Alle Beiträge von Maike Pfalz

Buchwurm, seit ich lesen kann :-)

Crichton, Michael – Next

Mit „Next“ legt Michael Crichton seinen neuesten Spannungsroman vor, der im Stile seines letzten Buches [„Welt in Angst“ 880 ebenfalls ein kontrovers diskutiertes aktuelles Thema aufgreift. Nach Crichtons Schilderungen zur Klimaproblematik nimmt er sich dieses Mal die Gentechnik vor und beleuchtet in Romanform einige ihrer „Auswüchse“.

Zunächst lernen wir den Kopfgeldjäger und Privatdetektiv Vasco Borden kennen, der auf der Jagd nach einem Nachwuchsforscher ist, der sich schließlich selbst umbringt, als Borden ihm zu nahe auf die Pelle gerückt ist. Doch der Forscher, der unerlaubterweise Zellen aus seinem Labor entwendet hat, wird nicht Bordens einziger Auftrag in diesem Buch bleiben. Im späteren Verlauf soll er einen Jungen oder seine Mutter kidnappen, wird aber bei diesem Entführungsversuch durch einen Hybriden eines Ohres entledigt.

Ein weiterer Handlungsstrang befasst sich mit Frank Burnet, der nach einer schweren Krebserkrankung wieder genesen ist und nun seinen behandelnden Arzt anzeigt, weil dieser ihm Zellen und Gewebeproben entnommen hat, um sie kommerziell zu vermarkten. Doch Burnet hat nie die Genehmigung für diese Vermarktung unterschrieben und möchte nun zumindest an diesem Milliardengeschäft beteiligt werden. Sehr zu Burnets Verwunderung und zum Entsetzen seiner Tochter Alex, die als Juristin arbeitet und ihren Vater in diesem Fall verteidigt, verliert Burnet den Prozess und ist somit anschließend nicht mehr der Besitzer seiner Körperzellen. Als im Labor die Burnet-Zelllinie kontaminiert wird, ist die Not groß: Die Zellen müssen unbedingt wiederbeschafft werden, allerdings ist Frank Burnet untergetaucht, sodass nun Alex und ihr kleiner Sohn Jamie ins Kreuzfeuer geraten, da sie dieselben Zellen liefern könnten.

Bei einer Expedition in Zentralsumatra beobachten Fotografen einen Menschenaffen, der die Abenteurer in verschiedenen Sprachen beschimpft. Der sprechende Affe macht Schlagzeilen, allerdings ist dies nicht das einzige sprechende Tier, das uns in „Next“ begegnen wird, denn wir lernen auch den Papageien Gerrard kennen, der nicht nur wunderbar sprechen, sondern sogar rechnen kann. Etwas ganz Besonderes ist auch Dave – ein Schimpanse, der von seinem Vater im Labor gezeugt wurde und nun eingeschläfert werden soll. Doch sein leiblicher Vater rettet Dave, bringt ihn zu seiner Familie und schickt ihn sogar zur Schule. Dass dies Probleme mit sich bringen wird, dürfte offensichtlich sein.

Michael Crichton erzählt zahlreiche weitere Geschichten in seinem gut 500-seitigen Wissenschaftsthriller: Josh Winkler gerät in große Probleme, als sein drogensüchtiger Bruder aus Versehen eine Probe inhaliert, die eigentlich für Tierversuche bestimmt war. Als Joshs Bruder anschließend von seiner Drogensucht befreit ist und sein Leben wieder in die richtigen Bahnen lenken kann, ist Joshs Mutter begeistert, allerdings weiß sie noch nicht, dass ihr Sohn durch das Mittel wesentlich schneller altern wird. Gentechnik bringt eben nicht nur Gutes mit sich…

„Next“ mag zwar durchaus Michael Crichtons neues Buch sein, wahrscheinlich wird es sogar sein nächster Bestseller werden, doch eines ist „Next“ ganz sicher nicht: sein nächster ausgefeilter Roman mit überzeugendem Spannungsbogen! Michael Crichton ist einer der Väter des Wissenschaftsthrillers. In „Timeline“ befasste er sich mit der Teleportation und dem vieldiskutierten Quantencomputer, in „Beute“ waren es die Nanoroboter, die sich plötzlich selbständig gemacht und dadurch für allerhand Ungemach gesorgt haben. Gentechnik und die damit verbundene Problematik ist sicher ein brisantes Thema, das viel Potenzial hat, um es in einem spannungsgeladenen Roman auszubreiten. Doch dies war wohl nicht Michael Crichtons Absicht.

Von Beginn an öffnet er zahlreiche Handlungsstränge, stellt uns selbst 100 Seiten vor Schluss noch neue Protagonisten vor und verliert dabei offensichtlich selbst den Überblick, denn es häufen sich die losen Enden, die nicht fortgeführt werden. Viele Figuren werden präsentiert und geraten anschließend in Vergessenheit. Einen roten Faden lässt dieses Buch ebenso vermissen wie einen Spannungsbogen, Hauptcharaktere oder Sympathieträger. Wir lernen so viele verschiedene Figuren kennen, dass es ratsam wäre, sich beim Lesen eine Personenliste zu erstellen. Eine solche wäre mit Sicherheit deutlich hilfreicher gewesen als das kommentierte Literaturverzeichnis, das stattdessen den Abschluss des Buches bildet.

Wieder einmal ist Michael Crichton missionarisch unterwegs. Wie das ausführliche Literaturverzeichnis vermuten lässt, hat sich Herr Crichton in den letzten Monaten oder auch Jahren intensiv mit der Gentechnik beschäftigt und nun ist für ihn die Zeit gekommen, der Welt seine Meinung kundzutun. In Form zahlreicher Handlungsstränge, in denen uns Michael Crichton Forscher als gewissenlose Egoisten vorstellt, führt er uns vor Augen, welch schreckliche Folgen die Gentechnik denn haben kann und wie rücksichtslos Wissenschaftler und Unternehmer mit den Zellen anderer Menschen und auch ihrem Schicksal umgehen. Zwischendurch flechtet Crichton immer wieder fingierte Zeitungsartikel ein, die sich ebenfalls den negativen und erschreckenden Folgen der Gentechnik widmen. Im Grunde genommen ist es natürlich sehr löblich, dass sich Michael Crichton dieses in der Tat sehr wichtigen Themas annimmt, das ja zu Recht kontrovers diskutiert wird und sicherlich nicht nur Gutes bringen wird. Doch leider offeriert Crichton uns nicht nur Fakten und wahre Begebenheiten, anhand derer man sich sein eigenes Urteil bilden kann – nein, Michael Crichton schwingt den Holzhammer, mit dem er uns seine eigene Meinung einhämmern möchte. Das muss zwangsläufig schiefgehen. Als halbwegs gebildeter und eigenständig denkender Mensch muss man sich von diesem Buch einfach veräppelt fühlen. Crichton hält seine Leser offenbar für geistig beschränkt und meint, uns eine Meinung an die Hand geben zu müssen, nämlich seine eigene.

Dabei ist gerade die Gentechnik ein Thema, mit dem man äußerst sensibel umgehen sollte. Wo Politiker Expertengremien bilden, die zu einem fachlich durchdachten Urteil kommen soll(t)en, stellt Crichton sich hin und predigt „die (seine!) Wahrheit über die Gentechnik“, doch so geht es nicht! Natürlich muss man vorsichtig mit menschlichen Zellen umgehen, natürlich ist es fragwürdig, was die heutige Forschung möglich macht bzw. machen kann, und natürlich ist es verwerflich, wenn ein Forscher sich im Labor einen tierischen Nachkommen erschafft. Doch ist nicht alles schwarzweiß – Forschung bedeutet neben all diesem Gräuel auch Fortschritt und mögliche Hilfe bei Krankheiten. Es ist nicht alles schlecht, nur weil ein Michael Crichton dies so darstellt. Meiner Meinung nach ist es gefährlich, dass ein berühmter und erfolgreicher Bestsellerautor ein solches Buch schreiben darf, in dem nur eine einzige Meinung Gültigkeit hat.

In „Next“ werden sämtliche Figuren schwarzweiß gezeichnet, die Forscher, Ärzte, Juristen sind schlecht, rücksichtslos und nur auf Gewinn bedacht, während die Patienten, die ohne ihr Wissen Gewebe gespendet haben, Opfer sind, denen kein Recht an ihren Zellen zugestanden wird. Crichton verwendet Schablonen anstelle von echten Charakteren, keiner Figur verleiht er Tiefe, niemanden stellt er uns so vor, dass er authentisch wirkt oder zum Sympathieträger werden könnte. Möglicherweise mag dies an den „falschen Genen“ der Protagonisten liegen, kann doch durch die Gene alles Verhalten erklärt werden, wie man nach der Lektüre dieses Buches glauben könnte. Das vorliegende Buch wirkt ausgefranst und man kann sich durch die vielen Handlungsstränge und die schnellen Wechsel der Szenerie nicht so recht einlesen. Bis zum Schluss bin ich mit diesem Werk nicht warm geworden und wusste nicht, was der Autor mir eigentlich sagen möchte. Zu Crichtons Gunsten hatte ich zunächst angenommen, er wolle die möglichen Folgen der Gentechnik lediglich überspitzt darstellen, um sein Publikum aufzuschrecken und auf dieses drängende Problem aufmerksam zu machen. Doch das Lesen des Nachwortes macht diese Hoffnung zunichte, denn Crichton möchte mit diesem Buch tatsächlich nur seine eigene Meinung kundtun.

Insgesamt bin ich schlichtweg enttäuscht von diesem literarischen Ausrutscher Michael Crichtons, den ich seit „Timeline“ leider nie wieder in Höchstform erleben durfte und der mir inzwischen eher wie ein Wanderprediger vorkommt. Sehr lobenswert finde ich sein Anliegen, aktuelle und kontroverse Themen für seine Bücher herauszugreifen und dadurch auf diese aufmerksam zu machen. Sein Vorgehen hierbei ist allerdings sehr fragwürdig, denn er lässt keine Meinung neben seiner eigenen zu und vereinfacht die Sachlage viel zu sehr. Wie ein Elefant im Porzellanladen geht Crichton zu Werke, wo stattdessen viel Fingerspitzengefühl gefragt gewesen wäre.

http://www.randomhouse.de/blessing/

Canavan, Trudi – Meisterin, Die (Die Gilde der Schwarzen Magier 3)

Band 1: [„Die Rebellin“ 3041
Band 2: [„Die Novizin“ 2989

Mit ihrer „Gilde der schwarzen Magier“ hat Trudi Canavan sich in den Olymp der Jugendfantasy-Autoren geschrieben. Ihre fantastische Geschichte rund um die junge Magierin Sonea macht spätestens ab dem zweiten Teil „Die Novizin“ absolut süchtig und schafft es auf überzeugende Weise, zahlreiche Fantasyliebhaber für sich zu gewinnen.

Im dritten und vorerst abschließenden Teil der „Gilde der schwarzen Magier“ erfährt Sonea endlich die wahren Gründe für Akkarins Verhalten. Der Hohe Lord nimmt sie mit in die Stadt und zeigt ihr, wie sie die Gedanken eines sachakanischen Sklaven gegen dessen Willen lesen kann. In diesen Gedanken erfährt Sonea vieles aus Akkarins Vergangenheit und von seinen Reisen, doch insbesondere liest sie, wie Akkarin schwarze Magie erlernt hat und aus welchen Gründen dies geschah. Es sind schreckliche Dinge, die Sonea nun erfahren muss, denn die Gilde der schwarzen Magier wird von mächtigen Ichani bedroht, die sich schwarzer Magie bedienen und große Kräfte von ihren Sklaven nehmen. Einst konnte Akkarin einen mächtigen Ichani töten, doch seitdem sinnt dessen Bruder auf Rache, und nun scheint die Zeit für diese Rache gekommen zu sein. Die Ichani wollen gemeinsam die Gilde angreifen und zerstören.

Sonea fürchtet um die Gilde und um ganz Kyralia, da bereits ein einziger Ichani so mächtig ist wie dutzende Magier der Gilde. Nach reiflicher Überlegung überredet sie Akkarin schließlich dazu, sie in schwarzer Magie auszubilden, damit sie ihm in seinem Kampf beistehen kann. Gemeinsam mit seinem Diener Takan unterrichtet Akkarin widerwillig seine Novizin in schwarzer Magie und zeigt ihr, wie sie Kraft aus anderen Menschen ziehen kann. Durch eine List der Ichani jedoch gerät Akkarin in Verdacht, einen anderen Magier und seine gesamte Familie mithilfe schwarzer Magie getötet zu haben. Bei ihren Nachforschungen finden die anderen Magier schließlich heraus, dass auch ihr Hoher Lord ein schwarzer Magier ist, dem aufgrund dieses Verbrechens die Hinrichtung droht.

In einem packenden Prozess versuchen Akkarin und Sonea, die Magier von der drohenden Gefahr zu überzeugen, doch am Ende müssen die beiden sich einem harten Urteil beugen, das die Zukunft der gesamten Gilde bedrohen könnte …

In diesem dritten Teil zieht Trudi Canvan gewaltig das Tempo an, dieses Buch widmet sich nicht länger Soneas Studien und ihren Zwistigkeiten mit den anderen Novizen, hier ist kaum noch die Rede von ihrem kleinen Widersacher Regin, der ihr lange Zeit das Leben zur Hölle gemacht hat. Wir verlassen hier nun die Internatsgeschichte und widmen uns wichtigen Ereignissen, die schließlich das Schicksal und die Zukunft der Gilde verändern oder auch zerstören könnten. In diesem Band drohen große Gefahren, die Akkarin plötzlich in einem ganz anderen Licht dastehen lassen. Der Hohe Lord ist nämlich nicht der durchtriebene und hinterhältige Mörder, für den Sonea ihn lange Zeit gehalten hat – nein, er hatte die ganze Zeit das Wohl der Gilde im Sinne. Durch die Kräfte seines Dieners Takan gestärkt, hat Akkarin alle sachakanischen Sklaven ermordet, die von den Ichani in die Stadt ausgesandt worden waren, um dort die Gilde auszuspionieren und um herauszufinden, wie stark die Gilde wirklich ist.

Wir begeben uns auf eine neue Handlungsebene, die diesem Buch einen ganz neuen Reiz verleiht. „Die Meisterin“ ist nicht länger für Kinder geschrieben, hier geht es um Mord, um Krieg und um das Überleben der Gilde. Die Ichani sind eine Gefahr für die gesamten verbündeten Länder, da ihre Kräfte unglaublich groß sind und sie nun erfahren haben, dass die Gilde keine schwarze Magie anwendet und den Ichani daher deutlich unterlegen ist. Die Aussicht auf einen Sieg der Gilde ist gering; man hat das Gefühl, als müsste David gegen Goliath kämpfen, und als Akkarin und Sonea schließlich für ihre Verbrechen verurteilt werden und Kyralia verlassen müssen, ist die Gilde den Ichani schutzlos ausgeliefert. Es besteht kaum Hoffnung, doch genau das steigert die Spannung ins Unermessliche.

In einem weiteren Erzählstrang begegnen wir Soneas Jugendfreund Cery wieder, der sich bei den Dieben einiges Ansehen erarbeitet hat und zu Ruhm und Reichtum gelangt ist. Außerdem hat er einen mächtigen Verbündeten, dessen Identität uns erst spät offenbart wird. Genau wie Sonea hat auch Cery sich gemausert, die beiden sind älter und deutlich reifer geworden, sodass auch das gesamte Buch viel erwachsener wirkt, weil es nicht länger um die Sorgen heranwachsender Jugendlicher geht. Cery lernt in diesem Band eine geheimnisvolle Sachakanerin kennen, die für ihn die Spione der Ichani ausfindig machen kann. Gleichzeitig fordert sie von Cery, ihr zu vertrauen und ihre Existenz nicht an seinen „Auftraggeber“ zu verraten. Doch kann er ihr wirklich vertrauen oder wird sie ihm eine Falle stellen?

Auch dem Botschafter Dannyl begegnen wir wieder. Dannyl führt weiterhin Aufträge für Akkarin aus und muss seine geheime Beziehung zu dem Gelehrten Tayend aufdecken, um das Vertrauen einer Gruppe von Rebellen zu gewinnen, die einen wilden Magier verbergen. Bei dieser Mission begibt Dannyl sich nicht nur in große Gefahr, sondern er entdeckt auch nach und nach das Geheimnis der so genannten höheren Magie, hinter der sich nichts anderes verbirgt als die schwarze Magie. Mit einem Buch über schwarze Magie im Gepäck macht sich Dannyl schließlich auf nach Imardin, um dort Akkarin dieses kostbare Buch zu zeigen. Doch ahnt Dannyl noch nichts von den dortigen Unruhen …

Die faszinierendste Gestalt des dritten Buches ist eindeutig Akkarin. In den Gedanken des gefangenen Sklaven kann Sonea lesen, dass Akkarin einst ein Sklave der Ichani war, denen er als Kraftquelle dienen musste. In Sachaka lernte er die schwarze Magie, mit deren Hilfe er schließlich den Fängen der Ichani entkommen konnte. Der Hohe Lord offenbart endlich eine ganz neue und interessante Seite, die überzeugend erklärt, wieso er trotz strikten Verbots der Gilde weiterhin schwarze Magie anwendet. In diesem Buch wird Akkarin zu einem Sympathieträger, den man nicht mehr missen möchte. Beim Lesen könnte man sich fast ein wenig in ihn verlieben, sodass man es nur allzu gut nachvollziehen kann, als auch Sonea plötzlich mehr in ihm sieht als ihren Mentor.

„Die Meisterin“ ist ein wahrlich fulminanter Abschluss der Trilogie „Die Gilde der schwarzen Magier“, die von Band zu Band immer spannender und interessanter wird. Mit dem Heranwachsen der Romanheldin reift auch die Serie und gewinnt dadurch an Reiz, dem man sich kaum entziehen kann. In diesem Buch ist es Akkarin und seine sich wandelnde Beziehung zu Sonea, die für zusätzliche Spannung sorgt. Aber auch die stetig wachsende Gefahr durch die mächtigen Ichani macht das vorliegende Buch zu einem absoluten Pageturner, den man innerhalb kürzester Zeit (leider!) durchgelesen hat, um anschließend zugegebenermaßen in ein ziemliches Loch zu fallen. Doch dieses werden hoffentlich das angekündigte Prequel sowie das dreiteilige Sequel füllen. Ich jedenfalls warte sehnsüchtig auf die Veröffentlichung dieser Bücher und werde mir derweil die Zeit mit Trudi Canavans Fantasyreihe „Age of the five“ vertreiben, die hoffentlich meine Entzugserscheinungen ein wenig mindern kann.

http://www.trudicanavan.com
[Verlagsspezial zur Serie]http://www.randomhouse.de/specialskids/canavan/

[„Priester“ 4275 (Das Zeitalter der Fünf 1)
[„Magier“ 4456 ((Das Zeitalter der Fünf 2)
[„Götter“ 4621 (Das Zeitalter der Fünf 3)
[„Die Rebellin“ 3041 (Die Gilde der Schwarzen Magier 1)
[„Die Novizin“ 2989 (Die Gilde der Schwarzen Magier 2)
[„Die Meisterin“ 3065 (Die Gilde der Schwarzen Magier 3)

James, Peter – Stirb ewig

„Stirb ewig“ ist der spannungsgeladene Auftakt zu Peter James‘ Kriminalreihe um Detective Superintendent Roy Grace, die vor kurzem durch [„Stirb schön“ 3154 fast ebenso packend fortgesetzt wurde:

Der erfolgreiche Unternehmer Michael Harrison steht kurz vor seiner Hochzeit mit der schönen Ashley, als er mit seinen besten Freunden nochmal ordentlich einen trinken gehen und bei seinem Junggesellenabschied auf den Putz hauen möchte. Doch Michael ahnt noch nicht, was für einen perfiden Joke sich seine Freunde mit ihm erlauben wollen, die wollen sich nämlich ein wenig an Michael und seinen schlechten Scherzen der Vergangenheit rächen und planen eine „Beerdigung“ für ihn. Auf einem verlassenen Grundstück haben die Freunde ein Grab ausgehoben und einen passenden Teakholzsarg bereitgestellt, der leider an der Unterseite etwas leck geschlagen ist und Wasser durchlässt. Im betrunkenen Zustand heben sie Michael in den Sarg, drücken ihm eine Taschenlampe, ein Pornoheft, eine Flasche Whiskey und ein Walkie-Talkie in die Hand, bevor sie den Deckel herunterlassen und fest verschrauben. Noch machen die vier Freunde sich keine Sorgen um Michael, denn der ist mit seinem Atemschlauch versorgt und durch das Walkie Talkie direkt mit ihnen verbunden, allerdings wissen sie auch noch nicht, dass sie auf dem Weg zur nächsten Kneipe einen schrecklichen Autounfall haben werden: Drei der Freunde sind auf der Stelle tot, der vierte schwebt in Lebensgefahr und liegt im Koma. Und das lebensrettende Walkie Talkie wird von dem geistig zurückgebliebenen Davey gefunden, der den Ernst der Lage nicht erkennt und das Walkie-Talkie vor seinem Vater versteckt.

Derweil sitzt Michaels Geschäftspartner Mark Warren im Flugzeug und hat aufgrund von Nebel stundenlang Verspätung, sodass er nicht wie geplant am Junggesellenabschied teilnehmen kann. Der Nebel allerdings rettet sein Leben, denn sonst hätte auch Mark im Unfallauto gesessen. Als er von dem schweren Autounfall hört, sieht er seine Chance gekommen: Er behauptet, von dem inszenierten Begräbnis und von Michaels Verbleib nichts zu wissen, insgeheim schmiedet er jedoch ganz andere Pläne, denn der Stachel der Eifersucht nagt tief in ihm, weil Michael schon immer erfolgreicher war. Michael kommt aus guten Verhältnissen und hatte schon immer den deutlich größeren Erfolg beim weiblichen Geschlecht – damit soll nun Schluss sein.

Roy Grace ahnt von diesem verhängnisvollen Zusammenspiel noch nichts, als er vor Gericht steht, um dem Prozess eines Schwerverbrechers beizuwohnen, der daran zu scheitern droht, dass Roy Grace zur Aufklärung des Falles ein Medium hinzugezogen hat. Als die Presse davon Wind bekommt, wird Roy Grace zum Gespött aller Zeitungen, sein Ruf ist ruiniert und seine Chefin ziemlich schlecht auf ihn zu sprechen. Doch auch auf der Suche nach Michael Harrison wird er auf paranormale Hilfe zurückgreifen müssen.

Michael weiß von all diesen Geschehnissen nichts, während er mit steifen Gliedern im Sarg liegt, Hunger und Durst leidet und das Grundwasser im Sarg immer höher steigt. Seine Panik wächst und wächst, doch die mögliche Rettung weiß noch nicht einmal von seiner prekären Lage …

Dies sind die Komponenten für Peter James‘ hochspannenden Thriller, der von dem Moment an mitzureißen weiß, als Michaels Freunde ihren schweren Autounfall haben und Michael hilflos in einem stabilen Sarg begraben liegt, über dessen Verbleib niemand etwas weiß. Was zunächst wie ein Dummer-Jungen-Streich wirkt, wird schlagartig todernst, als Michaels Freunde verunglücken und nur noch eine winzige Hoffnung besteht, dass der schwer verletzte Josh erwacht und Michaels Aufenthaltsort verraten kann. In jeder Minute fiebert man mit Michael mit und hofft, dass Josh erwachen möge, dass Mark es sich vielleicht anders überlegen könnte oder dass Davey sich verraten und damit seinen Vater auf den Plan rufen würde. Doch nichts davon geschieht, Peter James macht in seinem Spannungsroman jede aufkeimende Hoffnung sehr schnell zunichte, wodurch er seinen Spannungsbogen immer weiter ausbaut, sodass man schließlich fingernägelkauend mit dem Buch in der Hand dasitzt und einem Schweißperlen vor Aufregung auf der Stirn stehen. Ich habe selten ein Buch gelesen, das spannender war als „Stirb ewig“. Und das liegt noch nicht einmal an der ausgefeilten Charakterzeichnung, einem überragenden Ermittler oder einer besonders ausgeklügelten Story. Nein, Peter James fügt die Bausteine, die ihm zur Verfügung stehen, klug zusammen und konzentriert sich größtenteils darauf, das Tempo immer weiter anzuziehen – und genau das schafft er meisterlich.

Nach und nach fügen sich die einzelnen Informationen zu einem Ganzen zusammen und hierbei hat Peter James so einige Überraschungen für uns parat, sodass man einige Male ziemlich erstaunt ist angesichts der Wendung, die sich einem beim Lesen eröffnet. Allerdings muss man auch so ehrlich sein und zugeben, dass insbesondere die allerletzte Wendung gen Buchende ein wenig viel des Guten gewesen ist. Dass James uns überraschen will, ist legitim und an den meisten Stellen auch gelungen, aber leider übertreibt der Autor es am Ende ein wenig, sodass die finale Auflösung etwas unrealistisch anmutet. Aber was soll’s – in Anbetracht von gut 300 Seiten Hochspannung mag man ihm dies verzeihen.

„Stirb ewig“ ist der Auftakt zu Peter James‘ Kriminalreihe rund um Roy Grace, der uns hier erstmals präsentiert wird. In diesem Buch erfahren wir einiges zu seiner Person und insbesondere zu seiner Vergangenheit. Vor genau zehn Jahren ist an Roys Geburtstag seine geliebte Frau Sandy spurlos verschwunden, die er seitdem mit allen Mitteln aufzuspüren versucht, selbst wenn es sich bei diesen Mitteln um Medien handelt, die ihn später bei der Polizei in Verruf bringen werden. Peter James‘ Hang zur Esoterik fand ich etwas gewöhnungsbedürftig und ehrlich gesagt auch völlig überflüssig, aber das scheint nun mal sein Markenzeichen zu sein. Nach der Lektüre beider Roy-Grace-Romane muss ich allerdings anmerken, dass Roy Grace im Laufe dieser beiden Romane nur wenig an Profil gewinnt, „Stirb schön“ trägt kaum dazu bei, uns diesen Ermittler besser vorzustellen, das haben andere Autoren vor Peter James schon deutlich überzeugender geschafft.

Verzichtbar fand ich die Nebengeschichte rund um den Strafprozess, an dem Roy Grace ebenfalls beteiligt war. Dieser Prozess hat rein gar nichts mit dem aktuellen Kriminalfall zu tun und lenkt daher nur überflüssig vom eigentlichen Geschehen ab, aber glücklicherweise trat dieser Prozess sehr schnell in den Hintergrund.

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass Peter James mit „Stirb ewig“ ein grundsolider Thriller mit einem hervorragenden Spannungsbogen gelungen ist, der von Beginn an zu fesseln weiß. Auf jeder Seite fiebert der Leser mit dem eingeschlossenen Michael Harrison mit, der erst nach und nach ahnt, in welch prekärer Lage er sich wirklich befindet. „Stirb ewig“ ist spannende Unterhaltung für einige Stunden, die man sich als Thrillerfan nicht entgehen lassen sollte.

http://www.fischerverlage.de/

Sylvain, Dominique – Schöne der Nacht

Endlich hat |List| die junge französische Autorin Dominique Sylvain für sich entdeckt, sodass der bibliophile Leser nun auch in den großartigen Genuss der Lola-Jost-Reihe kommt. Der Verlag selbst macht Werbung für das vorliegende Buch mit den Worten „die Krimientdeckung aus Paris“ und trifft damit ins Schwarze, denn genau das ist es, eine wunderbare Entdeckung, die jedem Krimifreund das Herz höher schlagen lässt! Aber genug der Lobesworte vorweg, beschäftigen wir uns zunächst mit dem Inhalt:

Zu Beginn lernen wir Jean-Luc und die beiden unzertrennlichen „siamesischen Zwillinge“ Farid und Noah kennen, die gemeinsam den Coup ihres Lebens planen. Am frühen Morgen rammen sie mit ihrem Geländewagen eine Wechselstube und rauben diese gründlich aus. Die Beute bei diesem Raubzug ist enorm, insgesamt anderthalb Millionen Euro haben die Räuber eingesackt. Doch Farid hat Erstaunliches mit seinem Anteil vor, er nimmt die 500.000 € und macht sich damit zu seiner Exfreundin Vanessa auf, um diese noch einmal umzustimmen. Besonders Jean-Luc ist schockiert von dieser Wendung, doch kann er noch nicht ahnen, welchen Rattenschwanz an Ereignissen Farids Entscheidung nach sich ziehen wird.

Denn am nächsten Morgen wird Vanessa ermordet aufgefunden. Jemand hat sie erwürgt und ihr fein säuberlich mit einem Beil die Füße abgetrennt. Farid ist apathisch und muss mit vereinten Kräften aus seiner Wohnung gerettet werden. Aber ausgerechnet Vanessas Mitbewohnerinnen Khadidja, die zufälligerweise Farids Schwester ist, und die psychisch labile Chloé finden ihre ermordete Freundin und auch Farids Geld, das in einer Sporttasche neben der Toten liegt. Als die Polizei am Tatort eintrifft, haben die beiden jungen Mädchen das Geld bereits an die Seite geschafft. Jean-Pascal Grousset soll die Ermittlungen im Fall Vanessa Ringer leiten, das wiederum gefällt seinem Mitarbeiter Jérôme Barthélemy überhaupt nicht, da er seinen Vorgesetzten, den er wenig schmeichelhaft den Gartenzwerg nennt, nicht ausstehen kann. Da seine ehemalige Chefin Lola Jost in der Nähe des Tatorts wohnt, eilt er sogleich zu ihr, um ihr von dem Leichenfund zu berichten.

Zunächst ist die pensionierte Lola Jost viel mehr an ihrem 5000-teiligen Puzzle als an dem Mordfall interessiert, als jedoch Maxime Duchamp ins Zielfeuer der Ermittlungen gerät und zum Hauptverdächtigen avanciert, wird Lola auf den Plan gerufen, denn Maxime ist der Küchenchef in ihrem Stammrestaurant und damit für sie unentbehrlich. Aber Lola Jost ist nicht die Einzige, die auf Maxime nicht verzichten kann; auch die blonde Bohnenstange Ingrid Diesel, die Maxime leidenschaftlich gerne massiert und gerne noch viel mehr mit ihm anstellen würde, möchte ihren Angebeteten vor der Justiz retten, da sie fest an seine Unschuld glaubt. So macht sich schließlich dieses unvergleichliche Duo an die Ermittlungen und ist der Polizei stets mindestens einen Schritt voraus …

Zugegeben, das klingt zunächst nach einem ganz alltäglichen Kriminalfall, der sich auch nicht sonderlich von anderen Spannungsromanen abhebt. Doch weit gefehlt; Dominique Sylvain gelingt etwas ganz Seltenes, nämlich die Erschaffung eines Ermittlerduos, das vom ersten Moment an süchtig macht. Während Ingrid Diesels erster Auftritt als verliebte Masseuse noch eher gewöhnungsbedürftig ist, sammelt sie als Partnerin von Lola Jost viele Sympathien. Diese beiden Damen, die ein wenig an Pat und Patachon erinnern mögen, sind es, die mit viel Engagement den Restaurantbesitzer Maxime Duchamp aus den Fängen der Polizei retten wollen. Als Duo sind die beiden Frauen so ungewöhnlich und so sympathisch, dass der Kriminalfall fast ein wenig in den Hintergrund treten mag, wenn die beiden sich vorzugsweise nachts auf die Tätersuche machen und dabei trotz zahnhygienischer Unannehmlichkeiten einige Nächte im Auto schlafen müssen, um dann allerdings am Ende natürlich triumphieren zu können.

Die übergewichtige grauhaarige und bereits pensionierte Ex-Polizistin Lola Jost, die eigentlich ja Marie-Thérèse heißt, entwickelt von ihrem ersten Auftritt an Kultstatus. Forsch, energisch und mit einer gewissen Portion Rücksichtslosigkeit entreißt sie ihrem Nachfolger seinen Fall und spielt ihn dabei an die Wand. Während der Ermittlungen wagt sie sich sogar todesmutig zu ihrem übermotivierten Friseur, der sie schließlich mit einer Volierenfrisur aus seinem Laden entlässt, die aber glücklicherweise dem schlechten Wetter auf den stürmischen und regnerischen Straßen von Paris nicht lange standhalten kann. Doch ist dies für Lola nebensächlich, solange sie durch den Friseurbesuch doch an gewünschte Informationen kommen kann.

Aber auch Ingrid Diesel hat es faustdick hinter den Ohren. Nicht ganz unauffällig schwärmt sie für den gutaussehenden Maxime Duchamp, der leider bereits mit der schönen Khadidja liiert ist, auf die Ingrid schrecklich eifersüchtig ist. Doch was Maxime noch nicht weiß, ist, dass Ingrid als Schöne der Nacht sehr erfolgreich in einer Stripteasebar auftritt, in der sie ihm schließlich auch den Kopf verdrehen kann. Lola und Ingrid ergänzen sich hervorragend zu einem unvergleichlichen Duo, das gemeinsam alle Schwierigkeiten zu meistern weiß und auch dem äußerst verwickelten Mordfall auf den Grund kommen wird.

Und das muss man Dominique Sylvain ebenfalls lassen: Sie schafft nicht nur eine geniale Figurenzeichnung, sie versetzt ihre beiden Krimiheldinnen auch in einen ziemlich gut durchkonstruierten Kriminalfall, in den alle beteiligten Figuren irgendwie verwickelt sind. Beim Lesen mag man zwischendurch zwar etwas den Durchblick verlieren, aber genau das wünscht man sich bei einem guten Krimi ja, sofern am Ende alles aufgeklärt wird. Hier bleiben einfach keine Wünsche offen: Sylvain führt uns auf die eine oder andere falsche Fährte, sie lockt uns mit Informationen, die mehr verheimlichen als offenbaren und die uns dadurch nur umso neugieriger machen. Schon früh wird klar, dass Chloé eine schreckliche Begegnung mit Farid hinter sich haben muss, die sie schließlich psychisch aus dem Gleichgewicht gebracht hat. Denn seitdem sucht sie regelmäßig einen Psychiater auf, der natürlich ebenfalls eine wichtige Rolle spielt. So fügt sich am Ende alles stimmig ineinander und der Leser bleibt staunend und außerordentlich zufrieden zurück.

Aber hier sind wir noch nicht am Ende der Lobeshymne angekommen, denn „Schöne der Nacht“ ist darüber hinaus einfach wunderbar geschrieben. Dominique Sylvain versetzt uns gekonnt in ein verregnetes Paris, in dem etliche Rätsel zu lösen sind. Man fühlt sich dort einfach wohl, hinzu kommt ein äußert feiner Humor, der dem Leser immer wieder ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Am amüsantesten mutet wohl die Ergreifung eines Übeltäters mittels Schnellkochtopf und Cello an, die zu Gehirnerschütterung und Nierenverletzung, aber auch zu einer erfolgreichen Festnahme geführt hat. An diesen Stellen beweist Sylvain viel Sprachgefühl und auch einen Wortwitz, der den vorliegenden Kriminalfall zu einem absoluten Lesevergnügen macht.

So bleibt am Schluss nur festzuhalten, dass „Schöne der Nacht“ für mich in der Tat die angekündigte Krimientdeckung war. Schon jetzt warte ich ungeduldig auf den nächsten Lola-Jost-Fall, den sie hoffentlich wieder gemeinsam mit Ingrid Diesel lösen wird. Dominique Sylvain punktet insbesondere mit ihrer äußerst sympathischen Figurenzeichnung und ihrem wunderbaren Ermittlerinnenduo, das mich immer wieder köstlich amüsiert hat. Aber auch der zu lösende Kriminalfall hat es in sich; hier geht es einige Jahre in die Vergangenheit, viele Rätsel müssen gelöst und sämtliche Figuren in die Handlung einsortiert werden. „Schöne der Nacht“ ist ein Spannungsroman, der das Herz jedes bibliophilen Krimifreundes höher schlagen lässt!

Jodi Picoult – Bis ans Ende aller Tage

Jodi Picoult, eine wahre Meisterin des Spannungsromans, hat mit „Bis ans Ende aller Tage“ ein Buch vorgelegt, das zwar sehr umfangreich ist und auf der Inhaltsebene gar nicht allzu viel zu erzählen hat, aber dennoch von der ersten Seite an fesselt und das man von Anfang an kaum aus der Hand legen kann. In ein Genre lässt sich dieses Buch nur schwerlich einordnen, hier muss (und sollte) sich jeder sein eigenes Bild machen.

Jodi Picoult – Bis ans Ende aller Tage weiterlesen

James, Peter – Stirb schön

Mit „Stirb schön“ veröffentlicht Peter James den zweiten Roman rund um Roy Grace, der bereits in „Stirb ewig“ einen grausigen Fall zu lösen hatte. Peter James ist von Haus aus eigentlich Filmproduzent und versteht es vielleicht auch deshalb besonders gut, seine Leser von der ersten bis zur letzten Seite zu fesseln, ohne sein Publikum zu Atem kommen zu lassen.

Das vorliegende Buch beginnt mit einem Paukenschlag; gleich im ersten Satz lernen wir Janie Stretton kennen, eine wunderschöne und intelligente Jurastudentin, die nebenbei für einen Begleitservice gearbeitet hat. Noch im ersten Absatz teilt James uns mit, dass Janie nicht mehr lange zu leben hat, denn wir begegnen ihr am letzten Tag ihres Lebens. Gleich von Beginn an ist die Zielrichtung also klar. Bevor allerdings Janie ihrem Mörder begegnet, lernen wir auch Tom Bryce kennen, der ein eigenes Unternehmen leitet, das finanziell in der Krise steckt. Doch das ist nicht die einzige Sorge, die Tom quält, denn der Umzug in ein teures neues Heim und die eBay-Sucht seiner geliebten Frau Kellie treiben Tom noch weiter in den Ruin. Hinzu kommen die nervige Pendelei im überfüllten Zug und der fette Mann, der ihm dieses Mal gegenüber sitzt und ganz besonders lautstark telefoniert. Als der dicke Mann aussteigt, bemerkt Tom, dass dieser eine CD-ROM vergessen hat. Tom nimmt diese an sich, ahnt allerdings noch nicht, dass er sich damit viel Ärger eingehandelt hat …

Als Tom Bryce abends besagte CD-ROM in seinen Laptop einlegt und startet, wird er live Zeuge, wie Janie Stretton von ihrem Mörder brutal abgeschlachtet wird. Tom ist schockiert, glaubt jedoch zunächst, einen besonders realistischen Filmtrailer gesehen zu haben. Kurze Zeit später wird ein menschlicher Torso gefunden, der Kopf bleibt jedoch verschwunden. Detective Superintendent Roy Grace beginnt seine Ermittlungen und findet bald heraus, dass es sich bei der ermordeten jungen Frau um Janie Stretton handelt. Nach und nach taucht er in den Fall ein und kommt langsam, aber sicher den Mördern näher, die ihre grausige Tat live ins Internet übertragen haben.

Schneller, als ihm lieb ist, muss Tom Bryce erkennen, dass er nicht nur einen Filmtrailer, sondern einen realen Mord gesehen hat, denn er bekommt Drohmails, die anschließend seine Festplatte löschen. Als er seiner Frau Kellie von diesen erschreckenden Ereignissen erzählt, rät sie ihm, entgegen der Forderung des unbekannten Mailabsenders doch zur Polizei zu gehen. So gibt Bryce sich bei der Polizei schließlich als Mordzeuge zu erkennen, wird diesen Schritt allerdings noch bitter bereuen …

Peter James hat mit „Stirb schön“ einen rasanten und spannenden Thriller vorgelegt, der seine Leser von der ersten bis zur letzten Seite zu fesseln weiß. Von Anfang an legt James ein Tempo vor, dem der Leser sich nicht entziehen kann. Dabei macht er verschiedene Handlungsebenen auf, auf denen sich später die Ereignisse abspielen werden. Ein Schauplatz rankt sich um Tom Bryce und seine Familie sowie seine familiären Probleme. Obwohl er seine Frau über alles liebt, erkennt Bryce doch auch auftauchende Schwierigkeiten, die insbesondere finanzieller Art sind, da seine Frau ihm zuletzt einen mehrere tausend Dollar teuren Grill ersteigert hat.

Eine weitere Erzählebene widmet sich dem Ermittler Roy Grace, dessen Frau Sandy vor einigen Jahren spurlos verschwunden ist. Seitdem sucht Grace verzweifelt nach Spuren, die ihn zu seiner Frau führen könnten. Sobald ein bekanntes Medium die Stadt bereist, besucht er die Aufführung und versucht dort ebenfalls, die Gründe für das Verschwinden seiner Frau zu ergründen. Doch nun hat Grace sich neu verliebt und lässt sich auf Anraten seines Kollegen neu einkleiden, um die angebetete Cleo zu beeindrucken. Und tatsächlich wird das erste Date ein voller Erfolg, nur leider muss Grace später erfahren, dass er offensichtlich nicht der einzige Mann in Cleos Leben ist. Im Laufe der Geschichte kann Roy Grace beim Leser jede Menge Sympathiepunkte sammeln und wird so zu einer hoffentlich festen Größe in Peter James‘ Spannungsromanen.

Aber auch die Ermittlungen selbst nehmen natürlich einen großen Raum im Buch ein. Ein wichtiger Punkt ist hierbei Tom Bryces Laptop, auf dem Spuren nach den unbekannten Betreibern der Snuff-Homepage gesucht werden. Die Polizei lässt ihre besten Computerspezialisten ans Werk gehen, doch auch diese stehen dem Laptop ziemlich ratlos gegenüber. Auch Janie Strettons bewegtes Leben wird genau unter die Lupe genommen, wobei die Polizei recht bald auf einen Freier stößt, mit dem Janie in der Zeit vor ihrem Tod mehrere Verabredungen hatte und der dadurch zu einem der Verdächtigen wird. Ein großes Rätsel stellt auch der tote Skarabäus dar, der in der Leiche gefunden wird. Was will der Mörder damit sagen?

Während die Polizei lange Zeit im Dunkeln tappt, nähern die Verbrecher sich mit rasenden Schritten Tom Bryce und seiner Familie, die immer wieder bedroht werden und ganz offenbar im Zielkreuz stehen. Am Ende ist die Polizei so verzweifelt, dass sie sogar ein Medium zurate ziehen, das per Auspendeln bei der Auflösung des Mordfalles helfen soll.

Peter James eröffnet zahlreiche Handlungsstränge, zwischen denen er in rasantem Tempo hin- und herschaltet, um die Spannung immer weiter zu steigern. Zwischendurch kann man allerdings leicht den Überblick über alle ermittelnden Polizeibeamten verlieren, die größtenteils mit familiärem Anhang vorgestellt werden, sodass ich mir nur einen Bruchteil der Figuren überhaupt merken konnte. In Anbetracht des eher geringen Buchumfangs hätte Peter James sich durchaus auf einige wenige Ermittler beschränken und diese umso besser vorstellen können. Aufgrund der Fülle der auftauchenden Figuren erhalten nur die wichtigsten ein eigenes Profil, auf die anderen Charaktere hätte man daher größtenteils auch gut verzichten können.

Insgesamt bleibt aber definitiv ein positiver Gesamteindruck zurück, da Peter James es ausgesprochen gut versteht, seine Leser ans Buch zu fesseln und gekonnt zu unterhalten. „Stirb schön“ reicht sicherlich nicht an großartige Thriller wie „Das Schweigen der Lämmer“ und Co. heran, dennoch habe ich das Buch sehr gerne gelesen und werde mit Sicherheit wieder zu einem Buch von Peter James greifen. „Stirb schön“ ist genau das Richtige für dunkle, verregnete und ungemütliche Winterabende, bei denen man es sich mit einem spannenden Buch auf dem Sofa gemütlich machen möchte.

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Thomas Harris – Hannibal Rising

Thomas Harris‘ Hannibal-Trilogie (mittlerweile muss man wohl Quatrologie sagen) schlug im Thriller-Genre ein wie eine Bombe. Hannibal Lecter ist der Prototyp des wahnsinnigen und intelligenten Bösewichts, der grausamer ist als viele seiner „Kollegen“ und oft kopiert, aber bislang selten (gar nicht?) erreicht wurde. Auch die Verfilmungen der drei Romane waren erfolgreich wie kaum andere Thrilleradaptionen, der Film zum zweiten Teil [„Das Schweigen der Lämmer“ 354 wurde nicht zu Unrecht als bester Film ausgezeichnet und hat in diesem Genre Maßstäbe gesetzt, die natürlich auch auf dem Erfolg des gelungenen Buches fußen.

Wie so oft, wollen Autoren ihre erfolgreichen Reihen fortsetzen, solange sich damit noch Geld machen lässt, doch leider können diese Fortsetzungen oder auch Sequels/Prequels oft genug nicht adäquat an die Erfolge der Vorgängerromane anknüpfen. Dies ist leider auch bei „Hannibal Rising“ der Fall. Doch beginnen wir am Anfang:

Zur Zeit des zweiten Weltkrieges leben der junge Hannibal Lecter und seine kleine Schwester Mischa zusammen mit ihren Eltern in der Burg Lecter in Litauen. Der einstige Reichtum der traditionsreichen Familie Lecter ist bereits vergangen, die Gemälde und Schätze der Burg Lecter wurden gestohlen und werden Hannibal zu späteren Zeiten erneut begegnen. Nazis treiben ihr Unwesen in der Gegend, und nachdem Hannibals Eltern ums Leben kamen, sind Hannibal und die kleine Mischa auf sich alleine gestellt. Als sich einige Deserteure bei den Lecters einquartieren, erlebt Hannibal die bislang schlimmste Zeit seines Lebens. Seine Schwester und er werden von den Deserteuren gequält, doch schließlich kann Hannibal entkommen.

Als man den inzwischen stummen und verstörten Jugendlichen findet, bringt man ihn in ein Waisenheim, wo Hannibal von schweren Albträumen heimgesucht wird. Seine Schwester Mischa dagegen ist verschwunden und Hannibal kann sich an nichts erinnern. Nachts quälen ihn böse Gedanken, die ihn zurück in eine düstere Scheune und zurück zu seiner Schwester führen. Doch tagsüber lässt Hannibal diese Gedanken nicht zu, aus Angst, mit ihnen nicht fertig werden zu können.

Hannibals Onkel und seine schöne japanische Frau, die Lady Murasaki, nehmen den Jungen zu sich nach Frankreich, wo Hannibal endlich wieder im Kreise seiner Familie leben kann. Hannibal fühlt sich immer mehr zu Lady Murasaki hingezogen und rächt die japanische Dame auf grausame Weise, als diese empfindlich beleidigt wird. Der Junge überspringt einige Jahre in der Schule und beginnt in jungen Jahren sein Medizinstudium, in dem er seine besonderen Talente in der Anatomie entdeckt. Nachdem er sich durch eine Wahrheitsdroge an die Dinge erinnern kann, die seiner geliebten Schwester angetan wurden, sinnt Hannibel auf Rache und wird zu dem uns bekannten Kannibalen …

Thomas Harris‘ Ansinnen, uns Hannibal Lecters Wandlung zum Kannibalen zu erklären, ist gar nicht so verkehrt. Natürlich interessiert es den Fan der vergangenen drei Bände, wie Hannibal Lecter zu dem brutalen und berechnenden Monster werden konnte, als das wir ihn ab dem „Roten Drachen“ antreffen. Doch leider verpackt uns Thomas Harris diese spannenden Informationen in einem Roman, der jeglichen Spannungsbogen vermissen lässt und mir schier endlos vorkam. Stilistisch fällt „Hannibal Rising“ damit völlig aus dem Rahmen und will sich so gar nicht in die Hannibal-Reihe einfügen. Harris bemüht sich in diesem Prequel, uns Hannibal als kleinen noch unschuldigen Jungen zu präsentieren, der glücklich in seiner Familie aufwächst und einen Narren an seiner kleinen Schwester gefressen hat. Doch diese menschliche Seite ist es gar nicht, die man uns noch vorstellen muss, da wir diese durchaus kennen. Immerhin hat Hannibal gegenüber Clarice Starling schon oft genug Sympathie und menschliche Gefühle gezeigt.

Hannibals schlimme Kindheit breitet uns Thomas Harris in nahezu epischer Breite aus, ohne dabei aber auf den Punkt zu kommen. Immer wieder deutet Harris an, dass Mischa etwas Schreckliches passiert sein muss, doch kann man als Leser natürlich bereits ahnen, was die Deserteure mit ihr angestellt haben müssen, um Hannibals Wandlung zu einem Kannibalen zu erklären. Die stärksten Szenen im Buch sind meiner Meinung nach diejenigen, als wir den kleinen Hannibal als verstörten und stummen Jungen im Waisenheim treffen, der von Alpträumen geplagt wird und sich ständig fragt, was bloß aus seiner Schwester geworden ist, die auf mysteriöse Weise verschwand. In manchen Situationen blitzt bereits Hannibals aggressiver Charakter hervor, doch dominiert hier noch Hannibals verletzliche Seite, die schlussendlich zu seiner grausamen Wandlung führt.

Leider häufen sich im weiteren Verlauf des Buches die Ungereimtheiten, die uns kaum oder gar nicht erklärt werden. Mir ist beispielsweise Hannibals merkwürdige Liebe zu Lady Murasaki, die scheinbar auch noch erwidert wird, nicht wirklich klar geworden. Wieso die glücklich verheiratete Lady Murasaki sich zu einem Jugendlichen hingezogen fühlt, von dem sie weiß, dass er mindestens ein Menschenleben auf dem Gewissen hat, lässt Thomas Harris weitgehend im Dunkeln.

Insgesamt zieht sich der Plot zäh wie Kaugummi und mag nicht so recht mitreißen. Hannibals spätere Seelenqualen lassen uns bei der Lektüre ziemlich kalt, seine Charakterzeichnung fand ich in allen drei anderen Romanen weitaus faszinierender und authentischer. Wie Hannibal zum Kannibalen werden konnte, lässt sich praktisch in einem Satz zusammenfassen, doch nimmt Thomas Harris sich 345 Seiten lang Zeit, um uns dies in allen Einzelheiten darzulegen. Mich konnte diese Vorgehensweise nicht überzeugen, zumal ich den Stilbruch nicht gelungen fand. Von Thomas Harris und von Hannibal Lecter erwarte ich packende und gruselige Spannung, da erwarte ich einen Roman, der mich von der ersten Seite an mitreißt und mir kalte Schauer über den Rücken laufen lässt. Nichts davon ist bei „Hannibal Rising“ eingetreten. Schade, aber ich fand Thomas Harris‘ Versuch, uns Hannibal Lecters Vergangenheit näher zu bringen, ziemlich misslungen und hoffe nun eher auf eine Fortsetzung, die sich wieder Hannibals Zukunft widmet.

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Hawking, Stephen / Mlodinow, Leonard – kürzeste Geschichte der Zeit, Die

Wissen ist „in“! Heutzutage gilt es nicht mehr als schick, wenn man von der Relativitätstheorie noch nie etwas gehört hat, wenn man nicht weiß, wieso der Himmel blau ist, oder nicht einmal eine ungefähre Ahnung davon hat, warum Flugzeuge sich in der Luft halten können. Der Wissenschaftsjournalismus boomt mehr denn je, im Fernsehen häufen sich die Wissens-Sendungen, die für Cleverness beim Zuschauer sorgen sollen, aber auch die erfolgreichen Tages- und Wochenzeitungen geben ihre eigene Wissenschaftszeitschrift heraus. Da wundert es nicht weiter, dass auch Stephen Hawking, der sich nicht nur einen Namen als theoretischer Physiker, sondern auch als Wissenschaftsautor gemacht hat, seine ehemals „kurze Geschichte der Zeit“ in aktualisierter und noch stärker vereinfachter Form herausbringt.

„Die kürzeste Geschichte der Zeit“ widmet sich den modernen Theorien der Physik und bringt diese dem interessierten Leser ganz ohne Formeln näher. Stephen Hawking führt uns zurück an den Anbeginn der Zeit, als sich sämtliche Materie bzw. Energie der Welt in einem Punkt vereinigt befand und es dann zum so genannten Urknall kam. Seit dem Urknall dehnt sich das Universum aus und kühlt sich immer weiter ab. Dass dem so ist, haben Experimente bewiesen, was uns Hawking ebenfalls eindrucksvoll vor Augen führt.

Auch die spezielle und die allgemeine Relativitätstheorie stellt uns Stephen Hawking vor, indem er die wesentlichen Argumente der beiden Theorien herauspickt und uns diese phänomenologisch verdeutlicht. Hawking spricht von Relativität von Raum und Zeit, er zeigt uns, dass unsere Welt aus mindestens vier Dimensionen besteht, nämlich aus den drei bekannten Raumdimensionen und der Zeitdimension. Wir erfahren, was unter dem Zwillingsparadoxon zu verstehen ist und warum Reisen folglich jung hält. Auch dass Räume gekrümmt sind und der direkte Weg nicht immer der kürzeste ist, lernen wir auf fast spielerische Art und Weise.

Natürlich versäumt Stephen Hawking es auch nicht, uns einige aktuelle Bestrebungen der Forscher vorzustellen, wie die Suche nach der großen vereinheitlichenden Theorie. Ganz nebenbei erfahren wir, woran eine Theorie meistens scheitert, nämlich am Unendlichen. Am Ende widmet sich Stephen Hawking der Stringtheorie, die davon ausgeht, dass Teilchen als Strings vorliegen, die Längen-, aber keine Breitenausdehnung haben. Warum diese Theorie nur für einen 10- oder 26-dimensionalen Raum widerspruchsfrei ist, habe ich zwar nicht verstanden, aber die Erklärung dafür bleibt uns Hawking auch – glücklicherweise – schuldig.

Abgerundet wird das Buch durch drei Kurzbiografien und ein Glossar, in dem die wichtigsten Begriffe des vorliegenden Buches noch einmal kurz, knapp und verständlich erklärt werden.

Stephen Hawking schafft auf weniger als 180 Seiten einen Rundumschlag über die gesamte moderne Physik. Ganz ohne Formeln und in einfachen und verständlichen Worten führt er uns sämtliche wichtigen Theorien vor Augen, an denen aktuell geforscht wird oder die zu entscheidenden Durchbrüchen in der Wissenschaft geführt haben. Hawking bricht dabei auch die komplizierteste Physik auf ein Niveau herunter, welches auch ein Nicht-Physiker leicht verstehen kann. Das führt allerdings dazu, dass Hawking sich bei seinen Ausführungen auf die wesentlichen Punkte einer Theorie beschränken muss und nie in die Details gehen kann. Der Leser erhält einen oberflächlichen, aber dennoch sehr faszinierenden Überblick über aktuelle Forschungsthemen.

„Die kürzeste Geschichte der Zeit“ richtet sich dabei an interessierte Laien, die kurz und knapp darüber informiert werden möchten, woran Physiker heutzutage forschen, mit welchen Problemen sie konfrontiert sind und wieso Relativitätstheorie und Quantenmechanik sich eigentlich widersprechen. Vorkenntnisse sind zum Verständnis des Buches eigentlich nicht erforderlich, da Hawking sich auf phänomenologische Ausführungen beschränkt und nie so weit ins Detail geht, dass der Nicht-Physiker aussteigen müsste. Ganz im Gegenteil, an manchen Stellen fand ich Hawkings Schilderungen fast schon zu simpel, denn dass Wellen aus Hügeln und Täler bestehen, muss man nicht dreimal innerhalb kürzester Zeit wiederholen, damit der Leser es versteht. Aber das trübt den Gesamteindruck des Buches nicht wirklich.

Absolut faszinierend fand ich, mit welcher Leichtigkeit Stephen Hawking selbst die komplizierteste Physik so darstellen kann, dass der Leser gar nicht merkt, wie schwierig das in Wirklichkeit ist, was er hier gerade präsentiert bekommt. Mit seiner spektakulären Themenwahl schafft er es außerdem, noch mehr Interesse an der Physik zu wecken, denn gerade die Fragen nach dem Ursprung der Zeit oder der Entwicklung des Universums verleiten zu weiteren Spekulationen, denen der Leser sich nach der Lektüre hingeben kann.

Auch optisch sticht das Buch ins Auge, denn die „kürzeste Geschichte der Zeit“ ist auf glänzendem Papier gedruckt, auf dem die Grafiken besonders gut zur Geltung kommen. In zahlreichen Abbildungen wird das verdeutlicht, was Stephen Hawking uns in Worten erklärt. Etwas befremdlich fand ich, dass der Autor selbst auf vielen der Bilder zu sehen ist, aber vielleicht gehört das zum Hawking’schen Humor?!

Insgesamt ist „Die kürzeste Geschichte der Zeit“ ein faszinierender, spannender und leicht zu lesender Überblick über die moderne Physik, der sich an interessierte Laien richtet. Ein studierter Physiker erfährt zwar nicht wirklich etwas Neues, aber trotzdem kann man sein eigenes Wissen noch einmal auf den neuesten Stand bringen und gerade, wenn es um Themen wie die Stringtheorie geht, kann eigentlich fast jeder nur dazulernen, denn wer hat die schon wirklich verstanden? Unter dem Strich bleibt ein äußerst positiver Eindruck zurück, auch wenn ich wohl eher nicht zur Zielgruppe des Buches gehöre.

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Cassar, Jon – 24 – Twenty-Four: Behind the Scenes

Gibt es zurzeit eine Serie, die ein höheres Suchtpotenzial hat als „24“? Eine Serie, die packender ist und spannender, eine andere Serie, die es schafft, die Zuschauer für gut 18 Stunden fast permanent an den Fernseher zu fesseln? Ich kenne momentan keine und muss gestehen: Ich bin süchtig – süchtig nach „24“, süchtig nach einer Serie, die aufregend ist wie keine andere, süchtig nach einer Serie, die eine ungeahnte Faszination auf mich ausübt, die ich nie für möglich gehalten hätte. Noch vor wenigen Monaten dachte ich, dass ich all dem widerstehen könnte, die erste Staffel habe ich mit großer Skepsis eingeschaltet und doch dauerte es keine zwei Stunden, bis ich gefesselt vor dem Fernseher saß und auch meine Mahlzeiten vor den Fernseher verlegen musste. Doch eines wusste ich damals noch nicht: Nach der ersten Staffel kommt es noch „schlimmer“, die Staffeln werden besser und besser …

Doch was genau ist „24“ eigentlich? Es mag ja durchaus Menschen geben, die bisher das Glück hatten, die Serie noch nicht für sich zu entdecken. Glück deshalb, weil diese Menschen die Chance haben, alle bislang abgedrehten fünf Staffeln noch völlig unvoreingenommen anzuschauen. Darum beneide ich sie!

„24“ ist eine Serie, die in Echtzeit gedreht wurde. Hier ist der Name Programm, denn wir erleben 24 Stunden im Leben des Jack Bauer (großartig: Kiefer Sutherland) mit, der für die CTU (Counter Terrorist Unit) arbeitet und seltsamerweise immer in überaus gefährliche Situationen gerät. Grob gesagt geht es in jeder Staffel erneut darum, die Welt oder doch zumindest die USA zu retten. Und so viel sei verraten: Jack Bauer schafft es ein ums andere Mal, sonst würden wir ihn nicht aktuell in der nunmehr fünften Staffel erleben. Das Faszinierende an „24“ ist es, dass am Ende jeder einzelnen Folge, die jeweils eine Echtzeitstunde dauert (abzüglich der Werbepausen bleiben auf DVD leider nicht viel mehr als 40 Minuten übrig), ein Cliffhanger auf uns wartet, der es in sich hat. So wird man dazu verführt, eine Staffel praktisch ohne Unterbrechungen anzuschauen. Suchtpotenzial pur!

Um meine Entzugserscheinungen zwischen den einzelnen Staffeln etwas zu beheben, kam „24 – Behind the Scenes“ genau richtig. Dieses Buch bietet dem Fan eine riesige Auswahl an bislang nicht gezeigten Bildern, die jeweils mit passenden Hintergrundinformationen versehen sind, sodass man auch erfährt, was hinter den Kulissen passiert ist, welche Freundschaften oder Liebesbeziehungen entstanden sind und wie Kiefer Sutherland sich eigentlich auf seine atemberaubende Rolle eingestimmt hat.

Jeder Staffel sind etliche Seiten gewidmet, auf denen die spannendsten Geschehnisse noch einmal eindrucksvoll in Szene gesetzt sind; hier kann man alle entscheidenden Ereignisse noch einmal Revue passieren und sich in die Welt von „24“ entführen lassen. Neben den wichtigsten filmischen Situationen gehört aber insbesondere den Darstellern der jeweiligen Staffeln viel Raum. Wir sehen sie hier auf Fotos aus den Drehpausen und dabei teilweise in sehr ungewohnten Posen. Außerdem erfahren wir, wie inhaltliche Entscheidungen getroffen wurden, die teilweise nicht unumstritten waren.

Durch das große Format dieses üppigen Bildbandes wirken die einzelnen Farbaufnahmen einfach wunderbar, auch das Glanzpapier trägt zum optischen Genuss jedes Fotos bei. Auf den Bildern erfahren wir beispielsweise, dass Kiefer Sutherland offensichtlich ziemlich nikotinsüchtig ist, da es kaum ein Bild gibt, auf dem er gerade nicht raucht. Wahrscheinlich ist er also der Schauspieler, der die Drehpausen am dringendsten herbeigesehnt hat. Und obwohl der überragende Kiefer Sutherland natürlich ganz klar im Mittelpunkt des Buches steht, da die Serie ohne den schlichtweg coolen Jack Bauer einfach nicht funktionieren würde, kommen auch all die anderen – nicht minder wichtigen – Schauspieler nicht zu kurz. Hier sehen wir auch Darsteller, die in der Serie bereits sterben mussten (nein, ich werde nicht verraten, um wen es sich dabei handelt, diese Spannung will ich niemandem nehmen!) und die am weiteren Erfolg der Serie nicht mehr teilhaben konnten.

Leider gibt es allerdings auch einige Kritikpunkte, die ich nicht unter den Tisch kehren mag, auch wenn ich mich gerne heiß und innig in diesen schönen Bildband verliebt hätte: Der Teil „behind the scenes“, der im Buchtitel immerhin viel Raum einnimmt, kommt in diesem Buch leider deutlich zu kurz. Die Bildunterschriften sind meistens eher knapp gehalten und wir erfahren wenig Dinge, die wir bislang noch nicht wussten. Meistens müssen die Bilder für sich sprechen (was bei der hohen Bildqualität auch durchaus sehenswert ist), allerdings hätte ich mir noch mehr Anekdoten und Hintergrundgeschichten gewünscht.

Was aber am schwersten zum Tragen kommt: „24 – Behind the Scenes“ kommt zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt auf den deutschen Markt, zu einer Zeit nämlich, in der es die DVD zur fünften Staffel noch nicht auf Deutsch zu kaufen gibt und die meisten 24-Fans diese Staffel noch nicht kennen dürften. Dass das ein gravierendes Problem ist, beweist schon ein Blick auf den Klappentext, der eine Neuigkeit offenbart, die mir nach dem Anschauen der ersten vier Staffeln noch nicht bekannt war. In diesem Bildband werden die bisher abgedrehten Staffeln inhaltlich sehr ausführlich dargestellt, hier werden die Bösewichte vorgestellt, wir erfahren, worum es sich in der jeweiligen Staffel drehte, welche Schwierigkeiten zu meistern und welche lebensbedrohlichen Situationen zu überstehen waren. Diese ausführliche Darstellung gefiel mir für die ersten vier Staffeln sehr gut, da sie dazu beigetragen hat, dass ich meine Erinnerung an jede Staffel noch einmal auffrischen konnte, allerdings sollte man diesen Bildband nur dann in die Hand nehmen und lesen, wenn man alle fünf Staffeln kennt, da man sonst viele Einzelheiten verraten bekommt, die man viel lieber selbst entdeckt hätte.

Nichtsdestotrotz muss man diesem opulenten Bildband zugute halten, dass er uns beim Lesen und Durchblättern wieder hervorragend in die Serie hineinversetzt. Beim Anschauen der Bilder habe ich mich an Szenen der einzelnen Staffeln erinnert und richtig Lust darauf bekommen, die DVDs wieder in den Player zu schieben, um zumindest die Staffeln 2, 3 und 4 gleich noch einmal zu sehen.

Wer sich oder andere also mit diesem schönen Bildband zu Weihnachten beschenken möchte, sollte jedem 24-Fan raten, den Klappentext auszulassen und nur die Seiten zu den schon bekannten Staffeln zu lesen. Dann wird man jedem Fan der Serie mit diesem eindrucksvollen Bildband sicherlich eine große Freude machen!

[Infoseite des Verlags]http://www.schwarzkopf-schwarzkopf.de/vorschau/24twentyfourbehindthescenes.html

Hesse, Andree – andere Blut, Das

Der deutsche Autor Andree Hesse hält mit seinem zweiten Kriminalroman „Das andere Blut“ die Fahne deutscher Kriminalautoren hoch und braucht sich auch mit dem zweiten Teil seiner Arno-Hennings-Reihe nicht vor der internationalen Konkurrenz zu verstecken. Noch eins vorweg: Auch wenn sich das ganze Buch um Pferde dreht und nebenbei ein Pferderipper gesucht wird, lässt sich „Das andere Blut“ auch dann hervorragend lesen, wenn man keine Pferde mag und früher nicht die „Wendy“ abonniert hatte. Ich mag keine Pferde und fand das vorliegende Buch trotzdem spannend, gut konstruiert, unterhaltsam und sehr gelungen!

_Hoppe, hoppe Reiter_

In der kleinen niedersächsischen Stadt Celle geht ein Pferderipper um, der Pferde absichtlich quält. Auch die Stute Gypsy der jungen Schülerin Kira von Helsen ist Opfer des Pferderippers geworden, der ihr einen Ast in die Vagina gebohrt und sie dadurch innerlich aufgerissen hat. Kira ist erschüttert und will den Pferderipper auf eigene Faust stellen. Doch überlebt sie die einsame Nacht auf der Pferdekoppel nicht.

Arno Hennings und seine polnische Freundin Aglaja, die sich nach ihrem schrecklichen Fahrradunfall in Celle von ihren Verletzungen erholt, verbringen den Abend bei Arnos Kollegen Karsten Müller, der die Einweihungsparty in seinem neuen (unfertigen) Haus feiern möchte. Doch Arno ist gar nicht nach feiern zumute, denn nachdem Aglaja ihm eröffnet hat, dass sie vielleicht ein Kind von ihm erwartet, ärgert Arno sich immer noch über seine verhaltene Reaktion und wundert sich gleichzeitig darüber, dass er sich darüber freuen würde, wenn Aglaja tatsächlich schwanger wäre. Auf der Party erhält Arno einen Anruf von einem ehemaligen ungeliebten Klassenkameraden, der nun auch bei der Celler Polizei arbeitet. Auf einer Pferdekoppel wurde eine merkwürdige Opferstätte entdeckt, die Arno sich nun ansehen soll. Dort angekommen, stöbert seine Hündin Basta allerdings etwas viel Schrecklicheres auf, nämlich die Leiche Kira von Helsens, die kopfüber in einem wassergefüllten Graben liegt.

Kurz nach dem Leichenfund verdichten sich die Verdachtsmomente gegen Kiras Klassenkameraden Simon Funke, der vor der Polizei flüchtet und spurlos verschwindet, aber auch Simons Bruder Manuel, der beim Celler Landgestüt arbeitet, scheint etwas zu verbergen zu haben. Als kurz darauf ein totes Pony auftaucht und jemand Selbstmord begeht und mit einem dubiosen Abschiedsbrief gefunden wird, suchen Hennings und seine Kollegen Verbindungen zwischen den Verbrechen und entdecken dabei immer mehr Hinweise, die zum Celler Landgestüt führen und weit in die Vergangenheit reichen …

_Im (Schweins-)Galopp durchs Buch_

Mit „Das andere Blut“ ist Andree Hesse ein packender und gut durchkonstruierter Kriminalroman gelungen, der den Leser von der ersten Seite an fesselt. Seinem Buch vorangestellt ist ein Prolog, der über einen mutmaßlichen Unfall (oder war es doch ein Verbrechen?) von der berühmten Hengstparade berichtet, bei dem der beliebte Ringo ums Leben kommt. Dort lernen wir auch Jürgen Schmohl kennen, dem offensichtlich ebenfalls einiges Ungemach droht und der das vorliegende Buch nicht überleben wird.

18 Jahre später trifft die 18-jährige Kira von Helsen auf einer Pferdekoppel ihren Mörder, der sie bewusstlos schlägt und kopfüber im Wasser liegen lässt, bis Kira schließlich ertrinkt. Schnell entdeckt Arno Hennings eine Spur, die zu einem von Kiras Freunden führt, der Hals über Kopf vor der Polizei flüchtet, als diese ihn stellen will. Simon wird dadurch zu einem dringenden Tatverdächtigen, sodass andere Spuren zunächst in den Hintergrund treten.

Doch Andree Hesse hält noch einige weitere Überraschungen für uns parat, denn der Fall ist nicht so eindimensional und simpel, wie wir anfangs vermuten könnten. Alle auftauchenden Personen spielen eine entscheidende Rolle in diesem Spiel, und schlussendlich wird uns offenbart, dass bereits zig Jahre vor Kiras Ermordung die Weichen gestellt wurden, für alles, was noch folgen würde. Hesse schafft es dabei, uns ganz allmählich mit den Figuren bekannt zu machen, die in das Verbrechen verwickelt sind. Nach und nach spielt er uns Hinweise zu, die uns zum Miträtseln animieren und dafür sorgen, dass wir immer neue Vermutungen anstellen und selbst einen Täter erraten können.

Die Verstrickungen, die uns Andree Hesse zu präsentieren hat, sind nicht ganz leicht zu durchschauen, sodass man schon genau lesen und mitdenken muss, um am Ende mit einem Aha-Erlebnis belohnt zu werden, bei dem schließlich alles seinen Sinn ergibt. Andree Hesse gelingt es dabei ganz wunderbar, seine Leser bei Stange zu halten und immer nur so viel zu offenbaren, dass die Spannung stetig zunimmt und man unweigerlich so schnell wie möglich weiter lesen will. Dadurch wird „Das andere Blut“ zu einem unterhaltsamen und packenden Lesevergnügen, das auch bei seiner Auflösung am Ende zu überzeugen weiß – denn nichts ist so, wie es scheint …

_Tierisch gute Charaktere_

Auch in seiner Charakterzeichnung beweist Andree Hesse viel Fingerspitzengefühl. Wir lernen Arno Hennings noch besser kennen und erleben mit, wie seine Freundin Aglaja von ihrer Vermutung erzählt, dass sie schwanger sein könnte. Wir leiden mit, wenn er Aglaja durch sein Verhalten wieder einmal vor den Kopf stößt und auch dann, wenn Arno mit einem ungeliebten ehemaligen Schulkameraden konfrontiert wird, der seine Fehler auf andere abwälzen und damit Arno Hennings schaden will. Arno Hennings weist dabei einige Charakterzüge auf, die wir auch von Mankells Wallander kennen, dennoch grenzt Hesse seinen Krimihelden gut genug von seinem schwedischen Vorbild ab, sodass die Parallelen nicht zu offensichtlich werden. Auch Hennings ist nicht perfekt, er leidet unter Beziehungsproblemen und ab und an auch unter seiner Familie. Aber gerade diese kleinen Fehler sind es, die Hennings menschlich und sympathisch wirken lassen.

Ein weiterer Sympathieträger ist Hennings‘ Kollege Müller, der Arno Hennings meist bei seinen Ermittlungen begleitet und sich dabei als kompetent, nett und hilfsbereit erweist. Bei Müller ist jedoch nicht alles eitel Sonnenschein; kurz nach der Einweihungsparty steht der Gerichtsvollzieher vor der Tür, woraufhin Müllers Frau und Kinder ausziehen und Müller auf seinem Schuldenberg alleine sitzen lassen.

Eventuell könnte man Hesse vorwerfen, dass er uns zu viele Figuren vorstellt, die alle irgendwie miteinander zusammenhängen. Das mag an mancher Stelle etwas unglaubwürdig wirken, aber es gehört zu Hesses Konstruktion dazu und sorgt schlussendlich auch für einige Überraschungen.

_Aufs richtige Pferd gesetzt_

Obwohl ich kein sonderlich gutes Verhältnis zu Pferden habe, hat mir „Das andere Blut“ ausgesprochen gut gefallen. Die Informationen über Pferde, Reiten und die berühmte Hengstparade hielten sich glücklicherweise in Grenzen, sodass auch ich gut unterhalten wurde. Was es mit dem Buchtitel auf sich hat, erklärt uns Andree Hesse erst so spät im Buch, dass ich darüber nichts verraten möchte.

Pluspunkte sammelt Hesse in seiner sympathischen Charakterzeichnung und vor allem durch seinen gelungenen Spannungsaufbau, der von Beginn an einsetzt und keine Langeweile aufkommen lässt. Hesses zweiter Kriminalroman ist klug inszeniert und wartet am Ende mit ein paar Überraschungen auf, mit denen man wahrscheinlich nicht gerechnet hatte. Insgesamt gefiel mir Andree Hesses zweiter Kriminalroman sogar noch besser als der vielversprechende Erstling, sodass ich mich schon sehr auf den nächsten Celle-Krimi freue!

|Ergänzend: [„Der Judaslohn“ 1213 |
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Canavan, Trudi – Novizin, Die (Die Gilde der Schwarzen Magier 2)

Band 1: [„Die Rebellin“ 3041

Einige Zeit ist verstrichen, seit Sonea bei der alljährlichen Säuberung einen Stein gegen einen Magier geschleudert und damit überraschenderweise die Schutzbarriere der Magier durchbrochen hat. Viel ist im Leben des jungen Mädchens aus den Hüttenvierteln passiert, seit sie entdeckt hat, dass magische Fähigkeiten in ihr schlummern, die bislang unentdeckt geblieben sind. Mit diesem Überraschungsangriff auf die |Gilde der Schwarzen Magier| begann Trudi Canavans fantastische Trilogie um das arme Mädchen aus den Hüttenvierteln, das in der Gilde aufgrund ihrer Herkunft verachtet wird. Inzwischen hat Sonea sich dazu entschlossen, der Gilde beizutreten und zu lernen, ihre magischen Fähigkeiten einzusetzen.

Zu Beginn des vorliegenden Buches wird Sonea offiziell als Novizin in die Gilde der Schwarzen Magier aufgenommen, der Alchemist Rothen wird ihr Mentor und damit beginnt Soneas ereignisreiche Lehrzeit in der Schule. Zunächst wird sie von ihren Mitschülern nur links liegen gelassen; als der Novize Regin Sonea jedoch offen seine Feindschaft zeigt und nach und nach alle Novizen ihres Jahrgangs auf seine Seite zieht, steht Sonea nicht nur ohne Freunde da, sondern sie wird auch permanent Opfer von Regins üblen Attacken. Als er einen wertvollen Gegenstand in ihrer Tasche versteckt, wird Sonea öffentlich als Diebin beschuldigt, doch noch schlimmer trifft es Sonea, als Regin böse Gerüchte streut und behauptet, ihr Mentor Rothen würde sie missbrauchen. Diese Anschuldigungen führen so weit, dass Sonea schlussendlich resignieren muss und ins Novizenquartier einzieht, wo sie Regin noch weniger entfliehen kann als in Rothens Haus.

Noch schlimmer lastet aber ein anderes Wissen auf Sonea: Als sie einst mit ihrem Freund Cery in die Gilde geschlichen ist, konnte sie den Hohen Lord Akkarin bei merkwürdigen Handlungen beobachten. Bei einer Wahrheitslesung stellt der Administrator Lorlen fest, dass sein bester Freund Akkarin sich schwarzer Magie bedient und seine Kraft durch diejenige unschuldiger Menschen stärkt. Dieses Wissen schweißt Lorlen, Sonea und ihren Mentor Rothen zusammen, da sie wissen, dass nicht einmal die gesamte Gilde mächtig genug ist, um gegen Akkarin vorzugehen. Doch die drei haben die Rechnung ohne Akkarin gemacht, der so mächtig ist, dass er die Gedanken anderer Magier lesen kann, ohne dass diese es merken. So kann er bald die Verschwörung gegen ihn aufdecken und zieht seine eigenen Konsequenzen daraus …

Von all dem ahnt Rothens guter Freund Dannyl nichts, der als Botschafter in fremde Länder reist. Von Lorlen hat er den Auftrag bekommen, die Spuren Akkarins nachzuverfolgen, der vor etlichen Jahren ebenfalls in fremde Länder gereist ist und dort offensichtlich die schwarze Magie für sich entdeckt hat. Doch von Akkarins Handlungen weiß Dannyl nichts, er glaubt, dass es einzig darauf ankommt, Wissen über alte Magie wiederzuentdecken. Einen guten Freund und Helfer findet er in Tayend, von dem er später erfährt, dass Tayend Neigungen hat, die in der Gilde nicht akzeptiert werden. Tayend fühlt sich nämlich zu Männern hingezogen, doch genau diese Neigung wurde einst Dannyl nachgesagt, was damals zu großen Problemen geführt hat. Nun drohen diese Gerüchte erneut aufzukommen.

Diese zwei verschiedenen Handlungsstränge sind es, die sich konsequent durch das gesamte Buch ziehen, das den zweiten Teil der Trilogie bildet. Den Schwerpunkt der Erzählung bildet natürlich die Geschichte rund um Sonea, die während ihrer Ausbildung ständigen Anfeindungen und Attacken ausgesetzt ist und sich nicht anders zu helfen weiß, als Tag und Nacht zu lernen, um einen Jahrgang aufzusteigen und in einer Klasse anderer Novizen lernen zu können. Fleißig und stark wie Sonea ist, schafft sie dies ohne größere Probleme, allerdings dauert es nicht lange, bis Regin ihr nachfolgen kann. Als schließlich die Unterrichtsstunden in den Kriegskünsten beginnen, muss Sonea darüber hinaus feststellen, dass Regin ihr dort überlegen ist; sie muss bittere Niederlagen einstecken, mit denen sie niemals gerechnet hätte.

Dies ist jedoch nicht die einzige Bedrohung, der Sonea ausgesetzt ist, da sie in ständiger Angst vor Akkarin lebt, von dem sie weiß, dass er dank schwarzer Magie der mächtigste Magier der Gilde ist, gegen den nicht einmal alle Magier geschlossen eine Siegchance haben würden. Ihr großes Ziel ist es daher, so mächtig zu werden, dass sie zum Sieg gegen Akkarin beitragen kann. Dennoch müssen Lorlen, Sonea und Rothen bitteres Lehrgeld zahlen, da sie den Hohen Lord unterschätzen. Ohne ihr Wissen dringt er in ihre Gedanken ein und liest dort den Verrat gegen sich. Sofort handelt er, sehr zum Leidwesen der drei, die praktisch handlungsunfähig werden.

Trudi Canavan entwickelt konsequent ihre Geschichte weiter, die sie eindrucksvoll in „Die Rebellin“ begonnen hat. Der erste Teil endete mit einem gewaltigen Cliffhanger, der mich dazu verleitet hat, sofort zur Fortsetzung zu greifen, denn natürlich wollte ich wissen, was der Hohe Lord Akkarin im Schilde führt und ob die Gilde gegen ihn siegen kann. Doch rückt der Handlungsstrang um Akkarin zunächst etwas in den Hintergrund, da Sonea damit beschäftigt ist, die Angriffe ihrer Mitnovizen abzuwehren. Diese ständigen Bedrohungen sind es, die deutlich zum Spannungsaufbau beitragen, da die Angriffe gegen Sonea immer rücksichtsloser und gefährlicher werden. Canavan bedient sich typischer Elemente, die solche Internatsgeschichten auszeichnen: Es geht um Schule, Intrigen unter Schülern und natürlich um Magie. In diesen Punkten ahnt man Parallelen zu „Harry Potter“, der mit ähnlichen Attacken zu leben hat, aber glücklicherweise mit Ron einen Freund an seiner Seite hat, der stets zu ihm hält. Genau dieser Freund fehlt aber Sonea, sodass ihre Geschichte noch trostloser erscheint als die von Harry Potter. Doch ansonsten dürfte Trudi Canavan mit ihrer Trilogie genau diejenigen Leser abgreifen, die sehnsüchtig auf den letzten Potter-Teil warten und die lange Wartezeit mit anderen guten Fantasy-Geschichten versüßen wollen.

Die Gilde der Schwarzen Magier füllt erfolgreich die Lücke zwischen zwei Potter-Bänden, da Canavan und Rowling sich ähnlicher Elemente bedienen und beide gleichermaßen den Kampf gegen einen mächtigen bösen Magier schildern. Die Magier der Gilde in Canavans Geschichte verfügen über Magie, die sie den Regeln der Gilde zufolge nur zu guten Zwecken einsetzen dürfen, doch gibt es auch hier schwarze Schafe, die Magie gegen andere Menschen oder Magier richten und ihnen schaden wollen. Canavan zeichnet hier ganz unterschiedliche Charaktere, sie entwickelt einige Sympathieträger wie Sonea, Rothen und auch Dannyl, mit denen der Leser einfach mitfiebern muss. Wenn Sonea dann Opfer von Regins bösen Angriffen wird, fühlt der Leser hautnah Soneas Verzweiflung mit und wünscht ihr, dass sie sich endlich gegen ihren Widersacher durchsetzen und eigene Freunde finden kann. Doch noch erfüllt uns Canavan diesen Wunsch nicht, denn die Autorin fügt ihrer Geschichte auch einige dunkle Charaktere hinzu, die immer wieder Intrigen spinnen und damit das Erzähltempo vorantreiben.

Insgesamt lesen sich die gut 600 Seiten flüssig und angenehm, die Zeit verfliegt beim Lesen und man fühlt sich einfach wunderbar unterhalten. Es kommen zwischendurch nur ganz wenige Durststrecken auf, bei denen die Spannung etwas leidet, was eigentlich etwas verwundert, denn im Grunde genommen ist es nicht viel, das in diesem dicken Buch passiert. Doch Trudi Canavans ausschmückender Erzählstil, der uns alles so hervorragend vor Augen führt, sorgt dafür, dass man sich dennoch nie langweilt, selbst wenn es um Regins x-te Attacke gegen Sonea geht. Unter dem Strich bleibt festzuhalten, dass Trudi Canavan nicht unverdient eine große Fangemeinde für ihre Trilogie gewonnen hat, denn ihre Erzählung macht einfach Spaß zu lesen. Sie bedient sich genretypischer Elemente, fügt diese aber zu einem gelungenen und überzeugenden Gesamtwerk zusammen, das zu gefallen weiß. Mit Sicherheit werde ich schnellstmöglich auch den dritten Teil der Trilogie lesen, um endlich zu erfahren, welches Spiel Akkarin treibt und ob die Gilde den schwarzen Magier besiegen kann.

[Verlagsspezial zur Serie]http://www.randomhouse.de/specialskids/canavan/

[„Priester“ 4275 (Das Zeitalter der Fünf 1)
[„Magier“ 4456 ((Das Zeitalter der Fünf 2)
[„Götter“ 4621 (Das Zeitalter der Fünf 3)
[„Die Rebellin“ 3041 (Die Gilde der Schwarzen Magier 1)
[„Die Novizin“ 2989 (Die Gilde der Schwarzen Magier 2)
[„Die Meisterin“ 3065 (Die Gilde der Schwarzen Magier 3)

Shan Sa – Himmelstänzerin

Die junge chinesische Autorin Shan Sa, die als Aufsteigender Stern Pekings gefeiert wird, emigrierte nach dem so genannten Tian’anmen-Massaker im Juni 1989 nach Paris, wo sie auch heute noch lebt. Inzwischen veröffentlicht sie ihre Romane in französischer Sprache und wurde für das vorliegende Buch mit dem |Prix Goncourt du premier roman| ausgezeichnet. „Himmelstänzerin“ kann schon auf den ersten Blick durch seine ansprechende Optik begeistern, doch auch der zweite Blick ins Buch hinein überzeugt auf ganzer Linie.

Am 4. Juni 1989 steht Shan Sas Romanheldin, die junge Studentin Ayamei, unschlüssig auf dem Platz des Himmlischen Friedens, den das chinesische Militär stürmt, um gewaltsam die Studenten zu vertreiben, die den Platz seit Wochen besetzen. Ihr alter Schulfreund Xiao schreckt Ayamei auf und überredet sie zur Flucht, denn Ayamei war maßgeblich an den Studentendemonstrationen beteiligt und wird nun gesucht. Als Xiao auf der Flucht stirbt, realisiert Ayamei, in welcher Gefahr sie schwebt. Sie muss alleine weiter und wird des Nachts vom LKW-Fahrer Wang aufgesammelt, der sie mit sich nimmt und vor dem Militär verstecken will.

Doch ahnt Wang noch nicht, in welche Gefahr er seine eigene Familie damit bringt, denn die Suche nach Ayamei hat bereits begonnen. Der pflichtbewusste Soldat Zhao verfolgt die junge Studentin und will sie ihrer gerechten Strafe zuführen. Zhao kommt Ayamei immer näher, er befragt rücksichtslos Ayameis Familie, bis es dort zu einem schrecklichen Zwischenfall kommt. Allerdings bringt auch dies Zhao nicht von seinem Wege ab, sein einziges Ziel ist nach wie vor die Ergreifung Ayameis. Ein Tagebuch der rebellischen Studentin ist es schließlich, das Zhao zum Nachdenken bringt …

Im Mittelpunkt dieses gefühlvollen und ergreifenden Romans stehen zwei Figuren, die unterschiedlicher kaum sein könnten und die dennoch viel voneinander lernen können. Mit poetischen Worten beschreibt Shan Sa die Geschichte Ayameis, die schließlich überleben und den Soldaten entkommen möchte. Shan Sa hat Peking damals nach dem Tian’anmen -Massaker verlassen, doch spürt man auf jeder Seite, wie sehr sie dieses Thema immer noch bewegt. Es scheint, als möchte Shan Sa ihre traurigen Erinnerungen an dieses Ereignis in diesem Buch verarbeiten. Die Grausamkeit der Soldaten wird besonders deutlich, als Zhao und seine Kumpane Ayameis Familie befragen und dabei im wahrsten Sinne des Wortes sogar über Leichen gehen. Die Sympathien der Leser sind klar verteilt, sie liegen eindeutig bei Ayamei, die ständig auf der Flucht vor ihren Verfolgern ist.

Die Geschichte, die Shan Sa zu erzählen hat, könnte kaum dramatischer sein. Es scheint, als habe Ayamei praktisch keine Chance zur Flucht, denn die Personen, die ihr geholfen haben, müssen dies teuer bezahlen. Xiao lässt auf der Flucht sein Leben und Wangs Familie wird so lange bedroht, bis sie Ayameis Aufenthaltsort verraten müssen. Die Aussichtslosigkeit der Situation ist es, die den Leser tief erschüttert. Die stärkste Stelle im Buch ist allerdings der Fund von Ayameis Tagebuch, welches Zhao schließlich liest, um sein Opfer näher kennen zu lernen. Zhao ist bewegt von Ayameis Geschichte und fasziniert von der jungen Frau, die sich in den geschriebenen Worten wiederfindet. Die Erzählung im Tagebuch ist es, die Zhao zum Nach- und auch zum Umdenken bringt. Zum ersten Mal beginnt er, sein Tun zu hinterfragen. Dies ist der Moment, in der Zhao seine ersten Pluspunkte sammeln kann.

Shan Sa schafft es auf unglaublich faszinierende und packende Weise, uns ihre Romanheldin vorzustellen und näher zu bringen, sodass wir ihr alles Glück der Welt wünschen, damit sie ihren Verfolgern entkommen möge. Besonders faszinierend ist die Entwicklung, welche die Protagonisten im Laufe der Erzählung durchmachen. Bei Zhao ist es zunächst eine Neugierde, er möchte wissen, wen er eigentlich jagen und auffinden soll. Als er Ayameis Spuren verfolgt und ihr langsam immer näher kommt, ist es eine Faszination, doch als er schließlich ihr Tagebuch gelesen hat, kann er sich Ayamei kaum noch entziehen. Langsam beginnt Zhao, von Ayamei zu lernen. Aber auch Ayamei muss viel lernen in dieser kurzen Erzählung. Anfangs scheint es fast, als wäre sie in eine Demonstration hinein gestolpert, von der sie noch gar nicht ganz verstanden hat, worum es eigentlich ging. Sie erscheint uns naiv und unbeteiligt, doch wird sie uns dann als eine der Anführerinnen der rebellischen Studenten vorgestellt. Zu Beginn hat sie jedoch keinen Überlebenswillen, alles erscheint ihr gleichgültig, hier scheint sie die Bedrohung kaum registriert zu haben. Doch nach und nach wächst ihr Überlebenswille, am Ende ist nichts stärker als der Wunsch, ihren Verfolgern zu entkommen. So machen beide Hauptfiguren trotz der Kürze der Geschichte eine erstaunliche Veränderung mit.

Sprachlich ist „Himmelstänzerin“ äußerst angenehm zu lesen. Shan Sas Sprache ist poetisch und einfach nur wundervoll, besonders die Tagebucheinträge Ayameis sind sehr persönlich; hier lässt Shan Sa uns sehr nah an ihre Protagonistin heran. In den Einträgen erfahren wir etwas aus Ayameis Vergangenheit, von ihrer ersten großen (und unglücklichen) Liebe, über ihre Gefühle und auch über ihre Flucht vor den Soldaten. Nirgends lernen wir die junge Studentin so gut kennen wie in ihrem Tagebuch.

Insgesamt ist Shan Sa mit „Himmelstänzerin“ ein überzeugender – leider viel zu kurzer – Roman über zwei junge Menschen gelungen, die für das kämpfen und leben, woran sie glauben. Trotz des schmalen Buchumfangs erleben wir besonders bei Zhao eine erstaunliche Weiterentwicklung mit, die sehr zum Lesegenuss beiträgt. „Himmelstänzerin“ erzählt mehr, als auf den ersten Blick erkennbar ist, darin besteht die ganz besondere Faszination dieses schmalen Büchleins, das ich nur weiterempfehlen kann.

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Soininvaara, Taavi – Finnisches Quartett

Auch mit seinem dritten Kriminalroman beweist der finnische Bestsellerautor Taavi Soininvaara erneut, dass in seinen Krimis mehr steckt als „nur“ Spannung, Morde und polizeiliche Ermittlungen. Immer wieder pickt sich Soininvaara einen politischen Konflikt heraus, um den herum er seine Romanhandlung strickt, sodass er seine Leser nicht nur fesseln, sondern auch zum Nachdenken anregen kann. In seinem aktuellen Krimi „Finnisches Quartett“ geht es um Ökoterroristen und regenerative Energiequellen, aber auch um Energiekonzerne, welche die Forschung an Kernfusion verhindern wollen …

Am Maifeiertag brechen drei Ökoterroristen der Gruppierung „Final Action“ bei Dutch Oil ein – einem Unternehmen, das die Umwelt der Entwicklungsländer zerstört und die natürlichen Ressourcen der Ureinwohner ausbeutet. Die drei Öko-Aktivisten wollen die EDV-Anlage zerstören und können Dutch Oil einen beträchtlichen Schaden zufügen, als plötzlich auf den Computermonitoren ein geheimes Treffen eingeblendet wird, bei dem nicht nur der Vorstandsvorsitzende von Dutch Oil, Jaap van der Waal, dabei ist, sondern auch verschiedene Führungskräfte von internationalen Ölkonzernen, die sich über die geplante Liquidierung eines bekannten Fusionsphysikers namens Elvas durch den Engel des Zorns unterhalten. Die drei Mitglieder von Final Action riechen die Gefahr und versuchen zu flüchten, doch plötzlich gehen die Sirenen los und auf dem Gelände von Dutch Oil werden sie von Sicherheitskräften gejagt, die sie sicherlich nicht nur der Polizei ausliefern wollen. Jorge Oliveira wird schwer verletzt und von den Verfolgern ermordet, während Ulrike Berger und Lasse Nordman zunächst fliehen können. Doch wissen sie, dass sie immer noch von den Sicherheitskräften von Dutch Oil gesucht werden. Zur gleichen Zeit ärgert sich Arto Ratamo von der finnischen Sicherheitspolizei über den Lärm seiner Nachbarn, bis er sich nicht anders zu helfen weiß, als die Polizei zu rufen.

Die Ereignisse überschlagen sich, denn vor seiner Ermordung kann Jorge Oliveira noch eine SMS absetzen, in der er vom geplanten Mord am Physiker Elvas berichtet. Lasse Nordman, der Sohn der finnischen Verteidigungsministerin, lässt sich absichtlich schnappen, damit seine Freundin Ulrike die Möglichkeit zur Flucht bekommt. Auch muss die Polizei feststellen, dass der Physiker Elvas tatsächlich ermordet wird und auch die vergangenen Morde an verschiedenen namhaften Physikern wohl doch keine Unfälle waren, sondern geschickt durchgeführte Morde. Doch noch tappt die Polizei im Dunkeln und hat keine Spur, die zum Engel des Zorns führen könnte.

Der Leser hat diesen, der sich auch Ezrael nennt, allerdings bereits kennen gelernt. Ezrael hat in seiner Kindheit Schlimmes durchgestanden und handelt nun auf Befehl seiner Schwester Mary Cash, die ihn als Werkzeug benutzt. Ezrael denkt, dass er Verräter ermordet, doch seine Schwester weiß ganz genau, welchem Zweck die Ermordung der Physiker wirklich dient, auch der Leser erfährt es bald. Lasse Nordman und Ulrike Berger stehen ebenfalls bald auf Ezraels Exekutionsliste, weil sie zu viel wissen von der geheimen Verschwörung.

Taavi Soininvaara hält sich wieder einmal nicht lange mit Vorgeplänkel auf, sondern wirft seine Leser direkt mitten in die Geschichte. Gleich auf den ersten Seiten begleiten wir die drei Ökoterroristen auf ihrem Feldzug gegen Dutch Oil und erleben mit, wie die Drei Mitwisser einer Verschwörung werden und danach auf die Abschlussliste geraten. Direkt im Anschluss lernen wir den Engel des Zorns kennen und erleben mit, wie er Jagd macht auf einen Physiker, der noch nichts von der Gefahr ahnt, die sein Leben bedroht. Während all dies geschieht, ist unser Romanheld Arto Ratamo noch damit beschäftigt, einen Kleinkrieg gegen Studenten in seiner Nachbarschaft anzuzetteln. Taavi Soinunvaara macht uns somit gleich mit allen wichtigen Romanfiguren bekannt und beginnt mit einem Paukenschlag. Danach dauert es auch nicht lange, bis der Leser erahnen kann, welchen Grund die Anschläge auf die Physiker haben. Doch enthält uns Soininvaara lange vor, was wirklich hinter all dem steckt, denn natürlich passiert viel mehr unter der Oberfläche.

Der Spannungsbogen setzt also gleich zu Beginn des Buches ein und fesselt den Leser an die Geschichte. Später bricht die Spannung allerdings leider etwas ein, obwohl ständig Menschenleben bedroht werden und mindestens ein verrückter Killer sein Unwesen treibt, der zwischenzeitlich eine uns gut bekannte Geisel nehmen kann. Doch unglücklicherweise hegt man für die meisten handelnden Figuren wenig Sympathien, sodass man ihrem Ableben auch recht gleichgültig entgegensehen kann. Taavi Soininvaara begeht den Fehler, dass er seinen früheren Romanhelden Arto Ratamo, den man in den beiden Vorgängerkrimis kennen und schätzen gelernt hat, zu sehr in den Hintergrund treten lässt. Ratamo ist zwar überall vor Ort, aber er wird selbst nicht gejagt und steht auch nie im Zentrum der Geschehnisse, sodass er sich in diesem Buch leider mit einer kleineren Nebenrolle begnügen muss.

Darüber hinaus bremsen zwei weitere Faktoren die Spannung: Nachdem der Engel des Zorns eine Geisel genommen hat, die er für den „Engel der Offenbarung“ hält und von dem er sich einen neuen Auftrag erhofft, begleiten wir ihn längere Zeit bei seinen Handlungen und lernen ihn, sein Wesen und seine Vergangenheit besser kennen. Sein fanatisches Gerede vom Engel der Offenbarung strapaziert auf Dauer leider sehr die Geduld des Lesers. Man ist es bei einem Kriminalroman ja schon gewöhnt, dass man auf verrückte Romanfiguren trifft, aber so tief wollte ich dann doch nicht in die Gedanken des Killers eintauchen, denn mir erschien er zu unglaubwürdig. Auch die seitenlangen historischen Exkurse Jaap van der Waals bringen weder die Handlung noch die Spannung voran, sodass ich gut auf sie hätte verzichten können.

Zwei weitere Dinge sind es, die den eigentlich durchaus positiven Gesamteindruck etwas trüben. Zum einen übertreibt Taavi Soininvaara es etwas mit seinem Lokalkolorit. Wenn seine handelnden Figuren durch die Straßen Helsinkis oder auch Amsterdams spazieren, erfahren wir alle möglichen Straßennamen oder markanten Orte, die der Durchschnittsleser noch nie im Leben gehört hat. Für jemanden, der diese vielfältigen Schauplätze bereits besucht hat, ist diese überschwängliche Verwendung fremd klingender Straßennamen natürlich äußerst spannend, wenn man aber permanent über diese Bezeichnungen stolpert, stört dies ein wenig den Lesefluss. Zum anderen fand ich es etwas unglaubwürdig, dass niemand bemerkt haben soll, dass die Morde an den jeweils führenden Fusionsphysikern kein Zufall sein können. Zwar hatte der Engel des Zorns seine Morde jeweils gut als Unfall getarnt, aber wenn immer wieder der zurzeit beste Fusionsphysiker sein Leben lassen muss, sollte eigentlich jedem klar sein, dass dies nicht nur ein Zufall sein kann.

Dem entgegen steht Taavi Soininvaaras stetes Bemühen, seinen Romanen einen spannenden politischen Hintergrund zu verpassen. In „Finnisches Quartett“ befasst er sich mit umweltfreundlichen Energien, Ökoterroristen und zwielichtigen Managern, die auf Kosten der Umwelt ihren eigenen Profit suchen. Diese Konstellation birgt viel Potenzial, das Soininvaara auch gekonnt ausnutzt. Insbesondere vor dem Hintergrund der tatsächlichen amerikanischen „Umweltpolitik“, offenbart auch Soininvaara eine „unbequeme Wahrheit“, denn man könnte sich durchaus vorstellen, dass die geschilderten Ereignisse gar nicht so weit hergeholt sind, wie sie auf den ersten Blick erscheinen. In einer Nation, die bekanntlich der größte Umweltverschmutzer auf der ganzen Welt ist und bezeichnenderweise auch keine Bemühungen erkennen lässt, daran etwas zu ändern, könnten vielleicht tatsächlich Mächte am Werke sein, wie Soininvaara sie im finnischen Quartett aufdeckt. Eins hat Soininvaara also definitiv geschafft: Sein Buch wird nicht einfach durchgelesen, zugeklappt und aus dem Gedächtnis gelöscht – nein, man beginnt sich zu fragen, ob solche Verschwörungen in unserer Welt nicht wirklich passieren könnten …

Trotz kleiner „handwerklicher“ Schwächen hinterlässt „Finnisches Quartett“ einen positiven Gesamteindruck. Taavi Soininvaara beweist erneut, dass er ähnlich wie Henning Mankell nicht einfach nur leicht vergängliche Spannungsliteratur schreibt, sondern Kriminalromane, die zum Nachdenken anregen und Konflikte aufdecken wollen, die vielleicht tatsächlich so passieren könnten. Für den vierten Soininvaara-Krimi würde ich mir allerdings wünschen, dass der sympathische Arto Ratamo wieder mehr ins Zentrum der Geschichte rückt!

Lukianenko, Sergej – Wächter des Zwielichts

Band 1: [„Wächter der Nacht“ 1766
Band 2: [„Wächter des Tages“ 2390

Sergej Lukianenko lädt uns in seinem dritten Teil der Wächter-Serie erneut dazu ein, mit ihm die verschiedenen Schichten des Zwielichts zu erkunden. Dieses Mal werden wir mit den Anderen bis in die fünfte Schicht des Zwielichts eintreten, die wir bislang nie kennen lernen durften. Ins Zwielicht können nur die so genannten Anderen eintreten, nämlich Menschen mit besonderen Kräften. Die Anderen teilen sich in die Dunklen und die Lichten ein, die einst einen Waffenstillstand geschlossen haben, der nun von der Tagwache und der Nachtwache kontrolliert wird. In diesem Waffenstillstand müssen sich die Kräfte der beiden Wachen stets ausgleichen, doch haben bereits die ersten beiden Bände der Wächter-Serie gezeigt, dass dieses Kräftegleichgewicht mehr als wackelig ist. Im vorliegenden Teil geht es jedoch nicht so sehr um die Zwistigkeiten zwischen den beiden Wachen, sondern um den Konflikt zwischen Menschen und Anderen, denn was sind überhaupt Andere? In diesem Buch verrät es uns Sergej Lukianenko …

_Tritt ein ins Zwielicht_

Im dritten Teil steht erneut der Lichte Anton im Mittelpunkt, mit dem in „Wächter der Nacht“ einst alles begonnen hat. Anton lebt inzwischen mit der mächtigen Anderen Swetlana zusammen, die ihm zuliebe aus der Wache ausgetreten ist. Die beiden haben eine kleine Tochter zusammen, deren Schicksal im ersten Teil bereits vorbestimmt worden ist und die voraussichtlich die mächtigste Andere aller Zeiten werden wird. Während Anton von seinem Chef Geser zu einem Auftrag weggeschickt wird, verbringt Swetlana mit ihrer Mutter und ihrer Tochter ihren Urlaub und fürchtet gleichzeitig um Antons Leben, da sie in die Zukunft schauen kann und spürt, dass er in eine Falle tappen könnte.

Mysteriöse Dinge sind aufzudecken, denn die beiden Moskauer Wachen und auch die Inquisition haben Briefe erhalten von jemandem, der sie darüber hinformieren will, dass ein Anderer einem Menschen alles über die Anderen verraten hat und diesen Menschen zu einem Anderen machen will. Wer hat aber diese Briefe geschrieben, denn die Adresse der Inquisition kennen alleine Geser und Sebulon?! Anton geht dem auf den Grund und trifft dabei auch auf seinen alten Freund Kostja, der inzwischen zu einem hohen Vampir geworden ist. Aber auch die Inquisition ist wieder durch einige Magier vertreten, um herauszufinden, wer einen Menschen zu einem Anderen machen möchte.

„Wächter des Zwielichts“ teilt sich wie schon die Vorgänger in drei Geschichten ein, die in diesem Fall allerdings eng miteinander verknüpft sind und immer Anton als Bezugsperson haben. Nachdem die mysteriöse Geschichte um die anonymen Briefe gelöst ist, fährt Anton nämlich zu Swetlana und seiner Tochter und trifft dort im Urlaub auf eine überaus mächtige Hexe, die sich jedoch nie hat registrieren lassen. Schon gehen die Ermittlungen also weiter, sodass Anton keinen Urlaub haben wird.

_Die faszinierende Welt der Anderen_

Sergej Lukianenko hat mit seiner Wächter-Serie eine Geschichte erschaffen, die auch weit über Russland hinaus erfolgreich ist, und dies nicht ohne guten Grund. Lukianenkos Welt der Anderen ist einfach nur faszinierend. Obwohl die Idee an sich einfach ist und wir Magier, Vampire und Werwölfe schon aus zahlreichen anderen Romanen kennen, hebt Lukianenko sich dennoch von der Masse der Fantasy-Schreiber positiv ab. Unter anderem liegt das darin begründet, dass seine Zeichnungen nicht schwarz-weiß sind. Die Lichten sind zwar die offiziell Guten und die Dunklen die Bösen, doch haben wir bereits in den ersten beiden Teilen der Wächter-Reihe gelernt, dass auch die Lichten ihre dunklen Seiten haben und sogar der mächtige Geser, der die Nachtwache anführt, immer wieder neue Intrigen spinnt und seine eigenen Wächter für seine egoistischen Zwecke benutzt oder sogar missbraucht.

Dass der Leser dennoch eher mit den Lichten mitfiebert als mit den Dunklen, liegt sicherlich in der Person des Anton begründet, der immer wieder auftaucht und in einigen der Geschichten unsere Bezugsperson ist, die wir auf Schritt und Tritt begleiten. Anton wird zu einem guten Bekannten, der uns nur allzu menschlich erscheint. Antons Schicksal ist dadurch vorbestimmt, dass er nie ein ganz mächtiger Anderer werden wird, immer wird er im Schatten seiner Freundin Swetlana stehen, die schon jetzt mächtiger ist als er. Aus Liebe zu Anton ist Swetlana zwar aus der Wache ausgetreten, dennoch nagt es immer wieder an Anton, dass sowohl Swetlana als auch seine Tochter über höhere Kräfte verfügen werden als er selbst. Dass dies Antons Stolz verletzt und ihn an sich selbst zweifeln lässt, ist nur natürlich, auch wenn sich Antons Zorn dadurch oft genug gegen seine eigene Freundin richtet, die ihn in dieser Hinsicht immer wieder übertreffen wird. Wir lernen im Laufe der Erzählung immer neue Seiten von Antons Charakter kennen, der für uns dadurch immer vollständiger wird. Doch das Schicksal hält auch für Anton dieses Mal noch einige Überraschungen bereit, die ihn einen großen Schritt nach vorne machen lassen.

Ein sehr interessanter Konflikt ist in „Wächter des Zwielichts“ der zwischen Anton und seinem früheren Nachbarn Kostja, der zu einem mächtigen Vampir aufgestiegen ist. Anton weiß, auf welche Weise ein Vampir zu solcher Macht gelangt, nämlich dadurch, dass er Menschen aussaugt. Aus Angst vor den möglichen Enthüllungen ist Anton daher bisher davor zurückgeschreckt, Kostjas Akte zu lesen, in der festgehalten ist, wie viele Menschen zu seinen Opfern geworden sind. Obwohl Anton und Kostja auf unterschiedlichen Seiten stehen, haben sie ihre frühere Freundschaft noch nicht vergessen und hängen daher ihren eigenen wehmütigen Erinnerungen nach. Lukianenko nutzt diese alte Freundschaft aus und spinnt darum einen Konflikt, der in „Wächter des Zwielichts“ zu weit reichenden Konsequenzen führen könnte.

_Faszinosum Lukianenko_

Sergej Lukianenko spinnt in diesem dritten Band „Wächter des Zwielichts“ seine Geschichte der Anderen weiter und bedient sich wieder seiner erfolgversprechenden Elemente: Auch in diesem Teil streut Lukianenko Gerüchte und Verdachtsmomente ein, die die Protagonisten, aber auch die Leser zum Nachdenken bringen. Besonders Geser und Sebulon bleiben in ihrer Charakterzeichnung stets undurchsichtig, auch wenn Sebulon in diesem Buch nur eine kleine Nebenrolle spielt. Immer wieder gibt es Momente, in denen die anderen das Gefühl haben, dass jemand hinter all den mysteriösen Ereignissen steckt, der eigene Ziele verfolgt und die Anderen dafür missbraucht. Aber Lukianenko lässt uns stets so lange wie möglich im Unklaren, sodass genug Gelegenheit bleibt, eigene Vermutungen anzustellen. Durch diese „Hinhaltetaktik“ animiert uns Lukianenko natürlich dazu, seine Geschichte immer weiter zu verfolgen und seine Bücher weiter zu lesen, da wir auf eine echte Aufklärung für manche Geschehnisse hoffen, die bislang ausgeblieben ist.

Wie schon in den beiden ersten Bänden der Wächter-Reihe ist auch „Wächter des Zwielichts“ in drei Geschichten unterteilt, die jeweils ein anderes „Problem“ thematisieren, doch in diesem Buch sind die Geschichten eng miteinander verwoben und gehen direkt ineinander über. Es sind keine Zäsuren eingebaut, sodass kaum Zeit zum Durchatmen bleibt. Die Lektüre erleichtert uns Lukianenko dieses Mal dadurch, dass stets Anton im Mittelpunkt steht und wir uns nicht immer neue Figuren kennen lernen, wie es im zweiten Teil „Wächter des Tages“ der Fall gewesen ist.

Lukianenko ist inzwischen zu einem Faszinosum geworden, seine Bücher verkaufen sich auch in der westlichen Welt hervorragend, sodass sicherlich schon wieder zahlreiche Buchfans sehnsüchtig auf die „Wächter der Ewigkeit“ warten, also auf den vierten Teil der Reihe. Lukianenko hat eine fantastische Welt geschaffen, in der Menschen und Andere zusammenleben, und in diesem dritten Teil wagt Lukianenko erstmals eine Erklärung, was Andere überhaupt sind. Dabei bedient er sich einfacher Grundsätze der Thermodynamik, die ich hier etwas merkwürdig fand, aber glücklicherweise hält er sich mit physikalischen Spekulationen weitgehend zurück, sodass man darüber hinwegsehen kann. Wer also wissen möchte, was Lukianenko sich unter den Anderen vorstellt, sollte unbedingt zu den „Wächtern des Zwielichts“ greifen.

_Und wieder heißt es warten_

Ungeduldig habe ich auf das Erscheinen des dritten Teils der Wächter-Reihe gewartet, doch habe ich es wieder nicht geschafft, den Lesegenuss hinauszuzögern. Dies macht Lukianenko praktisch unmöglich, da er genau an den richtigen Stellen Cliffhanger einbaut und seine Hauptfiguren immer wieder in gefährliche Situationen geraten lässt, die dringend überwunden werden müssen. Das Erzähltempo in „Wächter des Zwielichts“ empfand ich als noch höher als bei den beiden Vorgängerbänden. Die Übergänge zwischen den einzelnen Geschichten waren fließend, sodass ich dieses Buch praktisch nicht aus der Hand legen konnte, was mit Sicherheit aber auch auf die gelungene Figurenzeichnung zurückzuführen ist. Von allen auftretenden Figuren lernen wir neue Seiten und Eigenarten kennen, sodass sich langsam aber sicher ein immer detaillierteres Bild der Hauptcharaktere zusammensetzt.

„Wächter des Zwielichts“ überzeugt auf ganzer Linie und führt überzeugend fort, was Lukianenko in „Wächter der Nacht“ und „Wächter des Tages“ bereits begonnen hat. Diese Wächter-Serie ist zu Recht so erfolgreich und ich warte schon jetzt wieder sehnsüchtig auf das Erscheinen der [„Wächter der Ewigkeit“! 3594

http://www.heyne.de
http://lukianenko.ru/eng/

|Anm.: Zuvor erscheint bei Heyne Anfang 2007 noch die 700-seitige Space-Opera [„Spektrum“.]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3453522338/powermetalde-21 Man darf gespannt sein.|

Parsons, Tony – Erzähl mir nichts von Wundern

Tony Parsons zählt neben Nick Hornby zu den wichtigsten Vertretern populärer Gegenwartsliteratur. Seine Karriere startete er als Musikkritiker. In „Erzähl mir nichts von Wundern“ zeigt er jedoch, dass er weitaus mehr kann als über Musik zu schreiben. Hier zeigt er eine so weibliche und gefühlvolle Seite, dass man fast meinen könnte, dass sich eine Frau hinter diesem Namen verbergen müsste. „Erzähl mir nichts von Wundern“ stieg auf Anhieb in die englischen Bestsellerlisten ein und eroberte dort Platz 1 – und das sicher nicht unverdient.

Cat, Jessica und das Nesthäkchen Megan sind noch Kinder, als ihre Mutter Olivia Jewell die Familie verlässt, um Karriere zu machen. Von einem Tag auf den anderen ist die Mutter aus dem Leben der drei Mädchen verschwunden und die drei werden fortan mehr oder minder gut von ihrem Vater und wechselnden Au-pair-Mädchen versorgt. Doch insgeheim ist es die älteste Tochter Cat, die nicht nur eine stetig wachsende Wut ihrer Mutter gegenüber hegt, sondern die auch stets für ihre Schwestern da ist und sich sogar selbst das Kochen beibringt, damit es nicht immer nur Fertiggerichte und Tiefkühlkost gibt.

Auch wenn man es kaum für möglich halten möchte, so meistern die drei Mädchen ihre Kindheit und Jugend doch beachtlich und wachsen zu selbstbewussten und hübschen Frauen heran. Cat allerdings hat die Nase gestrichen voll vom Familienleben, sie lebt ihr eigenes Leben, arbeitet in einem angesagten Restaurant und ist froh über ihren Freund, der seine Sterilisation bereits hinter sich hat. Jessica ist das genaue Gegenteil: Nachdem sie mit 16 ein Kind abtreiben musste, versucht sie nun verzweifelt, schwanger zu werden, bevor ihre biologische Uhr allzu laut zu ticken beginnt. Ihr liebender Ehemann Paulo unterstützt sie in diesem Vorhaben, auch wenn es bedeutet, dass er mit seiner Frau nur noch Sex nach der „Eieruhr“ hat und nach Hause zu eilen hat, wenn der Eisprung erfolgt ist. Der große Kinderwunsch Jessicas belastet die Ehe, doch Paulo liebt seine Frau über alles und will kein noch so großes Problem zwischen sie treten lassen.

Megan ist derweil im letzten Jahr Ärztin im Praktikum und steht ihrer Approbation näher denn je, als sie feststellen muss, dass sie schwanger ist. Nachdem sie ihren Langzeitfreund Will mit der Hand auf dem Po einer anderen Frau erwischt hat und dieser seine Schuld sogar eingesteht und seine Untreue darauf schiebt, dass er als Mann seinen Samen nun einmal weit streuen müsse, hat Megan einen One-Night-Stand mit dem australischen Tauchlehrer Kirk, von dem sie auch gleich schwanger wird.

„Erzähl mir nichts von Wundern“ erzählt die Geschichte von drei erwachsenen Frauen, die versuchen, ihre Kindheitstraumata abzulegen und eine eigene Familie zu gründen und vor allem, ihr Glück im Leben zu finden. Doch auf dem Weg dahin sind noch einige Hürden zu nehmen, außerdem hat Tony Parsons genug Irrwege eingebaut, die die drei Frauen zu meistern haben, am Ende aber ist es wohl der Leser, der am traurigsten ist, weil er nämlich Abschied nehmen muss von drei beachtlichen Frauen, mit denen man im Laufe der Erzählung Freundschaft geschlossen hat.

Tony Parsons erzählt uns hier von Wundern, auch wenn er im Buchtitel zum Gegenteil auffordert. In dieser Geschichte lernen wir die drei Schwestern Cat, Jessica und Megan Jewell kennen, die nach dem Auszug ihrer Mutter schon früh auf sich alleine angewiesen sind und dadurch zu einem eingeschworenen Team werden. Auch im Erwachsenenalter stehen die drei jungen Frauen sich nahe wie wohl wenige Geschwister, sie treffen sich regelmäßig und teilen all ihre Sorgen.

In seiner Charakterzeichnung beweist Tony Parsons ein beachtliches Fingerspitzengefühl; hier überzeugt er auf ganzer Linie und kreiert drei Charaktere, in die man sich beim Lesen stets einfühlen kann:

Cat ist die älteste der drei Geschwister, die bereits im zarten Alter von nur elf Jahren das Leben der drei Mädchen in die Hand nimmt, als Jessica noch sieben ist und Megan ein Kleinkind von nur drei Jahren. Cat wird schneller reif und erwachsen, als ihr lieb ist, allerdings entwickelt sie auch einen tiefen Hass auf ihre egoistische Mutter, die alleine ihr eigenes Wohl im Sinn hatte, als sie ihren Mann und die drei gemeinsamen Kinder sitzen gelassen hat. Im Erwachsenenalter ist Cat zwar eine glückliche und erfolgreiche Frau, der allein ihre Freiheit wichtig ist, doch tief in sich bemerkt Cat mit der Zeit, dass sie doch noch nicht alles hat zum Glück. Sie ist überzeugt davon, den richtigen Mann fürs Leben gefunden zu haben und sieht es als Bonus, dass dieser bereits seine Familienplanung abgeschlossen hat. Doch es braucht lange, bis Cat sich eingesteht, dass Freiheit ihr nicht das Wichtigste ist.

Jessica ist in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil von Cat, sie wirkt deutlich sensibler und unselbständiger als ihre große Schwester. Nachdem Cat in der gemeinsamen Kindheit immer für Jessica gesorgt hat, steht ihr nun ihr Mann Paulo zur Seite, der sie abgöttisch liebt und alles für seine Frau tun würde. Das erste richtige Unglück, das über Jessica einbricht, ist die ungewollte Kinderlosigkeit. Sie kennt ihren Zyklus in- und auswendig, sie misst ihre Temperatur und bestimmt gewissenhaft ihren Eisprung, um dann sogleich ihren Mann zu sich zu bestellen, um mit ihm Sex zu haben und um im Anschluss daran still liegen zu bleiben. Am Ende versuchen sie es mit künstlicher Befruchtung, bis Jessica plötzlich merkt, dass sie für diese Prozedur keine Kraft mehr hat. Sie gibt ihren großen Kinderwunsch auf, obwohl sie weiß, dass auch Paulo sich so sehr ein Baby wünscht.

Megan ist der Überflieger der drei Mädchen; sie geht ihren Weg und ist bislang problemlos durch ihr Studium und auch die weitere Zeit ihrer Arztausbildung gegangen. Megan möchte die Welt verändern und verbessern, sie möchte sich Zeit nehmen für ihre Patienten, auch wenn ihnen eigentlich nur fünf Minuten zugestanden werden sollten, doch dann macht Megan ihren ersten Fehler: Sie wird schwanger und das zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Als Megan beschließt, das Kind abzutreiben, sind es Jessica und Cat, die sie in die Klinik begleiten und ihr beistehen. Noch wissen die drei jungen Frauen allerdings nicht, wie sehr dieses Erlebnis ihr Leben verändern wird.

Tony Parsons zeichnet drei völlig unterschiedliche Charaktere, doch im Grunde genommen haben alle drei Frauen den gleichen Wunsch, sie haben in ihrer Kindheit Ähnliches durchgemacht und sind nun auf der Suche nach ihrer eigenen Familie. Diese drei authentischen Charaktere sind es, die den Reiz des Buches ausmachen. Cat, Jessica und Megan werden bei der Lektüre zu guten Freundinnen, wir stehen ihnen in allen Lebenslagen bei, wir kennen ihre Gefühle in- und auswendig und wir trauern bei allen Rückschlägen mit ihnen mit. Tony Parsons schafft es, drei Frauenfiguren zu erschaffen, die jede für sich zu überzeugen weiß und die jede für sich für einen anderen Typ Frau steht, sodass die meisten Leserinnen hier Anknüpfungspunkte finden werden. In allen Situationen bleiben die Frauen glaubwürdig, auch wenn Parsons sich zugegebenermaßen an manchen Stellen doch einiger Klischees bedient. Auch ist das Buch sicherlich nicht frei von Kitsch – insbesondere wenn man an das Buchende denkt -, doch sieht man Parsons dies alles nach, weil er uns einen so gefühlvollen Einblick in das Leben der drei Jewel-Frauen ermöglicht und uns dabei selbst zum Nachdenken animiert, dass man über derlei Nebensächlichkeiten gerne hinwegsieht.

Tony Parsons schreibt über Frauen, über unerfüllte Kinderwünsche, über Abtreibung, künstliche Befruchtung, Beziehungsprobleme und den Wunsch nach einem kleinen bisschen Glück, und jedes Thema schildert er eindrucksvoll und einfühlsam. Es ist erstaunlich, wie glaubwürdig er die Probleme, Wünsche und Gedanken seiner drei weiblichen Protagonistinnen schildern kann, da könnten sich durchaus einige Autorinnen eine Scheibe abschneiden.

„Erzähl mir nichts von Wundern“ ist ein wundervoller Roman über das Leben, über die Liebe, über die Familie und über geheime Sehnsüchte, es ist ein Buch, das zum Träumen einlädt, zum Nachdenken anregt und für wohlige Stimmung beim Lesen sorgt. Als ich das Buch am Ende zuklappte, hatte ich einen Kloß im Hals und feuchte Augen, weil „Erzähl mir nichts von Wundern“ mich so gefangen genommen hat, dieses Buch hat mich in eine andere Welt entführt und mir ganz erstaunliche Frauen vorgestellt, die versuchen, ihren Weg zu gehen. Leider dürfen wir als Leser nur einen Teil des Weges mit ihnen gehen, aber auch dies ist ein wirklicher Gewinn!

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Manon Spierenburg – Soap Fabrik

Die niederländische Autorin Manon Spierenburg kennt sich aus in der Welt der Daily Soaps. Einst gehörte Spierenburg zur Projektleitung der niederländischen Ausgabe von „Gute Zeiten schlechte Zeiten“ (kurz: GZSZ – Abkürzungen sind nämlich „in“), nun schreibt sie einen spritzigen Roman über ihre Erfahrungen im Daily-Soap-Business.

Unser Romanheld ist Job Duivenkater, der stark auf die dreißig zugeht und eigentlich lieber einen richtigen Roman schreiben will. Doch um sein Leben zu finanzieren, verdingt er sich als Soap-Autor und schreibt Szenen für die erfolgreichste niederländische Daily Soap – „Die Welt dreht sich weiter“-, die liebevoll kurz DWDSW genannt wird und etwas weniger liebevoll DWDD für „Die Welt dreht durch“. Die Arbeitsatmosphäre bei DWDD ist kurz gesagt katastrophal, hier will sich jeder profilieren, und wer einmal in die Projektleitung aufgestiegen ist, der tritt ordentlich nach unten und zeigt seinen einfachen Szenenschreiberlingen, wer hier der Chef ist.

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Croix, Guillaume de la – Wie Tom Cruise mein Leben stahl

|“Du sollst zittern, kleiner Tom. Ich kenne das schreckliche Geheimnis, das du hinter deinem legendären Ultrabright-Lächeln und deiner fetten Sonnenbrille verbirgst. Ich weiß noch nicht, wie du es geschafft hast, aber denk nur nicht, dass du so einfach davonkommst, du Mistkerl. Du bist schuldig, und du wirst bestraft werden. Heute steht dein Name für Ruhm und Geld, morgen aber ruft er nur noch Wut und Ekel hervor. Man streicht ihn von allen Plakaten und aus allen Vorspannen der Filme, in denen du mitgespielt hast. Selbst deinen Bronzestern am Hollywood Boulevard wird man herausreißen. Was für ein Niedergang! Was für ein tragisches Ende für einen Mann wie dich, der vor Geld und Berühmtheit nur so zum Himmel stinkt!“|

Mit diesen Worten beginnt Guillaume de la Croix‘ Abrechnung mit Tom Cruise, der dem französischen Autor das Leben gestohlen hat. Das Leben gestohlen? Wie soll das denn gehen? Eine gute Frage, die ich mir vor dem Buchkauf auch gestellt habe, um sie von de la Croix beantwortet zu bekommen, doch Fehlanzeige. Um diese Frage laviert sich der Autor geschickt herum. Mag diese Frage auch der Aufhänger für viele Buchkäufer gewesen sein, so stellt der Leser dann fest, dass es in diesem Buch vordergründig doch um ganz etwas anderes geht als um den Diebstahl fremden Lebens, wie auch immer dieser vonstatten gehen mag.

Doch Guillaume de la Croix‘ Rache ist mit dieser Drohung noch lange nicht beendet. Als der etwas übergewichtige französische Autor im Fernsehen Tom Cruise sieht, fällt es ihm wie Schuppen von den Augen: Tom Cruise ist |er|, der berühmte Hollywood-Star hat ihm, dem unbekannten und bemitleidenswerten Guillaume de la Croix, das Leben gestohlen! De la Croix beschließt, den berühmten Schauspieler vor Gericht anzuklagen. Als Tom Cruise den besten Anwalt Hollywoods engagiert und de la Croix‘ Anwalt darauf besteht, eine dubiose Astrologin als Zeugin der Anklage aussagen zu lassen, sieht de la Croix seine Felle schwimmen. Als jedoch überraschend Gott als Zeuge gegen Cruise aussagt, ist das Urteil gefällt. Tom Cruise verschwindet fortan in der Versenkung, während bei Guillaume de la Croix schon bald Steven Spielberg anklingelt, um dem neuen Star Hollywoods zu seiner ersten Filmrolle zu verhelfen.

Für Guillaume de la Croix beginnt eine scheinbar wunderbare Zeit, er wird der bekannteste Schauspieler Hollywoods. Bis auf eine Ausnahme sackt er jedes Jahr den Oscar für den besten männlichen Hauptdarsteller ein, in einem Jahr sogar den Oscar für die beste weibliche Hauptdarstellerin, als er einen Transvestiten spielt. De la Croix räumt in Hollywood ab, was es abzuräumen gibt. Im Buch abgedruckt sind bereits einige Zeitungszitate von Guillaume de la Croix, die seine unglaubliche Popularität dokumentieren, und auch Bildunterschriften, die im Laufe der kommenden Jahre vom Leser mit den entsprechenden Zeitungsfotos zu ergänzen sind.

Je weiter die Handlung fortschreitet, umso abstruser werden die Dinge, die uns Guillaume de la Croix zu präsentieren hat. Sein Ruhm erreicht bislang unbekannte Grenzen, er kann jede Frau haben, die er sich wünscht und hat trotzdem eine liebende Frau an seiner Seite, die bis zuletzt zu ihm hält. De la Croix wird so berühmt, dass sogar Kaugummi mit dem mutmaßlichen Geschmack seines Spermas produziert wird. Doch zum Ende hin muss der Star erkennen, dass Ruhm und Popularität vielleicht doch nicht alles sind. Besonders bitter fällt Guillaume de la Croix‘ zweites Treffen mit Gott aus, als er erfährt, was eigentlich wirklich gespielt wurde. Mit diesem Ende hatte wohl niemand gerechnet, schon gar nicht de la Croix, der diesen Schlag erst einmal zu verdauen hat …

Als hätte es Guillaume de la Croix geahnt, erscheint seine „Lebensbeichte“ zu einer Zeit, in der Tom Cruise fast ausschließlich negative Schlagzeilen schreibt und kurz vor seinem Rauswurf bei Paramount Pictures steht, denen seine übertriebene Scientology-Werbung zu viel des Guten wurde. Fast könnte man vermuten, de la Croix hätte seine Finger im Spiel gehabt, denn die Sterne scheinen für Cruise im Moment tatsächlich nicht so gut zu stehen, während Guillaume de la Croix mit seinem spitzfindigen Roman aufhorchen lässt.

Spritzig und voller Wortwitz wird uns die wahre Geschichte Hollywoods erzählt, eine Geschichte, die auf den ersten Blick voller Geld und Glamour steckt, die hinter der Fassade allerdings viel mehr offenbart. Hollywood bedeutet nicht nur Erfolgsgeschichten, der Stern eines Stars kann schneller sinken, als es ihm lieb ist, außerdem droht das nahende Alter, das in Hollywood als schwerwiegender als eine Krebserkrankung betrachtet wird. Guillaume de la Croix verrät uns zwar nicht, wie Tom Cruise es geschafft hat, ihm sein Leben zu stehlen, aber er zeigt dafür ganz andere Dinge auf. Völlig schonungslos deckt er die Macken der Hollywoodstars auf und ihre übertriebene Dekadenz; Guillaume de la Croix nimmt kein Blatt vor den Mund und spielt den Prototypen des arroganten Schauspielers, der ohne Ende Geld scheffelt, gleichzeitig aber alle andere Menschen ausnutzt und sich fast ausschließlich von Alkohol und Drogen ernährt. Das makellose Bild Hollywoods beginnt durch Guillaume de la Croix‘ Feder zu bröckeln.

Auch wenn man also mit falschen Erwartungen an dieses Buch herangeht, beschert es einem doch eine vergnügliche Lesezeit, die angesichts des stolzen Taschenbuchpreises von 12 € allerdings sehr gering ausfällt. Das schmale Büchlein umfasst gerade einmal 280 Seiten, von denen etliche leider unbedruckt geblieben sind. Schade, dass dieser überteuerte Preis sicher einige Leser von diesem Buch abhalten wird, denn auch wenn wir wohl niemals erfahren werden, wie Guillaume de la Croix sich den Diebstahl fremden Lebens vorstellen mag, hält dieses Buch doch einige positive Überraschungen bereit und bringt unsere Vorurteile gegenüber Hollywood in amüsanter und lesenswerter Weise auf den Punkt.

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Sittenfeld, Curtis – Eine Klasse für sich

|“Ich war nicht unbeteiligt, ich war nicht desinteressiert, Aspeth wollte mir ganz bestimmt nicht näherkommen, und ich war einer der uncoolsten Menschen, die ich kannte – alles, was ich tat, war, meine Mitschüler zu beobachten, mich über sie zu wundern, über ihre Unbekümmertheit zu staunen und an der gähnenden Kluft zwischen uns, an meiner elenden Verklemmtheit und totalen Unfähigkeit, mich locker zu machen, zu verzweifeln. Und mir nichts zu Herzen nehmen? Ich nahm mir alles zu Herzen – nicht nur die Reaktionen der anderen, ihre Gesten und ihren Tonfall, sondern auch Sinneseindrücke, den Geruch des Windes, die Deckenleuchten im Mathetrakt, die Lautstärke des Radios im Badezimmer, wenn ich mir die Zähne putzte.“|

|“Großartig! ‚Eine Klasse für sich‘ macht so süchtig wie M&Ms“| verkündet der |Boston Globe| und bringt es auf den Punkt: Curtis Sittenfelds Erstlingsroman wurde nicht nur von der |New York Times| zu einem der zehn besten Bücher des Jahres 2005 gekürt, dieses Buch erzählt auf hervorragende Weise die etwas andere Internatsgeschichte und macht dabei schon jetzt mehr als neugierig auf Sittenfelds zweiten Roman, der im nächsten Jahr im |Aufbau|-Verlag erscheinen wird.

_Eine nicht ganz alltägliche Internatsgeschichte_

Im vorliegenden Roman erzählt uns Lee Fiora, die mit 14 Jahren ihre Familie verlässt, um auf das Elite-Internat Ault zu gehen, ihre Geschichte. Obwohl Lees Vater ein einfacher Matrazenhändler aus der Provinz ist, hegt Lee schon einige Jahre vor ihrer Highschoolzeit den Wunsch, auf ein angesehenes Internat zu gehen, auf das auch reiche und erfolgreiche Eltern ihre Kinder schicken. Eigenhändig bewirbt Lee sich an verschiedenen Internaten und entscheidet sich schlussendlich für Ault, weil sie dort gleichzeitig ein Stipendium erhalten kann, das den Großteil ihrer Schulgebühren decken wird.

Angekommen in Ault, stellt Lee fest, dass es dort nicht so ist, wie die Hochglanzprospekte glauben machen wollen. Lee kämpft um ihre einst guten Noten und sehnt sich nach echten Freunden. Doch von Beginn an wird Lee Fiora zur Außenseiterin; man scheint es ihr anzusehen, dass ihre Eltern nicht im Geld schwimmen und ihr Vater eben nicht bei der Bank arbeitet. Je einsamer Lee wird, umso genauer beobachtet sie ihre Schulkameraden und umso größer wird ihr Wunsch, akzeptiert zu werden und dazuzugehören. Als es eines Tages überraschungsfrei gibt, beschließt Lee spontan, in die Stadt zu fahren, um sich dort Ohrlöcher stechen zu lassen. Beim Stechen wird Lee ohnmächtig, findet sich allerdings kurz darauf in den Armen des bestaussehenden Mitschülers ihrer Jahrgangsstufe – Cross Sugarman – wieder, der sich liebevoll um Lee kümmert und sie abends auch zu einem Kinoabend mit seinen Freunden einlädt. Auf dem Rückweg legt Cross wie selbstverständlich im Taxi seinen Arm um Lee und streichelt ihre Haare. Lee schwebt im siebten Himmel, weiß jedoch nicht, dass es lange dauern wird, bis sie Cross wieder so nahe kommen wird.

Über eine Mitschülerin lernt Lee die hübsche Martha Porter kennen, die Lee ebenfalls für eine Außenseiterin hält. Lee und Martha werden beste Freundinnen und teilen sich fortan das Zimmer. Die beiden Mädchen werden praktisch untrennbar; als Martha jedoch zum Senior Prefect gewählt wird, bricht für Lee eine Welt zusammen, denn sie muss erkennen, dass sie doch alleine dasteht in ihrer Rolle als Außenseiterin. Doch damit nicht genug, warten noch weitere bittere Erkenntnisse auf Lee, die ihr weiteres Leben prägen werden…

_Lebensbeichte_

Curtis Sittenfeld ist mit „Eine Klasse für sich“ ein beachtliches Debüt gelungen, das von der ersten Seite an mitzureißen weiß. Das gesamte Buch ist aus Lee Fioras Sicht erzählt, die den Leser an all ihren Gedanken teilhaben lässt. Schon von Beginn an wird deutlich, mit welcher Traurigkeit und Sehnsucht Lee an ihre Highschoolzeit in Ault zurückdenkt. Vielleicht hat alles seinen Anfang genommen, als ein Mitschüler ein Referat über das gleiche Thema hält, auf das auch Lee sich vorbereitet hat. Ab dieser Stunde scheint alles schief zu gehen. Lees Noten werden schlechter und als Lee eine Diebin identifizieren kann, fühlt sie sich mitschuldig, als dieses Mädchen das Internat verlassen muss.

Von Anfang an kapselt Lee sich von ihren Mitschülern ab, sie verteilt Absagen, bis sie von niemandem mehr Einladungen zu Partys oder Ausflügen erhält. Lee gerät in einen Teufelskreis, und das nur deshalb, weil sie gedacht hatte, sie wäre nur dann erwünscht, wenn alle anderen in hysterische Begeisterung ausbrechen würden. So kommt es schließlich, dass Lee die meisten Gelegenheiten verpasst, um Freunde und Anerkennung zu finden. Stattdessen zieht sie sich immer mehr zurück, um ihre Mitschüler genau zu beobachten und zu analysieren. In der Zeit, in der Lee Fiora uns ihre Geschichte erzählt, hat sie ihre verpassten Gelegenheiten bereits erkannt, was dem ganzen Buch einen Hauch von Traurigkeit und Bitterkeit anhaften lässt, weil Lee darüber nachsinnt, wie ihr Leben in Ault hätte verlaufen können, wenn sie sich in manch einer Situation anders verhalten hätte.

In der Rückbetrachtung hat Lee bereits viele Situationen ausgemacht, in denen es nur eine Winzigkeit erfordert hätte, um ihrem Leben eine positive Wendung zu geben. Während uns Lee ihre Lebensgeschichte erzählt, weiß sie bereits, welchen Ausgang die Dinge in Ault für sie genommen haben, deswegen erhalten auch alle positiven Erlebnisse einen Hauch drohenden Unglücks. Schon als Cross seinen Arm um Lee legt und diese im siebten Himmel schwebt, kann man erahnen, dass die Beziehung zwischen Lee und Cross keinen guten Ausgang nehmen kann.

_Schreibweisen_

Mit unglaublich viel Liebe zum Detail, Fingerspitzengefühl und einem sehr feinen Gespür für Sorgen und Nöte von ganz gewöhnlichen Teenagern deckt Curtis Sittenfeld die kleinen und großen Dramen des Lebens an einer Eliteschule auf. Sittenfeld erzählt uns von Lee, die einfach nur akzeptiert werden möchte und um Anerkennung kämpft, von Dede, die sich verzweifelt an die beliebte Aspeth klammert, um vielleicht einen Teil der Aufmerksamkeit abzubekommen, und wir lernen die stille Sin-Jun kennen, die eines Tages völlig überraschend versucht, sich das Leben zu nehmen.

Curtis Sittenfeld beschreibt das Leben in Ault so lebendig, als wäre man selbst dabei. Stets dringt sie in die Tiefe, nie beobachtet sie die Menschen oberflächlich oder nachlässig. Sie versucht immer, uns die Handlungen und Gedanken der Figuren näher zu bringen und schafft dieses auf hervorragende Weise. Wir können die Mädchen und Jungen sehr gut verstehen, auch wenn sie eigentlich noch so widersinnig handeln mögen. Vor allem Lee wird beim Lesen zu einer guten Freundin. Immer ist sie bemüht, sich möglichst unauffällig zu benehmen, dabei wünscht sie sich so sehr echte Freunde. Ihre Wünsche und Gedanken sind so menschlich, nachvollziehbar und dabei aber auch so verzweifelt, dass man Lee Fiora am liebsten in den Arm nehmen und trösten möchte. Wie gut kann man selbst doch noch die Nöte eines Teenagers nachvollziehen, der um Freundschaft ringt und später vielleicht feststellen muss, dass in entscheidenden Situationen etwas schief gegangen sein muss. Zwischendurch würde man Lee gerne die richtigen Worte einsoufflieren, weil man ihr so sehr ihr kleines bisschen Glück wünscht, aber immer wieder muss man hilflos mit ansehen, dass Lee in ihr eigenes Unglück rennt und sich dabei selbst immer trauriger macht.

Curtis Sittenfeld verleiht in ihrem Debütroman all den Kindern und Jugendlichen eine Stimme, die um Anerkennung kämpfen, aber im Schulalltag – aus welchen Gründen auch immer – nicht bestehen können. Bei diesen Jugendlichen ist es nicht alleine die Pubertät, die für Kummer sorgt, sondern es ist die fehlende Akzeptanz und es sind die fehlenden Freunde. Im Nachhinein überrascht mich Sittenfelds Erfolg in den USA doch ein wenig, da sie Lees Unglück größtenteils an ihrem zu geringen sozialen Status festmacht, der sie an einer Eliteschule automatisch zu einer Außenseiterin werden lässt. Umso erfreulicher aber, dass ein so nachdenklich stimmender Roman seine verdiente Anerkennung erhält.

_Eine Elite unter den Büchern_

„Eine Klasse für sich“ ist nicht nur inhaltlich ein sehr schönes Leseerlebnis, Curtis Sittenfeld überzeugt auch mit ihrem flüssigen und angenehm lesbaren Schreibstil, der es ermöglicht, dass sich die Seiten praktisch von alleine lesen. Was das Buch aber in erster Linie zu einem absoluten Vergnügen macht, ist die gefühlvolle Schilderung Lee Fioras, von der man sich beim Zuklappen des Buches regelrecht verabschieden muss, weil sie einem so ans Herz gewachsen ist. Man freundet sich beim Lesen so sehr mit Lee an, dass man es nicht erwarten kann, endlich zu erfahren, was alles in Lees Schulzeit geschehen ist, das sie zu einem so traurigen Menschen gemacht hat. Curtis Sittenfeld hat mit ihrem Debütwerk einen beachtlichen und überaus lesenswerten Roman vorgelegt, dem man auch hier in Deutschland einen großen Verkaufserfolg wünscht – schwer vorstellbar, dass man von diesem Buch nicht tief berührt werden könnte.

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Heim, Uta-Maria – Dreckskind

„Dreckskind“ ist der aktuelle Roman der preisgekrönten deutschen Autorin Uta-Maria Heim. Bereits zweimal wurde Heim mit dem Deutschen Krimi-Preis ausgezeichnet und einmal mit dem Friedrich-Glauser-Preis. Ihr aktuelles Romanwerk schmückt sich auf dem Buchrücken mit den lobenden Worten Ingrid Nolls, die der Meinung ist, Heim wäre mit „Dreckskind“ ein großer Wurf gelungen. Schauen wir uns dies genauer an…

In Stuttgart ist der Teufel los: Ein halbes Jahr nach der Ermordnung der kleinen Aranca Burlic verschwindet nun auch der erst sechsjährige Emil Walz von einer [Hocketse.]http://de.wikipedia.org/wiki/Hocketse Obwohl beide Fälle auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, wird eine gemeinsame Sonderkommission gegründet, die den beiden Verbrechen auf die Spur kommen will.

Arancas Mutter Svetlana hat den gewaltsamen Tod ihrer einzigen Tochter immer noch nicht verwunden, sie ist der festen Überzeugung, dass ihr Bruder Stanco die Schuld an Arancas Tod trägt, denn er handelt in dubiosen Kreisen mit Drogen. Svetlana ist sich sicher, dass Arancas Ermordung damit zu tun haben muss. Gleichzeitig fürchtet sie sich auch, als sie von Emils Verschwinden erfährt. Kennt sie die Familie Walz doch genauer, als sie dies der Polizei gegenüber zugeben will?

Emils Vater Gerd Walz ist verzweifelt. Genau einen Tag, bevor seine Frau aus der psychiatrischen Klinik entlassen werden sollte, wird Emil entführt. Was steckt bloß hinter dieser Tat? Oder hat vielleicht seine Frau etwas mit Emils Verschwinden zu tun? Emils große Schwester Elke erfährt bald Genaueres über Emils Verbleib, muss aber Stillschweigen bewahren, denn Emil lebt und wurde verschleppt, allerdings hängt sein Leben dennoch am seidenen Faden.

Die Ermittler der Sonderkommission haben alle Hände voll zu tun, denn zunächst findet sich nirgends eine Spur, die beide Fälle miteinander verknüpfen könnte, obwohl die meisten es doch im Gefühl haben, dass die Aufklärung des einen Falles auch das andere Verbrechen lösen dürfte. Ganz langsam entwirren sich die Fäden eines erst unübersichtlichen „Indizienknäuels“ und ganz allmählich werden uns die Hintergründe und Zusammenhänge aufgezeigt …

Uta-Maria Heim siedelt ihre Kriminalgeschichte in zwei kleinen schwäbischen Örtchen an, in denen die Bevölkerung bislang nicht mit derlei brutalen Verbrechen konfrontiert wurde. Schon früh ist dem Leser klar, dass die Lösung des Falls in der Vergangenheit zu suchen ist, denn den Einstieg in den Roman macht die Vorstellung Marthas, die uns von ihren zahlreichen Geschwistern berichtet und insbesondere von ihren beiden Brüdern Edmund und Emil, die beide nicht sehr alt geworden sind. Eines Tages wird Martha Zeuge, wie Emil von einem Zug überfahren und dabei geköpft wird. Als der Name „Emil“ schließlich auch in der Gegenwart auftaucht, sucht man zunächst ziellos den Zusammenhang mit Martha, doch muss der Leser etwas länger warten, bis Uta-Maria Heim ihre Joker ausspielt und uns erklärt, in welchem Verhältnis der kleine Emil Walz zu der alten [Klaiberin]http://de.wikipedia.org/wiki/Klaiben Martha steht.

Zu Beginn wirkt „Dreckskind“ etwas ziellos; man kann nicht einmal erahnen, welche Rolle Martha in dieser Geschichte spielt und warum sie sich anfangs so detailliert vorgestellt hat, doch wenn man als Leser langsam vergisst, dass es diesen Prolog gegeben hat, trifft man plötzlich wieder auf Martha und es fällt einem wie Schuppen vor den Augen, wie Heim ihre Protagonisten miteinander verwoben hat.

Apropos Protagonisten: Obwohl das Buch mit nur 374 Seiten eher schmal geraten ist, treten unzählige Charaktere auf den Plan und werden uns alle mehr oder weniger ausführlich vorgestellt. Leider kann keiner der Protagonisten Sympathien auf sich vereinigen; alle haben dermaßen komische Macken und Launen, dass man sich mit niemandem so recht anfreunden kann. Das führt dann auch dazu, dass man sich weder in eine der Personen hineinversetzen kann und will, noch mit einer der Personen mitfiebert.

Uta-Maria Heim präsentiert uns eine recht verworrene Geschichte, die nur langsam ihre Zusammenhänge offenbart und auch das scheinbar nur widerwillig. Es tauchen genug Figuren auf, die im Grunde genommen keine oder nur eine winzige Rolle spielen. Das führt leider dazu, dass man sich gar nicht alle Namen und die zugehörigen Lebensgeschichten merken kann. Auch streut Heim einige überraschende Wendungen ein, die man irgendwann kaum noch mitverfolgen kann. So bleibt das große Aha-Erlebnis schlussendlich aus, da man eigentlich nur froh ist, endlich zu wissen, was Aranca Burlic und Emil Walz miteinander zu tun haben. Heim verlangt von ihren Lesern schon einen recht langen Atem, zumal sie kaum spürbare Spannung aufbaut.

Besonders erschwerend kommt die Schwäbische Sprache hinzu, in der sich die meisten Protagonisten unterhalten, was in einem Hörbuch zwar nett klingen mag, was aber sehr lästig zu lesen ist:

|“Es dauert mich, aber mir pressiert’s. Also, ade!“ „Äll Hack ein neues Theater.“ „I verhebbs nimme.“ „Ha noi, ond des secht grad des Chefle!“ „Etzt haltet doch elle mol d‘ Gosch!“|

Wenn es nur darum gegangen wäre, dass aus dem Chef das unvermeidliche „Chefle“ geworden wäre, hätte ich die Verwendung des Schwäbischen sicher noch amüsant gefunden und ich muss gestehen, dass das gesprochene Schwäbisch durchaus Unterhaltungswert hat, aber in geschriebener Form ist es wohl doch eher Geschmackssache und für Schwaben oder hartgesottene Schwäbischfans gedacht.

Insgesamt macht es uns Uta-Maria Heim nicht einfach, sich in ihr Buch einzudenken und einzufühlen. Sie baut Zeitsprünge ein, um uns das Verschwinden Arancas näher zu bringen und um die beiden Familiengeschichten zu erzählen, um die es hier gehen soll. So fällt es doch nicht leicht, sich in diesem Buch zurechtzufinden, und das, obwohl die Grundidee des Buches durchaus vielversprechend war. Die Aufklärung, wie Emils Verschwinden und Arancas Ermordung zusammenhängen und welche Rolle Martha in all dem Kuddelmuddel spielt, gefällt im Grunde genommen gar nicht schlecht, doch muss ich gestehen, dass ich zu diesem Zeitpunkt bereits die Geduld mit dem „Dreckskind“ verloren hatte.

Insgesamt ist „Dreckskind“ ein sehr eigenwilliger Kriminalroman, der bestimmt seine Anhänger finden wird, ich persönlich würde es jedoch nicht als großen Wurf bezeichnen, da ich weder mit den Charakteren warm werden konnte noch mit Heims eigenwilliger Erzählweise.

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Welsh, Louise – Kugeltrick, Der

Die preisgekrönte britische Autorin Louise Welsh veröffentlicht mit „Der Kugeltrick“ ihren nunmehr dritten Roman und wird damit voraussichtlich ihre Erfolgsgeschichte fortsetzen. Ihre Bücher wurden bislang in 17 Sprachen übersetzt und bereits ihr Debütroman „Dunkelkammer“ erhielt mehrere Preise. Dieses Mal begleiten wir den Illusionisten und Magier William Wilson auf seiner Tour durch Europa …

_London_: In der englischen Metropole London nimmt die Geschichte um den Zauberer William Wilson ihren Lauf, hier tritt er wieder einmal in einem abgehalfterten Theater im Vorprogramm einer „erotischen Tanzgruppe“ auf. Bei seinem denkwürdigen Auftritt in London trifft es ihn besonders hart, denn er spielt den Anheizer für zwei Striptease-Tänzerinnen, die auf dem Abschiedsabend eines Polizeibeamten für Stimmung sorgen sollen. Williams Auftritt läuft mäßig, er fasst sich kurz und hofft, noch unbescholten von der Bühne zu kommen, doch hinter der Bühne wartet ein weiterer Auftrag auf ihn: Er soll dem pensionierten Beamten einen Umschlag aus dessen Anzugsjacke entwenden, wofür ihm ein ordentlicher Batzen Geld winkt, der auf einen Schlag Williams Finanzkrise beenden könnte. So wundert es nicht weiter, dass ihm auch dieser Auftrag gelingt. Unbemerkt klaut er den besagten Umschlag und bringt ihn zu seinem Auftraggeber, doch dann geht plötzlich alles schief, die beiden werden bei der Übergabe gestört und William flieht mit dem ominösen Umschlag.

_Berlin_: William kennt nur einen Wunsch: weg aus England! Und dieser Wunsch wird ihm tatsächlich erfüllt, als ihm sein Agent ein Engagement in der deutschen Hauptstadt besorgen kann. Dort soll William Wilson im „Spinnenetz“ auftreten, einem schäbigen Theater, wenn auch einem mit einem ganz eigenen Charme. Dort angekommen, verliebt sich William Hals über Kopf in die Freundin eines eingebildeten Muskelprotzes und muss erkennen, dass er auch hier zusammen mit erotischen Tänzern auf der Bühne stehen soll. Schon Williams erster Auftritt beginnt katastrophal, seine Zuschauer sind gelangweilt und warten ungeduldig auf den nächsten Showact, bis William eine Assistentin aus dem Publikum holt und dabei Sylvie kennen lernt. Noch weiß William allerdings nicht, wie sehr diese Begegnung sein Leben verändern wird …

_Glasgow_: Hier treffen wir auf William nach all den Geschehnissen, er lebt auf der Straße und besäuft sich jeden Abend besinnungslos. Er ist verzweifelt und heruntergekommen. Eines Abends schläft er neben einem Penner unter einer Brücke ein und bemerkt dabei gar nicht, dass dieser Penner kurz zuvor brutal ermordet wurde. Als William unsanft von Polizeibeamten geweckt wird, ahnt er, dass ihm neues Unheil droht …

In diesen drei europäischen Schauplätzen hat Louise Welsh ihre Kriminalgeschichte rund um den Zauberer William Wilson angesiedelt. Die Geschichte springt häufig zwischen den einzelnen Handlungsorten und damit auch in der Zeit hin und her. Schnell merkt der Leser, dass die Geschichte in London ihren Anfang genommen hat und in Glasgow enden wird. Berlin schließlich stellt eine Zwischenstation dar, in der allerdings ebenfalls ereignisreiche Dinge geschehen. Zunächst lassen sich die Ereignisse nicht eindeutig in die richtige Reihenfolge bringen, was jedoch auch die Spannung unweigerlich ansteigen lässt, da der Leser noch nicht ahnen kann, welche Episode genau zu Williams Verfall beigetragen hat. Die erste Vermutung erweist sich deswegen erst einmal als falsch, wie der Leser sehr spät bemerken wird.

In eindrucksvollen und ergreifenden Worten schildert uns Louise Welsh einen Ich-Erzähler, der sich mehr oder eher weniger erfolgreich als Illusionist und Mentalist verdingt, dabei aber schonungslos zu verstehen gibt, dass er auch nicht zur oberen Liga der Zauberer gehört und eigentlich eher in den kleinen Zaubertricks und Kartenkunststückchen gut ist. Im Laufe der Geschichte erleben wir jedoch eine erstaunliche Wandlung mit, denn während William anfangs zwar arm und recht erfolglos auftritt, hat er in Glasgow bereits mit seinem Leben abgeschlossen und teilt dort lieber sein Dosenbier mit irgendwelchen Obdachlosen. In schonungslosen Beschreibungen wird uns dieser Verfall näher gebracht:

S. 149: |“Trotz aller Warnungen war Alkohol offenbar ein ziemlich langsamer Killer. Kein Vergleich zu einem Messer im Bauch oder einer Kugel im Kopf. […] In der Taille war ich schon ziemlich auseinandergegangen. Zwischen meinen Fingern war eine Schuppigkeit, die nachts mehr juckte. Meine Haut hatte die breiige Blässe von Häftlingen nach einem halben Jahr Knast. Kosmetikartikel wie Deodorant und Rasierwasser hatte ich aufgegeben, wie auch meine Kontaktlinsen. Die Brille machte mich gleich noch drei Jahre älter, obwohl sie für meine derzeitigen Verhältnisse fast einen Hauch zu modisch war. Ich überlegte, ob ich mir nicht eine neue besorgen sollte, eine, die nicht so deutlich signalisierte, dass ich ein Mann war, der bessere Zeiten gekannt hatte. Mein Haar war auch länger geworden. Manchmal kam es zwei Wochen am Stück nicht mit Shampoo in Berührung, und Festiger und Gel und den ganzen Kram brauchte ich nicht.“|

Auch in zahlreichen anderen Situationen beweist Louise Welsh ihr überragendes Erzähltalent und ihre genaue Beobachtungsgabe. Viele Kleinigkeiten schmücken ihre Erzählung aus, die uns bei den Geschehnissen ganz nah dabei sein lassen, weil uns selbst das winzigste Detail nicht vorenthalten wird. Insbesondere in der Darstellung des Protagonisten aus dem Kugeltrick geht Welsh schonungslos und mit viel Liebe zum Detail zu Werke. Der Leser kann ihn förmlich auf der Bühne stehen und zaubern sehen. Allerdings weckt er eher Mitleid als Sympathien, weil er einfach zu tolpatschig und ohne Aussicht auf Erfolg zu Werke geht.

Doch die wunderbaren Beschreibungen sind nicht das Einzige, was diesen Kriminalroman kennzeichnet, denn umrahmt wird die Erzählung durch eine mysteriöse Kriminalgeschichte, die mit dem Diebstahl des geheimnisvollen Umschlags beginnt. Zunächst passiert dieser Teil der Geschichte ganz nebenbei, William denkt gelegentlich an den Umschlag zurück, den er zur Aufbewahrung an seine Mutter geschickt und sie damit wahrscheinlich in große Gefahr gebracht hat. Doch mit fortschreitender Zeit beginnt William Nachforschungen anzustellen, er öffnet den Umschlag und fängt an, Fragen zu stellen und darauf Antworten zu suchen. Wir begleiten ihn also auch auf seinen Ermittlungen und kommen mit ihm gemeinsam der Lösung des Geheimnisses auf die Spur.

Was aber hat der Kugeltrick mit all dem zu tun? Dies ist wiederum eine weitere Episode, die Teil des Buches ist. Der Kugeltrick ist ein sehr gefährlicher Zaubertrick, den William zusammen mit seiner Assistentin Sylvie auf der Bühne vorführt. Er ist dabei um einiges schwieriger und riskanter als der berühmte Trick, in dem Sylvie vor den Augen der Zuschauer durchgeschnitten und mit Messern aufgeschlitzt wird. Welche Rolle aber genau der Kugeltrick spielt, der sich während der Lektüre immer weiter aus den Gedanken der Leser stiehlt, um dann am Ende ganz plötzlich wieder aufzutauchen, das muss wohl jeder selbst herausfinden.

Am Ende lässt sich festhalten, dass Louise Welsh mit „Der Kugeltrick“ ein eindrucksvoller, aber doch auch ganz anderer Kriminalroman gelungen ist. Es geht nicht so sehr um eine vertrackte Mordermittlung, als vielmehr um William Wilsons Spurensuche und Vergangenheitsbewältigung. Die Kriminalgeschichte kann hierbei allerdings nicht ganz so sehr überzeugen wie die ausgefeilten Beobachtungen und Beschreibungen der Autorin, die uns alle Situationen so bildlich vor Augen führen, als säßen wir selbst im Publikum. „Der Kugeltrick“ ist ein Roman für Buchfreunde, die keine Effekthascherei brauchen und die sich gerne mit ihren Protagonisten auch in ein schummeriges und schmuddeliges Milieu begeben, um dem Ich-Erzähler bei seinem persönlichen Verfall zuzusehen. Als Charakterstudie, die sich herrlich lesen lässt, funktioniert der vorliegende Roman sehr gut, mit Autoren wie Henning Mankell kann und will es Louise Welch jedoch nicht aufnehmen. Wer also lieber eine blutige Mordserie miterleben will, sollte auf den nächsten Schwedenkrimi warten, alle anderen Buchfreunde sind mit Louise Welsh jedoch hervorragend bedient.

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