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Smit, Eric – Supercode, Der

_Die Superposse der Computerindustrie_

In seiner Dachstube entwickelt der niederländische Fernsehreparaturtechniker und Computeramateur Jan Sloot ein revolutionäres Verfahren, das die Elektronikindustrie völlig auf den Kopf stellen würde. Einen ganzen Videofilm im Speicher von 1 Kilobyte unterbringen – unmöglich, oder?

Fachleute sind überzeugt, dass Sloots Erfindung Milliarden wert ist. Doch zwei Tage, bevor das große Geschäft abgeschlossen werden soll, fällt der Erfinder auf seiner Terrasse tot um: Herzinfarkt. Fieberhaft sucht man nach seinem Supercode, doch das Bankschließfach mit den Unterlagen – ist leer! Ein Riesenschwindel?

_Der Autor_

Der Niederländer Eric Smit, geboren 1967, bereiste einige Jahre lang als professioneller Squash-Spieler die Welt. Danach machte er seinen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften und begann ein neues Leben als Journalist, zuletzt als stellvertretender Chefredakteur von „Quote“, einem Trendmagazin für Geschäftsleute. Vier Jahre hat er für dieses Buch recherchiert. (Verlagsinfo)

_Inhalte_

Die Story mutet an wie ein Spannungsroman und sollte vielleicht wie ein solcher erzählt werden. Wie konnte ein völlig unbekannter holländischer Fernseh- und Computerspezialist Silicon Valley in Aufregung versetzen und einen Top-Manager vom Weltkonzern Philips abwerben?

Jan Sloot wuchs auf dem platten Land in Groningen auf. Durch verschiedene Umstände wurde er ein Eigenbrötler, der am liebsten mit Elektronik hantierte und schon mit seinem selbstgebauten Radiosender die Nachbarn belästigte. Die Polizei nahm ihm das Gerät sofort wieder weg. Fortan passte er auf, dass ihm niemand jemals wieder etwas, was er geschaffen hatte, wegnahm. Das sollte verhängnisvolle Folgen haben.

Da er als Fernsehraparateur viel zu tun hatte, verfiel er auf die Idee, eine Datenbank – eine Knowledge Base – mit allen Lösungen zur Reparatur von Fernsehgeräten zu schreiben. Diese könnte er dann an Fernsehhändler usw. vertreiben, ja, sogar ein Netzwerk aufbauen, um die neuesten Lösungen zu verbreiten. RepaBase, wie das Produkt heißen sollte, stieß jedoch auf diverse Probleme und wurde nie fertig. Aber etwas Gutes entstand daraus: das Sloot Digital Coding System (SDCS), mit dem die Datenübertragung möglichst wirtschaftlich erfolgen sollte.

Das SDCS wird in einem Anhang ziemlich genau beschrieben. Es handelt sich nicht, wie der Name schon sagt, um eines der üblichen Datenkomprimierungsverfahren, sondern um eine Verschlüsselungsmethode für digitale Inhalte: Video, Audio, Text. Das klingt paradox, denn wie soll eine Kodierung Inhalte kleiner machen? Um es kurz zu sagen: Es geht. Wer Details wissen will, sollte das Buch lesen.

Ausschlaggebend ist jedoch folgendes Leistungsmerkmal: Eines oder mehrere Videos lassen sich auf einer Chipkarte unterbringen. Eine Festplatte ist nicht im Spiel – das ist der entscheidende Unterschied. Die Größenunterschiede zu herkömmlichen Verfahren sind astronomisch. Sloot achtete penibel darauf, dass absolut niemand dahinter kam, wie genau die Sache vonstatten ging. Er beteuerte aber seinem Vertrauten und Investor Mierop, dass die Technik funktioniere und er sie in einem Papier beschrieben habe, das im Safe eines Notars oder einer Bank liege.

|Die Investoren|

Statt nun aber misstrauisch zu werden oder Sloot für verrückt zu erklären, glauben verschiedene Investoren, der Sache, die Sloot ihnen anbot, trauen zu können. Nicht wenige Selfmade-Millionäre sind darunter, denn von 1997 bis 1999, als Sloot starb, ging es auch der niederländischen Wirtschaft nicht schlecht. Die New Economy war in aller Munde. Ein paar Hunderttausend oder ein Milliönchen ließ sich da schon mal reinstecken, in die Wunderkiste des Jan Sloot. Und wegen seiner Gläubiger ist Sloot seinerseits um jede Million froh. Schon macht sich seine Frau Annie Sorgen um sein Herz, um das es offenbar nicht allzu gut steht.

Der Erste, der mit dem SDCS das große Ding drehen will, ist ein zwielichtiger Abenteurer namens Leon Sterk. Wenn Mierop an diesen Weltverbesserer denkt, wird ihm schlecht und er schüttelt bloß den Kopf. Doch Sterk versteht es, mit ausgefallenem und großspurigem Marketing weitere Investoren anzulocken, um Sloots Erfindung zur Industriereife entwickeln zu können. Aber als ihm die Schulden über den Kopf wachsen und das SDCS noch nicht fertig ist, taucht Sterk unter.

|Der neue CEO|

Über Umwege lassen die wichtigsten Investoren ihre Beziehungen spielen. Zu einer die Beziehungen gehört Roel Pieper, um die vierzig Jahre alt und „Kronprinz“ beim niederländischen Weltkonzern Philips Electronics. Pieper ist in Kreisen der Informationstechnologie kein unbeschriebenes Blatt, war er doch mal der Vorstandsvorsitzende (CEO) von Tandem Computers, bevor er das Unternehmen an Compaq verkaufte. Bill Gates und Charles Wang (von Computer Associates) zählen zu seinen guten Bekannten. Pieper ist der eigentliche Held dieser Geschichte.

Aber seine Tage bei Philips sind gezählt, agiert er doch offenbar etwas zu selbstherrlich für die Unterfürsten im Königreiche Philips, und dass er den König vom Thron stoßen will, ist diesem sicherlich nicht willkommen. Nach nur einem Jahr verlässt Pieper den Konzern, um sein eigenes Unternehmen zu steuern: Dipro. Dipro entwickelt Sloots Erfindung. Sobald er sich von den phänomenalen Fähigkeiten des SDCS hat überzeugen lassen, steigt Pieper mit großen Plänen ein: aber nur als CEO. Die Anteilseigner sind einverstanden.

|Widerstand und Falltüren|

Er benennt Dipro in Fifth Force um und nimmt sich vor, die Niederlande – so viel Patriot steckt schon in ihm – auf die Landkarte der IT-Industrie zu setzen. So groß wie Cisco oder Sun Microsystems soll Fifth Force werden. 30 Mio. Gulden gibt ihm die ABN Amro Bank als Starthilfe. Nur zwei stehen ihm stets kritisch gegenüber: der stets von seiner Paranoia beherrschte Jan Sloot und sein bodenständiger Vertrauter Mierop. Pieper gedenkt beide auszubooten und Alleinherrscher des Unternehmens zu werden.

Es gibt nur einen Haken: Für das SDCS gibt es bislang weder ein angemeldetes Patent noch den Quellcode. Sollte Sloot den Löffel abgeben, wird es bald lange Gesichter geben – auch in Silicon Valley, wo man auf Pieper große Stücke hält. Am 11. Juli 1999 ist der Tag X gekommen …

_Mein Eindruck_

Dass er sich die Story und alle ihre zahlreichen Verästelungen nicht aus den Fingern gesogen, sondern vielmehr aus dem „prallen Leben“ geschöpft hat, belegt der Autor mit zahlreichen Zitaten. Vielfach sind die Zitate grau unterlegt und entsprechend hervorgehoben. Alle Textstellen, sogar die Motti, sind in den Endnoten des Anhangs belegt.

Sollte es also zu einer Verleumdungsklage kommen, so legt hier der Autor schon mal seine Karten auf den Tisch. Eine Zeittafel erleichtert dem Leser die zeitliche Orientierung. Die Beschreibung des SDCS habe ich bereits erwähnt. Sie ist leicht zu verstehen, zumindest für Leute, die schon mal einen Computer angefasst haben.

|Comédie humaine|

Dies ist keine der üblichen Entdecker- und Erfindergeschichten, die als Abenteuer inszeniert werden und in Glanz und Gloria enden oder mit einer Tragödie. Die Art und Weise, wie sie erzählt wird, hat mehr mit der gewöhnlichen comédie humaine zu tun. Es ist eine Farce, eine Posse, jedoch ohne dass sich die Mitspieler dessen bewusst sind, dass sie eine derartige Rolle spielen. Vielmehr scheint es den meisten ziemlich ernst mit dem zu sein, was sie da tun. Aber sie tun es nach Regeln, die nicht sie aufgestellt haben, sondern die Industrie, in der sie agieren.

|Die Regeln der Posse|

Allein schon der Auftritt des „Kronprinzen“ Roel Pieper ist ein Paradebeispiel für das Geschäftsgebaren, dessen sich die Techno-Könige befleißigen – oder denken, dies tun zu müssen. Die üblichen Präsentationen und Demos sind ja Usus, aber dass Pieper auch mit Risikokapitalgebern ebenso umspringt wie mit seinen Anteilseignern, mit Bankern ebenso wie mit Wirtschaftsministern, geht schon etwas weiter. Er macht jedem klar, dass er weiß, wovon er redet. Dabei ist dies gar nicht der Fall. Es ist das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern, nur dass diesmal keiner die Wahrheit sagt. Und Jan Sloot schweigt zu all den Possen. Er fürchtet lediglich eines: dass ihm die großen Konzerne und deren Forscher seine Entwicklung wegnehmen könnten.

|Der hohle Kern|

So wie in Fifth Force der Kern hohl war, so traf dies auch auf die New Economy zu. Als die Blase nach dem Ende der Goldgräberzeit platzte, war der Katzenjammer groß. Sloot erlebte dies nicht mehr mit, aber der Autor weist an seiner Stelle kritisch darauf hin, welche irrealen Marktwerte und Börsennotierungen damals der Fall waren. Mit Fifth Force wollte Roel Pieper sich ein ordentliches Stück abschneiden – und fiel auf die Nase, weil er das Pferd am Schwanz aufzäumte. Er hätte als Erstes das Patent sichern sollen, bevor er die Investoren köderte. Doch „Time-to-market“ drängte ihn, als Erster durchs Ziel zu gehen, wenn der Run auf die hohen Bandbreitenkapazitäten losging. Mit SDCS wollte er den Trumpf ausspielen, der seinem Pokerblatt zum Sieg verhelfen würde.

|Sicherheitslücken wie Scheunentore|

Daraus wurde nichts, und hinterher ist das Rätselraten groß, wie das passieren konnte. Warum wurde der Quellcode für das SDCS nie gefunden? Mierop hat so seine Theorien, und eine davon stützt sich auf seine Beobachtungen. Als er merkte, dass Pieper von Datensicherheit nicht die Bohne verstand, stellte er einen Sicherheitsdienst an, um die Familie Sloot zu überwachen. Tatsächlich wurde beobachtet, wie die Tochter, die nicht gut auf ihren Vater zu sprechen gewesen war, mehrere Kartons wegschaffte und sie ihrem Bruder übergab.

Was machten sie damit? War dies der Quellcode, von dem ihm Sloot erzählt hatte? Keiner weiß es. Ja, Pieper verbietet Mierop sogar mehrmals, der Familien nachzuschnüffeln. Als er schließlich einen anderen Sicherheitsdienst auf die Sache ansetzt, ist schon alles zwecklos. Daten weg, Patent weg, Quellcode futsch.

Bis heute ist die Firma Fifth Force keineswegs liquidiert, sondern lediglich in „Winterschlaf versetzt“. Denn es gibt noch einen Banksafe, in dem einer von Sloots Teilhabern Dokumente hütet. Ist dies der heilige Gral des SDCS? Wie bei den Kreuzfahrern heißt es schließlich: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

_Unterm Strich_

Aus niederländischer Perspektive gesehen, ist dies die Geschichte eines verpassten Eintritts in die oberste Liga der New Economy. Doch ebenso wie diese Superblase des Silicon Valley musste auch die Erfolgsgeschichte von Fifth Force an ihren inneren Widersprüchen scheitern. Statt es nach alter Väter Sitte Schritt für Schritt anzugehen, machten Glücksritter und arrogante Global Player erst Schritt B nach Schritt A. Das Patent lag noch nicht vor, als es schon Kredite hagelte und Investoren mit Millionen Dollars auf der Matte standen.

Jeder wollte die Erfindung, doch den Menschen Sloot, den wollte keiner: Er war nicht kompatibel. Und als er merkte, dass der Tag der Offenbarung kommen und es entweder Millionen regnen oder ihm die Handschellen angelegt würden, da hielt es sein Herz nicht mehr aus. Oder lief es anders? War Sloot kein Betrüger, sondern Opfer der Konzerne, die um ihre Pfründe bangten und ihn daher beseitigen ließen? Man durfte ihn nicht einmal obduzieren.

Die Story, die der Autor penibel zusammengetragen hat, liest sich für einen Insider wie mich spannend, aber ich merkte auch, dass das Geschäftsgebaren und die Persönlichkeiten Kenntnisse voraussetzen, um sie als charakteristisch für die IT-Branchen erkennen und verstehen zu können. Ein Glossar fehlt; man muss wohl voraussetzen, dass der Leser den Jargon der Branche halbwegs kennt.

Sehr positiv finde ich, dass der Autor sich nie über die Figuren, die er beschreibt, lustig macht, nicht einmal über den zwielichtigen Abenteurer Leon Sterk. Das tun die Zeugen in ihren Zitaten für ihn. Diese neutrale Haltung bedeutet aber auch, dass der Leser häufig selbst werten muss, was denn nun normal und was völlig hirnrissig ist. Vielleicht ist es aber schon so weit gekommen, dass wir das eine vom anderen nicht mehr unterscheiden können, weil die Welt der Computer mittlerweile zur Luft gehört, die wir atmen. Der Wahnsinn hat Methode, und wir merken es kaum noch.

|Originaltitel: De Broncode, 2004
352 Seiten
Aus dem Niederländischen von Andrea Kalbe und Jan F. Wielpütz|

Jean-Christophe Grangé – Das Imperium der Wölfe

Die Morde an drei türkischen Frauen erschüttern das Pariser Türkenviertel. Die Kripo traut sich nur mit unorthodoxen Methoden, in dieser Schattenwelt zu ermitteln. War es ein Serienmörder? Keineswegs: Eine Frau wird von den Killern der türkischen Mafia gesucht, eine Verräterin. Doch sie suchen anhand des falschen Bildes …

_Der Autor_

Jean-Christophe Grangé ist der Franzose, der die literarische Vorlage zu dem Thriller [„Die purpurnen Flüsse“ 936 geliefert hat. Weitere Romane sind „Der Flug der Störche“ und das packende Buch „Der steinerne Kreis“.

Sein besonderes Markenzeichen ist das jeweils sehr spannend verarbeitete außergewöhnliche Thema. In „Purpurne Flüsse“ war es die Elite-Uni, die als genetisches Experimentierfeld und Zuchtanstalt missbraucht wurde. In [„Der steinerne Kreis“ 1349 ging es unter anderem um geheime russische Atomanlagen. Auch in „Imperium der Wölfe“ geht es um eine furchterregende Geheimorganisation, die sich aus nationalistischen Großmachtträumen speist.

Und praktisch immer bei Grangé geht es um Identität und Anonymität. In „Purpurne Flüsse“ treten Zwillinge auf. In „Imperium der Wölfe“ ist das nicht mehr nötig: ein einzelner Mensch kann zwei Identitäten oder mehr besitzen. Und nicht nur an der Oberfläche …

_Handlung_

Anna Heymes hat sich bislang für eine kultivierte Pariserin gehalten und sah auch so aus: äußerst schlank, blasse Haut, schwarzes Haar, große Augen und modische Kleidung. Ihr Mann Laurent ist ein hohes Tier bei der Polizei und lädt Anna gerne zu den Herrenrunden der Oberbullen ein, die Philippe Charlier, der Chef der Anti-Terror-Einheiten, veranstaltet. Anna besteht darauf, einer Arbeit nachzugehen: Sie arbeitet Teilzeit in einem Schoko-Laden an einem schicken Boulevard.

In letzter Zeit plagen Anna ein wiederkehrender Albtraum und seltsame Erinnerungslücken. Sie kann sich nicht mehr an Gesichter erinnern, die sie noch kurz zuvor gesehen hat. Selbst ihr eigener Mann bereitet ihr Angstzustände, wenn unvermittelt sein Gesicht auftaucht. Der besorgte Polizist schickt sie zu einem Neurologen in einer Militärklinik. Eric Ackermann durchleuchtet ihr Gehirn, findet aber nichts Ungewöhnliches. Doch als er eine Gewebeprobe von ihrem Hirn nehmen möchte, rastet Anna beinahe aus.

Sie vertraut sich einer Psychiaterin an: Die geschiedene Mathilde Wilcrau ist zwar schon ein älteres Semester, doch körperlich total fit. Und sie kennt sowohl Eric Ackermann als auch die Uni, wo er studiert hat. Das lässt sie das Schlimmste befürchten. Dass Ackermann Anna in einer Militärklinik untersucht hat, macht sie stutzig. Und tatsächlich bringt es ein Anruf bei Mathildes Exmann ans Licht: Jede Frage nach Annas Geheimnis ist wie der Schritt in ein Minenfeld. Was sie herausfindet, ist schrecklich:

Laurent ist nicht Annas Mann.
‚Anna Heymes‘ ist nicht Annas wahrer Name.
Dies ist nicht Annas Gesicht.
Dies ist nicht Annas Leben.
Wer ist Anna dann? —

Im Pariser Türkenviertel, wo eingeschmuggelte Arbeitskräfte unter unmenschlichen Bedingungen in „sweatshops“ schuften, geschehen drei schreckliche Morde. Die Opfer: junge türkische Frauen, alle rothaarig, von gleicher Gesichtsform – und natürlich nicht gemeldet. Allen wurde das Gesicht zerstört, der Körper weist Spuren einer grausamen Folter auf. Jemand hat Informationen gesucht, aber welche? Und warum gleich dreimal?

Paul Nerteux ist eigentlich ein engagierter Polizist und er hält sich für erfahren. Doch nicht erfahren genug, um es mit der abgeschotteten Schattenwelt der Pariser Klein-Türkei aufzunehmen. Also spannt er einen alten Experten ein: Jean-Louis Schiffer. Der bullige Ex-Bulle, der jetzt im Altenheim wohnt, trägt zwei Spitznamen. Nerteux will, wie alle Polizisten, das „Eisen“, doch was er bekommt, ist lediglich „Chiffre“. Mit einem Wort: Man kann Schiffer nicht trauen.

Doch Chiffres unorthodoxe Methoden führen schnell zu Erfolg: Schon bald sind die drei Toten identifiziert und mit Wohnort und Foto versehen. Eine hat beim ungekrönten König der Klein-Türkei gearbeitet, mit dem Schiffer sehr vorsichtig redet, eine andere hat mit Schiffers Ex-Frau, einer türkischen Unternehmerin, zu tun gehabt. Alle Zeugen kriegen es mit der Angst und warnen Schiffer: Sie schützen die Täter.

Bis endlich einer redet: „Boskurt“, die „Grauen Wölfe“. Schiffer gefriert das Blut in den Adern. Die Terroreinheit der türkischen Mafia in Paris? Kein Wunder, dass alle Angst haben! Und diese skrupellosen Killer suchen eine ganz bestimmte Frau. Eine Frau, die etwas mit Drogenschmuggel zu tun hat, Verrat beging und zu viel weiß.

Eine Frau wie Anna Heymes?

_Mein Eindruck_ [Vorsicht, Spoiler!]

Zwischen Paris und Istanbul, zwischen Gehirnmanipulation und türkischer Mafia bewegt sich Grangés neuester Thriller. Die Zutaten sind so ungewöhnlich und doch in ihrem Zusammenspiel so wirkungsvoll, dass es mir schwer fallen würde, den Autor nicht dafür zu bewundern, wie er das wieder hingekriegt hat. Schon in „Purpurne Flüsse“ entwickelte er das verblüffende Szenario aus zwei völlig verschiedenen Richtungen, die erst dann zusammen einen Sinn ergaben, wenn man die einzige Lösung akzeptierte, die noch logisch erscheint, und sei sie auch noch so exotisch.

Genauso verfährt Grangé auch diesmal. Doch statt sein bekanntes Rezept selbst zu kopieren, nämlich nach drei Morden einen Serientäter zu präsentieren, geht er diesmal ganz anders vor. Das Ergebnis ist aber genauso furchteinflößend und beklemmend wie „Purpurne Flüsse“, wenn auch schwer zu glauben. Totale Gedächtniskontrolle, das Ersetzen einer Identität – was bislang nur der Science-Fiction vorbehalten war, ist in Grangés Thriller in der militärischen Forschung bereits Wirklichkeit. Der Autor nimmt sich die Freiheit des Poeten, das Mögliche weiterzuspinnen. Bis zur letzten schrecklichen Konsequenz.

|Fundament aus Fakten|

Das Mögliche muss jedoch stets auf bekannten Fakten aufgebaut sein, sonst hängt es als Fantasie in der Luft. Und was der Autor alles über die türkische Mafia zu berichten weiß, kann auf keinen Fall an den Haaren herbeigezogen sein, sondern dürfte ziemlich genau der Realität entsprechen.

Es geht weniger um die Organisation selbst, als vielmehr um die terroristische Einheit, die als „Graue Wölfe“ in der zweiten Romanhälfte die Hauptrolle spielt. Ursprünglich waren sie lediglich die „Idealisten“ und kämpfen für die nationalistischen Konservativen unter Arpaslan Türkes. Nach dem Militärputsch 1980 spannte Türkes seine alten Helfer nicht als Parteischlägertruppe ein, sondern als Ausführungsgehilfen bei politischen Morden, an Kurden und Armeniern etwa. Und da er zwecks Geldbeschaffung die türkische Drogenindustrie aufbaute, setzte er die „Grauen Wölfe“ als Schmuggler und Agenten ein, die Heroin etc. nach Westeuropa schmuggelten.

So wie alle drei getöteten Frauen aus Anatolien kamen, so stammen auch die meisten „Grauen Wölfe“ aus der kargen, extrem konservativen Osttürkei. Und einer von ihnen ließ sich von einem der „Paten“, die hier „Babas“ heißen, einfangen, trainieren und strategisch einsetzen. Dumm nur, dass er zu viel Geschmack am Töten fand. Folgerichtig führt am Ende die Spur zurück nach Anatolien, wo der letzte einer ganzen Reihe von Showdowns stattfindet.

|Auch Humor gibt’s hier|

Doch ist nicht alles grimmig hier: Paul Nerteux, der Otto Normal in diesem verrückten Plot, wirkt in seiner Hilflosigkeit komisch und sympathisch. Er wirkt umso sympathischer, als er von seiner kleinen Tochter Céline getrennt lebt und doch gerne alles für sie tun würde. Er wirkt auf mich wie Kerkorian (gespielt von Vincent Cassel) neben Kommissar Niémans (Jean Reno) in „Die purpurnen Flüsse“, sozusagen der Sidekick des Helden.

|Die Übersetzung|

Bei der Beurteilung der Übersetzung von Christiane Landgrebe schwanke ich zwischen „gewöhnungsbedürftig“ und „ein Ärgernis“. Einige Fehler sind eindeutige Sachfehler. So schreibt sie beispielsweise „überirdisch“ statt „oberirdisch“, wenn es um simple Stadtbahnen geht. Sie schreibt „Explosionsmotor“ statt „Verbrennungsmotor“ (200) und „Fell-“ statt „Pelzhändlerin“ (213) sowie „übersah“ statt „überschaute“ (218).

In einem anderen Fall kann man sich über den korrekten Terminus streiten. Niemand in Deutschland außer einem totalen Experten würde wohl „Ästhetische Chirurgie“ statt „Plastische Chirurgie“ sagen (286 ff). Aber Ersteres ist offenbar der gängige Ausdruck im Französischen, um Gesichtschirurgie zu bezeichnen – Französisch ist ja so viel feiner in der Ausdrucksweise, nicht wahr?

_Unterm Strich_

Ebenso wie in [„Die purpurnen Flüsse“ 936 erzeugt Grangé auch diesmal eine beklemmende Atmosphäre der Paranoia, die sich erst allmählich aufbaut, um sich dann – besonders im zweiten Handlungsstrang – explosiv in brutaler Action zu entladen.

Es ist faszinierend, wie sich diese beiden Elemente gegenseitig ergänzen und verstärken. Dennoch wirken sie nicht als Show, sondern stehen auf einem soliden Fundament an bekannten Fakten. Es gibt lediglich eine Stelle, an der mein Unglauben nicht aufgehoben wurde: die Sache mit der Gehirnmanipulation. Gestern noch Science-Fiction, heute schon Wirklichkeit? Da müsste man die Experten fragen.

Kaum eine der Hauptfiguren erreicht die Ziellinie, und doch ist ihr Kampf nicht vergebens. Es bleiben keine losen Enden übrig, und der Leser kann das Buch getrost beiseite legen: Gerechtigkeit, die gibt es auch hier. Ein spannendes, beklemmendes und sehr zufriedenstellendes Buch, finde ich. Aber nichts für zarte Gemüter, so viel steht fest.

Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 446 Seiten
Originaltitel: L’empire des loups, 2003
Aus dem Französischen übersetzt von Christiane Landgrebe

Grangé, Jean-Christophe – Das schwarze Blut

_Schwacher Grangé, aber Nervenkitzel pur_

Jacques Reverdi, Serienmörder, wartet im Gefängnis von Malaysia auf sein Urteil. Wie eine Blutspur ziehen sich seine grausamen Ritualmorde an Frauen durch Südostasien.

Mark Dupeyrat, Pariser Journalist, plant einen Bestseller über diesen Mann. Er erfindet „Elisabeth“, die mit Reverdi schriftlich Kontakt aufnimmt, um sich sein makabres Universum zu erschließen. Als der Mörder Feuer fängt, sich sogar in die unbekannte Briefeschreiberin verliebt, schickt Mark ein Foto seiner Freundin Khadidscha. Doch dann entkommt Reverdi aus dem Gefängnis – und für Mark und Khadidscha beginnt ein Alptraum … (Verlagsinfo, nicht ganz zutreffend)

_Der Autor_

Jean-Christophe Grangé, 1961 in Paris geboren, ist als freier Journalist für verschiedene internationale Zeitungen (Paris-Match, Gala, Sunday Times, Observer, El Päis, Spiegel, Stern) tätig. Für seine Reportagen reiste er zu den Eskimos, den Pygmäen, und er begleitete wochenlang die Tuareg. „Der Flug der Störche“ war sein erster Roman und zugleich sein Debüt als französischer Topautor im Genre des Thrillers. (Verlagsinfo)

1994: „Der Flug der Störche“ (Le vol des cigognes)
1997: „Die purpurnen Flüsse“ (Les Rivières pourpres)
2000: „Der steinerne Kreis“ (Le Concile de Pierre)
2000: Drehbuch zum Film „Die purpurnen Flüsse“
2001: Drehbuch zum Film „Vidocq“
2003: „Das Imperium der Wölfe“ (L’empire des loups)
2004: „Das schwarze Blut“ (La Ligne Noire)
2005: Drehbuch zum Film „Das Imperium der Wölfe“

Die Verfilmung von „Der steinerne Kreis“ befindet sich derzeit in der Nachproduktion.

_Handlung_

Jacques Reverdi, ein ehemaliger Weltmeister im Freitauchen, wäre um ein Haar gelyncht worden. Die aufgebrachten malaiischen Dorfleute wollten ihn aufknüpfen, als sie herausfanden, dass die Frau, die bei ihm war – Pernilla – schon seit Tagen nicht mehr gesehen worden war. Als sie die Tür von Jacques’ Hütte aufbrachen, standen sie sofort in einem See aus Blut. Er hatte der jungen Schwedin methodisch die Venen – nicht die Arterien – aufgeschnitten, um sie ausbluten zu lassen.

Als eine Psychologin ihn vernahm, behauptete er, es nicht gewesen zu sein, sondern ein anderer. Erst steckten die Malaiien ihn in die Psychiatrie, dann kam er in den Knast. Und hier in die Vorhölle, wo ein sadistischer Aufseher regiert: Der Tod durch den Strang ist ihm sicher. Aber dennoch gibt er nicht auf.

|Mark …|

… Dupeyrat ist schon 44 Jahre alt, als er auf die Zeitungsmeldung über Jacques’ Festnahme stößt. Mark hat als Journalist schon alle Tiefen des Berufs als Paparazzo und Gerichtsreporter durchlebt. Nach zwei schweren privaten Tragödien – erst verlor er seinen Freund d’Amico, dann seine Verlobte Sophie – hat er sich hinter einen Panzer zurückgezogen. Doch Jaques’ Geschichte berührt ihn. Vielleicht gelingt es ihm über diese Inkarnation des Bösen, zu einem Begreifen des Mordes an Sophie zu gelangen. Mark war mehrere Tage bewusstlos und danach monatelang in einer Spezialklinik, bis er von diesem Schicksalsschlag genesen konnte.

Er versucht, einen Kontakt zu Reverdi herzustellen, doch dieser gibt grundsätzlich keine Interviews. Aber wie jeder Mörder, der mehr als einmal in der Zeitung stand – die Schwedin war nicht sein erstes öffentlich bekanntes Opfer – bekommt Reverdi Fanpost: meist von Frauen, die vom „Schwarzen Mann“ fasziniert sind. Jacques’ lehnt diese ahnungslosen Schnepfen alle achselzuckend ab.

Doch eines Tages bekommt er einen Brief von einer gewissen Elisabeth Bremen, der ihn erst ob seiner selbstgerechten Dreistigkeit erbost, dann aber aufhorchen lässt: Elisabeth ist bereit, ihm auf dem Weg zum Herz des Bösen zu folgen, koste es, was es wolle. Jacques grinst …

|Bingo!|

Endlich bekommt Mark, der sich als Elisabeth Bremen ausgibt, eine Antwort von Reverdi. Der Briefaustausch dauert erst lange und ist umständlich, aber wenigstens bleibt Marks Anonymität gewahrt. Doch als Reverdi ein Foto von Elisabeth verlangt, gerät Mark in die Bredouille – woher nehmen und nicht stehlen? Genau das macht er und zwar bei seinem besten Freund und Kollegen, dem Modelfotografen Vincent.

Der macht gerade Bilder von einer nordafrikanisch aussehenden Frau. Ihr Name ist Khadidscha – ausgesprochen „chá-di-dscha“ – und sie hat ebenfalls eine Tragödie hinter sich. Ihre heroinsüchtigen Eltern verbrannten in ihrer Wohnung, als sie noch ein Teenager war und sich um ihre Geschwister kümmerte. Ihr Blick ist umflort und geheimnisvoll. Mark greift sofort zu und schickt Reverdi ihr Polaroidfoto.

Jacques ist hingerissen, wider sein eigenes Erwarten. Sofort antwortet er, dass Elisabeth, wenn sie ihr Anliegen ernst meine, ihm auf der „schwarzen Linie“ folgen solle. Dort würden er, Jacques, und ein anderer ER sie erwarten. Doch sie werde sich würdig erweisen müssen und Aufgaben gestellt bekommen. Jacques leitet in die Wege, dass diese vielversprechende Verehrerin mit ihm E-Mails austauschen kann.

|Ins Herz der Finsternis|

Mark leiht sich von Vincent Geld, kauft Tickets nach Malaysia, ein anderes Notebook und legt ein anonymes E-Mail-Konto an, denn schließlich muss er seine Identität verbergen. Schon bei seiner Ankunft wartet eine Aufgabe auf ihn, die ihn ins Herz der Finsternis führen wird. Denn Jacques Reverdi ist kein durchgeknallter Triebtäter, dem beim Morden die Nerven durchgehen, sondern ein Mann mit einer Methode – und einem Ziel, das er noch nicht erreicht hat. Aber mit „Elisabeths“ Zutun könnte er es erreichen. Dann würde man endlich verstehen, was er tut.

_Mein Eindruck_

Der Roman ist klar in drei Teile aufgeteilt: Marks Zeit in Paris, dann seine Reise in Südostasien, dann deren Folgen, als er wieder in Frankreich ist. Parallel dazu erleben wir Reverdis Zeit im Knast von Malaysia. Es ist also für jede Menge Abwechslung gesorgt. Eigentlich hätte ich erwartet, dass auch Khadidscha eine tragende Rolle spielt, aber in dieser Erwartung wurde ich enttäuscht. Obwohl er alle seine drei Hauptfiguren gut eingeführt und mit einer interessanten Vergangenheit versehen hat, weist er Khadidscha nicht mehr als eine passive Rolle zu. Schade. Also machen es Mark und Jacques praktisch unter sich aus.

|Die Methode|

Jeder Leser wird schon im ersten Kapitel mit der Nase darauf gestoßen, dass der Serienmörder Reverdi eine spezielle „Methode“ hat und dass diese Methode offenbar im Zusammenhang mit dem Buchtitel steht. Wer nun aber erwartet, ich würde diese Vorgehensweise und ihre Wirkung haarklein beschreiben und erklären, irrt. Das haben andere schon für mich erledigt, und ich muss sagen, dass ich als Leser ziemlich enttäuscht davon wäre, wenn mir jemand schon vor dem Finale den Clou verraten würde. Also tue ich das mit Rücksicht auf meine Leser auch nicht. Aber wer daran zweifelt, dass es schwarzes Blut geben kann, den kann ich beruhigen: Es geht. Und ein Taucher wie Reverdi weiß genau, wie es herzustellen ist.

Mark nähert sich diesem schrecklichen Geheimnis mit jeder Aufgabe, die er erfolgreich bewältigt. Er muss dafür nach Kambodscha, an die thailändische Grenze zu Birma und in die Berge Malaysias fahren. Mehrmals muss ihm Reverdi hilfreiche Tipps geben, denn schließlich ist Mark nicht Einstein, sondern nur ein gewöhnlicher Reporter. Er erscheint uns also nie als Klugscheißer.

Und als er endlich kapiert, worin Reverdis Methode besteht, ist er zwar angemessen entsetzt, aber auch nicht dermaßen aus dem Häuschen, dass er überschnappen und Gott anrufen würde. Dafür ist er viel zu sehr Zyniker. Nein: Jetzt hat er das Material für seinen Bestseller, also ab nach Hause. Und dass er dafür einen Preis bezahlen müsste, braucht er nicht zu befürchten, denn garantiert wird Reverdi ja schon bald zum Tode verurteilt. Oder?

|Die Rache|

Natürlich wäre das keine anständige Geschichte, wenn nicht der vermeintlich tote Serienmörder aus dem Reich der Toten zurückkehren und sich an Mark und Co. für den Verrat rächen würde. Aber das war ja zu erwarten – Mark hat jede Menge Vorahnungen, und als er nach Paris zurückkehrt, wird ihm in Gestalt von riesigen Plakatwänden mit Khadidschas Gesicht deutlich vor Augen geführt, wie fassbar die Gefahr ist. Falls Reverdi überlebt.

An dieser Stelle sieht man ziemlich deutlich den mahnend erhobenen Zeigefinger des Autors, der vor den Folgen der journalistischen Ausbeutung des Leids anderer Leute (Stichwort: Paparazzi bei Prinzessin Dianas Autounfall in Paris) warnt. Aber der Autor sollte sich mal an die eigene Nase fassen und sein eigenes Werk begutachten. Schließlich fand er in „Die purpurnen Flüsse“ den Gedanken auch total aufregend, dass eine Uni als faschistische Zuchtanstalt missbraucht werden könnte. Oder schlägt ihm jetzt das Gewissen und er sich büßend an die wohlhabende Autorenbrust? Das kommt mir dann doch recht heuchlerisch vor.

|Schwächen|

Der ganze Ablauf der zweiten Romanhälfte ist sehr vorhersehbar. Noch in „Die purpurnen Flüsse“ und vor allem in „Das Imperium der Wölfe“ gelang es Grangé durch eine ausgetüftelte Erzählstruktur, eine unheimliche und hohe Spannung aufzubauen. Das alles ist Vergangenheit. „Das schwarze Blut“ hat mich durch seine Geradlinigkeit und Vorhersehbarkeit immer wieder enttäuscht, bis das Lesen bis zum Schluss nur noch zur Pflichtübung wurde. Immer noch eine recht unterhaltsamen Pflichtübung, aber dennoch.

Doch auch der Schluss selbst hat einen Fehler. Der Autor steht, um den finalen Schocker im Epilog verabreichen zu können, vor der kniffligen Aufgabe, seinen Serienmörder Nummer 1, Monsieur Reverdi, verschwinden lassen zu müssen. Er tut dies auf denkbar unelegante Weise und quasi nur im Nebensatz.

Das hat der großartige Reverdi wirklich nicht verdient, zumal wir nun endlich verstehen, woher seine Methode stammt: Es ist sein Urerlebnis, das er mit seiner verhassten Mutter hatte. Jeder Mord zelebriert den Sieg des Jungen über die Über-Frau, die ihn verraten hat. Damit dieser perfekt gelingt, muss jede Phase genauestens beachtet werden. Diesen Phasen muss auch Mark folgen. Und er wird dadurch nicht unbeeinflusst bleiben …

_Die Übersetzung_

Den einzigen Zweifelsfall in der Übersetzung fand ich auf Seite 144: Statt Thai-Transvestiten heißt es hier „Thai-Travestiten“. Das ist alles. Einen dicken Pluspunkt vergebe ich auf Seite 360: Die Übersetzerin behält den englischen Ausdruck „resort“ für Ferien- oder Hotelbungalow-Anlage bei, den jeder Thailand-Reisende kennt. Weniger konsequente Übersetzer schreiben statt dessen gerne „Ressort“, was im Deutschen etwas völlig anderes bezeichnet.

_Unterm Strich_

„Das schwarze Blut“ ist in seiner Vorhersehbarkeit und einfachen Erzählstruktur der schwächste Grangé seit Jahren. Aber da es sich um einen echten Grangé handelt, ragt selbst dieser schwache Roman immer noch über die Masse der meisten Thriller dieses Jahres hinaus. Für 20 Euronen bekommt man puren Nervenkitzel zu einem annehmbaren Preis. Aber ich empfehle, noch auf das Taschenbuch zu warten.

Patterson, James / de Jonge, Peter – Wenn er fällt, dann stirbt er

_Wider das korrupte Justizsystem_

Ein junger Mann wird auf dem Grundstück eines New Yorker Industriemagnaten auf Long Island zusammengeschlagen und ins Wasser des Atlantiks geworfen. Weil die Täter kommen ungeschoren davonkommen, nimmt der Bruder des Opfers das Gesetz in die eigene Hand, allerdings nicht mit einer Winchester oder Uzi, sondern mit den Mitteln Justitias.

_Der Autor_

James Patterson ist der Autor zahlreicher Nummer-1-Bestseller. Allerdings sind es vor allem seine Alex-Cross-Thriller, die den Leser berühren. Folglich war Alex Cross bereits zweimal im Film zu sehen: „Im Netz der Spinne“ und „… denn zum Küssen sind sie da“ wurden beide erfolgreich mit Morgan Freeman in der Hauptrolle verfilmt.

Patterson ist extrem fleißig. Seine letzten Romane nach „3rd Degree“ waren „Sam’s Letters to Jennifer“, „London Bridges“, „Honeymoon“, „Maximum Ride“ und „4th of July“ (die Fortsetzung dieser Reihe). Im Juli 2005 erscheint „Lifeguard“.

Nähere Infos finden sich unter www.twbookmark.com und www.jamespatterson.com. Regelmäßig wird aus dem Buch auch ein Audiobook oder E-Book gemacht: Patterson kann überall dabei sein.

_Handlung_

Peter „Rabbit“ Mullen wird eines Morgens tot am Strand eines exklusiven Grundstücks auf Long Island gefunden. Die korrupte Polizei sagt, er sei ertrunken oder habe Selbstmord begangen. Doch Peters Familie ist überzeugt, dass er dazu nie fähig gewesen wäre: Es muss Mord gewesen sein. Und das belegt auch der Befund der Gerichtsmedizinerin.

Für Peters Bruder Jack, ein Anwaltspraktikant und Student der Rechte, ist klar: Der Mord soll von einem mächtigen Mann vertuscht werden. Barry Neubauer ist ein Spielwarenfabrikant, der als Multimilliardär rauschende Feste in seinem feudalen „Strandhaus“ auf Long Island zu geben pflegte. Peter Mullen half dabei stets aus, indem er die edlen Karossen der Reichen und Schönen einparkte und ein nettes Trinkgeld kassierte. Sein Bruder Jack ist seit einem Jahr mit Neubauers Tochter Dana liiert.

Dies alles ändert sich mit Peters Tod. Jacks Bemühen, den Mord als solchen aufzudecken, führt ihn schnurstracks in die Katastrophe: Job weg, Freundin weg, Vater an Herzinfarkt verstorben, Freunde von Unbekannten bedroht, die Gerichtsmedizinerin eingeschüchtert und umgedreht – die Wahrheit bleibt unterm Teppich.

Doch bei solch radikalem Wandel kommt es darauf an, was man daraus macht, denn jede Veränderung ist auch eine Chance. Jack gewinnt in Pauline eine neue Freundin, die ihm zu einem neuen Job verhilft und dabei unterstützt, sein Studium als Drittbester seines Jahrgangs abzuschließen.

Die Gelegenheit, mit den Neubauers und ihrer brutalen Clique abzurechnen, ergibt sich endlich, als Jack per Zufall mitten in New York City den totgeglaubten Freund von Peter sieht: Sammy Giamalva war Peters Komplize, wenn dieser die Schönen und Reichen (auch Neubauer selbst) sexuell verwöhnte. Und Sammy machte dabei viele, viele Fotos …

_Mein Eindruck_

Der direkte Anlass, dieses Buch zu schreiben, könnten die Prozesse um O.J. Simpson und ähnliche Berühmtheiten sein. Dass Simpson teilweise freigesprochen wurde (zumindest von der Mordanklage), empörte viele Amerikaner, die nun ihr Vertrauen in das Rechts- und Justizsystem ihrer Nation verloren. Es sah so aus, als hätten die Mächtigen das Recht gekauft und die Mittellosen würden vom Recht nicht mehr geschützt. Kurzum: Das Ende der Demokratie stand kurz bevor. Im Buch selbst wird direkt auf diese bedauerlichen Vorgänge verwiesen. Dass die Bush-Administration auch den Datenschutz abgeschafft hat (mit dem Patriot Act), dürfte zu einer weiteren Verunsicherung beigetragen haben.

Jack Mullen, der Ich-Erzähler über weite Strecken hinweg, nimmt das Gesetz, das er von der Pike auf gelernt hat, selbst in die Hand: Die letzten hundert Seiten bestehen aus einer nicht rechtmäßig einberufenen Gerichtsverhandlung, die im Fernsehen der Nation übertragen wird. Ich werde nicht verraten, wie der Prozess ausgeht, aber die Tatsache, dass eine solche Verhandlung nur außerhalb der legitimierten Gerichte stattfinden kann, spricht doch Bände.

|Die Ko-Autoren|

Warum haben Patterson und de Jonge – wie schon einmal zuvor – auch an diesem Buch kollaboriert? Ich stelle mir vor, dass de Jonge, ein Journalist beim „New York Times Magazine“ und anderen Publikationen, entweder schon ein fertiges Manuskript hatte, es aber zu lang war, oder die entsprechende Faktenrecherche für Pattersons Idee erledigte. Patterson ist ja nicht gerade bekannt dafür, die Schickeria von New York City aufs Korn zu nehmen. Wenn er schon konkret werden muss, dass lieber anhand von Dr. Alex Cross in Washington, D.C. Würde man jedoch „The Great Gatsby“ auf Patterson-Format stutzen, so bliebe sicherlich nicht viel von diesem Meisterwerk übrig.

|Speed-Reading|

Ohne Pattersons Markenzeichen wäre aus diesem Roman nur ein weiterer Dutzendroman über Long Island geworden. Doch die superkurzen Kapitel verleihen der Story nicht nur Speed, sondern sorgen auch für einen spannenden Cliffhanger-Schluss nach dem anderen. Als Folge will der Leser natürlich wissen, wie es weitergeht und blättert schnell um. Die Prosa ist direkt und schnörkellos, ohne den Leser geistig oder sprachlich zu fordern. In nur einem Tag sind die 300 Seiten verschlungen. Spätestens.

|Schwächen|

Diese Technik macht das Buch nicht per se gleich interessanter: Die Machenschaften der Long-Island-High-Society kann man sich auch ohne Thrillerbeleuchtung und weitere Anstrengung gut vorstellen. Man denke nur an die beiden Kennedys in den Sechzigern und ihre Eskapaden. Tatsächlich sind es vielmehr die Aktionen der Figuren auf der Seite Neubauer vs. Mullen als die Entwicklung der Figuren an sich, die das Buch unterhaltsam machen. Die Gerichtsverhandlung fördert ein schockierendes Detail der Wahrheit nach dem anderen ans Tageslicht.

Der Roman will einfach nur kompetente Spannungsliteratur sein, nicht etwa fundiertes Gesellschaftsporträt mit kritischem Ansatz. Insofern befriedigt der Roman ein nicht spezifisch amerikanisches Bedürfnis und muss daher durch die Konzentration auf Long Island und New York City die amerikanischen Leser direkter ansprechen.

Eine Menge US-Mythen kommen ins Spiel: Freiheit des Unternehmertums, der Palast am Meer als Machtdemonstration, das Abenteuer verbotener Sexspiele als Symbol zu großer Freiheit, dicke deutsche Autos als Symbole von Reichtum und wirtschaftlicher Vereinnahmung durch die deutsche Autoindustrie. Zudem werden eine Menge Ressentiments wiedergekäut, die dem deutschen Leser mitunter sauer aufstoßen, so etwa der deutsche Ausdruck „obere Klassen“ im englischen Text – das klingt, als würden die Autoren Karl Marx zitieren. Und das ist im Land des freien Unternehmertums natürlich verpönt.

|Robin Hood mit anderem Namen|

Jack Mullen ist eine Art Robin Hood oder Michael Kohlhaas, kämpft er doch gegen ein unfähig gewordenes System, das ihm keine Gerechtigkeit zu verschaffen vermag. Dies ist eine uramerikanische Haltung, denn die Kolonisatoren und Staatsgründer waren ja Rebellen gegen das als ungerecht empfundene Kolonialregime der britischen Krone. Die beiden Autoren, die Jack Mullen und seine Freunde erfunden haben, können eigentlich nicht anders, als ihn siegen zu lassen. Aber das sollte man möglichst selbst nachlesen.

_Unterm Strich_

Es gibt gute Thriller, und es gibt Patterson. Er ist bereits eine Klasse für sich. Jeder Leser muss selbst entscheiden, ob ihm de Jonges/Pattersons windschnittiger Gesellschaftsthriller behagt, der auf das typische Speed-Reading-Format zurechtgestutzt wurde, sozusagen auf Drehbuchformat.

Weil es kaum eine psychologische Entwicklung gibt, entwickelt der Leser keine weitergehende emotionale Bindung zu den Hauptfiguren Mack, Jack und Peter Mullen. Folglich zählt allein die Story, nicht so sehr die Frage, ob Gerechtigkeit das Leben für die Mullens und ihre Freunde besser machen wird. Nach dem Ende des Schein-Prozesses ist denn auch schnell die Luft raus.

|Originaltitel: The beach house, 2002
Übersetzung durch Edda Petri|

_James Patterson auf |Buchwurm.info|:_

[„Das Pandora-Projekt“ 3905 (Maximum Ride 1)
[„Der Zerberus-Faktor“ 4026 (Maximum Ride 2)
[„Das Ikarus-Gen“ 2389
[„Honeymoon“ 3919
[„Ave Maria“ 2398
[„Wer hat Angst vorm Schattenmann“ 1683
[„Mauer des Schweigens“ 1394
[„Stunde der Rache“ 1392
[„Wenn er fällt, dann stirbt er“ 1391
[„Wer sich umdreht oder lacht“ 1390
[„Die Rache des Kreuzfahrers“ 1149
[„Vor aller Augen“ 1087
[„Tagebuch für Nikolas“ 854
[„Sonne, Mord und Sterne“ 537
[„Rosenrot Mausetot“ 429
[„Die Wiege des Bösen“ 47
[„Der 1. Mord“ 1361
[„Die 2. Chance“ 1362
[„Der 3. Grad“ 1370
[„4th of July“ 1565
[„Die 5. Plage“ 3915

Barry Gould / Amelie Fichte – 11 leichte Lektionen in schwarzem Humor

Warnung: Die Art von Humor, die ihr in dieser Buchvorstellung antreffen werdet, kann eure zarten Nerven nachhaltig schädigen. Ich lehne jede Verantwortung ab und gebe keine Garantie über die Korrektheit dieser Informationen. (Nach Diktat unbekannt verreist. Das Sekretariat.)

Die Autoren

Barry Gould, 1964 in San Francisco als Kind von Hippies geboren, lebt heute in Deutschland. Er ist professioneller Comedian und tritt seit 14 Jahren mit seinen Comedyshows auf. Dies ist sein erstes Buch. Amelie Fichte, geboren 1973 irgendwo in Deutschland, studierte irgendwo Literatur und wurde schließlich Lektorin bei irgendeinem Verlag. Gould ist ihr erster Co-Autor. Mehr verrät der Verlag Ehrenwirth leider nicht über die beiden Autoren.

Das Titelbild

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Patterson, James – Ikarus-Gen, Das

_Biotech-Thriller, spannend und bewegend_

„Das Ikarus-Gen“ ist die Fortsetzung des Genetikthrillers „Der Tag, an dem der Wind dich trägt“. Zur Vorgeschichte: siehe weiter unten. Wieder einmal gelingt es Patterson, aus einer recht unplausiblen Grundidee, die an Science-Fiction erinnert, eine spannende und anrührende Geschichte zu machen. Diesmal kommt noch eine zweite – und weitaus gruseligere – Grundidee hinzu: Organhandel in großem Maßstab. Man wartet gar nicht mehr, bis die Spender zu Tode gekommen sind, sondern sorgt gleich aktiv für ihr Ableben …

_Der Autor_

James Patterson, ehemaliger Besitzer einer Werbeagentur, ist der Autor zahlreicher Nummer-1-Bestseller. Allerdings sind es vor allem seine Alex-Cross-Thriller, die den Leser berühren. Folglich war Alex Cross bereits zweimal im Film zu sehen: „Im Netz der Spinne“ und „… denn zum Küssen sind sie da“ wurden beide erfolgreich mit Morgan Freeman in der Hauptrolle verfilmt. Für Einsteiger sei gesagt, dass Alex Cross ein sympathischer schwarzer Polizeipsychologe ist, der mit seiner Familie in Washington, D.C., lebt.

Patterson ist extrem fleißig. Sein letzter Solo-Roman ist „Das Ikarus-Gen“, davor wurde auch „Sam’s Letter to Jennifer“ veröffentlicht, das ähnlich aufgebaut ist wie der „tearjerker“ „Briefe an Nicholas“.

Im Frühjahr 2003 (deutsch Mitte 2005) erschien eine Kollaboration mit dem Titel „Die Rache des Kreuzfahrers“ (The Jester), deren Story im Mittelalter spielt. Der neueste Alex-Cross-Roman trägt den Titel „Ave Maria“ (2005).

Nähere Infos finden sich unter www.twbookmark.com und www.jamespatterson.com. Regelmäßig wird aus dem Buch auch ein Audiobook oder E-Book gemacht: Patterson kann überall dabei sein.

_Die Vorgeschichte_

Die Tierärztin Frances O’Neill entdeckt eines Tages in Colorados Wäldern ein genmanipuliertes Wesen, das aussieht wie ein Mädchen mit Engelsflügeln. Tatsächlich kann Maximum, so nennt sich diese Kombination aus Mensch und Vogel, fliegen, wie man sich das von Engeln vorstellt. Der Haken dabei ist natürlich, dass es sich bei Max um das Ergebnis verbotener Experimente eines illegalen Genlabors handelt, das den Decknamen „Die Schule“ trägt. Und dass Max und ihresgleichen enorm wertvolle Organismen darstellen, die entsprechend gejagt werden. Frances gewährt Max und ihren Freunden Unterschlupf und Schutz, wodurch sie selbst in die Schusslinie gerät.

_Handlung von „Das Ikarus-Gen“_

Nachdem Frances O’Neill und ihr FBI-Freund Kit Brennan mit ihren sechs Schützlingen, den engelsgleichen Wesen aus den illegalen Versuchslabors der „Schule“ vier unbeschwerte Monate in einem Refugium namens „Lake House“ verbracht haben, nimmt man ihnen die lieb gewonnenen Kinder wieder weg. Schließlich haben diese ja auch leibliche Eltern. Das Gericht in Denver gibt deren Antrag auf Überstellung ihrer Kinder in einem Aufsehen erregenden Prozess statt. Frannie und Kit bricht’s das Herz, aber ist es auch gut für die Kinder?

Unterdessen arbeitet in geheimen Labors unter dem Krankenhaus, das schlicht und ergreifend „Das Hospital“ genannt wird, Doktor Ethan Kane (= Kain, aber auch Krücke), an einem aufwändigen Geheimprojekt namens „Resurrection“, das ihn stinkreich macht. Scheibchenweise wird uns enthüllt, dass Kane Organhandel in großem Maßstab betreibt. Allerdings wartet er gar nicht mehr wie sonst üblich, bis die Spender zu Tode gekommen sind, sondern sorgt gleich aktiv für ihr Ableben. Das erhöht die „Produktivität“ erheblich.

Das Verfahren dafür könnte direkt aus „The Matrix“ stammen. Durch Nerveninduktion spiegelt er den Spendern ihre schönste Wunscherfüllung vor. Die Spender meinen, freiwillig an einem der Medizin dienlichen Versuch teilzunehmen. Sie wähnen sich schließlich auch tatsächlich im siebten Himmel, doch dieser Zustand wird abrupt beendet, als eine Todesspritze in sie injiziert wird, die sie kaum spüren. Ihre inneren Organe werden auf raffinierte Weise entnommen, das ausgeweidete „Kanu“ – so lautet der medizinische Ausdruck für einen ausgeweideten Körper wirklich – anschließlich im Hochofen eingeäschert. Doch für wen sind die Organe aus dem Geheimprojekt „Resurrection“ bestimmt?

Die Handlung kommt in Bewegung, als Dr. Ethan Kane sein Augenmerk auf die bemerkenswerten inneren Organe von Max und ihren fünf Freunden richtet. Und er findet es überhaupt nicht witzig, dass eine Journalistin inzwischen das Projekt „Resurrection“ mit den Vogelkindern in Zusammenhang gebracht hat. Julie Schein stirbt eines raschen Todes, doch vor ihrem Tod musste sie ihm verraten, von wem sie noch mehr darüber erfahren hat: von Max.

Max hat ein schlechtes Gefühl, seit die Reporterin verschwunden ist. Als die Jäger, angeführt von Dr. Kane, in ihr Haus eindringen, sieht sie keine andere Wahl als die Flucht. Sie warnt auch alle andere Vogelkinder und gemeinsam fliehen sie in die Sicherheit. Doch wo ist diese zu finden?

Die inzwischen eröffnete Jagdsaison auf Frannies ehemaligen Schützlinge kann die Tierärztin nicht unberührt lassen, und tatsächlich muss sie ihr bisheriges Leben opfern, um das der Kinder zu schützen. Sie ruft Kit Brennan zu Hilfe. Was Frannie nicht ahnt: Dr. Ethan Kane ist hartnäckig und hat mächtige Freunde …

_Mein Eindruck_

Patterson ist bislang vor allem als Thrillerautor bekannt geworden. Seine Helden sind der durch die Verfilmungen bekannt gewordene Polizeipsychologe Dr. Alex Cross in Washington, D.C., und Detective Lindsay Boxer in San Francisco. Das andere Extrem sind seine zwei Liebesromane, von denen ich „Tagebuch für Nikolas“ als Hörbuch kennen gelernt habe: sehr bewegend, wenn man sich auf diese Emotionalität einlässt.

Irgendwo in der Mitte zwischen diesen beiden Polen war „Der Tag, an dem der Wind dich trägt“ angesiedelt: ein Thriller mit „human touch“, aber einem starken Interesse an den Folgen der Biotechnologie. Im Vorwort zu „Das Ikarus-Gen“ verrät der Autor, dass dies sein bestverkaufter Roman sei, und das finde ich einigermaßen erstaunlich. Er auch. „Das Ikarus-Gen“ verstärkt den „human touch“ bis zum maximal Möglichen. Man kann sich also auf einige herzerweichende Szenen gefasst machen. Die Story lässt aber auch die Biotechnik keineswegs außer Acht.

Man kann über eine genetische Kombination von Mensch und Vogel denken, wie man will. Der Autor führt im Vorwort zu „Das Ikarus-Gen“ Experten an, die glauben, dass die Chimären, also Mischwesen, in absehbarer Zeit, also noch in diesem Jahrhundert, geschaffen werden.

Patterson führt uns diese geflügelten Wesen so vor, als gäbe es sie bereits in irgendeinem Labor, zeigt sie als junge Menschen und lässt sie als Menschen von einem menschlichen Gericht aburteilen – zweimal. Die Person, die den engsten Kontakt zu ihnen hat, ist Frannie O’Neill. Sie erzählt immer aus der Ich-Perspektive, so dass der Leser ihre tiefen Gefühle, die denen einer (Ersatz-)Mutter wohlanstehen, ungefiltert mitbekommt. Alle anderen Figuren werden aus der Er-Perspektive gezeigt. Frauen spricht dieser Aspekt des Buches wohl am meisten an. Ironischerweise nützt der Autor die Ich-Perspektive auch aus, um den Leser zu täuschen, als wolle er sagen, man solle dem subjektiven Eindruck nicht allzu sehr trauen.

Männer interessiert hingegen mehr die Thriller-Seite der Geschichte. Ist Ethan Kane der „verrückte Wissenschaftler“, wie er im Buch steht? Oder ist er doch nicht so verrückt, sondern nur das Gegenstück zu dem steinreichen Replikanten-Erfinder Tyrell in Ridley Scotts Kultklassiker „Blade Runner“? Jedenfalls hat auch Ethan Kane eine Replikantin à la Rachel geschaffen: Juliette. Bei einem so skrupellosen Mann kann sich leicht denken, wozu.

Und Dr. Kane sorgt sich ach so sehr um die Zukunft der Menschheit. Daher sein Projekt „Resurrection“: die Wiederbelebung von Schlüsselstellen der Macht in allen Ländern der Welt. Natürlich ist ein kleiner Haken dabei, und für Dr. Kane springt auch etwas dabei heraus.

Sein Interesse an der künftigen biologischen Ausstattung des Menschen führt ihn zu den Vogelkindern. Er muss sie haben, um jeden Preis. Selbst wenn ein oder zwei von ihnen dabei draufgehen. Und Frannie und Kit sind bei dieser Jagd nur hinderlich. Leider hat er unterschätzt, wie überlegen ihm ein Geschöpf wie die fliegende Maximum ist. Das wird ihm zum Verhängnis.

_Unterm Strich_

Patterson kombiniert einen spannenden Thriller mit einer bewegenden Human-Interest-Story, um eine effektvolle Story zu liefern. Dabei hält er nach meinem Empfinden die Spannung mindestens auf einem Mittelmaß, bis sich die Action im Finale zu höchster Spannung steigert. Nach einem versöhnlichen Schluss gibt es dann nochmal einen überraschenden Schlenker, genau wie in „Wer sich umdreht oder lacht“. Da gefriert einem glatt noch einmal das Blut in den Adern.

Zum Titel: Das „Lake House“ sucht man im Großteil des Romans vergebens. Es bildet eine positive Erinnerung als Refugium für die Vogelkinder. Und in dem vorliegenden Roman sehnen sie sich dorthin zurück, um endlich eine richtige Familie zu bilden, mit Frannie & Kit als Elternpaar. Es ist das Utopia, nach dem sie die ganze Handlung hindurch streben. Ob sie es wohl erreichen? Selber lesen!

Was den Roman und seinen Vorgänger so sympathisch macht, ist das beachtliche Einfühlungsvermögen, mit dem der Autor sowohl die Tierärztin als auch die Kinder beschreibt. Alle mögen moderne Pop- und Rockmusik und TV-Serien, daher fallen ständig Namen von bekannten Songs und Interpreten. Auf diese Weise vermittelt er eine glaubwürdigen Eindruck von der Welt, in der sie leben.

Die Vogelkinder wachsen sehr schnell, und binnen weniger Monate werden aus pubertierenden Teenies junge Erwachsene. Das bringt natürlich auch jede Menge interessanter Probleme mit sich, zum Beispiel Sexualität. Ein Normalo-Junge begrabscht Max’ Brust und ist enttäuscht, dass sie keine Brüste hat. Braucht sie nämlich genauso wenig wie ein Schwan Ohrmuscheln. Bei Vogelkindern funktionieren Sex und Aufzucht der Jungen halt wie bei den Vögeln statt wie bei den Menschen. Dafür können sie aber nichts: Sie wurden so gemacht. Das Ergebnis ist fremdartig und höchst interessant. Insofern bietet der Roman auch gewisse SF-Elemente, was ihn mir umso sympathischer gemacht hat.

_Hinweise_

Die Reihe um die Vogelkinder hat Patterson letztes Jahr mit dem Roman „Maximum Ride“ fortgesetzt. Er dürfte wohl in ein, zwei Jahren auch bei uns erscheinen. Und wie uns die Pressemitteilung des Verlags verrät, planen die Filmemacher bereits die „Verfilmung der Geschichten um Max und ihre Geschwister“. „Das Ikarus-Gen“ gibt es auch bereits als Hörbuch.

|Originaltitel: The Lake House, 2003
287 Seiten
Aus dem US-Englischen von Axel Merz|

_James Patterson auf |Buchwurm.info|:_

[„Das Pandora-Projekt“ 3905 (Maximum Ride 1)
[„Der Zerberus-Faktor“ 4026 (Maximum Ride 2)
[„Das Ikarus-Gen“ 2389
[„Honeymoon“ 3919
[„Ave Maria“ 2398
[„Wer hat Angst vorm Schattenmann“ 1683
[„Mauer des Schweigens“ 1394
[„Stunde der Rache“ 1392
[„Wenn er fällt, dann stirbt er“ 1391
[„Wer sich umdreht oder lacht“ 1390
[„Die Rache des Kreuzfahrers“ 1149
[„Vor aller Augen“ 1087
[„Tagebuch für Nikolas“ 854
[„Sonne, Mord und Sterne“ 537
[„Rosenrot Mausetot“ 429
[„Die Wiege des Bösen“ 47
[„Der 1. Mord“ 1361
[„Die 2. Chance“ 1362
[„Der 3. Grad“ 1370
[„4th of July“ 1565
[„Die 5. Plage“ 3915

Diana L. Paxson – Die Keltenkönigin

Matriarchalische Umdichtung von King Lear

Britannien im 5. Jahrhundert nach Christus. Die vom Kontinent eingewanderten Kelten haben die Ureinwohner, die Erbauer von Stonehenge, unterworfen und verdrängt. Cridilla, die jüngste Tochter von Leir, wurde in der Tradition beider Völker erzogen. Sie ist Schamanin und zugleich Kriegerin. Verzweifelt versucht sie, zwischen den beiden Welten zu vermitteln – und steht plötzlich vor einer schweren Entscheidung: Muss sie ihren Vater verraten, um ihr Land und die Menschen, die sie liebt, zu schützen? Die Saga von König Lear und seinen Töchtern, neu erzählt von der Meisterin des phantastisch-historischen Romans. (Verlagsinfo)

Diana L. Paxson – Die Keltenkönigin weiterlesen

Patric Nottret – H2O. Thriller

Ökokrimi: Urfische und schräge Vögel

Umweltinspektor Pierre Sénéchal erhält den Auftrag, den Quastenflosser zu schützen, einen geheimnisumwobenen Dinosaurierfisch. Der Auftrag gestaltet sich wider Erwarten schwierig: Die Suche nach dem Fisch führt direkt in eine Mördergrube, eine exotische Welt, dunkel und brutal. Welches Geheimnis umgibt den Fisch? Für Pierre Sénéchal wird die Ermittlung zu einer Hetzjagd durch die Welt Financiers, Jäger und Sammler. Bald ist auch sein eigenes Leben in Gefahr … (Verlagsinfo)

Der Autor

Patric Nottret hat kriminalistische Hörspiele für das Radio geschrieben, bevor er sich mit seinem ersten Thriller [„Grünes Gift“ 4533 in Frankreich in die Bestseller-Charts katapultierte. Danach folgte „Über den Wäldern ruht der Tod“. Sein dritter Roman um den Umweltinspektor Pierre Sénéchal ist „H2O“. Nottret wurde laut Verlagsinfo 1953 in Saint-Denis de la Réunion geboren und hat eine ökologische Ausbildung vorzuweisen.

Handlung

Inspektor Pierre Sénéchal wurde von der großmächtigen Chefin der Umweltpolizei FREDE, Madame Pottier, auf die Insel Réunion geschickt. Auf dem französischen Überseebesitz gehen merkwürdige Dinge vor sich, nicht zuletzt die verbotene Jagd auf den seltensten Fisch der Welt, einen urtümlichen Quastenflosser, der aus der Zeit vor 350 Mio. Jahren stammt. Außerdem ist hier offenbar ein Fischerboot in die Luft gejagt worden. Nicht gerade ein friedliches Inselchen, wie es dem Inspektor scheint. Aber Madagaskar ist ja nicht allzu weit weg. Was kann man da schon erwarten.

Sénéchal nimmt sich die Verdächtigen gleich mal zur Brust und begibt sich an Bord der Segeljacht, die der Abyss Foundation gehört. Der Kapitän stellt sich als Hans Ziegler vor, doch das Boot scheint einem Mann namens Charles Designe zu gehören. Beide erzählen ihm eine Larifari-Geschichte, aber was er wirklich interessant findet, sind das Tauchboot, das an der Seite des Boots vertäut ist, und das hochmoderne Labor, das mit Elektronik vollgestopft ist und in dem fünf Wissenschaftler arbeiten. Das Tauchboot weist eine Platinsonde auf, eine sauteure und hochempfindliche Ausrüstung. Damit kann man auch in der Tiefsee sondieren, genau dort, wo sich der empfindliche Quastenflosser tagsüber herumtreibt. Der Urfisch kommt nur nachts in oberflächennahe Gewässer.

Bei einem Anruf beim Umweltprogramm UNEP der Vereinten Nationen in New York City erfährt Sénéchal, dass sich in Jakarta, der Hauptstadt Indonesiens, ein UNEP-Manager in den Tod gestürzt habe. Bemerkenswert war an Shakif Mahakaram, dass er besonders die noch seltenere Quastenflosserart Indonesiens schützte. Aus einem Zeitungsartikel erfährt Sénéchal, dass es ausgerechnet Charles Designe und Kapitän Ziegler waren, die dort mit Mahakaram aneinandergerieten: Sie waren hinter dem Urfisch her.

Um der Sache auf den Grund zu gehen, muss Sénéchal nach Indonesien fliegen. Der dortige Generaldelegierte der UNEP, Xi Ping Zhu, empfängt ihn, erzählt von dem armen Shakif und gibt Sénéchal in die Obhut des Militärgeheimdienstlers Thamnir. Mit den von Xi erhaltenen Unterlagen kann Sénéchal herzlich wenig anfangen, weshalb er sich zuerst zu Shakifs Familie begibt. Die Witwe ist verschlossen, hat aber einen schrecklichen Fehler gemacht: Sie hat Shakifs Laptop auf die nahe Müllhalde für Elektronikschrott geworfen. Zusammen mit ihrem Sohn Lang findet Sénéchal dort nur noch Überreste, aber immerhin auch Shakifs Schuhe. Er lässt auch das, was er in Shakifs leerem Schreibtisch an Staub und Glas gefunden hat, ins FREDE-Labor nach Paris schicken. Soll sich doch Lucrèce, der Chemiker, damit herumplagen.

Wenigstens kann sich Sénéchal jetzt, da sein brasilianischer Kollege Edouard eingetroffen ist, die Arbeit mit ihm teilen. Edouard kennt sich sehr viel besser mit Kriminalistik und Waffen aus. Er stößt auf die Leiche eines Motorradfahrers – am Grunde eines Schlammtümpels. Sehr ungesunde Gegend, besonders wenn man einen Revolver dabei hat. Im Gartenhäuschen der Mahakarams stößt er auf ein Funkgerät und Unterlagen einer Firma, der früher mal Auftraggeber von Designe und Ziegler war – und es vielleicht immer noch ist: der Konzern von Akira Takenushi, einem über hundert Jahre alten Japaner, der in Jakarta lebt und arbeitet.

Dem stattet Sénéchal mal einen Besuch ab. Auf den Hügeln über der Millionenstadt ist die Luft wesentlich besser. Der Hundertjährige sieht erstaunlich rüstig aus für sein Alter. Er lebt unter einer Glaskuppel in einem echten Wald aus seltenen Bäumen. Und zwischen den Bäumen, so bemerkt Sénéchal, wuseln überall Wach- und Reinigungsroboter herum. Natürlich Hightech aus Japan.

Woran Takenushi eigentlich forsche, will Sénéchal wissen. An den Genen von Saatgutpflanzen und an Fischen, bequemt sich der Industrielle zu antworten. Fischen wie dem Quastenflosser etwa? Gerade die seltensten Fische sind doch die interessantesten, nicht wahr, entgegnet der Japaner. In weiteren Gesprächen wird deutlich, dass er durchaus mit Designe und Ziegler zu tun hatte, aber nicht gerade auf die angenehmste Art: Sie haben ihn erpresst.

Während etliche Laboruntersuchungen laufen, gerät sein Kollege Edouard zusammen mit Lt. Thamnir im Hinterland in einen Hinterhalt der Rebellenbewegung für ein freies Aceh auf der Insel Sumatra. Eigentlich wollte Edouard hier die verschwundene Putzfrau und einen untergetauchten Freund Shakifs suchen, aber das Schicksal will es anders. Ein Holztransport stellt sich auf der Straße vor ihnen quer und lässt seine Ladung Baumstämme vor ihnen auf die Straße purzeln – direkt in ihren Weg …

Zurück auf Réunion, verlangt Sénéchal ein Treffen mit Designe und Ziegler, doch kaum ist er auf deren Boot, als ihn Designe mit einer Maschinenpistole bedroht. Sénéchal hat offenbar voll ins Schwarze getroffen, nun muss er zusehen, wie er hier lebend wieder rauskommt.

Mein Eindruck

Auf den ersten Blick scheint es in diesem enorm spannenden Ökothriller um Fische zu gehen. Aber der Schein trügt, denn je mehr Sénéchal ermittelt, desto deutlicher wird, dass es um die künftigen Ressourcen des Planeten. Und dabei sind Fische wie der alte Quastenflosser nur eine Art Indikator für die Aktivitäten von Leute wie Designe und Ziegler, die jetzt schon Jagd auf das machen, was noch übrigbleibt. Die beiden Genräuber – denn der Quastenflosser soll geklont werden – haben ein Forschungslabor samt Gentechnikfirma im Rücken, die ihnen ordentlich Kohle versprechen.

Wenn es also nicht um Fische geht, dann um das, was der Titel anzeigt: um Wasser. Bereits haben zwei von sechs Milliarden Menschen keinen Zugang zu frischem Trinkwasser. Bis 2050 werden es drei Milliarden sein, und somit wird Trinkwasser eines der begehrtesten Lebensmittel überhaupt werden. Wohl dem, der sich rechtzeitig eine gute Ausgangsposition im Rennen um die wertvollen Ressourcen verschafft. (Nottrets Schriftstellerkollege Jean Marc Ligny geht in seinem Roman [„Aqua ™“ 5827 noch einen Schritt weiter und macht Wasser zu einem raren Handelsgut in der nahen Zukunft.)

Dumm nur, dass der Vorrat an verfügbarem Wasser nicht beliebig vermehrt werden kann, indem man nach neuem bohrt wie nach Erdöl oder Erdgas. Die Menge des verfügbaren Wassers bleibt konstant, sei es nun gefroren, flüssig oder verdunstet. Die Frage ist, wie man es aus der Luft holt, reinigt, speichert und zu den Dürstenden transportiert.

Sénéchal ist erstaunt, wie weit Akira Takenushi mit seinen Forschungen gelangt ist. In seinem Wald unter der Plastikkuppel hat der Industrielle nicht nur Saatgut in Form von Bäumen gesammelt, sondern auch Experimente mit Kondensation angestellt, also der Gewinnung von Tau. Selbst in der scheinbar trockensten Wüste ist nämlich morgens Frühtau vorhanden. Einigen Tierchen gelingt es, diesen Tau einzufangen und zu trinken. Zu diesen Überlebenskünstlern gehört Senecora, eine Art von Skarabäus-Käfern, die einen speziellen Panzer und Mechanismus entwickelt hat, um Tau auf dem Körpern zu erzeugen und zum Maul zu leiten. Einfach genial, findet Sénéchal. Und das finden viele andere Leute auch, die in der Nachahmung dieser Oberflächenstruktur einen Milliardenmarkt sehen.

Aber wo es Geld gibt, da ist das Verbrechen nicht weit. Designe und Ziegler erpressen Takenushi, indem sie dieses Patent für sich angemeldet haben – ein klarer Fall von Ideenraub und Wirtschaftsspionage, der sich Sénéchal da eröffnet, als er schon denkt, er habe den Fall gelöst. Aber da gibt es noch ein paar Mitspieler, auf die er noch nicht gestoßen ist. Sie zu entdecken, hilft ihm seine einheimische Gastgeberin auf der Insel Réunion.

Der Autor wurde 1953 selbst auf dieser Insel geboren und kennt sich mit den Gegebenheiten vor Ort bestens aus. So lernt sein Held Sénéchal beispielsweise die scharf gewürzte lokale Küche kennen, den guten Rum, die kreolische Sprache, die Parfümindustrie (Geranien, Vetiver) und natürlich die Fischer. Dass es hier auch jede Menge Aberglauben gibt, hätte der Umweltinspektor weniger erwartet. Aber Madame Hoareau, seine Wirtin und eine ehemalige Gesangslehrerin, wird von einer wandelnden und singenden Vogelscheuche erschreckt, die mit einer Tierkralle an ihrer Küchentür kratzt. Madama erschrickt sich nicht wenig und klagt ihr Leid dem hünenhaften Inspektor, der doch sicherlich weniger Angst empfindet als sie.

Null problemo, beruhigt sie der Normanne mit den großen Pranken, bevor er sich auf die Suche nach dem Übeltäter macht. Der Weg führt ihn über den markanten Blumenduft, den der Einbrecher mit der Vogelscheuchenmaskerade hinterlassen hat, direkt zu einer alten Dampflokomotive. Es sind diese wunderbaren Assoziationssprünge, die einer der Gründe sind, warum Nottets Bücher so unterhaltsam sind. Sie bestehen nicht nur aus Krimi und Umweltinformationen, sondern auch aus einer Menge menschlicher Komödie. So auch hier.

In diesen alten Dampfloks pflegen gewisse Leute nämlich die gesammelten Blüten von Geranien, Vetiver und so weiter im alten Dampfkessel zu einzuweichen (man erinnere sich an das wässrige Verfahren in Süskinds [„Das Parfum“) 3452 und in kleinen Flaschen zu destillieren. Wie sich herausstellt, befindet sich eine dieser Loks in einem vulkanischen Gebiet, dessen Lava einen Tunnel teilweise verschüttet hat. In diesem Labyrinth gerät der neugierige Umweltinspektor in eine Todesfalle voller Giftschlangen …

Die Übersetzung

Die beiden Übersetzerinnen haben eine sehr gute Arbeit vorgelegt, die sicherlich nicht einfach war. Denn es gibt enorm viel wissenschaftlichen Fachjargon in diesem Buch sowie französische, malaiische und japanische Ausdrücke, von den allgegenwärtigen englischen ganz zu schweigen.

Dennoch fielen mir zwei dubiose Stellen auf. Die erste taucht auf Seite 330 auf, also nach drei Vierteln des Buches. „Der Himmel über den Bergen war stahlgrau, und die gewaltigen Wipfel hatten eine bedrohliche Färbung angenommen.“ Was stimmt an diesem Satz nicht? Nun, wie jeder Deutsche meiner Generation kenne ich Goethes Gedicht „Wanderers Nachtlied“:

„Über allen Gipfeln ist Ruh,
in allen Wipfeln / spürest du / kaum einen Hauch. / Die Vöglein schweigen im Walde.
Warte nur / balde ruhest du auch.“

Goethe unterschied eindeutig zwischen Gipfeln der Berge und Wipfeln der Waldbäume. Warum sollten wir es nicht auch tun? Wenn die Übersetzung also von den „Wipfeln“ der Berge spricht, dann sind eigentlich „Gipfel“ gemeint.

Auf Seite 355 stieß ich auf den Ausdruck „ein nächtiger Gartenweg“. Interessantes Wort, dieses „nächtig“, denn meist wird „nächtlich“ gebraucht. Letzteres ist auch im |DUDEN| korrekt angegeben, doch unter „nächtigen“ steht dort „übernachten“. Also auch hier irrten die beiden Übersetzerinnen.

Unterm Strich

In einer spannenden Kriminalhandlung, die durchaus packende Actionszenen umfasst, bringt uns der Autor die komplexe Thematik der bedrohten Ressourcen der Menschheit näher. Waren es in den zwei Vorgängerbänden die Artenvielfalt des südamerikanischen Kontinents, so richtet der Autor diesmal unseren Blick auf die Meere, ihre schwindende Artenvielfalt – aber vor allem auf das Wasser, das zunehmend knapper wird und immer weniger Menschen frisch und sauber zur Verfügung steht. Der Autor kennt die Prognosen, und sie sind sehr düster, nicht nur für das Jahr 2050, sondern erst recht für das Ende dieses Jahrhunderts, das in jeder Hinsicht das entscheidende für das Überleben der Menschheit und des Lebens auf diesem Planeten ist.

Spannung und Information werden ergänzt von der dritten Komponente, der menschlichen Komödie. Immer wieder durfte ich bewundern, wie feinfühlig Sénéchal es versteht, mit unterschiedlichsten Personen zurechtzukommen und sie sogar zur Mitarbeit zu bewegen. Dabei kommt es oftmals zu Situationen, die für Anlass zum Schmunzeln geben, besonders wenn Gegensätze aufeinandertreffen. Und Sénéchal ist mit seiner hünenhaften Gestalt und seinen Hosenträgern eine Gestalt, die ich mir ein wenig wie den großgewachsenen Monsieur Hulot mit seinem Hütchen und dem Regenschirm vorstelle – Jacques Tati lässt schön grüßen. Nur dass Sénéchal wesentlich zupackender und furchtloser ist, als es Monsieur Hulot jemals gewesen sein könnte.

Lediglich für die schwache Psychologie des Romans gibt es Punktabzug. Andererseits sind Kriminalromane mit tiefgehender Psychologie wahrlich dünn gesät. Der Roman liest sich mit seinen superkurzen Kapiteln – James Patterson hat’s vorgemacht – stellenweise wie ein Drehbuch. Und zwar genauso rasant, sprunghaft und bilderreich. Ich habe das Buch in nur drei Tagen gelesen.

Originaltitel: H2O, 2004
Aus dem Französischen von Eliane Hagedorn und Barbara Reitz
445 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-431-03780-7

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[NEWS] Elizabeth Haran – Der Himmel über dem Outback

Phillip Island/ Australien, 1886: Für Maggie ist Patrick Shanahan die Liebe ihres Lebens. Als Patrick ihr einen Heiratsantrag macht, scheint ihr Glück perfekt. Aber die Realität holt sie ein, als die Frischvermählten nach Melbourne zurückkehren. Denn während Maggies Familie arm ist, ist die von Patrick sehr vermögend und einflussreich und Patricks Vater ist entsetzt über die vermeintliche Mitgiftjägerin. Er erwirkt eine Annullierung der Ehe, indem er die Liebenden gegeneinander ausspielt. Zutiefst traurig verlässt Maggie Melbourne – nicht ahnend, dass sie ein Kind erwartet … (Verlagsinfo)


Gebundene Ausgabe: 496 Seiten
Ehrenwirth

[NEWS] Johanna Romberg – Federnlesen. Vom Glück, Vögel zu beobachten

Die Sehnsucht nach blauen Federn, die Bewunderung für frostfeste Rotkehlchen, das sinnliche Vergnügen, aus einer Wolke von Zwitscherlauten einzelne Arten herauszuhören: Ein Jahr begleiten wir die preisgekrönte Journalistin und Hobby-Ornithologin Johanna Romberg dabei, wie sie die Welt unserer heimischen Vögel erkundet. Dabei vermittelt sie uns Wissenswertes über die Genies der Lüfte und bringt uns die Magie des Beobachtens näher. Wer das Buch liest, sieht die Welt plötzlich mit anderen Augen: Er erlebt den Moment der Freude, wenn man einen Vogel benennen kann, macht die Erfahrung, dass die eigenen Sinne mit jeder Beobachtung schärfer – und er selbst bewusster und glücklicher wird.
(Verlagsinfo)

Gebundene Ausgabe: 304 Seiten
Ehrenwirth

[NEWS] Nancy Neugebauer – Gustav und Nele. Das Glück einer Gans besonderen Freundschaft

Ich verspreche dir ein wunderbares, aufregendes und vor allem langes Leben“, flüstert die kleine Nele dem frisch geschlüpften Küken Gustav ins Ohr. Die Nachbarn hatten dem kleinen Mädchen ein Gänseei geschenkt, um das sie sich rührend kümmerte. Gustav, die Gans kam unter einer Wärmelampe zur Welt und das erste, was er sah, waren zwei blonde Zöpfe und staunende Mädchenaugen. Seitdem sind die zwei einfach unzertrennlich. Dies ist die wahre Geschichte über Gustav und Nele, und wie eine Gans das Leben eines kleinen Mädchens verändert und somit eine ganze Familie glücklich macht. (Verlagsinfo)

Gebundene Ausgabe: 160 Seiten
Ehrenwirth

[NEWS] Rebecca Gablé – Die fremde Königin (Otto der Große 2)

Anno Domini 951: Der junge Gaidemar, ein Bastard vornehmer, aber unbekannter Herkunft und Panzerreiter in König Ottos Reiterlegion, erhält einen gefährlichen Auftrag: Er soll die italienische Königin Adelheid aus der Gefangenschaft in Garda befreien. Auf ihrer Flucht verliebt er sich in Adelheid, aber sie heiratet König Otto. (Verlagsinfo)

Gebundene Ausgabe: 768 Seiten
Ehrenwirth

[NEWS] Sarah Lark – Das Jahr der Delfine

Köln, Gegenwart: Wie soll mein Leben weitergehen?, fragt sich Laura. Jetzt, da ihre beiden Kinder zunehmend selbstständig werden und sich ihr Mann immer weiter von ihr entfernt, denkt Laura an ihren einstigen Traum zurück, Meeresbiologin zu werden. Als sich die Chance bietet, für einige Zeit im Bereich der Wal- und Delfinbeobachtung in Neuseeland zu arbeiten, ergreift sie diese mit gemischten Gefühlen. In Neuseeland eröffnet sich Laura eine ganz andere Welt, und sie findet völlig überraschend eine neue Liebe. Doch kann diese von Dauer sein? (Verlagsinfo)

Gebundene Ausgabe: 464 Seiten
Ehrenwirth

[NEWS] Jean-Christophe Grangé – Purpurne Rache

Grégoire Morvan, graue Eminenz des französischen Innenministeriums, war in den Siebzigerjahren mit lukrativen Geschäften im Kongo erfolgreich. Und er hat dort den berüchtigten Killer Homme-Clou gefasst, der seinerzeit einem bestialischen Ritual folgend neun Menschen ermordet hat. Als an einer bretonischen Militärschule ein Toter gefunden wird, dessen grausame Entstellung dem Modus operandi des Homme-Clou ähnelt, und Morvans Familie akut bedroht wird, muss er sich mit allen Mitteln den Schatten einer Vergangenheit stellen, die niemals aufgehört hat, nach Blut zu dürsten … (Verlagsinfo)

Gebundene Ausgabe: 944 Seiten
Originaltitel: Lontano
Ehrenwirth

[NEWS] Hubertus Meyer-Burckhardt – Meine Tage mit Fabienne

Früher war es ein Käsegeschäft, dann ein Plattenladen. Simon fand schon immer, dass das Erdgeschoss seines Wohnhauses interessante Mieter hatte. Fabienne, die lebensfrohe Elsässerin und Hutmacherin, die nun dort einzieht, stellt sie aber allesamt in den Schatten. Mit ihrem eleganten Hutgeschäft – und noch mehr mit ihrem Temperament und ihrer mitreißenden Energie – mischt sie die acht Parteien des Hauses fröhlich auf, insbesondere jedoch Simons Leben … (Verlagsinfo)

Gebundene Ausgabe: 250 Seiten
Ehrenwirth

[NEWS] Rebecca Gablé – Der Palast der Meere: Ein Waringham-Roman

London 1560: Als Spionin der Krone fällt Eleanor of Waringham im Konflikt zwischen der protestantischen Königin Elizabeth I. und der katholischen Schottin Mary Stewart eine gefährliche Aufgabe zu. Ihr fünfzehnjähriger Bruder Isaac soll unterdessen das Erbe des Hauses Waringham antreten. Aber Isaac flieht und schleicht sich als blinder Passagier auf ein Schiff. Nach seiner Entdeckung nimmt ihn der junge Matrose Francis Drake unter seine Fittiche, doch bei einem Stopp auf der Insel Teneriffa verkauft Kapitän und Freibeuter John Hawkins ihn als Sklaven an spanische Pflanzer. Erst nach zwei Jahren kommt Isaac wieder frei – unter der Bedingung, dass er erneut in Hawkins‘ Dienst tritt. Zu spät merkt Isaac, dass Hawkins sich als Sklavenhändler betätigt – und dass sein Weg noch lange nicht zurück nach England führt … (Verlagsinfo)

Gebundene Ausgabe: 960 Seiten
Lübbe Ehrenwirth

John Naish – Genug. Wie Sie der Welt des Überflusses entkommen

Praktische Anleitung zum Zufriedensein

Mehr Informationen, mehr Essen, mehr Sachen, mehr Statussymbole. Heute gibt es von allem mehr, als wir jemals nutzen, genießen oder uns leisten können. Trotzdem rücken wir in der Überflussgesellschaft keinen Millimeter von der ältesten Überlebensstrategie der Menschheit ab: zu horten. Wir wollen immer mehr, auch wenn es uns krank, müde, übergewichtig, unzufrieden und arm macht. Die Welt des Überflusses zerstört jedoch unsere persönlichen Ressourcen ebenso gründlich wie die unserer Heimatwelt. (abgewandelte Verlagsinfo) Naish zeigt uns die Probleme ebenso wie die Strategien, wie wir sie bewältigen können. Praktische To-do-Listen helfen den Betroffenen ganz konkret – sofern sie sie beherzigen.

Der Autor

John Naish – Genug. Wie Sie der Welt des Überflusses entkommen weiterlesen

Michele Giuttari – Das Monster von Florenz. Anatomie einer Ermittlung

Der leitende Untersuchungsbeamte rekapituliert die 30 Jahre währenden Ermittlungen im Fall des „Monsters von Florenz“, das 16 Menschen ermordete, und schildert die zahlreichen Fehler und Manipulationen, die eine Bestrafung des oder der Schuldigen behinderten … – Überaus (und manchmal allzu) detailliert zeichnet der Verfasser die von ihm geleiteten Ermittlungen nach. „Das Monster von Florenz“ ist nicht nur Giuttaris Bericht, sondern auch sein Versuch, bittere berufliche und persönliche Erfahrungen aufzuarbeiten.
Michele Giuttari – Das Monster von Florenz. Anatomie einer Ermittlung weiterlesen

Rebecca Gablé – Das Spiel der Könige

„Das Spiel der Könige“ ist die direkte Fortsetzung von „Die Hüter der Rose“, und somit der sechste historische Roman der deutschen Bestsellerautorin Rebecca Gablé (* 25.09.1964), die sich mit dem Roman „Das Lächeln der Fortuna“ und ihren weiteren historischen Werke einen Namen gemacht hat. Sie studierte nach mehrjähriger Berufstätigkeit als Bankkauffrau Anglistik und Germanistik mit Schwerpunkt auf Mediävistik, wobei ihr besonderes Interesse offenkundig den englischen Königshäusern galt, insbesondere dem Haus Lancaster.

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