Greg (Autor) / Hermann (Zeichner) – Comanche 2: Krieg ohne Hoffnung

Comanche:

Band 1: „Red Dust“
Band 2: „Krieg ohne Hoffnung“
Band 3: „Die Wölfe von Wyoming“
Band 4: „Roter Himmel über Laramie“
Band 5: „Das Tal ohne Licht“
Band 6: „Rote Rebellen“
Band 7: „Der Mann mit dem Teufelsfinger“
Band 8: „Die Sheriffs“
Band 9: „Die Feuerteufel von Wyoming“
Band 10: „Das Geheimnis um Algernon Brown“
Band 11: „Die Wilden“

Story:

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Lerangis, Peter (Autor); Minninger, André (Adaption) – Die drei ??? – Brainwash / Gefangene Gedanken (Top Secret Special, Fall 1) (Hörspiel)

„Brainwash – Gefangene Gedanken“ ist die erste von drei EUROPA-Hörspiel-Auskopplungen bzw. Sonderausgaben aus der jüngst erschienenen „Top Secret Edition“ des Kosmos-Verlags. Diese beinhaltet die drei bislang verschollenen Fälle „House of Horrors“ (1986), „Brainwash“ (1989) und „High Strung“ (1991) der berühmten wie beliebten Junior-Detektei, welche bis dato in irgendeinem staubigen Archiv des damaligen Verlags schlummerten und erst kürzlich zurück ans Licht der Öffentlichkeit kamen.

Die Story von Peter Lerangis stammt aus den späten Achtzigern und somit zu den „Crimebusters“-Fällen, wie die drei ??? in ihrem Mutterland später hießen. Es war der Sprung, der die Jungs quasi über Nacht von 14- zu 17-Jährigen machte, eine mehr actionlastige Gangart anschlug und zu neuen Interessen wie Autos (Peter), Mädels (Bob) und Computer (Justus) führte, was die Einstellung der Serie in den USA aber eher beschleunigte denn verhinderte. Dieser zwölfte |Crimebusters|-Fall wurde damals schon nicht mehr veröffentlicht.

_Zur Story_

Gleich zwei Jungs aus dem Bekanntenkreis der drei ??? scheinen sich ganz plötzlich aus dem Leben, was ihnen von ihrem gesellschaftlichen Umfeld aufdiktiert wird, ausgeklinkt zu haben. Zwei ganz unterschiedliche Charaktere und Biografien, doch ein Ziel: Selbstbestimmung. Bei Ben Rademacher sind es die Eltern, welche ihn unter Leistungsdruck setzen, dabei ist er Klassenbester. Er verschwindet als Erster – nicht jedoch ohne vorher sein gesamtes Erspartes vom Konto geholt zu haben. Bei Slide Terranova, dem hochbegabten Gitarristen einer Newcomer-Rockband, welche Bob grade für Sax Sandler bei „Rock Plus“ betreut, ist es der Unmut immer nur die kommerziell erfolgreichen Songs spielen zu dürfen – nicht die eigenen, experimentellen und somit vermeintlich künstlerisch wertvolleren.

Das veranlasst ihn dann ausgerechnet bei ihrer Premieren-Tour in den Sack zu hauen und die Band im Stich zu lassen, von Bob und Sax ganz zu schweigen. Als sich die Hinweise verdichten, dass die beiden möglicherweise der derzeit auf allen TV-Kanälen für sich Werbung machenden „SynRea“-Vereinigung auf den Leim gegangen sein könnten, entscheiden sich Justus, Peter und Bob, dem angeblichen Paradies in der Nähe von New York mal einen Besuch abzustatten und sich dort einzuschleusen. Sax spendiert den dreien die Tickets – Bob hat bereits einen Tag Vorsprung, doch bald darauf lassen sich Peter und Justus am Flughafen ebenfalls von SynRea- Mitgliedern „überzeugen“ der Community probeweise beizutreten. Als „Romeo“, „Whizz Kid“ und „Iron Man“ starten sie ihre Undercover-Suche nach Ben und Slide in der Höhle des Löwen namens Pejo McGaskill. Seines Zeichens der Ober-Guru.

_Eindrücke_

Wer die erhellende Einleitung bzw. das Vorwort der Printversion nicht kennt, wundert sich vielleicht im Laufe des Hörspiels über so manch altertümlich anmutende Ausdrücke, die da fallen. „Floppy Disk“ etwa oder „Videorekorder“. Selbst der Computer quittiert Eingaben, mit einem Piepen, wie es die älteren von uns vielleicht noch aus seligen DOS-Zeiten kennen. Das ist – obwohl das erst kürzlich stattgefundene Erscheinen dieser Folge anderes nahelegt – allerdings auch kein moderner Fall aus heutiger Zeit. Die Geräuschkulisse und Sprache sind dem Entstehungsdatum in den späten Achtzigerjahren geschuldet und sie werden hier mit voller Absicht auch eingesetzt, um der Story das entsprechende Flair jener Ära zu verpassen, in welche auch das erstmalig vermehrte Auftreten der hier thematisierten Fernsehprediger und New-Age-Sekten in der (vorwiegend) amerikanischen TV-Landschaft fällt.

Das gelingt bis in die musikalische Untermalung hinein, welche sich aus altbewährten Soundsamples aus den allerfinstersten EUROPA-Archiven, bis hin zu rockig-poppigen Stücken, die offenbar eigens für diese Folge komponiert wurden. Schließlich spielt eine Band bzw. Gitarrist darin eine nicht unwichtige Rolle, womit man deren Auftritten musikalisch passend Rechnung trug. Handwerklich gibt es also nichts zu mosern, es wurde mit viel Liebe zum Detail gearbeitet. Das Team um Produzentin/Regisseurin Heikedine Körting (die – vielleicht auch in Anlehnung an alte Zeiten – hier mal wieder als „Pamela Punti“ in der Sprecherliste auftaucht) versteht seinen Job seit Jahren. Die Riege der Sprecher präsentiert sich mit vielen bekannten wie routinierten (Synchron-)Stimmen. Neben den zahlreichen Stammsprechern wären da noch die Gastauftritte von Fabian Harloff und Enie van de Meiklokjes zu erwähnen.

|Spoilerwarnung: Enthält enthüllende Informationen!|

Die Geschichte krankt an einer zentralen Stelle und das ist beileibe nicht die Schuld der Hörspieladaption. Schon in der Vorlage geht alles viel zu schnell. Es ist nicht nachvollziehbar, dass die drei ??? innerhalb weniger Tage eine derart etablierte Sekten-Struktur nicht nur infiltrieren, sondern auch quasi im Vorbeimarsch gleich erfolgreich zum Einsturz bringen können. Im Hörspiel geht das aufgrund von Kürzungen gegenüber dem Buch sogar noch fixer – was ein Paradoxon entstehen lässt: Der Showdown selbst läuft hier nämlich erstaunlicherweise und trotz des radikal eingedampften und strafferen Zeitrahmens, sogar ein gewisses Maß glaubwürdiger ab. Diesen offensichtlichen Widerspruch zu erklären ist nicht ganz leicht.

Vereinfacht gesagt spart sich das Hörspiel eine ganze Reihe recht hanebüchener – dafür aber die Zusammenhänge und auch die SynRea-Figuren besser erklärende – Handlungsstränge. Bis auf die versuchte Gehirnwäsche bei Justus (die aber in einem anderen Kontext stattfindet) ist daraus nicht viel übrig geblieben. Der Aufstieg von Justus in die Führungsriege um den Oberguru Pejo McGaskill, wo er tiefe Einblicke in die Machenschaften und Vorgänge der Organisation erhält, fehlt komplett. Dieses Manko gleicht das Skript dadurch aus, dass Justus die Verfehlungen Pejos einfach als Faktum schildert. Unter dem Strich wirkt das Hörspiel aber vielleicht gerade dadurch glatter, obschon noch verwirrend und hopplahopp genug, da der Hörer – anders als der Leser – nicht weiß, wie Justus an die entsprechenden Informationen kam.

|Spoilerentwarnung: Ab hier ist das Weiterlesen halbwegs ungefährlich|

Woanders haben die Anpassung und die Lokalisierung aber deutliche Vorteile erbracht. Bei der Ausgestaltung der Hauptfiguren und des allgemeinen doch sehr oberflächlichen, actionlastigen „Crimebusters“-Stils des Originals nämlich. Während die Figuren mit ihren uns hierzulande zum Teil unbekannten Eigenschaften („Buchwurm-Bob“ als unbebrillter Teenage-Casanova oder ständig das Herumreiten auf Konfektionsgrößen sowie irgendwelchem Karate-Geschwafel und dergleichen mehr) bei dem deutschen Leser doch mindestens das Hochziehen einer spock’schen Augenbraue provozieren, bleibt dem Hörer dieser Kulturschock erspart. Das Hörspiel wurde von solch Anleihen an den amerikanischen Massengeschmack (man könnte auch Unfug sagen) dankenswerterweise bereinigt und die drei ??? agieren ganz so, wie man es von ihnen gewohnt ist. Interessanterweise diesmal ohne Erzähler (sonst: Thomas Fritsch) und mit der „alten“, per Vocoder eingesungenen Titelmelodie – nicht dem inzwischen verwendeten Instrumental.

_Die Produktion:_

Drehbuch und Effekte: André Minninger
Redaktion und Geräusche: Wanda Osten
Regie und Produktion: Heikedine Körting
Musik: Hagitte, Bertling, Conrad, George, Morgenstern, Stahlberg, Kuntke

|Sprecher und Figuren:|

Oliver Rohrbeck (Justus Jonas), Jens Wawrczeck (Peter Shaw), Andreas Fröhlich (Bob Andrews), Peter Kirchberger (Pejo), Fabian Harloff (Ben Rademacher), Nico König (Slide Terranova), Enie van de Meiklokjes (Werbestimme), Christian Concillio (Sax Sandler) u. a.

_Fazit_

Die atmosphärisch dichte Folge hinterlässt gemischte Gefühle, denn einerseits haben die Kürzungen und Anpassungen der Geschichte ihr nicht nur Übles angetan, sondern sogar positive Aspekte. Andererseits ging vom Original sehr viel flöten, was insbesondere bei diesem lange verschollenen „spezialgelagerten Sonderfall“ ein wenig frevelhaft erscheint. Vielleicht wäre eine inhaltlich nicht ganz so arg gestrippte Version auf einer Doppel-CD die bessere Lösung gewesen. Langweilig ist das Ganze jedenfalls nicht, sondern kommt schnell auf den Punkt. In mancher Hinsicht auch zu schnell. Immerhin ist „Brainwash – Gefangene Gedanken“ eines der gelungeneren Hörspiele, die in letzter Zeit ihr Roll-Out hatten. Und das ist doch auch schon mal was.

|Audio-CD mit ca. 69 Min. Spieldauer
Story von Peter Lerangis nach Figuren von Robert Arthur
EAN: 88697773332|
[www.natuerlichvoneuropa.de]http://www.natuerlichvoneuropa.de

Mehr als 80 weitere Rezensionen zu den „Drei ???“ findet ihr in unserer [Datenbank]http://buchwurm.info/book .

Headley, Maria Dahvana – Königin der Unsterblichen, Die

_Ägypten 30 v. Ch._ Kleopatra von Ägypten hat alles verloren, was eine Frau und Königin verlieren kann. Nicht nur der Tod ihres geliebten Marcus Antonius treibt Kleopatra in die Verzweiflung, auch der Verlust ihrer Kinder und der verlorene Krieg gegen Rom und Octavian treibt sie zu einer Verzweiflungstat.

Zu ihrer und Ägyptens Rettung beschwört Kleopatra, genährt von ihrem Hass auf Rom und den neuen Herrscher Octavian, Sachmet, die von Ägyptens Göttern verbannte Göttin des Krieges. Ihr Plan Ägypten und ihre Familie zu rächen geht aber aufgrund eines Fehlers in der uralten Beschwörung nicht auf und Kleopatra verliert ihre Seele an Sachmet, die sie nun für ihre Zwecke missbraucht.

Sachmet verwandelt Kleopatra in eine vampirähnliche Kreatur, die nur noch in der Dunkelheit existieren kann und eine unstillbare Gier nach frischem Blut entwickelt. Doch ein kleiner Teil ihrer Menschlichkeit ist Kleopatra geblieben und so sucht sie, neben der Rache an Rom und Octavian, einen Weg dem Handel mit Sachmet zu entgehen. Doch wie besiegt man eine unsterbliche Göttin?

_Kritik_

Mit ihrem Debüt „Die Königin der Unsterblichen“ hat die Newcomerin Maria Dahvana Headley den mystischen Beginn einer Trilogie, vor historischem Hintergrund, veröffentlicht.

Auf eine sehr interessante Art verwebt die Autorin hier geschichtliche Fakten mit Fantasy und alter Mythologie. Durch den Selbstmord Kleopatras wird dem Leser eine neue, mystische Version ihres Todes erzählt. Schon der Prolog, geschrieben wie ein Tatsachenbericht vom Hauslehrer ihrer Kinder, Nikolaus von Damaskus, übt einen unwiderstehlichen Reiz auf die Leser aus.

Mit oftmals poetisch anmutenden Beschreibungen schafft es die Autorin, eine mystische Stimmung zu vermitteln, trotzdem lässt sich das Buch flüssig lesen. Bildgewaltig und authentisch erzählt die Autorin die lebendige und vielschichtige Handlung. Leider verliert sie sich teilweise in den sehr ausführlichen Beschreibungen, sodass in den ersten zwei Dritteln kaum Spannung aufkommt und der Roman etwas langatmig wirkt. Erst im letzten Drittel zieht die Spannung etwas an, um in einem gewaltigen Showdown zu enden. Auch versäumt es die Autorin, die Schauplätze ihrer Handlung bildhaft zu beschreiben.

Verschieden Mythen um die alten Götter und auch Hexen vereinen sich in „Die Königin der Unsterblichen“ auf eine sehr interessante Art, was einen ganz eigenen Charme ausübt. Besonders Leser, die sich mit diesen Überlieferungen schon einmal beschäftigt haben, dürften hier einen besonderen Leckerbissen finden.

Mit dem Fokus auf alle wichtigen Figuren lässt uns ein Beobachter an dem Plot teilhaben. Interessant ist es dabei vor allem, dass der Leser nicht nur die Perspektive Kleopatras und Octavians miterlebt, sondern die Geschichte auch aus der Sicht der verschiedenen Sagengestalten wahrnimmt. Zeitweise kommt es zwar aufgrund der Perspektivwechsel zu Brüchen von mehreren Tagen, was schon mal zu Fragen führen kann, genauso ist es aber auch interessant zu lesen, was sich zum Beispiel die Priesterin der Hekate von den Ereignissen verspricht. Lediglich die Göttinnen bleiben etwas im Dunkeln, da dieser Betrachtungswinkel völlig ausgelassen wird.

Viele historisch verbürgte Personen, aber auch verschiedene Sagengestalten und auch alte Götter bekommen von Maria Dahvana Headley einen Platz in „Die Königin der Unsterblichen“. Was hier schon außergewöhnlich ist, trotz vieler wichtiger und unverzichtbarer Protagonisten wirken alle wichtig für den Verlauf der Geschichte. Die Hintergründe ihres jeweiligen Handelns sind schlüssig und fügen sich in den Verlauf, den die Geschichte nimmt, brillant ein. Allerdings fällt es schwer oder ist auch schon fast unmöglich, Partei für eine Seite zu ergreifen. Auch wenn der Leser mit Kleopatra schon fast mitleidet und ihre Trauer um den verstorbenen Marcus Antonius und den Verlust ihrer nun römischen Kinder nachvollziehen kann, einen wirklichen Bösewicht scheint es hier nicht zu geben.

Neben der nun untoten Kleopatra, ihren Kindern und verschiedenen bekannten Römern, gibt es da dann auch noch eine Schicksalsweberin, die auf ihrem Spinnrocken geschickt die Fäden des Schicksals immer wieder neu webt. Eine alte Priesterin der Göttin Hekate, die ihrem eigenen Angelegenheiten folgt und auch einen Psylli, der mit der Tochter des Westwindes verheiratet ist und so manches Geheimnis vor allen anderen erfährt.

Das Cover ist dem Verlag wirklich passend gelungen. Nicht nur, dass hier eine junge Frau abgebildet ist, die an Kleopatra erinnern soll, auch die Schlange, die für ihren Tod steht und alter Schriftzeichen im Hintergrund zeigen deutlich, dass Ägypten und besonders Kleopatra eine Rolle spielen. Dies kann der Leser erkennen, auch ohne den Klappentext gelesen zu haben.

In einem Nachwort geht die Autorin noch kurz auf die geschichtlichen Hintergründe sowie auf ihre Idee dazu ein.

_Fazit_

Die vielversprechende Autorin Maria Dahvana Headley hat mit ihrem Debütroman „Die Königin der Unsterblichen“ eine ansprechende Version der historischen Geschichte um Kleopatra zu Papier gebracht.

Vom historischen Hintergrund mal abgesehen, ist „Die Königin der Untersterblichen“ ein solider Titel aus dem Genre Fantasy. Lediglich der fast völlig fehlende Spannungsbogen und die dadurch entstehenden Längen sind hier ein Kritikpunkt. Dies wird sich hoffentlich in den weiteren Bänden verbessern, es darf ja auch nicht vergessen werden, dass es sich hier mehr um eine Einleitung zu der Geschichte handelt.

Mit Spannung können die weiteren Teile der Trilogie erwartet werden, ich denke Maria Dahvana Headley hat so viel Potenzial, dass sie uns Leser noch so manches Mal überraschen wird.

|Acta est fabula|

_Autorin_

Maria Dahvana Headley veröffentlichte bereits mehrere Kurzgeschichten in verschiedenen Anthologien. Sie lebt mit ihrem Ehemann, dem Dramatiker Robert Schenkkan, in Seattle. „Die Königin der Unsterblichen“ ist ihr erster Roman.

|Taschenbuch: 528 Seiten
Originaltitel: Queen of Kings
ISBN-13: 978-3426508930|
[www.droemer-knaur.de]http://www.droemer-knaur.de/home
[Leseprobe]http://www.droemer-knaur.de/livebook/LP__978-3-426-50893-0/index.html

Malfi, Ronald – Snow – Die Kälte

_Das geschieht:_

Anwalt Todd Curry wollte seinen Sohn, Kate Jansen ihren Verlobten, Fred und Nan Wilkinson wollten ihre Tochter besuchen. Sie müssen nach Des Moines im US-Staat Iowa, doch alle stranden sie am Heiligen Abend auf dem Flughafen von Chicago: Heftige Schneefälle und Stürme haben den Flugverkehr lahmgelegt.

Die Entfernung zwischen Chicago und Des Moines beträgt nur 500 km. Das Quartett – vom Pech zusammengewürfelt – beschließt, die Fahrt trotz der damit verbundenen Gefahren mit dem Automobil zu wagen. Weit kommt man nicht; Curry gerät irrtümlich vom Highway ab, und als er auf einer Nebenstraße beinahe einen einsamen Wanderer überfährt, landet der Wagen in einer Schneewehe und wird so stark beschädigt, dass an eine Weiterfahrt nicht zu denken ist.

Glücklicherweise ereignete sich der Unfall nahe der kleinen Ortschaft Woodson. Zu Fuß erreicht man dieses Ziel, doch nicht Hilfe, sondern der Tod wartet auf die Neuankömmlinge: Seltsame Wesen materialisieren sich aus Schneewirbeln. Sie dringen halbstofflich in die Körper ihrer menschlichen Opfer ein, die sie anschließend ihrem Willen unterwerfen. Die dabei entstandenen Mischwesen sind kannibalische Mörder, die sich zwar töten lassen, wobei der Eindringling jedoch unbeschadet in sein Zwischenreich zurückkehrt.

Nur wenige Einwohner haben überlebt. Die Verkäuferin Shawna Dupree kann die unfreiwilligen und entsetzten Gäste zunächst retten und sie über die Situation in Kenntnis setzen. Von außen wird keine Rettung kommen. Die Kreaturen und das Wetter haben Woodson isoliert. Man ist gegen die schussfeste Übermacht auf sich allein gestellt. Bald finden die Wesen die kleine Gruppe, die trotz verzweifelter Gegenwehr reduziert wird. Allerdings entdecken die Menschen im Gegenzug, dass die Kreaturen nicht gänzlich unverwundbar sind …

_Guter, alter, nie altmodischer Horror_

In letzter Zeit kann der Freund des ‚richtigen‘ Horrors das Gefühl der Verzweiflung erschreckend leicht heraufbeschwören. Es genügt der Gang in eine beliebige Buchhandlung und der Blick in die mit „Phantastik“ überschriebenen Fächer: Dort drängen sich jene aktuell erfolgreichen Machwerke, in denen sich glutvolle Vampire oder Engel oder ihre einkaufsfetischistisch veranlagten weiblichen Gegenstücke tummeln und treiben, was vorzugsweise Jungmädchen für sexy oder schick halten. Die immer gleichen Geschichtchen vermehren sich wie die Karnickel bzw. setzen unzählige Klone in die Welt, wo diese wiederum endlose Serien austreiben.

Darüber hinaus wird dümmlicher Sex-&-Splatter-Trash für permanentpubertierende Leserkreise feilgeboten: Eindimensionale Monster schlagen breite Blutschneisen durch machtlose Menschenmengen, bis ihnen leichthirnige aber schwer bewaffnete Einzelgänger Einhalt gebieten.

Mit Erleichterung reagiert der Leser, der solche Platt- und Plumpheiten verabscheut und sich lieber traditioneller grault, auf die Entdeckung eines Romans, dessen denglischer Titel eigentlich keine nahrhafte Genrekost signalisiert. Umso erfreulicher ist die Entdeckung, dass hier ein Autor ganz altmodisch einen Job erledigt, der ganz einfach lautet: Unterhalte dein Publikum, ohne es für dumm zu verkaufen!

|“Simpel“ ist kein Schimpfwort|

Wobei dieses Publikum wie gesagt eben nicht nur aus b(lut)rünstigen Jugendlichen besteht, sondern auch Leser einschließt, die mit einer echten Story überrascht werden möchten. Dieser rote Faden kann ruhig dünn sein; hier bringt schlechtes Wetter eine kleine Gruppe in eine isolierte Stadt, die von Ungeheuern belauert wird. Die sich daraus ergebenden Ereignisse wurden in tausend Filmen und zehntausend Romanen durchgespielt. Auch „Snow“ bietet weder Neues noch Originelles, kann aber mit der bestmöglichen Alternative dienen: Ronald Malfi weiß, wie man an der Spannungsschraube dreht!

Als fachkundiger Horror-Handwerker orientiert er sich grob am Großmeister des US-Kleinstadt-Horrors: „Snow“ erinnert an ein Werk von Stephen King (speziell an „Under the Dome“, dt. „Die Arena“). Freilich kopiert Malfi sein Vorbild hauptsächlich in der sorgfältig entwickelten und getimten Dramaturgie des Schreckens: Dieser setzt langsam und unmerklich ein und bietet zunächst nur Bruchstücke eines Gesamtbildes, das der Verfasser uns nicht schwatzhaft erklärt, sondern das er im Geschichtsfluss entstehen lässt.

Wir wissen nie mehr als die Unglücksraben, die es nach Woodson verschlägt. Informationen erhalten wir wie sie, indem wir die Straßen des Städtchens ‚beobachten‘, den Schilderungen der wenigen Überlebenden ‚zuhören‘ oder gemeinsam mit unseren Helden Nachforschungen anstellen.

|Jedermann & Jedefrau in der Krise|

Es sind keine Supermänner oder -frauen, die in Woodson um ihr Leben kämpfen. Sie mutieren auch nicht zu solchen, nachdem sie im Feuer (bzw. hier im kalten Schnee) geprüft und gestählt wurden: Solche Quantensprünge überlässt Malfi den weniger inspirierten Autoren. Seine Figuren sind Getriebene, Entwurzelte, Verlierer, denen es jetzt zu allem Überfluss auch noch ans Leder geht. Angst und Überlebenswillen setzen zwar kurzfristig Kräfte und Kampfgeist frei, doch mangelndes Wissen führt oft dazu, dass der Schuss buchstäblich nach hinten losgeht. Fehltritte und -schüsse führen zu neuen, verhängnisvollen Ereignissen.

Dass die Handlung dennoch voranschreiten kann und ein allmähliches Sammeln von Wissen damit einhergeht, fordert ganz realistisch Opfer. Malfi treibt das Element der Unsicherheit auf die Spitze: Wir wissen nicht, was geschehen, und wir wissen nicht, wen es als Nächsten erwischen wird! Auch aufwändig eingeführte Hauptfiguren sind davor keineswegs gefeit.

Die Krise bringt zudem nicht zwangsläufig das Positive zum Vorschein: Woodson ist ein Mikrokosmos des allzu Menschlichen. Mit offenen Armen werden die Flüchtigen nie empfangen. Wer seine kleine Nische vor den Monstern gefunden hat, will Sicherheit, Wärme und Nahrung nicht teilen. Kleine Geister wittern ihre große Chance und wachsen als Diktatoren oder religiöse Fanatiker unheilvoll über sich selbst hinaus.

|Was im Schnee umgeht|

Die daraus resultierenden Konflikte ermöglichen es Malfi, sparsam mit den Auftritten seiner Ungeheuer umzugehen. Gern sind die Menschen mit sich selbst beschäftigt. Manchmal ist der Leser sogar froh, dass die Kreaturen sich wieder bemerkbar machen: Sie bringen von außen Bewegung in die Handlung!

Dies ist ihr Primär-Job, und deshalb ist es gar nicht nötig, ihre Herkunft detailliert zu klären. Sind es Naturgeister? Unwillkommene Gäste aus einer fremden Dimension? Außerirdische? Wichtig ist: Es sind Jäger, sie sind teuflisch schlau, und ihnen ist mit Waffengewalt nicht beizukommen. Erforderlich sind Gewalt und Köpfchen, wobei beide Elemente sich die Waage halten: Schließlich ist „Snow“ kein Psycho-Thriller und will es auch nie sein.

Malfis Monster erfüllen ihre Aufgabe gut: Sie sind groß, es gibt sie in den Versionen bizarr bis hässlich, und ihr Verhalten sorgt jederzeit für Schrecken. Die Möglichkeit der Kommunikation ist im Romankonzept nicht vorgesehen. Ungeheuer sind und bleiben Ungeheuer. Man spricht nicht mit ihnen, man kämpft mit ihnen und rottet sie aus.

|Mit Volldampf in die Zielgerade|

„Snow“ gäbe die Grundlage für keinen guten aber einen unterhaltsamen Film ab. Ungeachtet der Frage, ob Malfi bei der Niederschrift schon mit einem Auge gen Hollywood schielte, sind entsprechende Stilmittel deutlich erkennbar. Die Handlung bietet sowohl regelmäßige Action-Einschübe als auch Pausen, in denen nicht nur die Figuren (= Darsteller) verschnaufen können. In solchen Momenten der Ruhe gibt es Rückblenden. Die Figuren erinnern sich an ihre Vergangenheit oder erzählen einander davon. Wirklich notwendig ist es nicht. Anders als der schon genannte Stephen King verfügt Malfi zudem nicht über das Talent, Klischees zu entstauben und Figuren in Menschen zu verwandeln. Sie bleiben Monsterfutter.

Die Verfolgungsjagden und Duelle mit den Kreaturen oder mit durchgedrehten Zeitgenossen steigern sich in ihrer Intensität. Wie ein Film steuert die Handlung klar auf einen finalen Höhepunkt zu. Alle relevanten bzw. noch lebenden Figuren werden zum letzten Gefecht antreten. Die Menschen sind hoffnungslos in der Unterzahl. Noch einmal wird aus Leibeskräften gestorben. Aber siehe: Wer lange genug die Zähne zusammengebissen und ein wenig Glück hat, wird mit einem Ende belohnt, das zwar nicht happy ist – wir leben schließlich im zynischen 21. Jahrhundert -, aber die üblichen Verhältnisse immerhin monsterfrei wiederherstellt. Ein bisschen Zuckerguss gibt’s noch dazu: Wer bisher sein Kind vernachlässigt oder dem falschen Mann hinterhergerannt ist, wird zukünftig alles besser machen.

Das ist wie gesagt alles keine Kunst, sondern Handwerk. Ronald Malfi beherrscht es so gut, dass man von ihm hierzulande hoffentlich noch mehr lesen wird – ein Gefühl der Erwartung, das der Horrorfreund im Wust des Trash-Grusels fast schon verloren wähnte. (Vielleicht stimmt der deutsche Verlag die Veröffentlichung des nächsten Malfi-Titels ein wenig besser auf die Jahreszeit ab …)

_Autor_

Ronald Damien Malfi wurde am 28. April 1977 als ältestes von vier Kindern in New York City, Stadtteil Brooklyn, geboren. Er studierte Englisch an der Towson University nahe Baltimore in Maryland. Seinen Abschluss machte Malfi 1999. Ebenfalls ab 1999 spielte er Gitarre und sang in der Alternative-Rock-Band „Nellie Blide“, die bis 2002 bestand.

Noch in den 1990er Jahren erschienen zahlreiche Kurzgeschichte und Novellen. Er beschränkte sich keineswegs auf Phantastisches, sondern mischte genreübergreifend Horror mit Thriller, triviale mit ‚hoher‘ Literatur. (Die dafür getischlerte Schublade nennt sich „Art House Horror“)

Seit 2000 schreibt Malfi auch und vor allem Romane. Seine Figuren sind meist Menschen, die den Halt oder gar ihre Identität verloren haben. Die daraus resultierende Unsicherheit schilderte Malfi meisterhaft in seinem Roman „Shamrock Alley“ (2009), der auf Erlebnissen seines Vaters, eines Undercover-Agenten, basierte, der eine Straßengang infiltrierte. Für „Shamrock Alley“ wurde Malfi 2010 mit einem „Independent Publisher Book Award“ für den besten Spannungs-Roman des Jahres ausgezeichnet.

|Taschenbuch: 384 Seiten
Originaltitel: Snow (New York : Leisure 2010)
Übersetzung: Jürgen Langowski
ISBN-13: 978-3-453-52852-9

Als eBook: Juli 2011
ISBN-13: 978-3-641-06076-3|
[http://www.ronmalfi.com]http://www.ronmalfi.com
[www.randomhouse.de/heyne]http://www.randomhouse.de/heyne

Wood, Maryrose – Liebe ist unheilbar (Die Poison Diaries 1)

_|Die Poison Diaries|:_

Band 1: _“Liebe ist unheilbar“_
Band 2: „Nightshade“ 01.09.2011 (noch ohne dt. Titel)
Band 3: – geplant –

|“Was zu heilen vermag, das kann auch töten …“|

_England um 1800._ Die 16-jährige Jessamine Luxton lebt abgeschieden mit ihrem Vater Thomas in einer alten und einsam gelegenen Kapelle in der Herzogschaft Northumberland nahe Alnwick Castle.

Jessamines Vater interessiert sich seit dem Tod seiner Frau stark für Pflanzen und deren Heilmöglichkeiten. Aber Thomas baut nicht nur altbekannte Heilpflanzen an. In der sicheren Überzeugung, dass auch Gifte in der richtigen Dosierung durchaus heilen können, hat er einen geheimen, gut gesicherten Giftgarten angelegt. Jessamine ist der Zutritt zu dem geheimen Garten streng untersagt, da Thomas seine Tochter vor den Gefahren seines tödlichen Giftgartens schützen möchte. Zudem hält er Jessamine für zu kindlich, um mit diesen Gefahren umgehen zu können.

Oft lässt Thomas seine Tochter lange alleine, um mit seinem Können und Wissen anderen Menschen zu helfen. Jessamine ist daher oft einsam und hat nur die Pflanzen, um die sie sich kümmern kann. Dies ändert sich, als der junge Weed in das Leben von Thomas und Jessamine tritt. Weed scheint noch mehr Wissen über die Kraft der verschiedenen Pflanzen zu haben als Thomas selbst und so ist Thomas sehr fasziniert von dem jungen Mann.

Aber nicht nur Thomas ist von Weed fasziniert, seine Tochter verliebt sich schnell in den jungen Mann mit den geheimnisvoll absinthgrünen Augen. Doch kaum kommen sich die beiden näher, wird Jessamine sterbenskrank. Wird Weed ihre Rettung oder ihr Verderben sein?

_Kritik_

„Die Poison Diaries – Liebe ist unheilbar“ ist der düstere Auftakt zu einer Trilogie, die Maryrose Wood nach einer Idee von Jane Northumberland verfasst hat.

Maryrose Wood bedient sich einem gehobenen, manchmal schon fast poetischen Schreibstil, der hervorragend in die Zeit um 1800 passt. Dieser Stil dürfte für die jugendliche Zielgruppe etwas ganz Neues sein, durch prägnante Sätze ist dem anspruchsvollen Stil dennoch leicht zu folgen. Authentisch und düster werden die zuweilen finster anmutend Orte der Handlung beschrieben und üben so einen ganz eigenen Reiz aus. Viel Raum wird hier vor allem der Welt der Pflanzen gegeben, vor allem der, wie der Titel schon sagt, der Giftpflanzen.

Ein fein gesponnener Spannungsbogen zieht sich gleichmäßig durch die Geschichte. Ohne besondere Höhen, schafft es die Autorin die Leser an die Geschichte zu fesseln. Das Ende wirkt abgeschlossen, wenn auch genug Fragen offenbleiben, um die weiteren Teile der Trilogie mit Interesse zu erwarten. Auch das hier kein typisches „Happy End“ geboten wird, steigert die Neugier auf die weiteren Teile der Trilogie.

Aus dem Betrachtungswinkel von Jessamine wird uns Lesern Jessamines Geschichte im Stil eines Tagebuches erzählt. Dabei drückt Jessamine sich sehr pflanzlich aus, um ihre Gefühlswelt deutlich zu machen. Dies passt hervorragend zu diesem Charakter, schließlich kennt sie die Welt der Pflanzen deutlich besser als die der Menschen, ist ihr Vater doch ihr einziger menschlicher Kontakt. Die Wahl dieser Perspektive und die Art zu erzählen bringt dem Leser die Gefühlswelt der jungen Protagonistin sehr nahe. Erst als Jessamine sterbenskrank wird und nicht mehr in der Lage ist ihre Geschichte zu erzählen, wechselt die Perspektive und Weed erzählt nun aus seinem Blickwinkel die Ereignisse weiter.

Sehr glaubwürdig und in ihre Zeit passend werden die einzelnen Protagonisten gezeichnet. Am stärksten bleiben dabei die stille Jessamine und der geheimnisvolle Weed in Erinnerung. Die beiden Hauptdarsteller sind sympathisch und liebenswürdig konzipiert. Beide passen in ihrem Wesen geradezu perfekt in die Welt, in die sie gehören. Undurchsichtig ist von Anfang an Jessamines Vater, Thomas. Oft lässt er seine junge Tochter alleine, traut ihr dabei aber fast nichts zu.

Die Gestaltung des Covers passt perfekt zum Inhalt. In dunklen Grüntönen gehalten, sind ein düster anmutender Wald sowie ein junges Mädchen zu sehen. Goldene Ranken sowie der in Gold gehaltene und durch Spotlack in Szene gesetzte Titel wirken dabei besonders edel.

_Fazit_

Maryrose Woods Roman „Die Poison Diaries – Liebe ist unheilbar“ fällt schon aufgrund des ungewöhnlichen Erzählstils aus der Reihe. Die Mischung aus der geheimnisvollen Welt der Pflanzen, einer zarten Romanze und einer tödlichen Gefahr ist der Autorin hervorragend gelungen und macht Lust auf mehr.

Auch wenn der Plot und das gewählte Ende gewöhnungsbedürftig sind, eine Chance sollte der Leser dieser außergewöhnlichen Geschichte geben und sich in die geheimnisvollen und düsteren (Gift)Gärten entführen lassen.

_Autorin_

Maryrose Wood wuchs auf Long Island auf. Sie arbeitete viele Jahre am Theater, ehe sie ihren ersten Roman schrieb. „Die Poison Diaries – Liebe ist unheilbar“ ist das erste Buch, das auf Deutsch erscheint. Maryrose Wood lebt mit ihren zwei Kindern, zwei Katzen und einem kleinen Hund in New York.

|Hardcover mit Schutzumschlag: 272 Seiten
Aus dem Englischen von Alexandra Ernst
ISBN 978-3-8414-2124-1|
[www.fischerverlage.de]http://www.fischerverlage.de

Tenuta, Saverio – verdorbene Blume des Grauens, Die (Die Legende der scharlachroten Wolken 4)

_|Die Legende der scharlachroten Wolken|:_

Band 1: [„Die Stadt, die zum Himmel spricht“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7177
Band 2: [„Wie Blätter im Wind“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7178
Band 3: [„Die vollkommene Spur“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7179
Band 4: [„Die verborgene Blume des Scheusals“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7180

_Story:_

Nach dem gewaltigen Feuersturm zieht es die Bevölkerung aus der Stadt. Lediglich Kawakamis Armee ist geblieben, um die Mauern zu verteidigen und die letzten verbliebenen zu unterjochen. Der junge Ogi und eine Reihe von Greisen, die Yama-Ikki, bilden einen rebellischen Widerstand und überlisten den grausamen Herrscher kurzzeitig. Als die Lage dennoch auf einen aussichtslosen Ausgang zusteuert, taucht Meiki mit den Izuna-Wölfen auf und lässt Gerechtigkeit walten.

Unterdessen stellt sich Raido Cyam ein letztes Mal seiner einstigen Gefährtin und jetzigen Widersacherin Ryin. Doch bei der erneuten Begegnung kann der Ronin nur noch feststellen, dass die Shogunai dem Wahnsinn vollständig verfallen ist und nur noch von Hass und Machtbesessenheit bestimmt wird. Mithilfe des wiederbelebten Nobu Fudo will sie Raido endgültig in die Knie zwingen. Ein Kampf um Leben und Tod entbrennt – doch es geht noch um viel mehr …

_Persönlicher Eindruck:_

Die größten Teile der Geschichte wurden bereits in „Der perfekte Strich“ aufgelöst; nun kommt es also in der abschließenden Folge von Tanutas Fantasy-Reihe zu einigen endgültigen Entscheidungen – und damit überraschenderweise auch noch zu einigen geheimnisvollen Wendungen. Im Zentrum des Geschehens steht erwartungsgemäß das zweite Aufeinandertreffen von Raido und Ryin, die ihre Fehde außerhalb jedweder natürlicher Gesetzmäßigkeiten austragen. Die Shogunai hat sich in einen finsteren Dämon verwandelt und kann ihr Treiben kaum mehr rational kontrollieren. Der Tod des Ronins ist für sie die letzte Möglichkeit, ihre Würde zurückzuerlangen und ihre Position wieder zu festigen. Doch die Bedingungen haben sich geändert; ihr Reich ist gefallen, ihre Gefolgsleute rebellieren, und die Intrigen haben sie vollends in den Wahn Geetrieben, aus dem sie lebendig auch nicht mehr zurücktreten kann. Doch ihre Flucht nach vorne entpuppt sich als blutiger Racheakt, der der Serie die Spitze der Brutalität aufsetzt, gleichzeitig aber auch erste ernsthafte philosophische Elemente in die Handlung bringt. Und Letztgenannte steht nach einigen klaren Auseinandersetzungen mal wieder Kopf.

Dennoch bleibt auch „Die verdorbene Blume des Schausals“ sehr stringent und zielstrebig. Die Geschichte steuert auf das unvermeidliche, hier auch in aller Breite ausgetragene Finale zu, welches dann auch vorrangig von den Illustrationen des Autors geprägt wird. Der Text tritt zurück, die Bilder sprechen für sich, und erst zum entscheidenden Zeitpunkt, dann, wenn Vergangenheit und Gegenwart endlich eins werden, wagt Tanuta einen Schritt voraus und blickt ein letztes Mal, diesmal aber noch intensiver, hinter die tatsächlichen Persönlichkeiten hinter seinen Charakteren, die sich alles in allem komplexer darstellen als dies beispielsweise noch in „Wie Blätter im Wind“ der Fall war. Die Entwicklungen bei den Zeichnungen der Figuren hat die Story mehrfach überholt, viele zwischenmenschliche Elemente haben Einzug gehalten, während man damit beschäftigt war, den Plot nicht aus dem Auge zu verlieren, und nun, am Ende des kompletten Arrangements erkennt man noch einmal sehr deutlich, wie vielfältig all die einzelnen Fragmente eigentlich gestaltet sind, die zu diesem Comic-Märchen und dessen fantastischem Gelingen beitragen.

Es war zu erwarten, vielleicht nicht in der hier gebotenen Stringenz, dafür aber sicherlich im Hinblick auf die Überzeugungskraft dieses abschließenden Werkes: „Die verdorbene Blume des Scheusals“ setzt einen wohlbekömmlichen Punkt auf eines der besten Fantasy-Comic-Gerichte, die der entsprechende Gourmet je serviert bekommen hat. Bei den Highlights der abgelaufenen Saison ist Servario Tanutas Meisterwerk definitiv ganz oben auf der Liste!

|Hardcover: 48 Seiten
ISBN-13: 978-3868691429|
[www.splitter-verlag.eu]http://www.splitter-verlag.eu

Tenuta, Saverio – perfekte Strich, Der (Die Legende der scharlachroten Wolken 3)

_|Die Legende der scharlachroten Wolken|:_

Band 1: [„Die Stadt, die zum Himmel spricht“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7177
Band 2: [„Wie Blätter im Wind“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7178
Band 3: [„Die vollkommene Spur“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7179
Band 4: [„Die verborgene Blume des Scheusals“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7180

_Story:_

Der Tod von Kriegsherr und Ryins linker Hand Fudo hat die Stadt ins Chaos gestürzt; die Shogunai verfällt dem Wahnsinn und wird für unzurechnungsfähig erklärt, während der schonungslose Hauptmann Kenzo Kawakami das Zepter übernimmt und seiner Berufung mit harten Maßnahmen folgt. Als er eine nächtliche Ausgangssperre verhängt, ist die Bevölkerung alarmiert. Dennoch treiben sich zwei Kinder auf der Straße herum, die mit dem Tod bestraft werden sollen. Als Ogis Vater ihnen zur Hilfe eilt, muss er hierfür einen bitteren Preis zahlen – und wird als Warnung für seine Mitbürger auf grausame Art und Weise zur Schau gestellt.

Derweil begibt sich Raido immer weiter in seine eigene Vergangenheit und landet nach einer beschwerlichen Reise durch den Eiswald schließlich in sein Heimatdorf. Dort werden schließlich die finstersten Erinnerungen geweckt, die ihm die Wahrheit über seine Kindheit, sein Schicksal und seinen Werdegang offenbaren. Und auch die spezielle Verbindung zu Meiki, die nach dem Attentat auf die Shogunai spurlos verschwunden ist und schon totgesagt wird, erfährt plötzlich eine ganz besondere Note …

_Persönlicher Eindruck:_

Mit dem dritten Kapitel seiner bis hierhin wirklich fantastischen Comic-Debütserie „Die Legende der scharlachroten Wolken“ öffnet sich Saverio Tanuta verstärkt den brutalen Elementen seiner Story. Köpfe rollen, Schlachten werden in den Träumen und Gedanken des Hauptdarstellers rekapituliert, und überdies fließt in den einzelnen Darstellungen mehr Blut, als man vorab erwartet hatte. Effekthascherei oder nötiger Entwicklungsschritt? Die Tendenz geht klar zu Letztgenanntem, denn nicht nur auf emotionaler, sondern auch auf rein inhaltlicher Ebene ist diese Serie mit harten Bandagen umwickelt und bedarf in den gegebenen Passagen einer etwas krasseren Darstellung – und die liefert Tenuta seinem Publikum hier ohne Rücksicht auf Verluste.

Natürlich bringt dies auch eine kurze Diskussion zur Altersfreigabe von „Die Legende der scharlachroten Wolken“ ins Rollen, denn ganzheitlich jugendfrei sind die Ereignisse in „Der perfekte Strich“ sicher nicht mehr. Doch wie schon angesprochen: Dies geht keinesfalls zu Lasten der Qualität der Handlung, noch lenkt diese Eigenschaft in irgendeiner Form vom tatsächlichen Plot ab.

Nun zur Handlung: Einmal mehr muss man konstatieren, dass „Die Legende der scharlachroten Wolken“ ein wahrhaftig bildgewaltiges Epos ist, das von Tenutas Tusche ebenso lebendig gehalten wird wie von den kunstvollen Dialogen und der bezaubernden Atmosphäre, die aus dieser Verschmelzung hervorgeht. Rein inhaltlich geht „Der perfekte Strich“ noch einen Schritt weiter in die Vergangenheit und entblößt das wahre Antlitz von Hauptdarsteller Raido Caym. Das anspruchsvolle Fragment der Geschichte wird derweil weiterbelebt, da sich die Erzählung wieder auf mehrere Ebenen verteilt und somit auch die Schauplätze ständig wechselt. Kapitel Nr. 3 ist demnach auch wieder eine ganze Spur anspruchsvoller, selbst wenn logische Probleme oder dergleichen überhaupt nicht zum Wortschatz der hiesigen Bewertung gehören dürfen. Und dennoch geht der Anspruch dahin, ein weitaus größeres Puzzle als zunächst vermutet zusammenzusetzen, immer wieder tiefer zu graben, um die letzten Bausteine einzusammeln, und schließlich einen Konsens zu finden, der all das übertrifft, was man nach dem Genuss des ersten Bandes hätte erahnen können.

Schön ist zuletzt, wie Tanuta Schritt für Schritt die einzelnen Charaktere zusammenführt und das unsichtbare Band mit kleinen Entwicklungen langsam transparenter macht. Bereits zum Ende von „Der perfekte Strich“ ist ein großer Teil des Hintergrunds der Story aufgedeckt; jetzt gilt es nur noch, dem Mythos einen runden Abschluss zu schenken und historische, phantastische und emotional-mitreißende Versatzstücke kulminieren zu lassen und in einem würdigen Finale ein letztes Mal vor dieser großartig illustrierten Kullise zum Leben zu erwecken. Und da müsste es schon mit dem Teufel zugehen, wenn der Autor diese fantastischen Voraussetzungen im Abschlussband noch in eine unbefriedigende Richtung lenken würde. Dafür ist das Gesamtkonstrukt auch diesmal viel zu gewaltig und überzeugend!

|Hardcover: 48 Seiten
ISBN-13: 978-3868691412|
[www.splitter-verlag.eu]http://www.splitter-verlag.eu

Tenuta, Saverio – Wie Blätter im Wind (Die Legende der scharlachroten Wolken 2)

_|Die Legende der scharlachroten Wolken|:_

Band 1: [„Die Stadt, die zum Himmel spricht“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7177
Band 2: [„Wie Blätter im Wind“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7178
Band 3: [„Die vollkommene Spur“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7179
Band 4: [„Die verborgene Blume des Scheusals“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7180

_Story:_

Nachdem der gezeichnete Ronin Raido von seinen schweren Qualen genesen scheint, taucht er erneut in seine Vergangenheit ein und entdeckt immer mehr Spuren, die zu seinem wahren Ich und der Person führen, die vor seinem schmerzlichen Gedächtnisverlust zur Legende wurde. Diese Spuren leiten ihn auch wieder zur Shogunai Ryin, zu der er einst ein sehr inniges Verhältnis führte, die aber nun völlig aus seiner Erinnerung gestrichen ist. Doch dies beruht keinesfalls auf Gegenseitigkeit; die Kunde, dass Raido wieder zurückgekehrt ist, hat längst den Palast der Shogunai erreicht, die nun nach ihm suchen lässt, ihn jedoch lebend sehen möchte. Ihrem Handlanger Nobu Fudo befiehlt sie, Raido ausfindig zu machen und ihn zu ihr zurückzubringen, und dazu bleibt ihm nur eine Option: Den Schreiber Yozeru Masa, der sich seit etlichen Jahren in Gefangenschaft der Shogunai befindet, zu foltern und ihm das Geheimnis um Meikis Heim und damit auch des Ronins Lagerstatt zu verraten. Als eine Eskorte Fudos tatsächlich angreift und die Hausherrin Jera schwer verwundet, reift in Raido der Entschluss, sich tatkräftig seiner Vergangenheit zu stellen. Gemeinsam mit einem kleinen Trupp stürmt er den Palast Ryins‘ und trifft die Frau, die ihm einst so viel bedeutet hat, unter ganz anderen Umständen wieder.

_Persönlicher Einddruck:

Im zweiten Band von „Die Legende der scharlachroten Wolken“ beschreitet ddie Story weitaus stringentere Wege. Bei einer konstanten Tempoerhöhung und mit stärker gefestigten Charakteren taucht Autor Averio Tanuta einmal mehr in die Vergangenheit des Hauptcharakters ein, schwimmt aber nicht mehr so oft zwischen den Ebenen. Die Übergänge sind leichter, die Komplexität ein wenig herausgenommen, der mystische Teil unterdessen, aber auf einem gleichwertigen Spannungsniveau beibehalten. Geblieben sind weiterhin auch die fantastischen Zeichnungen, die einmal mehr eine sehr besondere Atmosphäre ausstrahlen und den Leser ohne Umwege wieder in das Japan des Mittelalters führt, wenngleich hier natürlich auch viele phantastische Momente Basis der Erzählung sind. Doch es fällt sehr leicht, eins mit der Story zu wreden, sich in den Bann nehmen zu lassen und auch mit den Charakteren zu fühlen, zumal die Geschichte auch in „Wie Blätter im Wind“ wieder sehr emotional und finster angelegt ist.

Inhaltlich geht es derweil sehr flott voran; Raido erfährt in einzelnen Etappen stetig mehr über sein Dasein und wird als Figur ein ganzes Stück transparenter als noch im ersten Band. Man erkennt die Verbindungen, versteht sein Leid, wird aber auch mit den schmerzlichen Verlusten und Entwicklungen auf der Gegenseite konfrontiert, sodass die Sympathien zu den Persönlichkeiten der Handlung relativ vielschichtig verteilt sind. Insgeheim fühlt man auch mit der traurigen Ryin, die einen sehr schweren Makel auf ihrer Seele trägt und lediglich von ihrer Leidenschaft und Hoffnung genährt wird, Raido eines Tages für sich zurückzugewinnen. Der wiederum verfolgt andere Pläne, will die Schande besiegen, sein Leben zurückerlangen, Frieden mit sich selbst schließen und schließlich auch für Gerechtigkeit im Reich der Shogunai sorgen – hehre Pläne, die sich in diesem gewaltvollen Zeitalter nur schwer bis unmöglich umsetzen lassen.

Insgesamt verfolgt Tanuta damit zwar mehrere Stränge, lässt sie aber alle Teil des Hauptplots sein, wobei hier immer wieder Spielraum für einzelne Ausbrüche auf Ebene der Charaktere bleibt. Die Tempoverschärfung ist in diesem Sinne erwünscht, da hiermit auch keine Einbrüche beim Spannungsaufbau verknüpft sind. Fraglich bleibt nur, was Tanuta nach dem dramatischen Ende des zweiten Kapitels noch aufbieten kann, um die Story noch einmal herumzureißen. denn inhaltlich geschieht in „Wie Blätter im Wind“ eine ganze Menge, partiell sogar vermeintlich Vorentscheidendes. Aber nach den sehr positiven Eindrücken der ersten beiden Alben darf man diesbezüglich zuversichtlich sein, dass der italienische Debütant noch reichlich aus dieser Serie herausholen wird. So beeindruckend wie hier Bild und Text verschmelzen, ist „Die Legende der scharlachroten Wolken“ nämlich auf dem besten Weg zum Klassiker!

|Hardcover: 48 Seiten
ISBN-13: 978-3868691405|
[www.splitter-verlag.eu]http://www.splitter-verlag.eu

Tenuta, Saverio – Stadt die zum Himmel spricht, Die (Die Legende der scharlachroten Wolken 1)

_|Die Legende der scharlachroten Wolken|:_

Band 1: [„Die Stadt, die zum Himmel spricht“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7177
Band 2: [„Wie Blätter im Wind“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7178
Band 3: [„Die vollkommene Spur“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7179
Band 4: [„Die verborgene Blume des Scheusals“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7180

_Der Autor:_

Saverio Tenuta ist in der Comic-Welt noch ein relativ unbeschriebenes Blatt – und das ist für einen graduierten Absolventen der „Accademia di belle arti“ in Rom, der zudem Jahrgang ’69 ist, schon relativ ungewöhnlich. Der Autor und Zeichner konnte sich bislang lediglich mit einigen Coverzeichnungen und Kurzgeschichten für diverse italienische Kleinverlage in Szene setzen. Mit „Die Legende der scharlachroten Wolken“ feiert er nun sein Serien-Debüt, welches hierzulande vom Splitter Verlag aufgelegt wird.

_Story:_

Seit längerer Zeit wird die junge Meiki bereits von der Gefolgschaft der grausamen Shogunai Fujiwara Ryin gejagt. Während einer Theater-Aufführung in einem abgelegenen Wirtshaus scheint sie den Wachen nun endgültig zum Opfer zu fallen – bis plötzlich ein junger, mysteriöser Mann auftaucht, der sie sowohl vor der Shogunai, als auch vor der anschließenden Attacke der Izuna-Wölfe bewahrt. Der Mann, dessen Gedächtnis verloren ging, zahlt für die Rettungsaktion jedoch einen hohen Preis; Meiki hievt ihn mit letzter Kraft in die Behausung der Heilerin Jera, wo er, Raido Cyam, ein legendärer Ronin, von den Qualen erholt.

Doch die Stimmen in seinem Kopf wollen nicht verklingen und spielen ihm immer wieder Visionen aus der Vergangenheit vor. Einst kämpfte er Seite an Seite mit dem kräftigen Nobu Fudo für den Shogun, verliebte sich in dessen Tochter Ryin, musste Fudos Machtbesessenheit jedoch mit einem Arm, seinen beiden Schwertern und einem Auge bezahlen. Nun ist Ryin an der Macht, Nobu Fudo ihr treuester Diener und Raido der einzige Kämpfer, der sich dem Weg des Fleisches, den die Shogunai eingeschlagen hat, widersetzen kann. Doch eigenartigerweise bleiben diese klaren Gedanken lediglich präsent, solange er in Meikis Gegenwart ist.

_Persönlicher Eindruck:_

Bildgewaltig – das war der erste Eindruck, den der Auftakt von Tenuta’s Debütserie hinterlassen hat. Es lohnt sich durchaus, zunächst einmal durch die Seiten zu blättern und die illustrierte Kunst zu bewundern, die der italienische Autor hier aufs Papier gebracht hat. Allerdings ist auch die Geschichte aller Ehren wert und startet in „Die Stadt, die zum Himmel spricht“ bereits sehr, sehr viel versprechend.

Dabei ist die erste Episode zunächst gar nicht so leicht zu durchschauen. Tenuta macht es seinem Publikum nicht einfach, die Charaktere als Ganzes zu erfassen und ihre Gedanken zu begreifen. Dies wird vor allem dadurch erschwert, dass die Übergänge zwischen Rückblenden und aktuellen Ereignissen nahtlos sind und man zwischenzeitlich nicht genau abschätzen kann, welcher Akt nun welcher Ära im Leben des Ronins angehört. Erst mit und mit verschmelzen diese Passagen dann miteinander, geben ein klares Bild ab und ordnen die Story dann auch zu einem leichter nachvollziehbaren Konstrukt – auch wenn noch sehr viele Elemente verworren sind und unklar erscheinen. Doch aus diesem Fundus schöpft „Die Legende der scharlachroten Wolken“ schließlich auch seine Spannung; der Autor erschafft einen Mythos im mittelalterlichen Japan, greift hierbei auf die asiatische Märchenkunst zurück, nimmt wiederum einen großen Teil der historischen Kultur aus Fernost auf und verstrebt Fakt und Fiktion zu einer wirklich sehr schönen Geschichte, die bisweilen an die Roman-Reihe „Der Clan der Otori“ erinnert – zumindest im Hinblick auf das sehr schöne, romantische, dann aber auch wieder von grausamen, brutalen Handlungen gezeichnete Stimmungsbild.

Die erste Episode, „Die Stadt, die zum Himmel spricht“ ist daher auch ein wundervoller Auftakt einer Reihe, von der man in den folgenden drei Bänden noch eine Menge erwarten darf. Das Potenzial wird bereits hier vollständig ausgestreut, die Einführung trotz vieler verwobener Stränge problemlos vollzogen und derweil eine Atmosphäre garantiert, die sich sehr schön an die vielen asiatischen Legenden anschmiegt, ddie auch hierzulande immer wieder für bewegte Gemüter sorgen. Zuletzt ist das illustrative Paket faszinierend und schwer beeindruckend – und damit auch der letzte Faktor heilig gesprochen, der diesen Comic auszeichnet. Wunderbar, einfach wunderbar, was hier gestartet wird!

|Hardcover: 48 Seiten
ISBN-13: 978-3868691399|
[www.splitter-verlag.eu]http://www.splitter-verlag.eu

Pigfellow, Hugh / Pigfellow, Jack – Schweinerei – Party-Edition (Gesellschaftsspiel)

„Schweinerei“ gehört schon seit ewigen Jahren zu den Familienspiel-Klassikern und gleichzeitig zu den witzigsten Spielideen, die bis dato den Markt befüllt haben. Die Idee, mit kleinen Schweine-Figuren zu würfeln und in einer Art „Kniffel“-Variante Punkte zu erzielen, hat sich schon beim Original-Release von MB vor etlichen Jahren durchgesetzt und gilt heute als wichtiges Utensil in der Sammlung. Mit der „Party Edition“ haben Winning Movees nun eine leichte Abart des klassischen Systems auf den Markt gestellt und die Schweine wieder zurück ins Geschehen gebracht. Doch bleibt der Witz der Original-Idee erhalten?

_Spielmaterial:_

* 8 Schweine
* 30 Schweinerollen-, Bonus- und Punktekarten
* Reißverschluss-Transport-Tasche
* Illustrierte Spielregeln

Das Spielmaterial ist und bleibt der Clou bei der ganzen „Schweinerei“; das Design der inzwischen in vier Farben verfügbaren Schweine zeichnet den Charme des Spiels aus und ist auch hier wieder sehr gut gelungen. Dem entgegen bleibt man bei den Karten sehr schlicht, dafür aber auch leicht verständlich und für jeden nachvollziehbar. Damit die Sache auch leicht auf die Reise genommen werden kann, hat man dem Spiel ein Etui beigefügt, in dem man die Materialien leicht verstauen kann. Anzumerken hier ist lediglich, dass es kein separates Fach für Schweine und Karten gibt. Aber das ist wohl eher Erbsenzählerei. Dass man damit die Spielschachtel überflüssig macht, ist im Gegenzug nämlich ein großes Plus.

_Spielidee:_

In der „Party-Edition“ geht es diesmal nicht darum, willkürlich zu würfeln und zu schauen, dass man das Beste aus seinem Schweine-Wurf macht. Stattdessen gibt es anhand der Karten feste Vorgaben, welche Kombination man mit seinen beiden Schweinen erzielen muss, um zu punkten. Dabei gibt es gewohntermaßen Abstufungen beim Schwierigkeitsgrad bzw. bei der Seltenheit mancher Positionen. Wer zuerst 100 Punkte über den normalen Ablauf respektive über zusätzliche Bonuskarten erzielt hat, gewinnt das Spiel.

_Spielablauf:_

Jeder Spieler erhält zunächst die Schweine in seiner Wunschfarbe. Insgesamt stehen vier Sätze zu jeweils zwei Schweinen zur Verfügung. Anschließend werden die Bonuskarten aussortiert, die Punktekarten gemischt und als verdeckter Nachziehstapel abgelegt. Der Startspieler nimmt nun die oberste Karte und versucht, die hier abgebildete Kombination zu würfeln. Gelingt ihm das sofort im ersten Versuch, darf er alle acht Schweine zur Hand nehmen und versuchen anhand der Übersicht auf der Bonuskarte weitere Punkte zu erwürfeln. Sollte er jedoch scheitern, geht das Spiel im Uhrzeigersinn weiter, bis es einem Spieler gelingt, die Vorgabe zu erreichen. Hilfreich ist hierbei im Übrigen, dass man immer eines seiner Schweine liegen lassen kann, wenn bereits ein Teil der Karte erwürfelt wurde.
Wer hierbei jedoch mit seinen Schweinen kollidiert, sprich die Schweine berühren sich naah dem Wurf, muss wieder eine seiner gesammelten Karten abgeben. Würfelt man indes mit beiden Schweinen die sogenannte ‚Faule Sau‘ (dies ist der Fall, wenn beide Schweine auf der Seite liegen), scheidet man in der aktuellen Runde aus.

Auf diese Weise arbeitet man nun den Nachziehstapel weiter durch, mischt ihn ggf. noch einmal neu und wartet, bis es einem Spieler gelingt, die 100-Punkte-Marke zu erreichen. Dieser Spieler hat das Spiel dann auch gewonnen!

_Persönlicher Eindruck:_

Die „Party-Edition“ der „Schweinerei“ ist sicherlich eine nette Ergänzung der eigentlichen Spielidee, insofern aber etwas steif, da man an die festen Vorgaben der Karten gebunden ist. Insofern verfallen oftmals lukrative Würfe, was den Spaßfaktor ein wenig ausbremst. Komisch ist ferner die Regelauslegung im Hinblick auf die ‚Faule Sau‘; sobald, bis auf einen, alle Spieler aus dem Rennen sind, kann der verbliebene Würfler nun so lange agieren, bis er das gefragte Ergebnis erzielt. Hier wäre eine klare Begrenzung erforderlich, da es jetzt nur noch darum geht, das Resultat, das irgendwann dann sowieso erzielt wird, endlich vorliegt. In den Testrunden wurde hier die Absprache getroffen, dass maximal fünf weitere Versuche möglich sind, ansonsten wird die nächste Karte aufgedeckt und alle Spieler wieder mit ins Boot geholt. Dies erscheint auch direkt sinnvoll, ist aber in der Anleitung so nicht verankert.

Davon abgesehen ist die neue Edition eine wirklich nette Geschichte, die den Spielwitz der klassischen Variante übernimmt und ihr einige neue Facetten öffnet. Nicht zuletzt das witzige Design und die Tauglichkeit, zu nahezu jeder Situation ausgepackt werden zu können, verwandelt die „Schweinerei Party-Edition“ in ein feines Mitbring-Spiel, das man sich zum smarten Preis gerne ins Regal stellen darf.

|Anzahl der Spieler: 2 bis 4
Spieldauer: ca. 20 Min.
ASIN B004U5RAY0|

Bourgeon, Francois – Fest der Narren, Das (Die Gefährten der Dämmerung 3)

_|Die Gefährten der Dämmerung|:_

Band 1: [„Im Zauber des Nebelwaldes]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7170
Band 2: [„Die drei Augen der blaugrünen Stadt“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7171
Band 3: _“Das Fest der Narren“_

_Story_

Der Winter ist eingekehrt und zwingt die drei ungleichen Gefährten zu einem längeren Halt. Da bietet sich der Verbleib in der anscheinend noch von der Pest verschonten Stadt Montroy regelrecht an, zumal der gesichtslose Ritter einige seiner Geheimnisse direkt mit diesem Ort verbindet. Vor allem Mariotte ahnt derweil noch nicht, welche finsteren Mysterien sich um die Stadt und die drei Sirenen-Schwestern ranken, die untrennbar mit der Festung und all ihren eigenartigen Gestalten ranken …

Die junge Rothaarige lernt in ihrem zwischenzeitlichen Zuhause den Mönch Aymon kennen, der ihr die Geschichten über die Geheimnisse der Stadt verrät und auch Zugang zu den seltsamen Ereignissen der Vergangenheit verschafft. Aber auch der reumütige Bruder Jacot und die angereiste Komödiantin Anais wecken ihre Aufmerksamkeit und starten Zweckbündnisse mit der hin und her gerissenen Reisenden, die sich alsbald in einem Konstrukt aus Lügen, Intrigen, Verrat und eigenartigen Begebenheiten verstrickt. Während der gesichtslose Ritter anscheinend der Burgherrin Neyrelle verfällt, mit deren ermordeter Schwester Blanche er einst eine enge Verbindung hatte, in der Stadt die Hatz auf die Legende des Werwolfs startet und auch Anicet immer mehr ins Abseits seiner Gefolgschaft gerät, begreift Mariotte langsam aber sicher, welches Spiel tatsächlich in Montroy gespielt wird – und dass sie und ihre Gefährten offenbar ungebremst ins Verderben stürzen …

_Persönlicher Eindruck:_

Erst einmal durchatmen, lange genug Luft holen, und dann verdauen, was Francois Burgeon im dritten und letzten Kapitel seines kleinen Meisterwerks „Die Gefärhten der Dämmerung“ geschaffen hat – denn dieser Wälzer hat es nicht nur inhaltlich in sich, er bietet auch eine Atmosphäre, die im historisch inspirierten Comic seinesgleichen sucht. Hierzu sollte zunächst auch erwähnt werden, dass die noch einmal in vier Teils gesplittete Story nicht wie gewohnt die gewöhnliche Fülle eines Albums aufweist, sondern sich über insgesamt 146 Seiten erstreckt, in denen der Autor und Zeichner in Personalunion sich alle Freiräume nimmt, eine Geschichte reifen zu lassen, die von so vielen einzelnen Fragmenten zehrt, dass man regelrecht von der Fülle an Bildern, Dialogen und entscheidenden Situationen erschlagen wird. Doch trotz der übergeordneten Komplexität, die Bourgeon seinen Lesern hier noch massiver bietet als schon im vorangegangenen Band, bleibt der rote faden kenntlich und hält die Fülle an Informationen und flotten Szenenwechseln immerzu problemlos zusammen – eine Kunst, wie man bestätigen wird, wenn man die Erfahrung namens „Das Fest der Narren“ selber hat machen dürfen.

Dabei scheint der Plot erstmal wieder völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Die Verbindungen zum bisherigen Kern gehen schon am Anfang verloren und scheinen sich in den verwinkelten Gassen von Montroy zu verlieren. Lediglich die drei Protagonisten sind geblieben, allesamt von irgendwelchen Geheimnissen umgeben, ferner von einer gemeinsamen Reise geprägt, die hier jedoch keine allzu große Bedeutung mehr zu haben scheint. „Das Fest der Narren“ könnte auch als eigenständige Erzählung funktionieren, wenngleich es dann weitaus schwieriger wäre, noch einmal erneuten Zugang zu den Charakteren zu bekommen, denn derer gibt es hier noch einmal zwei Hände voll weiterer wichtiger Namen. Und genau mit diesem Element droht auch zunächst eine absolute Überforderung.

Es ist die Masse an Schauplätzen und Sub-Plots, die für eine kurzzeitige Erstickung des Erträglichen sorgen, dann aber wieder in Windeseile aufgelöst werden, um weiteren Nebenschauplätzen Raum zu schaffen und den großen Mythos, der sich um diese Geschichte zieht, weiter zu beleben. Erst im letzten Drittel bekommt man den Durchblick, versteht das Geschehene, wagt einen optimistischen Blick auf die verbleibenden Seite, wird dann aber sogleich wieder in den Bann der Ereignisse gezogen, die hier Schlag auf Schlag folgen und dem Leser keine Sekunde der Ruhe gönnen – aber gleichwohl auch keinen Ausweg aus der Faszination, die die Handlung in sich trägt.

Es ist wahrhaftig außergewöhnlich, wie Bourgeon bei einer solch stattlichen Seitenzahl ein Spannungsniveau aufrechterhält, dessen aufregende Natur dem Leser nur noch Superlative entlockt. Was einst als stringente, noch nicht allzu verworrene Story begonnen hat, mündet hier in einem grandiosen, unendlich anmutenden Finale, welches wirklich alles auffährt, was die illustrierte Kunst ausmacht: Erhabene, dennoch schwer durchschaubare Figuren, ein sehr authentisches Setting, wiederholt Elemente aus der Phantastik, Grausamkeiten im Rahmen des mittelalterlichen Schauplatzes, dann aber auch Freizügigkeit, lockere Zungen und Schonungslosigkeit im Hinblick auf die Entwicklung der Geschichte. Wenn man nach knapp zwei Stunden das Buch zuklappt und die Ereignisse verarbeitet, kommt man schließlich zum einzig möglichen Schluss: „Die Gefährten der Dämmerung“ krönen sich selbst mit einem beeindruckenden Meisterwerk, dessen euphorisierendes Gesamtbild nachhaltig wirkt. Diese Ausgabe setzt ganz klar eine neue Messlatte für den historischen Comic!

|Hardcover: 146 Seiten
Originaltitel: Les Compagnons du Crèpuscule Tome 3: Le Dernier Chant des Malaterre
ISBN-13: 978-3868691467|
[www.splitter-verlag.eu]http://www.splitter-verlag.eu

_Francois Bourgeon bei |Buchwurm.info:|_
[Blinde Passagiere (Reisende im WInd 1)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6679
[Das Gefangenenschiff (Reisende im Wind 2)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6680
[Handel mit schwarzer Ware (Reisende im Wind 3)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6700
[Die Stunde der Schlange (Reisende im Wind 4)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6849

Kendall, Anna – Pfad der Seelen, Der

_|Soulvine Moor Chronicles|:_

Band 1: _“Der Pfad der Seelen“_
Band 2: „Dark Mist Rising“ (noch ohne dt. Titel)

_Roger ist eine Waise_ und lebt bei seinem Onkel und seiner Tante. Über seine Eltern weiß er überhaupt nichts, dafür weiß er eine Menge über das Reich der Toten. Denn Roger besitzt die Fähigkeit, auf den Pfaden der Toten zu wandeln. Dankbar ist er dafür allerdings nicht, denn sein Onkel ist ein rücksichtsloser und brutaler Mann, der Roger nach Strich und Faden ausbeutet. Aber selbst, als Roger wie durch ein Wunder nach Gloria kommt, der Hauptstadt des Reiches, erweist seine Gabe sich eher als Fluch denn als Segen …

_Obwohl Roger durch eine_ harte Schule gegangen ist, ist er in mancher Hinsicht noch recht naiv. Vor allem von Frauen hat er keine Ahnung. Er selbst hält sich vor allem für einen Feigling. Aber dumm ist er nicht. Cecilia dagegen, die Hofdame, in die Roger sich verguckt, ist nichts weiter als ein Schmetterling: hübsch, schillernd, harmlos und ohne jeglichen Verstand. Ganz anders Maggie, die sich ihrerseits in Roger verguckt hat. Maggie ist eine Küchenmagd, besitzt jede Menge praktischen Menschenverstand und ist außerdem hilfsbereit und treu.

Weit schwerer einzuordnen ist die junge Königin Caroline. Sie ist ehrgeizig und fürsorglich, charmant und rücksichtslos. Das Einzige, dessen man sich bei ihr sicher sein kann, ist, dass sie das Beste für ihr Land will. Ihre Methoden, das zu erreichen, sind allerdings recht bedenklich.

Den Part des Geheimnisvollen übernimmt Mutter Chilton, eine Heilerin, die offenbar mit den gefürchteten Bewohnern des Seelenrankenmoores zu tun hat. Sie scheint eine Menge zu wissen, gibt aber nichts davon preis.

Den Entwurf der Charaktere fand ich gar nicht schlecht. Vor allem die schillernde Figur der Caroline hat mir gefallen. Und auch Rogers Verwirrung angesichts des Königshofes und seine Vernarrtheit in Cecilia sind gut getroffen. Trotzdem hat es nicht zu echter Tiefe gereicht. Denn die genannten Punkte dominieren Roger so sehr, dass andere interessante Aspekte darunter leiden, zum Beispiel seine Fragen in Bezug auf seine Eltern. Und dem Konflikt zwischen Caroline und ihrer Mutter Eleonore fehlte jegliche Basis, weil nirgendwo erwähnt wird, warum Eleonore ihre Tochter für ungeeignet hält, das Land zu regieren.

Genauso sparsam war die Autorin mit der Ausarbeitung ihrer Welt. In der Kultur, die sie entworfen hat, gilt es als natürliche Ordnung der Dinge, dass Frauen regieren, weil Männer nur zum Beschützen taugen. Dennoch gibt es außerhalb der Königshäuser keinerlei Anzeichen für eine matriarchalische Gesellschaftsordnung, eher im Gegenteil, denn außer Rogers Onkel und Tante tauchen kaum einfache Leute auf, die verheiratet sind, und der Onkel unterdrückt seine Frau genauso wie seinen Neffen. Und die „Wilden“, mit denen Caroline sich verbündet hat, und die in einer völlig anderen Gesellschaftsform leben, bleiben eine kaum ausgearbeitete Randerscheinung.

Auch Magie ist kaum vertreten. Rogers Fähigkeit, das Totenreich zu betreten, ist vorerst das einzige Detail, das dieses Buch zu einem Fantasy-Roman macht. Die Ereignisse in Hyrgyll wirken eher wie Schamanismus. Und der Raub fremder Seelen, der den Bewohnern des Seelenrankenmoores vorgeworfen wird, ist bisher lediglich ein Statement ohne jede Erklärung. Vielleicht hat Mutter Chilton magische Fähigkeiten. Wenn ja, hat sie sie erfolgreich vor jedem verborgen, selbst vor dem Leser.

Zugegeben, das Seelenrankenmoor und alles, was damit zusammenhängt, klingt sehr geheimnisvoll und macht neugierig. Die eine oder andere Antwort hätte ich aber schon gern gehabt. Und es ist ja nicht so, dass das Buch mit seinen knapp vierhundert Seiten bereits die Grenzen eines erträglichen Umfangs erreicht hätte. Statt dessen hat die Autorin sich offenbar fast alles, was damit zusammenhängt, für den nächsten Band aufgehoben, was ich ein wenig unbefriedigend fand. Zumal die Handlung trotz interessanter Entwicklungen und Wendungen nie wirklich spannend wurde. Obwohl Caroline sich in ziemliche Schwierigkeiten gebracht hat, fehlt ihrer Situation jegliche Dynamik, weil der Ich-Erzähler, nämlich Roger, in der entscheidenden Phase die Stadt verlässt! Und die bedenkliche Entwicklung im Totenreich wirkt sich ebenfalls nicht auf die Spannungskurve aus, weil nirgendwo ein Zusammenhang zwischen den beiden Welten hergestellt wird, aus dem man Rückschlüsse ziehen könnte, ob und wie sich ein Kollaps des Totenreiches auf die Welt der Lebenden auswirken würde.

_Schade, daraus_ hätte man mehr machen können. Eine detailliertere Ausarbeitung der „Wilden“ und ihres Anführers hätte der unbestritten prekären Situation Carolines noch einiges an zusätzlichem Pfeffer verleihen können, ebenso hätte die intrigante Stimmung innerhalb des Hofes von zusätzlichen Einzelheiten über die Entstehung des Königinnenstreits profitiert. Und ein paar Antworten mehr in Bezug auf das Seelenrankenmoor und seine Bewohner hätten vielleicht eine nachvollziehbare Erklärung für Cecilias Rolle in der ganzen Geschichte geliefert, denn wenn Caroline sie tatsächlich an den Hof geholt hat, weil sie hoffte, das Mädchen besäße dieselbe Gabe wie Roger, warum hat sie sie dann nicht nach Hause geschickt, sobald offensichtlich wurde, dass die einzige Gabe dieses geistlosen Geschöpfes ihr hübsches Aussehen war?

Hier wurde definitiv Potenzial verschenkt. Manches davon war sicherlich Absicht, denn das Ende des Buches deutet unmissverständlich auf eine Fortsetzung. Vieles andere dagegen wäre für den nächsten Band gar nicht mehr relevant und wurde folglich nicht absichtlich aufgespart. Ich hoffe daher stark, dass Anna Kendall sich in ihrem nächsten Buch etwas mehr auf ihre eigene Geschichte einlässt, dass sie sich die Mühe macht, die Situation ihrer Figuren etwas genauer zu beleuchten und allem damit etwas mehr Farbe zu verleihen, und dass sie es schafft, ihren Konflikten genug Sprengkraft zu verleihen, um echte Spannung zu erzeugen.

_Anna Kendall_ ist gebürtige Irin, lebt aber heute in den USA. Sie war lange als Lehrerin tätig, ehe sie sich dem Schreiben widmete. „Der Pfad der Seelen“ ist ihr Debutroman und wurde im englischsprachigen Raum als Buch für junge Erwachsene ausgewiesen.

|Taschenbuch: 384 Seiten
Originaltitel: Crossing Over
Aus dem Englischen von Simone Heller
ISBN-13: 978-3442267927|

Scheck, Frank R. / Hauser, Erik (Hrsg.) – Als ich tot war (Dunkle Phantastik der britischen Dekadenzzeit – Band 1)

_Makaber bis bizarr – dekadent eben_

„Furcht und Leidenschaft, Verfall und Tod: Das sind die großen Themen der britischen Dekadenzphantastik. In 30 makabren geschichten – die meisten davon deutsche Erstveröffentlichungen – gewinnt das dunkle Erbe der Dekadenz faszinierende Gestalt.“ (Verlagsinfo)

Das vorliegende Buch ist der erste von zwei Bänden, in denen sich bekannte Autoren wie Jerome K. Jerome („Drei Mann in einem Boot“), Max Beerbohm, M. P. Shiel („Huguenins Frau“) und Arthur Machen („Der große Gott Pan“) wiederentdecken lassen.

_Die Herausgeber _

Frank Rainer Scheck, geboren 1948, Studium der Germanistik, Philosophie und Theaterwissenschaften. Seit 1976 Lektor in einem deutschen Verlag, seit 1993 freier Schriftsteller. Veröffentlichung mehrerer Sachbücher, langjährige Beschäftigung mit der Literatur des Phantastischen; diverse Publikationen, zuletzt die Anthologie (mit Erik Hauser) „Berührungen der Nacht“ (Leipzig 2002).

Erik Hauser, geboren 1962, Studium der Anglistik, Germanistik sowie der Vergleichenden und Allg. Literaturwissenschaft. Magister und Staatsexamen. 1997 Promotion mit einer Dissertation über den „Traum in der phantastischen Literatur“ (Passau 2005). Gymnasiallehrer in Mannheim und Lehrbeauftragter an der Uni Heidelberg.

_Das Vorwort_

Der Herausgeber Scheck betont zunächst die Alleinstellung der vorliegenden Anthologie: Es handle sich um die erste ihrer Art nicht nur im deutsch-, sondern auch im englischsprachigen Raum. Das ist erstaunlich, hat es doch schon etliche Gothic-Tales-Anthologien gegeben, so etwa von Joyce Carol Oates („Zombie“) und Patrick McGrath („Spider“). Deshalb findet es Scheck nötig, seinen Begriff der Dekadenten Phantastik vom Gothic-Begriff abzugrenzen.

Für ihn und v. a. für Hauser erstreckt sich diese Dekadenz von 1937 bis zum Ersten Weltkrieg, erst in Frankreich, dann – in der Nachfolge Poes – auch im viktorianischen Großbritannien, jedoch nur sehr rudimentär in Deutschland. Mit Exponenten wie Oscar Wildes „Bildnis des Dorian Gray“, dem Werk Baudelaires, Poes, M.P. Shiels, Verlaines und anderen ist es in der Tat schwer, eine Abgrenzung zu finden. Hauser erhöht diese noch, indem er die französischen Symbolisten wie Baudelaire und Verlaine hinzurechnet, die Ästhetizisten wie Theophile Gautier und sogar Teile des Naturalismus.

Aber da es sich um eine Anthologie BRITISCHER Erzähler handelt, fällt es dem Uneingeweihten schwer, Namen wie M.P. Shiel, O’Sullivan usw. zuzuordnen. Nur Arthur Machen („Der große Gott Pan“) und Jerome K. Jerome („Drei Mann in einem Boot“) dürften allgemein bekannt sein. Scheck teilt sie alle summarisch der britischen Dekadenz zu.

Kein Wunder also, das sich am Schluss Scheck rechtfertigen muss, dass er nicht zehn oder 20 weitere Geschichten ausgewählt hat und es bei exakt 30 Erzählungen bewenden lassen musste. Natürlich ließ er alle Romane und Novellen außen vor und nahm vor allem Kurzgeschichten auf.

Damit die Verwirrung nicht zu groß wird, ist jedem der Autoren eine mehrseitige Kurzbiografie vorangestellt, die ihn oder sie ausgezeichnet charakterisiert.

_Die Einleitung (Erik Hauser)_

Während Scheck die makroökonomischen und kulturhistorischen Hintergründe der Dekadenz auszeichnet, ist es Hausers Aufgabe, die psychologischen Entstehungsbereiche aufzuspüren. Leider, so gibt er zu, gebe es immer noch keine hinreichende Erklärung, wie aus ökonomischen Veränderungen wie der Industriellen Revolution ein Metapherngeflecht in Geistergeschichten und anderen Phantastika entstehen könne.

Ein Erklärungsansatz könne sein, dass sich das anonymisierte Individuum, das vom industriellen Kapitalismus zu einem namenlosen Humankapital reduziert worden ist – in London lebten anno 1911 rund 4,5 Mio. Menschen -, wie ein Gespenst vorgekommen sein muss: wurzellos, unschuldig verurteilt, im Bemühen, dass man sich seiner erinnere.

Diese Bedingungen mussten ihre Auswirkungen auf die Kultur und Geistesgeschichte haben. Die Untersuchung dieser Voraussetzungen führt zu einem Überblick über die Ausformungen und die Akteure der englischen Dekadenz, insbesondere auf literarischer Ebene. Am Schluss wird die Frage gestellt, ob die Dekadenz überhaupt schon vorüber ist oder immer noch anhält – denn den Hochadel gibt es ja schließlich auf der Insel immer noch.

_Die Erzählungen _

_1) Vincent O’Sullivan: Als ich tot war_

Ein junger Mann stirbt und merkt es nicht. Deshalb verblüfft es ihn zunächst, dass sich die Bediensteten so merkwürdig wie Trauernde aufführen. Keiner reagiert auf seine Berührungen. Als am nächsten Tag seine unausstehliche Schwester eintrifft, versucht er ihr ein Messer in den Hals zu stoßen. Zwecklos. Sie läuft nur zeternd davon, die Leiche blute. Am dritten findet der Trauerzug im Schneetreiben statt und er schaut traurig und mutterseelenallein zu. Erst da ruft er Gott an, sich immer noch weigernd, tot zu sein …

|Mein Eindruck|

„Dekadent“ ist hier die Ablehnung des Glaubens an die Götzen der Neuzeit, an die Wissenschaft und die Medizin – und an Gott sowieso. Dieser Atheismus wird jedoch durch den Verlust der Körperlichkeit Lügen gestraft. Am Schluss sehnt sich der Entstofflichte nach der Geborgenheit im Jenseitigen, im Metaphysischen, im „lieben Gott“. Zu spät.

_2) Vincent O’Sullivan: Madame Jahn_

Georges Herbout, ein Pariser Müßiggänger, hat sich in seinem Schlafzimmer erhängt, und so spricht der ganze Faubourg darüber. Doch keiner ahnt, was ihn in den Tod getrieben haben mag, wo er doch gerade das Erbe seiner wohlhabenden Tante, der Madame Jahn, angetreten hatte. Der Erzähler verrät uns den Grund.

Georges führt ein aufwendiges Flaneurdasein, wobei das Gros der Zuwendungen seiner Tante für eine kleine goldblonde Tänzerin draufgeht. Eines Tages teilt ihm der geistliche Beistand seiner Tante auf der Straße mit, Georges werde der Alleinerbe sein, angesichts seiner täglichen Besuche. Diese Neuigkeit spornt den Tunichtgut erst recht an, dem Ableben seiner Tante ein wenig nachzuhelfen: ein Messer ins Herz und fertig. Er denkt sogar daran, es so aussehen zu lassen, dass der Mord auf das Konto des Hausmädchens und seines Geliebten gehe.

Doch schon am ersten Tag nach der Beerdigung der Tante, als sich Georges gerade über das Verjubeln seines neu gewonnenen Reichtums Gedanken macht, tritt ein junges Mädchen in das sorgfältig abgeschlossene Zimmer, geht zu der Schublade, aus der die Tante stets das Geld für Georges holte und setzt sich an den Tisch, um Georges anzustarren. In Panik flieht der Mörder vor diesem Geist. Doch er muss noch sechs weitere nächtliche Erscheinungen überstehen. Wir wissen, dass er das nicht überlebt …

|Mein Eindruck|

Was hier wie eine der üblichen Räuberpistolen klingt, entbehrt nicht einer neuen Motivation: Geldmangel, schon klar, aber nicht aufgrund gescheiterter Investitionen eines Kapitalisten, sondern wegen der hohen Kosten des Müßiggangs. Das ist neu. Der gute Georges muss nicht nur die Tänzerin aushalten, damit sie ihm ihre Gunst gewährt, sondern auch noch beim Pferderennen wetten, um die Mätresse zu bezahlen.

Als blutiger Anfänger hat er auch dort kein Glück, und schon bald sieht er mit Missvergnügen, wie sich die Tänzerin einem anderen Burschen zuwendet – einem Deutschen, ausgerechnet! Die Demütigung ist umso größer, als es ja gerade die Deutschen waren, die der Grande Nation im Krieg von 1870/71 die größte militärische Niederlage der Neuzeit beibrachten.

_3) Vincent O’Sullivan: Willenskraft_

Der Ich-Erzähler verfolgt seine Frau mit solch glühendem Hass, dass ihre Lebenskraft zusehends schwindet. Ihr einziges Verbrechen: blendende Schönheit. Als sie endlich im Sterben liegt, spricht sie zu ihm. Warum er ihr stummes Flehen um Gnade nie erhört habe? Er antwortet nicht. Sie werde ihm jetzt seinen Willen tun, doch solle er sich nicht in Sicherheit wiegen: Noch aus dem Grab werde sie ihm die Seelenruhe rauben, denn sie habe sich mit den Mächten des Todes verbündet. Er lässt sie neben einer verfallenen Abtei begraben und begibt sich auf Weltreisen.

Nach seiner Rückkehr beginnen die Albträume, sobald er die Gräber neben der alten Abtei auch nur anschaut. Schließlich krabbelt in einer Neumondnacht ein riesiger Käfer auf seinen Esstisch. Seine zwei roten Augen hypnotisieren den Betrachter. Verzweifelt versucht sich der Erzähler bei seiner toten Frau freizukaufen: Geschmeide, Preziosen und allerlei Wertvolles und Seltenes wirft er in ihre Gruft. Es ist nie genug. Schließlich wird er neben ihr begraben. Kaum ist das Grab zugedeckt, hören die Trauergäste zwei Stimmen. Sie könne ihm nie vergeben, denn dies stehe außerhalb ihrer Macht. Als man die Gruft entsetzt öffnet, bietet sich den Totengräbern ein verwunderliches Bild des Grauens …

|Mein Eindruck|

Schönheit als Verbrechen – darauf konnten bloß die Viktorianer kommen (und die Puritaner machten es ihnen in den USA vor). Dies ist keine morbide Romantik mehr, in der schöne Frauen die „Krankheit zum Tode“ in sich tragen (Tuberkulose war eine Volkskrankheit), dies ist eine Verfolgung der Schönheit. Kein Wunder also, dass der grundlos hassende Mann am Schluss die gerechte Strafe von den Mächten des Todes erhält.

Die Story ist straff erzählt und berührt den Leser. Der Schluss liefert eine passende Pointe.

_4) Arthur Quiller-Couch: Das Spiegelkabinett_

Reggie Travers hasst Gervase bis aufs Blut, und zwar so sehr, dass er ihm aus dessen Klub folgt, um ihn auf offener Straße niederzuschießen. Sein früherer Studienkollege Gervase hat es zu etwas gebracht und ihm schließlich auch noch die geliebte Elaine ausgespannt. Reggie hingegen ist zerlumpt und völlig abgebrannt. Doch sein Plan wird vereitelt, als zwei Polizisten ihn stellen und durchsuchen wollen. Da taucht Gervase auf und kauft ihn quasi frei. Er führt ihn zu einem bestimmten Haus im Norden des Londoner Stadtzentrums.

In diesem Haus fanden früher Kartenspiele statt, solange bis der ständige Verlierer, ein Graf C., daraus einen Spiegelsaal bauen ließ. So, das hoffte er wohl, konnte ihn seine Mitspieler ihn nicht mehr betrügen. Der Saal steht schon seit Langem leer und es riecht nach Ratten. Gervase wischt den Staub ab, setzt sich an den Spiegeltisch und legt seine eigene Pistole darauf. Zeit sich zu unterhalten. Wird Reggie aber jemals seine Elaine wiederbekommen?

|Mein Eindruck|

Das Leben ist ein Glücksspiel, und man muss schon ein verdammt guter Spieler wie Gervase sein, um den Sieg davonzutragen. So lautet wohl die Moral von der Geschicht. Leider bringt der Autor diese Story nicht besonders gut auf den Punkt, sondern verliert sich gern in Nebensächlichkeiten und kopiert dabei noch Poes Story „William Wilson“. Nicht gerade ein erinnernswerter Beitrag zu dieser Auswahl.

_5) Bernard Capes: Der Wasserfall_

Der einsame Bergwanderer verliert den rechten Weg irgendwo im Berner Oberland. Einzig der blasse Aiguille Verte weist ihm im Mondschein den Weg. So gelangt der Wanderer in ein einsam gelegenes Bergdorf namens Bel-Oiseau (schöner Vogel). Da fällt ihm ein schwachsinniger Bursche direkt vor die Füße. Es ist Camille, Sohn von Madame Barbière, die den müden Wanderer gnädig aufnimmt, denn es gibt sonst keine Herberge in dem Weiler.

So kommt es, dass er von Madame erfährt, wie Camille vor acht Jahren seinen Verstand verlor und mondsüchtig wurde. Es gibt an einem der Wasserfälle der Umgebung eine ganz besondere Stelle in einer kleinen Höhle. Und wenn das Licht des Vollmondes in einem ganz bestimmten Winkel in den Hintergrund dieser Höhle fällt, entsteht ein besonderer Effekt: ein überirdischer Glanz. Dieser Anblick raubte Camille den Verstand.

Neugierig geworden sucht der Wanderer ebenfalls nach dieser Erscheinung und wird auch mit Camilles Hilfe tatsächlich fündig. Allerdings muss er noch ein paar Tage warten, bis der Mond wieder voll ist und der Bach genügend Wasser führt. Wird er bald ebenfalls des Wunders ansichtig werden – und wahnsinnig werden?

|Mein Eindruck|

Das Göttliche direkt zu sehen, ist den Menschen verboten. Numinose Anblicke können daher nur vom Abglanz des Wunders der höheren Welt erhascht werden. So auch hier. Nur unter ganz bestimmten Bedingungen lässt sich das Wunder erblicken, und auch nur von dem, der dafür Opfer darbringt und in Demut kommt.

Das Wunder zu sehen, ist jedoch mit Gefahren verbunden – sonst verlöre es ja seinen Wert. Die größte Gefahr ist für unseren Wanderer und Ich-Erzähler nicht körperlicher Natur, sondern geistiger. Wird es ihm wie einst Camille ergehen?

Diese Story wurde sicher nicht von einem Katholiken geschrieben, sondern von einem mystischen Pantheisten, der das Göttliche in der Natur ringsum zu finden hofft. Doch was er in seiner Vision auf dem Monde zu sehen bekommt, offenbart das Grauen … Es ist einer der sympathischeren Beiträge der Auswahl.

_6) Richard Garnett: Der satanische Papst_

Der Teufel versucht im 10. Jahrhundert die Seele des Theologiestudenten Gerbert in Cordoba. Gerbert gibt seine Seele nicht her, ist aber einverstanden, nach 40 Jahren dem Teufel einen Wunsch zu erfüllen. Gebongt! Gerbert wird umgehend zum Abt von Bobbio in Italien berufen, steigt über die Ränge Bischof und Erbischof zum Kardinal auf, um dann am 2. April 999 zum Papst „gekrönt“ zu werden. Als Silverster II. führt er die arabischen Zahlenzeichen ein und verbessert die Uhr, neben einigen Reformen. Allgemein erwirbt sich das mehrsprachige und philosophisch und alchimistisch bewanderte Kirchenhaupt den Ruf eines Schwarzmagiers.

Pünktlich nach 40 Jahren erscheint Luzifer wieder in Gerberts Gemächern. Er erwartet, leichtes Spiel zu haben. Gerbert lässt sich darauf, dem Widersacher zwölf Stunden lang seine Gestalt zu leihen. Für diese Zeit sieht Satan aus wie der Hl. Vater selbst. Kaum hat sich Gerbert zurückgezogen, als bereits sieben Kardinale hereinstürmen, die Dolche gezückt. Sie wollen Gerbert umbringen. In einer Menschengestalt bewältigt muss der arme Teufel erdulden, dass sie ihn untersuchen – so entdecken sie den Huf am linken Bein!

Verblüfft, erschüttert und ehrfürchtig stecken die Kardinäle Seine höllische Majestät (oder doch Heiligkeit?) erst einmal in den Kerker. Doch es dauert nicht lange, bis Anno, der Erste der sieben auftaucht, um Luzifer ein Angebot zu machen. Er entfernt auch freundlich Knebel und Fesseln. Kaum hat Anno ausgeredet, als auch schon Benno mit Essen und Angeboten naht. Anno lauscht unterm Tisch. Und so weiter, bis alle sieben ihr Sprüchlein aufgesagt haben. Dann sind allerdings die zwölf Stunden um, und der Höllenfürst kann in seine ursprüngliche Gestalt zurückkehren …

|Mein Eindruck|

Diese kleine Story ist der humoristische Höhepunkt dieses ersten Bandes der Anthologie. Der Autor ist ein ungewöhnlich hoch gebildeter Schriftsteller – er schrieb 177 Artikel für das „Dictionary of National Biography“ – und war für mehrere Jahrzehnte der Leiter des Lesesaals im British Museum (ab 1875). Als Anglikaner fiel es ihm leicht, die katholischen „Papisten“ zu kritisieren. Ende des 19. Jahrhunderts ließ sich der Papst sogar für unfehlbar erklären. Seine Story schildert eine römische Kirche, deren Verkommenheit sogar Satan überfordert.

Bemerkenswert ist bei dieser faustischen Angelegenheit, mit welcher Sachkenntnis die Voraussetzungen für einen Seelenkauf dargelegt werden. So darf bekanntlich kein GUTER freiwillig die Hölle betreten, denn dann hätte Satan seinen Daseinszweck verfehlt und müsste stante pede abdanken. Ironisch fand ich auch, dass ein angeblicher „Schwarzmagier“ – was wir heute einen Wissenschaftler nennen würden – den Widersacher auszutricksen weiß.

_7) H.B. Marriott Watson: In den Sümpfen_

Der Ich-Erzähler begibt sich in die nebelerfüllten Sümpfe, um dort seine Geliebte wiederzusehen, die hier lebt. Unheimliches Quaken und Krächzen in Ried und Binsen verunsichern unseren Helden der Liebe, doch schließlich kommt sie zu ihm in seine Arme, und er kost sie. Sie erwartet, dass er sie in sein Reich bringen werde, doch da erhebt sich eine hagere Gestalt, die er zunächst für einen großen Frosch gehalten hat, und weist mit dürrem Finger anklagend auf seine Geliebte. Es ist ein Mensch!

Der hagere, bleiche ungepflegte Wicht mit den laangen feuchten Haaren sagt, SIE habe ihn verdorben, denn einst war er ihr Geliebter, so wie jetzt der neue Galan. Das Paar lässt den Schreihals hinter sich, um per Pferd ins Reich zu gelangen. Da dreht sie sich um, und der Galan hört einen Schrei, ein Plumpsen und Gluckern . Seine Geliebte steht lachend über dem trüben Morast, als sei dort etwas versunken. Er wendet sich mit Grausen, begleitet von ihrem spöttischen Gelächter …

|Mein Eindruck|

Die vollständig als Allegorie angelegte Erzählung kommt ohne Namen und anderes Beiwerk aus, als handle es sich um ein Gemälde von Edward Burnett-Jones („Die Lady von Shalott“) oder Franz von Stuck („Die Sünde“), das sich selbst erklärt. Tatsächlich ist es sehr einfach, diese Allegorie zu deuten.

Der Galan kommt aus der akzeptierten Gesellschaft, seine Liebschaft (man denke an den „Jedermann“) keineswegs, sondern aus dem „Sündenpfuhl“ (ihre eigenen Worte!) der untersten Schichten. Sie ist eine Prostituierte ohne jede Ehre. Was noch mehr ist: Sie freut, wenn sie die Männer, die ihr verfallen, verderben und schließlich entsorgen kann.

Sie ist „Die Sünde“ oder „Lilith“, die dämonische Verderberin, die dem sittlich aufrechten Mann den Garaus bereiten wird. Zumindest was seine gesellschaftliche Stellung betrifft. Insofern handelt es sich um eine höchst sexistische Geschichte, die hoffentlich nur der Unterhaltung dienen soll.

_8) Ella d’Arcy: Die Villa Lucienne_

In den blühenden und duftenden Hügeln der Seealpen über Nizza liegt die titelgebende Villa Lucienne. Hinter der lichtvollen Villa Soleil durch dichtes Gebüsch verborgen, kauert das verfallende Gemäuer inmitten eines wuchernden Gartens. Nur der Gärtner Laurent begrüßt die weibliche Gesellschaft, die sich hierher auf den Weg gemacht hat, um ein Haus für die Sommerfrische zu mieten: Madame de M., ihre Tochter Cecile und deren Tochter Renee sowie die Erzählerin, Madame Coetlegon.

Der Gärtner lässt die Gesellschaft hinein, doch der Jagdhund zieht es vor, draußen zu warten. Er ahnt wohl, dass mit dem Haus, das zuletzt von der verstorbenen Mrs. Gray bewohnt wurde, etwas nicht stimmt. Der Salon ist voller Staub und völlig ungepflegt, behangen mit bizarren Bildern. Plötzlich überkommt die Erzählerin bei Laurents Anblick ein Gefühl der Kälte und Angst. Er weigert sich rundweg, die Damen einen Blick in den nahen Pavillon werfen zu lassen. Diese Schroffheit löst eine Panik aus, und alle hasten hinaus.

Doch da ist etwas, das nur von dem Kind Renee gesehen wurde. Etwas Totes, das sie alle anstarrte. Bis es aufstand …

|Mein Eindruck|

Eine der stimmungsvollsten Gespenstergeschichten, die ich kenne! Die hochgebildete Autorin schafft es, durch zahllose kleine Details ein klares Bild der Umgebung der Erzählerin zu evozieren und so bereits einen leichten Schauder des Grusels zu erzeugen. Erst das Licht der Cote d’Azur und der Villa Soleil, dann die totale Finsternis der Villa Lucienne, schließlich das Grauen darin – das sich in seiner ganzen Tragweite erst im Nachhinein erschließt. Finsterer Verdacht: Laurent könnte die Hausherrin umgebracht und unterm Pavillon vergraben haben – und seitdem geht das Gespenst um …

_9) Eric Count Stenbock: Die andere Seite_

In einem von der Welt abgeschiedenen Bergdorf ist der junge Gabriel ein Sonderling, der von den Gleichaltrigen gehänselt wird. Nur das Mädchen Carmeille liebt ihn, und vielleicht noch seine Mutter Yvonne. Er dient als Ministrant in der grauen Kirche des Abbé.

Nachdem er fasziniert den Erzählungen der alten Oma über einen Hexensabbat gelauscht hat, stößt er auf den von ihr erwähnten Bach, der Diesseits und höllisches Jenseits scheidet. Indem er ihn überschreitet, entdeckt er eine wunderschöne blaue Blume und eine wundervolle Frau, die sich Lilith nennt. Doch jenseits dieser Wunder lauern die Wölfe – wolfsköpfige Männer und mannsköpfige Wölfe – sowie deren furchtbar aussehender Hüter.

Zunehmend entzündet sich die Fantasie des Jungen an diesen Dingen, bis er vergessen hat, welche Worte er bei der Liturgie des Abbé sprechen muss. Er fällt mitten im Gottesdienst in Ohnmacht. Doch er träumt von der blauen Blume und der schönen Frau, bis er schließlich erneut den Bach überquert – und einer der Wölfe wird …

|Mein Eindruck|

An einem unbedeutenden Schauplatz kommt es zur ewigen Schlacht zwischen den Mächten des Bösen, verkörpert im Wolfshüter und seinen Anhängern, und den Guten, verkörpert in den Christen. Dazwischen steht die unentschiedene Frau Lilith, die den Jungen durch ihre Schönheit zu verführen scheint. (Lilith war in der Bibel die erste Frau Adams; er verstieß sie und nahm Eva zum Weib.) Hier wird angedeutet, dass Gabriel, der mit dem Namen eines Erzengels ausgestattet ist, in die Pubertät kommt und „unreine Gedanken“ hat.

Der Text bleibt stets ganz nah dran am Erleben des Jungen, was ich wirklich faszinierend fand. Allerdings übertreibt es der Autor, ein typischer Dekadenzler, mit seinen Beschreibungen der verführerischen, jedoch gänzlich erträumten Frau. Das Tempo der Erzählung ist sehr hoch, und alles geht rasch vonstatten, sodass ich ebenso wie der Held Mühe hatte, zwischen Traum, Vision und Wirklichkeit zu unterscheiden. Das ist natürlich vom Autor gewollt.

_10) Eric Count Stenbock: Viol d’Amor_

Eine englische Dichterin, die Ich-Erzählerin, lernt in Freiburg im Breisgau den Musiker da Ripoli kennen. Der Witwer aus altem Florentiner Adel hat fünf Kinder, drei Söhne und zwei Töchter. Die Dichterin freundet sich mit Anastasia, dem ältesten Kind, an, die ihr nach ihrer Weiterreise Briefe schreibt. Guido, der mit wunderbarer Stimme in der Kirche sang, ist das jüngste und schwächste Kind.

Da Ripoli musiziert nicht nur, sondern baut auch seine Instrumente selbst. Diesmal versucht er sich an einer Viol d’Amor, einem Mittelding aus Viola und Violoncello. Die drei Söhne haben in einer alten alchimistischen Schrift gelesen, dass ihr Ton am süßesten sei, wenn sie auf Saiten gespielt werde, die aus der Haut eines geliebten Menschen gefertigt seien. Andrea und Giovanni lassen sich unter Aufsicht Anastasias diese Haut entnehmen und die Wunde verarzten. Nicht so Guido: Er geht zu einem „jüdischen Quacksalber“ und wird krank.

Als Guido darniederliegt und Anastasia, um ihn zu trösten, die Viol d’Amor mit einer schönen etruskischen Melodie spielt, tritt ein Schatten ins Zimmer …

|Mein Eindruck|

Offenbar begehen die drei Söhne durch das Hautherausschneiden eine Art Frevel, der den Grundgedanken der Liebe ad absurdum führt. Und dieser Frevel wird am Jüngsten gesühnt. Da hilft die schönste Melodie nichts. Der Vater zerstört sein schönes Instrument, das angeblich Unglück gebracht hat.

Der Ton und das Ambiente verführen nicht nur die Ich-Erzählerin dazu, sich wie im italienischen Mittelalter der Renaissance zu fühlen, sondern auch der Leser kommt nicht umhin, in Nostalgie zu schwelgen. Der Autor assoziiert Leonardo da Vinci und Tizian, sogar Gabriel Dante Rossetti und dessen Präraffaeliten – der Kunstfreund weiß Bescheid.

_11) Eric Count Stenbock: Ein moderner Sankt Venantius_

Prinzessin Faustina ist von der Zirkusvorstellung gelangweilt. Ohne Blutvergießen hat sie keinen Spaß daran. Sie schlägt ihrem Galan vor, es wie bei den Christenhinrichtungen im Kolosseum zu machen und einen Jungen den Löwen vorzuwerfen. Welche teuflisch gute Idee! Mit der Erlaubnis der Prinzessin bietet der Galan dem Zirkusdirektor 10.000 Francs dafür, dass der Junge Venantius in den Käfig der Löwen geht. Für 40.000 Francs ist der empörte und entsetzte Zirkusdirektor einverstanden. Der Junge wird in den Löwenkäfig geschickt.

Doch Venantius ist kein gewöhnlicher Junge. Unter den Jungs des Zirkus ist er der Allerfrömmste, der Sanftmütigste, denn alles, was er in seiner Freizeit tut, ist Beten. Als er den Käfig betritt, zerfleischen ihn die Löwen nicht, sondern legen sich neben ihn und bewachen ihn gegen jeden Versuch, ihm zu nahe zu kommen.

Wie langweilig – derart zahme Viecher! Die Prinzessin ist empört. Ihr Galan muss etwas unternehmen. Doch schon bald gibt es wirklich Blutvergießen …

|Mein Eindruck|

Venantius von Camertino lebte im 3. christlichen Jahrhundert und wurde unter Kaiser Decius gefoltert und getötet. In Camertino steht die ihm geweihte Kirche bis heute. „Venantius“ bedeutet lediglich „aus Venedig stammend“. – Der Junge in der Erzählung wird tatsächlich durch sein Opfer und seinen Tod zu einem Heiligen. Durch dieses Beispiel wird der Galan der Prinzessin bekehrt und wendet sich mit Grausen von diesem weiblichen Ungeheuer. Schon bald segnet auch er das Zeitliche.

Warum wurde diese christliche Heiligen-Legende ins 19. Jahrhundert verlegt und dann in diesen Band aufgenommen, fragte ich mich. Der Grund ist der Aspekt der Dekadenz, der diesmal in der moralischen Skrupellosigkeit, der Vergnügungssucht der Prinzessin zeigt. Dass der Galan bekehrt wird, lässt den Schluss zu, dass es in den Augen des selbst ziemlich seltsamen Autors für Dekadenz eine Heilung gibt: den Glauben.

_12) Charlotte Mew: Eine Weiße Nacht (1903)_

Der englische Ich-Erzähler Cameron treibt sich im Frühjahr 1876 gerade in Madrid herum, als er von seiner Schwester Ella die Bitte erhält, sie und ihren Mann zu einem reizvollen Ort seiner Wahl zu führen, um Ellas Hochzeitsreise einen besonderen Reiz zu verleihen. Gesagt, getan. Mit dem Maultier geht’s ins wüstenhafte Landesinnere und ins hinterletzte Dorf, bis zu endlich zu einem düsteren Konvent gelangen, der die durch orientalisches Aussehen beeindruckt.

Ohne groß um Erlaubnis zu fragen, betreten sie erst die Kirche und bewundern dann den Kreuzgang, denn hier lebten offensichtlich mal Mönche oder Nonnen. Als sie die Düsternis der Kirche wieder verlassen wollen, finden sie die Ausgangstür verschlossen. Auf ihr Rufen kommt niemand – gefangen! Schon bald sind alle Streichhölzer aufgebraucht.

Doch dann, so um Mitternacht, öffnet sich die Tür erneut, doch nur um eine seltsame Prozession einzulassen. 50 bis 60 Mönche treten ein und singen ein unheimliches Lied, dass immer wieder von einer weiblichen Dissonanz gestört wird. Allen voran gehen drei Mönche, zwei mit Kerzenhaltern, zwischen ihnen einer mit einem Kreuz.

Dahinter folgt eine ganz in Weiß gehüllte Frau, die offenbar in Trance ist. Sie wird von den Mönchen zum Altar geleitet, doch zu welchem Zweck, fragt sich der heimlich beobachtende Cameron. Auch Ella und ihr Mann King haben sich ins Chorgestühl zurückgezogen, denn die Prozession ist allen unheimlich. Die Prozession stoppt vor dem Altar. Dort offenbart sie ihren eigentlichen Zweck: eine Totenmesse.

Die zum Bestimmte ist keine andere als die Nonne, die nun Augen und Mund verschlossen bekommen. Doch Cameron sieht ganz genau und erstaunt, wie sie lächelt. Sie sieht sich als Ancilla Domini, als Magd des Herrn. Und als solche wird sie, nach zwei Stunden unablässiger Gebete und Gesänge der zahlreichen Mönche, in der Kapelle in ein Grab gelegt, das einen Ehrenplatz innehat: Es liegt genau in der Mitte.

Ellas Mann will mit dem Revolver Einhalt gebieten, doch Cameron hindert ihn daran, denn es könnte sonst zu einem schrecklichen Zwischenfall kommen. Ella ist bereits völlig mit den Nerven fertig, und sobald die Mönche die Kirche verlassen haben, machen sich die zwei Männer ohne sie an die Aufgabe, die Begrabene zu suchen. Doch sie finden die Grabplatte erst bei Sonnenaufgang, und selbst dann vermögen sie sie nicht zu heben.

Ella hat nichts Eiligeres zu tun, als sich beim britischen Konsul zu beschweren. Doch der weise Mann schüttelt nur den Kopf. „In diesem Land gibt es noch viel schrecklichere Dinge, die hinter dem Vorhang der Kirche getan werden, und sie alle sind vollständig meinem Zugriff entzogen.“ Binnen Stundenfrist verlassen die drei Briten das Land, wie vom Konsul geraten. Doch Ella findet nie wieder ruhigen Schlaf.

|Mein Eindruck|

Die Autorin war die Geliebte der Autorin Ella d’Arcy, weshalb der Name der weiblichen Figur in dieser Geschichte kein Zufall ist. Aufgrund dieses Kontextes lässt sich die Erzählung auf zwei Ebenen deuten: auf der biografischen und auf der gesellschaftlichen. Biografisch gesehen begräbt sich die Autorin aus Liebe zur verlorenen Ella selbst. Gesellschaftlich gesehen lässt sich die Nonne stellvertretend für alle Frauen unter dem Joch des Patriarchats begraben. So kann der Herausgeber die Erzählung auf eine Stufe mit Frances Gilmans berühmter Geschichte „Die gelbe Tapete“ (dt. bei Reclam) stellen. Das finde ich übertrieben.

Davon ganz abgesehen fordert die Geschichte dem Leser eine Menge Geduld ab, denn vertraute Banalitäten wie singende und psalmodierende Mönche werden bis ins kleinste Detail des Phänomens und seiner Wahrnehmung und Empfindung geschildert. Für den Zeitgenossen der Autorin waren es allerdings keine Banalitäten. Da es keine nennenswerte Anzahl von Katholiken in England gab, konnten die hier geschilderten Rituale nur exotisch und bizarr, also „grotesk“ oder „gothic“ wirken. Ich jedoch fand sie eigentlich nur langweilig.

_13) Jerome K. Jerome: Silhouetten_

Jerome, der Ich-Erzähler, wuchs als Sohn eines Minenbesitzes in Wales auf. In einer Art Rundgang schildert er erst die Landschaft der wilden Meeresküste, dann die von Kohlestaub überzogene Landschaft der Bergwerke. Dort, im Black Country, ist alles schwarz überzogen, und sogar der Regen fällt schwarz vom rußigen Himmel.

Selbstverständlich leben hier Menschen. In seiner kursorischen Art streift der kindliche Erzähler die Entdeckung einer männlichen Leiche, die 40 Jahre unter einem Küstenfelsen vergraben lag, und den Angriff einer aufgebrachten Menge auf seinen Vater, weil dieser angeblich einen Verbrecher beherbergt und schützt. Nun ist es am Leser, eins und eins zusammenzuzählen.

|Mein Eindruck|

Die Landschaftsbeschreibungen sind wunderschön, denn sie tränken die Küstengegend mit Mythen und Legenden, sodass sie zum Leben erwacht. Das Meer erinnert an die nordische Göttin Ran in ihrer Unberechenbarkeit. Und wie es Ran bzw. Beelzebub will, spielt ihr Sturm mit den Strandfelsen, als wären es Murmeln.

Ganz im Gegensatz zu diesem mythischen Ton steht die zweite Hälfte der Erzählung, in der die Konfrontation des Vaters mit dem Mob geschildert wird. Welcher Zusammenhang zwischen erstem und zweitem Teil besteht, muss der Leser selbst entscheiden. Eine rationale Erklärung gibt es nicht. Aber das Geschehen endet auf einer friedlichen Note.

_14) Max Beerbohm: A.V. Laider_

Der namenlose Ich-Erzähler kommt nach einem Jahr erneut wegen einer Grippe in diese Pension am Meer, um sich zu erholen. An der Briefwand entdeckt er jenen Brief, den er vor einem Jahr an A.V. Laider geschrieben hatte, seinen damaligen Leidensgenossen. Mit Laider hatte er eine angeregte Diskussion über den Stellenwert von Vernunft und Glauben geführt. Dabei gab Laider zu, wie der Erzähler an die Chiromantie zu glauben. Dieser Glaube habe jedoch nicht verhindern können, dass er zum mehrfachen Mörder geworden sei.

Wie das, will unser Chronist – einigermaßen bestürzt – wissen. Nun, hebt Laider an, er habe seinen Onkel Col. Elbourn in Hampshire besucht, wo er auf dessen Landsitz einige Tage mit dessen netter Familie habe verbringen können. Am letzten Abend erwähnte der Colonel, dass Laider aus der Hand lesen könne. Ein großes Aufhebens wurde darum gemacht, sodass es ihm nur mit Mühe gelang, alles abzustreiten.

Das gelang ihm jedoch auf der Zugfahrt am nächsten Morgen nicht mehr. Doch als er allen nacheinander aus der Hand las, stieß er auf eine merkwürdige Gemeinsamkeit: Alle würden binnen Kurzem eines gewaltsamen Todes sterben. Genau wie er es schon seit einem Jahr für sich selbst befürchtet habe. Und so kam es auch. Er erwachte in einem Krankenhausbett, und als der Colonel ihn besuchte, erfuhr er von dem schrecklichen Zugunglück, bei dem die Damen und Mr. Blake umgekommen seien.

Nun, ein Jahr später, merkt unser Chronist, dass sein Brief an A. V. Laider verschwunden ist. Ergo muss Laider anwesend sein. Er findet ihn auf einem Strandspaziergang. Doch erst nach einer Vereinbarung über die Bedingungen einer möglichen Konversation findet sich Laider bereit, mit ihm zu sprechen: Er habe alles von A bis Z erfunden. Aber dafür gebe es einen guten Grund …

|Mein Eindruck|

In der Diskussion über die Macht von Glaube und Vernunft, wie sie laut Erzähler in der Zeitung geführt wird, schlägt der Autor also eine dritte Möglichkeit vor. Zwar ist Laider, wenn er an Grippe leidet, ein willensschwacher Mann, aber auch keine Marionette. Vielmehr hat er sich einen psychischen Mechanismus erworben, der auf das Erfinden von guten Lügen hinausläuft.

Auf diese Weise bestärkt er den Frager, also unseren Chronisten, in seinem Glauben und sammelt Sympathiepunkte. Zugleich kann er ihm Lebenserfahrung vorspiegeln, die sich so oder so auslegen lässt. Alles eine Frage der Perspektive und der jeweiligen Notwendigkeit. Ohne jemals einen eigenen Standpunkt einnehmen und verteidigen zu müssen, mogelt sich Laider also so durch. Ob hier der Autor ein Symptom seiner Zeit anprangert, ist schwer zu beurteilen. Denn mit Laider mogelt er sich so durch.

_15) Max Beerbohm: Enoch Soames_

Der Ich-Erzähler Max Beerbohm lernt eines Tages in London den fahlen Mann Enoch Soames kennen, einen bis dato recht unbekannten Dichter und Erzähler. Er ist so unbekannt, dass ihn kaum jemand kennt, aber aus irgendeinem Grund hat Max Mitgefühl mit Soames. Vielleicht ist er ja ein verkanntes Genie? An Selbstbewusstsein mangelt es Soames jedenfalls nicht. Doch seine Gedichte erschließen sich dem Leser nicht auf Anhieb, nur eine Szene in dem Gedicht „Nokturne“ spricht Max an: Der Teufel tritt darin auf. Soames, so weiß Max, betrachtet sich als „katholischen Satanisten“.

Vier Jahre vergehen, bis das Jahr 1997 erreicht ist. Soames ist immer noch ein unbekannter Dichter, wohingegen Max als Theaterkritiker von sich reden macht. Per Zufall stößt er auf ihn wieder am Soho Square in der Londoner Innenstadt, und zwar im kleinen „Restaurant zum 20. Jahrhundert“, dem Vingtième. Wacker schlägt Soames durch die Erfolglosigkeit, nur gestützt auf eine kleine Rente seiner Tante von 300 Pfund pro Jahr. Aber er ist weiterhin überzeugt, dass man in hundert Jahren seinen Namen kennen wird!

Das tritt der „mephistophelische“ dritte Gast an ihren Tisch und stellt sich als der Teufel vor, ein hagerer, recht vorlauter Typ, der Beerbohms Unmut erregt. Satan schlägt Soames einen Handel vor: eine Zeitreise von exakt hundert Jahren in den Lesesaal des British Museum, zwischen 14:10 und 19:00 Uhr, wenn der Lesesaal schließt. Danach würde Soames wieder im Vingtième auftauchen und zwei Stunden später abgeholt werden – zum bescheidenen Zuhause des Teufels.

Topp, der Handel gilt, obwohl Max protestiert. Schwupps ist Enoch in das Jahr 1997 verschwunden, und zwar zum frühen Nachmittag des 3. Juni …

|Mein Eindruck|

Genau an diesem Nachmittag sammelten sich etliche Enoch-Soames-Fans im Lesesaal des British Museum, wenn man dem Herausgeber glauben darf. Sie hatten genau jene graugelbe Uniform an, die Beerbohm – nicht Soames – beschrieb, sobald der Zeitreisende wieder zurück ist, und trugen eine ganz bestimmte Nummer. Soames aber hat den Katalogeintrag von sich abgeschrieben. Darin wird er als „fyktyve Fygur“ von Max Beerbohm bezeichnet …

Tatsächlich macht sich der hinterlistige Autor einen Spaß daraus, die Ebenen von primärer und sekundärer Fiktion zu verwischen und so den Leser zu foppen. Existiert Soames in Beerbohms Bericht wirklich, so wie etwa Sherlock Holmes? Oder ist er nur eine erfundene Figur? Natürlich Letzteres. Aber dabei hat sich der Chronist fiktionalisiert, was auch wieder ein Spaß ist – und ein indirekter Kommentar auf Conan Doyle, dessen „fyktyver Fygur“ Sherlock Holmes ein längeres Leben beschieden war als ihrem Schöpfer. Was doch einiges über die Kunst aussagt.

_Unterm Strich_

Die Themen dieser Erzählungen sind sicherlich nicht jedermanns Geschmack, aber es gibt ja immer mehr Liebhaber des Gothic-Stils, die damit etwas anfangen können. Die Todessehnsucht, die verwischte Grenze zwischen Leben und Tod und schließlich Wesen aus dem Jenseits (vulgo Gespenster genannt) – sie alle bevölkern als Metaphern, Symbole und sogar Allegorien diese Erzählungen.

Die meisten Geschichten in dieser ersten Auswahl (es gibt ja noch einen zweiten Band) haben mir ganz gut gefallen, ein paar sind sogar herausragend, so etwa „Die Villa Lucienne“, die den Leser sehr stimmungsvoll das Gruseln lehrt, und „Willenskraft“. „Der satanische Papst“ ist hingegen eine lustige Groteske, die gut unterhält.

Etliche Erzählungen sind jedoch mit ihrer eigenen Beschreibung beschäftigt, dass herzlich wenig zu passieren scheint, so die Geschichten von Max Beerbohm (sehr stilvoll und verschmitzt) und „Der Wasserfall“. Die Geschichten von Steenbock ragen darunter hervor, so etwa die vielfach abgedruckte Werwolf-Story „Die andere Seite“, die aber mit christlichen Themen überfrachtet ist.

Von „Modernität“ im heutigen Sinne (also nach 1922) kann man nur sehr eingeschränkt sprechen, weshalb sich diese Geschichten vor allem für Sammler zu eignen scheinen, die sich ein Interesse an diesen altertümlichen Denk- und Empfindungsweisen erhalten haben, beispielsweise durch eine Liebhaberei für Sherlock Holmes und dessen Zeit. Gleichzeitig müssten sie aber auch E. A. Poe, A. Machen und A. Blackwood mögen, was ja nicht immer der Fall ist.

Als Sammlerausgabe ist dieses Buch jedoch eine herausragende editorische Leistung. Sie zeigt sich nicht nur in den sorgfältigen, fehlerlosen Übersetzungen, sondern auch in der umfangreichen Einleitung und den kenntnisreichen Vorstellungen der einzelnen Autoren, die mitunter mit aktuellen Details aufzuwarten wissen, so etwa zum Enoch Soames Day am 3. Juni 1997. Auf diese Weise erübrigen sich eine Bibliografie und ein Stichwortverzeichnis für den Doppelband.

Fazit: vier von fünf Sternen.

|Hardcover: 320 Seiten
Aus dem Englischen von Frank R. Scheck und anderen
ISBN-13: 978-3898402712|
[www.blitz-verlag.de]http://www.blitz-verlag.de

_Frank Rainer Scheck bei |Buchwurm.info|:_
[„Berührungen der Nacht“ Englische Geistergeschichten in der Tradition von M. R. James]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5606

Bourgeon, Francois – drei Augen der blaugrünen Stadt, Die (Die Gefährten der Dämmerung 2)

_Die Gefährten der Dämmerung:_

Band 1: [„Im Zauber des Nebelwaldes“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7170
Band 2: [„Die drei Augen der blaugrünen Stadt“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7171
Band 3: „Das Fest der Narren“

_Story:_

Nachdem das ungleiche Trio sich mit den Kobolden versöhnt hat, ziehen der gesichtslose Ritter und seine beiden streitenden Begleiter weiter, um sich der schwarzen Macht zu stellen. Doch ihre Reise wird jäh unterbrochen, als ein Heer Bauern sich in den Weg stellt und die Gefährten zur Flucht zwingt. Mariotte bleibt zurück und ist der mörderischen Willkür des brutalen Volkes ausgeliefert, kann jedoch kurz vor ihrer Hinrichtung fliehen. Kurz darauf landet sie in der Nähe des Meeres bei der jungen Yuna und ihrer Ziehmutter, die jedoch bei einem Brand ums Leben kommt.

Zu jenem Zeitpunkt taucht auch plötzlich Anicet wieder auf, geschmückt mit einem Relikt der Dhuarden, die wiederum die Kobolde versklavt haben und als Diener der schwarzen Macht auch zu den Feinden des Ritters gehören. Gemeinsam mit einem flüchtigen Kobold und einem mitreisenden Troubadour suchen sie den Eingang zur blaugrünen Stadt, um die Königin der Dhuarden zu töten, die weiße Frau zu befreien und ihrem Ziel näher zu kommen. Doch diese Mission verspricht Tod und eine Menge Schmerz …

_Persönlicher Eindruck:_

Es ist manchmal schon beängstigend, wie stark sich der Charakter eine Comic-Serie mit nur einem weiteren Kapitel ändern kann, bzw. inwiefern sich auch Erzählstil und Arrangement unverhofft zu einem sehr komplexen Konstrukt verbünden und damit die Erwartungen überraschend krass modifizieren können. Der zweite Band von Francois Bourgeons Dreiteiler „Die Gefährten der Dämmerung“ eignet sich hier als nahezu perfektes Beispiel für einen sehr heftigen, inhaltlichen Sprung, der das angenehme Tempo, die stringenten Entwicklungen und vor allem die Transparenz auf der Ebene des Plots größtenteils komplett aushebelt. Die Ursachen hierfür sind sehr vielfältig, am Ende aber doch immer wieder nachvollziehbar; der Autor überlässt vielen neuen Personen das Zepter, schwenkt bedeutend häufiger zwischen den einzelnen Sequenzen und Zeiten, verliert die eigentliche Mission dabei auch kurzzeitig aus den Augen und droht stellenweise sogar, den Leser mit der Rasanz der Story und den zunächst undurchschaubaren Entwicklungen zu überfordern – und davon war im, Debüt-Album noch nicht einmal der Ansatz einer Spur.

Andererseits ist dieser außergewöhnliche, insgesamt unerwartete Schritt auch ein echter Fortschritt, von dem die Geschichte merklich profitiert – auch wenn man dies beim ersten Anblick der verkopften Herangehensweise nicht sofort wahrnehmen möchte. Die Geschichte wird mit einem Schlag viel facettenreicher, ist vielleicht manchmal nicht mehr einer nachvollziehbaren Logik unterstellt, wächst aber zum Schluss wieder zusammen, als sich die einzelnen Puzzlestücke langsam aufeinander zubewegen – ohne dabei aber das grundsätzliche Mysterium, das hier noch intensiver über dem Plot schwebt, in irgendeiner Form aufzugeben. Was genau die schwarze Macht ist, wie man zu ihr durchdringt, was genau der gesichtslose Ritter verfolgt und welche Rolle seine Gefährten und die geheimnisvollen neuen Charaktere hierbei spielen, all das bleibt weiterhin in den Ecken der Story verborgen und wartet auf eine Auflösung im folgenden, letzten Band. Bis hierhin darf man sich aber auf jeden Fall über viele außergewöhnliche Entwicklungen, einen sehr unkonventionellen Spannungsaufbau und eine sehr gute, mit tollen, wenn auch immer noch partiell unnahbaren Figuren gespickte Erzählung, freuen, die auch zeichnerisch wieder den hohen Level der ersten Episode bietet. Fans des phantastischen, anspruchsvollen Comics sollten „Die Gefährten der Dämmerung“ spätestens jetzt dringend ins Auge fassen!

|Hardcover: 56 Seiten
ISBN-13: 978-3868691450|
[www.splitter-verlag.eu]http://www.splitter-verlag.eu

_Francois Bourgeon bei |Buchwurm.info:|_
[Blinde Passagiere (Reisende im WInd 1)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6679
[Das Gefangenenschiff (Reisende im Wind 2)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6680
[Handel mit schwarzer Ware (Reisende im Wind 3)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6700
[Die Stunde der Schlange (Reisende im Wind 4)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6849

Bourgeon, Francois – Im Zauber des Nebelwaldes (Die Gefährten der Dämmerung 1)

_Die Gefährten der Dämmerung:_

Band 1: [„Im Zauber des Nebelwaldes“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7170
Band 2: [„Die drei Augen der blaugrünen Stadt“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7171
Band 3: „Das Fest der Narren“

_Der Autor:_

Francois Bourgeon, Jahrgang 1945, ist eigentliche eine traurige Figur im Comic-Business. Mit seiner ersten Album-Serie „Reisende im Wind“ erntete er zur Originalveröffentlichung in den 80ern nicht die gebührende Aufmerksamkeit, sodass die Reihe lange Zeit in den Archiven verschwand und gerade auf dem hiesigen Markt ein echtes Sammlerstück wurde. Erst vor zwei Jahren nahm sich der renommierte Splitter-Verlag des Themas wieder an und ließ der Wiederveröffentlichung des Orignals eine Doppelepisode folgen, mit der Bourgeun posthum doch noch entsprechend gewürdigt wurde. Dieser Release bringt nun auch seine zweite Serie wieder in den Fokus: „Die Gefährten der Dämmerung“, wiederum in der fernen Vergangenheit angesiedelt, verspricht bereits vorab einen weiteren Erfolg, nicht zuletzt, weil der Autor und Zeichner seinem eigenwilligen Stil voll und ganz treu geblieben ist. Schade daher, dass seine Ausflüge in dem Comic-Bereich eine echte Rarität geblieben sind.

_Story:_

Der Hundertjährige Krieg versetzt einen großen Teil Frankreichs in Chaos und Verwüstung. Raubzüge, höfliche Intrigen und vom Überlebenstrieb initiierte Schlachten sind an der Tagesordnung und hinterlassen vor allem die kleineren Provinzen in Angst und Schrecken. Die junge Mariotte bekommt in ihrem kleinen Dorf nur wenig von diesen Entwicklungen mit. Sie ist vielmehr damit beschäftigt, ihre körperliche Makel vor den Burschen in der Umgebung zu rechtfertigen und sich vor deren Gemeinheiten zu schützen. Erst als ihr ärgster Widersacher Anicet als letzter Überlebender an einem Baum hängt und schließlich von seinem Peiniger, einem schwer gezeichneten Ritter, erlöst wird und dieser auch Mariotte in sein Gespann aufnimmt, scheint sich ihre Zukunft positiver zu gestalten.

Doch ihre Reise zum Zentrum der schwarzen Kraft, an der sich jener Ritter rächen möchte, wird zu einem unliebsamen Streifzug durch die Einöde. Während ihr Anführer zielgerichtet voranschreitet, feinden sich Ancet und Mariotte immer weiter an und streiten über die Fehlleistungen des jeweils anderen. Erst als sie in einem Wald von einer Koboldrasse festgehalten und beschuldigt werden, ihren Landstrich beschädigt zu haben, ist Zusammenhalt gefragt. Doch auch diesbezüglich bewahrt das ungleiche Trio sehr unterschiedliche Ansichten und scheint das eigentliche Ziel aus den Augen verloren zu haben …

_Persönlicher Eindruck:_

Mit dem Auftakt seines Zweitwerks entführt Francois Bourgeon sein Publikum erneut ins Mittelalter, hinzu aber auch in den phantastischen Bereich, der hier unter anderem durch die außergewöhnlichen Gestalten, aber auch durch das Setting und die allgemeine Ausgangssituation vertreten ist. Der Autor nutzt die sich bietenden Möglichkeiten, driftet kurzzeitig in historische Mythen ab, verbindet diese mit übersinnlichen Anspielungen und bleibt doch stets direkt an der Basis des Geschehens, die einzig und allein durch den Streifzug der drei Protagonisten beschrieben ist.

Dabei macht es Bourgeon seinen Lesern in gewisser Weise gar nicht so leicht, denn wirkliche Sympathieträger hat er weder mit der trotzigen Mariotte noch mit dem gemeinen Anicet und dem undurchsichtigen, aber dennoch kompromisslosen Ritter geschaffen. Es ist gerade auf den ersten Seiten ein ständiger Zwiespalt; man muss sich mit den Figuren arrangieren, sie irgendwie auch mögen, gleichzeitig aber akzeptieren, dass sie einige verabscheuungswürdige Züge in sich vereinen, die den Zugang zu ihnen merklich erschwert. Die Story leidet unter diesem Umstand aber keineswegs; ganz im Gegenteil: Man nähert sich in diesem Fall von einer ganz anderen Seite an die führenden Persönlichkeiten – und irgendwann begreift man auch bei jeder einzelnen Figur, warum sie zu dem geworden ist, was sie hier darstellt.

Bourgeon wandert hierzu öfter in die Vergangenheit, um vor allem die Verbitterung auf Seiten des einsamen Ritters zu erklären. Geschickt wird an den treffenden Stellen der Erzählung ein kurzer Rückblick gewagt, der nicht nur einzelne Gedanken analysiert, sondern auch den Grundgedanken bzw. das Hauptmotiv der Story verinnerlicht. Hintergründe, wenn auch noch nicht zu tief, werden aufgedeckt, die Situation im Hundertjährigen Krieg beleuchtet und somit in Passagen Transparenz geschaffen, in denen diese auch dringend erforderlich ist – schließlich steckt hinter „Die Gefährten der Dämmerung“ mehr als lediglich die unbestimmte Reise dreier völlig verschiedener Menschen.

„Im Zauber des Nebelwaldes“ erfüllt zuletzt die Erwartungen an ein Debüt in sämtlichen Belangen. Man wird in die Handlung eingeführt, gerät schleppend tiefer ins Geschehen, wird aber weder vom angenehmen Tempo noch von zu komplexen Verstrickungen überfordert. Dass die Serie auf lediglich drei Bände beschränkt ist, scheint zu diesem Zeitpunkt jedoch noch ein wenig seltsam, da der Plot schon einige Fässer geöffnet hat. Aber auch was dies betrifft, darf man Bourgeon – siehe „Reisende im Wind“ – eigentlich blind vertrauen. Hier ist erneut ein Mann am Werk, der seine Arbeit versteht und seine Leserschaft in Windeseile wieder in seinen Bann zieht. Und dafür bedarf es auch heuer lediglich einer vergleichsweise simplen Handlung und dreier sehr einprägsamer Charaktere!

|Hardcover: 47 Seiten
ISBN-13: 978-3868691443|
[www.splitter-verlag.eu]http://www.splitter-verlag.eu

_Francois Bourgeon bei |Buchwurm.info:|_
[„Blinde Passagiere“ (Reisende im WInd 1)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6679
[„Das Gefangenenschiff“ (Reisende im Wind 2)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6680
[„Handel mit schwarzer Ware“ (Reisende im Wind 3)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6700
[„Die Stunde der Schlange“ (Reisende im Wind 4)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6849

Dorison, Xavier (Autor) / Bec, Christophe (Zeichner) – Moth (Heiligtum 3)

_|Heiligtum|:_

Teil 1: [„USS Nebraska“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7159
Teil 2: [„Der Weg in den Abgrund“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7160
Teil 3: _“Moth“_

_Story:_

Der Ausnahmezustand an Bord der USS Nebraska wird von Minute zu Minute kritischer; der Rumpf des Schiffes droht in Kürze zu zerplatzen, und nachdem das DSRV-Rettungsboot in einem Wahnsinnsakt des Interimskapitäns schwer beschädigt wurde, scheint auch der außergewöhnliche Plan von June endgültig Geschichte. Derweil sind die letzten Verbliebenen des Rettungsteams in den Höhlen des eigenartigen Monuments völlig auf sich alleine gestellt und werden von immer grausameren Wahrheiten überrannt. Der Kampf ums nackte Überleben gegen einen Gegner, dessen wahre Gestalt sich nicht offenbaren will, fordert weitere Opfer – und bringt den Seelenfrieden der einstigen Freunde völlig durcheinander. Das Team an Bord kann nicht mehr verhindern, dass sich ihre einstigen Kumpanen gegenseitig zerfleischen und die Folgen ihrer Mission mit gegenseitigen Schuldzuweisungen verarbeiten. Als schließlich doch noch eine letzte Option zur Rettung des U-Bootes naht, gerät die Situation ein weiteres Mal außer Kontrolle und wird von hilflosen Sabotageakten überschattet. Sind die Seereisenden dem jahrelang eingesperrten Wesen, das im Heiligtum auf seine Befreiung wartet, allesamt schutzlos ausgeliefert?

_Persönlicher Eindruck:_

In der letzten Episode von Xavier Dorion’s Dreiteiler nimtm die Geschichte noch einmal ordentlich Fahrt auf. Die Story verändert ihren Charakter gleich mehrfach und gefällt mit vielen unvorhergesehenen Wendungen, die sich vor allem auch auf die Charakterzeichnungen beziehen. Die Positionen der einzelnen Handelnden variieren noch einmal, ihr wahres Wesen wirft Licht und Schatten auf ihre bisherigen Motive, und bis zum Schluss unterliegt „Heiligtum“ einem inhaltlichen Wechselbad, bei dem der Spannungsgrad das Maximum nicht mehr verlässt – sehr stark!

Im Hinblick auf die Atmosphäre geschieht ferner ebenfalls Maßgebliches. Die mystische Komponente nimmt in den Phasen de Dechiffrierung deutlich zu, während die Horror-Passagen durch die unvorhergesehenen Aktionen der Crew, aber auch des Monsters in den Höhlen mitsamt all seinen morbiden Umgebungen stetig weiter aufkeimen. Hierzu trägt erneut auch Zeichner Christophe Bec bei, der die jeweiligen Szenen oftmals sehr dezent ausmalt, hierbei aber immerzu die Wirkung seiner absolut fokussierten, nicht von Effekten überlagerten Skizzierungen im Hinterkopf hat. Gerade in den Schlusssequenzen erweist eer sich einmal mehr als Meister seines Faches, immer mit dem Blick fürs Wesentliche, obschon die Story ihn mit seiner enormen Geschwindigkeit eigentlich ständig zu überrennen droht.

Andererseits geschieht auch auf Ebene der vielen Hauptfiguren eine ganze Menge; Emotionen kochen über, Intrigen werden gesponnen, Machtspielchen betrieben, aber auch die Situation als solche ständig in den Fokus gerückt. Die Bedrohung lauert allerorts, und abgesehen von June scheint es keinem der Charaktere zu gelingen, sich dem wachsenden Druck vernunftsmäßig zu widersetzen und sich mit der beklemmenden Lage auseinanderzusetzen. Obschon dies nicht die Grundintention der Story ist, vermag Dorison das selbstbezogene Verhalten von Menschen in Ausnahmesituationen hier mit allen zugehörigen Gefühlen darzustellen, allesamt getrieben und beeinflusst vom starken Überlebenstrieb derjenigen Figuren, die nach allen Hindernissen und Rückschlägen noch die Kraft haben, an ihre Rettung zu glauben. Gerade für eine illustrierte Geschichte, von der man eher anderes erwartet, ist dies ein angenehmer, sehr gut inszenierter Nebeneffekt, der der Handlung eine gewisse Würde verleiht.

Um Letztgenannte muss sich der Autor allerdings nie wirklich Sorgen machen. „Heiligtum“ ist auch im abschließenden Band ein Monument der französischen Comic-Kunst, stets aufregend und brisant, partiell übergreifend emotional, dann wieder mystisch und erschreckend und zu guter Letzt mit einem Stimmungsbild ausgestattet, das in diesem Bereich seinesgleichen sucht. Da verzeiht man auch, dass die Verbindungen zwischen den Ereignissen im Dritten Reich und der missglückten Mission der USS Nebraska nicht ganz zufriedenstellend dargestellt werden. Denn was in „Moth“ geschieht, setzt diesem meisterlichen Trio endgültig die Krone auf!

|Broschiert: 66 Seiten
Originaltitel: Sanctuaire – Môth
ISBN-13: 978-3868691504|
[www.splitter-verlag.eu]http://www.splitter-verlag.eu

_Xavier Dorison bei |Buchwurm.info|:_
[„Ante Genesem“ (Prophet 1)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6411
[„Infernum in Terra“ (Prophet 2)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6412
[„Pater Tenebarum“ (Prophet 3)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6413

_Christophe Bec bei |Buchwurm.info|:_
[„Atlantis“ (Promotheus 1)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6432
[„Blue Beam Project“ (Prometheus 2)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6433
[„Die Lagune auf Fortuna“ (Carthago 1)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7102
[„Die Challenger-Tiefe“ (Carthago 2)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7103

Pflieger, Kerstin – Alchemie der Unsterblichkeit, Die

_Die Handlung:_

Den jungen Gelehrten Icherios Ceihn packt die Angst. Niemals zuvor ist er durch diese finsteren Lande gefahren, noch nie hat er ein Irrlicht gesehen. Es ist das Jahr 1771 und Icherios auf dem Weg in den tiefsten Schwarzwald, um eine brutale Mordserie aufzuklären. Im Dorf erwartet ihn schon eine seltsame Ansammlung aus Vampiren, Werwölfen und Menschen, die alles andere als friedfertig ist. Und ein Mord folgt auf den nächsten …
(Verlagsinfo)

_Mein Eindruck:_

Ich gebe zu, dass ich mit einem Vampirroman à la Edward Cullan gerechnet habe, jedoch bin ich angenehm überrascht worden, da in diesem Buch kein Vampir glitzert oder einfühlsam ist, in diesem Buch sind die Vampire, Werwölfe und Irrlichter wirklich böse.

Man kann sich sehr leicht in diesen Roman reinlesen, da man gleich ab der ersten Seite einen guten Bezug zu dem Protagonisten herstellt. Das Buch ist aus der Sicht des Inspektors Icherios Ceihn geschrieben, der durch seine Tollpatschigkeit und seinen zweifelnden Wissenschaftler-Gedanken dem Leser sehr sympathisch wird.

Dieser junge Mann, der eigentlich ein Medizinstudium beginnen möchte, wird nun in den Schwarzwald geschickt, um eine geheimnisvolle Mordserie aufzuklären und um den Mörder zu finden. Der Leser wird dabei animiert mitzurätseln, da dieser Ort voller Lügen und Geheimnisse steckt, sodass bis zum Ende unklar ist, wer der Täter ist und so die Spannung die ganze Zeit erhalten bleibt.

Ab und an wird die eigentliche Geschichte mit Monologen des Täters unterbrochen, welche den Leser oft auf eine falsche Fährte locken, doch später setzen sich die Puzzleteile zusammen und der Mörder muss nur noch gestellt werden. Dabei müssen jedoch Vampire, Werwölfe und Menschen zusammenarbeiten, doch unter ihnen ist Misstrauen gesät worden. So fiebert der Leser mit, er hofft, dass dieser nicht der Mörder ist, sondern lieber jener und so bleibt dieses Buch spannend bis zum Schluss.

Einzig die Vorgeschichte der Kanzlei, in dessen Auftrag Icherios in den Schwarzwald geschickt wird, bleibt ungewiss, ein paar Erläuterungen zu dieser Kanzlei wären schön gewesen, aber vermutlich klärt sich das im nächsten Teil der Serie auf.

_Die Autorin:_

Kerstin Pflieger wurde 1980 in eine Surferfamilie hineingeboren. Durch Reisen an die Küsten Europas, Afrikas und Asiens lernte sie unterschiedliche Kulturen und Denkweisen kennen. Nach dem Abitur studierte sie Biologie in Heidelberg und arbeitet unter anderem für ein Institut zur biologischen Stechmückenbekämpfung. Kerstin Pflieger lebt mit ihren Hunden im Landkreis Heilbronn.
(Verlagsinfo)

_Mein Fazit:_

„Die Alchemie der Unsterblichkeit“ ist eine total andere Vampir-Werwolf-Geschichte, als wir sie bisher kennen. Sie gibt dem Leser viele Rätsel auf, beinhaltet viele mystische Figuren, bietet Spannung und facettenreiche Charaktere, sodass dem Leser ein paar erfrischend unterhaltsame Lesestunden geboten werden.

Der zweite Teil der Serie erscheint bereits im Dezember 2011 unter dem Namen „Der Krähenturm“.

|Taschenbuch: 352 Seiten
ISBN: 978-3-442-47483-7|
[www.randomhouse.de/goldmann]http://www.randomhouse.de/goldmann

_Lisa Kespohl_

von Michalewsky, Nikolai (als Mark Brandis) – Mark Brandis: Pilgrim 2000 (Weltraumpartisanen – Band 16)

_Mark Brandis bei |Buchwurm.info|:_

Band 01: [„Bordbuch Delta VII“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6535
Band 02: [„Verrat auf der Venus“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6539
Band 03: [„Unternehmen Delphin“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6536
Band 04: [„Aufstand der Roboter“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6618
Band 05: [„Vorstoß zum Uranus“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6630
Band 06: [„Die Vollstrecker“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6636
Band 07: [„Testakte Kolibri“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6723
Band 08: [„Raumsonde Epsilon“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6781
Band 09: [„Salomon 76“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6723
Band 10: [„Aktenzeichen: Illegal“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6801
Band 11: [„Operation Sonnenfracht“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6802
Band 12: [„Alarm für die Erde“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6882
Band 13: [„Countdown für die Erde“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6908
Band 14: [„Kurier zum Mars“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6938
Band 15: [„Die lautlose Bombe“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6962
_Band 16: „PILGRIM 2000″_

Es war eine der erfolgreichsten deutschen SciFi-Serien der Siebziger- und Achtzigerjahre. Nikolai von Michalewsky (1931 – 2000) alias „Mark Brandis“ schuf mit dem gleichnamigen Titelhelden, welcher quasi seine Memoiren in der Ich-Form präsentiert, einen wahren Klassiker. Zwischen 1970 und 1987 brachte er es immerhin auf 31 Bände, wobei die originalen Hardcover des |Herder|-Verlages nur noch antiquarisch, und – zumindest die Erstauflage – zu teils horrenden Preisen, zu bekommen waren bzw. sind. |Bertelsmann| scheiterte beim Versuch, sie als doppelbändige Taschenbuchausgaben über den hauseigenen Buchclub wieder zu etablieren. Bis zum Jahr 2000 senkte sich allmählich immer mehr Vergessen über die „Weltraumpartisanen“.

Ausgerechnet in seinem Todesjahr startete NvM den letzten Versuch der Wiederbelebung und Neuausrichtung seiner Figur, kam aber über einen einzigen – wenig beachteten und noch weniger geliebten – Band („Ambivalente Zone“) nicht mehr hinaus. Erst weitere acht Jahre später nahm sich der |Wurdack|-Verlag der Original-Serie noch einmal, mit der ihr gebührenden Ernsthaftigkeit, an und legte sie komplett neu auf: Jedes Quartal erscheinen seither zwei Bände als broschierte Sammlerausgaben für je 12 Euro. Dabei wurde der Inhalt (sogar die alte Rechtschreibung) unangetastet gelassen, das äußere Erscheinungsbild jedoch deutlich modernisiert und gelegentlich einige Randbeiträge eingebaut.

_Vorgeschichte_

Der Weltraum unseres Sol-Systems wird bereist und die nächsten Himmelskörper sind auch bereits kolonisiert. Die Zeiten einzelner Nationalstaaten sind lange vorbei. Nur zwei große Machtblöcke belauern sich auf dem Mutterplaneten Erde noch: Die Union Europas, Afrikas und Amerikas (EAAU) und die Vereinigten Orientalischen Republiken (VOR). Commander Mark Brandis, unfreiwilliger Bürgerkriegsheld (Band 1 – 4) und – seit dessen Ende – endlich wieder als Cheftester in der zivilen Institution VEGA (Venus-Erde Gesellschaft für Astronautik) tätig, hat in den Folgejahren schon so manchen heiklen Job im Dienste der Erde übernommen. Dabei ficht der deutschstämmige Kosmopolit und -pilot vehement für Humanität, Gerechtigkeit, Demokratie und gegen Militar- sowie Rassismus. Kurzum: Eine bessere und friedlichere Welt.

_Zur Story_

Ein kosmische Explosion schleudert den VEGA-Prototypen |Kronos| von Mark Brandis und seiner erfahrenen Crew vom Kurs: in einen Raumsektor des Sol-Systems, welcher berechtigterweise als „JWD“ bezeichnet werden kann – nämlich „Janz Weit Draußen“. Zu allem Überfluss hat dieses galaktische Phänomen die Besatzung auch gesundheitlich teils arg mitgenommen. Abseits beflogener Routen ist man auf sich allein gestellt und im Sonnenschatten befindlich ist auch keinerlei Funkverbindung in die Heimat möglich. So bleibt nur der beschwerliche Weg des langsamen, etwa zwei Monate länger als geplant dauernden Heimfluges, bis die Zivilisation sie wieder hat. Plötzlich gerät ein riesiges Objekt auf Radarschirme der Kronos. Ein irrläufiger Asteroid, ein „Quick Running Object“ also, wie weiland der „QRO Helin“ (vgl. „Countdown für die Erde“)?

Nein, Brandis und Co. haben offensichtlich etwas viel geheimnisvolleres entdeckt. Ein fast hundert Jahre altes Raumschiff gigantischen Ausmaßes, welches 1991 im Angesicht des drohenden 3. Weltkriegs hastig zu den Sternen aufbrach. An Bord zehntausend enthusiastische Siedler, die nach alte Pilgerväter-Sitte die Erde und all ihre Schlechtigkeit hinter sich zu lassen gedachten, um anderswo eine bessere Welt zu finden bzw. eine friedvolle Zukunft aufzubauen. Die PILGRIM 2000 wurde als künstliches Paradies konzipiert. Felder, Wälder, Seen und ganze Städte fanden in ihr Platz. Sie verschwand allerdings kurz darauf spurlos in den Weiten des Alls und geriet allmählich in Vergessenheit. Bis jetzt. Nun im April des Jahres 2080 schickt sich die Kronos tatsächlich an dem 52 Kilometer langen und fast 10 Kilometer durchmessenden, verschollenen Leviathan anzudocken.

Stumm nimmt das alte Schiff – oder vielmehr Station – ihre Ankunft hin. Auf Funksprüche antwortete man bislang nicht. Die Landeplattform und die Schleusenanlage präsentieren sich ebenso verlassen wie verwahrlost. Lifte und andere Aggregate haben keinen Strom. Dennoch gelingt es sich Zutritt zum Inneren der Station zu verschaffen – auch hier bietet sich ein Bild des Verfalls. Die ehemals gepflegten Parks, Straßen und andere Infrastruktur zeigen sich von Korrosion gezeichnet, der dschungelgleichen Vegetation überwuchert – aber prinzipiell intakt. Die aus Reaktoren gespeiste Atmosphärenaufbereitung funktioniert ebenfalls weiterhin tadellos. Es ist jedoch gespenstisch menschenleer, grade so als wären die Siedler mitten aus ihrem Alltag einfach verschwunden, wie eine Überprüfung einiger Gebäude ergibt. Als sich jedoch ein primitiver Pfeil in Grischa Romens Schulter bohrt, wird klar, dass man wohl doch nicht so allein ist.

_Eindrücke_

Neues Schiff – alte Crew. Fast zumindest. Lt. Israel Levy ersetzt den beim Kampf gegen die FLOBs (vgl. „Kurier zum Mars“) gefallenen Antoine Mercier. Ein neues Gesicht an der Position des Funkoffiziers. Sonst gibt es keine personellen Veränderungen, was die etablierten Figuren angeht, ist man auf der bekannt-sicheren Seite. Das Schiff selbst ist natürlich mal wieder ein brandneuer, leistungsfähiger Vorserientyp, den die Test-Crew „einreiten“ soll. Die |Kronos| bleibt allerdings im Gegensatz zu ihren Vorgängerinnen ein blasser, ja für Brandis-Verhältnisse fast schon geradezu unpersönlicher Raumer, dem NvM mal nicht mit glühenden Worten herausragende Beschleunigung, Panzerung oder mögliche Bewaffnung andichtet. Es ist ein reibungslos funktionierendes Transportmittel modernster Bauart. Punkt. Was insofern von Vorteil ist, dass sich NvM diesbezüglich ausnahmsweise mal nicht auf wissenschaftliches Glatteis begibt.

Dieses bei allen seinen Romanen leidige Thema trifft der Leser aber an Bord der |Pilgrim| dafür wieder an. Wenn auch diesmal nicht ganz so störend. Nichteingeweihte sollten wissen, dass der multitalentierte und weit herumgekommene Nikolai von Michalewsky schon eine ganze Reihe beruflicher Engagements annahm, bevor er sich ans Schreiben machte – er selbst sah sich auch nie als „richtiger“ SciFi-Autor. Die Konsequenz dessen ist, dass seine Geschichten zwar in der Zukunft spielen, dem ganzen technischen Kram aber nie die Bedeutung zukam, wie anderen Vertretern des Genres. Das ist ein großer Pluspunkt der Serie. Auf der anderen Seite allerdings auch eine oft zurecht monierte Achillesferse. NvM verstrickt sich auf diesem Gebiet nämlich gerne in Fantastereien, die, wenn nicht schon auf den ersten, dann aber auf den zweiten Blick oft unplausibel erscheinen. Das betrifft meist das Science in der Fiction.

|Spoilerwarnung: Verrät spannungsförderliche Teile der Handlung|

Ein künstliches Weltraumhabitat, welches verschollen irgendwo hinter der Sonne herumtreibt, bietet für sich genommen natürlich eine schöne Spielwiese für Zukunftsfantasien und ist zudem eine spannende Kulisse eine zünftige Abenteuergeschichte. Das ist sie auch. Mit der Logik sollte man es aber dann doch nicht ganz so genau nehmen, denn über ein paar Ungereimtheiten muss man einfach hinwegsehen. Zuerst natürlich, dass es im Jahre 1991 möglich gewesen, wäre ein solch technisch anspruchsvolles Terraforming-Mammutprojekt zu realisieren. Vom Standpunkt des Autors aus gerechnet, waren dies lediglich magere 13 Jahre. Die Erdgeschichte bei MB stimmt mit der tatsächlichen bis zu den Neunzehnhundertsiebzigern überein. Damit ist die |Pilgrim 2000| unter den Rahmenbedingungen in der Serie eine ziemlich unglaubwürdige Utopie. So etwas kann man in der SciFi zwar getrost machen, d. h. wäre ausgerechnet MB nicht sonst so stark auf Realismus bzw. Machbarkeit aus heutiger Sicht geprägt.

Übrigens versetzt die Hörspieladaption Mark Brandis noch 100 weitere Jahre in die Zukunft, das macht es – speziell hier – ein Stück glaubwürdiger. Die Bewohner können innerhalb dieser sonst recht kurzen Spanne nicht plötzlich fast alles über ihre irdische Vergangenheit vergessen haben – auch wenn man zugrunde legt, dass es sich bei den ehemaligen Siedlern um weltfremd-fromme Leutchen (Parallelen zu den „Amish-People“ sind unverkennbar) handelte, deren Nachkommen inzwischen nur noch nach den Zeilen des „Buches“ (= Bibel) leben. Auch die körperliche sowie geistige Degeneration der so genannten „Ratmen“, die sich den – übertrieben weit entwickelten – Riesenratten unterwerfen, ist nicht nachvollziehbar. Die Zahl der Nager an Bord der |Pilgrim| ist überhaupt ein Punkt. Wovon sollte sich ein mehrere Zehntausende umfassendes Rattenheer auch ernähren? SO groß ist die Station nun auch wieder nicht.

Nun gut, mit dem Imperfekt, wobei die geschilderten Schnitzer nur die Gröberen darstellen, kann man sicherlich leben. Große und kleine Unplausibilitäten ist man bei NvM schließlich gewohnt, zumindest wenn man die Serie kennt oder gar zur nicht grade kleinen, alteingesessenen Fangemeinde gehört. Da nimmt man auch die an sich recht einfache Figurengestaltung in Kauf, was sich allerdings nicht auf die Hauptprotagonisten, sondern mehr auf die Randfiguren bezieht. Die scheinen doch sehr durchschaubar gestrickt, wohingegen Mark Brandis selbst – bestärkt nicht zuletzt durch die gewohnte Ich-Perspektive – wieder einmal facettenreich ausgestaltet ist. Was nicht wirklich wundert, da sich in MB ein großer Teil des Autors wiederfindet. Quasi als Alter-Ego. Sehr preußisch, tugendhaft und selbstzweiflerisch, sprich: Urdeutsch. Auch diese Tatsache ist hinlänglich bekannt und wird stets positiv hervorgehoben.

|Spoilerentwarnung: Ab hier ist das Weiterlesen ungefährlich|

Der Leser begleitet die Crew auf einem atmosphärisch dichten Höllentrip durch ein Beinahe-Geisterschiff im Kampf gegen gefährlich berechnende Riesenratten und deren verrohte menschliche Diener. Dabei ist „menschlich“ ein gutes Stichwort. MB steht seit jeher für diese Tugend. Es wird dem Ganzen auch (wieder einmal) die knifflige Frage beigegeben, ob Gewalt als Mittel zum Zweck – hier: Selbstverteidigung – dienen darf (und muss), auch wenn es der eigenen Grundhaltung komplett zuwiderläuft. Beide Lager gehen da unterschiedliche Wege. Die „modernen“ Raumfahrer sind da eher praktisch veranlagt und wollen mit allen Mitteln überleben, während die altruistisch veranlagten Pilger eine Art pazifistischem Fatalismus unterliegen: Lieber untergehen als die Hand erheben. Diese Gegensätze würzen den temporeichen Plot ungemein, sodass all die zweifellos vorhandenen Patzer dahinter beinahe verschwinden.

_Fazit_

Zurecht eine der beliebtesten Storys der Serie, auch wenn man manch arg konstruiert wirkendes Element des Setups einfach ausblenden oder als gegeben akzeptieren muss. Die darunter liegende Abenteuergeschichte ist aber sehr unterhaltsam, flott und sozialkritisch. Sie könnte auch ohne Weiteres auf der Erde stattfinden, die geheimnisvolle Raumstation mit ihren Eigenheiten ist natürlich eine um Längen spannendere Szenerie – insbesondere für das ehemals angepeilte Klientel der jugendlichen SciFi-Leserschaft. Dass diese nicht unbedingt nur männlich sein musste, beweist das Nachwort der Neuauflage: Es stammt von Christel Scheja, heute selbst Autorin im Bereich Fantasy/SciFi und bekennender MB-Fan fast der ersten Stunde.

|Taschenbuch: 186 Seiten
ISBN 13: 978-3-938065-60-0|
[www.wurdack-verlag.de]http://www.wurdack-verlag.de

_|Mark Brandis| als Hörspiel:_
01 [„Bordbuch Delta VII“ 4995
02 [„Verrat auf der Venus“ 5013
03 [„Unternehmen Delphin“ 5524
04 [„Aufstand der Roboter“ 5986
05 [„Testakte Kolibri 1“ 5984
06 [„Testakte Kolibri 2“ 5985
07 [„Vorstoß zum Uranus 1“ 6245
08 [„Vorstoß zum Uranus 2“ 6246
09 [„Raumsonde Epsilon 1“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6467
10 [„Raumsonde Epsilon 2“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6468
11 „Die Vollstrecker 1“
12 „Die Vollstrecker 2“
13 [„Pilgrim 2000 1“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7059
14 [„Pilgrim 2000 2“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7060
15 [„Aktenzeichen: Illegal“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7128
16 [„Operation Sonnenfracht“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7129
17 „Alarm für die Erde“ (für Herbst 2011 angekündigt)
18 – für Herbst 2011 angekündigt –

King, Stephen – Gesang der Toten, Der

_Das geschieht:_

Der zweite Teil einer Sammlung früher Stephen-King-Geschichten präsentiert neun weitere Geschichten, die vom Einbruch des Grauens in eine womöglich ohnehin furchtbare Gegenwart (oder Vergangenheit oder Zukunft) erzählen: Die ‚Normalität‘ der Situation steigert den zudem geschickt geschürten Schrecken und sorgt für eine durchweg gruselige Lektüre.

– „Mrs. Todds Abkürzung“ (|“Mrs. Todd’s Shortcut“|, 1984): Ihr Hobby ist es, nach der kürzesten Strecke zu suchen; dass manche Abkürzung buchstäblich nicht von dieser Welt und lebensgefährlich ist, nimmt Mrs. Todd dabei in Kauf.

– „Der Hochzeitsempfang“ (|“The Wedding Gig“|, 1980): Der hässliche Streit zweier Gangster lässt eine ohnehin groteske Hochzeit im Chicago des Jahres 1927 in einer Katastrophe enden.

– „Travel/Der Jaunt“ (|“The Jaunt“|, 1981): Zwar kann der Mensch durch Raum & Zeit reisen, aber es gilt dabei gewisse Regeln zu beachten, was in dieser Geschichte mit üblen Folgen ignoriert wird.

– „Kains Aufbegehren“ (|“Cain Rose Up“|, 1986): Eines allzu heißen Sommertages hat der junge Student die Nase voll von der Welt – und ein Gewehr im Schrank.

– „Das Floß“ (|“The Raft“|, 1982): Pubertäre Wallungen verfliegen abrupt, als vier junge Schwimmer feststellen, dass sie ihren Badesee mit einer seltsamen und sehr hungrigen Kreatur teilen.

– „Der Gesang der Toten“/“Die Meerenge“ (|“The Reach“/“Do the Dead Sing?“|, 1981): Als die alte Stella ihren toten Gatten zu sehen beginnt, bricht sie eines eisigen Wintertages zu ihrer letzten Reise auf.

– „Der Sensenmann“/“Das Bildnis des Sensenmanns“ (|“The Reaper’s Image“|, 1969): Der alte Spiegel ist verhext, doch was seine neugierigen Betrachter trifft, haust nicht in seinem Inneren.

– „Nona“ (|“Nona“|, 1978): Seelennot und Hirnstörungen des jungen Mannes setzen ein hübsches aber mörderisches Geschöpf in die Welt.

– „Onkel Ottos Lastwagen“ (|“Uncle Otto’s Truck“|, 1983): Ein Mord ist nicht wirklich perfekt, wenn dem Opfer die Zeit bleibt, seinen Mörder mit einem Fluch zu belegen.

_Liebe & andere Katastrophen_

„Liebst du?“, werden die Protagonisten in den Geschichten „Der Gesang der Toten“ und „Nona“ gefragt. Die Antwort lautet „Ja“, aber Liebe ist ein gefährliches Gefühl, das nicht nur an ungewöhnlichen Orten existieren, sondern auch zerstören kann. Selbst wenn der Grundton versöhnlich ist, bleibt die Liebe riskant: In „Die Abkürzung“ benötigt sie Jahre des ängstlichen Abwartens, während das Objekt der Begierde durch exotisch gefährliche Regionen des Raum-Zeit-Kontinuums reist.

Die alte Stella wird von freundlichen Geistern weniger heimgesucht als begrüßt. Dennoch lässt sie Stephen King nicht friedlich im Bett sterben. Stella ist nicht nur eine Greisin an der Schwelle des Todes, sondern ein Element ihrer Heimat: Liebe beschränkt sich nicht auf Personen. Sie kann auch einem Ort wie der nur scheinbar kargen Insel gelten, die Stella Zeit ihres Lebens keineswegs grundlos nie verlassen hat.

Was den meisten Autoren zur sentimentalen Beschwörung von ewiger Liebe über den Tod hinaus geronnen wäre, kommt bei King angenehm schmalzarm und über weite Strecken beinahe dokumentarisch daher. Sein Erfolg bei einem breiten Publikum resultiert zu einem Gutteil aus seinem Talent, Emotionen nicht auszuwalzen, bis sie zur eigenen Parodie ausdünnen, sondern sie nachvollziehbar auszudrücken und es damit gut sein zu lassen.

|Der Horror der realen Welt|

In die dunklen Ecken des Menschenhirns, das auf reale Gespenster nicht angewiesen ist, weil es Nachtmahre und Phantome ausbrütet, mit denen diese kaum mithalten könnten, führt uns „Nona“. In „Kains Aufbegehren“ geht es nicht um (enttäuschte) Liebe, doch der Protagonist verdeutlicht Kings Konzept vom Wahn, der ohne Schaum vor dem Mund, sondern furchtbar banal bzw. alltäglich daherkommt. Niemand ahnt, wie es im Kopf des jungen Studenten aussieht, weshalb er seinen Amoklauf problemlos vorbereiten und durchführen kann.

„Nona“ ist ein ‚personifiziertes‘ Hirngespinst. Der Geist eines auf seine Weise ebenfalls gescheiterten und frustrierten Mann zerfällt in zwei scheinbar unabhängig voneinander funktionierte Wesenheiten. Tatsächlich ist Nona die Projektion einer unterdrückten Wut, die auf diese Weise die anerzogenen Barrieren überwinden und sich Bahn brechen kann.

Einen Schritt weiter geht King in „Onkel Ottos Lastwagen“. Plagt wirklich der Geist eines ermordeten Freundes den alten Otto, oder ist es das schlechte Gewissen, das ihn an den Tatort bannt, wo er die Rache, die das Gesetz nicht bringen kann, so sehr erwartet, dass er sie schließlich Gestalt annehmen lässt? Diese Frage bleibt offen; der Leser muss oder kann sie sich nach Belieben beantworten.

|Die Welt ist ein seltsamer Ort|

Andere Storys legt King weniger mehrschichtig an, sondern stellt – allerdings mit dem für ihn typischen Geschick, das in diesen frühen Geschichten besonders ausgeprägt ist – ‚realen‘ Horror in den Vordergrund. Unter seiner Feder wirkt dieser beängstigend, zumal es immer völlig alltägliche Menschen sind, denen er begegnet: King ist ein Meister in der Darstellung solcher Zeitgenossen, was selbst früher und vielfach von anderen Autoren beschworene Schreckensszenarien vergessen lässt.

Großartig in ihrer sowohl unmittelbaren als auch nachklingenden Wirkung sind Storys wie „Das Floß“ oder „Onkel Ottos Lastwagen“. Was Furcht ausmacht, stellt King in einfachen oder besser: klaren Worten dar. Das Grauen kann sehr handfest sein, so lautet die daraus zu ziehende Lehre, was uns zum „psychologischen“ Horror zurückführt.

Überraschungen sind dabei nicht nur möglich, sondern an der Tagesordnung. „Der Sensenmann“ mag in einem Spiegel hausen, aber seine Opfer finden ihr Ende in der realen Welt. Wie dies ablaufen könnte, verschweigt uns King. Er muss es auch nicht erläutern und darf es sogar nicht, weil seine Geschichte so sehr viel stärker wirkt. Deshalb bleibt auch „Mrs. Todds Abkürzung“ ein Geheimnis.

|Nicht alles kann perfekt sein|

Zwei Storys dieser (Teil-) Sammlung fallen aus dem Rahmen. „Der Hochzeitsempfang“ zeigt den Geschichtenerzähler Stephen King, der auf den Faktor Phantastik keineswegs angewiesen ist. Als Bestseller-Autor, der sich oder seinen Kritikern längst nichts mehr beweisen muss, ist King mutiger geworden und legt seinen Lesern ohne Scheu Erzählungen vor, die den alten Spruch belegen, dass zuerst und vor allem der Mensch des Menschen Wolf ist.

Die an sich witzige Geschichte von der dicken Braut des Gangsterbosses, der ebenso gefährlich wie leicht reizbar ist, wird zur Tragödie mit groteskem Epilog. Schon vorher trübt King die Atmosphäre einer Geschichte aus der „guten, alten Zeit“ ein, indem er quasi nebenbei auf zeitgenössische Hässlichkeiten in Gestalt eines ausgeprägten und aufgrund seiner Selbstverständlichkeit noch erschreckenderen Rassismus hinweist.

„Travel“ ist weniger eine Kurzgeschichte als eine Novelle. Sie ist nur bedingt gelungen, was auf eine unglückliche Zweiteilung der Handlung zurückgeht, deren Stränge nicht wirklich zueinanderfinden. Das in der Zukunft spielende Geschehen wird durch einen gegen Ende des 20. Jahrhunderts spielenden Rückblick ergänzt, der die Erfindung des Materietransmitters – denn genau dies ist die Jaunt-Maschine – nacherzählt. Originell ist das nicht und heute deutlich angestaubt; eine Story, die so in den SF-Magazinen der 1950er und 60er Jahre erschienen sein könnte. Nur Kings Stil lädt zum Weiterlesen ein.

Der zweite Handlungsstrang leidet unter einem Ende, das sich viel zu früh ankündigt und anschließend zu lange auf sich warten lässt. Selbstverständlich wird sich wiederholen, was in der Vergangenheit schiefging und vertuscht wurde. Immerhin trifft es eine überaus unsympathische Figur, die ihr Schicksal freiwillig herausgefordert hat. King erspart uns hämisches Frohlocken, denn „Travel“ ist in diesem Teil der Handlung ironisch angelegt: Die Familie auf dem Weg ist eine Parodie auf die US-Bilderbuch-Familie, wie sie über Jahrzehnte vor allem im Fernsehen propagiert wurde. Bei King ist der Vater ein eingebildeter Besserwisser, die Mutter eine dumme Gans, und die Kinder sind disziplinarme Nervensägen.

|Aus eins mach drei|

In einer Bibliografie der originalen Stephen-King-Werke wird man den Titel „Der Gesang der Toten“ vergeblich suchen: In Deutschland wurde die voluminöse Story-Sammlung „Skeleton Crew“ nicht in toto veröffentlicht, sondern in drei Taschenbuch-Bände aufgeteilt. Auf diese Weise konnte man mehr Geld aus dem Titel schlagen. Außerdem mag die Furcht mitgespielt haben, der deutsche Leser könnte vor dem Erwerb eines allzu seitenstarken Buches zurückschrecken, das ’nur‘ Storys bot.

In den 1990er Jahren war Stephen King auch in Deutschland nicht nur ein erfolgreicher Autor, sondern eine eingeführte Marke. Unter seinem Namen ließen sich vermutlich auch Gedichte vermarkten. 1996 wurden die immer wieder aufgelegten und gründlich ausgewerteten Story-Bände deshalb auch hierzulande endlich zusammengelegt.

Die in Deutschland ursprünglich dreigeteilte Sammlung erschien 1996 als Sammelband unter dem Titel „Blut“ im Wilhelm Heyne Verlag; diverse Übersetzungen wurden von Joachim Körber überarbeitet oder neu angefertigt. Später kehrte man zur Dreiteilung zurück, die bis heute beibehalten wird.

|“Skeleton“-Crew – die deutschen Bände:|

– „Im Morgengrauen“ – Heyne TB 6553/Ullstein TB 26376
– „Der Gesang der Toten“ – Heyne TB 6705/Ullstein TB 26329
– „Der Fornit“ – Heyne TB 6888/Ullstein TB 26377

_Autor_

Normalerweise lasse ich an dieser Stelle ein Autorenporträt folgen. Wenn ich ein Werk von Stephen King vorstelle, pflege ich dies zu unterlassen – aus gutem Grund, denn der überaus beliebte Schriftsteller ist im Internet umfassend vertreten.

|Taschenbuch: 283 Seiten
Originaltitel: Skeleton Crew [Teil 2] (New York : G. P. Putnam’s Sons 1985)
Übersetzung: Martin Bliesse (1), Alexandra von Reinhardt (6), Rolf Jurkeit (2)
Deutsche Erstausgabe: 1986 (Wilhelm Heyne Verlag/Allgemeine Reihe Nr. 01/6705)
ISBN-13: 978-3-453-02309-3|
[www.stephen-king.de]http://www.stephen-king.de
[www.stephenking.com]http://www.stephenking.com
[www.randomhouse.de/heyne]http://www.randomhouse.de/heyne

|Aktuelle Auflage: 2006 (Ullstein Verlag/TB Nr. 26329)
Taschenbuch: 283 Seiten
ISBN-13: 978-3-548-26329-8|
[www.ullsteinbuchverlage.de]http://www.ullsteinbuchverlage.de

|Gesamtausgabe (unter dem Titel „Blut“): 1996 (Wilhelm Heyne Verlag/Allgemeine Reihe/TB Nr. 01/8900)
Taschenbuch: 701 Seiten
ISBN-13: 978-3-453-09936-4|
[www.randomhouse.de/heyne]http://www.randomhouse.de/heyne

Über 40 weitere Rezensionen zu Büchern und Hörbüchern von |Stephen King| findet ihr in [unserer Datenbank]http://buchwurm.info/book .

Sanderson, Brandon – Weg der Könige, Der (Die Sturmlicht-Choniken 1, Teil 1)

Die Sturmlicht-Chroniken:

Band 1: „Der Weg der Könige“
Band 1 (Teil 2): „Der Pfad der Winde“ (08.08.2011)
Band 2: – angekündigt für Ende 2012 / Anfang 2013 –
Band 3: – angekündigt für „ein Jahr nach Band 2“ –

Kaladin ist der Sohn eines Chirurgen und wurde von seinem Vater dazu ausgebildet, ebenfalls Chirurg zu werden. Inzwischen ist er allerdings ein Sklave, der täglich ums Überleben kämpfen muss. Sein Wunsch, anderen Menschen zu helfen, scheint jedoch unverwüstlich zu sein …

Shallan ist eine junge Adlige, deren Familie in ziemlichen Schwierigkeiten steckt. Deshalb will sie unbedingt von Prinzessin Jasnah als Mündel angenommen werden. Diese Position würde sie in die Lage versetzen, einen kniffligen Plan in die Tat umzusetzen. Doch je besser Shallan ihre Mentorin kennen lernt, desto größer werden ihre Skrupel …

Szeth ist eine Waffe. Und diejenigen, die über den Einsatz dieser Waffe entscheiden, haben ihm einen extrem unangenehmen Auftrag erteilt: Töte den König von Alethkar!

Dalinar, der Bruder des Königs, war einst ein viel bewunderter, starker Krieger. In letzter Zeit aber hat er regelmäßig Anfälle und Visionen, die er nicht deuten kann. Dalinar ist überzeugt davon, dass diese Visionen wichtig sind, doch im Heer machen bereits Gerüchte über Schwäche und Wahnsinn die Runde …

„Der Weg der Könige“ ist ein richtig dicker Schinken, und das liegt nicht unbedingt an der Tiefe der Charakterzeichnung. Tatsächlich erfährt man über die Charaktere nicht allzu viel. Kaladin war schon als Junge hin- und hergerissen zwischen Heilen und Kämpfen, denn obwohl er Letzteres gar nicht gelernt hat, beherrscht er es ziemlich perfekt. Seine Überzeugung, auch durch Kämpfen andere Menschen retten zu können, wird allerdings schon bald über den Haufen geworfen. Wer – oder besser, was genau – Kaladin tatsächlich ist, erfährt der Leser jedoch nicht. – Schallan liebt vor allem die Naturwissenschaften, und wäre ihre Familie nicht in Gefahr, würde sie das Studium bei Prinzessin Jasnah in vollen Zügen genießen. Wie genau es aber gekommen ist, dass ausgerechnet sie die Familie retten muss, obwohl sie doch noch eine Menge Brüder hat, ist bisher nicht klar geworden. – Von Szeth erfährt man nur, dass ihm das Töten nicht gefällt. Was dazu geführt hat, dass er eine solche Aufgabe auferlegt bekam, ist nirgendwo erwähnt. – Und auch Dalinar ist zumindest bisher noch auf den inneren Kampf beschränkt, der sich in ihm abspielt, seine Unsicherheit im Hinblick auf seine Visionen und seine Bemühungen, das Reich zusammenzuhalten.

Ich fand es ein wenig schade, dass die Figuren so stark auf einige wenige Punkte ihrer Persönlichkeit beschränkt waren. Bei Dalinar störte es mich noch am wenigsten, Shallan dagegen wirkt schon ein wenig flach, und auch Kaladin darf sich durchaus noch entwickeln.

Ähnliches gilt für den Entwurf der Welt. Es ist eine kahle, abweisende Welt. Regelmäßig toben tödliche Stürme über das Land hinweg, was dazu geführt hat, dass selbst die Vegetation mit Stein gepanzert ist oder sich beim geringsten Anzeichen von Gefahr versteckt. Der Großteil der Handlung spielt auf einer Ebene, die in zahllose Stücke unterschiedlicher Größe zerbrochen ist. Die Spalten zwischen den Stücken sind schroff, tief und werden bei jedem Sturm von tödlichen Wassermassen geflutet. Ein wenig wohnlicher wirkt die Stadt, in der Schallan sich aufhält, allerdings beschränkt die Beschreibung sich hier großteils auf die Bibliothek, in der Shallan ihren Studien nachgeht.
Auch die Darstellung der Magie ist lückenhaft. Sie beruht bisher hauptsächlich auf Sturmlicht, einer Art Energie. Diese Energie wird gewonnen, indem Edelsteine dem Sturm ausgesetzt und dabei sozusagen aufgeladen werden. Diese Energie kann aber nicht nur für Magie, sondern auch für Maschinen benutzt werden. Edelsteine sind deshalb von immenser Bedeutung und werden auch als Zahlungsmittel benutzt. Szeth allerdings scheint die Energie direkt in sich aufzunehmen, wie er das schafft, ist unklar.

Dabei wäre genug Raum gewesen, um diesbezüglich etwas mehr ins Detail zu gehen. Zumindest hätte man die Handlung zugunsten dieser Details problemlos ein wenig kürzen können, denn stellenweise zieht sie sich schon ziemlich. Vor allem der Teil in den Kriegslagern hätte Straffung vertragen. Nicht, dass es uninteressant gewesen wäre, wie Kaladin sein persönliches Tief überwindet und erneut den Kampf ums Überleben auf für seine Leidensgenossen aufnimmt, oder wie die Situation für Dalinar immer schwieriger wird. Was stört, ist die Tatsache, dass sonst nichts geschieht. Ich hätte nicht gedacht, dass ich so was mal sagen würde, aber hier wurde schon ein wenig zu viel Augenmerk auf die Entwicklung von Personen gelegt, vor allem, weil sich diese Entwicklung nur auf einen einzigen Punkt bezog.

Vielleicht hätte Brandon Sanderson diesen Eindruck ein wenig abmildern können, wenn er seine Handlungsstränge etwas mehr gemischt hätte. Statt dessen hat er sich stets über längere Zeit auf höchstens zwei dieser Stränge konzentriert und die anderen währenddessen komplett ruhen lassen. Im Falle von Szetz ist es sogar so, dass er fast nur in den Zwischenspielen vorkommt und kaum als eigener Handlungsstrang bezeichnet werden kann.

Insgesamt blieb ein durchwachsener Eindruck zurück. Es braucht Zeit, bis man sich eingelesen hat, da der Autor von Anfang an ziemlich gnadenlos mit spezifischen Begriffen um sich wirft, deren Bedeutung der Leser sich erst erschließen muss. Die Ideen im Zusammenhang mit der Magie, der Kultur und der Historie der Welt klingen aber sehr vielversprechend, die Figuren sind sympathisch und nachvollziehbar. Ein Plot ist bisher allerdings kaum auszumachen, da die Handlung trotz diverser Kämpfe gegen Feinde und Ungeheuer großteils auf der Stelle tritt. Da es sich um einen Mehrteiler handelt, ist davon auszugehen, dass Figuren, Magie und Historie noch weiter ausgebaut werden, schließlich gibt es eine ganze Menge Fragen zu beantworten, und darauf bin ich ziemlich neugierig. Ich hoffe allerdings, dass sich die Handlung im nächsten Band etwas zügiger entwickelt, als sie es bisher getan hat.

Brandon Sanderson gehört zu denjenigen, die bereits als Kinder phantastische Geschichten schrieben. Sein Debütroman „Elantris“ erschien 2005, seither war er ungemein fleißig. Neben den Sturmlicht-Chroniken schreibt er an seinem Jugendbuchzyklus Alcatraz, der inzwischen bis Band vier gediehen ist sowie an den beiden Serien Warbraker und Dragonsteel. Außerdem hat er das Angebot angenommen, nach Robert Jordans Tod dessen Zyklus Das Rad der Zeit zu Ende zu bringen. Auch dafür sind drei Bände veranschlagt, von denen zwei bereits erschienen sind. In der deutschen Übersetzung wurden die Bände geteilt, zusätzlich zu den beiden, im letzten Jahr erschienen Büchern wurden für Oktober zwei weitere angekündigt. Gleiches gilt auch für die Sturmlicht-Chroniken, denn im englischen Original existiert bisher nur ein Band, trotzdem kommt im August eine Fortsetzung unter dem Titel „Der Pfad der Winde“ in die deutschen Buchläden.

Hardcover: 896 Seiten
Originaltitel: The Way of Kings – The Stormlight Archive 1 (Teil 1)
Aus dem Amerikanischen von Michael Siefener
 Mit zehn Schwarzweiß-Abbildungen
 ISBN: 978-3-453-26717-6
http://www.randomhouse.de/heyne
 http://www.brandonsanderson.com

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