht als John Sinclair ist betont cool, aber eben nicht zu cool, Friedericke Klebert als eine der Vampirdamen hat tatsächlich irgendetwas Dämonisches in ihrer Stimme und Silke Haupt in der Rolle der Marina spielt ihren Part auch sehr überzeugend und mit angemessener Theatralik. Den größtenteils bekannten Sprechern ist daher auch ganz klar eine reife Leistung zu attestieren, die aber auch derart zu erwarten war.

Daher kann ich mich am Ende auch ziemlich kurz fassen: „Im Nachtclub der Vampire“ aus der Edition 2000 der „John Sinclair“-Reihe ist ein rundum starkes und absolut hörenswertes Hörspiel, das auch bei mehrmaliger Verwendung keine Abnutzungserscheinungen hinterlässt. Besser hätte man diese Serie gar nicht fortsetzen können!

http://www.sinclairhoerspiele.de/

_|Geisterjäger John Sinclair| auf |Buchwurm.info|:_

[„Der Anfang“ 1818 (Die Nacht des Hexers: SE01)
[„Der Pfähler“ 2019 (SE02)
[„John Sinclair – Die Comedy“ 3564
[„Im Nachtclub der Vampire“ 2078 (Folge 1)
[„Die Totenkopf-Insel“ 2048 (Folge 2)
[„Achterbahn ins Jenseits“ 2155 (Folge 3)
[„Damona, Dienerin des Satans“ 2460 (Folge 4)
[„Der Mörder mit dem Januskopf“ 2471 (Folge 5)
[„Schach mit dem Dämon“ 2534 (Folge 6)
[„Die Eisvampire“ 2108 (Folge 33)
[„Mr. Mondos Monster“ 2154 (Folge 34, Teil 1)
[„Königin der Wölfe“ 2953 (Folge 35, Teil 2)
[„Der Todesnebel“ 2858 (Folge 36)
[„Dr. Tods Horror-Insel“ 4000 (Folge 37)
[„Im Land des Vampirs“ 4021 (Folge 38)
[„Schreie in der Horror-Gruft“ 4435 (Folge 39)
[„Mein Todesurteil“ 4455 (Folge 40)
[„Die Schöne aus dem Totenreich“ 4516 (Folge 41)
[„Blutiger Halloween“ 4478 (Folge 42)
[„Ich flog in die Todeswolke“ 5008 (Folge 43)
[„Das Elixier des Teufels“ 5092 (Folge 44)
[„Die Teufelsuhr“ 5187 (Folge 45)
[„Myxins Entführung“ 5234 (Folge 46)
[„Die Rückkehr des schwarzen Tods“ 3473 (Buch)

Alexander, Alan / Blackwell, Kraig / Feldstein, Travis-Jason / Hindmarch, Will / Klünder, Jacob ua – Lancea Sancta

|Als die Soldaten sahen, daß Christus tot war,
brachen sie ihm nicht die Beine.

Einer der Soldaten jedoch stach ihm einen Speer in die Seite,
und Blut und Wasser quollen hervor.

Ein Tropfen des Blutes Christi fiel auf des
Soldaten Lippen,
und er wischte es weg mit seiner Hand.

Doch am nächsten Tag verschlief er den Sonnenaufgang und erwachte erst bei Anbruch der Nacht aus seinem Schlummer.
Und nachdem er Christi Blut gekostet hatte,
Dürstete ihn nach mehr.

Ich weiß es.
Ich weiß es, weil ich jener Soldat bin.|

(aus dem „Testament des Longinus“ und aus der „Lancea Sancta“)

_Allgemein_

Die „Lancea Sancta“ ist zusammen mit dem „Zirkel der Mutter“ und dem „Ordo Dracul“ einer der mysteriösesten Bünde der vampirischen Gesellschaft in „Vampire: Requiem“. Dieser Bund wird im gleichnamigen Quellenband vorgestellt.

Doch glaubt der „Ordo Dracul“ von Vlad Tepes/Dracula abzustammen, beziehen sich die so genannten Heiligen auf Longinus. Für alle, die sich nicht so gut mit christlicher Mythologie auskennen: Longinus soll der römische Zenturio gewesen sein, der Jesus mit dem Speer des Schicksals in die Seite stach und ihn so tötete (siehe oben). Darauf soll er dann von Gott zu einem Leben als Vampir verfluch worden sein.

Seine Aufgabe ist, die Menschen zu quälen und sie so daran zu erinnern, welche Strafe Gottes es war, dass sie das Paradies verlassen mussten. Doch dies solle er unauffällig tun, um die Angst der Menschen zu schüren.

Seine Lehren schrieb er im Testament des Longinus nieder, auf das sich die „Lancea Sancta“ beruft. Die höchste, aber leider auch verschollene Reliquie ist jener sagenumwobene Speer der Schicksals, von dem der Bund auch seinen Namen hat („Lancea Sancta“: lat. heiliger Speer/Lanze).

_Inhalt_

Nach einem, auch gestaltungstechnisch, sehr ansprechenden Prolog und einer Einleitung beginnt das eigentliche Quellenbuch mit einer Zusammenfassung der Geschichte der „Lancea Sancta“. Mag sie zu Beginn, bei dem Teil, der Longinus direkt betrifft, noch interessant sein, wird sie doch gegen Ende ziemlich zähflüssig. Zwar sind die Fakten aus der Vergangenheit des Bundes durchaus wissenswert, was allerdings nichts daran ändert, dass dieser Teil ausnehmend langweilig ist.

Doch zum Glück wird es schon beim nächsten Kapitel deutlich interessanter, denn dieser widmet sich dem „Unleben in der Lancea Sancta“ in all seinen Facetten. Die Dogmen werden hier genauso erläutert wie die verschiedenen Konfessionen, Untersekten, Titel und Ämter, die Rolle der verschiedenen Clans in der „Lancea Sancta“ und natürlich auch die verschiedenen Riten und Feste des Bundes. Man also getrost sagen, dass dieser Teil den Mittelpunkt des Quellenbandes darstellt.

In Kapitel drei wird dann auf die heutigen und alltäglichen Machenschaften der „Lancea Sancta“ eingegangen, sprich die Rekrutierung oder Bekehrung von Vampiren, egal ob jung oder alt, und deren anschließende Rolle im Bund. Auch das Verhältnis von Neugeborenen zu Ancillae oder Ahnen wird gründlich beschrieben. Der interessanteste Teil in diesem Kapitel dürfte aber zweifellos die Beziehung der „Lancea Sancta“ zu den anderen Bünden, den Werwölfen und den Magi, sein. Und ob ihr es glaubt oder nicht, es kommt sogar gelegentlich zu Zusammenarbeiten der „Lancea Sancta“ mit dem ketzerischen „Zirkel der Mutter“ …

Desweiteren werden auch wieder drei Blutlinien vorgestellt sowie einige Fraktionen und deren politische und religiöse Ziele. Natürlich folgen auch noch die besonderen Disziplinen dieser Blutlinien sowie die gewohnten Beispielcharaktere und Antagonisten.

_Mein Eindruck_

Als ich „Vampire: Requiem“ das erste Mal durchlas, erschien mir die „Lancea Sancta“ wenig reizvoll. Ich meine, was soll mich daran reizen, einen religiös verblendeten Vampir zu spielen, wo ich doch jeden Tag im Fernsehen genug bescheuerte religiös verblendete Mensche und deren Taten sehe!

Doch muss ich hier meinen ersten Eindruck revidieren. Zum einen ist die Mythologie äußerst ansprechend dargestellt und zum anderen wird in diesem Quellenband deutlich, dass ein großer Teil der „Lancea Sancta“ nicht radikal ist. Aufgrund der Konfessionen, Fraktionen und Sekten gestalten sich die Heiligen durchaus vielfältig und abwechslungsreich. Den Stereotypen wird deutlich vorgebeugt.

Nicht jedes Mitglied der „Lancea Sancta“ ist gleich ein Priester oder Ähnliches. Meistens reicht es, wenn ein Vampir sich zum Glauben bekennt und einmal in der Woche zur Mitternachtsmesse erscheint.
Auch die Auslegung der Traditionen in Bezug auf das „Testament des Longinus“ ist sehr stimmig und athmosphärisch gelungen.

Also ist der Grundrahmen für ein stimmungsvolles Rollenspiel innerhalb der „Lancea Sancta“ durchaus gegeben. Was der einzelne Spielleiter dann daraus macht ist, wie immer, Privatvergnügen.

Die Aufmachung ist wieder äußerst vorbildlich. Das Hardcover ist – mit einem Vampir mit einem blutigen Kreuz auf der Brust – ebenso stylisch wie robust.
Der Prolog von Greg Stolze ist mit seinem mittelalter-frühneuzeitlichen „Outfit“ ein echter Augenschmaus und auch durchaus lesenswert.

_Fazit_

Ich habe durchaus schon spannendere Quellenbände gelesen. Doch ist die „Lancea Sancta“ ein durchweg ordentlicher und für diejenigen, die in diesem Bund spielen oder spielleiten wollen, fast unverzichtbarer Quellenband, denn die Informationen in „Vampire: Requiem“ über die „Lancea Sancta“ reichen unmöglich aus, um diesen Bund auch nur annähernd adäquat darzustellen.

|Weiterführende Rezensionen bei Buchwurm.info:|

[Die Welt der Dunkelheit – Grundregelwerk 1607
[Vampire: Requiem 1701
[Riten des Drachen 1728
[Werwolf: Paria 1970

Die drei ??? – Geister-Canyon (Band 124)

Im Gegensatz zur Hörspielserie, die bis mindestens Anfang 2006 mit der Umsetzung neuer Geschichten ruht (Wir erinnern uns: Die Hitchcock-Lizenz lief Februar 2005 nach 25 Jahren aus, was bei EUROPA zum kompletten Überdenken der Marketingstrategie Anlass gab), gehen die Veröffentlichungen auf dem Buchsektor mit beinahe unverminderter Geschwindigkeit weiter. Erst jetzt im Dezember ereilte die Lesegemeinde unlängst das „Survival-Buch“  mit Outdoor-Tipps und Tricks für angehende Junior-Detektive. Die junge Seitenlinie ???-KIDS erreichte im November auch ihren 25. Band und feierte ein kleines Jubiläum.

Die drei ??? – Geister-Canyon (Band 124) weiterlesen

Sinkel, Bernhard – dritte Sumpf, Der

_Der Autor_

Bernhard Sinkel wurde am 19. Januar 1940 in Frankfurt am Main geboren. Erstes und Zweites Juristisches Staatsexamen. Von 1970 bis 1972 Leiter des Archivs und der Dokumentation des Magazins |Der Spiegel|.

Seit 1974 Arbeiten als Produzent, Drehbuchautor und Regisseur u. a. von „Lina Braake“ (1974), „Berlinger“ (1975), „Deutschland im Herbst“ (1978) und „Der Kinoerzähler“ (1992), für die er mit zahlreichen internationalen Filmpreisen ausgezeichnet wurde.

_Story_

Raoul Levkowitz ist der CIA noch immer ein Dorn im Auge. Wegen einer geheimen Dopingakte, mit der er einigen in den USA ansässigen Doppelagenten an die Wäsche hätte gehen können, ist CIA-Agent Gallagher ihm schon länger auf der Spur. Ein weiterer Grund für das Interesse des Geheimdienstes: Weil Levkowitz die Dokumente nicht herausgerückt hat und die Geschichte mittlerweile größere Kreise gezogen hat, wurde außerdem das Zeugenschutzprogramm des CIA merklich gefährdet.

Natürlich ist Gallagher auch weiterhin hinter den Daten her und bittet Levkowitz um Vernunft. Deswegen fordert er ihn auch zur Zusammenarbeit auf, die der Berliner Ex-Stasi-Spitzel, dessen besonderes Merkmal ein fotografisches Gedächtnis ist, aber kategorisch ablehnt. Noch dramatischer wird die Situation für die Ermittler, als bekannt wird, dass Levkowitz seit frühester Kindheit mit dem jemenitischen Terroristen Ahmed bin Salim al-Amir befreundet ist, den die USA dringend zur Strecke bringen möchten. Raoul jedoch hält nicht viel von den Machenschaften der verschiedenen Geheimbünde, die ihm ob dieser Bekanntschaft fortan auf den Fersen sind und verweigert jegliche Kooperation.

Die CIA sieht sich dazu gezwungen, andere Mittel zu bemühen, und erpresst Levkowitz, der kurz davor steht einzulenken. Dann jedoch ergibt sich für seine Freundin Dorothy Jensen die Gelegenheit, ein Archäologenteam in die Wüste des Jemen zu fliegen. Auch Raoul soll mit an Bord gehen, wird aber kurz vorher krank und muss passen. Als Dorothys Flugzeug allerdings in der Wüste abstürzt, begibt er sich ebenfalls in den Jemen und sucht verzweifelt seine verschollene Freundin. Levkowitz weiß jedoch nicht, dass die CIA eine erneute Verschwörung gestartet hat, bei der Raoul sie geradewegs zum Terroristenführer al-Amir führen soll …

_Meine Meinung:_

In „Der dritte Sumpf“ setzt Bernhard Sinkel die im letzten Thriller „Bluff“ gestartete Geschichte um seinen Hauptcharakter Raoul Levkowitz fort. Auch in seinem neuesten Werk bezieht sich der Autor dabei auf die Stasi-Vergangenheit seines Schützlings bzw. deren Bedeutung für das Jetzt, wobei die Folgen seiner ehemaligen Bekanntschaften dieses Mal weitaus verheerender sind.

Sinkel lehnt sich dabei sehr weit aus dem Fenster und schießt indirekt besonders gegen die CIA, die mit ihren verschwörerischen Machenschaften selbst vor den grausamsten Erpressungsmethoden nicht zurückschreckt. Lag sein Schwerpunkt im ersten Band noch auf den Zusammenhängen hinsichtlich des CIA-Einflusses in der DDR, spannt er nun das Netz bis hin zur US-amerikanischen Anti-Terrorpolitik im Nahen Osten und hat sich hierfür exemplarisch den Jemen als Zielort herausgesucht. Nun, gut: Dass ausgerechnet dieser Levkowitz auch Kontakte in den arabischen Staat haben soll, ist im Gesamtkontext sicherlich etwas weit hergeholt, aber über so etwas sollte man erst gar nicht nachdenken. Stattdessen sollte man einfach genießen, wie Sinkel mit sehr einfachen Mitteln eine ziemlich komplex arrangierte Story aufbaut, die bis ins letzte Detail fein ausgeklügelt ist und trotz ihrer fiktiven Entwicklung sehr realistisch wirkt. Der Autor bezieht sich sehr stark auf ein mittlerweile alltäglich gewordenes, sehr brisantes Thema und bettet dieses in einen sehr spannenden Thriller ein, der einerseits ziemlich brutal (auf mentaler Ebene), andererseits dadurch aber auch nur authentischer wird.

Natürlich bleiben die politische Meinung und die deutliche Kritik an den Institutionen der Vereinigten Staaten seitens Sinkel nicht außen vor, aber wären diese nicht enthalten, könnte er die Erzählung sicherlich auch nicht mit einer derartigen Überzeugungskraft ausfüllen, wie es schlussendlich der Fall ist. Diese Entschlossenheit zeigt sich letztendlich auch im enorm flotten Erzähltempo: Sinkel lässt kaum Zeit verstreichen, um die Handlung einzuleiten; dazu reicht schon ein minimaler Prolog mit den Ereignissen aus dem vorangegangenen Buch. Danach startet der Autor direkt mitten im Geschehen und kommt auch während der Entwicklung des Plots immer sehr zügig auf den Punkt, was sicherlich ein weiteres Indiz für die recht nervenaufreibende Atmosphäre der Handlung ist.

Gut 250 Seiten reichen schließlich aus, um einen ziemlich gewagten und gerade deshalb auch äußerst lesenswerten Polit-Thriller zu kreieren, der trotz sprachlicher Schlichtheit durchgängig zu fesseln weiß. Für Freunde solcher Materie ist „Der dritte Sumpf“ aus diesem Grund auch nur empfehlenswert – speziell für Leute, die eine Antipathie gegen die Bush-Regierung und ihre zahlreichen Nebenarme haben. Für diese Zielgruppe lohnt sich dann aber auch das komplette, mit „Bluff“ beginnende Paket, auf dem Teile der Handlung aufbauen.

Erik Larson – Isaacs Sturm

Die Zuversicht allumfassenden Wissens

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts scheint der Mensch erstmals und endlich in der Lage zu sein, die Welt zu verstehen und nach seinem Willen zu formen. Details machen ihm noch zu schaffen, aber auch das wird sich binnen kurzer Zeit gewiss ändern. Der berechtigte Stolz darauf, was Technik und Wissenschaft in den geschaffen haben, geht freilich leicht in Hybris über. Diese Lektion muss die aufstrebende Weltmacht USA im Sommer des Jahres 1900 auf grausame Weise lernen.

Vielleicht ist gesunder Menschenverstand zu viel verlangt für ein nationalstolzes Land, das sowohl energisch als auch erfolgreich daran arbeitet, politisch und militärisch seine Konkurrenten auszuschalten. Gerade erst haben die Vereinigten Staaten einen Krieg mit Spanien vom Zaun gebrochen, mit geradezu spielerischer Leichtigkeit gewonnen und die karibische Kolonie Kuba in ihren Besitz genommen.

Isaac Cline ist der perfekte Repräsentant der neuen Zeit. Der junge Mann stammt aus relativ einfachen Verhältnissen, doch mit seinem messerscharfen Verstand, seiner nie versiegenden Energie und seinem unerhörten Arbeitseifer gelingt ihm die Realisierung des „Amerikanischen Traums“, der ihn binnen weniger Jahre zu Reichtum, Anerkennung und gesellschaftlichem Aufstieg führt. Clines Interesse gilt dem Wetter und vor allem der Möglichkeit, es vorauszusagen. Um 1900 beginnt sich die Meteorologie von einer Schwarzen Kunst in eine Wissenschaft zu verwandeln und in ein Politikum: Unter der Flagge der Vereinigten Staaten fährt um die Jahrhundertwende eine der mächtigsten Flotten der Welt.

Wissen ist tatsächlich Macht

Die größte Gefahr droht diesen Schiffen nicht von ihren Feinden, sondern von unvorhergesehenen Stürmen auf hoher See. Besonders in der Karibik, dem gerade gewonnenen Vorhof der jungen Großmacht, gehen auf diese Weise jährlich zahlreiche Schiffe und ihre Besatzungen buchstäblich zugrunde. Die besonderen Wetterverhältnisse führen über dem Golf von Mexiko in jedem Sommer zur Entstehung von Hurrikans, gewaltigen tropischen Wirbelstürme, die von ihrer Wiege, dem afrikanischen Kontinent, über den Atlantik kommend, entlang der Küstenlinie des nördlichen Südamerikas und Mittelamerikas eine Kurve nach Nordosten über die USA schlagen und dabei alles verwüsten, was ihren Weg kreuzt.

Zu den besonders gefährdeten Bundesstaaten gehört Texas, das dem Europäer eher durch Prärien und kleine Städte des Wilden Westens präsent ist, tatsächlich jedoch über eine lange Küste zum Golf von Mexiko verfügt. Hier liegen die beiden Städte Houston und Galveston, die um 1900 darum wetteifern, zur Hauptstadt ihres Staates zu werden. Die Waagschalen neigen sich allmählich zu Gunsten Galvestons. Das US Wetteramt siedelt seinen Chef Meteorologen für Texas hier an, da Galveston einen Logenplatz auf die labile Wetterlage der westindischen Region bietet.

Seit gut einem Jahrzehnt steht Isaac Cline der angesehenen Wetterstation in Galveston vor. Er gehört zur Prominenz der Stadt, hat nebenbei Medizin studiert, schreibt Artikel über seine Arbeit, gibt Vorlesungen und hat sogar die Zeit gefunden, eine Familie zu gründen. Alles ist planmäßig gelaufen im Leben Clines, der im Jahre 1900 auf der Höhe seiner Karriere steht. Er glaubt alles über das Wetter zu wissen, was die moderne Meteorologie, als deren hervorragender Vertreter er sich ohne falsche Bescheidenheit sieht, herausgefunden hat. Dass er sich quasi anmaßt, die Naturgesetze zu diktieren, ist ihm nicht bewusst. Hurrikans, davon ist Cline überzeugt, kündigen sich durch unverwechselbare Vorzeichen an. Solange er diese nicht am Himmel erkennt, wird es ergo auch kein Unwetter geben.

Ein verhängnisvoller Irrtum

Der große Hurrikan von 1900 will sich nicht in Clines Weltbild fügen. Eine Reihe klimatischer Ausnahmebedingungen lässt ihn direkten Kurs auf Galveston nehmen. Die Katastrophe naht nicht unbeobachtet, doch Cline, der den Himmel über Galveston und die Gezeiten beobachtet, kommt zu dem Schluss, dass der Sturm sich auflösen wird, bevor er die Stadt erreicht. So gibt es für die Bürger von Galveston keine Vorwarnung. Ahnungslos gehen sie ihren alltäglichen Geschäften nach, während der Hurrikan sich über dem Golfstrom nähert und dabei eine gewaltige Flutwelle vor sich aufzuschieben beginnt.

Galveston ist eine Boomstadt, die praktisch planlos und genau dort an der Küste errichtet wurde, wo es zwischen Meer und Land keinerlei Hindernis gibt, die eine Flutwelle brechen oder einen Sturm ablenken könnte. Die Bürger haben es aus Bequemlichkeit und Kostengründen nie für nötig befunden, einen schützenden Damm zu bauen. So nimmt das Verhängnis seinen ungehinderten Lauf: Binnen weniger Stunden wird Galveston ausgelöscht. Mindestens 6000 Menschen, vielleicht aber auch die doppelte Anzahl, verlieren ihr Leben. Genau wird man es niemals wissen, weil sich die Stadt in eine riesige Schlamm und Trümmerwüste verwandelt hat, unter der zahllose Opfer für immer begraben liegen.

Die verdrängte Katastrophe

Der Untergang der Stadt Galveston gehört zu jenen Ereignissen, die aus zunächst unerfindlichen Gründen zu einer Fußnote der Weltgeschichte herabgesunken sind. Bei näherer Betrachtung trifft man allerdings sehr alte Bekannte wieder, die dafür verantwortlich sind: Dummheit, Ignoranz, Selbstgefälligkeit, vor allem aber der tief verwurzelte menschliche Drang, unangenehme Erfahrungen zu verdrängen besonders dann, wenn man sie zwar verschuldet hat, aber selbst nicht betroffen ist.

Die wahre Tragödie ist weniger die Katastrophe selbst, sondern die Tatsache, dass sie in diesem Ausmaß hätte verhindert werden können. Dieser Erkenntnis mochte man sich bisher nicht einmal in Galveston selbst stellen. Dort sang man lieber das hohe Lied des Heldentums im Angesicht der drohenden Gefahr, und am lautesten erklang das Lob für Isaac Cline, den angeblichen Helden, der selbstlos seine Mitbürger noch vor dem Hurrikan warnte, als die Sturmflut bereits ganze Häuserzüge durch die Luft wirbelte. Cline hat persönlich an seinem Denkmal gearbeitet, und das gelang ihm angesichts seines publizistischen Geschicks hervorragend, zumal er so alt wurde, dass er jene, die es besser wussten, in der Mehrzahl einfach überlebte.

Erik Larson hatte es folglich nicht leicht, als er sich daran machte, die Geschichte Galvestons und des großen Hurrikans von 1900 zu rekonstruieren. Der Sturm hat die frühen Archive vor Ort vollständig vernichtet. Aber in den Familien der zahllosen Opfer fand Larson viele Augenzeugenberichte, die ein in dieser Klarheit bisher nicht gekanntes Bild der Katastrophe zeichnen. Die detaillierte Schilderung des Sturms und seiner Folgen ergänzt Larson durch einen ausführlichen Blick auf die Geschichte der Vereinigten Staaten an der Schwelle zum 20. Jahrhundert. Ohne würden die Ereignisse in Galveston unverständlich bleiben. Nicht fehlen darf eine Einführung in die Wetterkunde und hier naturgemäß in die Genese großer Wirbelstürme.

Der Leser als Zeuge

Larson wählt für sein Buch die Form des Tatsachenromans. Er schildert, was gewesen ist, scheut sich aber nicht, Lücken durch (allerdings gut abgesicherte) Vermutungen zu schließen. Wie der große Hurrikan vor der westafrikanischen Küste entstand und seinen verhängnisvollen Weg nahm, ist inzwischen geklärt. Larson präsentiert die komplizierten Mechanismen des Wetters verständlich und spannend zugleich. Dies gilt auch für die politischen Intrigen im und um das Wetteramt, die wohl hauptsächlich dafür verantwortlich sind, dass der Sturm ein völlig ahnungsloses Galveston traf.

„Isaacs Sturm“ ist nicht nur die Chronik einer Katastrophe, sondern auch die Tragödie eines Mannes, der (zu) viel wusste und doch unwissend war. Um 1900 benannte man große Stürme nach prominenten Opfern. Larson greift diese Tradition auf. Auch wenn Isaac Cline (1862 1955) das Unglück überlebte und niemals zur Rechenschaft gezogen wurde, blieb er für den Rest seines langen Lebens gezeichnet: Mit seiner Frau kam sein ungeborenes jüngstes Kind um, und in Augenblicken echter, von Selbstbetrug freier Reflexion begriff Cline durchaus, dass er und sein verehrtes Wetteramt kapitale Fehler begangen hatten.

Eric Larson ist mit „Isaacs Sturm“ zu Recht ein Bestseller gelungen. Mit dem Talent des echten Erzählers behält er die Fäden seiner Geschichte, die den halben Erdball umspannen, jederzeit fest in der Hand. „Spannend wie ein Krimi“ ist ein Urteil, das (viel zu) oft über ein Buch gesprochen wird, doch auf „Isaacs Sturm“ trifft es
zweifellos zu. Wenn es etwas zu bemängeln gibt, dann das Fehlen von Bildern, die es in großer Zahl gibt. Aber das Internet gleicht dieses Manko aus. Die Eingabe der Begriffe „Galveston“ und „hurrican“ genügt, um zeitgenössische Fotos aus der dem Erdboden gleichgemachten Stadt betrachten zu können.

Autor

Erik Larson (geb. 1954) wuchs in Freeport, Long Island, auf. Er absolvierte die University of Pennsylvania, die er mit einem Abschluss in Russischer Geschichte verließ. Klugerweise ergänzte er dies mit einem Studium an der Columbia Graduate School of Journalism. Im Anschluss arbeitete er viele Jahre für diverse Zeitungen und Magazine.

Inzwischen hat Larson diverse Sachbücher veröffentlicht, von denen „Isaac’s Storm“ (1999, dt. „Isaacs Sturm“) ihm den Durchbruch und Bestseller-Ruhm brachte. Der Autor lebt mit seiner Familie in Seattle.

Taschenbuch: 373 Seiten
Originaltitel: Isaac’s Storm. A Man, a Time, and the Deadliest Hurricane in History (New York : Crown Publishers 1999)
Übersetzung: Bettina Abarbanell
http://www.fischerverlage.de

Der Autor vergibt: (5.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Parzzival, S.H.A. – Todesanzeigen (Titan-Sternenabenteuer 22)

Mit Band 22 beginnt in der Reihe der „Titan-Sternenabenteur“ ein gänzlich neuer Zyklus, der zwar auf den bekannten Hauptfiguren aufbaut, sich thematisch aber stark von den bisherigen Teil-Episoden löst. Der |BLITZ|-Verlag nennt den neuen Schwerpunkt Social Fiction und beschreibt damit den vermehrten Einbezug von Szenarien, die such außerhalb des Weltraums abspielen. In „Todesanzeigen“ feiert zudem ein neuer Autor im Rahmen dieser Serie sein Debüt. Jedoch gibt es bislang noch keine detaillierten Informationen zur Person, die unter dem Pseudonym S.H.A. Parzzival schreibt. Feststeht lediglich, dass die Ideen, auf denen die Story im neuen Zyklus beruht, vom leider im letzten Jahr verstorbenen Thomas Ziegler abstammen, dem man mit dem noch unbetitelten Zyklus auch eine Art Tribut zollt.

_Story_

Nach den Anschlägen auf die Asteroidenwerft der CRC bzw. den Abenteuern im fremden Reich innerhalb der Parakonblase haben sich Shalyn Shan und das Team der |TITAN| ein paar Tage Urlaub gegönnt, der von der Kommandantin eines Abends dazu genutzt wird, um zusammen mit dem befreundeten Kollegen, dem Quogonen Sir Klakkarakk, eine prominente Disco zu besuchen. Dort lernt sie die faszinierende Monja kennen, zu der sich Shalyn sofort hingezogen fühlt. Ganz entgegen ihren sonstigen Prinzipien nimmt die Suuranerin die fremde Dame noch am selben Abend mit in ihre Wohnung und beginnt eine leidenschaftliche Beziehung mit Monja.

Die direkte Umgebung Shalyns ist ein wenig irritiert ob der neuen Situation, lässt das lesbische Liebespärchen alerdings gewähren und akzeptiert ihre Zuneigung zueinander. Allerdings ist Amos Carter, Shalyns Chef und der Anführer der CRC, ein wenig beunruhigt, weil es kaum Informationen zur Vergangenheit Monja gibt. Als man schließlich herausfindet, dass beinahe alle Ex-Geliebten der hübschen Fremden kurz nach dem Ende einer Beziehung ums Leben gekommen sind, macht sich auch Shalyn ernsthaft Sorgen und stellt ihre Freundin zur Rede. Erst als sich die Mysterien halbwegs aufdecken lassen und man herausfindet, dass Monja an ständigen Blackouts leidet, beruhigt sich die Kommandantin der |TITAN| wieder. Dann jedoch tritt ein erneuter Todesfall im Umfeld von Monja ein …

Währenddessen herrscht auf der Erde Aufruhr wegen eines plötzlichen Befalls von Rieseninsekten. Die monströsen Viecher haben es in erster Linie auf die WORLD MARKET-Kette des Großinduistriellen Michael Moses abgesehen, doch kurze Zeit später tauchen sie auch in bewohnten Gebieten auf und fordern erste Todesopfer. Die World Police nimmt sich des Falles an und vermutet, dass einige Öko-Terroristen hinter den zahlreichen Anschlägen stecken, deren Ziel es ist, den enorm einflussreichen Moses und dessen weltweites Kartell zu zerstören …

_Meine Meinung_

Eine neue Ära der „Titan-Sternenabenteuer“ und tatsächlich eine völlig neue Perspektive bietet dieser erste Band des neuen Zyklus. S.H.A. Parzzival beschreibt die ‚etwas andere‘ Handlung vornehmlich aus der Sicht von Shalyn Shan, kann den Leser aber anfangs noch nicht sonderlich fesseln. Vor allem die etwas übertrieben dargestellte Faszination für die mysteriöse Monja nimmt zu Beginn der Geschichte viel zu viel Raum ein, und die Betonung, dass man der Fremden trotz aller Begleitumstände nicht böse sein kann, hätte man diesbezüglich – nur um mal ein Beispiel zu nennen – durchaus eingrenzen können. Klar, die Dame spielt die wahrscheinlich tragendste Rolle im gesamten Roman, und daher ist es auch berechtigt, sie in einem besonderen Rahmen vorzustellen und in die Handlung einzuführen, aber da sich diese Haltung selbst in den Szenen, in denen dem neuen Liebespaar eine enorme Gefahr droht, etabliert, wirkt das Ganze auf die Dauer sehr überstrapaziert.

Zu der lesbischen Beziehung, die demzufolge natürlich auch eine sehr große Beachtung findet, kann man hingegen stehen, wie man will. Ich persönlich finde dieses Element recht belebend und erfrischend, was aber sicherlich auch daran liegt, dass S.H.A. sich Details ausspart und lediglich Andeutungen über die Liebeleien der beiden Frauen macht. Tatsächliche Erotik statt lüsterner Beschreibung einer heißen Affäre – damit fährt der Autor (die Autorin?) ziemlich gut, und somit hat die plötzliche Wandlung der Shalyn Shan auch ganz klar eine Berechtigung.

Der neue Zyklus verspricht indes auch spannend zu werden; Parzzival hat im ersten Teil schon so einige Handlungsstränge eröffnet, in denen eine Menge Potenzial steckt. In dieser Hinsicht gefällt mir sehr gut, dass er/sie zum Ende des Buches nur kurze Andeutungen auf die Urheber der globalen Attacken macht, die genauen Umstände aber unerwähnt lässt und so auch die Spannung übr diesen Band hinaus problemlos aufrechterhält. Gleiches gelingt ihm mit der Darstellung der seltsamen Monja sowie den undurchsichtigen Rückblicken auf ihre unbekannte Vergangenheit. Wer ist diese Frau wirklich? Und kann man ihr trauen? Hier wird sich im folgenden Buch „Germania“ sicher mehr ergeben, und die Vorfreude hierauf ist nach dem etwas schwerfälligen Einstieg in den neuen Zyklus dann doch wieder recht groß. Andererseits: Ganz so gut wie der „Parakon-Zyklus“ gefällt mir die neue Reihe noch nicht, was ich in erster Linie auch an der stilistisch ganz neuen Herangehensweise festmache. Fans der Serie sollten sich davon aber nicht beirren lassen und der |TITAN| auch weiterhin treu bleiben. Die Hauptfiguren sind schließlich dieselben, und hat man sich mit diesen einmal angefreundet, kommt man auch nicht mehr von ihnen los.

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Zsuzsa Bánk – Heißester Sommer. Erzählungen

Im Jahr 2002 wurde Zsuzsa Bánks Debütroman [„Der Schwimmer“ 2054 zum Überraschungserfolg des damaligen Buchherbstes. Die sensibel erzählte Geschichte, von der Kritik mit zahlreichen Preisen bedacht, bleibt vor allem durch Bánks einfühlsame Sprache im Gedächtnis. Ihr melancholischer und wehmütiger Erzählfluss geht direkt ins Herz, nistet sich dort ein, brütet und lässt den Leser nicht mehr los. Zsuzsa Bánk fesselt mit dem Nicht-Gesagtem, dem Angedeuteten, dem vage Umschriebenen und schafft damit eine unwirkliche Atmosphäre, die schimmert wie der Asphalt einer sonnenbeschienenen Straße.

Bei einem so kraftvollen und überzeugenden Erstling erwartet der Leser viel vom nächsten Buch. Doch statt eines zweitens Romans hat die Autorin nun einen schmalen Band mit zwölf Erzählungen veröffentlicht. Erzählungen, die über Jahre hinweg entstanden sind, beispielsweise während ihrer Lesereise für „Der Schwimmer“.

Schon auf den ersten Seiten, ja nach den ersten Sätzen, ist sie wieder da: diese ganz spezielle Stimmung, die nur Bánk so zu evozieren vermag. Es ist ein gefühliges Schweben, eine schwere Melancholie, die den Leser mehr einhüllt als die Figuren der Erzählungen. Die sind zumeist viel zu sehr in ihrem Leben gefangen, um Muße zur Reflektion zu haben. Da sind zwei Freundinnen, die jährlich eine Bekannte in einer Anstalt besuchen, das Wiedersehen zwischen alten Bekannten oder das Zerbrechen einer Beziehung. Alle der zwölf Geschichten, mit Ausnahme der abschließenden „Delphine“, kreisen als Variation um ein Thema. Es geht um den Abschied, um die Vergänglichkeit von Freundschaften, Liebschaften, Beziehungen. Es geht um das Zerbrechen von Dingen, die man für ewig und wichtig gehalten hat.

Doch nichts ist von Dauer in dieser Sprachwelt von Zsuzsa Bánk, die wie ein Wirbel zwischenmenschliche Beziehungen in den Abgrund reißt. Die Zeiten ändern sich, Menschen und Umstände ändern sich. Und manchmal ist es einfach unmöglich, an Gefühlen und Zuständen festzuhalten, wie verzweifelt man es auch immer versucht. Menschen leben sich auseinander; sie schlagen unterschiedliche Lebenswege ein, doch dies verträgt sich kaum mit dem Wunsch nach Stetigkeit.

Bánks Geschichten leben von dem, was sie verschweigt oder nur andeutet. Beziehungen zwischen den Figuren werden fast nie deutlich benannt, nur skizziert. Doch gerade dadurch gewinnen sie in der Vorstellung des Lesers an Gewicht und Lebendigkeit. Ihre Darstellung ist minimalistisch und doch punktgenau – rein sprachlich ein Genuss.

„Heißester Sommer“ hat jedoch ein Problem: Die Erzählungen lesen sich wie zwölf Variationen auf ein Thema, wieder und wieder hält Bánk den Finger in die Wunde menschlicher Empfindung. Allerdings verschwimmen die Geschichten ab einem gewissen Punkt, all die Frauennamen werden zu einem Pool kaum unterscheidbarer Protagonistinnen. Es ist schwer, die einzelnen Erzählungen in Erinnerung zu behalten, da sie thematisch jeweils so ähnlich liegen und bewusst beim Leser ähnliche Gefühle und Reaktionen hervorrufen sollen. Das ermüdet auf Dauer. Es ist daher sicherlich wie auch schon beim „Schwimmer“ zu empfehlen, den Erzählband in kleinen Dosen zu genießen, all die Schwermütigkeit könnte ansonsten zu Überfütterung führen.

Diese thematische Eigenheit des Buches beeinflusst jedoch nicht dessen stilistische Brillanz. Eindringlich ist Bánks Sprache, reduziert auf das Wesentliche, und so gelingt es ihr auch, ganze Lebenswege in Geschichten anzudeuten, die zwanzig Seiten kaum überschreiten. Ihre Erzählweise zieht den Leser sprichwörtlich in einen Bann, in einen Strudel aus Worten und Bedeutungen, die entknüpft und verdaut werden wollen. Zsuzsa Bánk ist nichts für den Strand, auch nicht für die Bahn. Ihre Gesellschaft ist etwas, das bewusst genossen und nicht in Eile konsumiert werden sollte.

Mit „Der Schwimmer“ war ihr vor drei Jahren der große Wurf gelungen. „Heißester Sommer“ ist ein solider Nachfolger, sprachlich fehlerlos, doch thematisch keineswegs so fesselnd wie ihr Roman. Der Erzählband ist eher das dauernde Schwingen einer Stimmung denn eine Sammlung von Erzählungen im klassischen Sinne. Wer nach frischer Wortgewalt von Zsuzsa Bánk lechzt, dem wird „Heißester Sommer“ ein treuer Gefährte sein. Wer Zsuzsa Bánk bisher noch nicht kennt, sei doch lieber an ihr Romandebüt verwiesen.

Jean M. Auel – Ayla und der Stein des Feuers (Erdenkinder 5)

Vorgeschichte in vier Akten:

30000 Jahre mag es her sein, da wird an der Küste des Schwarzen Meeres Ayla, ein kleines, halb verhungertes, durch ein Erdbeben eltern- und stammeslos gewordenes Mädchen vom Menschenschlag der Cro-Magnons – Sie und ich gehören ihm noch heute an – von einer Horde Neandertaler (der leicht vormenschlichen Konkurrenz), dem „Clan der Höhlenbären“, gefunden und aufgenommen – recht widerwillig, entspricht doch die Neue mit ihrem schlanken, geraden Wuchs, den blauen Augen, der hohen Stirn und den blonden Haaren so gar nicht den Schönheitsidealen ihrer krummbeinigen, wulstbrauigen und wortkargen Gastgeber. Das hässliche Schwänlein muss unter vielen stolzen Enten denn auch ein an Zuneigung armes aber an Knüffen und Püffen umso reicheres Dasein fristen, das durch die Feindschaft zwischen den „Anderen“, wie die Neandertaler Aylas Leute nennen, und den „Flachköpfen“, wie diese wiederum ihre urtümlichen Nachbarn schimpfen, nicht eben einfacher wird. Trotzdem arrangiert man sich, und Ayla schenkt sogar einem Sohn das Leben, der sich zwar schon im Vorschulalter rasieren müsste aber trotzdem von seiner Mutter heiß geliebt wird, bevor diese ihn dem fiesen, intriganten Kindsvater überlassen muss, als der Clan der Höhlenbären sie schnöde verstößt. („The Clan of the Cave Bear“, 1980; dt. „Ayla und der Clan des Bären“)

Es schließen sich einsame Lehr- und Wanderjahre eines Engels auf (vorzeitlicher) Erden an, der viel zu edel für diese Welt ist sowie dank eines schamanischen Crash-Kurses bei erwähntem Höhlenbären-Clan einen guten Draht zu Mutter Natur und ihren übersinnlichen Kindern besitzt. Diese sitzen irgendwo auf Wolke Sieben und lenken von dort die Geschicke derer, die da unter ihnen k(r)euchen und fleuchen. Einen Odem purer Güte und Nächstenliebe ausdünstend und im absoluten Wissen um die Heilkraft jedes Kräutleins, das da blüht, gelingt es Ayla, a) den bösen Wolf zum braven Haushund, b) das wilde Pferd zum geduldigen Reittier und c) den edlen Löwen zum Kingsize-Kätzchen zu zähmen. Nachdem sie diese Künste zur Vollendung gebracht hat, naht auch Mr. Right: der Werkzeugmacher Jondalar, wohlgestaltet, einfühlsam, liebevoll und – nicht zu vergessen – ein toller Liebhaber. Dieses Gottesgeschenk an die moderne Frau von Vorgestern hat auf einer kühnen Reise, die Jondalar aus seiner weit entfernten Heimat, der südfranzösischen Dordogne, den Fluss Donau – hinabführte, buchstäblich Schiffbruch erlitten und muss von Ayla zusammengeflickt und gepflegt werden, bevor man sich näherkommen und die gemeinsame Rückkehr in Jondalars Heimat beschließen kann. („The Valley of Horses“, 1982; dt. „Das Tal der Pferde“)

Gar lang ist die Reise, dazu hart und beschwerlich, und sie wird nicht einfacher dadurch, dass Ayla und Jondalar immer wieder warten müssen, während die Große Geistin dieser Urzeit-Welt – vulgo Jean M. Auel genannt – ihrer Neigung frönt, jedem Grashalm, jedem Pilz und jedem Kleintier, der oder das am Wegesrande sichtbar wird, aus- und abschweifende Exkurse zu widmen („essbar“ – „heilend“ – „kleidsam“). Kein Wunder, dass es gar nicht mehr vorwärtsgeht, als unser Paar auf Menschen trifft. Die Mamutoi oder Mammut-Jäger des Löwenlagers pirschen den großen Urzeit-Elefanten hinterher. Ayla ist angetan von diesem Stamm, und diese Zuneigung wird erwidert: Der schwarzhäutige Ranec ist‘s, der hier der blonden Fremden nachzusteigen beginnt. Für den armen Jondalar brechen harte Zeiten an, denn der Rivale ist fast so ein guter Frauenversteher wie er, sodass Ayla über 800 Seiten hin- und hergerissen wird, bevor man wieder zusammenfindet und die Reise nach Frankreich fortsetzt. („The Mammoth Hunters“, 1985; dt. „Mammutjäger”)

Die nächsten Tage und Wochen verbringen Ayla und Jondalar damit, ihre angeschlagene Beziehung wieder zu kitten. Spannungen, die trotz wertvoller & endloser Frau-Mann-Gespräche zurückbleiben, werden vorzeitlich unbekümmert in den Feuern der „Wonne“ verbrannt. Nachdem man sich so die Donau-Auen hinaufdiskutiert und -gebumst sowie zwischenzeitlich hustende Neandertaler oder bauchwehkranke Cro-Magnon-Genossen mit selbstgebrauter, ökologisch einwandfreier Medizin kuriert hat, wird es noch einmal dramatisch: Amazonen (!) verschleppen Jondalar in ihr Lotterlager, wo er für kräftige Nachkommen sorgen soll. Die kluge Ayla kann ihn vor diesem schrecklichen Schicksal retten, und man setzt die Reise auf die oben beschriebene Weise fort. Dann gilt es noch einen Gletscher zu überwinden, und im Finale ist das Ziel zum Greifen nahe. („The Plans of Passage“, 1990; dt. “Ayla und das Tal der Großen Mutter“)

Das geschieht dieses Mal:

Home at last! Zwölf reale Jahre nach Beginn ihrer ausgedehnten Lust- und Studienreise erreichen Ayla und Jondalar endlich die Dordogne und die Zelandonii der Neunten Höhle. Der Empfang ist allerdings nur partiell herzlich, denn die freigeistige Ayla eckt wieder einmal an. Das geht schnell in dieser höchst komplexen, von schier unendlich vielen, bekannten und ungeschriebenen Regeln, Protokollen und Kodizes bestimmten Gemeinschaft, die selbst das englische Könighaus vor Neid erblassen ließe. Ayla kann Tiere zähmen und Feuer mit Hilfe von Steinen entfachen: Talente, die von den Priesterinnen des Clans mit Misstrauen und Konkurrenzängsten zur Kenntnis genommen werden.

Aber Ayla spuckt grazil in die Hände und beginnt beherzt, ein weiteres Land unserer Ahnen im Sturm zu erobern. Mit gnadenloser Freundlichkeit und Herzenswärme sucht Mrs. Supertüchtig Höhle um Höhle heim, heilt alles Sieche nieder, beschämt dumme, geile Kerle und gewinnt die Herzen der weisen Frauen. Schließlich stürmt sie sogar die letzte Klippe, auf der lange unbezwingbar Marthona hockte, die gestrenge Schwiegermutter, der nicht gefällt, was Sohn Jondalar da aus fernen Landen in Höhle Nr. Neun geschleppt hat.

Doch von ebendiesem Jondalar empfing Ayla in einem wahren Pandämonium der Liebe, des Glücks und des geschriebenen Kitsches inzwischen ein Kind, das nach knapp tausendseitiger Schwangerschaft endlich das Licht der Welt erblickt und im bereits angedrohten sechsten Teil der „Erdenkinder“-Saga mit seinen Eltern, Freunden und Feinden sicherlich noch viele gute Zeiten, schlechte Zeiten durchleben und durchleiden wird.

„The same procedure as every year”

Da ist sie also wieder – die blonde Ayla, Schamanin, Super-Mom, Klassefrau & Mutter Theresa der Steinzeit. Dabei schien endlich Ruhe zu sein im Steinzeit-Karton, als sich Ayla und Jondalar in Band 4 zwölf Real-Jahre zuvor verabschiedet hatten. Im Schlusskapitel winkten schon die Zelandonii: ein durchaus taugliches Ende für eine Saga, die sich längst in Agonie dahinschleppte. „Ayla und das Tal der Großen Mutter“ war eine Zumutung; eine geschwätzige, kitschige Seifenoper im pseudo-exotischen Gewand, künstlich über jede Lesbarkeit hinaus aufgeblasen durch ausufernde Landschaftsbeschreibungen, peinliche Folkloredarbietungen und vor allem durch die zum Wahnwitz geronnene Manie der Verfasserin, ihre Leser noch über die Herstellung der letzten Haarnadel exakt ins Bild zu setzen.

Die Rekonstruktion des Steinzeit-Alltags war Jean M. Auel immer ein Herzensanliegen, zumal die Darstellung der Ergebnisse entsprechender Recherchen die Autorin einer Verpflichtung enthob, der sie mangels Talent oder Disziplin selten nachkommen konnte: Spätestens seit „Das Tal der Pferde“ erzählte Auel keine Geschichten mehr, sondern betätigte sich als Schreibautomat, bei dem nach jeweils tausend niedergeschriebenen Seiten die Batterie gewechselt wurde.

Zwölf Jahre Pause – man sollte meinen, Auel habe mehr als genug Zeit gehabt, sich endlich Neues einfallen zu lassen. Stattdessen mutet sie uns üblichen Quark zu, nur dass dieser noch ein gutes Stück breiter getreten wird. Schlimmer: „Der Stein des Feuers“ ist eine dreiste Neuauflage von „Der Clan des Bären“ – dieses Mal ohne Neandertaler.

Dass die Zelandonii stattdessen der Sprache mächtig sind, erweist sich als zusätzliches Manko: Kein Mund will stillstehen in ihren Höhlen, und was wir hören, erinnert fatal an die Endlos-Seifenopern des Fernsehens. Mag sein, dass sich die Menschen seit 30000 Jahren nicht grundsätzlich verändert haben und Intrigen, Klatsch und üble Nachrede auch den Alltag in den Höhlen der Dordogne bestimmten. Das möchte ich jedoch nicht unbedingt in epischer Breite nachlesen – und falls doch, dann bitte so, dass mir ob der unter dem Gewicht der ihnen aufgeladenen Klischees neandertalerkrumm daherkommenden Figuren, der Dämlichkeit der Dialoge oder des absoluten Leerlaufs der weitgehend durch Abwesenheit glänzenden Story nicht ständig die Tränen kommen.

In einem ist Auel allerdings konsequent: Immer wenn man glaubt, nun könne es einfach nicht schlimmer kommen, widerlegt sie dies mit Leichtigkeit. Dieses Mal lässt sie ihren Röntgenblick nicht nur über jeden Stein und jeden Strauch in und um die Zelandonii-Höhlen schweifen; wir können den Ort des langweiligen Geschehens anschließend quasi aufzeichnen. Zusätzlich wird ausführlich wiederholt, was in den vorangegangenen vier Bänden der „Erdenkinder“-Saga geschehen ist. Sicherlich muss die lange Pause nach Teil 4 irgendwie überbrückt werden. Wieso dies nicht in einer Zusammenfassung vor dem Einsetzen der eigentlichen Handlung geschehen konnte, bleibt rätselhaft. Stattdessen nerven Ayla und Jondalar die Leser, die ohnehin die Vorgängerbände kennen, mit uferlosen „Weißt-Du-noch?“-Histörchen.

Wenn der Höhlensegen schiefhängt

Unterhaltungsfeindlich sind darüber hinaus Auels ebenso hartnäckige wie vergebliche Versuche, neben der Alltags- auch die Geisteswelt der Steinzeit zum Leben zu erwecken. Historiker und Archäologen kennen eine scherzhafte Faustregel, nach der jeder Fund, der sich nicht anderweitig deuten lässt, dem Kultisch-Religiösen zuzuordnen ist. Gleichzeitig wird sich jeder Wissenschaftler, der diese Bezeichnung verdient, heftig hüten, Aussagen über Kult und Riten lange versunkener Kulturen zu treffen, die über Theorien hinausgehen.

Auel hat als Schriftstellerin freie Bahn, und diese Chance nutzt sie: nur leider nicht besonders einfallsreich. Ihre Geisterwelt wird von allerlei Muttergottheiten bevölkert, die im Einklang mit der Natur (und Gott ist für Auel definitiv eine Frau) schwingen und stets wissen, was am besten ist für Mensch und Tier. Hinter der Dunstwolke aufwändig geschilderter (und breit ausgewalzter) Zeremonien treten allerdings keine kosmischen Wahrheiten, sondern hausbackene Binsenweisheiten zutage: Vertragt euch; hört auf eure Mütter/Frauen/Priesterinnen; seid nett zu Kindern, Tieren und Neandertalern.

Wenn‘s dann trotzdem nicht klappt mit Friede, Freude & Eierkuchen, tragen ganz gewiss die nicht unbedingt bösen, sondern eher ignoranten und nie ganz erwachsenen (oder zurechnungsfähigen) Männer die Schuld: Die „Ayla“-Saga startete 1980 und ist in gewisser Weise selbst inzwischen zur historischen Quelle geworden: als (allerdings vielfach gebrochenes und trivialisiertes) Spiegelbild einer feministischen Weltsicht, wie sie einst en vogue war. „Die Vernichtung der weisen Frauen“ hieß ein typischer Sachbuch-Bestseller dieser Zeit, der die europäischen Hexenverfolgungen des 13. bis 18. Jahrhunderts als Verschwörung missgünstiger und um ihre Macht fürchtender Patriarchen gegen ein Netzwerk starker, kluger, heilkundiger, vor allem aber selbstständiger Frauen deutete. Diese Theorie hat sich inzwischen erledigt, und der Feminismus hat sich weiterentwickelt

Zurück blieb Ayla, die weiterhin die Fackel hochhalten muss, die Auels Leser/innen ins matriarchalische Utopia leiten soll, wie es in den 1970er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts beschworen wurde. Immerhin: Hübsch anzuschauen durfte Ayla trotzdem immer sein; so weit ging Auels schwesterliche Solidarität doch nicht, ihrem Publikum eine vierschrötige Höhlen-Walküre als realistische Heldin zu präsentieren. Den Rest erledigt popularisiertes New Age-Gewaber US-amerikanischer Prägung. Was sich in den Höhlen der Zelandonii abspielt, erinnert stets verdächtig an die Zeremonien, die sich die Medizinmänner (oder hier besser -frauen, die es ja auch gegeben hat) diverser Indianerstämme in der Vergangenheit ausgedacht haben. Erst hat man die nordamerikanischen Ureinwohner für Hollywood vom Pferd geschossen, nun werden sie von zivilisationsmüden Heilssuchern verkitscht, die sich aus dem reichen Mythengut herauspicken, was den Weg ins Nirvana angeblich abkürzt und dabei auch noch spannend unterhält.

Der Fluch des Erfolgs

Aber kann ausschließlich Jean M. Auel verantwortlich für das „Ayla“-Elend gemacht werden, das über die lesende Welt kommt? Die Verfasserin steht in einer langen, langen Reihe von Autoren, die eine Schnulze durch eine exotische Kulisse aufwerteten. Vor vielen Jahren gab Auel ihr Bestes als hoffnungsvolle Neu-Autorin und traf mit einem im Rückblick allenfalls mittelmäßigen aber durchaus lesenswerten Werk den Geschmack eines Publikums, das zu diesem Zeitpunkt auf „Ayla und der Clan des Bären“ gewartet zu haben schien. Binnen eines Monats ging dieser Titel mehr als 100000 Mal über die Ladentische. Ein Star war geboren, einem Stephen King oder einer Joanne K. Rowling durchaus vergleichbar – auch finanziell: 34 Millionen verkaufte Exemplare später kassierte Auel als Vorschuss (!) für die Ayla-Romane 4 bis 6 25 Mio. Dollar; nicht schlecht für eine Hobby-Autorin, die erst im Alter von 42 Jahren zum Schreibtisch fand.

Das Honorar ist wohl der eigentliche Schlüssel zu Aylas Wiedergängertum: 2002 spürte Auel nach zwölf aylalosen Jahren offenbar den Druck ihrer Geldgeber, endlich den versprochenen Nachfolgeband zu liefern. Diese Theorie würde das traurige Ergebnis jedenfalls erklären. Der Verlag bekam, was er wollte: kein Buch, das man einen Roman nennen dürfte, aber einen dicken Stapel beschriebenen Papiers, das sich unter dem eingeführten Markenzeichen „Auel“ als „Ayla V.“ prächtig vermarkten lassen würde.

Lesen würden diesen Schinken alle Ayla-Fans, aber kaufen sollten ihn noch viele, viele weitere Menschen. Die Strategie ist bekannt: Hinter dem multimedial begleiteten „Event“ kann der Anlass ruhig verschwindet. So wurde die Buchpremiere von „Ayla und der Stein des Feuers“ 2002 in Les Eyzies im Herzen Frankreichs als gigantisches Pressespektakel inszeniert. Hier lebten, liebten und litten einst Auels Hollywood-Cro-Magnons. Über 150 Journalisten fielen ein, um die Starautorin zu treffen. Diese erzählte die stets gern gehörten Geschichten ihrer Recherche-Touren, die sie nicht nur auf Aylas und Jondalars Spuren durch Russland, die Ukraine, Tschechien, Ungarn, Österreich, Deutschland und Frankreich führte, sondern die pflichtbewusste Autorin auch dazu animierten, Tiere in Fallen zu fangen, Steinwerkzeuge zu basteln, Matten zu knüpfen und natürlich Archäologen, Anthropologen oder Biologen zu befragen.

Elend mit Epilog

Das Buch hatten diese und andere Steigbügelhalter wohl nie gelesen, es war nicht erforderlich, da Veranstaltungen wie die in Les Eyzies ihren eigentlichen Zweck glänzend erfüllten. Die Schlagzeilen ebneten „Ayla V.“ den Weg zu neuerlichem Bestseller-Ruhm und Rekord-Auflagen. In Deutschland ging trotzdem lieber kein Risiko ein. Noch bevor sich womöglich jene Spielverderber zu Worte meldeten, die „Ayla und der Stein des Feuers“ tatsächlich lesen & für mies befinden würden, ließ man das Werk in einer Hauruck-Aktion von zwei simultan arbeitenden Übersetzern in unsere Muttersprache. Das Risiko war allerdings kalkulierbar gering: „Ayla V.“ wurde von 34 Verlagshäusern weltweit gleichzeitig in die Buchhandlungen gepresst!

Diese Prozedur wiederholte sich mit „Ayla VI.“ und wurde durch das Internet ergänzt. Abermals hatte Auel sich viele Jahre Zeit gelassen. „Ayla und das Lied der Höhlen“ wurde 2011 zum Offenbarungseid einer sichtlich ausgeschriebenen, kranken, alternden Autorin, die endlich zu Ende bringen wollte, wozu sie sich verpflichtet hatte. Selbst Hardcore-Auel-Fans konnten und wollten ihren Unmut über ein ‚Buch‘ nicht unterdrücken, das die bekannte Ayla-Rezeptur noch einmal aufkochte und dabei endgültig in Esoterik-Schwurbel versandete.

Seltsamerweise hielten sich Kino und Fernsehen bisher zurück mit der Verfilmung von Auel-Abenteuern. Zwar gibt es „Ayla und der Clan des Bären“ von 1985, ein unfreiwillig komisches B-Movie, in dem unsere Heldin durch Daryl Hannah zumindest optisch kongenial verkörpert wurde. Aber vielleicht sind wenigstens dieses Mal die oft und gern geschmähten Medienspezialisten die Klügerin, weil sie erkennen, dass sich aus einem 1000-seitigen Roman manchmal höchstens das Drehbuch für einen 30-Minuten-Kurzfilm destillieren lässt.

Zur Serie gibt es u. a. diese Website.

Taschenbuch: 984 Seiten
Originaltitel: The Shelter of Fire (New York : Crown Publishing Group 2002)
Übersetzung: Maja Ueberle-Pfaff u. Christoph Trunk
http://www.randomhouse.de/heyne

eBook: 1494 KB
ISBN-13: 978-3-641-07921-5
http://www.randomhouse.de/heyne

Hörbuch-Download: 2064 min. (ungekürzt, gelesen von Hildegard Meier)
ISBN-13: 978-3-8371-1091-3
http://www.randomhouse.de/randomhouseaudio/

Der Autor vergibt: (0.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (3 Stimmen, Durchschnitt: 3,33 von 5)

You Higuri – Gorgeous Carat – Der Reiz der Finsternis (1)

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist in Paris nichts mehr so, wie es einmal war. Der Glanz der vergangenen Tage ist längst verschwunden, und vor allem die Adelshäuser müssen naturgemäß unter dem Fall der Aristokratie leiden. Von diesem Schicksal ist auch die ehemals wohlhabende und einflussreiche Familie Rochefort geplagt. Die Madame besteht aber dennoch darauf, den bekannten Lebensstatus und den damit verbundenen Luxus beizubehalten und ist nicht bereit, das wohlbehütete Familienjuwel herauszugeben, um durch den Verkauf wieder an Geld zu kommen. Ebenso verneint sie den Wunsch ihres Sohnes, der wie ein Mann aus der bürgerlichen Gesellschaft arbeiten möchte.

Auf einem Fest im eigenen Hause des Adelsgeschlechts taucht eines Tages der berüchtigte Pfandleiher Ray Balzac Courlande auf und bietet Madame Rochefort einen recht zweifelhaften Tausch an: einen Kredit gegen ihren Sohn Floréan. Und obwohl sie sich gegen diesen Gedanken wehrt, hat sie am Ende doch keine Chance, denn als Alternative zu Floréan akzeptiert er nur noch den Familienschatz, „Die Flamme von Mougale“, ein 120-Karat-Juwel, das die Dame auf keinen Fall herausgeben möchte.

Der Graf Courlande nimmt Floréan schließlich mit und versucht aus ihm den Aufeinthaltsort des Diamanten herauszupressen. Kurze Zeit später wird Floréans Mutter nach einem Anschlag auf ihr Haus tot aufgefunden; weil auch das Schmuckstück verschwunden ist, gibt man dem abwesenden Sohn die Schuld. Maurice, sein Onkel, versteckt ihn in seinem Haus, doch schon bald wird klar, dass er ganz andere Absichten verfolgt. Aber auch sein neuer Herr gibt ihm zunehmend Rätsel auf; der stolze Ray verbirgt einige mysteriöse Geheimnisse, treibt sich mit seltsamen Leuten herum und hat nur eines im Sinn: den jungen Floréan ganz und gar zu besitzen.

Mein Eindruck

You Higuri genießt in Insiderkreisen einen sehr guten Ruf, den sie auch mit dem Beginn ihrer aktuellen Reihe „Gorgeous Carat“ bestätigen kann. Die Geschichte aus dem Frankreich des späten 19. Jahrhunderts ist zwar im Prinzip sehr simpel aufgebaut, besticht aber durch eine kluge Inszenierung, die auch an Wendepunkten nicht geizt. Faszinierend dargestellt ist dabei die Figur das Grafen Courlande. Der Mann ist ein einziges Mysterium, dessen Motive zwar ansatzweise erkennbar, aber dennoch nicht ganz klar sind.

Hugori lässt den Leser noch im Dunkeln, ob Ray nun die gute oder doch die böse Seite charakterisiert – für beide Seiten gibt es Anhaltspunkte, aber keine klaren Indizien. Eindeutig ist letztlich nur sein Interesse an Floréan, desen Beziehung zu Courlande nach der anfänglichen Folterung durch seinen neuen Herren stetig besser wird, weshalb er sich nach einiger Zeit auch ein wenig heimisch fühlt.

Floréan entwickelt sich hingegen im Laufe der Geschichte immer mehr aus der Opferrolle heraus und gewinnt auch zunehmend an Selbstbewusstsein. Er hat eine Ahnung vom speziellen Interesse Courlandes, und dies spielt er dann auch im Auftreten gegenüber seinem Besitzer aus. Andererseits steht Floréan aber auch für Ray ein und entwickelt eine innere Verbundenheit, deren Ausmaße sich zum Ende des Buches zeigen.

Eine zunächst noch unscheinbare Rolle spielt die dunkelhäutige Laila, die sehr großes Interesse an Ray hat und in Floréan einen Widersacher sieht, der ihr auch die letzte noch vorhandene Aufmerksamkeit des mysteriösen Grafen nimmt. Bei Floréans Abwesenheit erkennt sie schließlich ihre Chance, um Ray ihre Zuneigung zu zeigen.

Der vierteilige Band ist in einzelne Sub-Plots unterteilt, die jedoch allesamt aufeinander aufbauen und jedes Mal ein wenig mehr über die Hauptfiguren preisgeben.

Die düstere Atmosphäre, die sich dabei durch die Geschichte zaubert, ist allerdings auch ziemlich atemberaubend. Angefangen bei der erhabenen Erscheinung von Ray Balzac Courlande über die verschiedenen Verschwörungen und Verstrickungen, zu denen die Autorin hier noch nicht allzu viel verrät, bis hin zu den insgesamt auch sehr dunklen Zeichnungen ergibt sich bei „Gorgeous Carat“ ein fast schon beklemmendes Bild, das durch die kühle Art der Hauptfigur Courlande noch einmal verstärkt wird.

Und obwohl der Plot jetzt nicht sonderlich komplex erscheint, so verbirgt sich doch ein gewisser Anspruch hinter diesem ersten Band, dessen Tiefgang sich jedoch erst mit dem Ende so richtig zeigt und der in uns schließlich auch das Verlangen auslöst, mehr über den mysteriösen Dieb Noir, Floréan, Laila und natürlich den Grafen Courlande in Erfahrung zu bringen.

Bis dahin bleibt eigentlich nur zu sagen, dass die Autorin ihrem fabelhaften Ruf wieder einmal gerecht geworden ist und „Gorgeous Carat“ eine weitere vielversprechende Serie zu werden scheint.

Williams, Tad – Shadowmarch: Die Grenze

Es schien wie in einem vergessenen Zeitalter, dass die Wesen jenseits des undurchdringlichen Nebels sich regten und die Lande der Menschen mit Krieg überzogen. Doch der Konflikt hatte nur ausgesetzt. Noch immer forderten die Elben die Gebiete zurück, die ihnen vor langer Zeit an die Menschen verloren gingen. Sie hatten sich nur hinter ihren Zauberwall aus Nebelschwaden und grausamen Illusionen zurückgezogen, um nun das zu beanspruchen, was in ihren Augen schon immer ihnen gehörte.

Die Menschen und auch die Funderlinge in der Südmark haben dabei ihre eigenen Probleme. Ihr Herrscher ist einer Hinterlist zum Opfer gefallen und wird gegen Lösegeld vom Lordprotektor von Hierosol festgehalten. Immer abenteuerlicher werden die Forderungen. Schließlich wagt es der Entführer, die Hand der Fürstentochter zu beanspruchen. Briony Eddon ist davon wenig begeistert und auch ihr Zwillingsbruder hält nicht viel davon. Doch was sind die Überlegungen von Kendrick, der als Stellvertreter seines Vaters über die Mark wacht? Die verschiedenen Berater, Vasallen und Verbündeten bedrängen den jungen Mann. Doch bevor er seine Überlegungen kundtun kann, wird er grausam ermordet. Ausgerechnet der Schwertmeister soll der Attentäter gewesen sein.

Schlimmer könnte es kaum kommen. Die Feinde vor den Toren der Stadt, die Intrigen im Reich und zwei junge Menschen, die sich den Thron und die schwere Bürde teilen müssen, den unmöglichen Aufgaben gerecht zu werden. Doch es |kommt| noch schlimmer.

Die Geschichte der Schattenmark beschäftigt sich nicht nur mit den Erlebnissen der Herrschenden, sondern bezieht eine Vielzahl von Figuren mit ein, deren Schicksal direkt, indirekt oder scheinbar gar nicht mit dem des Landes verbunden ist. Die Rollen der Protagonisten reichen von dem zwergenähnlichen Funderling Chert Blauquarz bis hin zu Qinnitan, der hundertsten Frau des mächtigen Herrschers des Reiches Xand.

Tad Williams begnügt sich nicht damit, die Geschichte einiger weniger Persönlichkeiten und ihres Landes zu erzählen, er zeichnet das Schicksal einer ganzen Welt in seiner neuen Serie. Der vorliegende erste Band ist nur der Anfang, aber ein ereignis- und umfangreicher.

Irritiert mag der geübte Fantasyleser von den „neu“ erfundenen Spezies sein, die doch so sehr dem typischen Zwerg oder dem typischen Dunkelelf oder sonst einer bekannten Fantasyspezies ähneln. Natürlich leben die Pseudozwerge unter der Erde, natürlich haben sie Steine lieb und auch das Gold und sind auch nicht besonders groß. Aber sie Zwerge zu nennen – so das Buch – wäre eine infame Beleidigung. Nach kurzem Nachdenken und einem amüsierten Kopfschütteln gewöhnt man sich daran, die Zwerge halt jetzt Funderlinge zu nennen.

Die Schilderung der Protagonisten ist dem Autor nur bedingt gelungen. Die psychischen Probleme des albtraumgeplagten Barrick kommen genauso wie die emanzipatorischen Wünsche von Briony nur hölzern und klischeehaft herüber. Das mag daran liegen, dass Williams einen strengen und regelmäßigen Wechsel zwischen den Handlungssträngen und Protagonisten durchzieht und gleichzeitig einen hohe Geschwindigkeit der Handlung vorantreibt. Da bleibt scheinbar wenig Raum für die glaubhafte und überzeugende Darstellung des Innenlebens der handelnden Personen.

Tad Williams ist, wie vorauszusehen war, ein sehr gutes, unterhaltsames und spannendes Buch gelungen. Doch stellt es inhaltlich und auch vom Stil her keine Besonderheit dar. Es ist ein gutes Fantasybuch geworden, das es in der Qualität und dem Einfallsreichtum vielfach auf dem Literaturmarkt gibt. Die Erwartungen an den Autor nach der grandiosen „Otherland“-Serie haben sich nur zum Teil erfüllt. Trotzdem kann man jedem Fantasyfan das Buch und vermutlich auch die Folgebände anraten, denn in Hinsicht auf gut lesbare Unterhaltung und Spannung bekommt man hier garantiertes Lesevergnügen geboten.

© _Jens Peter Kleinau_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.X-Zine.de/ veröffentlicht.|

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