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Interview mit Derek Meister

|Derek Meister wurde 1973 in Hannover geboren. Schon früh entdeckte er seine Leidenschaft für das Geschichtenerzählen und den Film. So entstanden in den 1980ern erste „Drehbücher“ und mit Freunden erste Spielfilme auf Super-8 im Wald hinterm Haus.

Die frühen Versuche verschlugen ihn 1995 an die Filmhochschule Konrad Wolf in Potsdam/Babelsberg. Dort studierte er Film- und Fernsehdramaturgie. Schon während des Studiums wurden erste Drehbücher unter anderem vom ZDF realisiert. 2003 beendete Derek Meister sein Studium zum Film- und Fernsehdramaturgen mit Diplom.

Er entwickelte die Krimiserie „Mit Herz und Handschellen“ mit, die 2003 erfolgreich auf |Sat.1| lief und wurde mit „Weg!“ für den FirstSteps-Preis nominiert. Außerdem gewann das Spiel „Wiggles“, für das er das Drehbuch verfasste, zahlreiche Branchenpreise.

Bekannteste Werke sind die historischen Kriminalromane um den Lübecker Kaufmann Rungholt. Der Band „Rungholts Ehre“ wurde für den Friedrich Glauser-Preis in der Sparte „Bestes Krimi-Debüt“ nominiert.

Derek Meister ist verheiratet und arbeitet seit 1999 als freier Autor in Berlin.|

_Michael Sterzik:_
Guten Tag, Herr Meister. Was machen Sie gerade? Sind Sie zu Hause? Fühlen Sie sich an ihrem derzeitigen Wohnort wohl? Wo ist dieser zurzeit überhaupt?

_Derek Meister:_
Vor kurzem sind meine Frau und ich von Berlin weggezogen aufs Land, nach Niedersachsen. Noch ist nicht alles an seinem Platz, aber ich genieße es sehr hier. Die Spaziergänge mit unserem Hund über die Felder bringen immer wieder frischen Wind in meine Gedanken.

_Michael Sterzik:_
Ich gratuliere zu den aktuellen Erfolgen!

_Derek Meister:_
Vielen Dank.

_Michael Sterzik:_
Schon „Rungholts Ehre“ lief ausgesprochen gut und auch der zweite Teil der Historischen Krimireihe, „Rungholts Sünde“, wurde begeistert von den Lesern aufgenommen. Was erwartet diese in „Knochenwald“? Wird der dritte Roman die Charaktere vertiefen und noch mehr von Rungholts Persönlichkeit preisgeben?

_Derek Meister:_
In „Knochenwald“ ist Rungholts Verhältnis zu Kirche, Glaube und Aberglaube Thema. Er kommt nach München, um sich endlich durch eine Absolution von seiner schweren Sünde zu befreien. Natürlich erfährt man auch hier etwas mehr über Rungholt, seine Denke, seine Welt. Wir lernen zum Beispiel seine erwachsene Tochter Margot kennen und erfahren, wie Rungholt über ihre Ehe mit einem armen Flößer denkt. Das Schöne an einer solchen Reihe ist ja gerade, dass man tiefer und tiefer in die Figuren gehen und sie von immer mehr Seiten beleuchten kann.

_Michael Sterzik:_
Was verbindet Sie mit Lübeck? Warum lassen Sie die Geschichte um den bärbeißigen Kaufmann Rungholt in dieser schönen und geschichtsreichen Hansestadt spielen?

_Derek Meister:_
Zuerst ergab sich Lübeck aus den Recherchen zum ersten Band als Haupthandlungsort – wer etwas zur Hansezeit spielen lassen möchte, kommt um die „Königin der Hanse“ kaum herum. Vor der Arbeit an Rungholt hatte ich Lübeck noch nicht besucht. Doch durch die Recherche-Reisen nach Lübeck ist mir die Stadt sehr ans Herz gewachsen. Und ich freue mich immer wieder, wenn ich sie besuchen kann.

_Michael Sterzik:_
Ist Rungholt charakterlich mit Ihnen verwandt?! Finden Sie sich in dieser Person wieder?

_Derek Meister:_
Nein. Meine Frau meint, dass Rungholts Schussligkeit, seine Brille immer zu verlegen, ebenso eine Macke von mir sei. Vielleicht hat sie Recht …

_Michael Sterzik:_
Wie sind Sie dazu gekommen, im historischen Genre eine Krimireihe zu schreiben? Gerade im historischen Bereich erfordert das ja eine Menge an Recherchearbeit, um authentisch zu erzählen.

_Derek Meister:_
Und genau darauf habe ich mich gefreut. Vor Rungholt habe ich hauptsächlich für das Fernsehen moderne Stoffe geschrieben, allerdings auch Krimis. Aber ich wollte endlich einmal in andere Welten als das Hier und Jetzt tauchen, recherchieren und fremde (historische) Sujets schaffen – und endlich einmal nicht aufs Budget achten müssen.

_Michael Sterzik:_
Wie viele Romane haben Sie mit Rungholt geplant und werden diese immer in Lübeck spielen?

_Derek Meister:_
Rungholt ist und bleibt ein Hanser. In „Knochenwald“ zieht er ja bereits in den Süden, und als Kaufmann könnte Rungholt viel herumkommen – aber er scheut ja das Wasser! Und Lübeck ist und bleibt seine Heimat. Gerade schreibe ich den vierten Band, der wieder in Lübeck spielt.

_Michael Sterzik:_
Warum haben Sie für den dritten Band nicht Hamburg oder eine andere Hansestadt an der Ostseeküste gewählt?

_Derek Meister:_
Ich wollte Rungholt bewusst in die Fremde schicken, einmal ohne seinen gewohnten Rückhalt agieren lassen. Dass er dann bis nach München reisen musste, ergab sich durch das Gadenjahr, das tatsächlich 1392 in München stattfand, und das ja ganz wunderbar zu seinem Wunsch nach Absolution passte.

_Michael Sterzik:_
Sie sind ein erfahrener und recht erfolgreichen Drehbuchautor. Planen Sie, die Rungholt-Reihe zu verfilmen?

_Derek Meister:_
Nein. Ursprünglich hat mich auch die „Unverfilmbarkeit“ gereizt, denn eine authentische und atmosphärische Ausstattung würde doch ein üppiges Budget erfordern. Wenn dies jedoch jemand bereit ist aufzubringen, lasse ich mit mir handeln. Keine Frage.

_Michael Sterzik:_
Sie hatten vor Kurzem eine Lesung in Lübeck, in der St.-Petri-Kirche. Und diese war ein voller Erfolg. Welches Gefühl hatten Sie dabei, vor ca. 600 Menschen „Rungholt“ vorzulesen, ein Heimspiel für Ihren Protagonisten?

_Derek Meister:_
Mir ist schon das Herz in die Hose gerutscht. Vor so vielen Leuten hatte ich noch nie gelesen. Aber ich bin froh, wenn die Lesung den Zuhörern Spaß gemacht hat. Die Atmosphäre in der schönen Hallenkirche war großartig und die Lübecker sind immer ein tolles Publikum.

_Michael Sterzik:_
Ihre Frau und Sie sie schreiben für Kinder die Reihe „Drachenhof Feuerfels“. War es Ihre eigene Idee oder hat Sie Ihre Frau in diese phantastische Welt geschubst?

_Derek Meister:_
Eine Welt zu haben, in der es keine Pferde gibt, dafür aber nur Drachen, war zuerst meine Idee, doch in langen Spaziergängen haben wir zusammen die konkrete Welt des Grinfjördtals und die Heldinnen entwickelt.

_Michael Sterzik:_
Wird es beispielsweise eine Zeichentrickserie von dieser Reihe geben?

_Derek Meister:_
Noch nicht. Nein. Denkbar wäre dies aber durchaus.

_Michael Sterzik:_
Die phantastische Kinder- und Jugendliteratur erlebt seit der Geburt von „Harry Potter“ einen wahren Aufschwung. Meinen Sie, dieser sich noch weiter entwickeln wird?

_Derek Meister:_
Das ist schwer zu sagen, auf jeden Fall verwischen seit Harry Potter mehr und mehr die Grenzen zwischen „Kinderbuch“ und „Erwachsenenliteratur“, was ich persönlich für eine gute Entwicklung halte. Ich selbst habe diese Unterscheidungen niemals wirklich gemacht. Wenn eine Geschichte spannend ist, sollte es Erwachsenen nicht peinlich sein müssen, sie zu lesen, nur weil „Kinderkram“ wie Hexen und Zauberer darin vorkommen.

_Michael Sterzik:_
Welche Drehbücher haben Sie in Planung? Werden das Kino- oder eher Fernsehfilme werden?

_Derek Meister:_
Momentan schreibe ich neben den Büchern für verschiedene Fernsehsender. Im Herbst 2008 wird voraussichtlich ein TV-Movie von mir bei |RTL| laufen: „Die Jagd nach dem Schatz der Nibelungen“.

_Michael Sterzik:_
Wie sieht Ihr Tagesablauf aus? Schreiben Sie jeden Tag und dann gleichzeitig an mehreren Projekten?

_Derek Meister:_
Bis auf die Wochenenden habe ich jeden Tag ein Pensum von ca. 2000 Wörtern, das ich versuche einzuhalten. Neben den Büchern arbeite ich meistens parallel auch an einem Drehbuch. Aber ich blocke die Tage oder Wochen lieber, denn ständig in den Stoffen zu springen, ist nicht unbedingt meins.

_Michael Sterzik:_
Vielen Dank für das Interview, Herr Meister!

inhalt


http://www.rungholt-das-buch.de
http://www.feuerfels.com

Porträtfoto © Anke Jacob

_Derek Meister auf |Buchwurm.info|:_
[„Rungholts Ehre“ 4460
[„Rungholts Sünde“ 4767

Interview mit Andreas Gruber, Teil 1

Andreas Gruber wurde am 28.08.1968 in Wien geboren. Er studierte an der Wirtschaftsuniversität Wien, arbeitet als kaufmännischer Angestellter in einem Teilzeitjob, hat einen Sohn und lebt verheiratet in Grillenberg in Niederösterreich.

1996 begann er mit dem Schreiben von Autorenportraits, die im Magazin |Space View| abgedruckt wurden. Ab 1997 verfasste er Kurzgeschichten für Fanzines wie |Fantasia|, |Nocturno|, |Sagittarius|, |Solar-X| und das |Andromeda|-SF-Magazin. 1999 war er mit einer Story Preisträger des [NÖ Donaufestivals.]http://www.donaufestival.at

Mittlerweile erschienen seine Kurzgeschichten in zahlreichen Magazinen, u. a. |Alien Contact|, |Nova|, |Omen|, |phantastisch!| und |Space View|, sowie in Anthologien der Verlage |Aarachne|, |Abendstern|, |Basilisk|, |BeJot|, |Bielefeld|, |BLITZ|, |Lacrima|, |Midas|, |Richter|, |Schröter|, |Shayol|, |Storia|, |UBooks|, |VirPriV|, |Wurdack| und |Ulmer Manuskripte|.

Sein Kurzgeschichtenband „Der fünfte Erzengel“ (|Shayol|, derzeit in 2. überarb. Aufl.) wurde zum |Deutschen Phantastik-Preis| 2001 nominiert und erreichte den 4. Platz. Mit seinem zweiten Kurzgeschichtenband „Die letzte Fahrt der Enora Time“ (|Shayol|, derzeit in 2. überarb. Aufl.) erzielte er 2002 den 1. Platz beim |Deutschen Phantastik-Preis| in den Kategorien „Beste Kurzgeschichte“ und „Beste Kollektion“, sowie den 2. Platz beim |Deutschen Science-Fiction-Preis| und den 3. Platz beim |Kurd-Lasswitz-Preis|.

Die phantastische Detektiv-Kurzgeschichten-Serie „Jakob Rubinstein“ erschien im |Basilisk|-Verlag und erzielte beim |Deutschen Phantastik-Preis| 2004 den 4. Platz.

Der Roman „Der Judas-Schrein“ erschien im April 2005 als Hardcover im |Festa|-Verlag und gewann 2006 den |Deutschen Phantastik-Preis| in der Kategorie „Bestes Roman-Debut“. Danach Arbeitsstipendium Literatur 2006, österreichisches Bundeskanzleramt. Ende 2007 erschien der Roman „Schwarze Dame“ im |Festa|-Verlag und Anfang 2008 der Roman „Das Eulentor“ im |BLITZ|-Verlag. Für das dritte Quartal 2008 ist der Roman „Die Engelsmühle“ im |Festa|-Verlag in Vorbereitung.

|Die Biographie wurde der offiziellen Autoren-Website http://www.agruber.com entnommen und geringfügig bearbeitet.|

_Andreas Gruber auf |Buchwurm.info|:_

[„Schwarze Dame“ 4584
[„Der Judas-Schrein“ 2113
[„Der fünfte Erzengel“ 1907

_Erster Teil des Interviews mit Andreas Gruber, geführt von Alisha Bionda am 24. Februar 2008_

_Alisha Bionda:_
Vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst, einige Fragen zu beantworten. Als Erstes eine persönliche Frage: Was gibt es über dich als Menschen zu sagen? Was zeichnet dich in deinen Augen aus?

_Andreas Gruber:_
Schwierige Frage. Kennst du die Szene aus Mel Brooks‘ „Frankenstein Junior“, in der Marty Feldman und Gene Wilder ein Grab ausheben, um an Leichenteile ranzukommen? Alles geht schief, was nur schiefgehen kann, aber Marty Feldman sagt: „Es könnte schlimmer sein, es könnte regnen!“ In der nächsten Sekunde setzt dann tatsächlich der Regenschauer ein. Ich bin wie Marty Feldman in der Rolle des Igor: auch dann noch positiv gelaunt, wenn mir das Wasser bis zum Hals steht. Es gibt nämlich immer eine Situation, die noch schlimmer sein könnte.

_Alisha Bionda:_
Was magst du und was nicht?

_Andreas Gruber:_
Ich mag nicht, wenn mich jemand anlügt, falsche Freunde, die sich einschleimen und hinter dem Rücken anderer Lügen verbreiten, ebenso wenig kleingeistige Kriege, weil sich jemand beleidigt fühlt. Ich mag ehrliche Freundschaften, Spaziergänge im Wald, Grillfeste, „Wickie und die starken Männer“, Bastian Pastewka, die „Benny Hill Show“ oder einen Stan-Laurel-&-Oliver-Hardy-Film an einem verregneten Sonntagnachmittag im Fernsehen.

_Alisha Bionda:_
Welche Hobbys hast du?

_Andreas Gruber:_
Lesen, Kinobesuche, Heavy-Metal-CDs sammeln, Acrylbilder malen, die ich verschenke, und regelmäßig bei |Amazon| oder |eBay| stöbern, ob es Angebote gibt. Eine Woche ohne Amazonbestellung ist eine verlorene Woche! Ein Schnäppchen bei |eBay| gibt meinem Leben wieder einen Sinn. Alles klar?

So, dann trainiere ich noch zweimal pro Woche Karate, als Ausgleich zu meiner sitzenden Tätigkeit, sonst hätten mich meine Rücken- und Nackenschmerzen schon längst um den Verstand gebracht. Und seit einem Jahr hat sich ein neues Hobby entwickelt. Heidi und ich spielen mit unseren beiden Nachbarehepaaren Würfelpoker. Dafür haben wir – frei nach John Carpenters „Die Klapperschlange“ – die Bangkok-Regeln erfunden. Eine Partie dauert ca. 80 Minuten, drei Partien sind an einem Abend Minimum. Wer verliert, bei dem findet die nächste Pokerpartie inklusive Abendessen statt. Einmal haben Heidi und ich siebenmal hintereinander verloren. Die Nachbarn hatten sozusagen eine Dauerkarte bei uns gebucht. Die waren schon so peinlich berührt, dass sie Getränke, Chips und Süßigkeiten zum Abendessen mitgebracht haben.

_Alisha Bionda:_
Wolltest du immer schon Schriftsteller werden oder war es eher eine Folge deiner persönlichen Entwicklung?

_Andreas Gruber:_
Nein, ich wollte schon als Junge Autor werden. Mit sechzehn Jahren habe ich Story-Hommagen an die John-Sinclair- und Larry-Brent-Heftromanserie geschrieben. Statt Ghouls haben Suko und John Sinclair so genannte Gössingers gejagt, denn einer meiner Schulkameraden hieß Gössinger. Meine Storys haben mich in der Schule nicht gerade beliebt gemacht, wie du dir sicher vorstellen kannst. Mit etwa 21 Jahren habe ich einige Kurzgeschichten geschrieben, die von |Heyne| und |Bastei| abgelehnt wurden, und nach einer längeren Pause habe ich wieder mit dem Schreiben begonnen.

Damals habe ich Nikolai von Michalewsky, den mittlerweile verstorbenen Autor der Mark-Brandis-Serie aus dem |Herder|-Verlag, in einem Brief um ein Autogramm gebeten und ihm geschrieben, dass ich versuchen möchte, ebenfalls Autor zu werden, da mir so viele Ideen im Kopf herumschwirren. Er war sehr freundlich, hat mich in seinem Antwortschreiben motiviert, hat aber auch geschrieben, dass der Weg hart sei und er mir ein dickes Fell wünscht. Ähnliches schrieb mir der Autor Martin Eisele zurück, den ich ebenso gern gelesen habe. Ich besitze beide Briefe noch, und manchmal stöbere ich in meiner Autogrammmappe. Im Nachhinein betrachtet, waren die Antworten ziemlich untertrieben, aber wahrscheinlich wollten die beiden meinen Jugendtraum nicht völlig zerstören.

_Alisha Bionda:_
Wann hast Du zu schreiben begonnen? Und womit?

_Andreas Gruber:_
Mit 28 habe ich meinen ersten Roman getippt, einen 500-Seiten-Schmöker, den ich aber mittlerweile von der Festplatte gelöscht habe. Du hast es sicher erraten! Er war grottenschlecht, und |Heyne| und |Bastei| wollten ihn nicht einmal geschenkt haben. Im Jahr darauf folgten SF-Storys, die handwerklich ein wenig besser waren und in Fanzines wie |Solar-X|, |Alien Contact|, |Fantasia| oder dem |Andromeda|-SF-Magazin veröffentlicht wurden. Das war 1997 und 1998. Damals träumte ich davon, einmal – bloß einmal – in einer Anthologie veröffentlicht zu werden, um endlich einmal ein richtiges Buch mit meinem Namen drin in Händen zu halten.

Im Wiener |Aarachne|-Verlag von Ernst Petz erschienen dann tatsächlich meine ersten Horror- und SF-Storys in Anthologien, auf die ich mächtig stolz war – und immer noch bin. Mit einer Kollektion von vier Horrorstorys habe ich mich dann bei Boris Koch für eine weitere Ausgabe in seinem Kleinverlag |Medusenblut| beworben. Zu jener Zeit stieg er gerade von Heften auf Bücher um und meinte, er könne nur Bände mit mindestens 150 Seiten rausbringen. Rasch habe ich meine Festplatte nach weiteren tauglichen Texten durchsucht, und so entstand 2000 der Erzählband „Der fünfte Erzengel“.

_Alisha Bionda:_
Hast du eine fest strukturierte Methode, wie du eine Kurzgeschichte „angehst“?

_Andreas Gruber:_
Zunächst muss mal eine konkrete Idee her, dann tippe ich den Anfang wild drauflos. Falls ich in die Story reinkippe, schreibe ich die Rohfassung komplett durch, was aber eher selten passiert. Meist reihe ich sämtliche Ideen chronologisch wie in einem Exposé aneinander und versuche, die Story in Szenen zu unterteilen. Danach tippe ich den Text runter, ohne mir den Kopf darüber zu zerbrechen, ob die Fakten nun stimmen oder nicht. Danach kommt der Part, wo ich die Charaktere, die bis dahin ein merkwürdiges Eigenleben entwickelt haben, in Form von Aussehen, Gesten, Dialogen, Erzählperspektiven und inneren Monologen ausarbeite. Anschließend kommt der Part mit den Recherchen, ob alles stimmt, und dann lese ich mir den Text mehrmals auf dem Monitor durch, korrigiere herum, gruppiere Absätze um, bis ich mit der Story und dem Stil halbwegs zufrieden bin.

Fünfmal ausgedruckt, an fünf Testleser verteilt, dann trudelt schön langsam das erste Feedback ein. Danach beginnt das mühsame Überarbeiten, damit die Charaktere interessanter werden, die Handlung plausibler wird, aber trotzdem spannend bleibt. Zu guter Letzt drucke ich den Text aus und überarbeite ihn auf dem Papier, bis er sich knapp und flüssig liest, keine Tipp-, Rechtschreib-, Stilfehler oder Wortwiederholungen drin sind. Das widerspricht dem Klischee des intellektuellen Künstlers, der in der Abendsonne sitzt und eine Geschichte aufs Papier kritzelt, wenn ihn die Muse küsst. Ich wäre zwar gern so, bin ich aber nicht – leider.

_Alisha Bionda:_
Schreibst du gerne zu einer bestimmten Zeit? Lieber tagsüber, lieber abends/nachts? Wie sieht dein Tagesablauf aus?

_Andreas Gruber:_
Da ich im Büro einen Teilzeitjob im Controlling habe, bin ich oft tagelang mit Zeitausgleich zu Hause. Da arbeite ich von sieben Uhr früh, wenn Heidi das Haus verlässt, bis abends durch. An einem Tag pro Woche, meinem so genannten Schreibtag, arbeite ich bis 23.00 Uhr. Sonst bin ich ab ca. acht oder neun Uhr abends für die Familie da, für einen gemeinsamen Fernsehabend, Kinobesuch oder einen Spieleabend – entweder Würfelpoker oder eine Monsterpartie von den „Siedlern von Catan“.

_Alisha Bionda:_
Bevorzugst du eine bestimmte Atmosphäre oder benötigst du besondere Ruhe, wenn du schreibst?

_Andreas Gruber:_
Ich kenne Autorenkollegen, die können nur schreiben, wenn sie in einem Kaffeehaus sitzen oder mit einem Laptop in der Bibliothek einer Uni. Das würde bei mir nicht klappen. Ich brauche Ruhe beim Arbeiten. Im Zug kann ich zwar Manuskripte überarbeiten – die ÖBB-Wagons haben einen Tisch zum Runterklappen, ähnlich wie in einem Flugzeug, worauf man herrlich korrigieren kann – aber schreiben kann ich nur in meinem Arbeitszimmer. Als Heidi und ich uns vor knapp fünf Jahren ein Fertigteilhaus aufstellen ließen, habe ich mir durch langes Verhandeln das schönste Zimmer im Haus – mit großer Fensterfläche, Balkon und Aussicht auf den Bach im Garten – erkämpfen können. Wichtigerweise klebt ein Schild mit der Aufschrift „Büro“ an der Tür. Da sitze ich nun am PC und arbeite. Vor, hinter und neben mir sind Wandregale, vollgestopft mit Büchern, DVDs und CDs. Wenn mir mal gerade nichts einfällt, schalte ich schnell ins Internet auf die |Amazon|-Seite und bestelle mir etwas. Von meinem Balkon aus sehe ich immer, wenn der Lieferant von |DHL| vor dem Grundstück stehen bleibt und ein Paket bringt. Dann ist der Tag gerettet.

_Alisha Bionda:_
Schreibst du an mehreren Projekten gleichzeitig oder trennst du das strikt?

_Andreas Gruber:_
Grundsätzlich würde ich die einzelnen Projekte gern trennen, da ich ein ähnlicher Ordnungsfreak bin wie der TV-Detektiv Monk, d. h. eine Story beenden, den Schreibtisch aufräumen, den Kopf freimachen, und danach das nächste Projekt beginnen. Leider ist das nicht immer möglich. Durch die lange Phase, in der eine Kurzgeschichte entsteht, wie Rohfassung, Testlesen, Überarbeiten, Korrigieren, Anmerkungen des Lektorats einarbeiten und den endgültigen Feinschliff hinbiegen, ist eine Story im Fertigwerden, während die nächste schon begonnen wird. Dazwischen drängen sich immer wieder alte Storys rein, die neu überarbeitet werden, oder neue Storyideen, die ich festhalten möchte, bevor sie ins Nirvana entschwinden. Zu Spitzenzeiten liegen etwa sieben Manuskripte in den unterschiedlichsten Stadien auf dem langen Regal in meinem Schreibzimmer. Und falls der Stapel runtergekämpft ist und sich nur noch ein oder zwei Manuskripte dort befinden, beginnen die grauen Zellen in meinem Kopf schon zu rotieren: Alter, was könntest du als nächstes machen?

_Alisha Bionda:_
Welchem Genre ordnest du dich zu? Und welches reizt dich am meisten?

_Andreas Gruber:_
Als Zwangsneurotiker à la Adrien Monk ordne ich Dinge gern in geistige Schubladen ein. Bei mir selbst gelingt mir das leider nicht. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wo ich mich reintun sollte. Das ist der Horror jedes Verlagsleiters, wenn er seinen Autor nicht schubladisieren kann. Ich habe ja nicht nur das Problem, dass ich gern Sciencefiction, Horror, Phantastik, Krimis, Thriller und Satiren schreibe, sondern die Genres auch noch gern vermische, und dann kommt beispielsweise so ein Horror-Krimi wie „Der Judas-Schrein“ dabei heraus. Ich lese gern all diese Genres – und das ist das Problem: Ich schreibe liebend gern, was ich selber lese. Auf meinem Nachttisch geben sich Clive Barker, David Morrell, Tom Sharp und Ben Bova sozusagen die Türklinke in die Hand. Letztendlich hat sich in den letzten Jahren aber herauskristallisiert, dass mir das Schreiben im düsteren Thriller- und phantastischen Horror-Genre am meisten Spaß macht – da kommen auch die meisten Ideen.

_Alisha Bionda:_
Deinen Anfang nahmst du mit dem Verfassen von Kurzgeschichten. Was reizt dich daran?

_Andreas Gruber:_
Bei Kurzgeschichten kann man herrlich herumexperimentieren: verschiedene Erzählperspektiven ausprobieren, in der Gegenwart oder in der Mitvergangenheit schreiben, in der zweiten Person schreiben, diverse Rückblenden einbauen, literarisch anspruchsvoll oder einfach nur trashig schreiben, mit Pointen oder Überraschungseffekten arbeiten. Viele Dinge funktionieren im Roman einfach nicht, die kann man nur in einem kurzen Text rüberbringen. Beispielsweise hätte ein Roman mit einer Auflösung à la „The Sixth Sense“ wenig Sinn, als Kurzgeschichte hingegen schon. Für eine Story genügt eine kleine, gute Idee, die man in einem Fünf-Seiter unterbringen kann, aber im Normalfall keinen Roman tragen würde. Mit Kurzfilmen ist es ja ähnlich. Die werden nicht umsonst Kleinodien Hollywoods genannt, da sie genauso Filmmusik, Schnitttechnik, Kameraführung, Überblendungen und all das zu bieten haben, was einen abendfüllenden Spielfilm ausmacht, nur eben auf fünf Minuten komprimiert.

_Alisha Bionda:_
Gibt es einen Autor, dessen Kurzgeschichten du besonders magst?

_Andreas Gruber:_
Oh ja, ich liebe die Kurzgeschichten von Torsten Sträter („Jacks Gutenachtgeschichten“). Der Mann hat einen Stil, den ich regelrecht verschlinge. Der beutelt die Storys, die Dialoge, die Vergleiche und seine einzigartigen bildhaften Beschreibungen nur so aus dem Handgelenk, dass mir auf jeder Seite staunend den Mund aufklappt. Frank Hebben ist auch so ein Kaliber, der es schafft, erfrischend, knapp und einzigartig zu schreiben. Jeder Text ist eine Bereicherung. Demnächst erscheint Hebbens erster Kurzgeschichtenband, auf den ich mich schon tierisch freue. Ich mag die Storys von Michael Siefener („Somniferus“) wahnsinnig gern, denn die sind so schön düster, ruhig und klassisch wie die alten Schwarzweiß-Filme, die ich so sehr liebe. Joe R. Lansdale („Sturmwarnung“, „Wilder Winter“) bewundere ich wegen seiner genreübergreifenden Crossover-Storys und seines kaltschnäuzigen Stils, der so wirkt, als würde er direkt aus dem Bauch heraus schreiben. Die Kurzgeschichten von David Morrell („Rambo“, „Creepers“, „Level 9“) verschlinge ich auch noch, das sind echte Juwelen, Romane in Miniform. Dann mag ich auch noch die Storys von Robert Sheckley („Aliens“) und William Tenn. Die sind zwar schon etwas ältere Semester, aber wow! So zu schreiben ist eine echte Kunst.

_Alisha Bionda:_
Dein großartiger Kurzgeschichtenband „Der fünfte Erzengel“ wurde dankenswerterweise erneut von |Shayol/Medusenblut| aufgelegt. Wie kam es dazu?

_Andreas Gruber:_
Etwa ein Jahr nach dem Erscheinen war der Band in Boris Kochs |Edition Medusenblut| vergriffen. Zwei Drittel der Auflage hat er verkauft, ein Drittel habe ich bei Lesungen und in meinem Freundes- und Bekanntenkreis unters Volk gebracht. Im Jahr darauf erschien dann die SF-Collection „Die letzte Fahrt der Enora Time“ bei |Shayol|, und als ich in Berlin auf dem |Alien Contact Con| das Buch präsentierte, sprachen mich Boris Koch und Hannes Riffel darauf an, was ich davon hielte, wenn |Shayol| den „fünften Erzengel“ neu auflegen und Hannes Riffel das Lektorat übernehmen würde. Da gab’s nicht viel zu überlegen. Ich sagte zu, räumte mir aber die Möglichkeit ein, sämtliche Texte gründlich zu überarbeiten, bevor sie Hannes in die Finger bekam. Dabei erweiterte ich die Handlung der Storys um einige Ideen, die mir im Lauf der Jahre gekommen waren. Außerdem bat ich darum, ein Vorwort schreiben zu dürfen. Mit einem neuen Farbcover von Rainer Schorm ist dann im November 2004 die zweite Auflage erschienen.

_Alisha Bionda:_
Hast du eine Kurzgeschichte, die du selbst als deine beste bezeichnen würdest?

_Andreas Gruber:_
Eigenlob stinkt bekanntlich, daher werde ich dir diese Frage nicht beantworten. Allerdings kann ich dir verraten, bei welcher Story mir das Schreiben am meisten Spaß gemacht hat. Da habe ich drei klare Favoriten: „Ristorante Mystico“ (in: „Nocturno #6“, |VirPriV|), „Souvenirs vom Sensenmann“ (in: [„Der Tod aus der Teekiste“, 3894 |Schreiblust|-Verlag und auf der |LITERRA|-Seite) und „Tief unten in Dudewater, Louisiana“ (in: „Liber Vampirorum IV“, |Midas Publishing|). Allen drei Storys ist gemein, dass sie vor Ideen nur so strotzen und eine ziemlich verwirrende, verschachtelte Handlung haben. Die Idee, so etwas schreiben zu wollen, kam mir das erste Mal, als ich den Film „Die fabelhafte Welt der Amélie“ sah. Zunächst sträubte ich mich gegen diesen Film, da ich ihn für französischen Kitsch hielt, doch als mir befreundete SF-Fans den Film ans Herz legten und ich dann auch noch erfuhr, dass er von Jean-Pierre Jeunet stammte, dem „Alien 4“-Regisseur, borgte ich ihn mir in der Videothek aus. Ich war gleich von Beginn an ein Fan des Films, der neben „Memento“, „Fight Club“, „Die Wonder Boys“ und „Bube, Dame, König, Gras“ zu meinen fünf Lieblingsfilmen gehört. Jedenfalls wollte ich etwas Ähnliches zu Papier bringen – eine Aneinanderreihung verrückter Ideen, die trotzdem eine Handlung ergaben. Und obwohl die Arbeiten an diesen Texten die wohl schwierigsten und langwierigsten waren, bereiteten sie mir am meisten Freude.

_Alisha Bionda:_
Man kann Beiträge von dir in einigen Anthologien finden. Was ist ausschlaggebend dafür, an welchem Projekt du dich beteiligst? Herausgeber? Verlag? Thematik?

_Andreas Gruber:_
Ausschlaggebend ist eigentlich nur, ob ich eine passende Idee habe und die Zeit, sie umzusetzen – oder ob eine zum Thema passende Story in der Schublade liegt. Wichtig ist mir nur, dass der Verlag den Text lektoriert und Druckfahnen versendet. Ob der Herausgeber nun einen etablierten Namen hat oder ein absoluter Newcomer ist, ist für mich nicht wichtig, da auch ein Newcomer, der eine Vision verfolgt, hunderte Texte liest, seine Freizeit opfert und monatelange Arbeit in das Projekt buttert, mit einer Story unterstützt werden sollte.

Von vornherein schließe ich nur Druckkostenzuschussverlage aus oder Verlage, die keine Belegexemplare an ihre Autoren verteilen. Solche Fälle gibt es, und wenn ich mich nach einem Belegexemplar erkundige, habe ich schon öfters die patzige Antwort erhalten, dass ich eigentlich froh sein müsste, wenn mich der Verlag überhaupt druckt, denn schließlich ist das ja Werbung, und wenn ich nicht will, gäbe es Dutzende, die nur darauf warten, dort gedruckt zu werden. Also klein sein, nichts rausrücken wollen, aber dann auch noch frech und überheblich sein – finde ich nicht okay. Mir ist klar, dass Kleinverlage keine Autorenhonorare bezahlen können, da die Bücher aus der eigenen Tasche finanziert werden – aber zumindest ein Belegexemplar als Anerkennung für die Story sollte schon drin sein. Übrigens gibt es die Verlage, die so gearbeitet haben, mittlerweile nicht mehr auf dem Markt. Ich bin nicht schadenfroh, aber es beweist mir, dass sich Qualität und Engagement letztendlich durchsetzen.

_Alisha Bionda:_
Hast du ein schriftstellerisches Vorbild?

_Andreas Gruber:_
Mehrere sogar. Stilistisch finde ich Joe R. Lansdale unübertroffen. Ich habe nie versucht, seinen Stil zu kopieren, da ich meine Grenzen kenne. Lansdale schreibt aus dem Bauch, und ich bin viel zu sehr Kopfmensch, als dass mir das je gelingen würde. Mir bleibt also nur, Lansdale zu bewundern. Was die Entwicklung und das Zeichnen von Charakteren betrifft, ist Dennis Lehane („Mystic River“, „Shutter Island“) ein klares Vorbild. Von ihm habe ich mir einige Tricks und Kniffe abgeschaut. Was die Handlung betrifft, bewundere ich die Arbeiten von David Morrell, der sogar seinen Kurzgeschichten so viel Aufmerksamkeit widmet, dass Mini-Romane dabei herauskommen, die man locker auf 500 Seiten hätte auswälzen können. Und was das Œuvre eines Schriftstellers betrifft, so sehe ich in Markus Heitz ein klares Vorbild. Er hat es geschafft, seine Fantasyromane der Ulldart- und Zwergen-Reihe bei |Piper| unterzubringen, seine SF-Shadowrun-Reihe bei |Heyne| und seine Horrorromane „Ritus“ und „Sanctum“ in einer Reihe bei |Droemer/Knaur|. Ihm ist es gelungen, seine breiten Ideen zu verwirklichen, ohne sich dem Schubladisieren der Verlage zu beugen. Das hat – so viel ich weiß – bisher nur Wolfgang Hohlbein geschafft.

_Alisha Bionda:_
Schreibst du lieber alleine oder würdest du auch mit einem Co-Autor arbeiten? Wenn ja, wer würde dich da reizen?

_Andreas Gruber:_
Co-Autor ist so ein heikles Thema. Ich habe ein paar Mal versucht, gemeinsam mit Kollegen eine Story bzw. einen Roman zu verfassen, aber es hat nicht klappen wollen. Ich halte nichts davon, eine Story entwickeln zu lassen, um zu sehen, wohin man getrieben wird. Ich brauche ein festes Konzept, ein fixes Exposé und ein Ziel vor Augen. Ohne diesen „Leitfaden“ würde ich mich mit unplausiblen und unstimmigen Subplots verzetteln. Dazu kommt, dass ich mit manchen Ideen unzufrieden bin oder der Kollege mit meinen Ideen nichts anfangen kann. Das ist auch legitim, denn ich finde, jeder sollte das schreiben, wovon er überzeugt ist, ohne sich verbiegen zu müssen. Dann ist da noch die räumliche Barriere. Wenn man sich nicht gegenüber sitzt, um die Story zu besprechen, sondern nur telefoniert oder per E-Mail kommuniziert, wird es deutlich schwieriger, auf einen grünen Zweig zu kommen. Aber um die Frage doch halbwegs zu beantworten: Reizen würde mich eine Gemeinschaftsarbeit mit Torsten Sträter. Allerdings lese ich seine Storys viel zu gern, als dass ich mich in seine Arbeit einmischen würde, weil ich lieber rausfinde, was er allein aus einem bestimmten Storythema gemacht hätte.

_Alisha Bionda:_
Liest du regelmäßig? Wenn ja, was bevorzugt?

_Andreas Gruber:_
Oh ja – lesen, wenn ich im Zug sitze, vor dem Schlafengehen und wenn ich im Urlaub am Strand liege. Ich gebe ja kein gelesenes Buch wieder her. Sammeltrieb! Monk’sche Zwangsneurose! Was stapelt sich so in meinen Schränken? Sachbücher über Kampfsport, über fernöstliche Philosophie, Biografien über Filmregisseure wie die Cohen-Brüder, David Lynch, Terry Gilliam oder Billy Wilder, Bücher übers Schreiben, weil mich Technik und Arbeitsweise anderer Autoren interessieren. Außerdem bin ich ein Fan von SF- und Horror-Kurzgeschichten und sammle alle Anthologien, die ich auf Flohmärkten in die Finger kriege. Zuletzt habe ich Romane von Matthew Delaney, Robert Sheckley, Herbert Rosendorfer, Richard Laymon, Dan Brown und Andrew Vachss gelesen. Von Vachss werde ich sicher noch mehr lesen, der Typ ist ein Wahnsinn.

_Alisha Bionda:_
Gibt es Menschen, die dich bei deinem schriftstellerischen Werdegang unterstützt haben? Freunde, Familie, Kollegen? In deinen Anfängen und jetzt?

_Andreas Gruber:_
Die Liste mit den Namen dieser Menschen ist lang, sie sind in den Danksagungen und Widmungen meiner Bücher erwähnt. Darauf lege ich deshalb so viel Wert, weil der Weg vom Storyautor für Fanzines bis zum Romanautor für Klein- und Mittelverlage ein langer und steiniger war. Nikolai von Michalewsky hat nicht übertrieben! Ohne fremde Unterstützung hätte ich das nie geschafft und längst das Handtuch geworfen. Zu glauben, dass man diesen Weg allein gehen kann, ist meines Erachtens die arrogante Fehleinschätzung eines von sich selbst eingenommenen Autors. Solche Menschen habe ich kennengelernt – und mich nur noch gewundert. Doch zurück zu den Helfern, die mich seit zehn Jahren mit ihren Kommentaren in den Wahnsinn treiben.

Das Schreiben haben mir die Autoren Gabi Neumayr, Boris Koch und Malte Sembten beigebracht, die Workshopleiter Andreas Eschbach und Klaus Frick, die Lektoren Ekkehard Redlin und Hannes Riffel. Beim Überarbeiten der Handlung, der Charaktere und der Dialoge waren mir meine Testleser behilflich: meine Frau Heidi, meine Freunde Roman Himmler und Jürgen Pichler, sowie Günter Suda, der Blut geleckt hat und seit einigen Jahren selbst Storys in Anthologien veröffentlicht. Die Gespräche mit Günter sind ziemlich fruchtbar, da wir unsere Texte gegenseitig zerlegen und in letzter Zeit immer öfter über die Erzählperspektive des Protagonisten diskutieren, die meiner Meinung nach die am schwierigsten zu bewältigende Herausforderung des Autors darstellt. Zuletzt müssen noch jene Menschen erwähnt werden, die mir bei meinen Recherchen behilflich waren, denn immer wieder komme ich dahinter, dass ein Gespräch mit einem Profi, wie beispielsweise einem Kripobeamten, einem Chirurgen, einem Physiker oder einem Feuerwehrmann mehr taugt als eine Recherche im Internet. Diese Leute steuern unglaubliche Ideen zur Handlung bei, da sie einfach aus dem Fach kommen und die Szene kennen.

_Alisha Bionda:_
Vielen Dank für das Beantworten des ersten Teils des Interviews. In Teil zwei möchte ich dir gerne Fragen zu deinen bereits erschienenen Romanen stellen – ebenso zu deinen geplanten Projekten.

|Fortsetzung folgt.|

Interview mit Thomas Finn

_Martin Schneider:_
Hi Tom, unser [letztes Interview]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=59 haben wir zu „Der Funke des Chronos“ gemacht, das war vor fast zwei Jahren. Wie ist es dir seitdem ergangen?

_Thomas Finn:_
Danke, ich kann nicht klagen. Die letzten Jahre waren zwar sehr arbeitsreich, woran sich wohl auch in Zukunft nichts ändern wird, aber dafür übe ich einen Job aus, der mich wirklich zutiefst erfüllt. Es gibt für mich wirklich kaum etwas Schöneres als möglichst spannende Geschichten zu verfassen.
Interview mit Thomas Finn weiterlesen

Mark Z. Danielewski: Das Haus

[„Das Haus“]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3608937773/powermetalde-21 von Mark. Z. Danielewski ist kein gewöhnlicher Roman. Er besteht aus Briefen, Gedichten, transkribierten Interviews und über 450 Fußnoten, dazu auch Abbildungen und Fotos. Zusammengehalten wird alles durch die Kommentare eines gewissen Johnny Truant, der diesen Berg von Dokumenten – denn um einen solchen handelt es sich – mit ergänzenden Hinweisen, Überarbeitungen und Randnotizen versehen hat. Das alles ist durchsetzt mit bewussten Wortfehlern, durchgestrichenen Passagen, Anagrammen und Kastentexten, deren Inhalt man teilweise über Kopf lesen muss. „Das Haus“, ein Mammutwerk mit über 800 Seiten, das über mehrere Handlungsebenen verläuft und besonders durch seine eigenwillige Typografie auf sich aufmerksam macht, kann die Wirkung nur durch das geschriebene Wort, durch seine im Buch gepresste Form erzielen.

Trotzdem geht der Autor auf Lesereise, um sein Buch vorzustellen. Danielewski, 1966 in Amerika geboren, legte 2000 mit seinem Erstlingswerk „House of Leaves“ einen heiß diskutierten und kommerziell erfolgreichen Erstlingsroman vor, den die Kritiker sofort einzuordnen versuchten – und dabei Vergleiche mit David Forster Wallace, Stephen King und H. P. Lovecraft heranzogen. Doch wirklich vergleichen lässt sich der Roman nicht. Sieben Jahre hat es gedauert, bis sich mit |Klett-Cotta| ein deutscher Verlag an das Werk herangetraut und mit Christa Schuenke (und unter Mitarbeit von Olaf Schenk) eine Übersetzerin gefunden hat, die bereit war, sich auf das Experiment einzulassen.

Vom 13. bis zum 18. Oktober 2007 tourten Mark Z. Danielewski und Christa Schuenke für eine englisch-deutsche Lesereise durch die Bundesrepublik mit Halt in Hannover, Berlin, Köln und Stuttgart. Den Auftakt machte jedoch anlässlich des Göttinger Literaturherbstes die Universitätsstadt Göttingen. Pünktlich um 21 Uhr betreten die beiden zusammen mit Moderator Frank Kelleter vom Englischen Seminar der Georg-August-Universität das Podium im Alten Rathaus. Die Publikumsreihen sind gut gefüllt, und dank des altehrwürdigen Gebäudes entsteht sogleich eine wohlige Atmosphäre.

Wie lässt sich ein 800 Seiten Werk in wenigen Sätzen zusammenfassen, das noch nicht einmal über eine geordnete Handlung, geschweige denn nur eine einzige Handlungsebene verfügt? Gar nicht, denken sich Danielewski und Schuenke, und so beginnt die Übersetzerin, ohne eine Inhaltsangabe voranzustellen, einige Passagen aus der deutschen Fassung vorzulesen. Christa Schuenke liest betont sarkastisch und mit rauchiger Stimme einige absurd-lächerliche, aber gerade dadurch witzige Dialoge vor. Sie wirken zusammenhangslos, doch geben immerhin einen Einblick davon, dass „Das Haus“, das ja mit Lovecraft und King verglichen wird, sehr viel eigenwilligen und zum Teil derben Humor besitzt – also doch nicht wirklich Horror?

Düster wird es erst, als Danielewski – auch er stellt sich nur kurz vor, bevor er bereits zu lesen beginnt – mit einer längeren, rhythmischen Passage die dunkle Seite des Romans anstimmt. Auch das kann nicht mehr als ein Ausschnitt bleiben, dem der Roman als Ganzes nicht gerecht wird, doch ist dies bei dessen Form ja auch kaum möglich. Selbstkritisch, wenn auch mit einem verschmitzten Lächeln fügt der Autor hinzu: „It’s complicated in English – and in German“. So lakonisch und einfach der Titel auch klingt, „Das Haus“, an dem der Autor immerhin rund zehn Jahre gearbeitet hat, lässt sich nicht in einer zweistündigen Lesung zusammenfassen. Doch es gelingt Autor wie Übersetzerin, und das ist viel wichtiger, die eigenwillige Stimmung rüberzubringen.

Am Ende geben sie bereitwillig Auskunft über ihre Arbeit an dem Buch. Schuenke habe, so berichtet sie, mehr als eineinhalb Jahre an der Übersetzung gearbeitet – und damit deutlich länger, als diese Arbeit gewöhnlich in Anspruch nimmt (so steht ihre Bearbeitungszeit nun eher in Relation zur Arbeitszeit des Autors). Viele renommierte Kollegen hätten sich des Buches nicht annehmen wollen, sagt Schuenke, zudem sei es dem Verlag auch nicht möglich gewesen, ein in Bezug auf die tatsächlich investierten Arbeitsstunden entsprechendes Honorar zu zahlen. Trotzdem sei sie von „House of Leaves“ und seiner Komplexität dermaßen begeistert gewesen, dass sie einen Privatkredit aufgenommen habe, nur um das Buch ins Deutsche zu übertragen. Es hat sich nicht nur für sie gelohnt. Was als Übersetzung herausgekommen ist, ist beachtlich, denn obwohl sich der deutschen Text eng an das Original anlehnt, hat sich Schuenke nicht gescheut, ihren eigenen Stil mit einzubringen. Das Vertrauen, das ihr Danielewski dabei ausgesprochen habe, wie sie erzählt, habe ihr sehr dabei geholfen.

Interessant erscheint auch die Tatsache, dass der Einfluss deutscher Autoren auf Danielewski eine Rolle gespielt hat. Goethe, Nietzsche, Heidegger, Heine, aber auch Filmmacher wie Fritz Lang hätten den Amerikaner geprägt. Er habe viele europäische Wurzeln, geht er auf die Hintergründe ein, sein Vater stamme etwa aus Polen. Seine Mutter habe zudem sein Interesse für viele Klassiker geweckt. Bereits als Jugendlicher habe er geschrieben, damals allerdings noch – unter dem Einfluss von Tolkien und seines Interesses an Monstergeschichten – über Hobbits und Aliens. Gut, dass seine Mutter ihre Drohung nicht wahrgemacht habe, ihn aufgrund seiner kranken Ideen in eine Therapie zu stecken, fügt Danielewski schmunzelnd hinzu, sonst wäre er vielleicht nie dazu gekommen, eines Tages „Das Haus“ zu schreiben. Und das hätte fürwahr die Welt um ein literarisches Meisterwerk gebracht.

Es bleibt am Ende zu hoffen, dass Danieleswski nicht zum letzten Mal nach Deutschland gekommen ist und auch seine anderen Werke – denn er hat sich in den letzten Jahren nicht auf seinen Lorbeeren ausgeruht – ins Deutsche übertragen werden. Der erste Schritt ist getan, jetzt muss das Buch nur noch hierzulande erfolgreich sein. Dann sollte es auch Christa Schuenke für die Übersetzung der kommenden Romane Danielewskis durch Verweis auf die Verkaufszahlen von „Das Haus“ gelingen, keinen Kredit mehr aufnehmen zu müssen.

[Website des Verlags zum Buch]http://www.hobbitpresse.de/DasHaus__buch2060.php
[Website des Autors]http://www.danielewski.de/
[Unsere Rezension zum Buch 4432

Interview mit Stephan R. Bellem

Anlässlich seines ersten Romans „Tharador – Die Chroniken des Paladins“ habe ich mich mit dem Heidelberger Fantasyautor Stephan R. Bellem in der Heidelberger Altstadt zu einem Kaffee getroffen und zu seinem Roman befragt. Das Interview verlief sehr lang und amüsant, doch lest selbst:

Martin Schneider:
Hi Stephan, stell dich den Lesern doch mal kurz vor.

Stephan R. Bellem:
Ich wurde jetzt im September gerade 26, die 30 naht mit großen Schritten. Ich studiere neben dem Schreiben Soziologie, mag Hunde und Filme. Und Essen. Man sieht es mir noch nicht an, aber ich esse wahnsinnig gern. „Tharador“ ist mein erster Roman und ich hoffe, noch eine ganze Menge mehr zu veröffentlichen. Ausführlichere Infos gibt es dann auf meiner Homepage www.srbellem.de/ Ach so, habe gerade eine neue Band für mich entdeckt: 30 SECONDS TO MARS.
Interview mit Stephan R. Bellem weiterlesen

Nibelungen-Festspiele Worms 2007. Teil 2

Fortsetzung von [Teil 1]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=80

_Specials_

_Kulturprogramm_

Das diesjährige Motto des umfangreichen Programms (30 Veranstaltungen an sechs Spielorten, es wird nicht zu allen berichtet) war das Thema „Treue und Vaterlandsliebe“ mit all seinen positiven und negativen Aspekten. Wie im vergangenen Jahr, war auch das Kulturprogramm gut ausgelastet: 5650 Menschen besuchten die Veranstaltungen. Das entspricht aber dennoch nur einer Auslastung von 65 % und deckt nicht die Unkosten, die dadurch querfinanziert werden müssen.

_Moment-auf-Rahmen: Ausstellung „Der Betrug“_

Der Wormser Künstler Richard Stumm zeichnete – angeregt durch Florian Gerster -während der diesjährigen Festspielproben Schauspieler, Regie und Mitarbeiter. In der EWR-Turbinenhalle, Klosterstr. 23 in Worms, wurden diese (etwa 20 von 100) Skizzen zusammen mit weiteren 18 großformatigen Ölbildern mit Bezug auf Schlüsselszenen des Nibelungenliedes (Kriemhilds Traum, die Werbung Brünhilds oder der Streit der Königinnen) ab dem 13. Juli ausgestellt. Die Vorbilder am Nibelungenstoff sind dabei hochgesteckt; man denke an Johann Heinrich Füssli oder Karl Schmoll von Eisenwerth. Die Einführungsrede in die Ausstellung hielt der Kulturkoordinator der Stadt Worms Volker Gallé. Zur Ausstellung ist auch ein Katalog erschienen.

_Klaus Maria Brandauer „War and Pieces“_

Beschäftigte sich zusammen mit dem vielfach ausgezeichneten, britischen Geiger Daniel Hope auf der Festspielbühne mit dem Thema Krieg und seinen vielfältigen Facetten. Leitlinie dafür bot Igor Strawinskys „Geschichte vom Soldaten“. Die auf einem russischen Märchen basierende Erzählung schildert die Begegnung eines Soldaten auf Heimaturlaub mit dem Teufel. Weitere Musiker waren Annika Hope (Kontrabass), Patrick Messina (Klarinette), Philippe Hanon (Fagott), Gilles Mercier (Trompete), Jean Raffard (Posaune) und Hanst-Kristian Kjos Sorensen (Schlagzeug). Tausend Besucher kamen vor den Dom.

_I wanna be loved by you_

Programm der Brünhilde-Darstellerin Annika Pages zusammen mit dem Pianisten Christoph Pauli. In diesem Programm wurden das Liebesleben großer Persönlichkeiten beleuchtet und Biografisches wie Lieder vorgetragen. Joern Hinkel – der auch die Regie führte – hat dazu selten oder noch gar nicht gezeigte Bilder und Filmausschnitte herausgesucht, die den Auftritt des Duos bereicherten. Am Drehbuch mitgearbeitet hatte auch Petra Simon, die im Wesentlichen das diesjährige Kulturprogramm zu den Festspielen gestaltet hat. Zwar war dieses Stück exklusiv für die Festspiele erarbeitet, kommt aber nun auch in anderen Städten zur Aufführung. Diese Aufführung zum Abschluss der diesjährigen Festspiele wurde stürmisch gefeiert.

_Männersache – Live_

Der deutsche Titelkandidat für den Grand Prix beim European Song Contest, _Roger Cicero_, (nur Platz 19) gab mit seiner Big Band auf der Festspielbühne den Auftakt des diesjährigen Kulturprogramms auf der Festspiel-Bühne am Dom. Dazu gehörten neben den eigenen Songs auch Coversongs wie „König von Deutschland“ von Rio Reiser. Ein nochmaliger Gig bei einem des künftigen Wormser Jazzfestivals ist nicht ausgeschlossen. 1500 Swing-Fans sangen stehend bei den drei Zugaben mit. Unverständlich für die Besucher war allerdings, dass im Anschluss an das Konzert der Heylshof mit seiner Bewirtung im Gegensatz zu den sonstigen Festspieltagen geschlossen war.

_Deutsche Lieder aus acht Jahrhunderten_

Mit Jasmin Tabatabai (Kriemhild), Tilo Keiner (Sindold) und vier weiteren Musikern unter dem Motto „Willst du dein Herz mir schenken“ in der Dreifaltigkeitskirche. Tilo Keiner singt auch im Musical „Mamma Mia“. Die Idee für die Aufführung hatte er bereits vor zwei Jahren, als man in der Podiumsdiskussion während der „Theaterbegegnungen“ der Frage „Was ist eigentlich ein deutsches Volkslied?“ nachging. Tesz Milan aus Phönix (Arizona) ist Frontfrau bei „Solid Gold“ und „Pop-History“, Mark Garcia (Kalifornien) singt in Opern, Operetten und Musicals, Pete Lee (London) arrangierte die Stücke und Thomas Wissmann spielte Klavier.

_An Erminig: „Reise ins Mittelalter“_

Auf traditionellen keltischen wie auch auf modernen Instrumenten interpretierte die Gruppe eine tanzbare, musikalische Wegbeschreibung des Jakobspilgerweges nach Santiago de Compostella.

_Ensemble Wolkenstein: Musikalische Pilgerwege_

Mit Harfe, Fidel, Flöte, Schäferpfeife, Schalmei, Pommer, Drehleier, Sackpfeifen, Trommeln und Gesang ging es in der Annhäuser Mühle auf Wallfahrt nach Santiago de Compostella.

_Jeanette Giese: „Brunhilds Schrei“_

Temporeiche Schlager zur Nibelungengeschichte, die seit einem Jahr erfolgreich im Nibelungenland/Odenwald bereits aufgeführt werden. Das Ganze spielt aus der Sicht der Königin von Isenstein, und Jeanette Giese ist eine Brünhilde wie bei Wagner. Schlager, Chanson, Operette, Oper – alles bekannt, aber eingebettet in die Geschichte um die Nibelungen.

_Otto Schenk: „Sachen zum Lachen“_

Der beliebteste zeitgenössische Komödiant Österreichs im EWR-Kesselhaus.

_Aus dem Leben eines Taugenichts_

Gertrud Gilbert bot mit ihrer Lesung eine Hommage an Joseph von Eichendorff zum 150. Todesjahr des Dichters. Diese Veranstaltung war eine Kooperation der Festspiele mit der örtlichen Musik- und Kasinogesellschaft.

_Siegfrieds Nibelungenentzündung_

Seit vier Jahren ein Dauerbrenner im Kulturprogramm sind die Aufführungen des Darmstädter Kikeriki-Theaters, bei denen kein Auge trocken bleibt. Da diese immer ausverkauft sind – auch in diesem Jahr alle drei Vorführungen -, hatte bereits im Februar der Vorverkauf für dieses sagenhafte Blechspektakel begonnen. Aufgeführt wurde dieses Jahr vom 25. bis 27. Juli in der neuen EWR-Halle in der Klosterstraße 23. Und auch für 2008 wird es dieses Stück wieder geben.

_Theaterbegegnungen_

Ein jährliches Highlight der Festspiele. Zuschauer, Künstler, Politiker und Wissenschaftler diskutieren miteinander. In diesem Jahr stand die Frage „Was ist Vaterland?“ im Mittelpunkt. Mit dabei waren Stephan Grünewald, Stephan Krawczyk, Dieter Wedel u. a. Außer den Podiumsdiskussionen präsentierten Jasmin Tabatabai und Tilo Keiner ein weiteres Mal ihr Programm mit den Liedern aus acht Jahrhunderten. Es war recht stürmisch an diesem Tag, kein freundliches Wetter, und man führte die stark gesunkene Besucherzahl dieses jährlichen Highlights auch darauf zurück. Allerdings könnte es auch am Preis gelegen haben, der mit 22 Euro dieses Jahr erstaunlich hoch war. Vor wenigen Jahren hatte die gleiche Veranstaltung nur 8 Euro gekostet und die jährlichen enormen Steigerungen sind in ihrer Höhe so nicht wirklich nachzuvollziehen.

_Nibelungen-Horde_

Dieses Jahr gleich an zwei Tagen das Ergebnis des Sommerworkshops dieses innovativen Jugend-Theater-Projektes. Ausführlicher Bericht ein wenig weiter unten.

_Der Ring. Die Nibelungen_

Im Lincoln-Theater fand eine weitere kleine Nibelungentheateraufführung statt, wo unter Regie von Katja Fillmann von nur zwei Schauspielern das komplette Stück erzählt wurde. Bezug genommen wurde dabei einerseits auf Hebbel, andererseits auch auf Wagner.

_Vorträge der Nibelungenlied-Gesellschaft_

Seit Jahren ein kostenloses Programm morgens während der Festspielzeit, dieses Jahr wieder im Heylshofmuseum. Vortragsthemen: „Verhängnisvolle Verirrung – Penthesila und Brunhild“, „Wort oder Tat – was war am Anfang. Das Verhältnis von Literatur und Geschichte im Nibelungenlied“, „Mythen im Labortest – das neue Mythenlabor im Nibelungenmuseum“, „Die Nibelungenfresken in der Münchner Residenz“, „Der Burgunderuntergang im Nibelungenlied – Zeittypische Deutungen von 1918 bis 1945“ und „Darf Brunhild Hagen lieben? Möglichkeiten und Grenzen bei der Bearbeitung des Nibelungenlieds“. Sämtliche Vorträge erscheinen wie in den Vorjahren auch auf http://www.nibelungenlied-gesellschaft.de.

_Veranstaltung der Nibelungenlied-Gesellschaft_

Mehrmals im Jahr – und auch natürlich im Rahmenprogramm der Festspiele – führen Dr. Ellen Bender und Petra Riha von der NL-Gesellschaft eine Inszenierung zu mittelalterlichen Themen auf. In diesem Jahr zum Thema Minnespiele und Erotik im Mittelalter. Da werden fundiert literarische Quellen durchgesehen, in Beispielen präsentiert und durch Vortrag, Spielszenen spannend dargeboten.

_Sonstiges_

_Aufführungsort Nordportal Dom_

Anfang Juni wurde die Tribüne, die um 300 Plätze mehr als in früheren Nordportal-Aufführungen auf 1600 erhöht wurde, in einer Höhe von 10,65 Meter erstellt.

_Heylshof-Park_

Die Nibelungen-Festspiele werden immer wieder auch deswegen gelobt, weil der Heylshofpark einen stimmungs- und stilvollen Rahmen für die Besucher bietet. Die lockere und dennoch feierliche Atmosphäre ist eines der hauptsächlichen Dinge, die Worms von fast allen anderen Festivals wohltuend unterscheidet. Das Wasser der Brunnen war dieses Jahr durch Wasserlampen als rotes Drachenblut erstrahlt, zudem mit roter Lebensmittelfarbe eingefärbt. Auch sonst war der ganze Park mit Licht in rot illuminiert. Nach der jahrelangen Renovierung der Westseite des Doms gab es erstmals freien Blick auf diese Front, die ebenfalls rot angestrahlt wurde. In der Nacht ragte der Domturm wie ein Leuchtturm angestrahlt mit 36.000 Watt in den Himmel. Immer mehr Wormser entdecken den freien Zugang als abendliche Wohlfühlzone. Das Heylsschlösschen, wo früher auch während der Festspiele noch Veranstaltungen stattfanden, wurde dieses Jahr erstmals vollkommen für das Catering mitbenutzt. Man konnte dort im Vorfeld hochwertiges Barbecue buchen. Im Park standen 16 Zelte von unterschiedlicher Größe für Gäste bereit. Im Hauptzelt gab es Abend für Abend Essen aus reichhaltiger Speisekarte. Zur Premiere wurden noch 200 Stehtische im Park verteilt. Die spätere Cocktail-Lounge war zu diesem Zeitpunkt noch exklusiver VIP-Bereich. Während der Festspielzeit steht der Park allen Wormsern offen und ist inzwischen auch ein beliebter gesellschaftlicher Treffpunkt mit Charme und Niveau. Es sind deswegen mit dem eigentlichen Festival-Publikum etwa 2000 Personen pro Tag anzutreffen. Kritik von auswärtigen Besuchern wie auch vom Intendanten Dieter Wedel gab es nur, weil die Bewirtungszelte ab ein Uhr nachts geschlossen haben, was als provinziell beurteilt wurde. Die Stadt sieht aber keine Möglichkeit, daran etwas zu ändern, denn die gesetzlichen Vorgaben zur Sperrzeit müssen eingehalten werden.

_Catering_

Mit den jetzigen Festspielen übernahm der Lufthansa Party Service (LPS Event Catering GmbH, Raunheim bei Frankfurt) die kulinarische Verpflegung der Festspiel-Gäste – sowohl das öffentliche Catering als auch die Künstlerverpflegung und die der VIPs. Auch die Premierenfeier wurde durch sie gestaltet. Teil des Catering-Vertrages war nämlich, dass sie auch als Sponsoren auftraten und die Premierenfeier bezahlten. Ob sich das insgesamt gerechnet hat, wird sich erst bei der später erfolgenden Endabrechnung erweisen. Mit der Lufthansa hat diese Firma außer dem Namen zwar nichts zu tun, aber sie gehört zu den drei Großen Catering-Betrieben der Branche und organisiert etwa 1500 Veranstaltungen mit rund 600.000 Gästen pro Jahr, davon 20 % im Ausland. Die Geschäftsführung sieht ihr Engagement langfristig und vielschichtig. Die Besucher, die zu den Festspielen kommen, sind ihr Klientel, und dadurch empfehlen sie sich weiter. Auf der anderen Seite verfügen sie über gute Verbindungen in der Wirtschaft, so dass auch den Festspielen geholfen wird. Seit einigen Jahren bekocht der Wormser Spitzenkoch Wolfgang Dubs die Festspielgäste im Rahmen des speziellen VIP-Angebotes im Andreasstift. Daran hat auch die neue vertragliche Bindung mit dem Lufthansa Party Service nichts geändert.

_Tontechnik_

Schon ganz am Anfang des diesjährigen Berichtes zu den Festspielen wurde über die schwierige Aufgabe berichtet, besondere Schallschutzbestimmungen einhalten zu müssen und dennoch ein beeindruckendes Kulturereignis tontechnisch zu kreieren. Lärmschutz ist aber nicht nur bei den Nibelungenfestspielen neuerdings zum Thema geworden, sondern auch z. B. bei „Rock am Ring“, wo die Nibelungentontechnik-Crew dieses Jahr für den Sound von „Linkin Park“ oder den „Ärzten“ verantwortlich war. Die oberen Ränge sind schwarz ummantelt und lassen bei den umliegenden Wohnhäusern nur noch höchstens 70 Dezibel ankommen. Dies wird mit einem Messwagen überprüft. Der Schutz geht aber in beide Richtungen, auch das Publikum hört weniger von eventuellem Straßenlärm. Die Schallschutzmauer kann Windstärken bis zur Stufe acht problemlos standhalten. Die Geräte am Mischpult sind mit den Namen für die Stimmen der Rollen versehen, die über Antennentechnik übertragen werden. Die entsprechenden Frequenzen für die 32 Drahtlos-Mikrophone mussten bei der Bundesnetzagentur beantragt und genehmigt werden. Die winzigen Mikrophone für die Schauspieler sind an Stirn oder Wange eingeschminkt. Die dazugehörigen Sender sind in kleinen Taschen innerhalb der Kostüme versteckt. Da die Lautsprecherboxen hinter den Schauspielern an der Bühne vor dem Dom hängen, muss man aufpassen, dass es keine Rückkoppelungen gibt und dass auch die Zuschauer 55 Meter weiter hinten noch so gut hören wie die in der ersten Reihe. All dies wird aufwendig von Computern errechnet und simuliert. So hört der optimale Sound in der obersten Reihe der Tribüne genau auf Ohrenhöhe auf und bereits ein halber Meter höher ist die Tonhöhe sehr viel geringer. Solch ein Mischpult einzurichten, benötigt zwei Monate Zeit. Mit der Hand geht das nicht mehr zu steuern, zahlreiche Abspeicherungen sind im Mischpult hinterlegt, insgesamt 305 Einstellungen. Es gibt kein eigenständiges Soundbett, wie man es aus Filmen kennt. Dennoch ist die Theaterproduktion von Wedel die einzige, die auch vom Ton her sehr stark mit filmischen Themen arbeitet. Mit der 5.1-Anlage wird das Publikum im Dolby-Surround-Verfahren beschallt. Im Grunde entspricht das Live-Kino.

_Scheinwerfer_

Diese sind befestigt an der Traverse hoch oben am Dach des Doms und können einer Windstärke zehn trotzen (Windstärke zwölf wäre schon ein Orkan). Sie sind so genannte „Moving Lights“, wie man sie z. B. aus Fernsehsendungen wie „Wer wird Millionär“ kennt, und kosten pro Scheinwerfer 10.000 bis 12.000 Euro.

_Praktikanten_

Für die Abteilung Requisite gab es dieses Jahr einen Praktikantenplatz, dessen Aufgabe es im Besonderen war, täglich bei den Proben von 11 bis 18 Uhr dabei zu sein und aufmerksam darauf zu achten, was gerade gebraucht wird, fehlt oder zurückgebracht werden kann. Für die Maske wurden gleich vier Praktikantenplätze vergeben, wobei Eigenhaarfrisuren und Erfahrungen im Beauty-Make-up-Bereich Voraussetzung waren. Die Praktikantenplätze der Festspiele werden vergütet.

_Gesuche_

Irgendetwas wird immer gesucht. Waren es im letzten Jahr Hunde, ging es dieses Mal um alte freistehende Badewannen mit Füßen womit, man sich über Presse an die Bevölkerung wandte.

_Nibelungisches Ehrenamt_

Früher nannten sie sich „die Indianer“, seit den letzten Festspielen sind sie in „Nibelungisches Ehrenamt“ umbenannt worden. Sie sind während der Festspiele stundenlang im Einsatz und ihre Aufgaben umfassen Promotion, Präsenz in der Stadt, den Verkauf von Programmen und vieles mehr. Eine, die dort alles organisiert, ist die Rentnerin _Helga Marschang_, die bereits seit 2001 dabei ist und damals im Vorfeld Flyer und Plakate verteilte und für Reklametätigkeiten aktiv war. Zu ihren schwierigsten Aufgaben gehören auch die Abrechnungen für die überaus zahlreichen Statisten inklusive der Auszahlung. Sie organisiert auch die – eng mit den Festspielen kooperierenden – „Freien Gewandeten“, die das ganze Jahr über in Worms für ein mittelalterliches Flair sorgen und bei vielen Gelegenheiten in historischen Gewändern präsent sind. Helga Marschang näht auch die Gewänder dieser Gruppe. Ihr Rentnerdasein ist nicht langweilig, denn sie ist noch in viel mehr ehrenamtlichen Bezügen aktiv (Vorlese-Omi in Kindergärten, Backseminare im Nibelungenmuseum, „Wormser Tafel“ – eine karitative Essensversorgung für sozial Schwache, Prüfungsausschuss der IHK Ludwigshafen und Heidelberg für kaufmännische Berufe, Klöppel-Kunst-Kurse). Durch ihre Klöppel-Kunst ist sie auch über die Wormser Grenzen hinaus bekannt. Besonders schön sind ihre filigranen Klöppelbilder mit Nibelungenmotiven.

_Jährliche Nibelungenbild-Versteigerung_

Seit 2003 malt die Künstlerin _Sieglinde Schildknecht_ jährlich zu den Festspielen ein Bild, das versteigert und dessen kompletter Erlös dem Tierschutzverein übergeben wird. Mit den vier Bildern der letzten Jahre sind insgesamt 2500 Euro für soziale Einrichtungen zusammengekommen. Das Gemälde ist ein Unikat und wird dadurch aufgewertet, dass alle Schauspieler ihren Namenszug hinterlassen. 2006 hatte auch Intendant Dieter Wedel zum ersten Mal mit unterschrieben. Das Bild entsteht jeweils „backstage“, also hinter der Bühne, und hieß im letzten Jahr „Nach dem letzten Vorhang“. Das Gemälde hängt nach den Festspielen immer im Restaurante „La Forchetta“; dort werden bis Ende September Gebote abgegeben. Das Mindestgebot liegt bei 500 Euro. Abgabeschluss für das Gebot ist 17. August Das diesjährige Bild „Brunhilds Trauer“ wurde aber bereits vom 25. Juli an in der Kundenhalle der Sparkasse Worms-Alzey-Ried präsentiert. Die Palette der dort ausgestellten Bilder reichte vom ursprünglichen Festspiel-Logo über das Festspielplakat bis hin zu Szenen und Improvisationen aus Festspielaufführungen. Am Welt-Tierschutztag, dem 4. Oktober, wird es dem Meistbietenden übergeben. Der Reinerlös kommt dem Tierschutzverein zugute.

_Malwettbewerb_

Die Wormser Zeitung rief in diesem Jahr zu einem Nibelungen-Malwettbewerb in Hinblick auf die Festspielzeit auf. Mehr über die Aktionen der regionalen Zeitung findet sich am Ende des diesjährigen Festspielberichtes.

_Nibelungenhorde_

Initiatorin dieses bemerkenswerten Jugendprojekts ist Astrid Perl-Haag, die durch Vermittlung des „Wormser Wochenblatts“ den Kontakt zum Sponsor des Projekts gefunden hatte. Direkt nach den Festspielen 2006 führten die Nibelungenhorde ihr Nibelungenstück „Siegfried reloaded“ erneut – wenn auch nur in Ausschnitten – in nichtöffentlichem Rahmen im Lincoln-Theater in Worms auf, denn der Sponsor des Projektes Harald Christ, Geschäftsführer von HCI (Hanseatische Capitalberatungsgesellschaft mbH), der auch Jugendprojekte in Hamburg und Berlin unterstützt, war gekommen, um sich ein Bild über das Ergebnis seiner Investition zu machen. Zur eigentlichen Aufführung des bejubelten Nibelungenstücks im Festhaus Worms während der Nibelungenfestspiele konnte er nicht dabei sein. 40 junge Leute hatten in einem vierwöchigen Theaterworkshop mit hochkarätigen Trainern das Stück entwickelt. Harald Christ kam zu dem Ergebnis, dass sein Geld gut investiert war, und leistet aus eigener Tasche weitere Unterstützung. 2004 hatte er bereits die eigentlichen Festspiele mit einem Zuschuss unterstützt. Zu der privaten Aufführung und dem Treffen mit Harald Christ waren auch Uwe John (Regie), Antje Brandenburg (Sprachtraining) und Philipp Pöhlert-Brackrock (musikalische Improvisation) angereist und sagten ebenfalls ihre Weiterarbeit mit der Gruppe zu. Ebenso hatten die zu diesem Treffen nicht gekommenen Trainer Jannis Spengler (Suzuki-Training) und Warren Richardson (rhythmische Performance) ihre Weiterarbeit bereits bestätigt. Aber auch die Schauspieler der eigentlichen Festspiele Robert Dölle (Siegfried) und Thilo Keiner (Sindold) versicherten, den Kontakt zum Nachwuchs zu halten. Der nächste Workshop fand bereits Ende September 2006 mit Suzuki-Trainer Jannis Spengler statt. Einmal im Monat trifft man sich mit dem Regisseur Uwe John und probt weiter am selbst geschriebenen Stück. Eine Versteigerung phantasievoll gestalteter „Nibelungen-Sparschweine“ brachte ein klein wenig Geld in die Kasse, wo allerdings noch viel mehr benötigt würde. In mühevoller Kleinarbeit hatten die Jugendlichen fünf Sparschweine gestaltet und sie auf klangvolle Namen wie „Siegfried“, „Island“, „Nibelungenschatz“, „Drachen“ und „Nibelungenfestspiel“ getauft. Jedes der Tiere wurde von Mitgliedern des Festspiel-Ensembles signiert. Mindestwert der Ersteigerung war pro Schwein 40 Euro. Allerdings kamen insgesamt nur 420 Euro zusammen, weswegen der Betrag von der Wormser Sparkasse auf glatte 500 Euro aufgestockt wurde. Öffentlich zu sehen waren sie bereits wieder im Oktober 2006 im Vorprogramm des Solo-Theaterstücks „Hagens Traum“ von Thomas Haaß im Wormser Lincoln-Theater. Auch das Fernsehen war aufmerksam geworden. In der „Sonntagstour“ von SWR 3 lief ein einstündiger Film über Worms, in welchem auch „Siegfrieds Tod“ der Nibelungenhorde zu sehen war. Beim Workshop Ende Oktober wurden die Ideen mit den Trainern weiter ausgefeilt. Ein Verein „Nibelungenhorde e. V.“ ist inzwischen auch längst gegründet worden (16.11.2006).

_Jahresprogramm 2007:_

Der erste Workshop fand Mitte Januar mit Regisseur Uwe John mit 80 Jugendlichen der Wormser Nibelungenschule statt. Da diese hohe Anzahl an Interessenten das Fassungsvermögen des Workshops im Grunde sprengte, wurde eine Wiederholung in kleineren Gruppen beschlossen.

27. und 28. Januar: Workshop mit Jürgen Höhn („Mr. He“) in Pantomime. „Junge Menschen an die Hand zu nehmen und sie zu fördern, zählt zu den wichtigsten Aufgaben der Gesellschaft“, beschrieb er seine Motivation.

10. und 11. Februar: Veranstaltung „Offen für alle(s) – Nibelungenhorde & friends“ mit Präsentationen im Lincoln-Theater. Alle zur Bewerbung vorsprechenden Jugendlichen konnten noch mal Fragen mit Astrid Perl-Haag und Uwe John besprechen; an Programm geboten wurden freie Improvisationen und Szenenimprovisationen (mit Begriffen aus dem Publikum), ebenso Textarbeit (offene Proben) mit Szenen aus dem Nibelungenstück 2006. Mr. He (Jürgen Höhn) bot vierzehn Tage zuvor Pantomime mit dem Erlernten des Workshops und trat natürlich auch selber auf, die Nibelungenschule gab eine „Dirty“-Tanzaufführung. Die neugegründete Band der Nibelungenhorde „Wishions“ präsentierte mehrfach eigene Songs (der Name setzt sich aus „wishes“ und „visions“ zusammen). Natürlich war auch „Kriemhilds Song“ dabei, der im letzten Sommer so toll einschlug. Andere Jugendvereine, denen Jugendliche der Nibelungenhorde ebenso angehören, stellten sich vor und an Bands traten zudem auf: „The Döftels“, „Q-mark“ und „The Virus“.

17. und 18. Februar: Die neuen Jugendlichen für den 4-Wochen-Workshop zum Festspielstück 2007 sprachen vor. Auch gab es Plätze für diejenigen, die noch nicht im Rampenlicht stehen wollen. Jugendliche können auch als Journalist, Fotograf oder Filmer im Redaktionsteam dabei sein. Dabei ging es nicht nur darum, die Arbeit der Nibelungenhorde zu begleiten, sondern auch bei den gesamten Festspielen selbst dabei zu sein. Ab 7. Juli wurden diese Teilnehmer vier Wochen lang durch professionelle Körpertrainer, Sprachtrainer, Choreografen und die Unterstützung von Berufsmusikern angeleitet, erhielten Einblicke in die Theaterarbeit der Festspiele, verschiedene Berufsbilder und haben selbst ein Projekt erarbeitet, das im Kulturprogramm der Festspiele aufgeführt wurde. Die inhaltliche Grundlage für diese Aufführung war das Nibelungenlied. Kursleiter war wieder der Regisseur Uwe John. Mitbetreut wurden sie allerdings auch von Mitgliedern der „alten“ Nibelungenhorde. Die diesjährigen Dozenten sind Suzuki-Trainer Jannis Spengler, Sprachtrainerin Antje Breidenburg, der Wormser Mittelalterrecke und Schwertkämpfer Thomas Haaß, der Entertainer und Pantomime Jürgen Höhn, die Maskenbildnerin bei den Festspielen Hannelore Dressler-Schneider, der Schauspieler Hans Kieseler, der Profimusiker Ro Kuijpers, die Choreografin Uta Raab und die Coach- und Dynamiktrainerin Gabriel Weiss.

10. und 11. März: Comedy-Workshop mit Hans Kieseler. Kieseler ist seit 1998 Regisseur bei der „Kölner Stunksitzung“ und war vorher beim Bonner Improvisationstheater „Springmaus“. Erarbeitet wurde „Was macht Comedy aus, was erwartet der Zuschauer, was ist Situationskomik?“. Erarbeitet wurden verschiedene Darstellungsmethoden kurzer Szenen von spontan geschaffenen Konfliktsituationen. Für Kieseler, der bislang nur mit Profis gearbeitet hatte, war es eine positive völlig neue Erfahrung, mit Jugendlichen zu proben.

März: „Walking Act“-Performance in der Wormser Kaiser-Passage. Ohne feste Bühne – das ganze Einkaufszentrum war zur Bühne geworden – traten rund zwanzig der Workshop-Teilnehmer in einheitlich blauen Arbeitsanzügen mit grell geschminkten Lippen und weißen Handschuhen als „lebende Puppen“ in Aktion. Dies waren Ergebnisse der Workshops mit dem Pantomimen „Mr. He“ alias Jürgen Höhn. Durch derartige Projekte lernen die jungen Menschen, aus sich herauszugehen, ihre Ängste zu überwinden und so zielsicherer aufzutreten.

27. und 28. Mai: Workshop „Lebendige Maske“ mit Hannelore Schneider-Dressler, Visagistin bei den Nibelungen-Festspielen seit 2002.

Im Mai gab es auch anlässlich des 40.Geburtstages von Rheinland-Pfalz witzige Walking-Acts beim Tag der offenen Tür im Rathaus sowie Fechtszenen und Wundenschminken beim Pfingstmarkt. Ein Fecht- sowie Stuntkurs mit Thomas Haaß fand ebenfalls statt.

23. Juni: Beteiligung an der ersten Wormser Kulturnacht, wo im Lincoln-Theater das letztjährige Stück in variierter Form nochmals präsentiert wurde. Im Juli war man dann auch aktiv dabei im Programm des „Jazz und Joy“-Festivals.

7. Juli bis 5. August: Vierwöchiger Sommer-Workshop, der ja den jährlichen Schwerpunkt ausmacht, um Theater für junge Menschen erlebbar zu machen. 40 Jugendliche wurden Schritt für Schritt für den großen Auftritt fit gemacht, zusätzlich von 15 Jugendlichen der „alten“ Horde. Der Arbeitstitel dieses Jahr lautete „Frei sein“. Was letztlich gezeigt wurde, ist nicht von vornherein vorgegeben. Die Jugendlichen entwickeln es im Prozess mit eigenen Worten, eigener Choreografie und eigener Musik. Ende offen, der Weg das Ziel. In den vier Wochen gibt es Gesangs-, Choreografie-, Schauspiel- und Musikworkshops mit Antje Brandenburg, Jannis Spengler, Ro Kuijpers, Uta Raab und Thomas Haaß. Astrid Perl-Haag leitete zusammen mit Uwe John nunmehr im zweiten Jahr diesen Sommer-Workshop. Vielen Jugendlichen ist inzwischen die Endaufführung nicht mehr am wichtigsten, denn was in der Vorzeit passiert, geht weit über Schauspielerei hinaus.

Der Workshop von Janis Spengler im „Suzuki“-Training war dabei halb-öffentlich, denn Freunde der Horde wie auch die Eltern waren eingeladen. Suzuki ist eine asiatische Körperspannungstechnik von Tadashi Suzuki (japanischer Theaterregisseur), um den Schauspielern zu helfen, unbewusste Haltungsmuster zu erkennen und zu korrigieren. In dieser „Grammatik für die Füße“ steht die Körpersprache im Vordergrund. Die Beine erzeugen dabei eine stampfende Rhythmik ähnlich den japanischen „Taiko“-Trommlern, die obere Körperhaltung dagegen bleibt frei, das Becken ist der Mittler. Janis Spengler ist Grieche und lernte an der Theaterakademie München. Bekannt wurde er durch Fernsehen und Theaterbühnen.

Die zweistündige Darbietung des Erarbeiteten erfolgte dann an zwei aufeinander folgenden Tagen im Lincoln-Theater. Die Handlung war im Bandenmilieu angesiedelt, wo zwei Wormser Gangs unter Gunther und Etzel konkurrierten. Ähnlich den eigentlichen Festspielaufführungen war Siegfried bereits tot – gerade vom Hochhaus gestürzt, natürlich inszeniert durch Hagen. Die Nachricht verbreitete sich rasch über Handys. Viel wichtiger als die Handlung, die sich um die aktuellen Themen von Jugendlichen drehte, waren allerdings die gezeigten Ergebnisse dessen, was in dieser kurzen Zeit gelernt wurde. Denn das war alles andere als nur reine Schauspielerei. Ein choreographisches Feuerwerk aus Ballett, Musical, Comedy wurde geboten und gezeigt, wie man richtig gute rhythmische Musik zusammen auf Schrottinstrumenten gestaltet. Zwar ist dieses Jugendstück natürlich nicht mit der eigentlichen Festspiel-Aufführung vergleichbar, aber würde man das tun, würde die Nibelungenhorde mit der inszenatorischen Vielfalt des Stückes weit vorne liegen. Deswegen wurde die Horde zu Recht vom Publikum frenetisch gefeiert.

Auch Hagen-Darsteller Dieter Mann, seit über vierzig Jahren Theater- und Filmschauspieler, kümmerte sich intensiv um die Horde und stand für Fragen und Meinungsaustausch zur Verfügung. Das Ehrenmitglied des Deutschen Theaters Berlin ist nunmehr auch Ehrenmitglied bei der Nibelungenhorde. Von den Festspiel-Stars brachte sich auch Andreas Bisowski ein, der regelmäßig Workshops zur Textarbeit beisteuerte. Zur Generalprobe der richtigen Festspiele, die nicht im Gegensatz zum Vorjahr auch künftig nicht mehr öffentlich sein wird, durfte die Horde natürlich zugegen sein.

Beim Straßenfest in der „Unteren Kämmergass“ war die Nibelungenhorde zusammen mit den regulären Festschauspielern auch aktiv beteiligt.

Zudem sind eine CD-Aufnahme mit „Allee der Kosmonauten“ geplant sowie diverse Auftritte. Die Hauptaktivität war aber natürlich wieder das neue Nibelungenstück, das vom 7. Juli bis 5. August erarbeitet wurde. Erstmals wurde in diesem Jahr auch die „Nibelungen“-Hauptschule aus Worms mit einbezogen. Kooperiert wird dabei mit Ilse Lang und ihrer „Alexandra-Lang-Initiative Schüler und Arbeitswelt“ (ALISA). Dies ist ein Pilotprojekt, das sich im nächsten Jahr auf weitere Schulen ausdehnen könnte. Unterstützung kommt allerdings durch die Stadt Worms, die Nibelungen-Festspiele GmbH (die ihre Logistik zur Verfügung stellt), das Stadtmarketing und weitere Sponsoren. Infos zur Nibelungenhorde unter astrid.ph@t-online.de oder 0174-9513692.

Im zweiten Jahr hat die Nibelungenhorde bereits ihre eigene Band: „Wishons“.

Als Ausblick auf weitere Termine noch in diesem Jahr: Mitwirkung beim ersten Wormser Drachenfest im Oktober.

_Geschäftswelt_

Die Wormser Wirtschaft und Geschäftswelt profitiert seit Anbeginn der Festspiele von diesen und weiß das zu schätzen. Der Einzelhandelsausschuss im Stadtmarketing beschloss deswegen auch sehr früh im neuen Jahr, kleine Banner mit dem Festspiel-Logo für die Schaufenster herzustellen, und regte ein Festspiel-Kiosk auf dem Obermarkt an. Überall in Worms blicken einem somit die Nibelungen entgegen und sehr viele Schaufenster sind komplett nibelungisch dekoriert. Bei „Optik Meurer“ stehen seit mehreren Jahren Original-Kostüme aus bisherigen Produktionen, garniert mit Schwertern und Gemäuerstücken. Der Buchhandel stellt sich natürlich ebenso ganz auf die Thematik ein. Für das Wormser Tourismus-Konzept stehen die Nibelungen sowieso ganz oben an. Da auch der 60. Landesverbandstag der Dachdeckerinnung zu den Festspielen in Worms abgehalten wurde – Zeitpunkt und Ort wurden bewusst zum Jubiläum so gewählt -, besuchten auch diese allesamt die Festspiele.

_Restaurant Carbonara_

Da sich die Festspielstars dort seit Jahren recht häufig zum Essen einfinden, hat das Restaurant inzwischen den Ruf der „Nibelungenkantine“ inne. Bis spät in den Morgen kann man die Schauspieler dort eventuell antreffen. Auch der Geburtstag von Jasmin Tabatabai wurde dort bis morgens früh um vier Uhr gefeiert, obwohl am nächsten Tag in aller Frühe schon die weiteren Proben anstanden.

_Finanzen_

In der politischen Parteilandschaft plädierten die „Grünen“ nicht nur für eine Senkung der städtischen Zuschüsse (in den Jahren 2005 und 2006 betrugen die Zuschüsse jeweils 2,3 Millionen Euro bei Gesamtkosten von 2005 4,2 Millionen und 2006 4,7 Millionen), sondern schlugen einen zweijährigen Turnus für die Festspiele vor. In einem gemeinsamen Antrag mit der FDP brachten sie das in einer Ratssitzung vor bzw. forderten, dass die Gesamtkosten nicht maximal 4 Millionen Euro übersteigen dürfen und in den Folgejahren jährlich noch weiter reduziert werden. Die nicht im Rat vertretene PDS/Linkspartei vertritt ähnliche Positionen. Unterstützt wurde der Antrag aber nur vom ebenfalls im Stadtrat sitzenden Bürgerforum. Die CDU, stärkste Partei im Stadtrat, möchte auch, dass die Zuschüsse gesenkt werden, und setzte dabei auf eine gemeinsame Kraftanstrengung von Stadt, Sponsoren und Dieter Wedel. Für sie gab es ein klares Ja zur jährlichen Veranstaltung. „Die Festspiele dürfen nicht gefährdet werden“ (Zitat CDU-Fraktionssprecher Gerhard Schnell). Der Antrag der Grünen und der FDP – die allerdings ansonsten auch die Festspiele in Worms an sich nicht gefährden wollen – fand im Rat keine Mehrheit. Dass gespart werden muss, darüber waren sich alle einig, aber ein Budget vorzugeben, fanden weder CDU, SPD noch FWG hilfreich. Trotz solchen kleineren Streitigkeiten ist festzustellen, dass allerdings alle Stadtratsmitglieder hinter den Festspielen stehen. Es war 2002 sehr mutig vom Stadtrat, die Festspiele zu initiieren und auch fortzusetzen. Sie haben in Worms für eine Aufbruchsstimmung gesorgt und der Stadt ein deutlich besseres Image verschafft. Dennoch gibt es auch in der Bevölkerung immer auch einzelne Stimmen, die eine Einstellung der Festspiele befürworten würden. Aber nach Umfragen von 2007 finden auch über 70 Prozent der Wormser, dass die Nibelungenfestspiele zu einem positiven Image der Stadt beitragen. Veranschlagt für 2007 wurden dann 4,9 Millionen Euro mit einem städtischen Anteil von rund 2,2 Millionen und 2 Millionen Sponsorengeldern. Auch ein Landeszuschuss von 220.000 Euro wurde berücksichtigt, dessen Umfang sich aufgrund der kulturpolitischen Bedeutung für Rheinland-Pfalz ab diesem und dann auch in den kommenden (falls nicht das Parlament noch anders entscheidet) Jahren um 500.000 Euro erhöhte, so dass vom Land in diesem Jahr zumindest insgesamt 720.000 Euro flossen. Innenminister Karl Peter Bruch äußerte bei dieser Mitteilung, dass die Festspiele in ihrer Bedeutung über das Land Rheinland-Pfalz weit hinausgehen und in ganz Deutschland und sogar europaweit auf Resonanz stoßen. Ab diesem Jahr sind die Wormser Festspiele somit auch zu Festspielen des Landes Rheinland-Pfalz geworden. Gerechnet wurde bei der diesjährigen Kalkulation mit einer Besucherauslastung von 90 Prozent. Erklärtes Ziel ist eine Drittel-Finanzierung. Ein Drittel öffentliche Kassen, ein Drittel Sponsoren und ein Drittel aus Eintrittsgeldern. Dem Gesamthaushaltsetat der Stadt Worms für 2007 stimmte der Stadtrat durch die Mehrheit von SPD und CDU auch zu, allerdings blieben die kleinen Fraktionen von Grüne, FWG, Bürgerforum und FDP bei ihrem „Nein“. Die Ausgaben für die Nibelungenfestspiele sind in der Gesamtverschuldung allerdings im Grunde gering. Dort zu sparen – was Qualität und Sicherheit gefährden würde -, macht den Kohl nicht fett. Das gilt auch für die Ausgaben für das Nibelungenmuseum, die ebenso wie die Festspiele immer wieder thematisiert werden. Insgesamt sind die Festspiele nicht zu teuer, es hängen zudem viele Arbeitsplätze und auch das Image der Stadt daran. Dieter Mann (Hagen-Darsteller) erinnerte dabei zu Recht daran, dass Kultur nicht über die kommerzielle Schiene gerechnet werden könne und dass auch Fußball-Stadien bezahlt werden, die bei Spielen nur zu einem Drittel gefüllt sind.

_Unvermeidliches_

Mächtige Bühnen- und Tribünenbauwerke hinterlassen notgedrungen auch ihre Spuren. Nach den Festspielen 2006 auf dem Südportal des Doms sah der Platz einige Zeit etwas grau und trist aus, denn das Gras fehlte. Dass der Platz erneuerungsbedürftig sein würde, hatte die Stadt allerdings im Vorfeld bereits eingeplant. Im Haushaltsansatz waren dafür 20.000 Euro eingeplant, mit denen ein Rollrasen verlegt und Einlassungen sowie Wege wieder in Ordnung gebracht wurden. Die Gartenbaufirma Flörchinger sorgte dafür, dass der Platz sehr rasch wieder ordentlich aussah. Ernsthafte Schäden hatte es darüber hinaus keine gegeben.

_Umstrukturierungen_

Dies war das letzte Jahr, wo die Nibelungen-Festspiele GmbH unter diesem Namen die Festspiele durchführten. Die Stadt Worms wird mit einstimmigem Zuspruch des Stadtrats eine neue Kultur- und Veranstaltungs-GmbH gründen, in die neben der Festspiel-GmbH auch das Nibelungenmuseum, Jazz & Joy und das mittelalterliche „Spectaculum“ eingehen wird. Die bisherige Nibelungenfestspiel-GmbH wird sich künftig nur noch um den künstlerischen Aspekt der Festspiele kümmern. Aber aus Gründen der Gemeinnützigkeit und steuerlichen Aspekten bleibt der Name Nibelungenfestspiele gGmbh bestehen. An der Spitze der neuen Gesellschaft soll eine „erfahrene Führungspersönlichkeit“ stehen. _Thomas Schiwek_ hatte aufgrund einer Erkrankung seit diesem Frühjahr nicht mehr die Aufgabe als kaufmännischer Geschäftsführer inne, sondern es übernahm – zunächst befristet – Sascha Kaiser (der bisherige Assistent Schiweks in dieser Position) diese Aufgabe. Alleiniger Geschäftsführer ist Uli Mieland, aber Kaiser hat Einzelprokura für den kaufmännischen Bereich und führt die inhaltliche Arbeit Schiweks weiter. Der 32-Jährige studierte an der Fachhochschule Worms internationale Betriebswirtschaft und hatte danach zunächst in Frankfurt im Bereich Sport-Marketing gearbeitet, bevor er nunmehr bereits über Jahre im Nibelungenmuseum und der Festspiel-Gesellschaft arbeitet.

_Kuratorium der Festspiele_

Das Kuratorium berät die Nibelungenfestspiele in allen künstlerischen Belangen und fördert Verbindungen zu Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft. Es setzt sich derzeit zusammen aus Prof. Hark Bohm, OB a.D. Gernot Fischer, Beigeordneter a.D. Gunter Heiland, Prof. Dr. Hellmuth Karasek, Jürgen Kriwitz, Ilse Lang, Karl Kardinal Lehmann, Dr. Elke Leonhard, Dr. Friedhelm Plogmann, Karlheinz Röthemeier, Prof. Armin Sandig, Markus Schächter, Bundesministerin Dr. Anette Schavan, Dr. Eggert Voscherau, Prof. Dr. Weck und der rheinland-pfälzischen Ministerin Doris Ahnen.

_Gesellschafter-Ausschuss_

Alle Vertreter der Stadtratsfraktionen saßen nach dem gleichen Verfahren wie in den kleinen Ausschüssen in diesem Gremium. Durch das so genannte Verteilungsverfahren waren bislang die kleinen Fraktionen FWG und FDP nicht vertreten. Einstimmig beschloss nun der Ausschuss künftig auch von diesen Parteien je einen Vertreter einzuladen, damit alle Fraktionen informiert sind. Künftig wird dann der Gesellschafter-Ausschuss so vergrößert werden, dass alle Fraktionen mit Sitz und Stimme vertreten sind.

_Ausblick_

Dieter Wedel, dessen Vertrag abgelaufen war, bleibt Intendant bis 2011. Worms ist für ihn mittlerweile eine zweite Heimat geworden. Mit dem _ZDF_ ist Dieter Wedel im Gespräch, die Festspiele am Dom erneut im Fernsehen zu übertragen. Dies war in den Anfangszeiten schon einmal geschehen. Aber vor allem wären ZDF und Bavaria an einer Kooperation zu „Jud Süß“ (siehe im Folgenden) interessiert.

Am Ende der jeweiligen Spielzeit beginnen immer schon die Vorbereitungen für das Jahr darauf. 2008 werden nach Vorstellungen der Festspielorganisation die aktuellen wie auch ehemaligen Schauspieler noch mehr ins Kulturprogramm eingebunden, als es bislang schon der Fall war. Das möchte Wedel allerdings nicht. Er ist strikt dagegen, dass Schauspieler weiterhin im Rahmenprogramm auftreten, denn seiner Ansicht nach nehme das die Einmaligkeit der eigentlichen Aufführung. Dieter Wedel will neuerdings auch selbst die nicht-nibelungischen Schwerpunkte im nächsten Rahmenprogramm, das unter dem Motto „Worms und das Judentum“ stehen wird, setzen. Ihm war das Beiprogramm in diesem Jahr zu beliebig.

Für _2008_ sollen die beiden aktuellen Rinke-Inszenierungen „Siegfrieds Frauen“ vom letzten Jahr und „Die letzten Tage von Burgund“ von diesem Jahr an jeweils zwei aufeinander folgenden Tagen an der Nordseite des Doms aufgeführt werden. Beides in einer Nacht zu bringen, ist zwar auch nicht ausgeschlossen, aber Dieter Wedel mag keine Marathon-Aufführungen im Theater, und als Open Air sei das nahezu unzumutbar. Eine Doppelaufführung ist allerdings angedacht. Zu Festspielbeginn wird es also eine Doppel-Premiere an zwei Tagen geben. Auch für diejenigen, die beide Teile schon gesehen haben, wird das nicht langweilig werden, denn unter Wedels Regie werden sie sich erneut inhaltlich weiterentwickeln. Der Schluss, den viele nicht verstanden haben, wird auf jeden Fall anders sein und auch einige Szenen werden geändert. Für die Schauspieler sind zwei Stücke parallel natürlich sehr anstrengend. Die Festspielzeit soll von 15 auf 22 Vorstellungen verlängert werden. Der Termin wird wieder später – wie in den früheren Jahren schon immer im August anstatt im Juli – sein. Da in Rheinland-Pfalz nächstes Jahr die Sommerferien sehr früh liegen, findet dadurch die Probezeit in der Ferienzeit statt und verringert eventuell die Belastung der Anwohnenden, die möglicherweise in Urlaub sind. Die Preisstruktur der Eintritte ändert sich dann ebenfalls. Da die Wochenendkarten immer früh ausverkauft sind, die Vorstellungen unter der Woche allerdings nicht, werden die Preise für Wochenenden angehoben. Im Gegensatz dazu sind dafür Karten unter der Woche günstiger zu haben. Auch soziale Komponenten sind vermehrt vorgesehen, wie ein Familientag und Kombi-Rabatte.

Ein Autorenwettbewerb soll ausgeschrieben werden, um an ein neues Nibelungenstück („Das Leben des Siegfried“) zu kommen. Möglicherweise wird es aber auch einem renommierten Autor gezielt in Auftrag gegeben. Die Nibelungen bleiben natürlich Kernpunkt der Wormser Festspiele, aber bevor es zu einer inhaltlichen Vermengung kommen könnte, denkt Wedel auch über ein Stück nach, das mit Worms, seiner Geschichte, den Juden und den Nazis in Verbindung gebracht werden kann. Konkret im Visier ist dabei der von Lion Feuchtwanger 1925 erschienene Roman _“Jud Süß“_, wozu Moritz Rinke wieder das Drehbuch schreiben würde. Auch die Geschichte über Martin Luther wird für geeignet gehalten. In solchen Fällen wird aber etwas zu den Nibelungen im Kulturprogramm dominieren, denn diese dürfen natürlich nicht plötzlich ganz weg sein. Über diese Fragestellungen wird allerdings sehr kontrovers diskutiert. Für Wedel haben sich die Nibelungen nach drei Versionen von Moritz Rinke und der Hebbel-Inszenierung von Karin Beier ausgereizt. Er möchte generelle Festspiele in Worms – auch einen „Kaufmann von Venedig“ beispielsweise und die Nibelungen selbst nur noch alle vier Jahre. Die Stadt Worms hat nichts gegen eine Erweiterung des Portfolios, aber die Nibelungen als zentrales Thema wollen sie nicht ersetzen. Kulturkoordinator Volker Gallé erklärte, dass das Schauspiel immer im Vordergrund bleiben wird. Dieser Ansicht schließt sich die Nibelungenlied-Gesellschaft, welche die gesamten Nibelungen-Aktivitäten vom Nibelungenmuseum bis hin zu den Festspielen ursprünglich angeregt hatte, ebenso an.

Die Ideen für eine Musical-Inszenierung der Nibelungen gehen weiter, ungeachtet dessen, ob es zur Verwirklichung kommt. _Konstantin Wecker_, der 2006 bei der Premiere der Festspiele zu Gast war und kurz danach in Worms auch selber mit seinem Programm gastierte, bot an, dafür die Musik zu schreiben. „Mehr Orff als Wagner, keinesfalls poppig, eher orchestral“ beschreibt er seine Vorstellungen. Dieter Wedel favorisiert dagegen ein von _Michael Kunze_ geschriebenes Stück, das anschließend auch auf Tournee geht. Propagiert wird die Musical-Idee vor allem von André Eisermann, der auch im Musical „Ludwig II.“ spielt, zu dem die Musik ebenfalls von Konstantin Wecker geschrieben wurde. Auch Dieter Wedel spricht weiterhin darüber, ein Musical zu inszenieren.

Aber es werden auch Stimmen lauter, die für eine Aufführung der _Wagner-Oper_ „Ring des Nibelungen“ plädieren. In Worms machte dafür der Wagner-Biograf Walter Hansen bei seiner Lesung Stimmung.

_John von Düffel_ (Wedels Dramaturg) hat auch bereits reichlich Material zusammengetragen für eine heitere, mit Musik unterlegte Geschichte _“Das Leben des Siegfried“_.

Aber auch das Marketing in den Regionen Rhein-Neckar und Rhein-Main soll künftig noch stärker als bisher schon betrieben werden.

_Interessante Zusatzlinks:_

http://www.nibelungenmuseum.de

http://www.nibelungenfestspiele.de

http://www.wormser-zeitung.de

Immer aktuell am Ball ist man mit der regionalen Zeitung, die immer ein umfangreiches Nibelungen-Spezial pflegt. Als Medienpartner der Festspiele erscheint dort von Beginn an eine tägliche Berichterstattung, seit diesem Jahr zudem ab 30. Juni (schon drei Wochen vor der Premiere) eine tägliche Internetsonderseite mit vielen Fotos, mehreren Diskussionsforen und einem Online-Tagebuch von André Eisermann. Auch die Nibelungenhorde berichtet über ihre Arbeit. Neben der Möglichkeit, als VIP zur Premiere zu erscheinen, gab es eine Reihe weiterer Gewinnspiele: „Blicke hinter die Kulissen“, „Fühlen wie Kriemhild und Etzel“, wo professionelle Mitarbeiter von Maske und Bühne in einen Teil des Ensembles die Gewinner Hermann Grünewald und Astrid Guckes verwandelten und Originalkostüme der Schauspieler trugen. Zur Probe gab es auch zwei Gast-Kritiker-Gewinne. Auch einen „Blick in den Kochtopf“ bei dem Wormser Spitzenkoch Wolfgang Dubs, der die VIP-Gäste bekochte, inklusive Mitessen war möglich. Für Kinder gab es einen Malwettbewerb zum Thema Nibelungen, zu dem 77 Werke eingereicht wurden. Der Wormser Künstler Richard Schimanski und die Brünhild-Darstellerin Annika Pages wählten die insgesamt 26 Gewinner aus. An sechs davon ging ein Hauptgewinn, der öffentlich von Pages bei ihrem „WZ“-Interview vergeben wurde. Auch für übrige Veranstaltungen im Rahmenprogramm der Festspiele wurden Karten verlost. Im letzten Jahr hatte die WZ für einen symbolischen Preis Karten für die Generalprobe zugunsten der Kinderklinik verkauft, wobei 5000 Euro zusammenkamen. Dieter Wedel und auch die Schauspieler baten allerdings dieses Jahr darum, das nicht mehr zu wiederholen. Denn den besonderen „Kitzel“, zum ersten Mal vor Publikum zu spielen, will man nunmehr wie auch künftig wieder der Premiere vorbehalten. Allerdings durften zwei Gewinner der WZ sich zumindest die Generalprobe ansehen, die darüber auch ausführlich in der Zeitung berichten durften. Aber das größte Verdienst, das die Wormser Zeitung den Wormsern und Angereisten täglich während der Festspiele bietet, sind die sehr beliebten _Schauspieler-Interviews_. Fast täglich um 18 Uhr vor den Aufführungen kann man im Wechsel bei freiem Eintritt ein Live-Interview im Heylshof mit jedem der Hauptrollendarsteller wie auch Autor Moritz Rinke erleben. Diese Interviews haben sich im Laufe der Jahre zu einer festen Institution gemausert. In einer sehr intimen und bunten Dreiviertelstunde erlebt man die Stars ganz unmittelbar. Alle Abende sind natürlich bis auf den letzten Platz besetzt, weshalb man früh genug vor Ort sein muss. Auch in diesem Jahr waren immer ca. 100 Personen zugegen, an manchen Tagen gab es keinen Zutritt mehr.

http://www.nibelungenlied-gesellschaft.de

Startseite

http://www.nibelungen.de

Verweisen möchte ich auch auf die früheren Festspielberichte unter http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=50
http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=70
http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=71

|Hauptsächliche Quellen dieses jährlichen Essays sind die örtlichen Zeitungen: Wormser Zeitung, Wormser Wochenblatt und Nibelungen-Kurier.|

Nibelungen-Festspiele Worms 2007. Teil 1

20. Juli bis 5. August 2007.

_Rückblick_

Nach nur fünf Jahren hat es Worms geschafft, sich bundesweit als Festspielstadt einen renommierten Namen aufzubauen. Trotz des durchweg miserablen Wetters 2006 während der Aufführungen konnte man eine Auslastung von 87 Prozent vorweisen, die Wochenenden waren zu 100 Prozent ausverkauft. Das Zuschauer- und Medieninteresse wächst von Jahr zu Jahr. Die Festspiele Worms gehören zu den führenden Theater- und Festivalereignissen neben Bayreuth und Salzburg. Immer mehr Prominente kommen auch zu den Premieren. Während die Besucherzahlen bei vielen Kulturereignissen überwiegend stagnieren oder sogar rückläufig sind, verzeichnen die Nibelungenfestspiele eine ständig steigende Nachfrage. Knapp 6000 Menschen kamen 2006 auch zu den Veranstaltungen im Rahmenprogramm (Lesungen, Konzerte und Theaterbegegnungen). Unzufriedene und Kritiker an der Durchführung der Festspiele – die es seit Anbeginn natürlich auch immer gab – werden innerhalb der Wormser Bevölkerung von Jahr zu Jahr weniger. Die Bewohner sind fast ausnahmslos stolz und begeistert. In Umfragen nach den Aufführungen 2006 bekundeten drei Viertel der Befragten die Ansicht, dass das ganze Projekt auch eine große Bereicherung für die Stadt Worms darstellt. Nur ein Viertel vertrat nicht diese Ansicht. Immerhin sind die Standpunkte klar, denn nur weniger als ein Prozent der Befragten hatte keine eigene Meinung dazu. Worms ist stolz auf seine Festspiele und genießt diese ereignisreiche Zeit. Manche fahren deswegen zur eigentlichen Urlaubszeit nicht mehr in Urlaub, denn sich in dieser Zeit hier aufzuhalten, macht Spaß und bringt Gewinn. Wer ausgerechnet dann wegfährt, verpasst einfach etwas.

Gegen Ende 2006 ging es dann bereits in die Öffentlichkeitsarbeit für die Saison 2007. Das neue Werk von Moritz Rinke mit dem Titel „Die Nibelungen – Die letzten Tage von Burgund“ war fristgemäß auch bereits fertig. Inszeniert wurde es erneut von Dieter Wedel. Es ist die Fortsetzungsgeschichte der Aufführung von 2006. Nach Siegfrieds Tod will Kriemhild Rache üben. Obwohl Worms 2006 mit rund 2030 Sonnentagen auf Platz 1 der sonnenverwöhnten Städte in Rheinland-Pfalz lag, konnte man das für die Nibelungen-Aufführungen im August nicht gerade sagen. In der Hoffnung auf besseres Wetter wurde die Premiere auf den 20. Juli 2007 vorverlegt, wodurch dann allerdings aufgrund anderer Verpflichtungen nicht alle Ensemble-Schauspieler erneut spielen konnten. Drei Rollen – König Etzel, Rüdiger von Bechelarn und Dietrich von Bern – mussten neu besetzt werden. Die Preise wurden aufgrund der Mehrwertsteuer-Erhöhung je Plätze um vier Euro herausgesetzt. Zu Beginn des Kartenverkaufs im Dezember gab es bereits 4000 Vorbuchungen und die Samstage waren wieder allesamt ausverkauft. Anfang Mai waren bereits 40 % der Karten von den 16 Aufführungen verkauft, mehr als im vorigen Jahr zur gleichen Zeit. Anfang Juli waren dann bereits 70 % verkauft. Bis zur Premiere dann 80 %, die Wochenenden sowieso. Dennoch wird immer wieder auch bemängelt, dass ALG-II-Empfänger wie auch mittlerweile der durchschnittliche Rentner finanziell sich solche Ausgaben nicht leisten können. Die Bilanz nach den Aufführungen war sehr erfolgreich: Die Auslastung lag bei 93 %, alle Wochenende waren zu 100 % ausverkauft.

Bei den Festspielen in Worms mischen sich Theater, Film und der Dom als großartige Kulisse zu einem einzigartigen Event-Spektakel. Man kehrt im Grunde zu den Ursprüngen des Theaters zurück und spielt quasi auf dem Marktplatz. Die Spielstätte des tausendjährigen Kaiserdoms ist im Grunde einer der Hauptdarsteller. Dieter Wedel brachte diesmal kein Historienspiel auf die Bühne, sondern zeichnete die heutige Sicht der Dinge. Keine einzige Szene ist aus der ursprünglichen Version erhalten geblieben und das Ganze somit die ungewöhnlichste Nibelungen-Interpretation, die es bislang gab. Ein Polit-Thriller, ein „Mafia-Thriller“ im Stil der 20er Jahre, der im Vorfeld schon für große Spannung sorgte. Keine mittelalterlichen Gewänder mehr, sondern schwarze Kleider für die Damen, die Herren Sonnenbrillen und dunkle Anzüge. Beim Nibelungenforscher Jürgen Breuer stieß diese Interpretation aber auf Kritik, da er die Gesamtheit der Aussage des Nibelungenliedes auf den Kopf gestellt sieht. Seiner Ansicht nach lassen sich überflüssige Umgestaltungen nicht als Interpretation bezeichnen und inhaltliche Veränderungen sollten grundsätzlich tabu bleiben. Dem Lied seien Neuerfindungen von Figuren und Gestalten schädlich. Von der Festspielseite – wie aber auch von anderen Nibelungenforschern – wurde diese Kritik aber nicht nachvollzogen. Denn Sinn eines erfolgreichen Theaters sei es, Diskussionen in Gang zu setzen. Die Aktualität des alten Epos liegt ja gerade darin, dass es immer wieder neu interpretiert wurde. Schon zur Pressekonferenz, auf der Besetzung und neues Stück vorgestellt wurden, kamen zahlreiche Agenturen, Fernsehsender und Journalisten aus ganz Deutschland.

Die Absprachen mit dem Dompropst mussten in diesem Jahr noch kalkulierter als sonst verlaufen, damit der Zeitplan auch stimmt. Denn auf dem „Platz der Partnerschaft“, wo sich der Backstage-Bereich befindet, standen Gerüste für umfangreiche Domsanierungen. Bis Ende Mai sollten diese Arbeiten tatsächlich dann auch abgeschlossen sein, um Platz für Catering-Zelte und Garderoben zu schaffen. Allerdings fand noch das Jazzfestival an diesem Platz statt, das erst zum 1. Juli endete, was mächtig Stress bereitete. Gleich am nächsten Tag wurden die Bühne abgebaut und in Windeseile Container und ein Zelt für Schauspieler und Techniker errichtet. Auch wurden vorzeitig gegen die jährliche Lärmbelästigung für die Anwohner Maßnahmen ergriffen. Auf Aufforderung der Struktur- und Genehmigungsbehörde (SGD) wurde ein Lärmgutachten in Auftrag gegeben. Nach den gesetzlichen Richtlinien dürfen Veranstaltungen in dieser Art über 22 Uhr hinaus nur an zehn Tagen im Jahr stattfinden, bzw. es gibt für besondere Ereignisse wie die Festspiele auch Ausnahmen. Allerdings darf man in den Nachtstunden dennoch nicht über 55 Dezibel kommen. Deswegen endeten die Aufführungen auch strikt um 23.45 Uhr. Das Schauspielerzelt durfte darüber hinaus bis um ein Uhr als notwendiger Rückzugsraum zur Verfügung stehen. Im Vorfeld wurden um die 100.000 Euro in eine „leisere“ Technik investiert und Ansagen wurden nur noch über Ohrmikrophon mitgeteilt. Mit dem Einsatz moderner Lautsprecher-Systeme kann der Schall sehr genau auf bestimmte Punkte gerichtet werden. Auch die Tribüne wurde mit schallundurchlässigem Holzwerkstoff hinter und über den Zuschauern verkleidet. Ein in der Nähe der Tribüne stehender Messwagen maß dann alle Geräusche und schickte die Aufzeichnungsprotokolle an die SGD. Das hatte auch bestens funktioniert, nur bei der Premierenfeier war es mit 65 Dezibel kurzfristig lauter als erlaubt. Auf einer im Vorfeld eigens einberufenen Anwohnerversammlung wurde über diese Maßnahmen informiert und auch gemeinsam die fertig gestellte Tribüne besichtigt. Die Bedenken der Vorjahre wurden dabei schon ausgeräumt, die Maßnahmen positiv beurteilt und gegenseitiges Verständnis gezeigt. Zudem wurde wie in den Vorjahren für eine Verkehrsberuhigung gesorgt. Die Schlossgasse hat in dieser Zeit eine Schranke, für deren Öffnung die Anwohner Münzen erhalten. Im Juni hatte dann der Aufbau begonnen. Innerhalb kürzester Zeit standen die 15 Meter hohe Tribüne und der Bühnenunterbau (400 Quadratmeter große Bühne, Bühnenbreite 30 Meter, Bühnentiefe 13 Meter mit 2,50 Meter Höhenunterschied, der angeglichen wurde) und dann folgte auch schon die Montage von Licht und Ton. Das Bühnenbild benötigte 400 Liter Farbe und zudem 1500 Quadratmeter Teppichboden, außerdem zwölf Stellwände für verschiedene Ansichten. Diffizil war das Aufhängen der Scheinwerfer, denn es konnten keine Löcher dafür in den Dom gebohrt werden; somit waren diese frei hängend mit Seilen am Dach befestigt. 110.000 Einzelteile wurden verbaut. Im Vergleich zur Hebbel-Inszenierung – ebenfalls am Nordportal – wies die neue Tribüne 1610 Sitzplätze auf 45 Stufen auf, also 160 mehr als vor zwei Jahren. Die Tribünenzugänge wurden, um das Kommen und Gehen zu erleichtern, von zwei auf drei erhöht. Auch die Seitenbühnen wurden um die Hälfte vergrößert, weil mehr Bühnenelemente zum Einsatz kamen. Da der Platz auf der Nordseite viel kleiner ist als auf der Südseite, wurden für die Filmeinspielungen rollende Leinwände eingesetzt.

Die Proben für das Stück – in diesem Jahr wieder auf dem kleineren Nordportal des Wormser Doms (wo nach den Aufführungen von Karin Beier erstmals Dieter Wedel ebenso inszenierte) – begannen Anfang Juni. Da das Wormser Spiel- und Festhaus, wo immer geprobt wurde, wegen Neubau abgerissen werden wird, musste ein neuer Ort gefunden werden. Das Wormser EWR hatte rechtzeitig eine Halle in der Klosterstraße erworben und für kulturelle Zwecke umgebaut. Für die Nibelungenfestspiele ist diese Halle der Hauptstandort für die nächsten drei Jahre. Auch Maske, Kostüme und der Waffenmeister hatten dort Quartier bezogen. Geprobt wurde dann dennoch – da sich die Arbeiten fürs neue Festspielhaus verzögern – wie zuvor im bisherigen Festspielhaus bis zum Wormser Jazzfestival und danach ging es erst an den Dom, wo „open air“ weitergefeilt wurde. Dies wurde wegen Regens doch noch mal um einen Tag verschoben. Als es dann so weit war, sorgte noch mal ein Schauer für eine Pause. Das Wetter war auch im Juli dieses Jahres sehr wechselhaft, einige Tage später wurde dann bei 42 Grad geprobt. Kühlaggregate begannen zu ächzen und einzelne Maschinen fielen aus. 400 Flaschen Wasser mussten von außerhalb angefordert werden, um die beteiligten 200 Personen mit Flüssigkeit zu versorgen. Um die Lärmbelästigungen für Anwohner zu verringern, wurde in diesem Jahr wie oben erwähnt bei diesen Proben auf Ansagen über die großen Lautsprecher verzichtet. Auch durften Anwohner sich Proben exklusiv aus dem Zuschauerraum ansehen. Von 240 Eingeladenen waren aber nur 60 der Einladung gefolgt. Die Proben beginnen schon als Tradition mit der ersten Leseprobe des gesamten Stückes. Für die meisten Schauspieler ist das inzwischen so als käme man nach Hause. Herzlich drückt man sich unter den Bekannten, aber die Neuen werden ebenso freundlich begrüßt. Mit Spannung wurde dann bereits die erste öffentliche Festspielprobe erwartet, bei der die Presse erste Eindrücke gewinnen konnten. Es war u. a. eine Szene mit Brünhild (Annika Pages), Gunther (Roland Renner), Gernot (Sven Walser), Giselher (Andre Eisermann) und Hagen (Dieter Mann), zu denen Kriemhild (Jasmin Tabatabai) stieß, die Siegfrieds Sarg hinter sich herschleppt und die Verwandten des Mordes anklagt. Auch die rheinland-pfälzische Kulturministerin Doris Ahnen schaute sich diese öffentliche Probe in der ersten Reihe mit an.

Die ganze Schauspieler-Crew wird jedes Jahr von Anfang an in das öffentlich-gesellschaftliche Leben der Stadt Worms eingebettet. So waren alle wieder an einem gemeinsamen Tisch beim Jahresempfang von Oberbürgermeister Michael Kissel im Herrnsheimer Schloss zugegen, wo Tilo Keiner diesmal zugleich auch seinen Geburtstag feierte. Schwerpunkt der vielen Themen der dortigen Rede des Oberbürgermeisters sind natürlich auch die Nibelungen, und die Schauspieler gehören ganz klar zum Profil von Worms. Viele der Schauspieler ließen es sich auch nicht entgehen, während des Jazzfestivals in Worms das Konzert des Stargeigers Nigel Kennedy anzuschauen. Beim Straßenfest in der „Unteren Kämmergass“ und umliegenden Straßen gaben die Festspielstars Autogramme und standen Gesprächen mit der Bevölkerung direkt zur Verfügung. Auch gab es erneut ein Fußballspiel zwischen Stars und einer ausgewählten Wormser Mannschaft, die sich dafür bewerben konnte. Die Auswahl des Festspielensembles trat in diesem Jahr gegen die Frauenmannschaft der Wormatia Worms an, wobei das Nibelungen-Ensemble nach Elfmeterschießen mit 9:8 gewann. Zuvor hatte es am Ende 4:4 gestanden. Zum Nibelungenteam gehörten Tilo Keiner (Sindold), Sven Walser (Gernot), Frank Röth (Ortwin von Metz und Initiator), Sascha Kaiser (Kaufmännischer Leiter), Jens Thiele (Sponsoring), Stefan Lubojansky (Fahrer von Wedel) und weitere Mitglieder aus dem künstlerischen Team, der Kleindarsteller, der Technik von Ton, Licht und Bühnenbild. Für die zweite Halbzeit kam Moritz Rinke direkt vom Frankfurter Flughafen mit hinzu. Unter den Zuschauern waren auch alle Schauspieler, die nicht mit antraten. Fürs nächste Jahr plant die Ensemble-Mannschaft sogar ein richtiges Turnier, das sich über die ganze Festspielzeit erstrecken wird.

Die Filmeinspielungen während der Aufführungen erfolgten wie bisher mit Unterstützung des ZDF und wurden an vier Tagen im Andreasstift und Schloss Herrnsheim mit der Schauspieler-Crew gedreht. TV-Teams sind immer schon im Vorfeld der Festspiele mit dabei. Beiträge kamen am 6. Juli im ZDF-Mittagsmagazin (inklusive Interview mit Jasmin Tabatabai), am 7. Juli auf 3-sat im „Theater-Foyer“ sowie im SWR ein Bericht über die Dreharbeiten der Filmeinspielungen, am 20. Juli wieder im ZDF in „Leute heute“ mit André Eisermann und Jasmin Tabatabai in der mittelalterlichen Taverne „Pfister-Zunft“ am Wormser Rhein. Im ZDF liefen deutschlandweit vom 11. Juli bis zur Premiere täglich zweimal Werbetrailer für die Festspiele auf unterschiedlichen Sendeplätzen. Möglich war das, weil das ZDF ein Medienpartner der Festspiele ist. Fürs SWR-1 wurde mit Ilja Richter eine zweistündige Live-Sendung übertragen, zu der die Wormser ins EWR-Kesselhaus kommen konnten.

Die Festspiele erobern zunehmend auch die überregionalen Zeitschriften. Beispiele: In der „Revue“ gab es drei Seiten, die „Bunte“ folgte, ebenso die „Brigitte“. Allesamt zu verfolgen, ist gar nicht möglich, denn das Wormser Theater-Ereignis gehört zu den ganz großen Sommer-Open-Airs.

_Premiere 20.Juli_

Natürlich war im freien Verkauf die Premiere seit Monaten ausverkauft, aber die Festspiele überraschten damit, dass sie kurzfristig vor der Premiere noch einmal 90 Karten für den freien Verkauf zum regulären Kategoriepreis zuzüglich 75 Euro zur Verfügung stellten. Wer rechtzeitig kauft, hat aber auch sonst im Grunde kein Problem, an Premieren-Tickets zu kommen. Dazu muss man aber gleich zum Vorverkaufstermin Anfang Dezember zuschlagen oder sich noch früher vormerken lassen. Es gibt Vormerkungen bis 2009. Eine Woche nach Vorverkaufsbeginn sind normalerweise die freien Premierenkarten weg. Die wichtigste Frage auch vier Wochen früher als sonst im Jahr war dennoch auch dieses Jahr: Bleibt es trocken zur Premiere? Im vergangenen Jahr stand die Premiere unter heftigen Regengüssen. Die Nachrichten meldeten 80 % Wiederholungswahrscheinlichkeit. Zwar lagen Regencapes unter jedem Sitz, aber keiner wollte erneut im Regen sitzen. An anderen Aufführungsterminen kosteten diese Capes 1,50 Euro. Wegen Unwetter war bislang insgesamt nur eine Veranstaltung vorzeitig abgebrochen worden, das war im letzten Jahr. Das Warten auf die Promis für den Lauf über den „roten Teppich“ vorm Premierenabend war fast ebenso spannend, gab es doch bis kurz vor Schluss Zusagen, Absagen, Zusagen. Dutzende Fotografen, Journalisten, Schaulustige wie auch zahlreiche Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes sind dann vor Ort, wenn sich die Promis über den 40 Meter langen Teppich bewegen. Die Prominenten werden mit Skoda-Limousinen des VIP-Bringdienstes vorgefahren, und es schien glücklicherweise auch die Sonne. Nach dem Lauf über den Teppich unter dem Blitzlichtgewitter der Fotografen kommt dann direkt der Empfang des Oberbürgermeisters und nach der Premierenaufführung noch die Premierenfeier, für einen Teil der Promis im abgetrennten „Ensemble-Zelt“. Wieder abgesagt hatten u. a. in diesem Jahr Topmodel Eva Padberg und Schauspielerin Gudrun Landgrebe. Estefania Küster (Ex-Gefährtin von Dieter Bohlen) kam ebenfalls nicht – ohne Absage. Gekommen waren u. a. ZDF-Intendant Markus Schächter, ZDF-Moderatorin Annika de Buhr, Moderatorin Caroline Beil, Fernsehmoderator Cherno Jobatay, der frühere Wormser Kulturdezernent Gunter Heiland, Heylshof-Kurator Alfred Pointner, Skispringer Martin Schmitt, der Trainer von Bayern Leverkusen, Michael Skibbe, Fußballweltmeister von 1954 Horst Eckel, der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende im Bundestag Wolfgang Bosbach, der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag Fritz Rudolf Körper, die rheinland-pfälzische Kulturministerin Doris Ahnen, SPD-Landtagsabgeordnete Kathrin Anklamm-Trapp, Schriftstellerin Charlotte Link, Sängerin Ina Deter, an Schauspielern u. a. Eva Habermann, Uwe Bohm (der schon zweimal von Wedel angefragt wurde, den Siegfried zu spielen, aber nie Zeit hatte), Robert Dölle (Siegfried-Darsteller vom letzten Jahr), Peter Weck (auch Vorsitzender des Festspiel-Kuratoriums), Joachim Nimtz, Mario Ohoven, Janin Reinhardt, Inez Björg-David, zudem der Wormser Domprobst Engelbert Prieß, Autor Moritz Rinke, Oberbürgermeister Worms Michael Kissel und Jan van Weyde, Verleger von Bastei-Lübbe, Stefan Lübbe. Auch zwei Premieren-Karten-Gewinner der Wormser Zeitung wurden mit den Limousinen zum roten Teppich vorgefahren (mehr zu Gewinnspielen der WZ ganz am Ende des Essays). Insgesamt waren dies aber weniger bedeutende Persönlichkeiten als noch im letzten Jahr. Bis auf wenige Tropfen Regen blieb das Wetter dafür bestens. Für das Festbüfett sorgten 28 Köche, deren Küchenchef Wolfgang Veits-Dittmann ist. 2,8 Tonnen Essen (z. B. 150 Kilo Ochsenlenden, 100 Kilo Crepe-Teig, 250 Kilo Obst und Gemüse, fünf Paletten Sekt und 2500 Sektgläser) standen für die Premiere bereit. Zusätzlich zu den Köchen gehörten 50 Personen zum Service. Nachts um eins zur Premierenfeier gab es auch Kulturprogramm. Eine Soulsängerin sang im Park, während alle sich im Hauptzelt mit den köstlichen Leckereien bestückten. Richtiggehender Geheimtip war ein Schokobrunnen, an dem Kiwistücke, Erdbeeren und Ananasecken bereitlagen, um an Holzspießchen in die immer weiter fließenden Schokoladenfluten getaucht zu werden. Die Getränke – selbst in den Pausen – müssen trotz der überhöhten Premierenpreise von den Nicht-VIPS selbst bezahlt werden. Noch nachts um zwei Uhr sammelten Kamerateams um das Ensemble-Zelt Stimmen ein. Die Premiere ist einfach eine riesengroße Sommerparty, bei der vor allem auch über das Stück leidenschaftlich debattiert wird. Auch nach der Premiere erscheinen noch wichtige Gäste zu den Aufführungen, z. B. Vertreter der Landesregierung, die sich für künftige Unterstützung ihren eigenen Eindruck einholen. Innenminister Karl Peter Bruch wie auch Jens Beutel (OB der Stadt Mainz) waren sehr angetan von der Inszenierung sowie dem Heylshof-Ambiente.

Das neue Stück war ein großes Risiko. Nicht nur wegen der Inszenierung an der Dom-Nordseite mit weniger spektakulären Bildern, sondern durch mehr Konzentration auf die Beziehungen innerhalb der Rollen, vor allem auch, weil die Nibelungen seit letztem Jahr zweigeteilt waren und der zweite Teil fast nichts mehr mit dem klassischen Stoff zu tun hat. Die moderne Fassung ist dieses Jahr sehr radikal. Das von den Nazis missbrauchte Epos ist hier eher ein antifaschistisches Stück geworden. Auch die Rückseite des Programmhefts wirbt mit „Welcher Staat mordet nicht im Interesse des Staates?“ Am Burgunderhof herrscht ein korruptes Regime, überall der Geheimdienst, der auf „political correctness“ achtet und selbst vor Gewalt gegenüber den „Oberen“ bei Zuwiderhandlung nicht zurückschreckt, sehr viele Soldaten in Nazi-ähnlichen Uniformen. Der Hof als Ledermann-Träger erinnert deutlich an Gestapo und Staatssicherheit. Gleich nach dem Begräbnis von Siegfried verschwistern sich Kriemhild und Brünhild, die noch mehr als Kriemhild um Siegfried trauert. Mit Gunter hat sie nun auch endgültig nichts mehr am Hut. Zwar endet diese Frauenkumpanei schnell mit dem spektakulären Selbstmord von Brünhild aus Trauer um Siegfried, und so lässt sich Kriemhild auch durchaus schnell auf Etzel ein. Allerdings nicht aus Racheplänen heraus, sondern um noch einmal etwas Neues anzufangen, das ihrem Stand gemäß ist und ihr guttut. Auch hat sie einen Sohn mit Siegfried, der allerdings bei Hagen zurückbleibt. Etzels Hof sieht aus wie in Russland zu kommunistischen Zeiten – auch mit den entsprechenden sowjetischen Militär-Uniformen und den roten Streifen -, Hunnenkönig Etzel dagegen fährt schon in einer amerikanischen Stretch-Limousine vor, zusammen mit seiner Privatsekretärin, die auch nach der Hochzeit mit Kriemhild seine Geliebte bleibt. Wedel bringt da sehr viel Persönliches mit ein. Etwas Sex ist bei Wedel immer dabei – Gunther sitzt nackt in der Badewanne und steigt auch nackt heraus, eine Magd sitzt mit in der Wanne. Busen werden öfter kräftig betatscht. Dass trotz der engen Beziehungen zur Katastrophe kommt, liegt weniger an Kriemhilds Rache, sondern an politischen und wirtschaftlichen Kumpanei-Interessen zwischen Etzel und Hagen. Es trifft vor allem das Fußvolk, das aussieht wie die Wehrmachtssoldaten vor Stalingrad. Es herrscht auch nicht die bekannte Nibelungen-Treue, wo alle Hagens wegen in den Tod stürzen, sondern ganz gegenteilig wird Hagen von Gunter und seinen Brüdern wegen seines korrupten Verhaltens entlassen. Auch sterben nicht alle Burgunder in diesem Stück. Der anständigste ist natürlich Kriemhilds Bruder Giselher, gespielt von Eisermann. Dass Hagen König Gunther umbringt – natürlich mit der Knarre -, stammt nicht aus der Vorlage von Autor Moriz Rinke, das hat Wedel dazuerfunden. Das Ende ist tatsächlich zu abrupt. Plötzlich lodern Flammen, Schüsse fallen, alles geht sehr schnell und Kriemhild huscht von der Bühne. Manche blieben wegen der Komplexität etwas ratlos zurück. Aber auch für die Fortsetzung des Stückes vom letzten Jahr gab es wieder lang anhaltenden siebenminütigen Applaus.

Das Medienecho konnte dieses Jahr noch weiter gesteigert werden. Zwar druckten 72 Zeitungen einfach wieder die Besprechung der dpa nach, aber viele überregionale wie lokal naheliegende Blätter brachten auch eigene Premierenberichte. Wie schon in vergangenen Jahren sind diese dann eher kritisch als positiv. Viele finden einfach auch, dass ein Filmemacher (Wedel) kein Theater machen dürfe – nur entweder oder. Rinke habe deswegen eigentlich ein Fernsehspiel geschrieben. Eigentlich eine nicht wirklich begründbare Ansicht. Aber so geht es tatsächlich allen Filmregisseuren, die Theater machen – ob Eichinger, Färberböck oder Doris Dörrie, niemand findet da Gnade. Obwohl mir das Stück gut gefällt, muss ich anmerken, dass auch mich immer der Gedanke beschleicht, wann endlich der „Nibelungen-Film“ von Wedel kommt. Wedel gilt zudem in seinen Inszenierungen als zu schamlos. Aber Diskussion und verschiedene Ansichten gehören zu gutem Theater einfach auch dazu. Einzig Jasmin Tabatabai wurde einhellig für ihre Rolle der Kriemhild überall gelobt, wobei in Worms der Publikumsliebling dieses Jahr Ilja Richter war. Aber tatsächlich spielten alle grandios. Und auf die Zeitungsfeuilletons folgten auch die „Gazetten“-Berichte der Regenbogen-Presse (z. B. „Gaza“, „Bunte“, „Frau im Spiegel“, „Revue“). Dort steht immer weniger das Stück im Vordergrund, sondern der Promiklatsch mit bunten Premierebildern. Kritik an Worms gibt’s dort deswegen keine. Auch die Fernseh- und Radiosender beurteilten das Stück wesentlich besser als die Feuilletons der großen Blätter. Im Grunde ist es nicht so wichtig, wie die Kritiken ausfielen. Für Worms war wichtig, dass es erneut bundesweit präsent war; dies bringt Menschen hierher und zahlt sich für Hotels und Gastronomie aus.

Am Tag nach der Premiere setzt sich bereits das Kuratorium zusammen und bespricht schon das nächste Jahr – ohne aber schon alles zu entscheiden. Zwar war auch in diesem Jahr das Wetter sehr wechselhaft – alle paar Tage sehr heiß oder kalt und regnerisch. Aber keine einzige Veranstaltung musste unterbrochen oder abgesagt werden.

_Besetzung_

Die Besetzung ist auch in diesem Jahr wieder hochkarätig ausgefallen.

_Jasmin Tabatabai_ spielt die Kriemhild im zweiten Jahr. Sie wurde am 8. Juni 1967 in Teheran geboren und ist in Persien aufgewachsen. Schon in ihrer Schulzeit an der Deutschen Schule in Teheran übte sie sich in Schauspielkunst. Noch vor der Machtübernahme von Revolutionsführer Khomeini kam sie nach Deutschland. Ihr Abitur machte sie 1986 im bayrischen Planegg. Danach studierte sie an der Hochschule für Musik und Kunst in Stuttgart. Ihre Karriere als Filmschauspielerin begann 1991 mit dem Kinofilm „Kinder der Landstraße“. Den ersten kommerziellen Erfolg – und auch den Durchbruch in ihrer Karriere – hatte sie 1997 in „Bandits“. Mehr zu ihr gibt es weiter unten auch unter „Rahmenprogramm“ und dort unter „Theaterbegegnungen“, wo sie einen Soloauftritt mit Gitarre hatte. An weiteren Filmen überzeugte sie mit „Late Show“ von Helmut Dietls oder als laszive Sängerin Billie in Xavier Kollers Tucholsky-Adaption „Gripsholm“. 2001 kam ihr Debüt-Album „Only Love“ heraus. 2002 kam ihre Tochter Angelina Sherri Rose zur Welt. 2005 wurde sie für ihre Rolle in dem Kinofilm „Fremde Haut“ – sie spielt eine junge Iranerin, die aus ihrem Heimatland fliehen muss, weil sie der Homosexualität bezichtigt wird und ihr nun die Todesstrafe droht – als beste Hauptdarstellerin für den deutschen Filmpreis 2006 nominiert. Mit der letztjährigen Nibelungenaufführung kehrte sie zur Bühne zurück. In diesem Jahr brachte sie gleich zu Beginn der Proben ihre kleine Tochter mit und wohnte nicht mehr am Stadtrand, sondern mitten in der City, so dass sie zu Fuß zur Bühne gehen konnte. Mit Heino Ferch drehte sie gerade den Kinofilm „Meine schöne Bescherung“ über das Weihnachten einer Patchwork-Family. Zudem hat sie ihre neue CD produziert, mit der es im Oktober und November auf Tournee geht. Der Titel ist „I ran“, was auch „Iran“ gelesen werden könnte – eine Doppeldeutigkeit, die auf ihre iranischen Wurzeln verweist.

_Annika Pages_ spielt Brünhild im zweiten Jahr. In der Originalversion isst und trinkt Brünhilde nach Siegfrieds Tod drei Tage nichts mehr und ist dann verschwunden. In der Rinke-Fortführung dagegen hat sie einen richtigen Abgang als die Siegfried am meisten Liebende. Zusätzlich zur Brünhild gestaltete sie im diesjährigen Kulturbegleitprogramm auch einen Liederabend. Pages spielte in diversen Kino- und Fernsehfilmen, unter anderem auch in „Die Affäre Semmeling“ von Dieter Wedel, in der sie an der Seite Robert Atzorns dessen Freundin Doris Berg spielt, oder „Peter Strohm“, „Die Verbrechen des Professor Capellari“, „Mann sucht Frau“ und „Unser Opa ist der Beste“. Geboren wurde sie 1968, besuchte die Staatliche Hochschule für Musik in Hannover, danach erhielt sie eine Gesangsausbildung in Hamburg und München sowie eine Tanzausbildung an der Royal Academy of Dancing in Hamburg und London, hatte Engagement am Ernst-Deutsch-Theater in Hamburg, am Staatstheater Stuttgart, Schauspielhaus Zürich sowie am Deutschen Theater Berlin. Nach einer zehnjährigen Schauspielzeit an den Kammerspielen in München wechselte sie an das Bayrische Staatstheater, wo sie bis 2004 engagiert war. Am Deutschen Theater Berlin war sie in Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“ zu sehen. 1994 bis 2004 spielte sie erst an den Kammerspielen München, dann am Bayrischen Staatsschauspiel. Auch ein Hörbuch „Cocktails der Verführung“ hat sie aufgenommen. Der Kabarettist Georg Ringswandl hat einen Text mit dem Titel „Annika Pages – Wo der Barthel den Most holt“ über sie verfasst. Für das richtige individuelle Outfit in der diesjährigen Wormser Aufführung fuhr sie zu Probenbeginn selbst nach Mannheim, um beim Festspiel-Sponsor Engelhorn ihre Kleider auszusuchen. In der Eisdiele am Markplatz trinkt sie regelmäßig ihren Latte Macchiato, wo man sie täglich antrifft, aber auch wegen ihrer beiden Kinder – die sie dabeihat – öfter im Tierpark wie auch in der Jugendbücherei. Immer wenn es regnet, geht sie dahin und liest. Abends zum Essen geht sie natürlich wie die meisten ins Restaurant „Carbonara“. Mit dabei in Worms war auch ihre Mutter, die ansonsten auf die Kinder aufpasste.

_Anouschka Renzi_ spielt Sylva, die ehemalige Geliebte von König Etzel. Das ist keine große Rolle, aber eine sehr schöne. Dass Etzel Kriemhild heiratet, ist für Sylva fatal. Renzi ist Tochter der Schauspielerin Eva Renzi und Adoptivtochter von Paul Hubschmid. Renzi wurde am Lee Strasberg Institute in New York ausgebildet und war in vielen Theater- und Fernsehproduktionen zu sehen. Ihr erstes Engagement war am Theater „Volksbühne“ in Berlin. Bekannt ist sie auch durch ihre Arbeiten an „Peer Gynt“ mit Peter Zadek geworden und durch Wedels „Die Affäre Semmeling“ und „Der Schattenmann“. Vom Fernsehen her kennt man sie außerdem aus „Tatort“, „Soko Leipzig“, „Ein Fall für zwei“ oder „Klinikum Berlin-Mitte“. Sie erhielt die Rollenanfrage, als sie in Bochum die Hedda Gabler spielte, und wurde völlig überrumpelt mit diesem Angebot, zu dem man nicht „nein“ sagen konnte. Da sie eine kleine Tochter mit einem Ehemann aus der Pfalz hat, ist ihr Worms nicht unbekannt. Zudem saß sie Im letzten Jahr auch schon auf der Zuschauerbühne zu den Nibelungen, betrat aber auch mit anderen die Heylshoftreppe als VIP-Gast. Schon dabei entlud sich ein Blitzlichtgewitter der Regenbogenpresse-Fotografen.

_Dieter Laser_ spielt König Etzel. Begonnen hat er unter Gustav Gründgens am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Neben Engagements an Theaterhäusern (München, Zürich, Berlin, wo er die Schaubühne Berlin mitbegründete) und bei den Salzburger Festspielen übernahm er bisher über 70 Hauptrollen in Film- und Fernsehproduktionen an der Seite von Stars wie Burt Lancaster, Glenn Close oder Julie Christie. Zuletzt war er zu sehen in „Ich bin die Andere“ mit Katja Riemann. Da er in der Nibelungenaufführung Kriemhild liebt, bereitete es ihm besonderes Vergnügen, täglich auf seinem Arbeitsweg am Straßenschild „Kriemhildenstraße“ vorbeizulaufen. Auch die anderen Nibelungennamen-Straßenschilder sind ihm aufgefallen. Anzutreffen war er sonst eher weniger. Er saß lieber stundenlang in seiner Privatwohnung und blieb zurückgezogen.

_Dieter Mann_ ist in der Rolle des Hagen zum ersten Mal bei den Festspielen mit dabei. Eine Freilichtarbeit in diesem Umfang hatte er noch nicht gemacht. Als ehemaliger Intendant des Deutschen Theaters Berlin wurde er danach durch seine Rollen in über 80 Filmen deutschlandweit populär. In „Der Untergang“ war er in der Rolle des Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel zu sehen. Im Film „Kasper Hauser“ hatte er bereits schon einmal mit André Eisermann zusammengearbeitet. Der Ausschlag, das Angebot Dieter Wedels anzunehmen, ging von Götz Schubert aus, der in Worms früher schon den Siegfried spielte und am Deutschen Theater arbeitet. Die Nibelungen-Festspiele in Worms kannte er inhaltlich zuvor allerdings bislang nur von der Aufzeichnung des ZDF. Eine Traumrolle ist der Hagen für ihn nicht. Worms nahm er mit allen Sinnen auf und war in ganz normalen Gaststätten anzutreffen. Angesehen hat er sich ansonsten den Judenfriedhof, die Reste der Stadtmauer, natürlich das Dominnere, das Museum im Andreasstift und dessen Sammlung von Gläsern aus dem vierten Jahrhundert (denn er ist selber Sammler von Gläsern).

_Roland Renner_ spielt König Gunther im zweiten Jahr und seine Rolle hatte im neuen Stück noch mehr Facetten als im Jahr zuvor. Renner absolvierte seine Schauspielausbildung an der Otto-Falckenberg-Schule in München. Es folgten Engagements an den großen Bühnen im deutschsprachigen Raum: Schauspielhaus Köln, Schauspielhaus Zürich, Deutsches Schauspielhaus Hamburg und an den Salzburger-Festspielen. Wilfried Minks engagierte ihn für seine Produktion von Peter Turrinis „Tod und Teufel“ sowie die Dostojewski-Adaption „Der Idiot“, beides am Deutschen Schauspielhaus Hamburg. Mehrfach hat er mit Johann Kresnik zusammengearbeitet: in Hamburg bei dem Projekt „Gründgens“, am Schauspiel Hannover in Büchners „Woyzeck“ und der „Antigone“ des Sophokles, bei den Salzburger Festspielen in „Peer Gynt“ nach Henrik Ibsen. Neben seiner Theaterarbeit wirkte er auch an Fernseh- und Kinoproduktionen mit, u. a. „Zwei Tickets nach Hawaii“ von Markus Imboden oder ein „Tatort“ in der Regie von Thomas Jauch.

_Jörg Pleva_ ist in der Rolle des Dietrich von Bern zum ersten Mal mit dabei. Er hatte Wedels Angebot, dabei zu sein, angenommen, ohne zu wissen, wen er spielen wird. Dietrich von Bern ist bei Wedel ein sehr verletzter Kriegsveteran mit Halskrause und verzerrter Stimme. Mit solchen Rollen scheint es nun auch weiterzugehen; in einem nächsten Engagement spielt er erneut einen Kriegsveteran im Rollstuhl. Pleva wirkte in Wedels jüngstem Fernsehfilm „Mein alter Freund Fritz“ mit und ist aus „Tatort“, „Der Kommissar“ oder „Das Millionenspiel“ von 1970 bestens bekannt. Im letzten Jahr hatte er sich die Festspiele noch als Zuschauer angesehen und spielte auf der Bühne ganz in der Nähe in Heppenheim. In Worms selbst war er nicht viel unterwegs. Am liebsten saß er im Foyer seines Hotels, um Zeitungen oder Nietzsche zu lesen.

_Ilja Richter_ spielt Rüdiger von Bechelaren, den Gesandten von Etzel. Der gebürtige Berliner und ehemalige „Disco“-Moderator (1971 bis 1982) machte sich am Theater als Schauspieler, Autor und Regisseur einen Namen. Aber auch in zahlreichen Filmen hat er mitgewirkt sowie Kolumnen in der „taz“ geschrieben. Nach Worms spielt er die Hauptrolle in „Kiss me, Kate“ in Düsseldorf. In diesem Jahr erscheint auch ein Kinderbuch „Bruno – von Bären und Menschen“ von ihm und er gibt seine ersten Pop-Konzerte mit den Musikern von Manfred Krugs Band. Letztes Jahr war er noch im Publikum bei den Festspielenn dabei. Worms kannte er bereits durch seine Tourneen, zuletzt mit „My Fair Lady“ im Festhaus. Fast hätte es doch nicht geklappt, dieses Jahr dabei zu sein, denn er stand im Juni noch in Düsseldorf mit dem Stück „Blattschuss“ auf der Bühne. Aber Wedel stellte seinen Probenplan darauf ein, und so fuhr Richter wochenlang von Düsseldorf um 7.25 Uhr nach Worms und mittags um halb drei wieder zurück.

_Tilo Keiner_: Keiner wurde 1962 geboren, stammt aus Düsseldorf und besuchte zwei Jahre die London Academy of Music and Dramatic Art. Seit 1986 spielt er Theater in Köln, Nürnberg und Trier. Neben Engagements am Ernst-Deutsch-Theater in Hamburg und vor dem Schauspielhaus Bochum stand er von 1993 bis 1995 am Schauspielhaus Nürnberg auf der Bühne. Seit 1995 wirkt er in deutschen und englischsprachigen Film- und Fernsehproduktionen mit. Neben zahlreichen Fernsehserien wie „SOKO 5113“ oder „Girlfriends“ verfügt er auch über Hollywood-Erfahrung, wo er mit Steven Spielberg in „Der Soldat James Ryan“ arbeiten konnte. Im deutschen Kino spielte er in „Der Ärgermacher“. In Stuttgart spielte er seit zwei Spielzeiten im „Abba“-Erfolgsmusical „Mamma Mia“. Auch bei mehreren Inszenierungen von Karin Beier, die noch 2005 in Worms die Nibelungen aufführte, hat er mitgewirkt. Dort spielte er die Rolle des Hunnen Werbel. Auch 2006 war er bei den Nibelungenspielen dabei und hatte sogar vier Rollen: Sindold, den Mundschenk, den finnischen König Jukka Thor, einen Sachsenkönig und einen üblen Burgunder. Dieses Jahr spielte er wieder Sindold. Außerdem gab er Aufführungen mit Jasmin Tabatabai als Sänger. Er war häufig in Worms aufzufinden – ob im Schwimmbad, im Fitnessstudio, im Silbersee oder Eiscafé – und stellte sich gerne den Fragen der Bevölkerung. Mit seinem Vermieter Wolfgang Melzer ging er auch regelmäßig laufen. Auch radelte er einfach den Rhein entlang. Solchen Ausgleich braucht er einfach, zumal er auch diplomierter Sportlehrer ist.

_André Eisermann_: Im Februar verstarb am Rosenmontag nach einer Herzoperation sein Vater Helmut Eisermann im Alter von 58 Jahren in Worms. André Eisermann konnte ihn noch am Krankenbett besuchen. Wie die ganze Familie war er Schausteller, zog mit einer Büchsenwurfbude durch die Republik und hatte sich erst 2004 zur Ruhe gesetzt. Bis zu seinem Tode war er Gast bei allen Nibelungen-Festspiel-Premieren. Schon Helmut Eisermanns Mutter Dorit, der der legendäre „Time Tunnel“ (eine Attraktion auf Volksfesten) gehörte, war bereits mit 58 Jahren, ebenfalls an einem Rosenmontag, verstorben. Der in Berlin lebende André Eisermann überlegt nun wieder, ganz nach Worms zu ziehen. Er wohnt auch während der Festspiele bei seiner Mutter. In der diesjährigen Saison spielte Eisermann Kriemhilds Bruder Giselher, wie in den ersten vier Produktionen schon. Letztes Jahr dagegen war er in der Rolle des Burgwächters zu sehen. Er hat für die Aufführung seine blonden Haare schwarz gefärbt, damit man ihn noch mehr mit seiner Schwester Kriemhild (Jasmin Tabatabai) identifizieren konnte. Er hat mit den Festspielen seinen großen Jugendtraum verwirklicht, denn schon immer träumte er davon, Theater vor dem Dom zu spielen. In Worms ist er vielen bekannt, aber oft kommen diese Bekannten nicht zu den Festspielen. Er wird eher auf seine Schauspielerei angesprochen, nicht auf die Rolle, die er bei den Festspielen innehat. Die meisten Besucher kommen nach wie vor von außerhalb. Der große Hype um Eisermann – aufgrund der Filme „Kaspar Hauser“ und „Schlafes Bruder“ – hat abgenommen, worüber er als Person eher froh ist als dem hinterherzutrauern. Solche Filme sind auch schwer zu toppen. Sehr gerne hätte er aber „Das Parfüm“ gespielt, weil er mit dieser Rolle an diese Filme hätte anknüpfen können. In der deutschen Fassung eines Disney-Films sprach er „Quasimodo“. 1998 brachte er mit dem verstorbenen George Taboris Mozarts Zauberflöte in einem Zirkus auf die Bühne. Sein Herz gilt aber den Festspielen in Worms, denen er noch viele Jahrzehnte vorhersagt. Seinen anderen großen Traum, in Worms am Tiergarten einen Nibelungen-Park zu errichten, hat er auch noch nicht aufgegeben. Er möchte das Thema Nibelungen auch populär und unterhaltsam an die Leute bringen. Anzutreffen in Worms war er vor allem im Fitnessstudio, im Tierpark-Café (das seiner Tante gehört), wo er mitunter hilft, Eis zu verkaufen, oder aber auch einfach als Gast sitzt. Seine eigene Garderobe zu den Festspielen hat er seit einigen Jahren im Lioba-Haus gegenüber dem Dom.

_Sven Walser_ spielt Gernot. Er hat unter anderem Engagements in Wien, Zürich und München. Zuletzt war er im Fernsehen in „Speer und er“ zu sehen. Da er vor seiner Schauspielerei Schwimm-Profi war, konnte man ihn abseits der Proben meist im „Heinrich-Völker-Bad“ in Worms seine Bahnen ziehen sehen. In den ersten Wormser Probewochen fuhr er allerdings zudem ständig noch zu Auftritten am Deutschen Theater in Berlin und schloss seine Dreharbeiten in Hamburg ab. Im Herbst steht er bereits wieder in München auf der Bühne.

_Frank Röth_ spielt Ortwin von Metz (eine Art Sicherheitschef am Hof von König Gunther). Aufgewachsen in der Nähe von Worms in Lampertheim, später in Weinheim und Bensheim (alles umliegende Orte), wirkte er in zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen mit, u. a. „Tatort“, in Edgar Reitz Zweiteiler „Zweite Heimat“ sowie in der amerikanischen TV-Serie „Dirty Dozen“. Auch schrieb er mehrere Drehbücher für die ZDF-Krimireihe „Sperling“. In Worms saß er am liebsten an der „Strandbar 443“ mit Blick auf den Rhein.

_Laina Schwarz_ spielt die Rolle der Magd. Sie ist festes Ensemble-Mitglied im Jungen Schauspielhaus Düsseldorf. Sie sprang ganz kurzfristig für die verhinderte Nina Kolberg ein und verzichtete spontan auf ihren Teneriffa-Urlaub. Als Anfängerin sind ihr solche Angebote natürlich sehr wichtig, auch wenn sie nur wenig Text sprechen musste. Die Rolle der Magd ist die einer Hausangestellten, einer stillen Mitwisserin der Tragödie am Hof, die aber nicht eingreifen darf. In Düsseldorf spielt sie als nächstes im „Parzival“ die Rolle der Hexe Kundrie.

_Mark Hinkel_ spielt den jungen Hauptmann (den Sohn von Siegfried und Kriemhild). Er spielte zuvor u. a. bei den „Thurn und Taxis Schlossfestspielen“ im Stück „Der Name der Rose“ und im Tourneeprojekt „Antigona“ der mexikanischen Starregisseurin Perla de la Rose. Er ist der Bruder von Jörn Hinkel, Wedels Regieassistent. Dadurch war er in den vergangenen Jahren schon Besucher der Festspiele.

_Dominique Voland_, eine der beiden Lebensgefährtinnen von Dieter Wedel, spielt die Rolle der Dietlinde von Bechelaren, die vom eigenen Vater hilflos an König Gunther verschachert wird. Sie ist zum vierten Mal auf der Bühne dabei. Im letzten Jahr spielte sie eine Gefährtin Brünhilds auf Island. Ursprünglich hat sie eine klassische Ballettausbildung absolviert und am „Theater des Westens“ oder der Staatsoper Berlin getanzt. Später war sie Mitglied der Jazzdance-Company „MM Dancers“. Ihre erste Schauspielerei war bei Wedels TV-Mehrteiler „Affäre Semmeling“, dem weitere Rollen folgten.

_Andreas Bisowski_ steht in kleinen Rollen seit Beginn der Festspiele auf der Bühne, am deutlichsten als „Hans, der Bote“, den er auch im letzten Jahr schon spielte. Im Gegensatz zur komödiantischen Variante ist diese Rolle dieses Jahr ernster angelegt. In Worms grillt er am Rhein und sonnt sich am Kiesstrand. Ansonsten ist er im Fitnessstudio „Black & White“ anzutreffen, wo er in die Sauna geht, Salat isst oder Badminton spielt. Außerhalb der Festspiele spielt er in einer Krimiserie bei SAT.1 und in der TV-Serie „Der Landarzt“. Aber er schreibt auch. Im Stadttheater Heidelberg läuft eine Operette von ihm und für Jahresende ist ein Musiktheater in Berlin geplant.

_Weitere Mitwirkende_

_Dieter Wedel_: Intendant. Sein Vertrag besteht bis 2008, aber er hat mittlerweile grundsätzliches Interesse bekundet, auch danach mit den Festspielen verbunden zu bleiben. Er wird seinen Vertrag wohl bis zur Spielzeit 2011/12 fortsetzen. Dieter Wedel studierte Theaterwissenschaft, Publizistik und Geschichte an der Freien Universität Berlin. 1965 promovierte er zum Doktor der Philosophie. 1972 hatte Wedel seinen ersten großen Erfolg mit dem Dreiteiler „Einmal im Leben – Geschichte eines Eigenheims“. 1978 machte Wedel sich selbstständig und drehte als Regisseur und Produzent zahlreiche sozialkritische Fernsehspiele. Seit 2002 leitet er die Nibelungenfestspiele in Worms, zunächst als Regisseur, danach auch als Intendant. Wedel wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter 1993 mit der Goldenen Kamera, dem Adolf-Grimme-Preis und 1996 mit der Goldenen Romy. Im Februar wurde im ZDF sein Film „Mein alter Freund Fritz“ ausgestrahlt, den er 2006 während der Festspiele in Worms-Pfeddersheim geschnitten hatte (siehe dazu auch den letztjährigen [Festpielbericht).]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=71 Die Wormser behandeln diesen deswegen als ein „Wormser Produkt“, denn neben dem Staraufgebot mit Ulrich Tukur als Chefarzt Dr. Seidel, Veronica Ferres als dessen Ehefrau, Uwe Bohm als Krankenhaus-Verwaltungsdirektor und dem Tatort-Kommissar Maximilian Brückner als Fritz spielten die Schauspieler, die auch in Worms vor dem Dom spielten: Wiebke Puls, Robert Dölle, Valerie Niehaus, Wolfgang Pregler, Robert Joseph Bartl und Michael Wittenborn. Auch Wedels engste Mitarbeiter durften ran: Regie-Assistent Joern Hinkel, Wedels Öffentlichkeitsmitarbeiterin Monika Liegmann, die Freundin des Nibelungen-Autors Moritz Rinke, Dorka Gryllus, und Wedels Lebensgefährtin Monique Voland. Es „wormserte“ also gewaltig, denn allesamt begegnete man diesen Menschen ständig in der Nibelungenstadt. Sein neuester Zweiteiler wird dagegen in der ARD laufen. „Gier“ über einen Millionenbetrüger, der in Südafrika im Knast saß. Über die Besetzung ist noch nichts bekannt, aber Wedel bezieht in seinen Filmen zumindest auch Komparsen der Festspiele aus der Wormser Bevölkerung mit ein. Am 22. September erhält Dieter Wedel auf dem Alzeyer Winzerfest die „Georg-Scheu-Plakette“, den Weinkulturpreis der Stadt Alzey, der jährlich vergeben wird. Er geht an Personen, die sich in herausragender Weise Verdienste um die Region erworben haben. Für Wedel entschied sich die Jury, weil er mit der Inszenierung der Nibelungenfestspiele in Worms der gesamten Region Rheinhessen einen wertvollen kulturellen Impuls gegeben hat.

_Moritz Rinke_ ist Autor des diesjährigen wie letztjährigen Stückes. Zum ersten Mal stand er öffentlich allerdings eher im Hintergrund. Er ist nur als Gast zur Premiere erschienen und stand zum Abschluss der Heylshof-Interviews, welche die Wormser Zeitung mit den Beteiligten öffentlich veranstaltet, Rede und Antwort und signierte hinterher auch die neuen Bücher. Die Theaterfassungen der beiden Stücke 2006 und 2007 sind aktuell mit einem Nachwort des Dramaturgen John von Düffel als |Rowohlt|-Taschenbuch erschienen. Inzwischen hat er es neben Hebbel als Nibelungenautor auch in die Schulbücher geschafft. Mit seinem neuen zweiten Teil wollte er eigentlich noch etwas früher ansetzen, zu einer Zeit, als Siegfried noch lebt. Allerdings bestand Wedel auf einem richtigen Zweiteiler (was sicherlich auch sinnvoller war). Der Text, der in Buchform vorliegt, ist somit auch nicht identisch mit der Aufführung. Es ist allerdings auch üblich, dass Autoren ihre Texte loslassen und die Bühnenaufführungen anders sind als die geschriebene Vorlage. Seine Aktivitäten für die Nibelungen sind nun beendet, es wird keinen Rinke mehr geben in den nächsten Jahren.

_Rainer Hofmann_ ist erstmals als Dramaturg dabei. Er ist ansonsten künstlerischer Leiter des Festivals „Politik im Freien Theater“, das alle drei Jahre von der Bundeszentrale für politische Bildung veranstaltet wird; das nächste Mal 2008 in Köln. Er sprang kurzfristig für John von Düffel ein, der ausfiel, weil er Vater geworden ist. Ein Dramaturg bei den Nibelungenfestspielen steht bei den Proben dem Regisseur als Gesprächspartner bei, um über Spannungsbögen im Stück zu diskutieren. Außerdem ist der Dramaturg für die Gestaltung des 80-seitigen Programmheftes zuständig, in dem es in diesem Jahr auch einen Text von John von Düffel zur Entstehung des aktuellen Stücks gab wie auch u. a. ein Interview von Hofmann mit Dieter Wedel.

_Katharina Börner_: Chefmasken-Bildnerin. Insgesamt sind fünf für das Schminken der Schauspieler zuständig.

_Maria Reder_ ist seit 20 Jahren freischaffende Maskenbildnerin für Fernsehen und Theater, zuletzt im ZDF für die Serie „Bianca“. Seit sechs Jahren ist sie schon zuständig für die Schauspieler der Nibelungenfestspiele.

_Hannelore Dressler-Schneider_: Maskenbildnerin

_Nicola Olbs_: Maskenbildnerin

_Phil Hinze_: Maskenbildner

_Cornelia Ehrlich_: Leiterin der Statisterie. Zu Statisten selbst noch weiter unten mehr.

_Joern Hinkel_: Regie-Assistent von Dieter Wedel. Offiziell stand er dieses Jahr zum ersten Mal auch mit auf der Bühne – als Pastor. Gleich zu Beginn wurde ein lateinisches Gebet gesprochen, für das er zusammen mit Jasmin Tabatabai und Laina Schwarz eigens Lateinstunden absolvieren musste. Inoffiziell war er aber auch schon in den letzten Jahren unerkannt auf der Bühne mit dabei. Im vergangenen Jahr spielte er einen bayrischen Gesandten und einen finnischen Übersetzer. Außerhalb seiner Wormser Festspielaktivitäten – für die er vor eineinhalb Jahren fest nach Worms auch zog – hat er mehrere Opern inszeniert und einen Dokumentarfilm über einen Volksmusikforscher gedreht.

_Ulrich Mieland_: Geschäftsführer Nibelungenfestspiele. Als Geschäftsführer trägt er die gesamtwirtschaftliche Verantwortung und bildet eine Schnittstelle zwischen Intendanz und der Stadt Worms als Gesellschafterin. Außerdem führt und berät er das Team, kontrolliert die Aufbauarbeiten am Dom und achtet darauf, dass die Budgets eingehalten werden, was nicht immer möglich ist. Einnahmen sind z. B. wetterbedingt bei Open-Air-Events, Ausgaben dagegen feststehend.

_James McDowell_ ist künstlerischer Betriebsdirektor Nibelungenfestspiele. Er fügt die Künstler, Techniker und Mitarbeiter zu einem homogenen, funktionierenden Organismus zusammen. Seine größe Sorge gilt immer dem Wetter.

_Michael Kissel_: Oberbürgermeister der Stadt Worms

_Sascha Kaiser_: Kaufmännische Leitung
(mehr weiter unten unter „Sonstiges“ bei den „Umstrukturierungen)

_Simone Schofer_: Pressesprecherin der Festspiel-Gesellschaft. Spätestens zwei Tage vor der Premiere klingelt das Handy ununterbrochen. Termine werden koordiniert, Anfragen beantwortet. Auch nach der Premiere gibt es noch viele Interview-Anfragen. Die gesamte Presse muss im Vor- wie Nachfeld betreut werden. Allein zur letzten Fotoprobe hatten sich 40 Fotografen und neun Kamera- und Radioteams angemeldet. Vor der Fotoprobe gab es 46 Schauspieler-Interviews in zwei Stunden im 15-Minuten-Takt.

_Moni Liegmann_: Pressereferentin von Dieter Wedel

_Petra Simon_: Festspielmitarbeiterin und verantwortlich für das Kulturprogramm

_Angelika Rosin_: Festspielmitarbeiterin, kümmert sich um die Anwohner, Spezialarrangement und die Hostessen

_Technik-Crew_: unverändert zu 2006 unter _Michael Rütz_ (Technischer Leiter)

_Jörg Grünsfeld_: Tontechnik (zu Tontechnik selbst weiter unten bei Sonstiges)

_Christian Ruppel_: Tontechnik – verantwortlich für Material und Personal

_Juliane Eckstein_: Leiterin der Requisite

_Jens Kilian_: Bühnenbild

_Ilse Welter-Fuchs_: Kostümentwürfe. Es sind etwa 300 Kostüme, die bis zur Premiere fertig sein mussten. Im Grunde sind diese allesamt aufwändig im Stil der 20er Jahre gestaltet, was eines komplizierten Schnittaufbaus bedarf. Der 20er-Jahre-Anzug ist auf den Körper abgeformt und die Damengarderobe wird im Schrägschnitt verarbeitet, was viel mehr Stoffs als normal bedarf.

_Kerstin Matthies_ ist seit sechs Jahren Kostümbildnerin und hat an der Kunsthochschule in Hannover studiert. Bis zur Generalprobe wird die Kleidung immer wieder noch ausgebessert.

_Gerlinde Schiedrich_ leitet die Schneiderei. Stress vor der Premiere bereiteten ihr die zu klein angelieferten Uniformen der Soldaten an Etzels Hof, die zum Teil erweitert werden mussten. Auch Stiefel mussten kurz vor Schluss noch mit Gummibändern ausgekleidet werden, damit aus ihnen die Hosen nicht mehr herausrutschen konnten. Zudem mussten die Kleider der Etzel-Dienerinnen noch Ärmel bekommen und so manche Rocklänge angepasst werden. Auch Ilja Richters Reiterhose musste in eine Kniebundhose umgeändert werden.

_Klaus Figge_ ist Kampf-Choreograph der Festspiele. Verantwortlich ist er z. B. auch für eine kurze Filmsequenz mit einem zwölf Jahre alten Wormser Jungen, der den Sohn Siegfrieds spielt und Fechtunterricht erhält. Auch gibt es immer wieder kurze Szenen, wo Gernot oder Gunther zusammengeschlagen werden. Im Gegensatz zum letzten Jahr sind die Kämpfe aber weniger aufwendig. Figge machte schon als Kind Sportfechten und hatte im Sportstudium als Schwerpunkt Fechten und Kampfakrobatik. Danach hatte er einen Lehrauftrag an der Folkwang-Schauspielschule in Essen für Fechten und Akrobatik. Anschließend hat er sich ganz den Bühnenkämpfen mit Hieb- und Stichwaffen und Schlägereien sowie dem Theaterfechten zugewandt.

_Wolfgang Siuda_ ist musikalischer Leiter der Festspiele. Dieses Jahr war auch die Musik ohne Mittelalter-Anteile moderner als im Vorjahr. Es gab wieder verschiedene Motive und Musikwelten – eine für Etzel und eine für den Burgunderhof. Außerdem ein Gewalt- und Mordmotiv. Vorrangig wurde die Musik diesmal im Studio produziert. Livemusik gab es nur noch in geringerem Umfang durch die Wormser Trommler und eine Gitarrenspielerin und einen Bläser.

_Detlev Hahne_ ist Inspizient, der die ganzen Umbauten auf der Bühne koordiniert.

_Ilona Rühl_ ist Souffleuse und sitzt nicht mehr im Souffleusen-Kasten, sondern direkt in der ersten Reihe. Eigentlich musste sie bei den Aufführungen noch nie zum Einsatz kommen. Ihre eigentliche Arbeit läuft während der Proben.

_Patrick Gagneur_: Organisationsstab der Festspiele (u. a. für Aufbaukoordination)

_Marcus Dominiak_ ist zuständig für die Logistik der Festspiele.

_Anita Bauer_: Kantinenköchin. Bevorzugt wurde von den Schauspielern Rohkost-Salat, wozu das Dressing selbst gemacht wurde. Tomate-Mozarella war der Renner am Buffet. Natürlich gab es auch warme Mahlzeiten (eher vegetarisch). An Fleisch gab es nur Pute oder Hühnchen.

_Isabelle Bloedorn_ ist seit Anfang Juli in Ausbildung zur Veranstaltungskauffrau bei den Festspielen. Sie lernte zuerst einmal Excel, um die Garderobe anzulegen, und verteilte in umliegenden Städten das Festspielprogramm oder unternahm Botengänge. Ihre Ausbildung erstreckt sich über zwei Jahre. Dabei ist entgegen anderen Ausbildungsstätten bei den Festspielen der Glamourfaktor extrem hoch. Sie hat alle Schauspieler um sich und überblickt die Telefonate der VIPs, die zur Premiere kommen.

_Olaf Kujawa_ ist Projektmanager für Gastronomie und Catering und fungierte als Schnittstelle zwischen dem Lufthansa-Party-Service und den Festspielen (mehr über Catering noch weiter unten bei Sonstiges). Er kommt aus dem Event- und Konzertbereich und arbeitete für Jürgen Drews, Otto Waalkes, DJ Ötzi und Nena. Sein größtes Catering war mit 4500 Personen für ein Schweizer Pharmaunternehmen. Außerdem organisiert er internationale Events für Hotels und Kreuzfahrtschiffe. Während der Festspiele war er im Heylshof anzutreffen, quasi als „Parkwächter“, der für den gesamten Ablauf zuständig ist.

_Christoph Noeller_ ist Leiter des Bereichs Sponsoring, einem der wesentlichen Bausteine der Festspiele. Zwar hat man anfangs ohne Sponsoren begonnen, aber das wäre auf Dauer nicht möglich gewesen. Die monetären Zuwendungen haben sich bei 1,3 bis 1,4 Millionen Euro eingependelt. Darüber hinaus werden Kooperationen aber auch im Rahmen von Leistung und Gegenleistung marketingtechnisch genutzt. Derzeit sind es 20 bis 25 Sponsoren. Da sich die Festspiele am Markt etabliert haben, ist die Tendenz steigernd. Schon jetzt wurden die Weichen für 2008 gestellt. Seit es Sponsoren gibt, ist noch keiner von ihnen wieder abgesprungen.

_Dimitry Shokhtov_: Fahrer bei den Festspielen. Er bekam diesen Job zufällig über seine Freundin, die gerade bei den Festspielen Praktikum macht. Im eigentlichen Beruf studiert er in Mannheim Diplom-Slavistik (Russisch) und BWL. Er wartet immer ab, ob die Schauspieler sich während der Fahrt unterhalten wollen. Aber meistens wollten sie das. Eine Diskussion mit Ilja Richter über den Kommunismus und die Frage, was wäre, wenn es die Revolution nicht gegeben hätte, wurde so intensiv, dass Richter am Schluss fast seinen Zug verpasst hätte.

_Pierre Günther_ kommt von der Security. Er bewachte während der Proben den Eingang zum Festspielgelände und achtet darauf, dass keine Privatpersonen hineingelangten und vor allem, dass keine Fotos gemacht wurden. Diese Paparazzis hielten sich aber zurück.

_Matthias Karch_: Leiter des Ticketverkaufs. Die beliebtesten Karten sind die der Kategorie 1 für 89 Euro. Diese – vor allem die Reihen 1 bis 10 – gehen am schnellsten weg, ansonsten werden die Veranstaltungen freitags und samstags bevorzugt. 25 % der Kartenkäufer kommen aus Worms, der größte Anteil dagegen ist überregional aus dem gesamten Bundesgebiet wie auch Schweiz und Österreich. Allerdings gehen auch Bestellungen aus Japan, Südafrika, Belgien oder Frankreich ein. Insgesamt gibt es 6000 Vorverkaufsstellen im deutschsprachigen Raum.

_Markus Reis_ ist seit mehreren Jahren VIP-Betreuer der Festspiele. Zum Arbeitsfeld gehören die Hotelbuchungen, das Abholen vom Flughafen und vor allem zuerst die Klärung der Frage, wer auf die VIP-Liste kommt. Dazu werden Zeitschriften, Internet, Klatschmagazine bis zum Politik- und Wirtschaftsteil der Zeitungen gesichtet. Diese Auswahlliste wird dann Dieter Wedel vorgelegt. Am Schluss stehen um die 420 Prominente auf der Liste, die zur Premiere eingeladen werden. 2006 kamen dann etwa 40 davon zur Premiere. In diesem Jahr sprachen auch Agenturen Markus Reis von sich aus an und fragten, ob der oder die nicht eingeladen werden könne.

_Uschi Oswald_ ist die Sekretärin der kaufmännischen Geschäftsleitung der Festspiele. Am Premierentag war sie zudem zum bereits vierten Mal für die Akkreditierung der VIPs zuständig.

_Statisten:_

Im April fand im Lincoln-Theater das Casting für die Statisten statt, zum Bewerben sind keine Schauspiel-Erfahrungen Voraussetzung. Die Proben nehmen allerdings viel Zeit in Anspruch. Für Berufstätige ist jeden Nachmittag und Abend nach der Arbeit zu Proben eine echte Doppelbelastung. Andere opfern ihren ganzen Sommerurlaub. Aber für viele ist es eine Erfahrung, die viel Kraft gibt. Über die Hälfte der Mitwirkenden kommt jedes Jahr wieder und manche fahren dafür täglich 30 Kilometer. Pro Probetag gibt es zehn Euro, pro Aufführung 25 Euro. Wegen des Geldes ist also sicher niemand mit dabei. Die meisten allerdings sind aus Worms. Noch nie kamen so viele zum Casting wie in diesem Jahr und nur ca. 30 von den 85 Bewerbern konnten ausgewählt werden. Erstaunlich viele hatten diesmal Vorkenntnisse, denn die Festspiele haben unter Kleindarstellern einen guten Ruf erlangt. Insgesamt waren dieses Jahr 80 Statisten dabei, die 50 „Stammstatisten“ von vorherigen Jahren wurden vorrangig genommen. Einige personelle Beispiele: Bereits seit sechs Jahren dabei ist _Ingrid Winter_, Hotelangestellte in Worms. Der Rest sind Schüler, Studenten, Hausfrauen, Berufstätige und Rentner. Einer der Neulinge war _Rüdiger Glaser_, selbstständiger Anlageberater aus Nordheim. Er war als Soldat und Arbeiter zu sehen. _Wolfgang Steinhauer_, Arzt, war schon vor Jahren durch Zufall als Statist bei einem Taviani-Film in Rom dabei. Er spielte jetzt einen General. _Iwan Wolfram_ und _Thorsten Kublank_ haben sich in den Jahren sogar zu Assistenten der Statistenleiterin _Cornelia Ehrlich_ hochgearbeitet.

_Helfer hinter den Kulissen_

Da sind noch etwa 100 „stille“ Helfer am Werkeln. Es werden Leitern gestellt, gebügelt, Beleuchter sind im Einsatz, Lichttechnik, Kabel werden getragen und Kulissen geschoben, Podeste hoch und heruntergefahren. Jeder kann sich denken, dass in solcher Weise jede Menge Arbeit anfällt. Jeden Morgen um elf Uhr fanden für Interessenten Backstage-Führungen statt.

_Tierische Darsteller_

Immer wieder spielen auch Tiere mit. Dieses Jahr die zwei Brieftauben „Tristan“ und „Isolde“. Verantwortlich ist der „Vogelflüsterer“ Christian Krey aus Wiesbaden. Bereits 2004 und 2005 trainierte er die Falken-Dame „Lisa“, die mit einem goldenen Schlüssel von einem nahen Balkon zu Siegfried fliegen musste. In diesem Jahr flogen die zwei Tauben aus ihrem Käfig von der Bühne hinaus, um den Dom aus den Blicken der Zuschauer 15 Kilometer „nach Hause“ nach Lampertheim. Da aber Dunkelheit oder Wetterverhältnisse durchaus Probleme machen können, war auch Ersatz für beide vorgesehen. Das Pferd „Parador“ war vorgesehen, dessen Szene dann aber doch gestrichen wurde. Er sollte das Pferd „Sidestep“ ersetzen, das in den drei vergangenen Jahren auf der Bühne zu sehen war. Im letzten Jahr waren zunächst vorgesehene Hunde erst bei der Generalprobe ebenfalls aus dem Stück gestrichen worden. Zu Beginn der Aufführung wurden auch jeweils 250 Schmeißfliegen eingesetzt, die gekühlt im Kühlschrank lagerten und gelähmt in Siegfrieds Sarg gelegt wurden, dort auftauten und bei dessen Öffnung herausflogen, um die Verwesung der Leiche zu verdeutlichen. Das konnte aber höchstens in den ersten Reihen gesehen werden.

_Hostessen_: In der Regel freundliche Studentinnen zwischen 18 und 25 Jahren von der FH Worms. In diesem Jahr 22 Frauen, die nicht mehr ausgeschrieben werden, da die Mundpropaganda ausreicht. Das Casting ist bereits im Januar und die Stellen sind sehr früh vergeben.

1500 Kilowatt Strom werden übrigens für die Festspiele benötigt, was die Totalversorgung eines kleinen Dorfes sicherstellen würde.

|Fortsetzung mit [Teil 2]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=81 |

Interview mit André Wiesler

_Martin Schneider:_
Hallo, André, stell dich der Leserschaft doch bitte einmal kurz vor.

_André Wiesler:_
Gern. Mein Name ist André Wiesler. Ich lebe und arbeite als Schriftsteller in Wuppertal, wo ich vor nunmehr 33 Jahren auch geboren wurde. Meine Frau Janina und unser Hund Lucky leisten mir dabei Gesellschaft und Schützenhilfe. Neben Fantasy und Science-Fiction schreibe ich seit Neuestem auch „History-Mystery“.

_Martin:_
Neben deiner Arbeit beim „Envoyer“ (Rollenspielmagazin) und deiner Tätigkeit als Chefredakteur des „LodlanD“-Rollenspiels schreibst du ja auch fleißig Bücher. Nun ist mit [„Hexenmacher“ 4106 dein neuer Roman erschienen. Was erwartet den Leser?

_André:_
„Hexenmacher“ erzählt vorrangig die Geschichte des Ritters Hagen von Stein, der im Spätmittelalter seinen Lebensweg zu finden versucht. Dabei hat er mit einem düsteren Geheimnis, diversen Gegenspielern und epochalen Entwicklungen zu kämpfen. Außerdem lernt der Leser den Inquisitor Georg von Vitzthum kennen, der im Jahr 2007 auf der Jagd nach übersinnlichen Wesen ist.

_Martin:_
Die Hauptfiguren sind die als Brüder aufgewachsenen: Hagen von Stein und Albrecht von Neuburg. Beide sind sehr unterschiedlich, wohnen zusammen und werden zu Feinden. Wie hast du die beiden Charaktere angelegt, und was hast du dir dabei gedacht?

_André:_
Das Thema Bruderzwist zieht sich ja durch den gesamten „Hexenmacher“. Neben Hagen und Albrecht sind es vor allem die beiden Könige Sigmund und Wenzel, die einem da einfallen. Wichtig war mir bei beiden Figuren, dass sie in ihrer eigenen Gedankenwelt glaubhaft bleiben und nichts tun, nur um die Geschichte voranzubringen. Im Idealfall sollte der Leser den „bösen“ Albrecht zumindest verstehen, vielleicht sogar etwas mögen und natürlich mit dem langsam ambivalenter werdenden Hagen mitfiebern.

_Martin:_
Mich erinnern die beiden immer ein wenig an Hagen von Tronje (Albrecht) und Siegfried von Xanten (Hagen)? War da die Nibelungensage ein Vorbild? Das würde dann auch einen amüsanten Aspekt in der Namensgebung deiner Figuren ergeben …

_André:_
Hagen war für mich immer schon ein Name, der mit Rechtschaffenheit und Mut verbunden war. Was jetzt aber nicht heißen soll, dass ich jeden Albrecht für schwach und neidisch halte (lacht). Die Nibelungensage hatte ich nicht im Kopf, wiewohl ich da eher ein Fan der modernen Ausdeutung bin, nach der Siegfried ein eher unangenehmer Typ war – in der Sage kommt er ja stellenweise sehr undiplomatisch und frauenfeindlich rüber – und Hagen der „Gute“.

_Martin:_
Kurioserweise stelle ich mir Hagen immer blond vor und Albrecht dunkelhaarig. Bin ich ein Opfer der Stereotypenbildung? Hast du das Aussehen der Charaktere bewusst gewählt?

_André:_
Es war in der Tat ein kleiner, aber bewusster Bruch der Stereotypen, den „Bösen“ blond zu machen.

_Martin:_
Wie kamst du eigentlich auf die Idee, reale Fakten mit einem Werwolfroman zu kombinieren und das Ganze dann noch mit Geheimgesellschaften und kirchlichen Reliquien zu würzen?

_André:_
Werwölfe waren schon immer eine Leidenschaft von mir. Das liegt vielleicht darin begründet, dass ich als Kind schreckliche Angst vor dem Wolfsmann aus dem gleichnamigen Schwarzweißfilm hatte. Tremendum Faszinosum – das Erschreckend-Anziehende (lacht). Der kirchliche Ansatz ist aus der Überlegung erwachsen, was aus Hagen in Band 2 und 3 noch werden soll. Was die reale Einbindung angeht, so finde ich, dass Horror immer dann am besten funktioniert, wenn man das Gefühl bekommt, dass es wirklich so sein könnte; dass die Geräusche unter der Treppe wirklich ein Monster sein könnten, und dass man besser nicht unters Bett guckt.

_Martin:_
Warum hast du dir die Zeit um den ersten Prager Fenstersturz und die der Hussitenaufstände für den Roman ausgesucht?

_André:_
Ich stolperte bei der Recherche zu der Reihe über diese Epoche, vor allem wegen Wenzel und Sigmund, und fand sie gleich spannend. Hier konnte ich religiöse Streitigkeiten mit profaner Machtgier und persönlichen Gefühlen mischen und das vor der genialen Kulisse des spätmittelalterlichen Prags.

_Martin:_
Indem du jeden der beiden Kontrahenten Hagen und Albrecht einem der beiden Könige Wenzel von Böhmen und Sigismund von Luxemburg zugeordnet hast, hast du deren Feindschaft gleich auf eine ganz andere Ebene gehoben. Was hast du dir davon erhofft?

_André:_
Dass es spannend wird (lacht). Durch die Verknüpfung der beiden Quasi-Brüder mit einem anderen Brüderpaar ist der Preis mit einem Mal viel höher. Es geht nicht mehr nur um die Burg Aichelberg, sondern gleich um das ganze Heilige Römische Reich Deutscher Nation, um die Kaiserkrone, um die höchsten Würden. Außerdem erlaubte es mir sehr schön, die unterschiedliche Art Hagens und Albrechts darzustellen, wie sie mit Obrigkeit und Treue umgehen.

_Martin:_
Was mir sehr gefallen hat, ist, dass Albrecht eher ein tragischer Bösewicht ist als ein wirklich böser. Hat ihn das Leben nicht einfach nur härter getroffen als etwa seinen Ziehbruder?

_André:_
Es freut mich, dass Albrechts tragische Züge zu erkennen sind. Er ist jedoch einer der Menschen, die glauben, das Leben und jeder darin schulde ihnen etwas. Er glaubt, dass die Menschen sich fragen sollten, was sie für ihn tun können, wie sie ihm das Leben leichter machen können. So ein Anspruch muss natürlich enttäuscht werden, denn jede Art von sozialer Interaktion funktioniert nur durch ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Die Haltung seiner Eltern ihm gegenüber hat diese Enttäuschung sicher verstärkt.

_Martin:_
Wie lange hast du für den Roman recherchiert?

_André:_
Mit Unterbrechungen an die zwei Jahre. Besonders intensiv natürlich in den letzten Monaten vor Schreibbeginn.

_Martin:_
Von woher hast du dir Hilfe geholt?

_André:_
Zuvörderst ist da meine Frau Janina zu nennen, die studierte Mediävistin ist und mich in vielen Fragen des Mittelalters beraten hat. Dann habe ich natürlich, zumindest für die erste Orientierung, das Internet durchforstet und mich dann mit weiterführender Literatur beschäftigt. Einen gewissen Grundbestand an alten Sagen und Legenden gerade zum Thema Werwölfe hatte ich bereits vorliegen. Und schließlich gibt es noch die beiden Lektorinnen bei |Heyne|, Frau Vogl und Frau Bergenthal, die beide sehr mittelalterbegeistert sind und mir Ungenauigkeiten gnadenlos um die Ohren gehauen haben, zum Besten des Buches.

_Martin:_
Welche von den Ausdrücken Wariwulf, Bletzer, Hecetisse und Hagr kommen aus dem Mittelhochdeutschen und welche sind Neologismen deinerseits?

_André:_
Diese vier sind allesamt mittelhochdeutscher Natur, ebenso wie Bluotvarwes, die im zweiten Buch vorkommen werden. Vargr allerdings hat einen nordischen Ursprung.

_Martin:_
Wie wichtig war es dir, die lateinischen Passagen wie etwa Gebete in Latein zu belassen?

_André:_
Das Lateinische war im Mittelalter eine allgegenwärtige Sprache, auch wenn nur die Gelehrten sie beherrschten. Gerade Sakrales war in der Regel ursprünglich auf Latein, und ich finde, es trägt zur Stimmung bei, es nicht zu übersetzen. Für diejenigen, die wie ich selbst keinen blassen Schimmer von Latein haben – ich danke an dieser Stelle Stephan Packard, der es nach meinem Dafürhalten fließend spricht und mir behilflich war -, findet sich im Anhang ja die Übersetzung.

_Martin:_
Wie muss man sich deine Werwölfe genau vorstellen? Gab es da irgendwelche Vorbilder für die Gestaltung, wie etwa das Rollenspiel „Werwolf: Die Apokalypse“ oder einschlägige Filme? Was war dir bei der Gestaltung besonders wichtig?

_André:_
Wie schon erwähnt, packte mich die Begeisterung für Werwölfe früh, und da wäre es sträflich gewesen, ein so schönes Rollenspiel wie „Werwolf: Die Apokalypse“ zu ignorieren. Wir haben es lange Jahre mit großer Begeisterung gespielt. Gute Werwolffilme hingegen kann man leider an einer Hand abzählen, und was übrig bleibt, bedient sich dann doch sehr häufig der gängigen Klischees oder rutscht ins Splatter ab.

Ich habe mich bemüht, der Sache auf den Grund zu gehen, die ursprünglichen Sagen und Mythen zu studieren und daraus ein eigenes Werwolfbild zu entwickeln. Wie in jeder Beschäftigung mit einem einigermaßen eng umrissenen Thema greift man dabei an einigen Stellen auf ähnliche Quellen zurück, aber ich denke, dass meine Interpretation des Stoffes originell genug ist, um auch Werwolffans allgemein und Werwolfspieler im Speziellen zu überraschen.

_Martin:_
Du hast den Werwölfen ja eine eigene, aber durchaus christlich orientierte Mythologie gegeben. Wie kamst du auf diese Idee?

_André:_
Das erwuchs aus dem Gedanken, die Geschichte Hagens im Mittelalter beginnen zu lassen. In dieser Zeit war der Glaube so allgegenwärtig, dass auch die Werwölfe in Europa nur christlich integriert oder ketzerisch sein konnten. Und dann kam sozusagen die Kür, während der ich versucht habe, die Hintergründe der Werwolfgesellschaft mit glaubhaften, sowohl adaptierten als auch ganz eigenen Hintergründen zu versehen. Mir war wichtig, dass sie mehr waren als pelzige Ungetüme, dass sie eine stabile und glaubhafte Basis bekamen.

_Martin:_
Was genau sind den nun Bletzer? Mir kam da der Gedanke an Vampire – allerdings können die Bletzer ja auch tagsüber existieren …

_André:_
Zur Frage der Bletzer wird der zweite Band viele Antworten bereithalten, die ich hier ungern vorwegnehmen möchte. Mit Vampiren liegt man aber sicherlich nicht ganz falsch. (lacht)

_Martin:_
Ohne zu viel vom Ende zu verraten: Ich muss dich schelten, da hast du eine sehr gemeine Ader gezeigt!

_André:_
Das Dunkel lauert in jedem von uns (lacht). Für zarte Gemüter ist das Finale sicher nichts, aber ich glaube fest daran, dass eine geringere dramatische Wendung dem Spannungsbogen nicht gerecht geworden wäre.

_Martin:_
Der nächste Band wird „Teufelshatz“ heißen und im Dreißigjährigen Krieg etwa zweihundert Jahre später spielen. Was kannst Du uns darüber schon verraten?

_André:_
Kernthema des Buches sind diesmal die Bletzer, die ein großes Vorhaben auf den Weg bringen. Georgs Geschichte in der Jetztzeit erhält einen deutlich größeren Anteil und auch hier werden zahlreiche Fragen des ersten Bandes beantwortet. Außerdem erfährt man, was Vargr sind.

_Martin:_
Was kannst du uns schon über den dritten Teil verraten?

_André:_
Der dritte Teil spielt vorrangig in der Jetztzeit, mit kurzen Stippvisiten in Hagens Vergangenheit. Es wird ein wilder Reigen von Hecetissen und Hagren, Blezern und Bluotvarwes, Wariwulf und Vargr mit einem Finale, das zumindest in der Konzeption bisher ziemlich bombastisch wird. Und es wird die Schwebebahn vorkommen (lacht).

_Martin:_
Im letzten Jahr hatte Markus Heitz mit seinen Werwolf-Romanen „Ritus“ und [„Sanctum“ 2875 relativ großen Erfolg. Wie kommt es, dass dieses Thema auf einmal so erfolgreich ist? Was sind deiner Meinung nach die größten Unterschiede zwischen Heitz‘ Geschichte um die Bestie von Gévaudan und deinem „Hexenmacher“?

_André:_
Das weiß ich leider nicht zu beantworten, da ich beide Bücher noch nicht gelesen habe. Ich meide bewusst in der „heißen Arbeitsphase“ Werke mit (vermeintlich) ähnlichem Grundthema, um mich da nicht beeinflussen zu lassen.

_Martin:_
Kommen wir zum nächsten Thema, das mich brennend interessiert: Das Rollenspiel [„LodlanD“. 2144 Ich muss gestehen, dass mir dieses Rollenspiel sehr gut gefällt. Erzähl doch mal unseren Lesern bitte, worum es darin geht.

_André:_
„LodlanD“ ist ein deutsches Rollenspiel, das eine Zukunft schildert, in der die Menschheit wegen einer selbst verschuldeten Naturkatastrophe gezwungen war, in die Weltmeere auszuwandern. Hier leben sie nun seit einigen Jahrhunderten, haben Staatengemeinschaften gebildet und sich an das Leben unter Wasser weitgehend gewöhnt – was es aber nicht weniger spannend oder gefährlich macht.

_Martin:_
Wie bist du auf diese Idee gekommen bzw. wie sah der Entstehungsprozess von „LodlanD“ aus?

_André:_
Die Grundidee stammt von Christian Fischer, dem ehemaligen Chefredakteur des „Envoyer“ und „LodlanD“-Verleger. Er sprach mich mit dem Grundkonzept an, eine glaubhafte, nachvollziehbare Science-Fiction-Welt zu gestalten, und da war ich natürlich sofort Strömung und Welle (statt Feuer und Flamme). Wir stellten uns ein Team aus erfahrenen und zuverlässigen Autoren zusammen, von denen die meisten heute noch aktiv an „LodlanD“ mitarbeiten, und begaben uns an die Konzeption.

_Martin:_
Was mir bei diesem Rollenspiel auffiel, sind die hohe wissenschaftliche Fundiertheit, und die Massen an Wissenschaftlern, denen gedankt wird – wie lange hat die Vorbereitung des Regelwerkes gedauert?

_André:_
Ingesamt haben wir etwa zweieinhalb Jahre daran gearbeitet, wobei wir nach einem Jahr Entwicklungsarbeit einen harten Schnitt gemacht haben, gut 80 Prozent „in die Tonne kloppten“ und neu anfingen.

_Martin:_
Nun ist das „LodlanD“-Grundregelwerk auch als Hardcover erschienen. Darf man das so bewerten, dass sich das Spiel auf dem hart umkämpften Rollenspielmarkt durchgesetzt hat?

_André:_
Das hoffen wir doch – der Bekanntheitsgrad ist erfreulich hoch. Ganz allgemein war aber die Zeit reif, dem – im Vergleich zu unseren neueren Publikationen einfach nicht mehr standesgemäßen – Grundregelwerk ein Make-over zu spendieren.

_Martin:_
Wie sieht der weitere Weg von „LodlanD“ aus? Welche Veröffentlichungen sind geplant?

_André:_
Unlängst haben wir unser erstes Pay-per-Download-Abenteuer online gestellt, „Boot und Spiele“, das von dem ambitionierten Team der Seite LodlanD.info unter der Leitung unseres Autoren Alexander Schulz geschrieben wurde. Bis zum Ende des Jahres wird „Blut und Stahl – UNL und Stawa“ erscheinen, dass unsere Reihe der Landesbände weiterführt, welche der Band zu Scientia und Kobe-Uppland im Jahr 2008 abschließen wird. Außerdem haben wir noch einen Kampagnenband in Arbeit, zu dem ich aber erst Näheres verkünden möchte, wenn alles in trockenen Tüchern ist. Unsere Devise bei „LodlanD“ ist ja, dass wir Angekündigtes auch pünktlich einhalten.

_Martin:_
Was mir beim „LodlanD“-Team auch sehr gut gefällt, ist der überragende Online-Support. Wie wichtig ist für euch das Internet als Plattform?

_André:_
Das Internet stellt eine hervorragende Möglichkeit dar, die verstreute Spielerschaft zu bündeln und ihnen Interaktion auch jenseits der Cons zu ermöglichen. Mit unserem exklusiven Supportbereich für Spielleiter, dem fortlaufenden Metaplot und zahlreichen kostenlosen Downloads freuen wir uns, den „LodlanD“-Fans einiges an Mehrwert bieten zu können.

_Martin:_
Sehr löblich finde ich, dass das alte Softcover Regelwerk kostenlos zum Download angeboten wird. Schneidet ihr euch damit nicht ins eigene Fleisch?

_André:_
Wir sind davon überzeugt, dass beinahe jeder, der „LodlanD“ einmal probespielt, von seiner Qualität überzeugt und vom Spielspaß motiviert wird. Und wer ein Spiel gern spielt, der kauft sich dann auch das Grundregelwerk oder zumindest einige Quellenbücher. Niemand soll die Katze im Sack bzw. den Hering in der Tüte kaufen müssen.

_Martin:_
Du schreibst für das Rollenspiel „Shadowrun“ fleißig Romane – wann kommt der erste „LodlanD“-Roman?

_André:_
Sobald sich ein Verlag interessiert zeigt. Erste Konzepte gibt es seit einer Weile, aber eine neue Reihe zu etablieren, ist für einen Verlag immer schwierig. Wir sind aber zuversichtlich, dass es dereinst eine Romanreihe geben wird.

_Martin:_
Wie sieht es allgemein mit zukünftigen Projekten aus? Was ist geplant?

_André:_
Im Moment arbeite ich für |Pegasus Spiele| an „Quest – Zeit der Helden“, einem Heldenspiel, mit dem wir unter anderem neue Rollenspieler an das Hobby heranführen wollen. Zu meinem Geburtstag am 25. September wird zudem der erste Zyklus meiner Space-Opera „Raumhafen Adamant“ auf [www.mobilebooks.de]http://www.mobilebooks.de als Handy-Buch erscheinen. Davon abgesehen bin ich bis 2008 erst einmal ausgebucht mit den beiden nächsten Teilen der „Chroniken des Hagen von Stein“. Was danach kommt, ist noch nicht ganz klar. Eine Fantasy-Trilogie, die Drachen zum Hauptthema hat, ist ebenso möglich wie ein Near-Future-Thriller oder ein weiterer historischer Roman mit fantastischen Anklängen im bergischen Land der Wende vom 18. auf das 19. Jahrhundert. Konzepte gibt es viele, es bleibt abzuwarten, wofür der Verlag zu begeistern ist.

_Martin:_
So, ich glaube, nun habe ich dich genug gelöchert. Vielen Dank für das Interview. Nun hast du noch einmal die Möglichkeit, das Wort an unsere Leser zu richten.

_André:_
Ich bedanke mich für das Interesse und freue mich immer über Lob, aber auch konstruktive Kritik zu all meinen Werken. Dazu gibt es auf meiner Homepage [www.andrewiesler.de]http://www.andrewiesler.de Gelegenheit, aber auch bei einer meiner Lesungen, die ebenfalls auf dieser Seite angekündigt werden. Ich bedanke mich auch sehr herzlich für das Interview.

_André Wiesler auf |Buchwurm.info|:_

[„Hexenmacher“ 4106 (Die Chroniken des Hagen von Stein, Buch 1)
[„LodlanD – In den Tiefen des Meeres“ 2144
[„Altes Eisen“ 2038 (Shadowrun #56)

Releaseparty: Die Schlacht der Trolle

|Christoph Hardebusch, geboren 1974 in Lüdenscheid, studierte Anglistik und Medienwissenschaft in Marburg und arbeitete anschließend als Texter bei einer Werbeagentur. Sein Interesse an Fantasy und Geschichte führte ihn schließlich zum Schreiben. Seit dem großen Erfolg seines Debüt-Romans [„Die Trolle“ 2408 ist er als freischaffender Autor tätig. Christoph Hardebusch lebt mit seiner Frau in Heidelberg.|

Anlässlich des Erscheinens seines zweiten Romans „Die Schlacht der Trolle“ haben Christoph Hardebusch und der Buchladen [Fun-Fiction]http://www.fun-fiction.de/ am 30.03.2007 in den Romanischen Keller in Heidelberg zur Releaseparty geladen. Als ich etwas verfrüht eintreffe, ist der Romanische Keller noch ziemlich leer. Das ändert sich aber relativ schnell, denn ein stetiger Strom an Besuchern füllt das Gewölbe rasch.

Nicht nur ich bekomme einen Schreck, als ich an einer Tafel lese: „Pard schmeißt eine Runde!“, denn von diesem gefährlichen Troll ist normal nur wenig Gutes zu erwarten. Doch anstatt Felsen oder Pferde sind glücklicherweise die Getränke und Knabbereien gemeint.

Der Romanische Keller ist für eine Fantasylesung denkbar gut geeignet, denn die Katakomben verleihen der Lesung, vor allem bei Kerzenlicht, eine ganz besonders schöne Stimmung. Als der Autor dann anfängt zu lesen, haben sich etwa fünf Dutzend Gäste eingefunden, die gespannt lauschen. Er liest drei verschiedene Textstellen, die eine gute Mischung aus Action, Spaß und interessanten Dialogen bieten und einen guten Überblick über [„Die Schlacht der Trolle“ 3547 gewähren.

Nach einer kurzen Einführung beginnt er mit der ersten Textstelle aus dem fünften Kapitel seines Buches, welches einen Trollangriff auf ein Dorf beschreibt, bei dem eine Figur ums Leben kommt, die „nach einem meiner ehemaligen Arbeitskollegen gestaltet ist“, wie Hardebusch uns schmunzelnd erzählt.

Weiter geht’s mit einer Szene aus dem dreizehnen Kapitel, die aufgrund ihrer witzigen Dialoge die meisten Lacher erntet. Am meisten lachen die Besucher aber, als Christoph gerade die Stelle vorliest, in der Pard brüllt: „Was stinkt hier so widerlich!?“, während gerade eine Nachzüglerin den Raum betritt und völlig verdutzt in Richtung Bühne blickt. Nach der Beteuerung, dass das jetzt wirklich ein Zufall sei, kann sich Hardebusch dann aber unter lautem Gelächter wieder seiner Lesung widmen.

Zu guter Letzt folgt noch ein sehr pfiffiger Dialog zwischen Sten und Kerr aus dem 32. Kapitel. Nach circa einer Dreiviertelstunde ist die Lesung dann vorbei, und alle scheinen sich gut amüsiert zu haben. Die Lesung bringt der Jungautor sehr routiniert und stimmungsvoll hinter sich, auch wenn er, wie er mir erzählt, an diesem Tag unter leichten Halsschmerzen leidet.

Anschließend geht dann die eigentliche Party richtig los. Hardebusch signiert haufenweise Bücher und unterhält sich entspannt mit seinen Gästen, während die Band AMBER mit ihrer hauptsächlich akustischen Musik, die wohl am besten als Folk Rock im Stile von SCHANDMAUL beschrieben werden kann, für die passende musikalische Untermahlung sorgt.

Jan Hartmann, Inhaber des Fun-Fiction, übernimmt die Rolle des Pard und schenkt fleißig Getränke aus, während sich alle Besucher gemütlich unterhalten. Ob es einen weiteren Teil der Trolle geben wird, weiß Christoph noch nicht, wie er mir erzählt, aber noch in diesem Jahr wird ein Spielebuch zu den „Trollen“ beim |Pegasus|-Verlag erscheinen. Außerdem arbeitet er zurzeit an einem neuen Projekt, das aber noch „streng geheim“ ist. Ich konnte ihm aber bereits entlocken, dass es sich um eine Trilogie handeln wird, die sich um ein nautisches Thema dreht, „in dem auch Piraten vorkommen“. Man darf also darauf gespannt sein.

Die Party geht noch bis zwei Uhr Nachts, auch wenn ich das Ende nicht mehr persönlich miterlebe und mich hier auf Augenzeugenberichte verlassen muss. Spaß hat es auf jeden Fall gemacht.

|Siehe ergänzend dazu:|
[„Die Trolle“ 2408
[„Die Schlacht der Trolle“ 3547
[Interview mit Christoph Hardebusch]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=65
[Teaser und Leseprobe zu „Die Trolle“]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=62
http://www.hardebusch.net/

Interview mit Thomas Thiemeyer 03/07

|Der Illustrator Thomas Thiemeyer überraschte 2004 mit seinem überaus erfolgreichen Romandebüt „Medusa“, dem sich die ebenso beliebten Abenteuer „Reptilia“ und der aktuelle Wissenschaftsthriller [„Magma“ 3415 anschlossen. Wir haben uns mit ihm über seine aktuellen Bestsellererfolge und seine weiteren Planungen unterhalten:|

_Andreas:_
Hallo, Thomas. Ich gratuliere zu den aktuellen Erfolgen! Schon dein Debüt „Medusa“ lief ausgesprochen gut und die Taschenbuchfassung von „Reptilia“ macht es sich derzeit auch in den Bestsellerlisten gemütlich. Bist du mit den Verkaufserfolgen zufrieden? Hat „Reptilia“ eine spürbare Ausweitung deines Leserkreises bewirkt?

_Thomas:_
Nun, über den Erfolg beider Bücher freue ich mich natürlich sehr. „Medusa“ war in dieser Hinsicht sogar noch einen Tick erfolgreicher. Für mich war es aber mindestens so wichtig, dass ich das Gefühl hatte, mich schriftstellerisch bei „Reptilia“ weiterentwickelt zu haben. Es gibt meines Erachtens interessantere Figuren, eine dichtere Story und einen steileren Spannungsbogen.

_Andreas:_
Wenn ich mir die letzten Platzierungen ansehe, fällt schon auf, dass die jeweilige Taschenbuchfassung gegenüber der Hardcoverausgabe die Nase vorn hat. Das deutet auf ein jeweils andersartiges Zielpublikum hin. Sind Thiemeyer’sche Abenteuer eher für Taschenbuchkäufer interessant oder kann man im Vergleich der beiden Märkte sagen, dass die Hardcoverausgaben ähnlich erfolgreich waren?

_Thomas:_
Ich halte mein Zielpublikum definitiv für Taschenbuchleser. Ich selbst würde mich auch als solchen bezeichnen. Taschenbücher sind günstig, leicht und knautschig. Man kann sie auf dem Rücken liegend lesen oder in der Badewanne. Es gibt nur ganz wenige Bücher, die ich im Hardcover lese. Meist ist es dann „gehaltvolle“ Literatur, wie Eco, Zafón oder Zweig. Unterhaltungsliteratur (wenn man diesen schrecklichen Begriff verwenden möchte), wie ich sie schreibe, hat ihr Standbein im Taschenbuch. |Dachte| ich zumindest immer. Aber seit mein neuer Roman „Magma“ auf der |Spiegel|-Bestsellerliste Hardcover gelandet ist, bin ich diesbezüglich etwas ins Grübeln geraten.

_Andreas:_
Das Timing dieses Erfolges mit der neuen Ausgabe von „Reptilia“ ist natürlich besonders prima, da parallel dein gerade erwähntes neues Buch im Hardcover erschienen ist. Zu aktuellen Erfolgsmeldungen deines Thrillers „Magma“ kannst du sicherlich noch nicht viel sagen, aber zumindest die ersten Platzierungen in den Hardcover-Bestsellerlisten und bei |amazon.de| zeigen bereits einen zu erwartenden großen Erfolg. Gibt es hier bereits wieder Verträge mit Lizenzausgaben? Und was machen übrigens die Filmrechte zu deinen ersten beiden Romanen?

_Thomas:_
Zu „Magma“ lässt sich tatsächlich noch nicht viel sagen. Ich weiß nur, dass die erste Auflage bereits vergriffen ist. Konkrete Zahlen gibt’s aber erst in einem halben Jahr. Allerdings hat auch diesmal |Weltbild| wieder sein Interesse bekundet. Ich bin sicher, dass noch einige Auslandslizenzen dazukommen werden. Das haben sie bisher immer getan.

Beim Film sieht es dagegen eher mau aus. Die Option für „Medusa“ wurde nicht gezogen, wie es im Fachjargon so schön heißt. Will sagen: Es war zwar Interesse vorhanden, aber das Projekt erschien wohl als zu kostspielig oder wenig interessant. Ebenso bei „Reptilia“. Überhaupt spielen viele Fernsehproduktionen derzeit eher in oder um Deutschland, und wenn es denn mal exotisch wird, dann eher historisch-exotisch wie bei der derzeitigen Verfilmung des Lebens Heinrich Schliemanns. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf: Irgendwann steht auch mal wieder reines Abenteuerkino auf dem Programm.

_Andreas:_
Die Umschlaggestaltung von „Magma“ ist mal wieder äußerst lecker. Ich vermute, du hast erneut selbst Hand angelegt?

_Thomas:_
Klar. Alles andere würde mir mein Berufsethos verbieten. So komisch es klingen mag, aber wenn ich nach meinem Beruf gefragt werde, antworte ich immer zuerst „Illustrator“. Und das, obwohl ich zurzeit mit dem Schreiben viel größere Erfolge feiere.

_Andreas:_
Der Klappentext lässt diesmal einen noch deutlicheren Schritt in Richtung Wissenschaftsthriller und Science-Fiction vermuten und klingt nach Anteilen aus frühem Michael Crichton und Frank Schätzing. Ist „Magma“ wieder mehr ein Abenteuerroman, mehr Thriller oder mehr Science-Fiction? Wo würdest du den Schwerpunkt verorten?

_Thomas:_
„Magma“ ist in erster Linie eine Geschichte über eine unglückliche Frau. Es ist ihr Schicksal, das sich wie ein roter Faden durch den Roman zieht und am Ende zur Errettung der gesamten Menschheit führt. Ich liebe es, solche persönlichen Einzelschicksale in einen viel größeren Kontext einzubetten. Und diesmal ist der Kontext wirklich gewaltig.

Thematisch schwankt die Story stark zwischen allen angesprochenen Genres, ohne sich genau festzulegen. Eine Art „Crossover“, würde ich sagen. Den Ritterschlag hat das Buch durch Frank Schätzing erhalten, der es gelesen und für sehr gut befunden hat.

_Andreas:_
Erzähl den Lesern bei dieser Gelegenheit doch gleich mal etwas zum Inhalt von „Magma“. Was erwartet uns?

_Thomas:_
Es handelt von einem verschwundenen Forscher, mysteriösen Gebilden aus Stein und einem Zeichen am Himmel. Aus dem Marianengraben, mitten im pazifischen Ozean, dringen Signale an die Oberfläche, die viel zu regelmäßig sind, um natürlichen Ursprungs zu sein. Die Geologin Ella Jordan steht vor einem Rätsel. Es gibt nur eine Lösung: Mit einem U-Boot tauchen sie und der Wissenschaftler Konrad Martin zum untersten Bereich des Grabens. Hier scheint die Quelle der Störung zu sein. Sie entdecken eine riesige Steinkugel, hart wie Diamant, widerstandsfähig gegenüber allen Messmethoden. Die Erforschung der Kugel mündet in einer Katastrophe.

Plötzlich werden neue Signale empfangen: zuerst aus der Region des Nordkaps, dann aus Australien bis hinunter zur Antarktis. Ella und Konrad reisen um die ganze Welt und stoßen überall auf dieselben rätselhaften Gebilde aus Stein. Mit einem Mal beginnen sich die Signale aller Kugeln zu synchronisieren, ihre seismischen Wellen erzeugen auf der ganzen Welt Erdbeben und Vulkanausbrüche – Ella arbeitet wie besessen an einer Lösung, doch der Countdown läuft …

_Andreas:_
Konntest du für dieses Thema auf dein früheres Studium der Geologie und Geografie zurückgreifen? Mariannegraben, Erdbeben, Vulkanausbrüche – wird der Leser hier wissenschaftlich schlau gemacht?

_Thomas:_
Klar, hier konnte ich in die Vollen gehen und die gesamte geologische Trickkiste auspacken. Ich bin sicher, dass der Leser nach der Lektüre genau weiß, was eine Subduktionszone, die Mohorovizischen Diskontinuität oder ein Hot Spot ist. Vielleicht gelingt es mir ja sogar, den einen oder anderen für die faszinierende Welt der Erdwissenschaften zu begeistern.

_Andreas:_
Du hast die Erzähltechnik vom Debüt „Medusa“ zu „Reptilia“ bereits deutlich verändert. Hast du in „Magma“ wieder mit Erzählstilen experimentiert? Worauf bist du im Ergebnis besonders stolz?

_Thomas:_
Ich habe diesmal meine Palette merklich erweitert. Beide Vorgänger verfügten nur über ein relativ kleines Ensemble von Personen und spielten nur an wenigen Orten. „Magma“ ist in dieser Hinsicht deutlich aufgebohrt. Mehr Personen, mehr Schauplätze und vor allem mehr Handlungsstränge. Schließlich geht es ja um eine weltumspannende Bedrohung. Da kann man kein Kabinettstückchen draus machen. Manchmal kam ich mir vor wie ein Jongleur, der zehn Bälle in der Luft halten muss. „Magma“ ist großes Kino.

_Andreas:_
Was macht die Graphikerkarriere, die du angesprochen hast? Lässt sich immer noch beides unter einen Hut bekommen? Deine Coverbilder landen ja immer wieder auf den Nominierungslisten diverser Phantastikpreise. Gibt es hier seit „Medusa“ Neues zu verkünden?

_Thomas:_
Nach diversen Angeboten amerikanischer Verlage, hat sich nun sogar ein namhafter Hollywoodregisseur bei mir gemeldet und mich gefragt, ob ich Interesse hätte, „Concept Art“ für seinen neuen Film zu machen. Die Rede ist von Darren Aronofsky, dessen Film „The Fountain“ gerade so wunderbar an den deutschen Kinokassen gefloppt ist. Und das, weil er praktisch nirgends zu sehen war. Sehr zu Unrecht, wie ich finde, denn es ist ein sehr tiefgründiger Film mit sensationellen Bildern. Offenbar hat man einen solchen Stoff dem „Eragon“-gestählten Publikum nicht zugetraut. Zeit zum Umdenken, liebe Kinobetreiber!

_Andreas:_
Hat deine Familie inzwischen das Gefühl, eine Berühmtheit im Familienkreis zu beherbergen? Kannst du dich vor Groupies und Fanpost noch retten?

_Thomas:_
Meine Familie ist einfach großartig. Wir nehmen uns hier alle nicht richtig ernst und bleiben schön auf dem Boden. Einen besseren Schutz vor Größenwahn gibt es nicht. Und die Groupies? Ich warte immer noch auf entsprechende Post. Gerne mit Bild. 😉

_Andreas:_
Welche neuen abenteuerlichen Tiefen werden vom Autor Thomas Thiemeyer als nächste ausgelotet? Hast du schon in deiner Idee- und Materialschublade gewühlt und das nächste Projekt herausgekramt?

_Thomas:_
Ich sitze schon eifrig am nächsten Roman, wenn du das meinst. Und „tata“, es wird eine Fortsetzung zu „Medusa“ geben. Lange habe ich mich dagegen gesträubt, weil ich eigentlich kein Fan von Fortsetzungen bin. Aber die Idee zu diesem Roman war einfach zu schön, um sie ungenutzt verstreichen zu lassen. Die Leser können sich also im nächsten Jahr auf ein Wiedersehen mit Hannah Peters und Chris Carter freuen.

_Andreas:_
Welche aktuelle Lektüre würdest du den Lesern von Buchwurm.info bis dahin dringend ans Herz legen wollen? Mir hat es diesen Monat „Weltensturm“ schwer angetan und ich bin sehr neugierig auf Andreas Eschbachs „Ausgebrannt“. Was liegt auf deinem Nachttisch?

_Thomas:_
„Next“ von Michael Crichton. Ich habe allerdings noch nicht angefangen zu lesen, kann also nichts darüber sagen. Begeistert bin ich mal wieder vom guten alten Stefan Zweig. Seine Anthologie „Meistererzählungen“ aus dem Hause S. Fischer ist einfach ein Genuss. Was für ein begnadeter Erzähler. Sehr zu empfehlen auch „Ein dickes Fell“ meines Freundes Heinrich Steinfest, erschienen bei |Piper|. Ebenso wortgewaltig wie Zweig, aber um ein Vielfaches humorvoller. Geheimtipp!

_Andreas:_
Wirst du auf Lese- oder Signiertour unterwegs sein? Wenn ja: Gibt es schon Termine, die wir uns ankreuzen sollten?

_Thomas:_
Ich muss ein Geständnis ablegen: Ich bin kein Freund von Lesungen. Ich sehe mich als Autor und Illustrator, nicht aber als Entertainer. Obwohl man mir immer wieder eine schöne Erzählstimme bescheinigt hat, graust es mich jedes Mal vor öffentlichen Auftritten. Meine Lesungstermine wird man daher an einer Hand abzählen können. Ein Termin steht allerdings schon fest. Am 29.09. ab 20:00 Uhr wird es im Parkhotel Waldlust (Hohemarkstr. 168, 61440 Oberursel/Taunus) eine sensationelle Lesung vom [Autorenforum Montségur]http://autorenforum.montsegur.de geben. Lesen werden (in dieser Reihenfolge):

Thomas Thiemeyer aus „Magma“

Heiko Wolz aus „Spinnerkind“

Andrea Schacht aus „Kreuzblume“

Thomas Finn aus „Der Funke des Chronos“

Christoph Hardebusch aus „Die Schlacht der Trolle“

_Andreas:_
Ich wünsche dir mit „Magma“ und den erneut erfolgreichen ersten beiden Werken viel Erfolg und bedanke mich für deine Gesprächszeit.

_Thomas:_
Herzlichen Dank für euer Interesse und viel Spaß bei der Lektüre. Man liest sich.

Website des Autors: http://www.thiemeyer.de/
Website zu „Magma“: http://www.droemer.de/magma/

|Wer mehr über Thomas Thiemeyer erfahren möchte, kann dies in unserem [Interview vom September 2004]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=25 nachlesen.|

[„Medusa“ 482
[„Reptilia“ 1615

Interview mit Chr. von Aster, B. Koch, M. Hoffmann

Vor einigen Wochen habe ich mich mit den drei Berliner Autoren Christian von Aster, Boris Koch und Markolf Hoffmann in einem Berliner Café getroffen und ihnen ein paar Antworten zu ihrer Lesereihe, dem StirnhirnHinterZimmer, und ihrem Schaffen entlocken können.

_Sven Ollermann:_
Stellt euch unseren Lesern bitte einmal vor.

_Markolf Hoffmann:_
Hier vor mir sitzt der großartige, phantastische Christian von Aster, seines Zeichens aufstrebender Jungliterat.

_Christian von Aster:_
Gleiches kann ich von meinem mir schräg gegenüber sitzenden Kollegen Boris Koch sagen, der wohl ebenso aufstrebend und jung-literarisch ist wie ich.

_Boris Koch:_
Neben mir dann Markolf Hoffmann, der jüngste und weitest gestrebteste von uns allen, mit fast einem abgeschlossenen Studium in der Tasche.

_Sven Ollermann:_
Wie hat das mit dem StirnhirnHinterZimmer eigentlich angefangen? Wer hat sich den Namen ausgedacht?

_Markolf Hoffmann:_
Ich weiß gar nicht mehr so richtig, wer war das denn eigentlich?

_Christian von Aster:_
Oh, ja, das war dann wohl meine Aufgabe. |(zu Koch)| Du machst den Newsletter, |(zu Hoffmann)| du machst die Nachbereitung, und ich habe mir den Namen ausgedacht.

_Markolf Hoffmann:_
Dann war’s wohl Christian, selbstverständlich.

_Boris Koch:_
Uns war nur klar, dass ein „Z“ drin sein muss.

_Markolf Hoffmann:_
Genau, es musste ein „Z“ drin sein, wegen der Z-Bar. Wir kannten ja schon den Ort der Lesung. Wie waren doch gleich die Alternativvorschläge? Lügenlabor?

_Sven Ollermann:_
Da ist aber kein „Z“ drin.

_Christian von Aster:_
Oh doch, da ist ein „Z“ drin, man sieht es nur nicht …

_Markolf Hoffmann:_
Weil es eben eine Lüge ist.

_Christian von Aster:_
Ein dezentes „Z“ – also ein de’entes „Z“.

_Markolf Hoffmann:_
Das waren die beiden Vorschläge, zwischen denen wir am Ende abgestimmt haben. Und da kam dann StirnhirnHinterZimmer bei raus, weil die Lesung ja auch im Hinterzimmer stattfindet – der Name liegt nahe.

_Boris Koch:_
Die Wahrheit liegt uns ja auch irgendwo am Herzen.

_Markolf Hoffmann_
Ganz genau.

_Christian von Aster:_
Den Gedanken daran fanden wir so gut und ganz schön, sich ins Hinterzimmer des Gehirns zurückzuziehen – das Unterbewusste und all diese Dinge, nicht wahr?

_Sven Ollermann:_
Und wie hat es angefangen?

_Boris Koch:_
Eigentlich zwangsweise – auf dem Odyssee-Con. Plötzlich saßen wir da zu dritt auf der Bühne, nach Mitternacht und machten …

_Christian von Aster_
Ne, Moment, Moment. Vor „plötzlich saßen wir zu dritt“ gab es noch „wo bleibt Markolf?“. Das ging ziemlich lange, wir waren schon dabei, Hohnlieder auf Hoffolf Markmann zu dichten. Aber er kam …

_Boris Koch:_
Das ist ein bisschen übertrieben. Also nur, weil wir sechs Stunden früher da waren als Markolf …

_Christian von Aster:_
… und eigentlich mit ihm gerechnet hatten.
Ich muss ja sagen, ich bin immer recht kritisch und ein garstiger, kleiner Mistbock; ich wollte ja schon auf Markolf Hoffmann schimpfen und alles schlecht finden, weil der ja auch bei großen Verlagen veröffentlicht – der kann ja nicht gut sein. Dann habe ich ihn gesehen und er war gut. Das fand ich so richtig scheiße. Hab ich ihm aber auch gesagt, dass ich es scheiße finde, dass er so gut war.

_Markolf Hoffmann:_
Also, nur um mal die Legende zurechtzurücken: Ich hatte die Abgabe meines zweiten Buchs. Deswegen kam ich dann wirklich erst kurz vor knapp. Aber ich kam und las. Und dann trafen wir uns am Ende zu dritt bei einer Nachtlesung, die eigentlich sehr witzig war. Da hab ich dann erstmal verbale Prügel bezogen.

_Christian von Aster:_
Haben wir die eigentlich zusätzlich gemacht?

_Boris Koch:_
Nee, die war schon geplant. Na ja, so halbwegs, wir wollten ja auch mal zusammen … „Könnt ihr auch zusammen?“ haben die Veranstalter gefragt, worauf wir: „Wir kennen zwar Markolf nicht, aber können wir.“

_Christian von Aster:_
Das war schon nett, richtig nett. Und dann haben wir festgestellt, dass wir alle in einer ähnlichen Stadt wohnen, und dann war der Schritt nicht mehr weit, zu sagen …

_Markolf Hoffmann:_
Na ja, der Zufall wollte es, dass wir die Texte der anderen gegenseitig geschätzt haben und bemerkten: „Okay, die machen keinen Scheiß.“

_Christian von Aster:_
Vor allem aber auch geil, weil wir auch gemerkt haben, dass es zwar gut ist, aber eben auch wirklich verschieden. Jeder von uns hat irgendwie einen anderen Humor, eine andere Herangehensweise, und auch andere Qualitäten in den Geschichten – und was ich halt beim StirnhirnHinterZimmer wirklich genial finde: Manchmal denk ich mir „Scheiße, ist das geil“, denn eigentlich haben wir, wie ich das Gefühl habe, in jedem StirnhirnHinterZimmer einen richtig schönen Knalleffekt drin.
Ich für meinen Teil bin auf jeden Fall fett stolz darauf, dass wir das Ding so etabliert gekriegt haben, weil hier in Berlin jeder Arsch immer liest und du irgendwie jeden Tag deine 20 Lesungen zusammenkriegst.

_Boris Koch:_
Aber nicht jeder liest auch in der Sommerpause, so wie wir – wir ziehen das durch.

|(nach einer kleinen geräuschpegelbedingten Pause)|

_Markolf Hoffmann:_
Um noch mal auf die Anfänge des Hinterzimmers zurückzukommen: Wir hatten auf der Nachtlesung vereinbart, uns „demnächst mal“ zu treffen. Aus „demnächst“ wurden dann vier oder fünf Monate, ich weiß es nicht mehr genau. Der Con war im August, und im März hatten wir die erste Lesung.

Wir haben uns also in der Zwischenzeit das Konzept überlegt; dass es immer ein Motto geben wird, das immer einer reihum auswählt. Und dann ging es los. Nachdem wir am Anfang so um die 15 Zuhörer hatten, haben wir uns dann gesteigert, und bald platzte die Z-Bar aus allen Nähten. Notsitze wurden eingerichtet, Günni |(der Wirt der Z-Bar)| hat das Hinterzimmer dann leicht vergrößert. Die Z-Bar wird immer kleiner, weil das StirnhirnHinterZimmer immer weiter in die Bar reinwuchert – bis es irgendwann nur noch die Theke und das StirnhirnHinterZimmer gibt.

_Sven Ollermann:_
Häufig ist es phantastische Literatur, ab und an mal Realsatire oder Fantasy, aber primär liegt das Augenmerk doch auf der Phantastik. Wie seid ihr darauf gekommen?
Boris, wie bist du an die Phantastik gekommen, das ist ja nun alles andere als Mainstream und nicht gerade einfach bei den Verlagen unterzubekommen, oder?

_Boris Koch:_
Ja, aber wenn du etwas schreibst, ist die erste Frage ja nicht automatisch: „Wie kriege ich das bei einem Verlag unter?“ Das wäre zu wenig, man will ja auch etwas Bestimmtes erzählen, etwas sagen, was einem im Kopf umgeht. Ich weiß nicht genau, warum Phantastik, es steckt einfach im Kopf und muss raus. Ist sozusagen die Art, wie ich denke. Gerade groteske Elemente schleichen sich immer wieder in Geschichten, die ich eigentlich „realistisch“ anlege. Wo dieses grundsätzliche Faible für die Phantastik herkommt, ist einfacher: Ich hab mit elf oder zwölf angefangen, einiges in die Richtung zu lesen, grotesken Humor immer gern gehabt, und dann bleiben halt die Symbole übrig, die man irgendwo in der Kindheit und Jugend gelesen hat. Und auch wenn ich immer viele andere Sachen gelesen habe und lese, dann weiß ich immer noch, was ein Werwolf ist, was Außerirdische sind und benutze sie gerne als Metaphern – auch weil es einfach Spaß macht.

_Sven Ollermann:_
Also ist es eher eine Form der Kunst. Autor eher im Sinne eines Künstlers, als um damit primär Geld zu verdienen?

_Boris Koch:_
Ich find die Trennung sowieso albern, also …

_Sven Ollermann:_
Schau dir unsere literarische Landschaft an, kann man die nicht genauso einteilen?

_Boris Koch:_
Nee, das find ich gar nicht, überhaupt nicht. Es gibt genug Leute, die intelligente Dinge schreiben und damit Geld verdienen und es gibt genug Leute, die Schwachsinn schreiben und damit kein Geld verdienen. Es ist zu einfach gedacht, entweder schreibe ich Niveau oder ich verdiene Geld. Ich glaube, damit tue ich Umberto Eco ziemlich unrecht, um mal ein Beispiel zu nennen, wenn nicht vielleicht das beliebteste Beispiel überhaupt.

_Sven Ollermann:_
Wie sieht es bei dir aus, Christian – ist die Phantastik dein größtes Faible oder gibt es da auch andere Dinge?

_Christian von Aster:_
Ich weiß nicht, ich denke eine gute Geschichte ist eine gute Geschichte, und meine Vorbilder sind halt irgendwie allesamt Storyteller. Natürlich kennt man seine Klassiker und mag das, aber ich mag vor allem solche Leute wie Roal Dahl und Neil Gaiman, die sich keine genretechnischen Begrenzungen setzen. Eine gute Geschichte ist eine gute Geschichte und wenn mir was einfällt … – manchmal kommt sogar ein Brettspiel dabei heraus. Gut, will aber keiner haben.

_Boris Koch:_
Hätte vielleicht auch kein Spiel sein sollen, sondern eine Geschichte, vielleicht funktioniert es dann …

_Christian von Aster:_
Das ist eben auch genau dasselbe wie mit Kurzfilmen oder sonstwas, eine Geschichte sagt eigentlich demjenigen zu dem sie kommt, wie sie sein will. Geschichten haben ihre eigenen Gesetze, und wenn man darauf hört, dann kommt dabei auch das Richtige raus. Meistens sind es Kurzgeschichten, oftmals in der Phantastik, so denk ich das.

_Sven Ollermann:_
StirnhirnHinterZimmer sind ja Kurzgeschichten – die eine kürzer, die andere etwas länger, nech, Markolf?

_Markolf Hoffmann:_
Jetzt fängt der auch schon an.

_Christian von Aster:_
Das ist die Wahrheit, die lässt sich nicht auf Dauer unter den Teppich kehren, Markolf.

_Sven Ollermann:_
Markolf hat seine Roman-Reihe und gedenkt ja auch weiterhin immer wieder Romane zu schreiben. Boris, wie sieht das bei dir aus, Romane oder eher primär Kurzgeschichten? Bleibt überhaupt so was wie Zeit, sich Konzepte für Romane einfallen zu lassen?

_Boris Koch:_
Zeit für Konzepte bleibt immer, das Problem ist Zeit für Romane. Aber ich hab erst gerade einen geschrieben, für die Shadowrun-Reihe bei Fantasy Productions, „Der Schattenlehrling“. Romane und Kurzgeschichten sollen es sein, nicht entweder oder. Und ich hatte schon zusammen mit Jörg Kleudgen vor Jahren einen Roman geschrieben und in seiner Goblin Press veröffentlicht.

_Sven Ollermann:_
Und bei dir Christian, wie schaut es mit Romanen aus?

_Christian von Aster:_
Ich hab jetzt erstmal ’nen Kabarett-Preis gewonnen und schaue mal, ob ich jetzt bühnentechnisch mehr mache und ansonsten hab ich halt vor allem Bock auf Filme. Allerdings hab ich auch gerade einen Roman, an dem ich arbeite. Abgesehen davon hab ich sogar schon welche veröffentlicht, „Schatten der Götter“, „Armageddon TV“; nee, da gibt es auch mehr, ich bin gerade auch an meinem persönlichen Harry Potter dran, wo ich dann nach drei Seiten festgestellt hab, der wird dann doch nichts für Jugendliche, aber das ist ja nicht meine Schuld.

_Sven Ollermann:_
Bei dir liegt die Zukunft also eher auf der Bühne und hinter der Kamera?

_Christian von Aster:_
Ich hab gesagt, da hab ich Lust drauf. Natürlich würde ich auch gerne bei einem ordentlichen Verlag unterkommen. Aber Markolf sagt mir ja nicht, mit wem ich schlafen muss.

_Sven Ollermann:_
Und bei dir, Markolf?

_Markolf Hoffmann:_
Da steht jetzt der vierte Roman an, der letzte Teil des „Zeitalters der Wandlung“. Ich habe dann natürlich auch – also ich glaube, an Konzepten sind wir alle nicht arm, vor allem nicht an Romankonzepten – noch verschiedene andere Pläne. Ich würde gerne auch mal außerhalb der Fantasy und auch außerhalb der Phantastik etwas machen. Ich teile auch mit Christian das Interesse am Film. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, ein Drehbuch zu schreiben oder Regie zu führen. Der Vorteil beim Filmdrehen ist, dass man da nicht allein in seinem Kämmerchen sitzt und vor sich hin schreibt, sondern eben mit anderen zusammenarbeitet. Das ist nämlich das größte Manko der Schriftstellerei, finde ich.

_Sven Ollermann:_
Wie steht’s mit einer Gemeinschaftsproduktion mit anderen Autoren bezüglich Romanen?

_Markolf Hoffmann:_
Habe ich bisher noch nicht ausprobiert, aber stelle ich mir reizvoll vor. Und ich denke, das StirnhirnHinterZimmer ist auch der erste Schritt einer Zusammenarbeit. Da ziehe ich auch persönlich viel heraus, weil man jeden Monat halt was schreiben muss, ob kurz oder lang. Und man kriegt auch viel Input. Also ich finde es sehr interessant, wie die anderen beiden ihre Geschichten gestalten, man lernt, was beim Publikum ankommt und was nicht. Und vor allem lernt man regelmäßig zu schreiben, jeden Monat muss was da sein, das Publikum will unterhalten werden.

_Sven Ollermann:_
Boris, wie sieht bei dir die Zukunft aus?

_Boris Koch:_
Abwarten, ich hab jetzt Blut geleckt, was Romane anbelangt; hab da Lust, was zu machen, zu schreiben. Schauen, was da als Nächstes kommt. Aber ob Phantastik, realistisch, historisch oder Kinderbuch, das werden wir sehen. Das entscheide ich dann, wenn ich mit dem Roman fertig bin, also mit der Überarbeitung. Ansonsten kann ich mir auch andere Medien vorstellen. Comic oder Hörspiel würden mich beide sehr reizen. Film auch, klar – aber ich glaube, beim Hörspiel hat man mehr Freiheiten als beim Film. Es ist einfach spannender in Hinsicht auf die Umsetzung, weil das alles gleich teuer ist. Die Geräusche von einem explodierenden Hubschrauber sind genauso teuer wie die einer Fliege. Beim Film kommt dir irgendeiner mit Budget und du kannst irgendetwas nicht machen. Nicht, dass ich jetzt auf einen explodierenden Hubschrauber Wert lege, aber vom Prinzip ist es einfach so, dass man beim Hörspiel viel freier ist. Da würde ich halt gern was machen.

_Christian von Aster:_
Zumal wir da auch zu dritt was machen könnten. Die Technik haben wir, das ist beim Hörspiel ganz schön.
Ich hab meine Kinderbücher gar nicht erwähnt. Ich muss ja nur noch zwei illustrieren, dann hab ich nämlich zwei. Vergesse ich immer.

_Sven Ollermann:_
Das heißt, du illustrierst selbst?

_Christian von Aster:_
Manchmal. Ich hab ja damals Kunst und Germanistik studiert und das heißt, mich irgendwann auch mal für andere Sachen interessiert.

_Sven Ollermann:_
Wie sieht es bei euch mit Hörbüchern aus? Markolf, wir hatten das ja beim [letzten Mal]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=34 schon. Du kannst dir das vorstellen, Romane als Hörbücher freizugeben.
Wie ist das bei euch beiden? Oder doch lieber in Eigenproduktion und nicht immer die großen Synchronsprecher oder Schauspieler als Sprecher?

_Boris Koch:_
Weiß ich nicht, aber knallhart gesagt, es ist einfach eine Geldfrage. Wenn ein Verlag sagt, hör zu, hier kriegst du soundsoviel Geld für die Hörspiel-/Hörbuchrechte an dem Ding, freue ich mich. Ansonsten, wie man sich das traumhaft vorstellt, ist natürlich, dass eine möglichst große Verbreitung da ist, damit man einfach gehört wird. Und beim Sprecher: Es gibt sehr gute, die es meinetwegen gern machen könnten.

_Sven Ollermann:_
Christian, Hörbücher und Hörspiele? Oder gar nicht so deine Welt? Ein Hörbuch hast du ja schon draußen, würdest du weitermachen in der Richtung?

_Christian von Aster:_
Eins? Zwei, du Arsch.

_Sven Ollermann:_
Wie schon zwei?

_Christian von Aster:_
„Das Koboltikum“ und „Höllenherz“. Ach ja, und „House of Usher“. Ich finde Hörbücher und Hörspiele sehr geil, aber empfinde das Ding mit den prominenten Sprechern – auch wenn ich mich damit unpopulär mache – als die Pest. Du kannst den größten Scheiß machen und nimmst halt Joachim Kerzel (Synchronstimme u. a. von Jack Nicholson) und dann glänzt es auch wie Gold. Genau so funktioniert das.

_Markolf Hoffmann:_
Na ja, auf der anderen Seite kann man das auch langsam gar nicht mehr hören, ständig die Synchronstimme von Robert De Niro.

_Christian von Aster:_
Daran krampft es irgendwie ein bisschen. Aber Verlage nehmen halt lieber diese großen Stimmen, weil die eben nochmal zusätzlich Absatz versprechen. Finde ich ein bisschen unschön. Also, ich denke, alleine produzieren wäre fein, aber wie Boris schon sagte, wenn man für die Rechte Kohle geboten kriegt, dann sollte man nicht nein sagen. Denn was uns dann irgendwie, glaub ich, das Wichtigste ist, auch wenn ich da jetzt für die Kollegen spreche, ist einfach, wenn du irgendwoher mal Kohle kriegst und dir mal ein halbes Jahr keine Sorgen machen musst, um dann arbeiten zu können. Ich weiß ja nicht, ob hier irgendwer den Eindruck erwecken möchte, dass wir keine Geldprobleme haben. So ist das zumindest bei mir, und es ist einfach übelst anstrengend, wenn du jedes Wochenende auf Lesungen bist und dann unter der Woche vier Tage Zeit hast, um dein Zeug irgendwie auf die Reihe zu kriegen – und da auch immer noch den ganzen anderen Scheiß machen musst. Von daher, verkaufen ist schon immer gut, und das darf dann auch Joachim Kerzel oder wer auch immer lesen. Tja, aber ansonsten, selber machen ist nicht das Falscheste.

_Boris Koch:_
Wichtig ist halt, das der Text halbwegs so bleibt. Es gibt ja auch gekürzte Lesungen. Sinnvolle Kürzungen, ja, aber bei gekürzten oder veränderten Texte möchte ich mich nicht plötzlich wundern müssen, wie es zu einer derartig konservativen Einstellung des Protagonisten kommt und wo das Happy End plötzlich her ist.

_Sven Ollermann:_
Thema große Verlage – kleine Verlage. Markolf ist ja bei Piper. Boris, du hast mit Medusenblut mindestens einen kleinen Verlag, in dem du tätig bist. Hast du den mit aufgebaut – ist das quasi dein Baby, oder bist du da irgendwie anders zu gestoßen?

_Boris Koch:_
Ist quasi mein Baby. War es von Anfang an, mehr oder weniger. Es sollte eigentlich nur eine Reihe innerhalb eines Verlages werden. Bevor das erste Ding rausgekommen ist, hatte ich mich mit dem Verlag … na ja, sagen wir, wir hatten den Kontakt verloren. Er hat sich nicht mehr gemeldet. Lag wahrscheinlich an gewissen Differenzen, die wir hatten, was politische Ansichten anbelangt.
Und dann ergab es sich einfach, ich hatte ’nen Schwung Autoren, aber keinen Verlag mehr, und dachte dann, na gut, machen wir es halt selber. Ich hatte davor schon mal ein Fanzine herausgegeben, von daher war das nicht ganz blauäugig. Nur zwei Drittel blauäugig.

_Sven Ollermann:_
Der Verlag soll aber schon weiterhin in der literarischen Landschaft agieren, oder würdest du den einstampfen, wenn du irgendwo bei einem großen Verlag mit deinen Sachen unterkommst?

_Boris Koch:_
Nee, eingestampft auf keinen Fall. Das ist ja nicht ausschließlich ein Verlag für meine Bücher, es sind zwar welche von mir dabei, aber ein Großteil sind ja andere Autoren. Es ist ja auch eine andere Arbeit. Ich kann mir da Umstrukturierungen vorstellen, klar. Aber das hat nichts mit meinem Schreiben zu tun. Ich kann mir auch vorstellen, dass ich überhaupt nichts Phantastisches über Jahre schreibe, aber der Verlag ist halt einer, der nur Phantastik rausbringt, also das ist inhaltlich eine komplette Unterscheidung.

_Sven Ollermann:_
Das heißt, die Verlagsarbeit ist auch durchaus neben der Schreiberei wichtig für dich?

_Boris Koch:_
Ja.

_Sven Ollermann:_
Und bei dir, Christian, du hast, wie ich neulich festgestellt habe, auch einen kleinen Verlag, um so schreiben zu können, wie du das gerne möchtest.

_Christian von Aster:_
Ich hab damals … Ich bin nicht mit so viel Geduld gesegnet wie andere Autoren. Mitunter, wenn man an zehn oder zwanzig Verlage was schickt – und ich habe damals halt geschickt und keine positive Antwort bekommen. Mein Ego wollte das halt nicht so auf sich sitzen lassen und da hab ich eben angefangen, meine Sachen selber zu veröffentlichen. So ab und zu mach ich auch manchmal eine – wie heißt das – eine Anthologie. Und hab da dann manchmal seltsame Ideen, was man da so machen könnte. Aber vor allem ist es ausschlaggebend, dass ich schreiben kann, was ich will und wie ich es will. Darum veröffentliche ich eben auch von Kinderbüchern über Science-Fiction bis zu Horror, und solche Sachen, die man nirgendwo kategorisieren kann. Ähnlich wie Ubooks, aber anders. Also, es ist die Freiheit, alles so machen zu können, wie ich es will.

_Sven Ollermann:_
Auch mit der Gefahr, dass du es dann nicht absetzen kannst?

_Christian von Aster:_
Das Gros meiner Einkünfte kommt ja tatsächlich über die Lesungen. Eine Mischung aus Kabarett und Literatur. Dadurch passiert sehr viel. Auf den Lesungen setze ich halt eben auch einige Bücher ab. Ist eine Nische. Heutzutage musst du mit einem Verlag entweder groß sein oder eine Nische bedienen. Das, was Boris meines Erachtens auch macht, und was ich mache, sind kleine Verlage, aber Boris ist professioneller. Ich möchte mir nicht immer so viel Stress mit den Büchern machen, deshalb mach ich auch immer so understatement designs.

_Sven Ollermann:_
Wobei, wenn man an das Trollbuch zurückdenkt oder das Koboltikum …

_Christian von Aster:_
Solche Sachen sind was Besonderes, was zwischendurch passiert. Wenn du ein Buch mit Schieferplatten als Cover oder mit gebeiztem Holz machst, oder so …

_Markolf Hoffmann:_
Wie wär’s mal mit Wurstscheiben? |(lacht)|

_Christian von Aster:_
Brotscheiben, nicht Wurst. Wenn man die vernünftig imprägnieren kann, wäre Brot eigentlich gar nicht falsch. So Knäckebrot …
Na ja, die Trollbücher müssen jetzt verteufelt fertig werden. Wir werden in der Schweiz in einer Höhle lesen, mit Trollmusik und einer Geschichtenerzählerin und mit mir, und da muss ich natürlich einige Bücher mitnehmen. Hauptsache ist, ich kann machen, was ich will. Für mich ist es einfach ein Austoben, der Verlag ist nicht auf Expansion ausgelegt, es reicht, wenn er sich selbst trägt und mir meine Miete zahlt. Und dann darf man ja nicht vergessen, diese Lesungsdinger sind ja nicht zu unterschätzen, es gibt ja auch sehr große Aktionen, so wie zum Beispiel das WGT, wo ich dann halt vor tausend Leuten innerhalb von drei Tagen lese. Und da verkauft man dann schon zwei Bücher. Es funktioniert halt anders, es ist eine Nische und es ist anstrengender Scheiß, aber es ist gut für mich.

_Sven Ollermann:_
Markolf – großer Verlag. Wo liegen die Vorteile bzw. Nachteile gegenüber dem, was deine Herren Kollegen gerade erzählt haben?

_Markolf Hoffmann:_
Die Vorteile liegen auf der Hand: Man steht in den Buchläden, man verdient eine feste Summe, der Verlag kümmert sich natürlich um Werbung, etc. – mal mehr, mal weniger. Der Nachteil ist, es reden dir natürlich sehr viele andere mit rein. Man muss um Seitenzahlen kämpfen, man ärgert sich über Cover, die einem nicht passen, man hat Abgabetermine, die mehr oder weniger unumstößlich sind. Man ist halt nicht so frei wie die Kollegen.

_Boris Koch:_
Aber auch bei den kleinen Verlagen hast du halbwegs Abgabetermine, die du einhalten solltest, die dich fordern, weil … du hast ja auch einen Abgabetermin für deine Miete.

_Sven Ollermann:_
Du würdest also auch definitiv bei den großen Verlagen bleiben wollen und nicht in einem kleinen Verlag rumwuseln, wenn dir die großen eine Absage erteilen?

_Markolf Hoffmann:_
Also erstmal, wenn man in einem großen Verlag veröffentlicht, dann finde ich das schön und gut, hat wie gesagt auch viele Vorteile, und ich bin froh, diesen Schritt so problemlos geschafft zu haben. Gleich im ersten Anlauf, was ja schon ungewöhnlich ist. Da hab ich verdammt viel Glück gehabt. Es schließt sich ja nicht aus, auch in Kleinverlagen zu veröffentlichen. Ich hab jetzt auch schon einen Text für eine Anthologie geschrieben, die erscheint in einem kleinen Verlag, der neu gegründet wurde. In den „Arkham-Reiseführer“ hat Christian mich hineingeschmuggelt. So etwas wie Anthologien machen große Verlage ja eigentlich gar nicht, oder es läuft unter ganz obskuren Bedingungen ab. Das ist eine Nische, die kleine Verlage haben und das finde ich auch sehr wichtig. Zum Glück habe ich ja Kontakt zu meinen beiden Stirnhirn-Kollegen – ich wuchere buchstäblich aus der großen Verlagswelt in die kleine Verlagswelt hinein. Eine ganz perfide Strategie.

_Sven Ollermann:_
Schlagen wir mal eine kleine Brücke zwischen StirnhirnHinterZimmer und Verlag. Wie sieht das aus, habt ihr vor, was zu veröffentlichen?

_Boris Koch:_
Ist in Planung, wird kommen.

_Christian von Aster:_
Wird kommen. Das ist eine gute Aussage.

_Markolf Hoffmann:_
Muss kommen.

_Sven Ollermann:_
Großer Verlag oder kleiner Verlag?

_Boris Koch:_
Werden wir sehen.

_Markolf Hoffmann:_
Du siehst, wir machen den Eindruck, das Feuer unter dem Kessel zu schüren.

_Christian von Aster:_
Genau, es wird ein beeindruckendes Buch. Es wird groß, phantastisch.

_Markolf Hoffmann:_
Es wird wirklich ein „Best of“ im besten Sinne des Wortes.

_Sven Ollermann:_
So, dann ist jetzt noch ein bisschen Platz für Werbung und eigene Worte an die Leser. Christian?

_Christian von Aster:_
StirnhirnHinterZimmer rockt. Prima. Was für Kinder und Eltern. Spaß für die ganze Familie.

_Markolf Hoffmann:_
Also, mein Werbespruch wäre: StirnhirnHinterZimmer – kommt vorbei, sonst kommt es zu euch.

_Boris Koch:_
Noch mehr Werbung muss nicht sein. Aber hätte irgendwer dort draußen Lust, einmal im Monat zum Saubermachen vorbeizukommen? Die Stirnhirnbrösel treten sich sonst in den Teppich.

[Christian von Aster]http://www.vonaster.de
[Boris Koch]http://www.boriskoch.de
[Markolf Hoffmann]http://www.nebelriss.de
[StirnhirnHinterZimmer]http://www.stirnhirnhinterzimmer.de

Buchwurminfos V/2006

Die neu in Kraft getretenen _Rechtschreibregeln_ waren zumindest für den _Duden_ nun doch ein Erfolg. In nur vier Tagen brachte der Umsatz des 24., völlig neu bearbeiteten und erweiterten Regelwerks den Titel auf Platz 1 der Sachbuchbestseller-Listen. Das war in dieser Weise in den Vorjahren nicht der Fall. Scheinbar hat die Marketing-Strategie, dass man eine Gutschrift auf alte Duden – die man beim Kauf zurückgibt – erhält, nicht unerheblich dazu verholfen. Die Schulbuchverlage dagegen erleiden Umsatzeinbrüche. Cornelsen z. B. musste mehr als 100 Titel korrigieren, ohne dass das der Nachfrage nützt. Die Käufer bleiben im Grunde – abgesehen vom überraschenden Erfolg des Dudens – verunsichert und halten sich mit ihren Käufen zurück. Und der Gegenwind gegen die Reform bleibt somit unverändert bestehen.
Auch die reformkritische Sprachzeitung _“Deutsche Sprachwelt“_ setzt ihren Widerstand fort und hat ein Internetdenkmal aus Anlass der Einführung der neuesten Fassung der Rechtschreibreform zum 1. August und dem zehnten Geburtstag der Reform ins Netz gestellt: www.deutsche-sprachwelt.de/denkmal.shtml. In einer Ehrentafel, die laufend ergänzt wird, stellt sie mit charakteristischen Zitaten die Hauptverantwortlichen der Reform vor. „Möge ihr Werk nie vergessen werden und den kommenden Generationen zur Mahnung gereichen“, erklärte dazu der Schriftleiter der „Deutschen Sprachwelt“, Thomas Paulwitz. „Die deutsche Sprache wird sich von der Reform erholen. Schon jetzt bröckelt das Werk an allen Ecken und Enden. Wir werden schrittweise eine weitere Rückkehr zu den bewährten Schreibweisen erleben“. Denn 79 % der Deutschen fühlen sich nach Umfragen noch bzw. erneut durch die Einführung der neuen Regeln zum 1. August verunsichert.

Das _E-Publishing_ war nach mehreren vergeblichen Anläufen für den Massenmarkt bislang immer gefloppt. Nun kommt allerdings eine neue Generation des Musik-Players |iPod| auf den Markt, die auch als Lesegerät für E-Books dienen. Das könnte vielleicht doch den Durchbruch bringen, denn Apple hat die Geräte weltweit fast 60-Millionen-mal verkauft. Dahinter steht auch der Vertriebskanal „iTunes“, ein stark frequentierter Online-Shop, der neben Musikdateien Videos und Hörbücher zum Download anbietet und dies dann durch E-Books ergänzt. Andere Firmen versuchen sich allerdings ebenfalls noch in diesem Bereich.

Die Musik- und Filmbranche leidet seit Jahren unter den _illegalen Downloads_ von Raubkopien ihrer Produkte im Internet. Mittlerweile ist das auch bei Hörbüchern, eBooks und eingescannten Büchern der Fall. Da dies die Branche erheblich schädigt, wurde eine Arbeitsgruppe Piraterie von den Arbeitskreisen Hörbuch und elektronisches Publizieren im Börsenverein gegründet. Ebenso gibt es einen Arbeitskreis gegen Raubkopierer. Raubkopien verändern dramatisch die Kulturlandschaft. In Kopiernetzwerken, gern als „Tauschbörsen“ bezeichnet, aber auch auf elektronischen Marktplätzen wie eBay werden massenweise die Raubkopien angeboten. Gegenwärtig ist für Verlage das zivilrechtliche Vorgehen gegen die Piraterie praktisch noch nicht möglich. Problem ist die Anonymität des Internets. Die Internet-Provider, die dynamische IP-Adressen zuweisen, wissen zwar genau, welcher Rechner für den Datentausch verantwortlich ist, aber verweigern bei zivilrechtlicher Verfolgung die Herausgabe von Kundendaten. Zwar hat der europäische Gesetzgeber seine Mitgliedsstaaten verpflichtet, einen gesetzlichen Auskunftsanspruch von Rechteinhabern gegenüber Providern einzuführen, aber Deutschland hat darauf noch nicht reagiert. Ein Entwurf des Bundesjustizministeriums existiert zwar bereits, aber die Hürden für die zivilrechtlichen Auskünfte liegen in diesem Entwurf zu hoch. Für den Anspruch auf Auskunft muss ein „gewerbliches Handeln“ des Rechteverletzers vorliegen und somit entspricht der Entwurf einer Bagatell-Klausel. Die Einführung einer Bagatell-Klausel würde Rechteinhabern die Ermittlung von Urheberrechtsverletzungen in Internet-Tauschbörsen fast unmöglich machen. Der technische Aufwand für einen Nachweis ist extrem hoch. Rechteinhaber können kaum nachweisen, ob der Verletzer eine Bagetall-Klausel überschritten hat. Der wirtschaftliche Schaden entsteht nämlich vor allem durch die Vielzahl der privat handelnden Personen. Wenn der Entwurf in jetziger Form durchgesetzt wird, muss künftig jedes Auskunftsverfahren ein eigenes Zivilgerichtsverfahren durchlaufen. Das dauert sehr lange und ist zudem teuer. Pro Auskunftsverfahren zahlt der Rechteinhaber 200 Euro plus schätzungsweise mehr als 50 Euro Kostenpauschale an den Provider. Ob ein Rechtsbruch dann nachgewiesen werden kann, bleibt zudem ungewiss. Der Rechteinhaber muss den Nachweis erbringen, dass der Verletzer eine Bagatellgrenze überschritten hat. Ein nachgewiesener Einzelfall wird aber zwangsläufig zur Bagatelle. Inzwischen ist es auch schon üblich, dass Lehrer ihren Schülern den illegalen Download von kompletten Büchern im Internet empfehlen und kürzlich ermittelte die Kanzlei Waldorf innerhalb von 30 Tagen 60.000 illegale Anbieter von Audiobook-Bestsellern.

Ohnehin tobt im Internet der Preiskampf trotz der _Preisbindung_ auf Bücher in Deutschland. Die Rechtsabteilung des Börsenvereins hatte in den letzten Jahren den Wildwuchs bei _eBay_ eingedämmt und alle Verstöße der dort aktiven Händler konsequent abgemahnt. Jetzt rückt der neue _Amazon-Marketplace_ ins Blickfeld. Dort befindet sich ein ständig wachsender „Graumarkt“ von vermeintlichen Mängelexemplaren. Im August sind binnen weniger Tage 140 Online-Händler abgemahnt worden und 33 Fälle gingen ins Klageverfahren. Aber Mängelexemplare gibt es nicht nur dort: Auch sonst greifen viele Verlage zu dem unerlaubten Schritt, die zurückgehende Remittendenflut von einwandfreien verlagsneuen Titeln mit Stempeln oder Strichen zu „mängeln“ und damit die Ramschkisten zu füllen. Auch diese werden konsequent abgemahnt, denn die Preisbindung ist ein Segen für den Mittelstand. Sie hat aber – ebenso wie die ermäßigte Mehrwertsteuer – nur Bestand, wenn die Branche das Kulturgut Buch hochhält und den Ramsch nicht zur Regel werden lässt.

Die _Umsätze_ der Buchbranche gingen im Sommer, vor allem Juli – wegen der extremen Hitze – enttäuschend zurück und zwar in allen Bereichen: Sortiment, Kauf- und Warenhäuser, sogar im E-Commerce. Betroffen im Einzelnen waren alle Genrebereiche. Am schlimmsten beim Kinder- und Jugendbuch mit fast 23 %, aber es gab ja auch keinen neuen Harry Potter. Lediglich leicht zugenommen hatten Taschenbücher mit fast 2 % und immerhin auch die Hörbücher mit 5 % (allerdings waren die bislang an zweistellige Zuwächse ohne Abwärtstrends gewöhnt). Einzig herausragend gegen den Trend war die Reiseliteratur mit einem Plus von 12 %. Ab August waren die Zahlen dann wieder besser.

Die gerichtlichen Auseinandersetzungen um den Roman „Esra“ von Max Biller machen inzwischen Schule. Unter Berufung auf die _Verletzung von Persönlichkeitsrechten_ haben Anwälte Abmahnungen für drei Titel ausgesprochen: „Mond und Sterne“ von Moon Suk (Wunderlich), „Einladung zum Mord“ von Udo Schwenzfeier (Militzke) und „Der Bankier“ von Werner Rügemer (Nomen-Verlag). Der Prozess über Schadensersatzforderungen im Zusammenhang mit Billers „Esra“ ist mittlerweile um drei Monate verschoben worden. Auch der Melzer-Verlag darf den Nachdruck des Bildbandes „Mythos Romy Schneider“ vorerst nicht mehr ausliefern. Der Ehemann von Romys Mutter Magda Schneider hat gegen den Verkauf eine einstweilige Verfügung erreicht.

Die bereits mehrfach geschilderten Auseinandersetzungen um den Musiker _Hans Söllner_ reißen auch nicht ab. Am 7.J uni erzwangen Polizisten mit einem richterlichen Durchsuchungsbefehl zeitgleich Zutritt zu den Räumen des _Trikont-Verlages_, bei Hans Söllner in Bad Reichenall und zu den Privaträumen _Achim Bergmann_s. Gesucht und beschlagnahmt wurden sämtliche T-Shirts von Söllner mit der Aufschrift „Hitler Bush Blair – International“ (ein Zitat aus einem Song Hans Söllners), abgebildet sind die genannten Personen. Außerdem wurden Geschäftsunterlagen, Korrespondenz, Lieferscheine der genannten T-Shirts aus der Trikont-Mail-Order-Datei sowie ein Computer beschlagnahmt. Begründet wurde diese Aktion des Amtsgerichts Traunstein folgendermaßen: |“Strafbar ist das Verwenden von und Beihilfe zum Herstellen, Vorrätighalten und Verbreiten von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß § 86a Abs. 1, 27 STGB“|. Einem Beschwerdebeschluss des Trikont-Verlages, von Achim Bergmann und Hans Söllner schloss sich dann aber das Landgericht Traunstein an und stellte die Rechtswidrigkeit der Durchsuchungen fest. Auszüge aus der Presseerklärung der Anwaltskanzlei Arnold & Bauer: |“…dieses T-Shirt zeigte die Präsidenten Bush und Blair neben einem Portrait Adolf Hitlers, darunter gelegt war der Refrain eines Liedes von Hans Söllner „Hitler, Bush, Blair – International“ (Der volle Wortlaut des Refrains lautet: „A Drecksau bleibt a Drecksau, ob Staatsanwalt oder Präsident, A Drecksau bleibt a Drecksau, Namen san egal, Hitler, Bush, Blair – International“). Diesmal war die Staatsanwaltschaft auf den glorreichen Gedanken gekommen, Hans Söllner sei ein Rechtsradikaler, indem er „Kennzeichen einer verfassungsfeindlichen Organisation“ in Form eines Hitlerbildes verbreite… Mit Beschwerde vom 26.6. wurde für Hans Söllner darauf hingewiesen, dass der Gutsprechende (§ 86a STGB) zu den „wichtigsten antifaschistischen Gesetzen, die nach Aufbau eines demokratischen Staates in Deutschland in das Strafgesetzbuch eingefügt sind, gehört“…. In der Beschwerde wird aufgeführt, dass selbst „die Staatsanwaltschaft nicht ernsthaft davon ausgeht, dass Hans Söllner zu einem Nazi mutiert ist“. Ihr wurde daher wörtlich vorgeworfen: „das Beschämende und Erschreckende beim streitgegenständlichen Beschluss ist, dass dieser einen zutiefst antifaschistischen Paragrafen in rechtswidriger Weise missbraucht, um einen der engagiertesten Antifaschisten im Freistaat Bayern mundtot zu machen. In einem solchen Verfahren kann beim besten Willen keine Anwendung des Rechts gesehen werden, es muss vielmehr von einer Beugung bestehenden Rechts gesprochen werden“|. In einem ausführlichen Beschluss schloss sich das Landgericht Traunstein erfreulicherweise dieser Argumentation an, hob den Beschwerdebeschluss auf und stellte die Rechtswidrigkeit der Durchsuchungen fest.

Mehrfach berichteten wir in diesem Jahr an dieser Stelle über Repressalien gegen die Wochenzeitung _“Junge Freiheit“_, die nach jahrelangen juristischen Auseinandersetzungen mit den Innenministerien nicht mehr im Verfassungsschutzbericht als „rechtsradikale“ Zeitung bezeichnet werden darf.
Die linksradikalen Kampagnen gegen deren freien Vertrieb nehmen dennoch wieder zu. Kioske erhalten Anschreiben, in denen unverändert diskriminiert wird. So verteilten in Braunschweig die örtliche „Jugend Antifa Aktion“ mit Unterstützung der PDS Flugblätter gegen den Verkauf, in Ulm und Tübingen mobilisierten die Jusos und in Kiel die örtliche Antifa. Teilweise werden Mahnwachen schwarz gekleideter „Antifa“ vor den Kiosken aufgeführt, was paradoxerweise dann doch eher an SA-Manier erinnert.

Beginn 2005 bis Sommer 2006 wurden in der _Türkei_ 49 Prozesse gegen Autoren und ihre Bücher eröffnet, im Schnitt alle 11 Tage einer. Die vielen Verfahren gegen Journalisten sind da noch gar nicht mitgerechnet. Am meisten wahrgenommen wurde in Deutschland dabei nur der Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels Orhan Pamuk. Über den Paragrafen über die Beleidigung von Türkentum, Armee und Republik im türkischen Strafgesetzbuch ist es recht einfach, eine falsche Gesinnung abzustrafen. Solche Ärgernisse häufen sich und es erscheint sehr unwahrscheinlich, dass sich bis zu einem eventuellen EU-Beitritt viel daran ändern könnte. Interessant ist auch, dass nach den völlig überzogenen „fundamentalistisch-islamischen“ Reaktionen auf die Papst-Rede auch der türkische Ministerpräsident gleich gedroht hatte, ohne Entschuldigung des Papstes (die dann ja aber erfolgte) dessen geplante Reise in die Türkei aus politisch-religiösen Gründen abzuweisen. Und noch ein Aufreger ist zu vermelden. Westliche Kinderbücher werden dort neuerdings umgeschrieben, um einen weiteren Schritt hin zum Gottesstaat zu ermöglichen. „Gib mir etwas Brot, um Allahs Willen“ bittet Pinoccio, Tom Sawyer lernt islamische Gebete und einer der „drei Musketiere“ konvertiert zum Islam. Kinderbuchfiguren aus 100 Klassikern, die das türkische Erziehungsministerium empfiehlt, haben sich in Muslime verwandelt.

Es ist schon bemerkenswert, wie unerschütterlich sich Daniel Kehlmanns „Die Vermessung der Welt“ auf den vorderen Plätzen hält. Nur kurz war Günter Grass, dessen Autobiografie eigentlich eher in die Sachbuchliste sollte, auf Platz 1 und dann kehrte Kehlmann wieder zur Spitze zurück. (Mehr zu Grass weiter unten). Nach den sich nicht verändernden Bestseller-Listen im ersten halben Jahr 2006 kam es endlich im Sommer dazu, dass im belletristischen Bereich mehrere Neueinsteiger aufkamen, z.B. „Später Spagat“ von Robert Gernhardt, der erst kürzlich verstarb, und bekannten Namen wie Barbara Woods mit „Gesang der Erde“ oder eine die „Sakrileg“-Welle nutzen könnende Kathleen McGowan mit „Das Magdalena-Evangelium“ – ein Titel, der allerdings nicht als einfaches Plagiat abgetan werden kann. Die meisten anderen Neueinsteiger sind Krimis und Thriller (Tess Gerritsen „Scheintot“, Joy Fielding „Träume süß, mein Mädchen“, Martha Grimes „Karneval der Toten“). Beim Sachbuch hält die Nummer eins – wie oben geschildert – der Duden. Höchster sonstiger Neueinstieg ist der umstrittene Titel „Das Eva-Prinzip“ von Eva Herman (Pendo). Der Fantasy-Bereich ist seit den Kinofilmen von „Herr der Ringe“ ein ebenso gut laufendes Segment. Terry Pratchetts 33. Fantasy-Roman „Klonk“ kam gleich nach Erscheinen unter die ersten zehn Plätze. Tolkien, Rowling, Funke wie auch Markus Heitz mit seiner Zwergen-Trilogie sorgten für gute Verkaufszahlen. Interessant dabei ist auch der Zwischenbereich zwischen Fantasy und Jugendbuch. Comic-Buchhandlungen haben ihr Repertoire auf Fantasy erfolgreich erweitert, dagegen war in Esoterik-Buchläden, die ihr Angebot mit „Harry Potter“ und „Herr der Ringe“ aufstockten, Fantasy nicht gefragt.

Es gibt derzeit auch sehr viele deutsche _Fantasy-Autoren_, die auch im Ausland erfolgreich werden: Isabel Abedi, Nina Blazon, Henning Boétius, Uschi Flacke, Wolfgang Hohlbein, Kai Meyer, Antonia Michaelis, Peter Schwindt, Dieter Winkler und viele mehr. Die genannten kamen zum zweiten Fantasy-Festival im südhessischen Flörsheim-Weilbach. Bei Ueberreuter (Wolfgang Hohlbein wie auch die „Narnia“-Bücher) zählt man Fantasy zum Jugendprogramm und hat damit einen Umsatzanteil von bis zu 50 %. Bei Heyne läuft Fantasy im Kinder- wie auch Erwachsenenbereich und kommt auf einen Anteil von 15 %. Ein Drittel der Autoren im Fantasy-Programm sind Deutsche. Carlsen hat zwar nicht so viele Fantasy-Titel, liegt aber mit „Harry Potter“ oder auch den Büchern von Philip Pullmann und Lian Hearn mit ganz vorne. In der Hobbit-Presse von Klett-Cotta sind 114 Titel lieferbar und jährlich kommen etwa 8 Novitäten dazu. Bei Piper sind inzwischen mehr deutsche als ausländische Fantasy-Autoren im Programm. Und Piper ist natürlich auch völlig damit zufrieden, denn im Schatten der Großen wie Wolfgang Hohlbein haben auch die vielen Newcomer derzeit so gute Chancen wie selten, um sich durchzusetzen. Hohlbein selbst wurde 1982 ja auch erst durch einen von Ueberreuter ausgeschriebenen Fantasy-Preis entdeckt. Mittlerweile vergibt Ueberreuter diesen Preis etwa alle zwei Jahre unter dem Namen „Wolfgang Hohlbein-Preis“. Seit dem Erfolg von Cornelia Funke beobachten englische und amerikanische Verlage den deutschen Genre-Markt sehr genau. Bislang blockte man bei deutscher Fantasy ja eher ab. Aber die Zwerge-Bücher von Markus Heitz sind mittlerweile in fünf Sprachen übersetzt worden, Walter Moers hat mit „Die Stadt der träumenden Bücher“ den Sprung in die USA ebenso geschafft wie auch „Tigermond“ von Antonia Michaelis. Kai Meyer erscheint auch in England und den USA und Wolfgang Hohlbein mit bislang 25 seiner Titel sogar in China.

Durch diesen Fantasy-Trend verschwimmen die Trennlinien zwischen Kinderbuch, Jugendbuch und Erwachsenenbelletristik. Verlage stellen sich darauf ein, dass die Zielgruppen verwischen. Jugendbuchverlage stellen fest, dass ihre Titel ab zwölf oder vierzehn eigentlich schon von Zehnjährigen gelesen werden. Und Jugendliche interessieren sich nicht mehr für Bezeichnungen wie „Jugendroman“. Viele der 13- bis 15-Jährigen greifen zu Erwachsenenbelletristik. Im Grunde war das bei Horror und Thrillern schon immer der Fall, aber inzwischen erstreckt sich das auf alle Themenbereiche. Umgekehrt ist es genauso, Erwachsene lesen gerne die Fantasy-Produkte, die für den Jugendmarkt konzipiert sind. Auch wenn sie schon längst 40 Jahre und älter sind.

Die Verfilmung von Patricks Süßkinds Roman _“Das Parfum“_ läuft im Kino, und das sorgte schon im Vorfeld für einen guten Verkauf des Buches. Schon seit Juni gingen pro Woche bis zu 30.000 Exemplare der Taschenbuchausgabe bei Diogenes über den Ladentisch, und bis Jahresende dürfte die Gesamtauflage von 5 Millionen erreicht sein. Darin sind die verkauften Exemplare der Sonderausgabe gar nicht mit eingerechnet.

Im September kam der deutsche _Papst_ zum zweiten Mal nach Deutschland zum Besuch seiner Heimat Bayern. Gestartet wurde in einer groß angelegten Fernsehsendung, wo er bei ARD und ZDF zur besten Sendezeit Fragen von Journalisten beantwortete. Das erste Mal übrigens, dass ein Papst so etwas tat. Und damit war die Erwartungsstimmung des „Wir sind das Papst“-Volkes eingeleitet. Die Verlage haben sich wieder bestens gerüstet, Bücher als Begleiter gibt es in Hülle und Fülle. Mehr als 200 Titel von ihm und über ihn sind lieferbar und über 60 Novitäten kamen jetzt hinzu. Die Touristikbuchbranche setzte ebenfalls darauf – in ihren Bayern-Titeln ist in den Neuerscheinungen überall das Wort Papst mit dabei (Benediktweg, Auf den Spuren des Papstes, Wegweiser für den Geburtsort etc.). Auch DVDs sind in den bayrischen Gemeinden eigens produziert worden. Zu viel will ich gar nicht auflisten – es gibt jede Menge neuer Biografien und Portraits sowie spirituelle Texte und natürlich entsprechende Titel für Kinder.

Als vor zwei Jahren die _“SZ“_ mit ihrer Belletristik-Edition zum Preis von 4,99 Euro startete, war _dtv_ noch ein großer Kritiker solcher Editionen, die die Taschenbuchpreise noch unterboten. Nun ist dtv aber sogar Vertriebs-Partner bei der _Spiegel-Bestseller-Edition_ (20 Romane und 20 Sachbücher zum Preis von 9,99 Euro). Diese nicht mehr im Billigeditions-Bereich liegenden Preise – Ausnahme Joachim Fests „Hitler“, der hier angesichts der Dicke ein äußerst preisgünstiges Produkt darstellt – lassen auch die Backlist-Taschenbuchausgaben für den Leser noch attraktiv erscheinen. Das zeigt sich an der Brigitte-Edition, wo gleichzeitig die Nachfrage nach den Taschenbüchern mit steigt, was bei Taschenbuch-Verlagen dann keine Kritik mehr hervorruft. Eigentlich ist der Editionsmarkt (wie schon berichtet) verstopft, aber ungeachtet dessen erscheinen weitere Reihen. Die „SZ“ will bis 2008 mit insgesamt 25 Projekten auf dem Markt sein und setzt auf kleinere, zielgruppenorientierte Editionen. Von der Zeitschrift _“Absatzwirtschaft“ _hat die SZ 2006 den _Marken-Award_ verliehen bekommen für die beste Markendehnung. Durch die Billigeditionen konnte die SZ sogar ihre Auflage der „Süddeutschen Zeitung“ außerhalb Bayerns um 10 % steigern. Das „_Handelsblatt“_, nicht zur SZ gehörend, hat nach seiner Manager-Bibliothek und der Reihe „Wissen“ nun ein zwölfbändiges Wirtschaftslexikon aufgelegt. Auch der _Focus_ hat mit einer Buchedition nachgezogen. In Kooperation mit Diederichs, der längst zum Heinrich Hugendubel gehört, bringt das Nachrichtenmagazin zwölf Bände historischer Persönlichkeiten zu je 4,95 Euro heraus. Die gesamte Edition ist für 49,95 Euro zu haben. Das Frauenmagazin _“Brigitte“_ (Gruner + Jahr) bündelt alle seine Bücher künftig beim Diana-Verlag (Random House). Die Hard- und Softcover unter dem Label „Brigitte“-Buch sollen Themen des Heftes vertiefen. Geplant sind Titel zu Ratgeber-, Koch-, Unterhaltungs- und Reportagethemen. Im Herbst begann die Zusammenarbeit zwischen zwölf ostdeutschen Regionalzeitungen in Kooperation mit dem Verlag _Faber & Faber_ und der zunächst auf zwölf Bände angelegten Edition _“Unsere Kinderbuch-Klassiker“_ ostdeutscher Kinderbuchautoren zum Preis von 7 Euro. Diese Edition ist das erste konzernübergreifende Gemeinschaftsprojekt ostdeutscher Zeitungshäuser, die – von der Rostocker Ostseezeitung bis zur Leipziger Volkszeitung – eine geschätzte Gesamtauflage von rund zwei Millionen Exemplaren erreichen. Die fünfzig Bände umfassende _Junge Bibliothek_ der _Süddeutschen Zeitung_ ist abgeschlossen. Zum 125-jährigen Jubiläum der Berliner Philharmonie starten _“Die Welt“_ und _“Welt am Sonntag“_ eine zwölfteilige _Klassik-CD-Edition_, die allerdings allesamt auf einmal auf den Markt gelangten.

Bei Hörbuch-Bestsellern ist es ähnlich anderer Literatur-Editionen. Die _“Brigitte“-Hörbuch-Edition_s-Titel landen natürlich meist sogar direkt als jeweiliger Neueinstieg nach Erscheinen auf Platz 1, z. B. „Ein Ort für die Ewigkeit“ von Val McDermid. Und auch die _“Süddeutsche Zeitung“_ ist nach Filmen, Musik und Büchern nun mit einer _“SZ-Bibliothek der Erzähler“_ für je 9,95 Euro ins Hörbuch eingestiegen. Die Reihe umfasst zehn Titel mit Erzählungen der Weltliteratur zum Thema Liebe, darunter Thomas Manns „Wälsungenblut“, „Erste Liebe“ von Iwan Turgenjew und Tschingis Aitmatows „Dshamilja“.

Der Kölner Medienkonzern _DuMont Schauberg_ steigt mit 25 % bei der israelischen Tageszeitung _“Haaretz“_ ein. DuMont ist damit der erste deutsche Zeitungsverlag, der in Israel aktiv wird. „Haaretz“ gilt als linksliberal und ist eine der renommiertesten Zeitungen des Landes. Eine englischsprachige Ausgabe wird mit der „International Herald Tribune“ vertrieben.

Die im Interview der „FAZ“ mit _Günter Grass_ über seine Waffen-SS-Vergangenheit geschilderten Enthüllungen, die freilich allen Zeitungen und sonstigen Medien durch Vorabzusendungen von 4500 Leseexemplaren längst bekannt waren, führten zu einer enormen Nachfrage der jüngst erschienenen Grass-Biografie _“Beim Häuten der Zwiebel“_. Die Startauflage von 150.000 Exemplaren war mit Druckauslieferung schon abverkauft und sofort ging es in die 2. Auflage mit noch einmal 100.000 Exemplaren. Aufgrund der Enthüllungen gibt es Forderungen, dass Grass verschiedene Auszeichnungen zurückgeben solle. Es ist allerdings sehr unwahrscheinlich, dass ihm irgendeiner seiner Preise aberkannt werden wird. In der Vergangenheit war es meist der Fall, dass die Neuerscheinungen von Grass heftig diskutiert wurden. Somit ist die Nachfrage aufgrund der Enthüllungen kein Umsatzrutsch nach oben. Auch vom letzten Buch von 2003 _“Im Krebsgang“_ wurden durch seinen Verlag _Steidl_ bislang 450.000 Exemplare verkauft.

Geschäftsführer von _Walter de Gruyter_ Klaus K. Saur hat seinen alten Verlag _K. G. Saur_ zusammen mit dem _Niemeyer Verlag_ zurückgekauft. 1987 war der Saur-Verlag an den englischen Verlag Reed verkauft worden, von dort weiter zur Thomson Corporation und wurde nun preiswerter zurückerworben, obwohl er umsatzstärker geworden und zwischenzeitlich gewachsen ist. In den knapp zwanzig Jahren hatte der Saur-Verlag zahlreiche andere Verlage selbst übernommen. Mit diesen beiden Zukäufen wurde Walter de Gruyter zum größten geisteswissenschaftlichen Verlag auf dem Kontinent. Auf Platz 1 lag bislang Springer, auf Platz 2 K. G. Saur und auf Platz 3 de Gruyter. Vereint schlagen sie Springer natürlich ohne Problem. Jetzt erzielen nur noch die global operierenden Verlage Oxford University Press und Cambridge University Press höhere Umsätze.

Die _Klett-Verlagsgruppe_ baut unter Leitung der „FAZ“-Journalistin Monika Osberghaus in Leipzig ein eigenständiges Kinderbuchprogramm auf.

Die Verlagsgruppe _Lübbe_ wird vom kommenden Frühjahr an ihre Hardcover-Novitäten monatlich ausliefern und an die Taschenbuch-Lieferungen koppeln.

Mit dem _“Brockhaus Mannheim“_ bringt der Brockhaus Verlag im Oktober erstmals ein Stadtlexikon auf den Markt. Das Buch ist das Geschenk des Verlags an die Stadt Mannheim, die im nächsten Jahr ihren 400. Geburtstag feiert. Der Reinerlös aus dem Verkauf soll der Förderung sozialer Projekte in Mannheim zugute kommen.

Nun ist es geregelt, wie es mit der _Anderen Bibliothek_, bislang noch bei Eichborn, weitergehen wird. Ab Oktober 2007 wird sie von „Zeit“-Herausgeber Michael Naumann und dem früheren Fischer-Verleger Klaus Harpprecht herausgegeben. Gegründet wurde diese Reihe von Hans Magnus Enzensberger, der im Dezember 2004 den Vertrag mit Eichborn gekündigt hatte. Der letzte von ihm ausgewählte und von Franz Greno gestaltete Titel wird im September 2007 erscheinen.

Der Frankfurter Verlag und Versender _2001_ wurde an die Firma _Kinowelt_ zu 100 % verkauft. Nun wird das Filialnetz (derzeit zwölf Läden) ausgebaut, aber auch Kooperationen in Form eines „shop-in-shop“-Netzes mit Buchhandlungen sind eine Option. Kinowelt besitzt rund 10.000 Filmrechte, davon 1300 auf DVD. Bereits jetzt war 2001 der größte Anbieter der Arthaus-Filme von Kinowelt.

Die _DVA_ – Deutsche Verlagsanstalt – hat 175-jähriges Jubiläum. Angefangen hatte es 1831 in Stuttgart mit der Halberg’schen Verlagshandlung. Einer der Söhne gründete im Revolutionsjahr 1848 einen eigenen Verlag mit deutschen Klassikern, der 1873 mit dem Verlag vereint wurde. Nach dem 1. Weltkrieg war die DVA – inzwischen ein Aktienunternehmen – der führende historisch-politische Verlag in Deutschland. Ab 1921 kamen zahlreiche Erfolgsautoren durch Verlagsübernahmen mit ins Programm. In den letzten Jahren der Weimarer Republik wurde führende französische Literatur mitpubliziert. 1932 wurde der legendäre Appell „Deutscher Geist in Gefahr“ herausgegeben. Auch nach der Machtübernahme der Nazis wurden noch hitlerkritische Zeitschriften verlegt. Gustav Kilpper, der Generalsekretär des Unternehmens, das damals mehr als 1000 Mitarbeiter beschäftigte, wurde deshalb 1934 kurzzeitig inhaftiert. Ungeachtet dessen setzte er sich weiterhin für Autoren ein, die als Regimegegner galten: Friedrich Wolf oder Erich Kästner. 1942 gab man diesen Kampf gegen das System auf, die DVA musste in einen NS-Verlag eingegliedert werden. 1944 wurde das Verlagsgebäude durch einen Bombenangriff völlig zerstört. Durch den langen Widerstand in der NS-Zeit hatte man nach Kriegsende aber einen guten Start. 1952 erschien Paul Celans „Mohn und Gedächtnis“ mit der berühmten „Todesfuge“. Im Programm ging es ansonsten mit den politischen Biografien und zeitgeschichtlichen Darstellungen weiter. Am angesehensten ab Ende der 70er Jahre waren z. B. Peter Scholl-Latour oder Erich Fromm mit „Haben oder Sein“, „Die Kunst des Liebens“. Große Wirkung hatte auch die deutsche Übersetzung des Berichts vom Club of Rome „Grenzen des Wachstums“. Der letzte große Wurf war die Autobiografie „Mein Leben“ von Marcel Reich-Ranicki, der mehr als zwanzig Bücher bei DVA veröffentlicht hat. Seit letztem Jahr gehört der Verlag zu Random House.

Der jährlich vom Börsenverein vergebene _“Deutsche Buchpreis“_ für den jeweils besten Roman wird nunmehr in der Medienarbeit auch von der „Deutschen Welle“ und dem „Goethe-Institut“ unterstützt.

Die Schriftstellerin _Herta Müller_ hat für ihr Gesamtwerk den mit 20.000 Euro dotierten _Walter-Hasenclever-Literaturpreis 2006_ erhalten. Herta Müller wurde 1953 in Rumänien geboren und arbeitete dort als Übersetzerin und Deutschlehrein. Als sie sich weigerte, für den rumänischen Geheimdienst zu arbeiten, wurde sie entlassen. 1987 siedelte sie nach vielfachen Repressalien nach Berlin über. Mit dem Hasenclever-Literaturpreis werden Autoren ausgezeichnet, die sich in Form und Inhalt um die deutsche Literatur verdient gemacht haben.

Der _Deutsche Jugendliteraturpreis_ feiert 2006 sein 50-jähriges Jubiläum. Als
einziger Staatspreis für Literatur in Deutschland spiegelt er die
Entwicklungsgeschichte der deutschen Kinder- und Jugendliteratur der letzten fünf
Jahrzehnte wider. Zahlreiche Autorinnen und Autoren arbeiten anhand des Deutschen Jugendliteraturpreises ein halbes Jahrhundert Kinderliteratur neu auf. In der 188 Seiten starken Jubiläumspublikation „Momo trifft Marsmädchen“ geht es u. a. um Kindheitsbilder und Bewertungskriterien, um die Verlagsproduktion und zunehmende Internationalität der Kinderliteratur, aber auch um Leseförderung und
Literaturvermittlung. Mehr dazu [hier.]http://www.bmfsfj.de/bmfsfj/generator/Politikbereiche/kinder-und-jugend,did=80372.html

Der _Oldenburger Kinder- und Jugendliteraturpreis_ wird in diesem Jahr nicht vergeben. Die Jury hielt einstimmig keinen der 298 eingereichten Titel für preiswürdig.

Den _Karl-Heinz-Zimmer Preis_ für „verdienstvolles verlegerisches Handeln“ erhält _Michael Zöllner_, Leiter des _Tropen_-Verlages aufgrund seiner „Subjektivität in der Programmgestaltung“.

Der Preis _“Buch des Jahres 2005″_ an rheinland-pfälzische Autoren wurde bereits vor einigen Jahren ins Rahmenprogramm der [Wormser Nibelungen-Festspiele]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=70 integriert. Der mit 1500 Euro verbundene Preis ging an _Gabriele Weingartner_ für ihren Erzählband „Die Leute aus Brody“ (Verlag Das Wunderhorn). Außerdem erhielt _Christa Estenfeld_ für ihren Erzählband „Buffalo Bills Sattel“ (Edition Artfusion) den vom verdi-Fachbereich Medien, Kunst und Industrie Rheinland-Pfalz-Saar gestifteten Sonderpreis der Jury in Höhe von 500 Euro. Den musikalischen Rahmen der Verleihung gestaltete die Bundespreisträgerin „Jugend musiziert“ Julia Panzer (11 Jahre, Cello) und Friedrich Skrabal (Kontrabass) von der Lucie-Kölsch-Musikschule der Stadt Worms. Der Preis „Buch des Jahres“ wird seit 1989 regelmäßig vergeben und durch Fördermittel des rheinland-pfälzischen Kulturministeriums und des verdi-Fachbereichs unterstützt, die Preisverleihung selbst zudem von der Nibelungenlied-Gesellschaft Worms.

Das Label _Hörbuch Hamburg_ verleiht zum dritten Mal den _Osterwold_. Der von Verlegerin Margrit Osterwold gestiftete Preis – eine Skulptur von Volker März – geht 2006 an die Schauspieler und Sprecher _Eva Mattes_ und _Heiko Deutschmann_.

Der erste Platz des _PRIX HÖRVERLAG 2006_, dotiert mit 5.000 € und einer Veröffentlichung auf CD, ging an Stefan Finke und seine kunstvolle Soundcollage _“Das Familienalbum“_. Das Hörspiel, u. a. mit Juliane Köhler, Peter Fricke und Ingo Hülsmann, erscheint am 20. Oktober im Programm des Hörverlags. Der PRIX HÖRVERLAG, der dieses Jahr zum ersten Mal ausgeschrieben wurde, ist der einzige Hörspielpreis, der von einem Verlag vergeben wird, und hat das Ziel, unabhängige Hörspielmacher zu fördern und ihren Werken zusätzliche Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Seit Ende August fehlt bei den „Tagesthemen“ der beliebteste Nachrichtensprecher Deutschlands _Ulrich Wickert_, der aber dafür seit September wöchentlich in der ARD das Magazin „Wickerts Bücher“ moderiert. Aufgrund der Aktualität mit dem Skandal um Günter Grass wurde die erste Sendung um einen Monat auf den 17. August vorgezogen, da Grass im September sowieso in der Planung stand.

_Joachim Fest_ ist am 11. September verstorben. Er war einer der bedeutendsten Publizisten der Nachkriegszeit, bis 1993 Mitherausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Seine „Hitler“-Monografie gilt bis heute als ein Meilenstein der Zeitgeschichte. Diese wird demnächst als Band 31 der „Spiegel-Edition“ neu aufgelegt. Seit Erscheinen 1973 wurde sie eine Million mal verkauft.

Die Tochter der Douglas-Holding, die Filialkette _Thalia_, expandiert unaufhaltsam und baut flächendeckend in Deutschland ihren Marktanteil auf. Zuletzt war Anfang des Jahres Gondrom aufgekauft worden (wir berichteten) nachdem letztes Jahr Bouvier/Gonski, Camper, Grüttefin und die Kober-Löffler-Gruppe (75-prozentige Beteiligung) eingekauft wurden. Damit hat die 1919 in Hamburg gegründete Buchhandlung jetzt 173 Läden in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Eigentlich war es immer recht ruhig geblieben. In den 70er Jahren beteiligte man sich zwar an der Montanus-Buchgruppe, aber erst 13 Jahre später übernahm man die Phoenix-Universitätsbuchläden und fusionierte in den neunziger Jahren zur Thalia Holding mit Phoenix und Montanus und kaufte in Münster und Freiburg die Herder-Buchhandlungen. Mit Beginn des neuen Jahrtausends ging es dann aber unerwartet richtig los. In der Schweiz und Österreich wurden Buchläden gekauft, der Internetshop BOL wurde durch buch.de übernommen. In Österreich sind alle Konkurrenten mittlerweile abgehängt, eine Strategie, die auch für die Schweiz verfolgt wird, wo aber noch der Filialist Orell Füssli (Hugendubel hat da 49 % Anteil) vorne liegt. In Deutschland sind weitere Läden geplant. Seit 2001 ist Thalia bei uns auch schon die Nummer 1 im Sortiment und das enorme und rasche Wachstum hat sich mittlerweile verdoppelt. Über einige der letzten Zukäufe wird noch das Kartellamt entscheiden. Aber da Thalia noch weit unter dem maximal erlaubten Marktanteil von 30 % liegt, dürften da keine Einwände kommen. Für die Verlage hat diese Expansion auch Auswirkungen. Thalia macht mehr Umsatz als der Konzern Random House und diktiert den Verlagen Konditionen mit einem Durchsetzungsvermögen, das Produzenten so bislang außer beim Barsortiment nicht kannten. (48 % Rabatt sind bei Thalia üblich.) Genauso schwierig ist es für den übrigen Buchhandel, der sich in seiner Existenz bedroht fühlt. Konzerne haben den längeren Atem: Einige örtliche Buchhandlungen schließen bereits, bevor Thalia einen neuen Laden geöffnet hat, um nicht in einen kostenintensiven Wettbewerb zu treten. Manche Sortimente verkaufen sogar ihr Geschäft direkt an Thalia, um Laden und Lager später nicht unter Wert veräußern zu müssen und ihren Mitarbeitern den Wechsel zu Thalia zu ermöglichen. Es gibt aber auch Läden, die den Kampf aufnehmen. Oder sich, wie Buchhandlung Schlapp in Darmstadt, mit dem Thalia-Konkurrent BuchHabel verbünden. Aufzuhalten sind solche Konzentrationsprozesse längst nicht mehr.

Ende August wurde der Konkurrenzkampf allerdings überraschend in großem Stil aufgenommen. _Hugendubel_ hat im Verbund mit anderen die _DBH Buch Handels GmbH & Co. KG_ gegründet (bestehend aus Hugendubel, Weltbild plus, Wohltat’sche Buchhandlung, Buch Habel und Weiland). Mit dieser GmbH soll die einzigartige Vielfalt der deutschen Buchhandelswelt gesichert werden, denn die unterschiedlichen Partner behalten ihre rechtliche Eigenständigkeit und ihre eigene Geschäftsführung und setzen dennoch auf Synergien. Hugendubel hat damit seine Unabhängigkeit aufgegeben, kann langfristig aber gerade dadurch sein Profil und die Eigenständigkeit bewahren. Der Beirat der Holding ist paritätisch besetzt. Der Verbund ist offen für weitere Partner. Mit einem Paukenschlag hat man Thalia überholt und ist mit einem Umsatz von 672 Millionen Euro, 451 Buchhandlungen und 3436 Beschäftigten zur Nr. 1 im deutschen Buchmarkt aufgestiegen. Die Genehmigung des Kartellamts steht allerdings noch aus, wo es, wie auch bei Thalia, allerdings keine Probleme geben dürfte. Trotz Skepsis atmen sowohl die kleineren Verlage wie auch kleinere Buchhandlungen erstmal auf. Irritiert ist bislang nur der Börsenverein, denn bislang zahlten Hugendubel, Schmorl, Weltbild, Wohltat’sche Buchhandlung, Habel und Weiland getrennt in die Verbandskasse ein. Entschließt sich die neue GmbH – was bislang noch alles rein theoretisch ist –, künftig gemeinsam abzurechnen, bekäme der Verband nur noch einen um mehrfach geringeren Betrag.

Der jetzige Programm-Direktor bei amazon.de wird ab 2007 Geschäftsführer der _MVB Marketing- und Verlagsservice_ der Buchhandels GmbH. Der Börsenverein ist überzeugt, dass seine Erfahrungen mit der Entwicklung des Internets von größtem Wert für die elektronischen Zukunftsprojekte der MVB – das Verzeichnis Lieferbarer Bücher und Volltextsuche online – sein werden. Das Branchenprojekt Volltextsuche online ist startbereit und ein Prototyp wurde auf der jetzigen Frankfurter Buchmesse vorgestellt.

Die _Frankfurter Buchmesse_ ist weiterhin auf Erfolgskurs. Die vermietete Fläche stieg im Vergleich zum Vorjahr noch einmal um 3,5 %, was auch ein Mehr an Ausstellern – vor allem von kleineren und mittleren deutschen Verlagen – beinhaltet. Die ausländischen Aussteller sind leicht rückläufig, wobei immer mehr aus Asien dazukommen. China hat verdoppelt, Thailand und Taiwan legten um 40 % zu, Japan um 20 %. Die vor zwei Jahren noch als umstritten beurteilte _Frankfurter Antiquariatsmesse in der Buchmesse_ hat sich erfolgreich etabliert. Zur zweiten Messe unter diesem Namen haben sich 30 % mehr Antiquariate als im letzten Jahr angemeldet und damit wurde diese Messe die größte ihrer Art im deutschsprachigen Raum noch vor Stuttgart und Leipzig. Auch in anderen Bereichen gibt es Neuerungen. Zum ersten Mal sind auf der diesjährigen Buchmesse auch _Nonbook-Gemeinschaftsstände_ vertreten, die ihre Produktpaletten präsentieren. Die _Spielwarenhersteller_ sind dagegen bereits zum zweiten Mal auf der Messe vertreten.
Auch sonst gibt es neben dem jährlichen Schwerpunkt des _Gastlandes_, in diesem Jahr _Indien_, weitere Neuerungen. Unter dem Namen _Zukunft Bildung_ soll sich ein Treffpunkt der Buchwelt und eine internationale Plattform für Inhalte und kulturpolitische Diskussionen etablieren. Bausteine des Premierenprogramms Bildung sind der Trendkongress „India on the Rise“, eine „Literacy Campaign“ und ein „Lehrerkongress“. Unter „India on the Rise“ wollen indische Unternehmer und Autoren über den Aufschwung Indiens und die Anstrengung im Bildungsbereich als Voraussetzung dafür diskutieren. Die „Literacy Campaign“ soll über Ursachen von Analphabetismus aufklären und neue Netzwerke für den Austausch von Ideen schaffen. Analphabetismus wird auch ein Thema auf dem 1. Frankfurter Lehrerkongress sein. Mit diesem Angebot soll die Attraktivität der Messe auch für diese wichtige Fachbesuchergruppe gesteigert werden. Wie in jedem Jahr ist zudem die Messe auch ein kulturelles Großereignis: Rund 2500 Veranstaltungen umfasste das Messeprogramm, mehr als 1000 Autoren sowie Film- und Fernsehstars und Vertreter aus Wirtschaft und Politik kommen zur Messe. Für das Programm des Gastlandes Indien kamen 70 indische Autoren und 200 Verlage. Schon 1986 war Indien bereits Gastland der Messe. Aber viele Kritiker zeigten sich schon im Vorfeld enttäuscht vom Angebot indischer Übersetzungen in deutschen Verlagen. Das neue literarische Indien bleibt weitgehend unentdeckt, stattdessen werden die Klischees des exotischen Indiens bedient. Nächstes Jahr ist als Gastland die „katalanische Kultur“ vorgesehen und 2008 wird die Türkei Gastland sein.

Der Blick auf die Comics wird dieses Mal ans Ende gesetzt. Mit Filmstart von _“Superman Returns“_ von Brian Singer (Regisseur der ersten beiden X-Men-Filme) am 18. August hat der _Panini_-Verlag natürlich vermehrt auf den Superhelden gesetzt. Zum einen kam als Heft der Comic zum Film heraus, aber auch als Roman _“Superman Returns: Verschollen“_ die Vorgeschichte zum Film – welche erzählt, was zwischen den Filmen Superman II (1980) und Superman Returns (2006) geschehen ist. Autor des Romans ist Regisseur Brian Singer selbst. Die qualitativen Verlags-Highlights zu Superman haben dagegen mit dem Film im Grunde wenig zu tun haben. Das ist zweifellos der zweibändige Comic _“Superman – Die Rückkehr“_ (siehe Buchwurm-Infos 3/2006) von Jim Lee, der in den USA zur erfolgreichsten Superman-Story der letzten zehn Jahre avancierte. Inzwischen ist Band 2 erschienen. Jeden Monat neu im Heft laufen sowieso _“Superman-Sonderbände“_ wie auch die Reihe _“Superman & Batman“_ (die beiden Helden in einem Team). Außerdem sind unter den Heftreihen besonders hervorzuheben die neuen Reihen _“All Star Batman“_ und _“All Star Superman“_. Dieser neue Batman wird von Frank Miller geschrieben und von Jim Lee gezeichnet. Die Geschichte geht neu geschrieben von Anfang an wieder los, und es sah so aus im ersten Heft, als wäre es eigentlich eine Neufassung der Geschichte, wie Robin dazukam. Aber bereits in der 2. Ausgabe merkte man, dass dem nicht ganz so ist. Die erste Hälfte gehört ganz allein Black Canary, die sehr gewalttätig und verantwortungslos agiert, und Batman und Robin sieht man nur auf drei Seiten. In der zweiten Hälfte dagegen haben die beiden wieder die Oberhand und Batman ist weiterhin ausgesprochen fies dargestellt. Der neue Superman ist ähnlich, auch da begann es erneut noch mal ganz von vorn. Natürlich ist Louis Lane auch hier seine große Liebe und schon im zweiten Heft wird sie für einen Tag zur Superwoman, deren Superkräfte sie aber nicht behalten kann. Und auch Jimmy Olsen ist dabei, ein altbekannter Kumpel von Superman, der von den 50er Jahren bis in die 70er hinein sogar eine eigene Serie hatte. Olsens Verlobte ist übrigens Lucy, die Schwester von Lois Lane.

|Das Börsenblatt, das die hauptsächliche Quelle für diese Essayreihe darstellt, ist selbstverständlich auch im Internet zu finden, mit ausgewählten Artikeln der Printausgabe, täglicher Presseschau, TV-Tipps und vielem mehr: http://www.boersenblatt.net/. |

Nibelungen-Festspiele Worms 2

|Fortsetzung von [Teil 1]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=70 |

_Specials_

Wie in den ersten Aufführungen 2002 und 2003 gibt es immer wieder von Dieter Wedel gedrehte Filmsequenzen auf Großleinwand. Auf die Bühne fahren richtige Autos – ein Jeep und ein Mercedes Cabrio aus Siegfrieds Fuhrpark. Auch ein Pferd – der Schimmel „Sidestep“ aus früheren Inszenierungen – taucht im Stück auf, aber dessen Tod wird durch eine Attrappe dargestellt. Auch drei große Hunde sind mit dabei. Das imposante Eispferd der früheren Jahre wird wieder eingesetzt, 2002 noch aus wirklichem Eis, seit 2003 aber schon aus Plexiglas; es wiegt drei Tonnen und ist vier Meter hoch, 3,5 Meter lang und 1,5 Meter breit. Eingelassene Scheinwerfer geben ihm eine mystische Atmosphäre und aus seinen Nüstern bläst Dampf. Brünhild reitet darauf in den Hofstaat ihres neuen Ehemannes ein. Ein anderes großes Monument ist der Kopf Dankwarts, der ist allerdings aus Styropor. Diese Statue birst auseinander, als Siegfried untermalt von lauten, grollenden Geräuschen an den Burgunderhof kommt. Das geschieht wie bei den Rollcontainern durch Muskelkraft, innen sitzen zwei der fünfzehn Bühnentechniker. Oben auf der Statue liegt Grillkohle, eine Nebelmaschine springt an und die Techniker ziehen an einem Seil. Die Illusion ist perfekt. Nach Siegfrieds Tod brennt ein Tisch und Flammen leuchten im Dunkeln um Siegfried auf. Dies ist ein beeindruckender Trickeffekt, der zustande kommt, indem ein Mitarbeiter unterm Tisch sitzend auf Kommando eine Gasflasche aufdreht.

Auch beeindruckend sind mächtige Rollcontainer, die beim Ablauf die Bühne verändern. Gleich zu Beginn gibt es eine spektakuläre Szene, wenn am Ende der Brautwerbung des finnischen Königs Jukka Thor durch die männermordende Brünhild dieser und seine Begleiter einen grausamen Tod sterben, indem er und seine Mannen in eine sich plötzlich auftuende Gletscherspalte stürzen und auf Nimmerwiedersehen im eiskalten Nebel Islands verschwinden. Diese technische Perfektion geschieht noch durch Manneskraft, denn in den Rollcontainern, die immer wieder auf- oder zugehen, stehen jeweils sechs starke Jungs, die von Stage-Manager Detlef Hahne kommandiert werden. Diese Jungs schieben die jeweils vier Tonnen schweren, auf Schienen und Rollen dahingleitenden, 13 Meter langen Container mit erstaunlicher Präzision in die vorbestimmten Positionen. Auch sonst ist diese Eingangsszene in waberndem Nebelblau für die urzeitliche Szene auf Isenstein und das archaisch anmutende Frauenvolk ein ästhetischer Genuss. Brunhild und ihre Begleiterinnen stehen auf Plaxiglasböden, die von unten angestrahlt werden und die Szene in ein eisiges Licht tauchen.

Detlef Hahne hat zwei Bühnenmonitore zur Verfügung, mit deren Hilfe er das Geschehen auf der Bühne genauestens verfolgen kann, und einen kleineren für die Videoeinspielungen. Er orientiert sich am Textbuch, in das er seine Kommandos notiert hat, wobei er das meiste auswendig kann. Er hat zusätzlich zwei Headsets zur Verfügung, also Kopfhörer und Mikrophone, und ein Mischpult für Lichtsignale.

Eine Ton- und Lichtcrew sorgt im Hintergrund für perfekte Technik. Aus dem 16 Quadratmeter großen Tonstudio hoch oben am Ende der Tribüne wird jeder Lautsprecher verwaltet. Jede Sprechrolle hat eine eigene Taste, jedes Störsignal wird herausgefiltert. Auf Tastendruck werden auch über 400 Lichtquellen, Lampen, Leuchter und Strahler bedient. Gearbeitet wird mit computergesteuerten und programmierten Effektreihen, für den Notfall steht ein manuelles Mischpult bereit. Wichtigstes Werkzeug ist ein hochauflösender Computer. Was hier im Hintergrund gemacht wird, ist sensationell, denn alles ist „wireless“ – also drahtlos und „netzwerkfähig“ und als Technik erst seit kurzem auf dem Markt. Ein Teil der Crew steht auch bereit, um verrutschte Mikrophone wieder in Position zu bringen oder Defekte zu beheben.

Die Bühnentechnik besteht aus etwa 80 Tonnen Stahl, Holz, Licht- und Tontechnik.

Die eingespielten Filmszenen, die viele vor vier Jahren noch als Fremdkörper empfanden, fügen sich nunmehr schlüssig in das Handlungsgeschehen ein und erscheinen durchaus sinnvoll. Sie erscheinen nicht mehr als Lückenfüller, z. B. kann man die eigentliche Hochzeit im Wormser Dom nun originalgetreu von außen stilecht betrachten.

Heftig im Vorfeld der Festspiele wurde eine manchen mit 30.000 Euro zu teuer erscheinende Brücke diskutiert, die dann aber doch billiger wurde als geplant und die Bühne mit dem Heylshofpark verband. Im Vorfeld hatte die CDU diese Brücke kritisiert, sich dann aber doch überzeugen lassen, dass es die einzig praktikable Lösung sei. Aber spätestens bei der Premiere mussten auch alle anderen Kritiker eingestehen, dass diese absolut notwendig war, um möglichst schnell zweieinhalb tausend Menschen in die Pause und zurück bewegen zu können. Für die richtige Festspiel-Atmosphäre war sie unentbehrlich. Erbaut wurde sie durch Spezialisten der Tribünenbaufirma Nüssli (Roth), die auch für die eigentliche Zuschauertribüne zuständig war, deren diesjährige Höhe 13 Meter betrug. Die Firma Nüssli ist im vierten Jahr mit in Worms dabei. Eine solche Anlage wird natürlich auch TÜV-überprüft, aber die Arbeiter haben gute Erfahrungen, denn sie sind auch bei den Olympischen Spielen mit dabei. Die Bühne selbst ist 29 Meter breit, 20 Meter tief und nahe an den Zuschauern, eingebaut waren auch drei Hubpodien. Mit den schon genannten Rollcontainern konnte die Bühne zudem noch unterteilt werden. Da diese auch zusätzliche Türen hatten, konnten dadurch weitere Auftrittsorte genutzt werden. Die Überwachung der Arbeiten unterlag dem technischen Leiter Michael Rütz.

Zum Premierenabend ist das Catering-Equipment mit acht Lastwagen angerückt. 130 Servicekräfte waren im Einsatz und nochmals 40 Köche. Für die 300 Prominenten beim Bürgermeister-Empfang gab es asiatische und andere Leckereien und nach der Premierenvorstellung für die insgesamt 2100 geladene Gäste halben Hummer, verschiedene Wok-Stationen bis hin zu ländlich-edlen Speisen. Das Service-Team mit seinen unzählbaren Hostessen, die auskunftsfreudig jederzeit zur Verfügung stehen, genießt überhaupt einen sehr guten Ruf. Der Catering-Bereich wird seit zwei Jahren vom Personal der Firma „Servcat“ betreut. Für die Schauspieler steht neben vegetarischem Essen Diätkost oder auch mal was Deftiges auf dem Speiseplan. Aber darüber hinaus gibt es auch Kopfschmerztabletten, Tageszeitungen und natürlich tröstende Worte bei zu schwierigen Proben. Im Catering-Bereich trifft sich jährlich über sechs Wochen hinweg ein buntes Völkchen, bestehend aus Technikern, Künstlern, Presse und Organisation. Es stehen insgesamt 25 Container und 20 Zelte um den Dom.

Besonders geschätzt von Aufführungsbesuchern mit etwas mehr Geld wird das VIP-Arrangement. Seit vier Jahren serviert Sternekoch Wolfgang Dubs im historischen Ambiente des Andreasstiftes ein exzellentes Vier-Gänge-Menü mit besten Weinen aus der Region. Danach folgt ein Festspielbesuch mit Plätzen in der ersten Kategorie. Dieses Angebot wird immer beliebter. Seit letztem Jahr wird der komplette Innenhof des Andreasstiftes genutzt, um der stetig steigenden Nachfrage nachkommen zu können. Neu in diesem Jahr ist die Beteiligung der DaimlerChrysler AG, die die Fahrzeuge für den Fahrdienst stellt. Die Gäste werden von zehn exklusiven R-Klasse-Fahrzeugen vom Andreasstift abgeholt und zum Dom chauffiert. Neben VIP-Parkplatz, Hostessenservice und VIP-Lounge in der Pause runden weitere Extras das exklusive Angebot ab. Der Preis für diesen Rundum-Service beträgt 195 Euro.

Auch Menschen, die keine Vorstellung besuchen, können das wunderschöne, illustre Ambiente genießen. Zwar ist für Touristen tagsüber während der Festspielzeit der Park geschlossen, aber ab 18 Uhr ist er offen und es gibt Essen und Trinken zu akzeptablen Preisen. Unter dem Motto „Essen im Park“ ist das Festspielresteraunt geöffnet und offeriert Köstlichkeiten vom Team des Resteraunts „Zum Stolpereck“. Und trotz des durchgehend miesen Wetters lag die Besucherkapazität 150 Prozent über dem Vorjahr.

_Rahmenprogramm_

Die Filmaufführungen der letzten Jahre wie auch das musikalische Open-Air-Programm aufgrund des Musikwettbewerbs vom letzten Jahr fanden nicht mehr statt, wobei viele im Vorfeld damit gerechnet hatten dass die Gruppe _Weena_, welche den glanzvollsten Eindruck hinterließ, nunmehr ihre Rockoper aufführen dürfte. Immerhin spielten sie stattdessen einige Stücke während der Vernissage zur Pop-und-Kitsch-Ausstellung (siehe weiter unten). So bleibt darauf zu hoffen, dass vielleicht im nächsten Jahr die ganze Nibelungen-Oper auch in Worms einmal aufgeführt werden kann. Im gedruckten Rahmenprogramm standen vierundzwanzig Sonderveranstaltungen. Im fünften Jahr ist es zum Ereignis neben dem Ereignis geworden.

_Benefiz-Vorstellung einer kindgerechten Aufführung des Nibelungenstücks_
An einem Sonntagmittag spielte das komplette Ensemble eine Version für Kinder, deren Erlös dem Bau einer Schule in Namibia zugute kommt. Das war eine Premiere – angeregt von Dieter Wedel und Joern Hinkel – in diesem Jahr. Auch hier kostete die Karte nur fünf Euro (wie schon bei der Generalprobe oder auch beim Stück der Nibelungenhorde). Die Vier-Stunden-Version wurde auf 90 Minuten heruntergestrichen und Thilo Keiner, der im Stück schon den finnischen König und den Mundschenk Sindold spielt, trat hier noch zusätzlich als Erzähler auf, der durch die Handlung führt. Er agierte dabei auch im Publikum und stellte direkte Fragen an die zuschauenden Kinder. Gestrichen wurden vor allem die nicht kindgerechten Szenen, wie die Vergewaltigungen der Isländerinnen. Auch zeigte sich Kriemhild (Jasmin Tabatabai) gemäßigt und warf als wütende und betrogene Ehefrau der Brünhild nicht ganz so böse Worte ins Gesicht. Die Schlachtszenen oder wenn der Finnenkönig und seine Mannen auf Island ins Meer stürzen fehlten allerdings nicht. Begeistert feuerten die Kinder mit „Siegfried, Siegfried“-Rufen den Helden an und amüsierten sich sehr, als Gunther unter Gestöhne von Brunhild am Baum hochgezogen wurde. Viel Gelächter gab es auch bei den witzigen Szenendialogen zwischen dem atemlosen Boten und dem Burgwächter Eisermann. Mit Klatschen, Trampeln und Rufen dankten am Ende auch die Kinder den Schauspielern.

_Nibelungenhorde_
Dahinter verbirgt sich ein ehrgeiziges Jugendprojekt für Theaternachwuchs. Die Idee entstand unter anderem durch den Film „Rhythm is it“. Auch dort wurden die schöpferischen Kräfte der jungen Menschen durch Profis aktiviert. Jugendliche sollen ohne besondere Vorbildung animiert werden, Unbekanntes auszuprobieren. Intention des Projektes ist, Interesse an Kultur zu wecken und erlebbar zu machen, indem Parallelen zwischen der eigenen Persönlichkeitsentwicklung und literarischen Figuren gezogen werden – sowie Einblicke in die professionelle Theaterarbeit zu geben. Laut einer Umfrage des ZfKf sind zudem Jugendliche, die sich für Kultur interessieren, toleranter gegenüber fremden Kulturkreisen. Schulen in ihrer traditionellen Form können die Defizite bei der Kulturvermittlung in der Regel nicht alleine ausgleichen. Pädagogischer Ansatz ist, durch professionelle Anleitung Kreativität und Selbstbewusstsein zu fördern sowie persönliche Emotionen und Phantasie einzubringen.
Gesponsert wurde das Ganze von Seiten der Wirtschaft durch Harald Christ, Vorstand der HCI Capital AG, mit einer fünfstelligen Summe. Christ wurde in Gimbsheim geboren und hatte seine Ausbildung bei den Stadtwerken in Worms. Es folgte eine Bilderbuchkarriere. Jüngster Vertriebsdirektor bei BHW, anschließend Direktor der Deutschen Bank in Frankfurt und Berlin, übernahm er die Führung der HCI Capital AG. Noch immer ist er sehr heimatverbunden und sein besonderes Anliegen dabei ist die Förderung von Jugend, Kultur und Bildung. Das Nibelungenprojekt spricht alle drei Bereiche an und passt in seine Strategie. Zudem empfindet er die Nibelungenfestspiele als ein deutschlandweit einzigartiges Kulturereignis. In den nächsten zwei Jahren will er ca. eine Million Euro in verschiedene Projekte der Region investieren, die in eine Stiftung übergehen sollen, damit daraus ein lebenslanges Projekt werden kann. Er legt Wert auf die Feststellung, dass seine Sponsorenschaft aus seinem Privatvermögen finanziert ist.
Das Casting fand im Februar 2006 statt. Jugendliche zwischen 14 und 20 Jahren aus dem gesamten Rhein-Neckar-Raum wurden angesprochen. Aus rund 60 Interessenten suchte Uwe John 43 aus, die kostenlos teilnehmen konnten. Das Projekt wurde von elf zusätzlichen Jugendlichen redaktionell begleitet und später in einem Film, auf Fotos, einer Jugendkurs-Broschüre und einer Website (www.nibelungenhorde.de) dokumentiert. 40 junge Leute (drei waren wohl abgesprungen) erhielten seit dem 26. Juli vier Wochen lang intensive Theaterarbeit, während der der Stoff neu erzählt, die Rollen verteilt und eine passende Musik komponiert wurde. Zur Vorbereitung und zum Kennenlernen trafen sich alle Beteiligten aber schon am 1. April. Mit dabei waren die Teilnehmer der Jugendkurse, das Redaktions-, Dokumentations- und Websiteteam, der Regisseur, die Koordination, die künstlerischen Paten („Allee der Kosmonauten“) sowie der Musiklehrer. Davon stammt auch der zu sehende Trailer des genannten Internet-Links. Gleich mit Beginn der Proben begleitete ein Team des Südwestrundfunks das Projekt und am ersten Tag der Proben gab es schon einen Eindruck in der Sendung „Rheinland Pfalz aktuell“.
Die meisten Jugendlichen hatten sich auf Grund ihres Interesses an der Schauspielerei auf das Projekt eingelassen, aber es gab auch drei (Sissi, Swantje und Jens), die es aufgrund ihrer Mittelalter- und Rollenspielbegeisterung tun. Geprobt wurde acht bis zehn Stunden am Tag an sechs Tagen die Woche. Jeden Samstag wurde mit allen an der Textfassung des Nibelungenstücks gearbeitet. Es ging nicht um das Ergebnis, sondern um die Ausbildung. So sah man das Ergebnis auch eher als Werkschau denn als Theaterstück. Aber die Aufführung im Wormser Festhaus mit einer Länge von eineinhalb Stunden war beeindruckend, gut besucht und wurde mit stehendem Applaus belohnt.
Das Stück, das gar keinen eigenen Namen hat, handelt von Siegfried (Gianmarco Steinhauer aus Worms), dem Helden aus Xanten, der im Grunde das Gleiche erlebt wie auch in der originalen Geschichte. Er trifft Brunhild (Marie-Luise Raumland aus Flörsheim-Dalsheim), besiegt den Drachen, schlichtet den Streit der Nibelungenkönige mit dem Schwert und erhält so den Hort. Er holt, weil ihm Kriemhild dafür versprochen wird, Brunhild an den Wormser Hof – allerdings im Alleingang und rottet dabei die gesamten Isländer aus. Ulrike Schäfer von der Wormser Zeitung betont dabei als großen Unterschied zur Vorlage, dass Siegfrieds Heldentum von Anfang an problematisiert wird, Brunhild liebt ihn zwar, aber er ist ihr zu äußerlich, zu ungar. „Ich weiß, dass du zwar alles zerquetschen kannst, aber wichtiger ist mir deine Seele“. Deshalb rät sie ihm zu lernen, sich weiterzuentwickeln. Siegfried aber gelingt es nicht, aus seinen Erfahrungen Lehren zu ziehen. „Wenn du sie besitzen willst, ohne sie zu lieben, kann es dich dein Leben kosten“, rieten die Isländer dem jugendgerechten Siegfried gleich zu Beginn. In dieser Version wird Siegfried also von Brunhild abgewiesen.
Die Interpretation der Nibelungenhorde orientiert sich an den mythologischen Vorbildern, ist aber in die Gegenwart transportiert. Es sind Gangs, die das Sagen haben, die Burgunder, die Dragons, die Nibelungen, es geht um Geld, Drogen, Besitz, Macht. Auch die Nibelungen selbst sind nichts anderes als eine Hinterhofgang mit kaputten Autos, koketten Bräuten, einem abgedrehten Giselher und einem Volker, der mit Gitarre und coolen Sprüchen ständig Frauen abschleppt. Dem steht die naturverbundene Brunhild entgegen, für die innere Werte und die Bildung der Seele eine entscheidende Rolle spielen. Kriemhild dagegen ist eine bildhübsche, schmollmündige Diva mit Neigung zu Klunkern und schicken Schuhen. Der Streit der Königinnen dreht sich dann hauptsächlich um Weltanschauungen. Die durch Siegfried komplett vernichteten Isländer kriechen am Ende noch mal als Geister heran. Doch dann fällt auch schon der Schuss und das ist bereits Ende.
Das Stück ist mit sparsamen, aber effektvollen Mitteln in Szene gesetzt. Die Darstellung der Drachengang, die wie ein Riesenleib aus vielen beweglichen, stampfenden und kämpfenden Teilen erscheint, begeistert ebenso wie der Chor der Isländer, der durch präzise Koordination eine starke Wirkung erzielt. Eingeübt wurde diese Drachenchoreografie von Warren Richardson (STOMP), die an einem Wochenende zusammen mit der Choreografie von Siegfrieds Tod einstudiert wurde. Die witzige Charakteristik der Figuren überzeugt genauso wie die Umsetzung der Handlung, der Reichtum der Dialoge, die plausible Übertragung auf die heutigen Verhältnisse.
Initiatorin und Projektkoordinatorin ist Astrid Perl-Haag, Regisseur ist Uwe John, Antje Brandenburg Sprachtrainerin, Jannis Spengler Körpertrainer, Philipp Pöhlert-Brackrock Musikimprovisateur und Warren Richardson Choreograf. Täglich wurde unter der Leitung von Uwe John, dem Regieassistenten von Dieter Wedel, mit den namhaften Trainern gelernt, geprobt und einstudiert in verschiedenen Bereichen wie Improvisation oder Körper- und Sprachtraining. Auch erhielten sie Einblick in die „professionelle“ Theaterarbeit bei den Festspielen, besuchten deren Proben und sahen natürlich auch eine der Aufführungen. Auch mit Moritz Rinke wurde gearbeitet, der von seiner Dramaturgie erzählte. Und unter der Anleitung von Thomas Haaß und Karsten Rischer bekamen sie Fechtunterricht. Eine dieser Fechtstunden wurde von einem Fernsehteam des Südwestrundfunks gefilmt, das sich gerade auf Motivsuche für die Sendereihe „Fahr mal hin“ auf den Spuren der Nibelungen bewegte.
Das Projekt geht weiter. Durch diese Jugendkurse ist ein Anfang für Jugend-Kultur im Rhein-Neckar-Raum gemacht worden, der sich in Kooperation mit Schulen und Jugendorganisationen weiter fortsetzten wird. Als nächstes werden die Songs der „Nibelungenhorde“ mit der bekannten Rockband „Allee der Kosmonauten“ (Mischa Martin aus Kaiserslautern – Gesang – und Jürgen Fürwitt – Schlagzeug – waren von Anfang an schon die künstlerischen Paten und unterstützten die Jugendlichen in ihrer Arbeit) auf CD erscheinen. Die Band bietet deutschsprachige Rock- und Popmusik mit hochrangigem Songwriting. Bekannt wurden sie durch den Song „Du bist nicht allein“. Selbstgestaltete Schweineplastiken mit Signierungen der Schauspieler werden in Zusammenarbeit mit der Sparkasse versteigert, deren Erlös dem Projekt zukommt.

_Ausstellung: Die Nibelungen – Pop und Kitsch_
Während der Festspiele gab es im Historischen Museum Andreasstift eine Ausstellung der besonderen Art mit Nibelungen-Sammlungen seit den 60er Jahren. Private Leihgeber haben die Ausstellungsgegenstände zur Verfügung gestellt. Der größte Teil stammt von Andreas Grünewald aus Weimar, der auch seit 2003 Mitglied der Nibelungenlied-Gesellschaft ist. Grünewald kommt deswegen öfter zu den Sitzungen der Gesellschaft nach Worms, natürlich jedes Jahr zu den Festspielen oder auch wie im April dieses Jahres zur „Höfischen Tafel“ im Andreasstift. Zur Vernissage begrüßte Bürgermeister Georg Büttler; Werner Marx hielt eine Einführung in die Ausstellung und gab eine Definition von Kitsch. Dr. Olaf Mückain vom Nibelungenmuseum sprach die Dankesworte und die Gruppe „Weena“ begleitete musikalisch mit Ausschnitten aus ihrer Nibelungen-Oper. Für die Besucher gab es Sekt und kleine Leckereien. Unter ihnen war auch der ehemalige Kulturdezernent Gunter Heiland. Im Grunde ist diese Ausstellung ganz trivial und zeigt auf, was Comics, Sexfilme und Sammelbilder mit den Nibelungen zu tun haben. Zusätzlich wurde als Ergänzung im Nibelungenmuseum im dortig ehemaligen „Schatzraum“ und jetzigen „Mythen-Labor“ eine Kabinettausstellung mit Kinoaushangbildern und Plakaten der Nibelungenfilme der 60er Jahre („Die Nibelungen“, Teil 1 und 2 von Harald Reinl sowie „Siegfried und das sagenhafte Liebesleben der Nibelungen“ mit Raimund Harmsdorf) gezeigt. Zusätzlich präsentierte das Nibelungenmuseum zur Ausstellung innerhalb des jährlichen Museumsprogramms einen Vortrag mit Daniel Dietrich aus Ludwigshafen, der den Einflüssen der Mythen auf moderne Filmklassiker nachging. Dazu wurden entsprechende Ausschnitte der einschlägigen Filme von George Lucas, John Boorman und Harald Reinl gezeigt. Die Beispiele machten deutlich, dass die lichten Gestalten und diabolischen Figuren von Kultstreifen wie „Star Wars“, „Excalibur“ oder „Der Fluch des Drachen“ ihre Faszinationskraft aus den Archetypen antiker und vor allem mittelalterlichen Sagenquellen beziehen. Im Worms-Verlag ist für acht Euro ein gleichnamiger Katalog zur Ausstellung erschienen. Die Ausstellung „Nibelungen – Pop und Kitsch“ war die erste städtische Nibelungenausstellung zu Kunst (wenn auch Kitsch) seit 25 Jahren. Damals wurde „Das Nibelungenlied in der deutschen Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts“ ausgestellt.

_Heike Makatsch: Liebeslyrik von Bob Dylan und Walter von der Vogelweide_
Zwar trennen die beiden 800 Jahre, aber sie haben viel gemein. Beide sind Außenseiter und Revolutionäre, geben in jungen Jahren ihre Heimat auf, um auf Wanderschaft zu gehen und mit ihren Liedern zu bezaubern und zu entzaubern. Bei beiden stehen die großen Themen Liebe und Gesellschaftskritik im Mittelpunkt. Sie genießen bereits zu Lebzeiten ein großes Publikum, sie singen von den Ärmsten und den Reichsten, Bob Dylan wird als einziger Songtexter sogar für den Literatur-Nobelpreis vorgeschlagen. Und beide misstrauen ihrem eigenen Ruhm. Sie suchen vor allem nach einem: nach Freiheit und Unabhängigkeit vom Staat und von der Liebe. Film- und Fernsehstar Heike Makatsch hatte diese Lesung eigens für die Nibelungen-Festspiele zusammengestellt. Mitgeholfen an der Zusammenstellung hat ihr Joern Hinkel, der Regieassistent von Wedel, der das Projekt auch initiierte. Heike Makatsch hatte er 1999 eher zufällig beim Casting von Dieter Wedels „Affaire Semmeling“ kennen gelernt und seitdem hatten sie vor, etwas zusammen zu machen.
Heike Makatsch hatte 1995 in der Komödie „Männerpension“ von Detlev Buck ihren ersten Kinoauftritt. Dann folgte ein Filmhit nach dem anderen: „Aimée und der Jaguar“, „Nackt“ oder „Bin ich schön“. Im Fernsehen beeindruckte sie vor allem in Wedels Mehrteiler „Die Affaire Semmeling“ und in „Das Wunder von Lengede“. Seit 1999 ist sie auch im Ausland erfolgreich durch „Tatsächlich … Liebe“ neben Hugh Grant, Emma Thompsen und Liam Neeson.

_Ben Becker: Lesung aus „Berlin Alexanderplatz“_
Der Schauspieler Ben Becker las im Spiel- und Festhaus aus dem Roman von Alfred Döblin. Zwar gibt es keinen Bezug vom Roman oder Ben Becker zu den Nibelungenfestspielen, aber das war bislang bei der Auswahl des Rahmenprogramms auch nie entscheidend. Selbst Berliner und zudem bestens vertraut mit dem Roman durch die Inszenierung am Maxim Gorki Theater, für die Hörbuchlesung und Bühnenfassung, war er geradezu prädestiniert, dies in Worms zu tun. Die Leseszenen wurden zurückhaltend und sparsam musikalisch von Jacki Engelken und Ulrik Spies mit Geräuschtupfern untermalt. Drei Stunden las Becker kraftvoll mit tief vibrierender Stimme und dabei die Hauptfigur in authentischem Berliner Dialekt sprechend. Schon zur Pause wurde frenetisch applaudiert, da die meisten dachten, es sei schon Schluss. Am Ende wurde dann entsprechend genauso applaudiert. Anfragen, ob er im nächsten Jahr als Darsteller bei den Nibelungen-Festspielen dabei wäre, verneinte er. Er sei auf die nächsten zwei Jahre ausgebucht.

_Christian Quadflieg: Heinrich Heine_
Heine ist nach wie vor in Deutschland umstritten und wird von vielen als „Nestbeschmutzer“ kritisiert. Aber nach Johann Wolfgang von Goethe ist er sicherlich der größte Lyriker deutscher Sprache, nach Thomas Mann gar „die schönste deutsche Prosa bis Friedrich Nietzsche“. In diesem Jahr las Christian Quadflieg, der letztes Jahr Friedrich Hebbel las, aus Heines Lyrik, vor allem dessen „Deutschland. Ein Wintermärchen“. Die Veranstaltung fand im ganz neu erst eröffneten Lincoln-Theater der Stadt Worms statt und war wie die meisten Veranstaltungen des Rahmenprogramms früh ausverkauft.

_John von Düffel: Das Heroische und das Meer_
Düffel betreut seit 2002 die Nibelungenfestspiele als Dramaturg und las dieses Jahr im Rahmenprogramm Wassertexte von Schwimmern und anderen Heroen des feuchten Elementes aus seinen Bestseller-Romanen „Vom Wasser“ und „Houwelandt“.

_Theaterbegegnungen_
Dieses eintägige Event gehört zum Qualitativsten des jährlichen Rahmenprogramms.
Diesmal fand es nicht mehr wie früher im Herrnsheimer Schloss statt, sondern direkt im Heylshofpark neben der Festspielbühne am Dom. Glücklicherweise in großem Zelt, denn es prasselte den ganzen Tag sintflutartig der Regen, was aber nicht davon abhielt, die Theaterbegegnungen zu besuchen. Das Zelt war gut gefüllt. Es beginnt morgens immer mit Vorträgen, die im zweiten Jahr das Selbstverständnis der Deutschen zum Thema hatte. In diesem Jahr sprach Volker Gallé über „Die Sage vom Ursprung: Selbsthass und seine Folgen“, Wolf-Gerhard Schmidt über „Kelten, Germanen und Skandinavier – deutsche Identität in der Literatur zwischen Aufklärung und Romantik“ und Christian Liedke über „Heine und die Deutschen“. Liedke hatte sogar noch eine fußballweltmeisterliche Deutschlandflagge ans Vortragspult gehängt und lobte das neu entstandene Nationalgefühl. Allerdings war dieser Bezug zur WM-Euphorie eher ironisch gemeint, denn in seinem Beitrag ging es dann auch ausdrücklich um Heines Kritik an jeder Form von Nationalismus.
Danach sang Jasmin Tabatabai Lieder von Helden und großen Lieben. Es gehört zur Tradition der Festspiele, dass Stars und Publikum sich in kleinem Rahmen begegnen und immer wieder tragen die Stars auch zur Programmgestaltung bei. Jasmin Tabatabai saß – wie sie sagte, gerade aus dem Bett gefallen und noch völlig müde von den anstrengenden Aufführungen – mit ihrer Gitarre allein auf der Bühne. Sie ist aber als Musikerin genauso erfolgreich wie als Schauspielerin. Sie war die Sängerin der Frauenband „Even Cowgirls get the Blues“, komponierte fast den ganzen Soundtrack und sang die Songs zu dem Film „Bandits“ (wofür sie 1997 mit über 700.000 verkauften CDs eine goldene Schallplatte bekam) und brachte das viel beachtete Soloalbum „Only Love“ heraus.
Danach fand die Talkrunde „Der Held meiner Träume – der Traum vom Helden“ mit Regisseur Dieter Wedel, dem Literaturkritiker Helmut Karasek (der irgendwie noch bei der ZDF-Sendung zum Brecht-Jubiläum hängen geblieben schien, anstatt schon bei den Nibelungen gelandet zu sein), dem Siegfried-Darsteller Robert Dölle, der Journalistin Heike-Melba Fendel (Cosmopolitan, Marie-Claire, SZ-Magazin), dem Chefredakteur der BUNTEN, Paul Sahner, dem Oberstabsarzt der Bundeswehr Dr. Rico Deterding (er versorgte in Pakistan Erdbebenopfer) und dem Journalisten Rüdiger Suchsland als Moderator statt. Dieser Talk war sehr vergnüglich mitzuerleben, denn die Meinungen gingen weit auseinander. Besonders als Karrasek den verstorbenen Showmaster Rudi Carrell aufgrund dessen Umgangs mit seinem Tod als Helden bezeichnete, kam es zu starken Differenzen. Paul Sahner und Dieter Wedel sahen es wie Karrasek, dass dessen letzter Auftritt bei der Verleihung der Goldenen Kamera ein höchst würdevoller Akt gewesen sei. Dr. Rici Deterling dagegen sah darin kein Heldentum, vor allem da viele „Unbekannte“ auch an dieser Krankheit „unbekannt“ sterben. Und Heike-Melba Fendel befand Karrasek gar als zu „sentimental“ und bezeichnete die Art des Sterbens von Carrell als ein in der Medienlandschaft normales PR-Projekt, um möglichst beispielsweise in die BUNTE zu kommen. Was ein Held ist, kam bei der Debatte trotz vieler angesprochener Möglichkeiten nicht heraus, im Grunde verzettelte sich das Podium dabei immer mehr. Sogar Dieter Wedel selbst kam in die Auswahl, da er es wagte, in einer Titelgeschichte der BUNTEN zu gestehen, dass er mit zwei Frauen lebt. „Das hat uns 100.000 mehr Auflage gebracht“, bemerkte dazu Paul Sahner und forderte ein Denkmal für Wedel in Worms. „Wenn der so alt wird wie Johannes Heesters, habt ihr noch 40 schöne Jahre vor euch“. Nicht nur Männer, auch Frauen wie Sophie Scholl oder Mutter Theresa kamen in die Auswahl. Aber erneut sorgte Karrasek für Unmut, als er Condoleezaa Rice nannte, und dann kamen auch noch Maggie Thatcher und Angela Merkel in die Vorschlagsliste. Obwohl Moderator Rüdiger Suchsland am Ende den Faden verlor, war die Diskussion insgesamt recht fesselnd.
Aufgrund der halbstündigen Überziehung fand die wenige Meter weiter im Heylsschlösschen stattfindende Wiederholung einer letztjährigen Aufführung unter Leitung von Dr. Ellen Bender und Petra Riha von der Nibelungenlied-Gesellschaft mit literarischen Szenen und Erläuterungen zum „Rollenspiel der Geschlechter – Höfische Liebe zur Zeit des Nibelungenliedes“ nicht das erhoffte Publikum. Dies blieb im Zelt und sah noch den Abschluss des Tages mit Stephan Krawcyk, ausgezeichnet mit dem Preis „Das unerschrockene Wort“ der Lutherstädte, der seine Version von Heldentum zu Gehör brachte. Er besang dies in poetischen Liedern, rühmte die Liebe in vielen Facetten und las erheiternde Passagen aus seiner Biografie vor.
Alle Vorträge der Theaterbegegnungen finden sich [hier.]http://www.o-ton.radio-luma.net/php/130806__vortraege__nibelungenfestspiele-worms__2006.php

_Vortragsreihe der Nibelungenlied-Gesellschaft_
Auch diese täglich morgens bei freiem Eintritt stattfindende Vortragsreihe hat Tradition. Die einzelnen Vorträge dieses Jahr waren „Rückfall in die Barbarei – Medea und Kriemhild“ von Erwin Martin, „Elemente nationalsozialistischen Gedankenguts in Werner Jansens Nibelungenroman von 1916“ von Hans Müller, [„Der Zorn der Nibelungen“ 2609 von Irmgard Gephardt, „Motive antiker Sagen im Nibelungenlied“ von Eichfelder, „Nibelungendenkmäler in Worms“ von Gernot Schnellbacher, „Die Nibelungen – Pop und Kitsch (Vortrag zur Ausstellung)“ von Olaf Mückain und „Otto Höfler und Bernhard Kummer – Nibelungenforscher im NS-System“ von Volker Gallé. In der Regel erscheinen sämtliche Vorträge auch Internet unter www.nibelungenlied-gesellschaft.de. Eine Buchpublikation sämtlicher bisheriger Vorträge ist ebenso geplant.

_“Die Zaubergans“ – eine sinfonische Dichtung für Orchester, Chor und Solisten_
André Eisermann, der bei der Nibelungenaufführung den Burgwächter spielt, las und führte durch den Abend mit der Lucie-Kölsch-Jugendmusikschule und dem Chor des Rudi-Stephan-Gymnasiums (über 100 jugendliche Mitwirkende) unter Einstudierung von Daniel Wolf. Unter der Leitung von Reinhard Volz sind die Solisten Heike Dentzer, Christina Röckelein sowie Danilo Tepser und Martin Risch angetreten. Der Komponist Jakob Vinje hat als literarische Grundlage dafür eine jiddische Erzählung aus dem „Wunderbuch“ des Wormser Synagogendieners Juspa Schammes benutzt. Die 1669 in Amsterdam erstmals gedruckte „Wundergeschichte aus Warmaisa“, dem jüdischen Worms, hat 1905 der jüdische Historiker Samson Rothschild in konzentrierter Form und in deutscher Sprache veröffentlicht. Sie handeln von Verfolgung und Errettung aus Bedrohung und Not, von wundersamen Ereignissen und geheimnisvollen menschlichen Verstrickungen. Es handelt sich um eine jüdische Sage aus dem 14. Jahrhundert, die die Koexistenz von Juden und Christen im mittelalterlichen Worms zum Thema hat. Die Geschichte gibt es auch als Buch in einer neuen Bearbeitung durch die Journalistin Ulrike Schäfer und den Historiker Dr. Fritz Reuter, ergänzt durch weitere Texte sowie einen ausführlichen Kommentar.
Nach der erfolgreichen Zusammenarbeit der Wormser Lucie-Kölsch-Jugendmusikschule und dem Hamburger Komponisten Jakob Vinje bereits bei den Nibelungenfestspielen von 2002 und 2003 erhielt dieser einen Kompositionsauftrag der Stadt Worms, aus dem die „Zaubergans“ entstand. Premiere der Aufführung war bereits im letzten Jahr zu den Festspielen. Der Handlung der Sage hat Vinje eine Reihe von Gedichtvertonungen von Lasker-Schüler, Trakl, Rilke, Brecht u. a. gegenüber gestellt, die eine Art emotionalen Handlungsfaden bilden und die Erzählung musikalisch interpretieren. Eisermann wirkte in diesem Jahr dabei erstmals mit und erzählte mit eindrücklicher Intensität von der Geschichte zur Zeit der Pest, als in Worms die Juden beschuldigt wurden, die Brunnen vergiftet und den Krankheitsausbruch damit ausgelöst zu haben. Im Grunde ist es eine blutrünstige Geschichte, bei der fast alle Juden ausgelöscht und die Überlebenden mit der „Zaubergans“ ausfindig gemacht und dann ebenso getötet werden. Erst ein Pfarrer bereitet dem Treiben ein Ende und beweist den „Gläubigen“, dass auch auf dem Kirchdach eine Gans sitze, was den Mob überzeugen kann, das Morden einzustellen.

_Das Blaue Einhorn – Chansons aus der ganzen Welt_
Die Band „Das Blaue Einhorn“ aus Dresden bot Klezmer, Lieder und Tänze der Juden und Roma, Chansons, Fado, Rembetiko und Tangolieder. Der Name der Gruppe stammt von einem Fabelwesen, von dem der kubanische Sänger Silvio Rodrigues in seinem Lied „Unicornio“ erzählt, das mit seinem Horn Gesänge aus der Nacht einfängt. Seit zwölf Jahren macht die Gruppe Furore in der deutschen Folk- und Weltmusikszene und es gibt nur wenig andere Bands, die so stilsicher und gefühlvoll eine solche Vielzahl an Kulturen mischen, stilistisch und musikalisch aber über die Originale hinausgehen, indem sie etwas durch und durch Eigenes machen, das Ursprüngliche aber trotzdem erfüllen. Eingesetzt werden Gesang, Akkordeon, Trompete, Bauchgeige, Gitarre, Kontrabass, Cello, Bouzouki und Waldzither.

_Estampie-Konzert: Mittelalter trifft auf Moderne_
Erstaunliche Parallelen zwischen der Moderne und dem Mittelalter spiegeln sich in der Musik von Estampie wieder. Ihre Wurzeln liegen in der vielgestaltigen Musik und der komplexen Gedankenwelt des Mittelalters, ihre Inspiration beziehen die Musiker aus allen Bereichen gegenwärtiger musikalischer Ausdrucksformen. Estampie geht Einflüssen aus modernen Stilrichtungen wie Minimal Music, außereuropäischer Musik bis hin zur Popmusik nicht aus dem Weg. Estampie sucht die Begegnung und Überschneidung mit anderen Stilarten, denn dieser Crossover verstärkt die einzigartige Wucht und Schönheit, die in der Musik des Mittelalters liegt. Der Band-Name stammt von einer Tanzform des Mittelalters. Das Wort ist altfranzösisch und kommt vom Ausdruck für „stampfen“. Sie spielten im Wormser Dominikanerkloster.

_Yoshi Oida: „Interrogations“_
„Interrogations“ ist Körpertheater des japanischen Schauspielers Oida, das ohne Kulisse, Dekor und optische Effekte auskommt. Es lebt vom direkten Kontakt zwischen Schauspieler, Musiker, Publikum und dessen Konzentration und Imagination. Im Mittelpunkt der Performance steht die Praxis des Zen. Der Zen-Meister stellt viele Fragen an seine Studenten und auch Yoshi Oida richtet Fragen an das Publikum. Dieses ist eingeladen, Antworten zu finden durch Betrachtung und Wahrnehmung des Spiels von Oida und das Hören der Musik von Dieter Trüstedt.
Yoshi Oida wurde in Japan geboren und studierte dort Philosophie, die Künste des Nó-Theaters und des Kabuki. Er ging 1968 nach Paris und begann seine Karriere an der Seite von Peter Brook. Eigene Regiearbeiten folgten. Als Filmschauspieler arbeitete er mit Peter Greenaway und Joào Mario Grillo zusammen. Seit 1975 unterrichtet Oida in vielen Ländern Europas. Dieter Trünstedt ist promovierter Physiker und Künstler und spielt seit 1984 die Musik zu „Interrogations“ weltweit. Yoshi Oida ist nicht nur Künstler, sondern auch begnadeter Lehrer. Neben der Performance „Interrogations“ veranstaltete er während der Festspielzeit zusätzlich einen einwöchigen Workshop für junge Schauspielschüler, basierend auf den Praktiken der japanischen Kultur und des Nó-Theaters. Didaktisch befasst sich Oida mit der Entwicklung von Stimme und Körper. Im Zentrum stehen die verschiedenen Ausdruckselemente des Selbst und die Beziehungen zwischen den Schauspielern. Ursprünglich im Spiel des japanischen Nó-Theaters ausgebildet, arbeitet er mit der Avantgarde des modernen japanischen Schauspiels zusammen und setzte seine künstlerische Entwicklung in Europa fort. Der Kurs war auf 20 Personen begrenzt, unterrichtet wurde in Englisch.

_Siegfrieds Nibelungenentzündung – Darmstädter Kikeriki-Theater_
Seit drei Jahren ist dieses Blechspektakel mit im Rahmenprogramm, immer binnen weniger Tage ausverkauft und somit ein Dauerbrenner im Kulturprogramm der Festspiele. Dieses Jahr an zwei Tagen im Spiel- und Festhaus. Das Spektakel dreht sich um Siggi, Albi und den smarten Lindwurm und erzählt die Geschichte der Nibelungen, wie sie wirklich war. Vorgetragen in breitestem Hessen-Dialekt, gewürzt mit deftigen Sprüchen und immer wieder verfeinert durch verblüffend schlagfertige Situationskomik.

_“Der letzte Drache“ – Mitmachstück für Kinder_
Hier konnte der ganz kleine Schauspielnachwuchs ab vier Jahren sein Können in der Jugendbücherei unter Beweis stellen. Und über 100 Kinder standen zur Vorführung auch mit ihren Eltern Schlange für das Einpersonenstück zum Mitmachen.

_Verleihung „Buch des Jahres 2005″_
Dieser Preis an rheinland-pfälzische Autoren wurde bereits vor einigen Jahren ins Rahmenprogramm der Festspiele integriert. Der mit 1500 Euro verbundene Preis ging an Gabriele Weingartner für ihren Erzählband „Die Leute aus Brody“ (Verlag Das Wunderhorn). Außerdem erhielt Christa Estenfeld für ihren Erzählband „Buffalo Bills Sattel“ (Edition Artfusion) den vom verdi-Fachbereich Medien, Kunst und Industrie Rheinland-Pfalz-Saar gestifteten Sonderpreis der Jury in Höhe von 500 Euro. Den musikalischen Rahmen der Verleihung gestaltete die Bundespreisträgerin „Jugend musiziert“ Julia Panzer (11 Jahre, Cello) und Friedrich Skrabal (Kontrabass) von der Lucie-Kölsch-Musikschule der Stadt Worms. Der Preis „Buch des Jahres“ wird seit 1989 regelmäßig vergeben und durch Fördermittel des rheinland-pfälzischen Kulturministeriums und des verdi-Fachbereichs unterstützt, die Preisverleihung selbst zudem von der Nibelungenlied-Gesellschaft Worms.

_Sonstiges_

Am 12. Mai war es so weit und das neue Ensemble und das Rahmenprogramm wurden im Weingut Schloss Wachenheim der Öffentlichkeit vorgestellt. Mit Dieter Wedel sind neben Moritz Rinke die Kriemhild-Darstellerin Jasmin Tabatabai und die Darstellerin der neu erfundenen Figur Isolde, Sonja Kirchberger, in die Pfalz gekommen. Die Anekdoten, die sie auf dem Podium erzählten, waren so amüsant wie aufschlussreich. Wedel liebt das Unerwartete, Überraschende. So hat er die zarte, dunkelhaarige, in Teheran geborene Tabatabai nicht für die traditionell dunkle Brünhild verpflichtet, sondern eben für die urdeutsche Kriemhild. Auf sie gekommen war er durch eine Talkshow, in der sie heftig mit einem Maler gestritten hatte.
Rinke war recht überrascht gewesen, aus seinem Stück einen Zweiteiler machen zu sollen, hatte aber schnell die Chancen erkannt, die sich dadurch ihm bieten. „Ich habe dafür Wedel verflucht, jetzt könnte ich ihn küssen“. Um Brünhild – das Stück heißt ja „Siegfrieds Frauen“ – mit aufzuwerten, hat er als Gesprächspartnerin die Isolde dazuerfunden, eine höchst vitale Person, die dem ganzen Burgunderhof, einschließlich Hagen, den Kopf verdreht.
Vertreter der Politik und der Wirtschaft hatten ebenso das Wort und Ben Becker stellte das Rahmenprogramm der Festspiele vor. Das Schlusswort hatte dann Dieter Wedel selbst, und als eigentlicher Hauptstar der ganzen Sache erzählt er auch immer am längsten.

Eine Woche nach der Pressekonferenz auf Schloss Wachenheim füllte sich dann bereits die Gästeliste für die Premiere. Fast alle bekannten Prominenten, die erschienen (siehe den Anfang des Essays) standen da schon fest und den meisten, die im vergangenen Jahr bei der Premiere dabei waren, hat es so gut gefallen, dass sie die diesjährige offenbar nicht verpassen wollten.

Die Repräsentanten des öffentlichen Lebens in Worms konnten schon sehr früh im Juli mit den Nibelungen-Stars plaudern. Jährlich lädt der Oberbürgermeister diese zum Empfang ins Herrnsheimer Schloss ein. Dazu war auch Dieter Wedel mit einer ganzen Riege des Ensembles gekommen. Ganz offensichtlich war das für Jasmin Tabatabai, Valerie Niehaus oder Renate Krößner (die ihre Rolle als Ute kurz darauf wieder von Wedel gekündigt bekam) keineswegs ein „Pflichttermin“. Es gab Wein der Wormser Jungwinzer, die sich zur Gruppe „Vinovation“ zusammengeschlossen haben, außerdem viele Gespräche bis zum späten Abend. Auch Dieter Wedel hatte es nicht eilig und plauderte über seine neue Inszenierung. Solch ein Jahresempfang hat viele Programmpunkte und der Park war bis zum späten Abend bevölkert.

Das komplette Ensemble konnte dann zum ersten Mal komplett „bestaunt“ werden an dem Tag, als die Proben mit einer Leseprobe des kompletten neuen Rinke-Textes begann. Bevor diese begann, lud Dieter Wedel zum nächsten kurzen Pressetermin, ein Zeitpunkt, zu dem sich das Ensemble selber zum ersten Mal sah, aber zum Teil auch herzlich in die Arme fiel. Von der alten Besetzung waren ja nur noch Wolfgang Pregler, André Eisermann und Thilo Keiner übrig geblieben.

Erstmals begann man auch gezielter auf Messen für die Nibelungen-Festspiele zu werben. Eigentlich tritt bislang die Stadt Worms ja nur auf der Touristikmesse in Berlin auf, aber dabei nicht nur Festspiel-bezogen. Nunmehr gab es aber einen Auftritt auf der Nibelungenland-Ausstellung in Viernheim, was für viele dortige Besucher interessant war, die rege die Möglichkeit des Ticketkaufs am Stand nutzten. Dass nun mehr über Messen getan wird, liegt vor allem an den Stadtmarketing-Aktivitäten des neuen Stadtmanagers Stefan Pruschwitz.

Mit all den kurzfristigen Ideen ist es für Wormser vielfältig möglich, irgendwie an den Festspielen direkt beteiligt zu sein. Alles Mögliche, was spontan gebraucht wird, ist in der Wormser Zeitung mit entsprechender Telefonnummer ausgeschrieben. So z. B. das Hundecasting, der Saxophonist und Fanfarenbläser, aber auch ein Holzleiterwagen mit Platz für acht Personen, fahrtauglich für den Einsatz in der Sachsenschlacht, wurden auf diese Weise von der Requisitenabteilung gesucht.

Sogar die Natur unterstützte – abgesehen vom tatsächlichen Wetter während der Aufführungen – mit einem Omen die diesjährigen Festspiele. Ein Zeitungsleser schickte ein entsprechendes Bild vom Wormser Himmel an die WZ, das diese auch abdruckte. Dort sieht man im blauen Abendhimmel exakt das Kreuz des Nibelungen-Logos der Festspiele, gebildet durch zwei Kondensstreifen.

Sehr vergnüglich sind die täglich stattfindenden _öffentlichen Pressegespräche_ mit allen Schauspielern unter Moderation der Wormser Zeitung. Im letzten Jahr hat diese Veranstaltungsidee begonnen und dort kann jeder Interessierte die Schauspieler aus direkter Nähe ohne Kostüm sehen und hören. Im lockeren Gespräch erzählen die Ensemblemitglieder über sich, die Festspiele und ihre beruflichen Erlebnisse und Pläne. Der Eintritt dabei ist frei.

Zwar kam der Innenminister Wolfgang Schäuble aufgrund der versuchten Terroranschläge in London nicht zur Premiere, aber für seine Sicherheit wurde großer Aufwand betrieben. Beamte des Bundeskriminalamts sondierten den Heylshof, den Park und auch das Festivalgelände mit Bühne und Backstage-Bereich. Man achtete genau auf mögliche Verstecke für Angreifer und legte die Plätze fest, wo die Sicherheitskräfte und Bodyguards des Ministers Platz nehmen würden. Kurz vor der Vorstellung zur Premiere wurden noch einmal Polizeibeamte mit Suchhunden eingesetzt, die das Gelände nach Sprengstoff untersuchten.

Auch Angebote zu den Nibelungen, die über das ganze Jahr verteilt sowieso laufen, wurden von Festspiel-Besuchern gerne wieder angenommen. Z. B. unternahm der Wormser Nibelungen-Herold Nachtführungen durch das geheimnisvolle Worms des Mittelalters, und Kriemhilds Zofe Fredegunde unternahm tagsüber inszenierte Gästeführungen im historischen Kostüm. Mehr zum jährlichen Programm der Nibelungen-Thematik findet sich unter www.nibelungenmuseum.de, der freie Eintritt ins Museum ist zu den Festspielen immer über das Veranstaltungsticket gewährleistet.

Bereits im vierten Jahr versteigert die Wormser Hobby-Malerin _Sieglinde Schildknecht_ ihre Bilder, die von den Festspielen inspiriert sind. Signiert sind diese Bilder immer mit den Unterschriften der Schauspieler und der Erlös kommt wie in den Vorjahren dem Wormser Tierheim zu. Erstmals hatte dieses Jahr auch Intendant Dieter Wedel unterschrieben. Die Auktion endete am 29. September 2006, die Abwicklung übernimmt wie in den Vorjahren das Resteraunte „La Forchetta“ der Familie Vallone in der Wollstraße in Worms. Am 4. Oktober übergab der Landtagsabgeorndete Jens Guth (SPD) das Gemälde dann im Vereinsheim des Tierschutzvereins dem Gewinner der Versteigerung.

Außerhalb des „offiziellen“ Rahmenprogramms gab es auch in der Volksbank Worms-Wonnegau noch eine Ausstellung „_Die Kunst und das Lied_“. Ortsansässige Künstler – Horst Rettig, Anna Bludau-Harry, Petra-Marlene Gölz, Gabi Krekel und Anita Reinhard – stellten in deren Foyer ihre Werke aus. Die Werke von Horst Rettig standen zuvor schon im Mainzer Staatstheater. 29 Nibelungen-Bilder gab es in der Volksbank – die von Anfang an zu den Sponsoren der Festspiele gehört – zu bewundern. Zur Eröffnung spielte das Klarinetten-Duo der Jugendmusikschule, Christina und Mareike Hüll.

Wie in den Jahren zuvor, wurde auch ein neues Schmuckstück präsentiert. Bisher konnte man den Nibelungen-Ring, gestaltet durch den Künstler Eichfelder, in Gold und Silber erwerben. In diesem Jahr stellte Annette Kienast-Kistner einen weiteren goldenen Pax-Ring vor, den sie in Anlehnung an das Nibelungen-Denkmal auf dem Torturmplatz nach einem Entwurf von Horst Rettig gefertigt hat.

Da _Dieter Wedel_ als Workaholic seinen Ruf hat, verwunderte es nicht, dass er während der 14-tägigen Festspielzeit in den „Freiräumen“ regelmäßig stundenlang im alten Bäderhaus in Pfeddersheim mit Filmeditorin Patricia Rommel seinen neuen Fernsehfilm schnitt. Diese und ihr Assistent hatten bereits im Vorfeld einen „Rohschnitt“ erarbeitet. Alle gedrehten Einstellungen sind im Comupter in Ordner einsortiert und die Cutterin (wie dieser Beruf früher hieß) bietet Wedel „Takes“ (also Einstellungen) an, die Wedel überprüft und verändert. Gedreht wurde dieser eineinhalbstündige Film „_Mein alter Fritz_“ vom 30. März bis 6. Mai und er kommt im Januar 2007 ins ZDF. „Es ist der Versuch, einen heiteren Film zu machen über Probleme im Krankenhaus, über den Tod und was danach kommt“ (Wedel). Es spielt wie gewohnt ein Staraufgebot. Im Mittelpunkt steht Chefarzt Harry Seidel, gespielt von Ulrich Tukor, seine Gattin Lydia mimt Veronica Ferres. Außerdem mit dabei sind Maximilian Brückner, Otto Schenk, Uwe Bohm und Anna Hausburg. Und etliche aus Wedels Nibelungen-Ensemble der bisherigen Festspieljahre: Robert Dölle, Wolfgang Pregler, Valerie Niehaus, Wiebke Puls, Dominique Voland (Wedels Lebensgefährtin, die in diesem Jahr mit in Worms agierte) und sein Regie-Assistent Joern Hinkel.

Seit September letzten Jahres unterhalten die Nibelungen-Festspiele sogar zwei _Ausbildungsplätze_, deren Inhalt es ist, kulturelle Veranstaltungen zu organisieren und zum Erfolg zu bringen. Seit einem Jahr gehören dadurch Katharina Fehlinger und Lina Kolling zum Festspielteam. Bisher waren sie in den Abteilungen Marketing, Pressearbeit, Sponsoring und Buchhaltung tätig und nun war die 21-jährige Katharina Fehlinger für den reibungslosen Ablauf der Premiere mitverantwortlich und die 23-jährige Lina Kolling betreute im Betriebsbüro das künstlerische Team mit Rat und Tat. Der berufliche Begriff ihrer Ausbildungen ist „Veranstaltungskauffrau“.

Wie immer zu den Festspielen tagte unter Leitung des Vorsitzenden Peter Weck das _Kuratorium der Nibelungenfestspiele_ im Heylshof. Etwa die Hälfte der Mitglieder war anwesend. Neben den Wormsern Gernot Fischer (Ex-Oberbürgermeister) und Gunter Heiland (Ex-Kulturdezernent) waren Jürgen Kriwitz (freier Produktionsberater aus Hamburg) und Intendant Dieter Wedel dabei, Eggert Voscherau (stellvertretender Vorstandsvorsitzender der BASF) und Kultusminister Jürgen Zöllner hatten Stellvertreter entsandt. Zentrales Thema war die Suche nach potenten Sponsoren. Weitere Firmen, deren Spitzenvertreter man ansprechen werde, wurden genannt. Ziel des Oberbürgermeisters Michael Kissel ist es natürlich, den städtischen Zuschuss, der nach 800.000 Euro im letzten Jahr dieses Jahr nur noch 600.000 Euro betrug, noch weiter zu verringern. Der Gesamtzuschussbedarf liegt bei 2,3 Millionen Euro und muss über Landeszuschüsse und Sponsorengelder gedeckt werden. Bislang sieht es so aus, dass das diesjährige Gesamtbudget von 4,7 Millionen Euro eingehalten werden konnte. Dies kann aber erst nach endgültiger Abrechnung feststehen.

In der letzten Festspielwoche besuchten dann auch Vertreter der rheinland-pfälzischen Landesregierung die Aufführung, um sich doch einmal ein Bild zu machen. MdL Manfreid Geis (Vorsitzender Kulturpolitischer Ausschuss des Landtags), Staatssekretär Dr. Joachim Hoffmann-Göttig (Kultusministerium RLP) und Staatssekretär Roger Lewentz (Innenministerium RLP) waren begeistert von dem, was ihnen geboten wurde. Natürlich kam auch nach der Premiere öfters noch ganz andere Prominenz zu den Aufführungen, die sehr oft namentlich auch in den lokalen Zeitungen genannt wurde, was allerdings den Rahmen dieses Essay überziehen würde.

Auf den Straßen begegneten einem ständig auswärtige Festspielbesucher, die nach besonderen „_Nibelungen-Mitbringsel_n“ fragen; diese gibt es natürlich zur Genüge. Beispielsweise seit vielen Jahren als „Nibelungenschatz“ – ein köstliches Mandelgebäck in festen Schatztruhen – vom Konditor Theo Schmerker, Inhaber des Café Schmerker in der Wilhelm-Leuschner-Straße.

Aber fündig wird man zur Festspielzeit auch alleine, wenn man durch die Innenstadt läuft. Die Ladenbesitzer nutzen natürlich den Werbeeffekt und tragen im Gegenzug auch mit ihren Schaufenster-Gestaltungen zur Nibelungen-PR bei. Dieses Jahr waren gleich in mehreren Schaufenstern in der Innenstadt die Originalkostüme der Nibelungen aus der Theaterproduktion von Karin Beier ausgestellt. Im Erdgeschoss im Haus zur Münze war das prunkvolle Gewand von König Etzel mit der meterlangen bunten Schleife zu sehen. Bei Optik Meurer hing der Umhang von Wiebke Puls alias Brunhild, ergänzt mit vielen Fotos der Inszenierung. Die ganze Schaufensterfront des Kaufhofs war von den Nibelungen belegt und wurde nach einem Umzug auch in der Ludwigshafener Filiale des Kaufhofs präsentiert. Manuela Liebig von den Nibelungen-Festspielen betreut diese Aktionen und stellt auf Anfrage auch im nächsten Jahr Interessenten Dekorationsmaterial plus Poster und Flyer zur Verfügung.

Sonja Kirchberger, die Wurstbrötchen liebt und zu deren Kauf regelmäßig in die Metzgerei „Hasch“ mitsamt Kind, Ehemann und Hund kam, hat, weil ihr diese so gut schmeckten, an die Eingangstür ein dickes Herz gemalt und mit Autogramm hinterlassen.

Das Wormser Sportstudio Black & White sponsert die Festspiele, indem es den Schauspielern kostenlose Trainingseinheiten spendiert, was von einigen der Schauspieler auch genutzt wird, um ihre Muskeln und vor allem Kondition aufzubauen.

Was wohl niemanden wundert, ist die Tatsache, dass alle Wormser Hotels nur lobend über die Festspiele sprechen, denn alle Unterkünfte sind natürlich voll belegt.

Ilka Ivanova Becker war bei den Festspielen als Dolmetscherin für den bulgarischen Schauspieler Itzhak Fintzi, der den Etzel spielte, tätig. Sie übersetzte ihm alle Regieanweisungen und umgekehrt seine Worte für die Schauspielerkollegen, außerdem war sie Sprachlehrerin für Maria Schrader, die in ihrer Rolle als Kriemhild ebenfalls bulgarisch sprechen musste. Eine weitere Aufgabe betraf die kyrillischen Texte der Etzel-Rolle. Die versierte Dolmetscherin und Diplom-Philologin, die im Stadtteil Heppenheim lebt, wurde nun zum Dr. phil. promoviert. Für ihre Doktorarbeit erhielt sie den Jürgen-Frietzenschaft-Promotionspreis des Vereins zur Förderung des Instituts für Deutsch als Fremdsprachenphilologie der Uni Heidelberg.

_Erwähnenswertes im Rückblick auf die Probenzeit_:
Die Proben dauerten täglich zehn bis zwölf Stunden und auch an Samstagen und Sonntagen von mittags ca. 15 Uhr und gingen bis zwei, drei Uhr in den Morgen (was für Anwohner natürlich eine Herausforderung an Belästigung darstellt). Das umfasste sowohl die Schauspieler wie auch die Statisten und diejenigen, die im Hintergrund arbeiten (Technik etc.). Ganz skurril war es, dass es ab der Premiere nur noch regnete und richtig kalt war, denn die ganze Probenzeit hindurch gab es eine etwa zweimonatige unerträgliche Hitze. Zwar wurde erst ab dem 8. August zur ersten offiziellen Hauptprobe in voller Montur gespielt, aber bis dahin war es auch in den Probekostümen von der Hitze her eine richtige Herausforderung. Mit am heißesten waren die Drehtermine für den Einspielfilm, in dem es um die abgewiesenen Brautwerber Kriemhilds ging. Das war bei großer Hitze ein schweißtreibender Dreh in schwerem Brokat und Rüstungen. Doch man klagte nicht über die Hitze. Aber sobald mal 15 Minuten Pause angesagt waren bei den täglichen Proben, stürmten alle Akteure ins Cateringzelt auf dem Platz der Partnerschaft, um ihre durstigen Kehlen zu kühlen. So haben in diesem Jahr die Schauspieler zwei sehr gegensätzliche Extreme durchlebt.
Eines der ungewöhnlichsten Probeereignisse waren sicherlich die Einübung der finnischen Nationalhymne und die finnischen Lektionen für die Komparserie. Neu in Rinkes Nibelungen-Interpretation war ja auch, dass finnische Bewerber bei Brunhild auf Island erscheinen. Bei ihrem Eintreffen wurde von den Komparsen die finnische Nationalhymne angestimmt. Da Finnisch auch nicht gerade zu den gängigen Sprachen gehört, wurde eine Sprachlehrerin engagiert, die alle anleitete, wie z. B. Brünhild als Königin anzusprechen ist: „kunigatterareni“. Die Betonung liegt auf der ersten Silbe und die beiden „t“s werden nicht gesprochen. Richtig schwieriges Training war das.
Die ersten Besucher, die bei Proben anwesend sein durften, waren zwölf Jungreporter, die im Rahmen der Ferienspiele der Stadt am Projekt „Mit der WZ auf Reportagetour“ teilnahmen. Sie durften auf die Bühne, in die Waffenkammer und ins Atelier der Bühnenbildnerin. Was sie recherchierten, fotografierten und schrieben, war auf einer Sonderseite der WZ zu lesen, die sie selbst erstellten.
Auf der ersten Medienprobe gab es dann eine Überraschung. Regie-Assistent Joern Hinkel spielte die Königsmutter Ute. Hintergrund war, dass die dafür verpflichtete Renate Krößner von Wedel gekündigt war, da er sie beim Umsetzen der Szenen für zu langsam empfand. Krößner ist dem Kinopublikum durch „Liebling Kreuzberg“ oder „Helden wie wir“ bekannt. Bis man dann Ute Zehlen als Ersatz fand, wurde eine ganze Zeit ohne eine weibliche Ute geprobt. Zur Medienprobe reisten zahlreiche Fernsehteams, Hörfunkreporter und schreibende Journalisten an. Vorgeführt wurden dafür zwei Szenen: die Ankunft Siegfrieds am Burgunderhof und die von Rinke neu geschriebene Szene der Ankunft der Burgunder in Brunhilds eisiger Welt. Anschließend ließen sich alle Schauspieler interviewen. Und wer wie ich regelmäßig die Probenberichte in den Zeitungen verfolgte, entdeckte auf einigen Bildern Fotos mit Szenenbeschreibungen, die in der Endfassung dann doch wieder gestrichen waren.

_Ausblick_

Der zweite Teil wird „Die letzten Tage von Burgund“ heißen und mit dem Eheleben Gunthers und Brünhilds beginnen. Das Stück setzt noch ein wenig vorm Ende des ersten Teils an, so dass auch Siegfried noch einmal seinen Auftritt haben kann. Er war ja am Ende des ersten Teils bereits ermordet worden. Im zweiten Teil kommen Siegfried und Kriemhilde noch mal am Wormser Hof zu Besuch, die einstigen Themen kochen wieder hoch und das Drama beginnt. Es ist im Grunde ein eigenständiges neues Stück, das man auch sehen kann, ohne den ersten Teil gesehen zu haben. Mehr zum Inhalt auch oben unter „Besetzung“, dort unter „Moritz Rinke“.

Dieser zweite Teil wird wieder auf der Nordseite des Domes stattfinden. Ohne Dom sind die Festspiele im Grunde undenkbar, aber es ist jedes Jahr erneut ein harter Kampf, denn das Gotteshaus wird jährlich in seinem eigentlichen Zweck sehr stark beeinträchtigt. Mit Beginn des Bühnenaufbaus war dieses Jahr wieder das Südportal – der eigentliche Haupteingang des Doms – nicht mehr zugänglich und die Besucher mussten über den normalerweise ungenutzten Eingang Nordportal in den Dom gelangen. Auch der Domplatz selbst am Südportal ist mit Bauzäunen sehr früh komplett abgesperrt. Um die Finanzen etwas zu verteilen (der Aufbau der Technik und der Bühne ist das Teuerste), soll in Zukunft die Festspielzeit länger als zwei Wochen gehen. 2008 wird wahrscheinlich drei Wochen gespielt, erneut auf der Südseite des Doms, und dabei der erste und der zweite Teil abwechselnd zur Aufführung gebracht werden. Der Wunsch Rinkes, in einer langen Aufführung beide Teile hintereinander zu spielen, wird bislang von Dieter Wedel abgelehnt, da er das für eine zu große Zumutung für die Zuschauer wie auch für die Einwohner einstuft. Und 2009 wird es wieder ein ganz neues Stück geben, wo der Schreiber bereits von Regieassistent Joern Hinkel und Dramaturg John von Düffel gesucht wird. Ob Dieter Wedel seinen Fünfjahres-Vertrag, der 2008 ausläuft, überhaupt verlängert, ist von diesem bislang nicht zu erfahren.

Alle diese Pläne – wo und wie lange – müssen allerdings erst noch vom Stadtrat und vom Aufsichtsrat entschieden werden, wobei derzeit aufgrund der Wettererfahrungen darüber nachgedacht wird, ob man nicht die Aufführungen bereits im Juli anstatt wie bislang im August durchführen sollte.

Auch für Veranstaltungen des Rahmenprogramms empfiehlt sich eine frühzeitige Kartenreservierung. Auch in diesem Jahr zeigte sich, dass fast alle Veranstaltungen sehr bald ausverkauft waren.

Seit letztem Jahr im Gespräch ist auch die Aufführung eines Nibelungen-Musicals von Dieter Wedel, das der Wormser Schauspieler Eisermann sehr unterstützt. Auch setzt sich Eisermann, der aus einer Schausteller-Familie stammt, für einen Nibelungen-Freizeitpark in Worms ein. Vermischt in diesem Projekt sind Schauspielerei und Schaustellerei. Ein prächtiges Spektakel mit Drachen, Schätzen, Waffen, Wildwasserfahrten und Achterbahnen – was die Nibelungen von ganz anderer Seite her nochmals in ganz Deutschland bekannt und berühmt machen würde. Zwei mögliche Sponsoren und der Oscar-gekrönte Filmausstatter Rolf Zehetbauer hätten schon Interesse gezeigt, sagte Eisermann in einem Interview mit der dpa. Denkbar sei das Projekt in den nächsten fünf bis sieben Jahren. Von Seiten der Stadt gibt es in beiden Fällen noch kein grünes Licht, denn beides erfordert hohes finanzielles Risiko, und gerade was den Freizeitpark angeht, braucht es einen sicheren privaten Initiator – einen solchen würde die Stadt natürlich auch unterstützen. Aus städtischen Mitteln zu finanzieren sind beide Vorschläge nicht.

Was funkende Ideen angeht, wäre man eigentlich gut beraten, die in Worms ansässige Journalistin Ulrike Schäfer zu befragen. Denn sie kennt sich als Mitglied der Nibelungenlied-Gesellschaft bestens aus und bot als Chefredakteurin des „Wormser Wochenblatts“ auch schon einige Themen an. Sie schlug vor, der frustrierten Brünhild doch mal eine Affaire mit Hagen anzudichten, um ihn für ihre Rachezwecke einzuspannen, denn er bringt ja auch schon alle Qualitäten, die sie sucht, mit. Auch einen One-Night-Stand zwischen Giselher und Brunhild fände sie gut, dann aber möglichst mit Andre Eisermann als Liebhaber. Einen schwulen Siegfried hatten zwar schon Petra Riha und Heike Feldmann aus Worms in einer Szene herausgearbeitet, aber für ausbaufähig hält sie auch dieses Thema durchaus noch. Im Stil der Zeit könnte auch Siegfrieds Mord ein einfacher Motorradunfall sein. Hagen könnte ja irgendwie ’ne Schraube lockern und bei Nierstein oder Nackenheim ist es dann so weit. Aber sie persönlich würde auch gerne in Worms mal „Die lustigen Nibelungen“ von Oskar Straus sehen.

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_Veranstalter_ des kompletten Events sind die
Nibelungen-Festspiele GmbH, Bahnhofstr. 4, 67547 Worms
_Intendant_ Dieter Wedel
_Aufsichtsratsvorsitzender_ Micheal Kissel
_Geschäftsführer_ Ulrich Mieland, Thomas Schiwek
_Künstlerischer Betriebsdirektor_ James McDowell
_Aufsichtsrat_ Ernst-Günter Brinkmann, Theodor Cronewitz, Petra Graen, Alfred Haag, Hans-Werner Kloster, Heidi Lammeyer, Kurt Lauer, Astrid Perl-Haag, Hans-Joachim Rühl, Ilse Seiler, Elke Stauch
_Kuratorium_ Prof. Hark Bohm, OB a.D. Gernot Fischer, Gunter Heiland, Prof. Dr. Hellmuth Karasek, Jürgen Kriwitz, Karl Kardinal Lehmann, Dr. Elke Leonhard, Prof. Dr. Jan-Dirk Müller, Dr. Friedhelm Plogmann, Karlheinz Röthemeier, Prof. Armin Sandig, Markus Schächter, Bundesministerin Dr. Annette Schavan, Eggert Voscherau, Prof. Peter Weck, Prof. Dr. Jürgen Zöllner

_Rahmenkulturprogramm_ Petra Simon, Volker Gallé, Joern Hinkel
_Pressesprecherin_ Simone Schofer
_Umsetzung gestalterische PR_ Thorsten Oparaugo

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_Interessante Zusatzlinks:_

Weitere Artikel und Berichte unter http://www.wormser-zeitung.de/wasnlos/nibelungenfestspiele

http://www.nibelungenmuseum.de

http://www.nibelungenfestspiele.de

http://www.nibelungenlied-gesellschaft.de

Startseite

Verweisen möchte ich auch auf den Festspielbericht von 2005 unter http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=50.

|Grundlage des Berichtes bildeten die Auswertung der Berichterstattungen in der lokalen Presse sowie die eigene Teilnahme am Geschehen.|

Nibelungen-Festspiele Worms 1

LIEBE, HASS UND EIFERSUCHT

Siegfrieds Frauen

Waren anfangs in der Bevölkerung die Festspiele wegen der hohen Kosten umstritten, identifiziert sich mittlerweile im fünften Jahr der Veranstaltung die Mehrheit der Wormser mit dem jährlichen Großereignis. Man ist erfreut, dass der Kultur in Worms endlich der Stellenwert wieder zuerkannt wird, der ihr aus der Geschichte her schon lange gebührt. In den meisten Städten stagniert die Kultur, Worms dagegen investiert gegen den Mainstream. Diesen Umstand hatte auch schon der große Konzertveranstalter Fritz Rau bei seiner Lesung im Programm des diesjährigen Wormser Jazzfestivals thematisiert, die Stadt Worms als Ausnahmeveranstalter gelobt und erklärt, dass er solches Engagement und finanzielle Unterstützung für Kultur kaum zuvor kennen gelernt habe.

„Von helden lobebaeren und großer arebeit“

Nach Karin Beiers Inszenierung von Friedrich Hebbels Nibelungen der letzten beiden Jahre war für 2006 wie auch für 2007 wieder Moritz Rinke verantwortlich, der auch schon das Stück für die Aufführungen von 2002 und 2003 schrieb. Allerdings war es keine Wiederholung, sondern Wedels Überarbeitung hat das Werk im Grunde auf zwei Teile angelegt. Die ersten Kritiker vermuteten dahinter Strategie, denn wer den ersten Teil gut fand, will auch den zweiten sehen. Im Grunde typisch für Wedels Fernseharbeiten. Der erste Teil (ein dreistündiges Spektakel um Liebe, Verrat und starke Weibsleute) „Siegfrieds Frauen“ wurde in diesem Jahr der Öffentlichkeit vorgestellt. Wo Karin Beier im letzten Jahr auf die starken Hebbel-Dialoge setzen konnte, lässt Wedel die Macht der Bilder sprechen und nutzt zudem die Fläche vor dem Wormser Dom vollständig aus. Dabei schwirren bis zu fünfzig Personen gleichzeitig herum und auch die imposanten Bäume sind mit in das eigentliche Spielgeschehen einbezogen. Sehr positiv ist, dass Wedel die Kritik an der damaligen Rinke-Inszenierung sehr ernst nahm und die als störend empfundenen Gags auf ein Mindestmaß zurückgefahren hat, was bewirkt, dass das Stück insgesamt ernsthafter und weniger slapstickhaft daherkommt. Das wird besonders bei Siegfried deutlich. Dieser feierte 2006 sein Comeback als ernst zu nehmender tragischer Held. Ansonsten orientiert sich das Stück weitgehend an den Aufführungen von 2002 und 2003. Immer wieder wird auch dezent die Stadt Worms in die Handlung mit eingebaut. König Gunther trinkt Flörsheim-Dalsheimer Wein, Andre Eisermann macht köstliche stadttypische Scherze auf „wormserisch“ oder Hagen und Isolde wollen für ein „Date“ im „Wäldsche“ (dem Wormser Naherholungsgebiet) verschwinden. Mehr zum Inhaltlichen des Stückes auch weiter unten unter „Besetzung“ und dort unter „Moritz Rinke“.

Gespielt wurde wie in den ersten Jahren wieder auf der Südseite des Doms (die letzten beiden Jahre gab es die Festspiele auf der Nordseite). Mit 2450 Plätzen standen somit für die gesamte Dauer 13550 Sitze mehr als in den Vorjahren zur Verfügung. Anders gerechnet, gab es 2005 19000 Plätze und in diesem Jahr 32000 Plätze. Oder statt 1450 2450 pro Abend.

Schon der Vorverkauf übertraf das Vergleichsjahr 2005. Recht bald waren die Premiere wie auch alle Wochenendaufführungen inklusive der Freitage ausverkauft. Neu war auch der mögliche Besuch der Generalprobe – was in den Vorjahren nicht möglich war – zu sehr günstigem Preis (5 Euro), die einem wohltätigen Zweck zufließen: der Kinderklinik des Stadtkrankenhauses. Alle 1000 Lose waren Gewinne, wenn auch nur 750 Aufführungskarten. Die anderen 250 Karten waren 100 Karten für Führungen hinter der Kulisse, 100 Familienkarten fürs Nibelungenmuseum sowie 50 Einkaufsgutscheine der WZ. Hinter dieser Aktion standen die Wormser Zeitung, die Nibelungenfestspiel GmbH und der Wormser Oberbürgermeister Michael Kissel. Initiator der Aktion war Kissel, weil er wollte, dass diejenigen, die nie reguläre Karten kaufen, sich dennoch mal ein Bild von den Festspielen machen können. Eine sinnvolle PR-Aktion, um die Akzeptanz in der Stadt noch mehr zu steigern. Diese Karten wurden öffentlich verlost und waren innerhalb von nicht ganz einer halben Stunde ausverkauft. Schon eine Stunde zuvor waren die meisten gekommen. Allerdings gab es auch keine 2450 Plätze, sondern das Publikum blieb auf 750 beschränkt. So reichten die tausend Lose auch nicht für alle, die Lose wollten. Ausgeteilt wurden die Gewinnerkarten direkt durch OB Kissel und Pressesprecherin der Festspiele, Simone Schofer. Eine Generalprobe ist ein besonderes Ereignis. Gespielt wird wie in den kommenden zwei Wochen auch, aber Regisseur Wedel sitzt in den Zuschauerrängen und beobachtet mit seinem Assistenten noch einmal sehr genau. Es kann sein, dass er auch unterbricht und Anweisungen gibt. Es ist auch die letzte Gelegenheit, etwas vor der Premiere noch mal zu ändern. Und Dieter Wedel hat nach dieser Aufführung auch eine kleine Szene noch einmal umgestellt, da sie ihm bei der Generalprobe zu schleppend vorkam. Normalerweise kann man für eine Generalprobe keine Karten erwerben.

Überhaupt zeigte man sich dieses Jahr sozial und spendabel. Zwar vergibt die Stadt schon immer Freikarten an sozial tätige Verbände als Dankeschön für die geleistete Arbeit. Dieses Jahr wurden nun erstmals in einer Sonderaktion auch bundesweit Freikarten für junge Menschen zwischen 14 und 25 Jahren, die ehrenamtlich in den Bereichen Kultur, Soziales, Politik und Sport aktiv sind, zur Verfügung gestellt, um sie an die Nibelungensage heranzuführen. Auch die Inhaber von Jugendleitercards waren herzlich eingeladen. Diese Idee gab es bereits seit langem, aber bisher reichte das Platzangebot dafür nicht aus. Gruppen, die mehr als zehn Personen umfassten, konnten von zwei Begleitern betreut werden. Deren Tickets waren ebenfalls kostenlos. Günstige Übernachtungsmöglichkeiten bot die Jugendherberge Worms. Natürlich war das Kontingent dennoch begrenzt. Ob das Angebot im nächsten Jahr wieder besteht, entzieht sich meinen Informationen. Es lohnt sich vielleicht ein Blick ins Internet, wo das Anmeldeformular in diesem Jahr zu finden war unter http://www.worms.de in der Rubrik Tourismus. Oder einfach mal beim Kinder- und Jugendbüro der Stadt Worms nachfragen.

Die Prominenz läuft in Worms zum Empfang über den „roten Teppich“ und die Bürger schauen dabei neben dem Presseaufgebot zu. Bewundernswert, wie da ausgeharrt wurde, um diese zu sehen, und bei Sonnenschein wäre es sicherlich noch mehr Publikum geworden. Ich bin allerdings auch irgendwann – bevor es richtig losging – frierend und bibbernd durch den Regen wieder nach Hause gelaufen. Zu den Prominenten der diesjährigen Premiere (die dieses Jahr noch zahlreicher waren als im letzten Jahr, insgesamt fast 2100 geladene Gäste – 1470 plus 250 Medienvertreter plus den 300 Personen die über den roten Teppich liefen und eigenen Empfang erhielten, aber auch 450 Normalzahlende) gehörten Götz und Jenny Elvers-Elbertzhagen, Jessica Stockmann, Mariella Ahrens, Christian Quadflieg, Anuschka Renzi, Dagmar Berghoff, Claus Kleber (heute journal, ZDF), Wilhelm Wieben (Ex-Tagesschau-Sprecher), Konstantin Wecker, Mariella Ahrens, Roberto Cavollo, Ute Henriette Ohoven, Joachim Król, Manfred Zapatka, Karin Beier, Felicitas Woll, Inez Björg David, Janin Reinhardt, Bettina Zimmermann, Uwe Bohm, Ilja Richter, Michael Greis, Wolfgang Holzhäuser, Patrick Graf von Faber-Castell, Joy Grit Winkler, Margit Conrad, Klaus Bresser (ehemaliger Chef-Redakteur ZDF) und viele ungenannte. Innenminister Wolfgang Schäuble – für den im Vorfeld besondere Sicherheits-Maßnahmen vorbereitet werden mussten (mehr unten unter „Sonstiges“) – hatte aufgrund der vereitelten Terroranschläge tags zuvor in London kurzfristig absagen müssen. Die meisten Prominenten reihen die Nibelungenstadt inzwischen in die Riege der großen Festspielstädte ein. Vorgefahren sind die Prominenten in edlen Karossen einer Stuttgarter Nobelfirma. Allerdings kam Kurt Lauer, Fraktionsführer von Bündnis 90/Die Grünen im Stadtrat, zwar auch mit Chaffeur, aber in einer abgasfreien Rikscha, wofür es von den Zaungästen einen Extra-Applaus gab. Enthusiastisch wurde ansonsten nur bei Dieter Wedel und seinen Begleitdamen geklatscht. Zum Essen der Prominenten spielte die Drei-Mann-Kapelle „Farfareilo“ aus Köln. Kameramann Markus Wolfsiffer vom „Montagsmagazin“ im Offenen Kanal Worms war mitten im Pulk der Medienvertreter, die die Stars und Prominente filmten, die zur Premiere gekommen waren und dies wurde auch im lokalen Fernsehen ausgestrahlt. Genauso wie auch Ausschnitte der Aufführung, die der ehemalige ZDF-Kameramann Wilfried Saur für den Offenen Kanal vorbereitet hatte.

Ein Beweis der „Nibelungen-Treue“ zeigte ein Fax, das bei der Festspiel GmbH einging: „Wir wünschen allen Nibelungen eine tolle Zeit 2006“, unterzeichnet mit Königskrone und „Familie Król“. Fast alle Mitglieder des Ensembles vom letzten Jahr kündigten zur Premiere oder zu einer Vorführung danach zahlreich ihr Kommen an. Wibke Puls reiste von München an, Maria Schrader hat gerade ihr erstes Filmprojekt als Regisseurin beendet und kam aus Israel, Karin Beier und Michael Wittenborn stoppten kurz in Worms auf der Durchreise. Regisseurin Karin Beier ist in der Spielzeit 2007 Schauspielchefin am Kölner Schauspielhaus. Auch konnte sie von der Festspielleitung gleich noch ganz andere Glückwünsche für sich und ihren Mann Michael Wittenborn (der in ihrer Nibelungeninszenierung den Markgrafen Rüdiger von Bechelarn spielte) entgegennehmen. Sie hat eine Tochter zur Welt gebracht. Auch Joachim Nimtz, der in den ersten beiden Jahren den Burgwächter spielte, war gekommen. Und ebenso Manfred Zapatka, der zurzeit für eine ZDF-Serie als Kriminalkommissar vor der Kamera steht, die ab Oktober ausgestrahlt werden wird. Und natürlich die Königsfamilie von Joachim Król („Król“ bedeutet „König“ auf Polnisch). Diese „Nibelungentreue“ fand schon während der gesamten Proben statt. Joachim Król rief öfter an, um sich nach deren Verlauf zu erkundigen. Auch Maria Schrader rief öfter an und sprach dabei auch mit den neuen Ensemblemitgliedern.

Für die Premierengäste steht auch ein spezieller Styling-Service zur Verfügung. Top-Stylist und Prominentenfrisör Jens Dagné frischt den Gästen kostenfrei das Make-up auf und macht auch das Haarstyling wieder perfekt. Jens Dagné ist Preisträger zahlreicher Wettbewerbe. Wenn dagegen etwas mit dem edlen Gala-Outfit passieren sollte, steht Schneidermeisterin Gerlinde Schidrich mit Nadel und Faden bereit.
Im Vordergrund steht dergleichen leider immer: Was tragen die Promis an teurer Mode? Das war zur Premiere angesichts der überraschend eingebrochenen Kälte nach der wochenlangen Hitze etwas bitter. Obwohl bereits Tage zuvor klar war, welches Wetter zu erwarten ist, hatten dies nicht alle in ihrem Outfit beachtet. Bei der Premiere goss es leider nach der Pause – in der es in dem herrlichen Park-Ambiente Sekt, Wein und Bier gab – in Strömen; trotzdem hielten Schauspieler und Zuschauer bis zum Schluss tapfer durch. Es stand durchaus auf der Kippe, dass abgebrochen hätte werden müssen. Trotz des Regens ist die Premiere mit stehenden Ovationen und minutenlangem Applaus des Publikums über die Bühne gegangen. Die Amazonen Brünhild und Isolde froren klatschnass und nur leicht bekleidet. Umgekehrt kam vom Ensemble der Beifall an das Publikum, das trotz der widrigen Umständen auch nicht aufgegeben hatte. Die Promis sind fast allesamt bis in den Morgen im nassen Heylshof geblieben. Von Trübsal zeigte man keine Spur. Giselher (Christian Nickel) schnappte sich im Stil von „dancing in the rain“ eine Tanzpartnerin auf dem klatschnassen Rasen um halb drei Uhr nachts, und andere Paare schlossen sich ihnen an. Nur Autor Moritz Rinke und Intendant Dieter Wedel waren aufgrund des Wetters etwas gedrückt und keineswegs euphorisch. Natürlich wäre es bei sommerlichem Wetter viel besser gewesen, aber immerhin musste nicht abgebrochen werden. Die Technik hat gehalten, ohne dass bei strömenden Regen die Mikrophone aufgaben. Es gab nur einen kleinen Kurzschluss, weshalb eine Filmeinspielung erst etwas später losging. Keiner der Schauspieler ist auf der rutschig-nassen Bühne ausgerutscht, es gab keine Verletzungen. Nicht zuletzt sorgte der Dauerregen für ein Gemeinschaftsgefühl, das dem Publikum auch in Erinnerung bleiben dürfte.

Eine Aufführung gilt als vollständig, wenn bis zur Pause nicht abgebrochen wurde. Ob es regnen würde, konnte man nie vorher sagen. Nur bei Abbruch in der ersten Halbzeit wird für die Besucher Ersatz angeboten und dann an den sonst eigentlich spielfreien Montagen die Vorstellung nachgeholt. Kleine Regenpausen in der ersten Halbzeit, wo eventuell kurzzeitig abgebrochen würde, waren eingeplant, so dass sich die Aufführungszeit entsprechend verlängert hätte. Nur bei ganz starkem Regen kommt es zum vollständigen Abbruch. Nur eine Aufführung musste – obwohl es durchweg schlechtes Wetter während der Festspiele gab und jeden Tag regnete – kurz vor 0.30 Uhr abgebrochen werden. Es goss wieder in Strömen, aber es drohte auch die Gefahr einschlagender Blitze. Alle Schauspieler ernteten trotz aufkommender Hektik auch hier freundlichen Applaus, bevor das Unwetter völlig hereinbrach. Ich besuchte regenfrei die Vorstellung direkt nach der Premiere, aber es war ziemlich kalt und eingehüllt in Decken gerade so zu ertragen. Großen Respekt verdienen deswegen die Schauspieler, die teilweise kaum bekleidet und barfuß diese Festspielzeit durchstanden. Trotz des diesjährigen wirklich miserablen Wetters für Freilichtaufführungen hatten die Aufführungen eine Auslastung von 87 %. Die Spielstätte vorm Dom ist für eine Theateraufführung auch grandios, die Schauspieler sind allesamt hervorragend. Das Zuschauer- und Medieninteresse geht zudem jährlich nach oben.

Das Stammlokal des Nibelungenensembles ist das kleine Ristorante „La Carbonara“ im Adenauerring. Auch im fünften Festspieljahr gehört es schon zur Tradition, dass die Nibelungen nach den Proben oder Aufführungen dort einkehren. Hier hat man sich gemeinsam in diesem Jahr auch das WM-Spiel „Deutschland gegen Italien“ angesehen. Auch in der Festspielzeit war dort dieses Jahr Mario Adorf zu Gast, der seinerzeit die Nibelungenfestspiele mit aus der Taufe hob. Später war er zusammen mit dem Initiatorenteam Bettina Musall und Hans Werner Kilz im Zorn geschieden, weil das Trio mit der Berufung von Dieter Wedel als Intendant nicht einverstanden war. Da er aufgrund dieser Entwicklung keine guten Erinnerungen an die Nibelungenfestspiele hat, interessiert er sich auch nicht mehr sonderlich dafür.

Wie auch im letzten Jahr besuchten alle Schauspieler die Wäscherei der Wormser Lebenshilfe – eine Behinderteneinrichtung –, in welcher seit nunmehr drei Jahren täglich deren Wäsche gewaschen, getrocknet und gebügelt wird. Die schwierigste Reinigung ist nicht, wie man meinen könnte, das blutige Hemd von Siegfried, sondern es sind die Kostüme der Ordensschwestern. Während der Festspiele wird mehr gearbeitet als sonst, die Arbeitszeit beginnt früher und schließt auch die Wochenenden mit ein. Diese Behinderten sind mittlerweile große Fans der Nibelungen, sammelten teilweise schon vor den Festspielen Merchandising-Utensilien und gehen auch zu den Aufführungen. Der Besuch der Darsteller bei ihnen ist deswegen eine besonders nette Geste und darüber hinaus eine direkte menschliche Begegnung, die sich länger einprägt als irgendwelche städtischen Sehenswürdigkeiten. Im Gegenzug bekommen jährlich die Behinderten – „das Team der königlichen Burgunder-Wäscherei“ – auch eine Backstage-Führung geboten. Dabei beeindruckt sie vor allem die „Waffenkammer“ (ein entsprechendes Zelt und Container), über und über mit Theaterwaffen gefüllt. Mancher kam sogar in den Genuss, eine der Rüstungen anziehen zu dürfen. Die Kostüme sind wiederum in anderen Containern verstaut. Die meisten Kostüme sind doppelt bis dreifach vorhanden. Der Weg, den die Schauspieler zur Bühne zurücklegen müssen, erwies sich für die Behinderten als schwierig. Rollstühle z. B. mussten zusammengeklappt werden. Ein Rollstuhlfahrer durfte zur Entschädigung eine Fahrt mit der Hubbühne nach oben mitmachen. Die Zusammenarbeit der Festspiele mit der Lebenswerkstatt wird in den nächsten Jahren fortgeführt.

Und nachdem alles vorbei war, bekundeten wie jedes Mal alle Schauspieler, dass sie durchaus auch mit Abschiedsschmerz von Worms fortgehen.

Presseecho

2002 gaben sahen noch viele Kritiker die Aufführung vorm Wormser Dom als Eintagsfliege und attestierten kaum Überlebenschancen. Die Geschichte hat ihnen mittlerweile das Gegenteil bewiesen. Die Berichterstattung in der Boulevard-Presse zu den Festspielen war wie jedes Jahr überaus groß. Schon zur Fotoprobe vor der Premiere gab es Riesenandrang: acht Fernsehteams von ARD und ZDF bis RTL und ca. 60 Fotografen aus dem gesamten Bundesgebiet nutzten die Gelegenheit, Szenen und Bilder aufzunehmen. Während der eigentlichen Aufführungen besteht ja auch für die Medien Fotografier- und Drehverbot. Aber auch in den Wochen zuvor zur Probezeit kamen die Journalisten von überall, ob München, Hamburg oder Berlin, um bei den Proben dabei zu sein und Interviews zu machen. Vorberichte erschienen in Magazinen wie der „Gala“, in der „Bunten“, in der „Frau im Spiegel“ oder als Programmtipp im „Focus“. SAT.1 hatte in seiner „Kulturzeit“ auf die Festspiele hingewiesen, 3sat begleitete mit der Sendung „Foyer“ die Proben. Im Theaterkanal wurde Jasmin Tabatabai in der Sendung „Abgeschminkt“ portraitiert. Auch die Nachrichtenagenturen brachten bundesweit mehrere Meldungen zum Verlauf der Proben. Zeitgleich zur Wormser Premiere fand die Premiere der „Dreigroschenoper“ unter der Regie von Karl Maria Brandauer im Berliner Admiralspalast statt. „Frau im Spiegel“ schrieb dazu mit fettem Titel: „Wedel siegt, Brandauer floppt in Berlin“. Damit war der „Promi-Besucher“-Faktor gemeint, denn im Gegensatz zur Berliner Premiere kamen zur Nibelungen-Inszenierung rund 2500 Premieregäste, die in Regencapes und dicke Decken gehüllt die grandiose Schauspielerriege frenetisch feierten. Diese Promistars sind der Regenbogenpresse wichtiger als die Nibelungenschauspieler selbst – abgesehen von Fotos von Dieter Wedel im Arm mit Sonja Kirchberger und Jasmin Tabatai. Die „Bunte“ titelte „Nasse Premiere – Jubel für Wedel und Crew“, die „Revue“ „Nibelungen-Festspiele – Jessica Stockmann glücklich als Single“ und verwechselte inhaltlich das Ganze mit dem „Ring der Nibelungen“, „Gala“ brachte eine Doppelseite und war angetan, natürlich auch die „BILD“ sogar in mehrfachen Ausgaben (wenn auch wie in früherer Berichterstattung wegen des Sex). Der Tagesspiegel war voll des Lobes über das neue Stück. Nicht immer sind die Kritiken natürlich gut, strenge Theater-Puristen haben ihre Schwierigkeiten mit der modernen Inszenierung. Die „Süddeutsche Zeitung“ fand, es gehe Wedel vor allem darum, das Stück „aufzusexen“. Dabei sollte man allerdings auch wissen, dass der dortige Chefredakteur Hans Werner Kilz einer der damaligen Festspiel-Initiatoren war und im Streit geschieden ist. Die Kritik der „Süddeutschen“ war dadurch auch am schärfsten: „Der Abend wirkt, als müsste Woody Allen im Mainzer Karneval eine Büttenrede halten“. Szenen wie die Vergewaltigungen sind allerdings inhaltlich notwendig, weil sie die Verkommenheit am Burgunderhof und die latente Gewaltbereitschaft aufzeigen sollen. Der „Mannheimer Morgen“ wiederholte einfach nur die Kritik an der damaligen Inszenierung, aber fügte auch ein Lob für die Verbesserungen der neuen Version hinzu. Und die „Rheinpfalz“ vermochte auch wenig mit dem Stück anzufangen. „Die Welt“ und „Frankfurter Rundschau“ druckten lediglich die Agenturmeldungen ab. In der „FAZ“ stand nach der Premiere gar nichts. Die meisten begrüßen es allerdings, dass dem klassischen Stück, dessen Verlauf und Ausgang fast jeder in Deutschland kennt, neues Leben eingehaucht wird. Für die Liebhaber klassischen Theaters war die Hebbel-Fassung von Karin Beier besser, für die Liebhaber von Event-Theater dagegen natürlich Wedels Version der Rinke-Fassung. All dies gehört dazu, wenn Festspiele erfolgreich bleiben sollen. Und berichtet wurde im Grunde überall: Ob „Kieler Nachrichten“, „Reutlinger General-Anzeiger“ oder „Leipziger Volkszeitung“. Die meisten mittelständischen Zeitungen bedienten sich der von dpa oder ddp-Agenturjournalisten positiv geschriebenen Berichte. Die Internetsuchmaschine „yahoo“ zählt 70 Tageszeitungen auf, die freundlich über die Festspiele berichteten. Erfreulicher sind natürlich seriösere Berichte wie in „Leute heute“ (ZDF), „Brisant“ (ARD) oder „Exclusiv“ (RTL). Im Mittagsmagazin des ZDF berichtete Dieter Wedel live im Mainzer Studio über seine neue Inszenierung und zeigte auch Ausschnitte aus seinen Filmsequenzen, die er in Worms und Umgebung gedreht hat. Ein ZDF-Team hatte zuvor dafür auch die Dreharbeiten in Worms begleitet, und auch davon wurden Szenen ausgestrahlt. Einen längeren Bericht strahlte auch der SWR in seiner Sendung „Landesart“ aus, mit Interviews mit Moritz Rinke, Jasmin Tabatabai und anderen Stars sowie Eindrücken vom Statistenlager, Interviews mit Komparsen und Vorstellung der Rüstungen und Kostüme. Jasmin Tabatabai hatte auch einen eigenen Auftritt im ZDF in der Sendung „Volle Kanne“, wo sie über ihre Arbeit in Worms sprach. Im SWR4 kam der Hörfunkbeitrag in der „Radiogalerie“, wo sich Korrespondent Ralf Krause in der Wormser Innenstadt bei der Bevölkerung umhörte, um die Stimmung vor den Festspielen einzufangen. Ebenfalls im Hörfunkprogramm: ein Beitrag mit Jasmin Tabatabai (siehe unter Besetzung weiter unten). Und in der Radiosendung SWR1 „Leute“ war bei Katja Heijnen bei Sonja Kirchberger zu Gast. Während mittlerweile die Bayreuther Festspiele als staatlich subventionierte Reichenfestspiele in Verruf geraten sind, erklimmen die Nibelungenfestspiele in Worms ungeahnte Höhen in der Gunst des Publikums wie auch der Kritiker. Denn in Worms können sich auch „Otto Normalverbraucher“ eine Eintrittskarte leisten. Das Wirtschaftsmagazin „Capital“ bewertete in seiner diesjährigen Auswahl der „Top Ten“ der wichtigsten Festspiele in Europa das Wormser Kulturereignis mit Platz 1! In der Wertung sind bekannte Veranstaltungen aufgeführt, wie das Festival d`Avignon in Frankreich oder das Classic Open Air in Berlin. Eine wichtige Auszeichnung, übertitelt mit „Jenseits von Bayreuth“. Auch der SPIEGEL schrieb in Ausgabe 27/2006: „Nicht nur in Bayreuth, auch in Worms gibt es die Nibelungen – unter der Leitung von Dieter Wedel“. Aber nicht nur auf Platz 1 im „Capital“, sondern inzwischen auch in allen anderen Magazinen rangiert das hochrangige Wormser Theater unter den „Top Five“ aller deutschsprachigen Festspielstädte.

Das Publikum reagiert im Grunde genauso wie die Medienkritiker. Die einen sind enttäuscht und fanden die Erstversion viel besser, die anderen finden die neue Inszenierung bisher am besten (auch besser als die Hebbel-Aufführung von Karin Beier).

Besetzung

Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, wurde im fünften Jahr eine komplett neue Ensemble-Besetzung eingeführt.

Moritz Rinke hat das Stück neu geschrieben. Die erste Fassung von 2002 erstreckte sich über dreieinhalb Stunden, so dass nicht viel Zeit blieb, um das ganze Epos darzustellen. In der Hebbel-Version (nicht der von Karin Beier, sondern der originalen) dauert das Stück fast neun Stunden. Durch die Verlängerung konnte Rinke sehr viel vertiefen und hat bei den Frauen damit begonnen. Er erzählt mehr über Brünhild, die im eigentlichen Nibelungenlied irgendwann einfach verschwindet. Der Beginn des Stückes spielt in ihrer eigenen Welt in Island. Nach Burgund begleitet wird sie von ihrer Amme, Freundin und Beraterin Isolde, die frei dazuerfunden wurde und im Originaltext gar nicht vorkommt. Sie steht zudem in einer besonderen Beziehung zu Hagen, dessen Herz sie gewinnt und der bei Rinke ein „Anwalt des Rechts“ und keineswegs ein grimmiger Meuchelmörder ist und sich auch verlieben darf. Mit dieser Neuschöpfung steht er durchaus in einer Tradition, in der sich das Nibelungenlied immer wieder auch verändert. Gerade die Zudichtungen und Neuinterpretationen der bisherigen Schöpfer des Stoffes haben diese Tradition im Grunde so reich gemacht. Als Beispiel dazu dient vor allem Richard Wagners Inszenierung vom „Ring der Nibelungen“, der viele Elemente aus der Edda in den Stoff hineinbrachte. Auch das Verhältnis von Siegfried zu Brünhild und Kriemhild hat mehr Raum bekommen. Schon in der ersten Rinke-Version liebt Kriemhild zwar Siegfried, ist aber genauso auch von ihm enttäuscht. Ein neuer interessanter Aspekt ist, dass Kriemhild offen zugibt, den langweiligen Siegfried irgendwie loswerden zu wollen („ich habe zehn Jahre Hirschragout gegessen“) und dieser, immer öfter zur Flasche greifend, macht Brünhild überraschende Liebesgeständnisse. Diese männermordende Königin hatte ihm ja als Einzigem schon in Island angeboten, ihn ohne Kampf als Mann zu nehmen, was Siegfried ablehnte. Gernot, einer der Brüder König Gunthers, trägt auch neue überraschende Züge in seinem Charakter. Rinke ist mit seinen modernen Inszenierungen immer auch politisch. Die Gewalt im Stoff bekam in diesem Jahr eine besondere Aktualität durch den Libanonkrieg. Kriemhilds und Giselhers politische Ambitionen sind vertieft. Von Anfang an ist bei Rilke die Figur Kriemhilds ja auch schon an Ulrike Meinhof angelehnt, wobei sie sich im Stück natürlich nicht zur Revolutionärin in Meinhof’schem Sinne entwickelt. Überhaupt bleibt das Nibelungendrama aktuell, was den Kampf der Kulturen angeht und während die Gefahr des globalen Kriegsausbruchs täglich wächst. Nicht erst im zweiten Teil mit dem Untergang am Hunnenhof zeigt Rinke dies auf, sondern schon im ersten Teil, wo die christliche Welt der Burgunder auf die der heidnischen nordischen Königin Brünhilde prallt. Durch das Gefolge Brünhilds, die isländischen Edelfrauen, die mit ihrem heidnischen Götterkult einen krassen, fremden Gegenpol zur höfischen Welt in Worms darstellen, wird ein hochaktuelles Migrationsproblem thematisiert. Auch ist in den Dialogen zwischen Boten und Burgwächter viel Politik enthalten, besonders, was Soziales und Reformfähigkeit des Landes angeht. Dieter Wedel hat massiv in die Vorlage Rinkes eingegriffen, die als Buch nächstes Jahr zusammen mit dem 1. Teil erscheinen wird. Szenen wurden umgestellt, verschachtelt und einige gestrichen, wie beispielsweise, dass Siegfried in der besagten Nacht Kriemhild nicht nur mit Brunhild betrügt, sondern auch noch mit Isolde schläft. Eigentlich ein interessanter Zug, wo zur dreifachen Göttin oder den drei Nornen Analogien hätten hergestellt werden können. Andererseits hat Wedel der Figur der Brünhild noch mehr Tiefe gegeben, als diese in Rinkes Vorlage gehabt hatte. Was das Publikum letztlich sah, war nicht Rinkes Stück. Allerdings ist das eine Normalität im Theaterbetrieb. Der Streit zwischen Drehbuchautor und Regisseur gehört einfach dazu. Aber mit Wedel streitet sich Rinke am liebsten, da dieser psychologisch denkt, was es derzeit sonst im Theaterbetrieb nicht gäbe. Zum Zeitpunkt der diesjährigen Festspiele hatte Moritz Rinke den zweiten Teil „Die letzten Tage von Burgund“ fast fertig. Dieser wird mit dem zehnten Hochzeitstag von Gunter und Brunhild am Wormser Hof beginnen, die genervt, enttäuscht und verbittert sind. Zu solch einem Jubiläumsanlass werden natürlich die alten Streitigkeiten wieder ausgekramt. Zwei Drittel dieses Teiles sind vollkommen neu. Es gibt mehr Raum für Figuren wie Dietrich von Bern, König Etzel oder Rüdiger von Bechelarn. Siegfrieds Tod wird es noch einmal geben, denn die Handlung setzt noch einmal weiter vorne an. Kriemhild und Siegfried besuchen nämlich erstmal erneut ihre Verwandtschaft. Zwei Drittel des zweiten Teils handeln davon, wie es kommt, dass Siegfried getötet wird. Denn der Untergang wird schnell erzählt werden. Spannender ist die Verdichtung zwischen den bekannten Personen; das Darsteller-Tableau bleibt auch das gleiche. Für Moritz Rinke sind die Wormser Festspiele etwas ganz Großes, mehr Zuschauer habe auch Shakespeare in seinem Globe Theatre nicht gehabt. Irgendwann sollen beide Teile auch in einer langen Nibelungennacht nacheinander aufgeführt werden. Moritz Rinke wurde 1967 in Worpswede geboren, studierte Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen und arbeitete als Redakteur beim Berliner „Tagesspiegel“.

Dieter Wedel ist Intendant und führt auch Regie. Wie Moritz Rinke könnte er eigentlich nach der Premiere gehen, denn seine Arbeit ist dann im Grunde getan. Aber als Intendant blieb er die gesamte Festspielzeit (siehe auch weiter unten unter „Sonstiges“).

Joern Hinkel ist Regie-Assistent, aber spielt sogar bei der Brautwerbung einen finnischen Gesandten und nochmals einen bayrischen Brautwerber. Hinkel ist eigentlich studierter Opern-Regisseur. Aber er wollte schon immer auch Filme drehen. In München hatte er die Verleihung des bayrischen Fernsehpreises inszenieren dürfen und kam dadurch in Kontakt zu Starregisseur Wedel. Er kam deswegen zum Casting für die „Affaire Semmeling“ und Wedel hielt ihn für den Kameramann. Hinkel hat sich das Missverständnis nicht anmerken lassen und einfach gedreht und Wedel fand, er sei ein interessanter Kameramann. Zwar hat sich natürlich das Missverständnis aufgeklärt, aber seitdem arbeiten sie zusammen. Als Wedel 2002 nach einem Assistenten für die Nibelungenfestspiele Ausschau hielt, war von ihm aber noch gar nicht die Rede. Doch die vorgesehene Kollegin wurde krank. Seitdem wurde er zur „lebenden Telefonverbindung“ von Wedel. Seit Oktober 2005 lebt Hinkel in einer Vier-Zimmer-Altbauwohnung mit seiner spanischen Frau Monica, die er genauso zufällig kennen lernte. Nach den stressigen Festspielen 2002 begab er sich auf den Jacobs-Pilgerweg und begegnete ihr. Sie sprach kein Englisch, kein Deutsch und er kein Spanisch. Mit Wörterbuch wurde kommuniziert, aber es hat „gefunkt“. Mittlerweile klappt es spanisch-deutsch querbeet. Sie haben inzwischen einen eineinhalbjährigen Sohn Romeo, den man immer von dem Papa durch Worms geschoben begutachten kann. Nach den diesjährigen Festspielen will er einen eigenen Dokumentarfilm drehen über einen Mann, einen Außenseiter, der von Berlin nach München reitet.

Jasmin Tabatabai spielt die Kriemhild und damit viele Schattierungen: Revolutionärin am Burgunderhof in Worms, eitle Königstochter, liebende Frau und Antreiberin Siegfrieds. Sie musste sich als Kriemhild gegen ihre Vorgängerin Maria Schrader behaupten und wird vor allem erst 2007, wenn sich ihre Figur langsam aber stetig bis zum Wahnsinn steigert, zeigen können, ob die Glanzleistung von Schrader getoppt werden kann. Ihr letzter Bühnenauftritt liegt schon 13 Jahre zurück. Aber es war ihr ein Herzenswunsch, wieder Theater spielen zu können. Die Menge der 2400 Leute war kein Problem, sie hat schon vor mehr Menschen gespielt, als sie in der Kieler Ostseehalle mit ihrer Band als Vorgruppe für Nena vor 10000 Leuten einheizte. Zwar hatte sie noch nie so hart arbeiten müssen wie bei den Proben in Worms, aber sie ist begeistert von allem und natürlich auch ihrer Rolle. „Das ist eine faszinierende, gebrochene Person. Kriemhild träumt von der Weltrevolution, will am erstarrten Burgunderhof eine neue Staatsform einführen und strebt nach Macht wie alle Männer. Gleichzeitig wird sie verschachert, reagiert sie, als Brünhild Siegfried einen Lehnsherrn nennt, wie eine echte Königstochter“ (im Interview mit Roland Keth von der Wormser Zeitung). Sie wurde am 8. Juni 1967 in Teheran geboren und ist in Persien aufgewachsen. Schon in ihrer Schulzeit an der Deutschen Schule in Teheran übte sie sich in Schauspielkunst. Noch vor der Machtübernahme von Revolutionsführer Khomeini kam sie nach Deutschland. Ihr Abitur machte sie 1986 im bayrischen Planegg. Danach studierte sie an der Hochschule für Musik und Kunst in Stuttgart. Ihre Karriere als Filmschauspielerin begann 1991 mit dem Kinofilm „Kinder der Landstraße“. Den ersten kommerziellen Erfolg – und auch den Durchbruch in ihrer Karriere – hatte sie 1997 in „Bandits“. Mehr dazu weiter unten auch unter „Rahmenprogramm“ und dort unter „Theaterbegegnungen“, wo sie einen Soloauftritt mit Gitarre hatte. In weiteren Filmen überzeugte sie mit „Late Show“ von Helmut Dietls oder als laszive Sängerin Billie in Xavier Kollers Tucholsky-Adaption „Gripsholm“. 2002 kam ihre Tochter Angelina Sherri Rose zur Welt, die sie auch in Worms dabeihat. 2005 wurde sie für ihre Rolle in dem Kinofilm „Fremde Haut“ – sie spielt eine junge Iranerin, die aus ihrem Heimatland fliehen muss, weil sie der Homosexualität bezichtigt wird und ihr nun die Todesstrafe droht – als beste Hauptdarstellerin für den deutschen Filmpreis 2006 nominiert. Jasmin Tabatabai erwies sich als richtig sympathische Person, was sich auch daran zeigte, dass sie sich einmal im Vorfeld mitten in den Proben zurücklehnte und über den Mond schwärmte, der sich am Himmel zeigte. Auch das SWR1 „Leute live“-Radio widmete ihr während der Festspiele eine Livesendung, zu der bei freiem Eintritt auch Publikum ins Wormser Andreasstift zugelassen war.

Sonja Kirchberger spielt Brünhilds Vertraute Isolde und überzeugte in ihrer Präsenz fast mehr als Annika Pages als Brünhild. Die Rolle der Isolde sagte ihr von Anfang an sehr zu („Sie ist der Punk, den ich immer spielen wollte“) und zudem war es vorteilhaft, eine „leere“ Rolle etablieren zu können, die noch nicht durch Vorbilder geprägt ist. Und: „Als Dieter Wedel mich fragte, bin ich im Dreieck gesprungen und habe zugesagt, ohne eine Sekunde zu zögern“. Vor den 2400 Leuten hatte auch sie keine Bedenken zu spielen, sie hatte schon mal im Berliner Dom gespielt, was zwar nicht der Größenordnung entspricht, aber dem Gefühl eines ehrfurchterbietenden Gotteshauses. Sie findet, dass in Worms sehr lebendiges Theater gespielt wird. Geboren wurde sie 1964 in Wien, nahm zehn Jahre Unterricht im klassischen Ballett und gehörte bis 1978 zum Ballett der Wiener Oper. Sie lernte den Beruf der Zahnarztassistentin und arbeitete nebenbei als Model. Bekannt wurde sie 1988 durch den Film „Venusfalle“ von Robert van Ackeren sowie u. a. auch durch Arbeiten mit Dieter Wedel. Andere sehr erfolgreiche Filme sind „Der König von St. Pauli“ (Dieter Wedel 1998, sie spielt dort die Rolle der verzweifelten Lajana) oder „Seven Servants“ (an der Seite von Anthony Quinn). Sie spielte die unterschiedlichsten Charaktere – von der warmherzigen fürsorglichen Mutter in „Die Liebende“ (von Matthias Tiefenbacher) bis hin zur eiskalten Geschäftsfrau in „Der Runner“ (von Michael Rowitz). In der Trilogie der Kommissarin Anna Göllner hatte sie die Hauptrolle. Sie stand für viele weitere nationale und internationale Produktionen vor der Kamera und feierte Theatererfolge in Stücken wie „Der Weibsteufel“, „Jedermann“ (dreimal spielte sie die Buhlschaft) oder „Effie Briest“ und „Madame Melville“. In Worms ist sie mit ihrem Sohn.

Annika Pages spielt Brünhild. Auch sie musste sich zwangsläufig an der früheren Brünhild Wiebke Puls messen lassen, aber auch sie konnte überzeugen. Vor Wiebke Puls spielte schon Judith Rosmair in Worms die Brünhild. Sie hatte auch nicht gezögert, als das Angebot von Sabine Schroth kam, die schon viele Ensembles im Auftrag Wedels zusammengestellt hat. „Wenn Dieter Wedel einem diese Rolle anbietet, sagt man nicht nein. Ich habe gar nicht überlegt“. Der eigentliche Held im neuen Nibelungenstück ist für sie auch Brünhild, denn diese sei die einzige Anständige unter allen, die nichts aus Berechnung macht wie alle anderen, die sich bis zum Schluss nicht korrumpieren lässt, nicht bestechlich ist und ihrem Herzen Ausdruck geben will. Pages spielte in diversen Kino- und Fernsehfilmen, unter anderem auch in „Die Affaire Semmeling“ von Dieter Wedel, in der sie an der Seite Robert Atzorns dessen Freundin Doris Berg spielt, oder in „Peter Strohm“, „Die Verbrechen des Professor Capellari“, „Mann sucht Frau“ und „Unser Opa ist der Beste“. Geboren wurde sie 1968, besuchte die Staatliche Hochschule für Musik in Hannover, absolvierte danach eine Gesangsausbildung in Hamburg und München sowie eine Tanzausbildung an der Royal Academy of Dancing in Hamburg und London, hatte Engagement am Ernst-Deutsch-Theater in Hamburg, am Staatstheater Stuttgart, Schauspielhaus Zürich sowie am Deutschen Theater Berlin. Nach einer zehnjährigen Schauspielzeit an den Kammerspielen in München wechselte sie an das Bayrische Staatstheater, wo sie bis 2004 engagiert war. Am Deutschen Theater Berlin war sie in Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“ zu sehen. 1994 bis 2004 spielte sie erst an den Kammerspielen München, dann am Bayrischen Staatsschauspiel. In Worms hatte auch sie ein eigenes Haus gemietet, wo sie mit ihren beiden Kindern lebte sowie ihrer Mutter, die während der Proben und Aufführungen die Kinder betreute. Für die Rolle der starken Brünhild trainierte sie täglich ihre Muskeln an Geräten im Studio Black & White, das die Festspiele dadurch sponsert, dass es die Trainingseinheiten spendiert.

Robert Dölle spielt Siegfried und trägt wie sein Vorgänger Götz Schubert eine Glatze. Dies irritiert vor allem das ältere Publikum, weil deren Heldenprägung die eines blonden Siegfrieds noch ist. Moritz Rinke hat auf die Auswahl und das Aussehen der Schauspieler keinen Einfluss, aber gerade diese Andersartigkeit gefällt ihm – wie er öfter erwähnte – besonders gut, denn er möchte die Klischees von den Helden verändern. Robert Dölle hat dem Publikum als Nachfolger von Götz Schubert sehr gut gefallen und wurde akzeptiert. Ähnlich wie Kriemhild ist auch Siegfried in der aktuellen Wedel-Inszenierung eine vielschichtige Figur: der strahlende Held, der degenerierte Recke und der liebende Mann. Er genoss seine Rolle und auch die vielen Komplimente der Aufführungsbesucher sehr und hatte noch nie zuvor vor 2400 Zuschauern gespielt. In einer der Filmszenen auf Großleinwand sah man ihn sogar komplett nackt badend im Drachenblut. Nach der nackten Brunhild unter Karin Beier im letzten Jahr ist es also diesmal ein nackter Siegfried, der die Frauen begeistert an der Stelle, wo sonst die Männer begeistert sind. Robert Dölle wurde 1971 in Frankfurt am Main geboren. Sein Schauspielstudium absolvierte er an der Otto-Falckenberg-Schule in München. Er studierte Amerikanistik an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt. Von 1996 bis 1999 war er Ensemblemitglied an den Münchner Kammerspielen, danach arbeitete er am Schauspielhaus Frankfurt von 1999 bis 2001 und spielte dort in „Don Carlos“ von Friedrich Schiller und „Das Missverständnis“ von Albert Camus, ehe er 2001 wieder zu den Münchner Kammerspielen zurückkehrte. 2001 trat er aber auch noch bei den Salzburger Festspielen als Rosse in Calixto Bieitos Inszenierung von „Macbeth“ auf. „Rosenstraße“ von Margarethe von Trotta, „Polizeiruf 110“ und Dieter Wedels neuer ZDF-Einteiler „Mein alter Freund Fritz“ sind Filme, in denen er mitspielt.

Wolfgang Pregler spielt Hagen und ist als einziger Schauspieler bereits im fünften Jahr bei den Nibelungen. 2002 und 2003 spielte er den König Gunther, 2004 und 2005 Dietrich von Bern. Seine neue Rolle als Hagen – er spielt sie, als sei er schon immer Hagen gewesen – war mit die beste Leistung von allen Mitwirkenden (ohne dabei die anderen schmälern zu wollen). 1956 wurde er in Höntrop geboren und erhielt seine Ausbildung an der Hochschule der Künste in Berlin. Engagements an den Münchner Kammerspielen, am Schillertheater in Berlin und am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, wo er u. a. unter der Regie von Jossi Wieler, Leander Haussmann und Karin Beier spielte. Genauso auch Fernsehproduktionen wie „Die Affaire Semmerling“ von Dieter Wedel (2001) und dem internationalen Kinofilm „Rosenstraße“ mit Maria Schrader (2003). Auch im neuen Fernsehfilm von Dieter Wedel „Mein alter Freund Fritz“ spielt er mit. Zurzeit ist er an den Münchner Kammerspielen engagiert.

Roland Renner spielt König Gunther als zaudernden Herrscher absolut überzeugend und verlieh dieser Figur ganz neue fiese Charakterzüge. Er genoss sehr die Magie des Wormser Spielortes, das Abenteuer des Live-Spielens unter freiem Himmel und fühlte sich, als sei er an die griechischen Ursprünge des Theaters zurückgekehrt. Renner machte seine Schauspielausbildung an der Otto-Falckenberg-Schule in München. Es folgten Engagements an den großen Bühnen im deutschsprachigen Raum: Schauspielhaus Köln, Schauspielhaus Zürich, Deutsches Schauspielhaus Hamburg und bei den Salzburger Festspielen. Wilfried Minks engagierte ihn für seine Produktion von Peter Turrinis „Tod und Teufel“ sowie die Dostojewski-Adaption „Der Idiot“, beides am Deutschen Schauspielhaus Hamburg. Mehrfach hat er mit Johann Kresnik zusammengearbeitet: in Hamburg bei dem Projekt „Gründgens“, am Schauspiel Hannover in Büchners „Woyzeck“ und der „Antigone“ des Sophokles, bei den Salzburger Festspielen in „Peer Gynt“ nach Henrik Ibsen. Neben seiner Theaterarbeit auch Fernseh- und Kinoproduktionen, u. a. „Zwei Tickets nach Hawaii“ von Markus Imboden oder ein „Tatort“ in der Regie von Thomas Jauch. Zur Wormser Aufführung gestand er, dass er zwar seit 30 Jahren Theater spiele, „aber diese Art von Regisseur, wie Wedel einer ist, dem Theater abhanden gekommen sei – deshalb ist es ein Genuss“ und sei eine gute Entscheidung gewesen, die Rolle anzunehmen.

Robert Josef Bartl spielt Gernot und erheiterte in ähnlicher Weise wie Eisermann das Publikum. „In der Hebbel-Fassung ist Gernot nur ein Edel-Statist, aber bei Rinke hat der Königssohn eine menschliche Figur, die Freude macht zu spielen. Die Figur hat jetzt Kontur, aber keine glatte“, sagt er im Interview von Susanne Müller mit der WZ. Moritz Rinke hat Gernot eigene Szenen hinzugeschrieben, er trifft darin auf Hagen und auch auf Brünhild. Aber in einer Friedhofsszene entpuppt er sich als schmieriger Intrigant, denn er ist der ewig Zweitgeborene, der immer an die Macht will, aber den älteren Bruder vor sich hat. Bartl hat Mediävistik studiert und kennt daher die Nibelungen sehr gut, auch im „Original“. Vor Worms hat er Hochachtung, weil sie in nur fünf Jahren Festspiele von diesem Kaliber aus dem Boden gestampft haben. Ausgebildet wurde er am Max-Reinhardt-Seminar in Wien. Wichtige Lehrer waren für ihn Nikolaus Windisch-Spoerk und Klaus Maria Brandauer. Während seiner Ausbildung erhielt er den Darstellernachwuchspreis der deutschsprachigen Staatlichen Schauspielschule und wurde anschließend am Burgtheater übernommen. Weitere Stationen waren Schweiz, Kampnagel Hamburg und Städtische Bühnen Frankfurt/Main. 2001 wurde er Ensemble-Mitglied am Bayrischen Staatsschauspiel. Während der diesjährigen Festspielzeit hatte er am 17. August auch Premiere im Kino mit dem Film „Wer früher stirbt, ist länger tot“. Vor offiziellem Filmstart hatte der Film aber auch schon bei Festivals einige Preise bekommen. Bartl spielt darin den sanften Pfarrer Behrendt.

Christian Nickel spielt Giselher aufgrund seiner langjährigen Theaterarbeit durchaus sehr gut, aber kam seinem Vorgänger Andre Eisermann und dessen Darstellung der stürmischen Draufgängerlust nicht ganz hinterher. Eisermann zu toppen, wäre allerdings sicherlich auch jedem anderen schwer gefallen. Verantwortlich in der Auswahl war wie bei allen Schauspielern Dieter Wedel, und der mag nun mal auch Brüche in der Wahrnehmung der Figuren. Ausgebildet wurde Nickel an der Hochschule für Schauspiel Ernst Busch in Berlin. 1997 spielte er an den Salzburger Festspielen, danach am Frankfurter Schauspiel. Von 1999 bis 2001 gehörte er zu Peter Steins Faust-Ensemble und spielte dort zunächst den jungen Faust, bevor er nach dem Ausscheiden von Bruno Ganz den gesamten Part der Titelfigur übernahm. Seit 2002 arbeitet er am Bayrischen Staatsschauspiel. Im September 2003 gab er sein Debüt als Regisseur mit Lessings „Emilia Galotti“ im Alten Schauspielhaus Stuttgart, weswegen ihm Wedel weitgehend in seiner Interpretation der Giselher-Rolle freien Lauf ließ. Seit 2005 ist er Ensemblemitglied am Burgtheater in Wien.

Ute Zehlen spielt Ute. Sie ist Ensemble-Mitglied am Schauspiel in Essen. Interessanterweise hat sie dort in einer Hebbel-Nibelungen-Inszenierung von Anselm Weber bereits zuvor die Ute gespielt. Vor Essen war sie u. a. am Staatstheater Kassel, Staatstheater Stuttgart, Schauspiel Frankfurt und Stadttheater Heilbronn. Zu den wichtigen Produktionen gehören „Maria Stuart“, „Onkel Wanja“ und „Der jüngste Tag“. Für ihre Rolle der Rose in Martin Shermans gleichnamigen Stück wurde sie in der Kritikerumfrage der Kulturzeitschrift „neues Rheinland“ 2000/2001 zur besten Schauspielerin gekürt. Eigentlich hätte Renate Krößner die Mutter Kriemhilds in Moritz Rinkes Stück „Die Nibelungen – Siegfrieds Frauen“ spielen sollen. Doch schon kurz nach Probenbeginn hatte Dieter Wedel sich von Regina Krößner wieder getrennt.

Marcus Calvin spielt Ortwin von Metz, den Bruder von Hagen. Er wurde an der Otto-Falckenberg-Schule in München ausgebildet. Sein erstes Engagement war am Theater der Stadt Heidelberg. Es folgten Staatstheater Kassel, Nationaltheater Mannheim und Staatstheater Stuttgart. Seit 2001 ist er Ensemblemitglied des Bayrischen Staatsschauspiels und spielte dort u. a. den Leopold Blum in „Tropfen auf heißen Steinen“ in der Inszenierung von Tina Lanik und den Ariel in „Der Kissenmann“ in der Inszenierung von Hans Ulrich Becker. Seit Juni 2006 ist er in Franz Xaver Kroetz`s Uraufführung von „Tänzerinnen und Drücker“ als einer der vier Drücker zu sehen.

Mathias Redlhammer spielt Hunold. Er absolvierte seine Ausbildung an der Westfälischen Schauspielschule Bochum. Danach arbeitete er am Schauspielhaus Bochum, Burgtheater Wien, Schillerhaus Berlin, Thalia Theater Hamburg, Schauspielhaus Düsseldorf und Zürich. In zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen war er zu sehen, u. a. im Kinofilm „Bluthochzeit“ von Dominique Derrudre, in dem TV-Sechs-Teiler „Die Affaire Semmeling“ von Dieter Wedel sowie in „Die Kommissarin“, „Ein Fall für Zwei“ oder „Tatort“.

Tilo Keiner spielt vier Rollen: Sindold, den Mundschenk, den finnischen König Jukka Thor (und wirbt darin um Brunhild gar auf finnisch, dessen Text er mit einer Sprachlehrerin lernen musste), einen Sachsenkönig und einen üblen Burgunder, der mit einem Kumpel eine Isländerin (Valerie Niehaus) erst vergewaltigt und dann tötet, sowie bei der Kinder-Vorführung sogar im Mittelpunkt als zusätzlicher Erzähler. Keiner ist 1962 geboren, stammt aus Düsseldorf und besuchte zwei Jahre die London Academy of Music and Dramatic Art. Seit 1986 spielt er Theater in Köln, Nürnberg und Trier. Neben Engagements am Ernst-Deutsch-Theater in Hamburg und vor dem Schauspielhaus Bochum stand er von 1993 bis 1995 am Schauspielhaus Nürnberg auf der Bühne. Seit 1995 wirkt er in deutschen und englischsprachigen Film- und Fernsehproduktionen mit. Neben zahlreichen Fernsehserien wie „SOKO 5113“ oder „Girlfriends“ verfügt er auch über Hollywood-Erfahrung, wo er mit Steven Spielberg in „Der Soldat James Ryan“ arbeiten konnte. Im deutschen Kino spielte er in „Der Ärgermacher“. In Stuttgart spielte er seit zwei Spielzeiten im „Abba“-Erfolgsmusical „Mamma Mia“. Auch bei mehreren Inszenierungen von Karin Beier, die im letzten Jahr in Worms noch die Nibelungen aufführte, hat er mitgewirkt. Im letzten Jahr war er bei den Wormser Festspielen auch schon mit dabei und spielte die Rolle des Hunnen Werbel.

Andre Eisermann spielt dieses Jahr den „wormserisch babbelnden“ Burgwächter und ist sowieso als Wormser das eigentliche Lieblingskind des Wormser Publikums. Er ist von Anfang an dabei und spielte in den vier Jahren zuvor den Giselher. Die Rolle in diesem Jahr war nicht mehr ganz so umfangreich. Wahrscheinlich wäre er auch nicht mehr im neuen Ensemble gewesen, wenn er für die Wormser nicht als Institution dazugehören würde. Deswegen geht es ihm vor allem darum, überhaupt dabei zu sein. Zur Ensemble-Vorstellung im Mai war er noch für die Rolle des Hunold vorgesehen, die jetzt Matthias Redlhammer spielt. Der Burgwächter war eigentlich für den Politiker Norbert Blüm vorgesehen, der allerdings, nachdem er dachte, er würde aufgrund seiner früheren Finanzpolitik durchs Drehbuch veralbert, und sich an einigen der „Reformsätze“ störte, von seiner Zusage zurücktrat. Eisermann wurde bekannt durch die Filme „Kaspar Hauser“ und „Schlafes Bruder“. Besonders „Kaspar Hauser“ (1993) machte ihn mit 25 Jahren überraschend quasi „über Nacht“ zum Weltstar. Dafür wurden ihm zahlreiche Preise verliehen (z. B. der Darstellerpreis des internationalen Filmfests von Locarno, der Bayrische Filmpreis und der Deutsche Filmpreis). „Schlafes Bruder“ von 1995 wurde für den Golden Globe nominiert. Ausgebildet wurde er an der Otto-Falckenberg-Schule in München, spielte u. a. an den Kammerspielen München und wurde danach von Regisseur Axel Corti ans „Theater in der Josefstadt Wien“ geholt. Mit großem Erfolg übernahm er 2005 die Rolle des Prinzen Otto im Musical „Ludwig2“ auf der Bühne des Festspielhauses Neuschwanstein in Füssen. Er trägt auch regelmäßig etwas für das Rahmenprogramm der Festspiele bei – in diesem Jahr sein Auftritt bei „Die Zaubergans“, wo er die verbindenden Texte sprach.

Andreas Bisowski spielt den witzigen radelnden Boten Hans. Er war so angetan davon, dass er nach den Aufführungen der Requisite sogar das Bühnenfahrrad abgekauft hat. Seine Schauspielausbildung absolvierte er an der Berliner Universität der Künste. Danach war er Ensemblemitglied des Maxim-Gorki-Theaters. Es folgten ein Engagement am Deutschen Theater Berlin und Inszenierungen mit Robert Wilson, Hans Neuenfels und Peter Wittenberg. Er spielte in TV-Serien und -Filmen wie „Der Landarzt“, „Balko“, „Stauffenberg“. Für die Neuköllner Oper schrieb er Theaterstücke, das Libretto für die Oper „Friendly Fire“ und die Oper „Wischen/No Vision“. Bei den Nibelungen war er schon in der ersten Inszenierung von Dieter Wedel als Hans der Bote zu sehen. Dieter Wedel hatte er durch einen Werbespot mit Mario Adorf kennen gelernt. Wie auch Thilo Keiner trat er in Worms bereits als Hunne Werbel bei Karin Baier auf.

Valerie Niehaus spielt eine Isländerin und dabei zum ersten Mal auch open-air. Sie ist 1974 geboren. 1987 wurde sie für Klaus Emmerichs TV-Film „Rote Erde“ entdeckt. Am Tag ihres Abiturs erhielt sie die Rolle der Julia in „Verbotene Liebe“ und war von 1994 bis 1996 in dieser Rolle zu sehen. 1997 zog sie nach New York und absolvierte ihre Ausbildung am Lee Strasberg Theatre Institute. Zu ihren weiteren Fernsehauftritten zählen die Krimiserie „SOKO 5113“ und Karola Zeisberg-Meeders TV-Film „Rosamunde Pilcher: Stunden der Entscheidung“. Im Kino war sie in Sönke Wortmanns Episodenfilm „St. Pauli bei Nacht“ und 2000 im Michael Karens Horrorthriller „Flashback – Mörderische Ferien“ zu sehen. Weitere Filme sind „Vera Brühne“ (2003) und „Donna Leon – Beweise, dass es böse ist“ (2005). 2006 landete sie einen großen Erfolg mit dem TV-Zweiteiler „Rose unter Dornen“ mit Heinz Hoenig. Derzeit im Fernsehen zu sehen ist sie in der ZDF-Serie „Alles über Anna“. Sie spielt auch in Wedels neuem Film „Mein alter Freund Fritz“ eine Krankenschwester, die Vanessa heißt. Bei den Arbeiten zu diesem Film wurde sie für die Nibelungenfestspiele verpflichtet. Die Erfahrungen, die sie hier machen konnte, sind eine große Bereicherung für sie und vor allem begeistert sie der Schauplatz der Bühne vor dem Dom. Sie findet es interessant, wie im diesjährigen Stück aufgezeigt wird, wie an Brünhild und den Isländerinnen eine ganze Kultur zerstört wird, und ist stolz, dass gerade mit ihrer Rolle ein Exempel statuiert wird. Sie war aber eine der wenigen, die erstmal zögerte, als sie die Rolle angeboten bekam. In Worms hatte sie für die Festspielzeit eine kleine Wohnung mit ihrem kleinen Sohn und ihrem Freund gemietet.

Weitere Isländerinnen:

Nina Kolberg debütierte nach ihrer Ausbildung für Bühnentanz der Stadt Köln am Kölner Schauspielhaus. Es folgten Engagements am Ernst-Deutsch-Theater, an den Hamburger Kammerspielen, am Altonaer Theater Hamburg und an weiteren Häusern. Im Fernsehen war sie in den Serien „Verbotene Liebe“, „Großstadtrevier“, und in Fernsehfilmen wie „Typische Sophie“ oder in „Die Rettungsflieger“ zu sehen. 2001 moderierte sie die „Ally McBeal Nacht“, im gleichen Jahr wurde sie für den Puck-Nachwuchspreis für junge Schauspieler nominiert.

Christina Dais absolvierte das Studium für Schauspiel, Gesang und Sprechausbildung bei Irene Haller in Heidelberg. Neben vielfältiger Bühnentätigkeit stand sie zum ersten Mal 1995 mit dem Episodenfilm „Der Mond scheint auch für Untermieter“ mit Heikko Deutschmann vor der Kamera. Seitdem wirkte sie in einigen TV-Produktionen mit, z. B. im „Tatort“, „Bin ich sexy?“, „Niedrig und Kuhnt“, „Zwei bei Kallwass“ und in Dieter Wedels Zweiteiler „Papa und Mama“. Neben zahlreichen Synchronarbeiten ist sie auch mit Lesungen präsent, so z. B. zu den letztjährigen Nibelungenfestspielen.

Dominique Voland ist eigentlich Tänzerin und lernte an der Palucca-Schule Dresden und an der Staatlichen Ballettschule Berlin. Sie tanzte an verschiedenen Theatern und Opernhäusern und war Mitglied der Jazzdance-Company „MM Dancers“. Bereits in den Nibelungen-Inszenierungen 2002 und 2003 in Worms spielte sie die schöne und stumme Dietlinde von Bechelaren.

Statisten und andere Mitwirkende

John von Düffel ist seit 2002 betreuender Dramaturg. Er las dieses Jahr auch aus seinen Romanen im Rahmenprogramm (siehe „Rahmenprogramm“).

James McDowell ist künstlerischer Betriebsdirektor

Thomas Schiwek und Ulrich Mieland sind die Geschäftsführer der Festspiele GmbH.

Monika Liegmann ist Pressereferentin von Dieter Wedel. Zuvor war sie VIP-Reporterin, die ihre Karriere bei der Pirmasenser Zeitung begann. Im Anschluss machte sie Praktika bei verschiedenen Zeitungen in den USA, war allerdings auch in Deutschland bei der Saarbrücker Zeitung beschäftigt. Durch ihre Starberichte hat sie Dieter Wedel kennen gelernt und sich als Pressereferentin selbstständig gemacht.

Michael Rütz ist technischer Leiter und war unter anderem dafür zuständig, dass der ganze Tribünenaufbau nach den Wünschen der Festspielleitung vonstatten ging. Er ist hauptberuflich technischer Direktor am Stadttheater Krefeld/Mönchengladbach. Der Auftrag in Worms macht ihm Spaß und er lernt hier viel dazu.

Jens Kilian: Bühnenbild

Ilse Welter-Fuchs aus Hamburg ist die Kostümbildnerin. An ihrem Arbeitsplatz stehen drei Nähmaschinen nebeneinander an einer Wand, eine große Platte auf mehreren Holzblöcken dient als Zuschneidefläche. An einer Kleiderstange hängen Kostüme. Seit 30 Jahren macht sie diesen Job. Innerhalb kürzester Zeit hat sie für das Nibelungenstück 300 Kostüme organisiert. Kriemhild, Ute, Brünhild und Hagen bekamen ein völlig neues Outfit und die Solisten benötigten 33 Anfertigungen großer, komplizierter Kostüme. Hilfe erhält sie von Gerlinde Schidrich, die wie jedes Jahr zu den Festspielen ihr Geschäft in Gundheim für sieben Wochen schließt, um hier mit ihrem schneiderischen Können zu unterstützen. Welter-Fuchs hat aber die Kostüme entworfen. Ein Brokatkleid für Kriemhild, ein Gewand mit Keulenärmeln für Ute, ein knapp bemessenes in Leder für Brünhild, einen so genannten „Gänsebauch“ über breitem Gürtel für Sindold, für Burgwächter Eisermann Anzug, Hornbrille und Seitenscheitel. Für das Ende des Stückes dann noch mal ein Businesskostüm für Kriemhild und eine Elvis-Lederjacke für Siegfried. Aber das Outfit der Charaktere ändert sich auch ein paar Mal während der Probezeit und diesen Anweisungen muss sie sich fügen und sie kreativ umsetzen. Um sich vorzubereiten, wälzte sie Bücher über die Kleidung des Mittelalters, um sie auf die heutige Zeit übertragen zu können. „Mittelalter, Renaissance, Moderne, das fließt alles zusammen“.

Gerlinde Schidrich schneidert für die Festspiele und unterstützt die Kostümbildnerin. Seit vier Jahren ist sie dabei und arbeitet zehn bis zwölf Stunden am Tag. Sie hat ihre eigenen Mitarbeiterinnen Marianne Röß und Anna Mengel. Anne Mengel ist Praktikantin. Mit den ganzen historischen Kostümen, Waffen und dem vier Meter hohen Eispferd der letzten vier Jahre Nibelungenspiele könnte man ein eigenes Museum aufmachen.

Wolfgang Siuda ist musikalischer Leiter. Er war schon bei den ersten Festspielen 2002 mit dabei und erinnert sich, dass das technisch gesehen viel stressiger war, da man noch völlig unerfahren war und es bis zum letzten Tag unklar blieb, ob man die Festspiele würde durchführen können. In letzter Not wurde er von Dieter Wedel damals noch kurz vor der Premiere direkt aus seinem Urlaub nach Worms geholt. Dieses Jahr war er zum zweiten Mal in dieser Funktion zugegen, allerdings vom ersten Tag an beteiligt. Er hatte vielfältige Aufgaben, denn in Rinkes Stück singen die Schauspieler wie die Komparsen. Er sucht die Lieder dafür aus, z. B. die finnische Nationalhymne für den Auftritt finnischer Soldaten, einiges komponiert er auch selbst und probt es mit den ‚Betroffenen‘. Zudem steuert er selbst komponierte Einspielungen bei, die die unterschiedlichen Klangwelten symbolisieren. Natürlich kümmert er sich auch um flächendeckende Klänge etwa bei Schlachten, wo die Musik die Wucht und Dramatik auf der Bühne unterstreicht. Livemusiker wie bei Karin Beiers Hebbel-Inszenierung gibt es in der neuen Wedel-Inszenierung nicht – ausgenommen von Trommlern, Fanfarenbläsern und dem Auftritt eines Saxophonisten, der kaum auffiel, da er nur für Hintergrundmusik beim Hochzeitsbankett am Burgunderhof sorgte. Es ist Jonathan van der Loo, der letztes Jahr schon als Trommler dabei war. Zusammen mit Jacob Eberhard, auch ein Trommler vom letzten Jahr, tritt er zudem wiederum als Trommler auf. Ständig fährt Siuda von Worms aus ins Hamburger Tonstudio, um die gewünschten Klänge zu komponieren und zu produzieren. Diese Klänge wurden auf Tonträger gespeichert, in den Computer übertragen, um dann vom Toningenieur abgefahren zu werden. Sein Job war also mit der Generalprobe beendet. Er hat bereits an vielen Schauspielhäusern gearbeitet, darunter das Burgtheater in Wien, die Kammerspiele in München oder das Schauspielhaus in Zürich. Er wollte gerne wieder mit Wedel zusammenarbeiten, kannte auch viele der Schauspieler und findet die Freilichtbühne vor dem Dom natürlich sehr reizvoll. Nicht zuletzt genießen die Nibelungen-Festspiele in Künstlerkreisen auch außergewöhnlichen Stellenwert.

Jacinta Walsh: Choreografie

Karsten Riecher ist der Waffenmeister, der mit seinen Helfern die Theaterwaffen herstellt und betreut (Schwerter, Hellebarden, Spieße, Schutzausrüstung, Handschuhe, Rüstung, Helm) und auch selbst im Stück mitspielt. Er ist bereits zum dritten Mal mit dabei.

Cornelia Ehrlich ist Chefin der Komparserie, die die Statisten betreut.

Klaus Figge: Kämpfe

Katharina Böhner ist Maskenbildnerin. Sie studierte in Dresden und ist seit fünf Jahren freiberuflich bei den Nibelungenfestspielen dabei. Sie stammt aus einer Theaterfamilie und hat sich dadurch aufs Schminken und Frisieren spezialisiert. Für Brünhild fertigte sie eine auch echten Haaren handgefertigte Perücke an, und da jedes Haar einzeln angepasst werden muss, benötigte sie dafür 50 Stunden. Täglich wird Brünhild von ihr zudem zwei Stunden mit Make-up am ganzen Körper geschminkt. Ihre Mitarbeiter Phil Hinze, Nicola Olbs, Nora Leibiz und Maria Reder schminken außer den Hauptdarstellern auch noch ein paar der neunzig Komparsen. Alle Schauspieler haben einen Maskenbildner, der für sie zuständig ist und sie mehrmals nachschminkt. Die Mikrophone werden an der Haut geschminkt, so dass man sie nicht mehr sieht. Sie sind an Stirn oder Wange angebracht. Im vorigen Jahr mussten die Schauspieler in einer Szene in ein Wasserbecken fallen, und damit keine Mikros beschädigt wurden, wurden diese mit Zellophanpapier abgedeckt und wieder überschminkt. Die Maske befindet sich in zwei kleinen gut ausgestatteten Containern, wo pro Raum drei Personen geschminkt und frisiert werden können. Auf einem langen Tisch stehen drei große beleuchtete Spiegel und Köpfe aus Styropor, die die Perücken tragen. Diese müssen, wie ganz normale Haare auch, gewaschen werden können.

Juliane Eckstein: Requisite

Tilo Steffens: Bühnenbildassistenz

Bastian Korff: Musikassistenz

Kerstin Matthies: Kostümassistenz

Ilona Rühl: Souffleuse

Jörg Grünsfelder ist mit seinem Team Tonmeister, Ferry Siering (fett film) ist Video-Designer und Ulrich Schneider Licht-Designer (siehe unter „Specials“).
Zum Team von Jörg Grünsfelder gehört auch der Tontechniker Christian Ruppel, der seit 18 Jahren weltweit als Tontechniker engagiert wird und bereits seit drei Jahren bei den Nibelungenspielen mit dabei ist. Er plant die Tontechnik komplett durch. Jeder Umkleide-Container für die Schauspieler verfügt auch noch über Lautsprecher, die sie über das Geschehen auf der Bühne informieren. Das meiste an Technik ist aber auf der Bühne. Die 30 Meter lange und 20 Meter tiefe Bühne wurde von 30 schwitzenden Arbeitern aufgebaut. Insgesamt sind 200 Arbeiter auf dem Gelände beschäftigt. Mehr zur Technik im Folgenden unter den „Specials“.

Detlev Hahne ist Stage Manager und kommandiert aus einem einfachen Bretterverschlag direkt hinter der Bühne. Er arbeitet seit 1977 als Inspizient am Stadttheater Heilbronn und kommt nunmehr seit fünf Jahren auch zu den Festspielen nach Worms, die er als „Abenteuer-Urlaub“ empfindet.

Shoddy ist einer der fünfzehn Bühnentechniker.

Monika Liegmann und Simone Schofer machen die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Patrick Garneur koordiniert mit zwei weiteren Kollegen den kompletten Aufbau der vielen Zelte, Rampen, Tische, Wege und Lampen. Es gibt ein großes Bewirtungszelt, weitere kleinere Zelte, einen eigenen VIP-Bereich, eine kleine Bühne für einen Pianospieler und auch Heylsschlösschen und erstmals Heylshof selber konnten mitgenutzt werden.

Stefan Lubojanski ist der Wormser Stammfahrer von Dieter Wedel, der diesen mitunter auch mit frisch gebackenem Zwetschgenkuchen seiner Mutter versorgt.

Thorsten Kublank ist einer der neunzig Statisten, für die Dieter Wedel voll des Lobes ist. Er ist einer derjenigen, die Wedel gerne als Schauspieler fördern möchte. Der 34-Jährige steht seit 17 Jahren beim Theaterkreis Bobenheim-Roxheim auf der Bühne und hat in der jetzigen Inszenierung sogar eine kleine Rolle bekommen. Er spielt einen fränkischen Bewerber an Brunhilds Hof, ein anderes Mal einen verletzten beinamputierten Burgundersoldaten, dann als ein Nibelunge und später, als sächsischer Soldat, steckt er Prügel von Siegfried ein. Aber die meisten Komparsen spielen mehrere Rollen. Wie viele seiner Kollegen spielt er bereits zum fünften Mal bei den Festspielen mit. Jeden ersten Freitag im Monat ist Statistentreffen. Man ist aus Leidenschaft dabei, denn Geld gibt es nicht viel. Für jede Probe 10 Euro, für jede Aufführung 25 Euro – für einen Zwölfstundentag, wofür man sich eigens Urlaub nimmt, ist das nicht gerade viel. Auch viele Schüler opfern dafür ihre Ferien. Die Schauspieler bedanken sich regelmäßig bei den Statisten, was eigentlich außergewöhnlich, denn im Theaterbetrieb keineswegs üblich ist.

Andreas Gaul ist Chef-Caterer. Zu seiner Arbeit siehe unten unter „Specials“, dort am Ende.

Manuela Liebig betreut das Marketing mit der lokalen Geschäftswelt und den Festspielen auf Messen.

Sidestep ist das eingesetzte Pferd auf der Bühne. Sollte man es unter Mitwirkenden erwähnen? Wohl durchaus, denn der Wallach gehört zum Stamm des Festspiel-Ensembles und ist zum dritten Mal mit dabei. In den beiden Vorjahren hatte er unter Karin Beiers Regie Otnit, Etzels Sohn, auf die Bühne getragen. In diesem Jahr darf er mit König Gunther auf dem Rücken vor die Zuschauer treten. Neben seiner Besitzerin Carmen Bonnet waren zwei weitere für ihn zuständig: die Kostümbildnerin und der Waffenmeister. Denn er musste einen imposanten Überwurf bekommen (dem König geziemend) und Waffenmeister Karsten Rischer fertigte für ihn einen Harnisch und Brustgeschirr aus Stahlblech. In der neuen Inszenierung stirbt er, wofür er zur Sicherheit von einem Papppferd gedoubelt wird. Denn eigentlich legt er sich auf Befehl auch hin und bleibt selbst länger liegen.

Die Hunde müssen dann auch ehrenhalber erwähnt werden. In den vergangenen Jahren gab es bei Karin Beiers Stück ja eine ganze Hundemeute. Diesmal blieb es auf drei Hunde des Königs Gunther beschränkt. Es gab für diese „Rollen“ ein richtiges Hunde-Casting, wo viele Hundebesitzer verschiedenster Rassen erschienen waren. Wedel war sehr ernsthaft bei der Auswahl, die wuchtige Dogge „Einstein“, die das Herz der Schauspieler sofort eroberte, war ihm zu „wuchtig“, die knuffigen Malteser waren ihm zu „süß“ und die Windhunde zu „edel“. In die engere Wahl kamen zwei Dobermänner („Attila“ und „Zora“ von Manuela Scheibs aus Biblis) und zwei Ridgebacks.(„Muffin“ und „Julius“ von Mareike Rosner-Groll aus Worms). Alle vier waren bei den Proben dabei, welche drei dann auf der Bühne letztlich standen, entzieht sich meinem Wissen. Und die Besitzer durften ihre Hunde auch auf die Bühne begleiten und als Statisten mitspielen.

Buchwurminfos IV/2006

Mit Beginn der aktuellen _Rechtschreibreform_ zum 1. August stellte der Axel Springer Verlag sämtliche Publikationen auf die Rechtschreibprogramme aus dem Hause Duden um. Im Jahr zuvor (2005) war der Duden zur Rechtschreibreform völlig gefloppt. Die Käufer boykottierten das Werk, da klar war, dass es schon bald wieder veraltet sein würde. Im Wettbewerb mit dem Wahrig-Wörterbuch wurde es schließlich verramscht. Der Gewinn des Brockhaus-Verlages brach um zwei Millionen Euro ein und die Aktionäre mussten auf ihre Dividenden verzichten. In diesem Jahr kam der Bertelsmann-Wahrig wieder schon im Juni heraus, der Duden dagegen erst Ende Juli. Erstaunlicherweise unterscheiden sich beide Werke erheblich. Es gibt zu viele fakultative Varianten. Z. B.: Warum schreibt sich „wohltuend“ zusammen, „wohl lautend“ aber nicht zwingend? Im neuen Duden befinden sich 3000 Rechtschreibempfehlungen, im neuen Wahrig dagegen nur 50 paradigmatische Fälle in Tipp-Infokästen. Auffällig dabei ist, dass der Duden tendenziell die Rechtschreibung von 2004 verteidigt, während der Wahrig eher den Vorschlägen des Rats der deutschen Rechtschreibung von 2006 folgt. Beim genauen Studium des Duden finden sich eine Menge Ungereimtheiten. Einerseits plädiert man für „gewinnbringend“ und „fleischfressend“, andererseits für „Erfolg versprechend“ und „Wasser abweisend“. Der Duden spricht von „frei laufenden“ Hühnern, der Wahrig von „freilaufenden“. Hilfreich scheint beim Wahrig immerhin eine 14-seitige Übersicht der Unterschiede zwischen 2004 und 2006. In den Rechtschreibbüchern bis zur 10. Klasse spart man deswegen noch strittige Begriffe aus, wie im „Findefix“ oder im Duden-„Grundschulwörterbuch“, wo einige Getrenntschreibungen unterschlagen bleiben (wie z. B. „allein erziehend“). Bis die Grundschulkinder alt genug sind für richtige Wörterbücher, stehen sicherlich noch genügend Korrekturen ins Haus. Derzeit tut das „richtige“ Entscheiden nach wie vor weh.

Nach den 26 Filialen von „Gondrom“, den Läden von Bouvier-Gonski und Kober-Löffler hat _Thalia_ nun auch achtzehn Buchhandlungen von „Grüttefien“ mit 50,1 % Anteil in den Konzern übernommen. Der Name Grüttefien wird zunächst noch erhalten bleiben, dann aber sukzessiv durch den neuen Namen Thalia ersetzt werden. Das Tempo, mit dem Thalia expandiert, überrascht. In den Großstädten und Einkaufszentren werden jetzt die Claims gegen die Konkurrenz wie Hugendubel, Buch & Kunst, Weltbild und Buch Habel (die auch kräftig expandieren) abgesteckt.

Der Umsatz der _Sondereditionen der Billigbibliotheken_ aus Zeitungsverlagen wie „SZ“, „Bild“ oder „Brigitte“ ist im Sinken begriffen. Wie Random House es vor kurzem schon prognostizierte, haben diese Editionen ihren Zenit erreicht. Für Taschenbuchverlage bedeutet das, dass sie wieder aufatmen können. Das Aus für solche Editionen ist das aber natürlich noch nicht. Im Herbst startet die Zeitschrift _“Geo“_ in Zusammenarbeit mit dem Bibliografischen Institut und Brockhaus eine 20 Bände umfassende _Lexikon-Edition_. Jeder Band enthält neben einem Lexikonteil ein „Geo“-Dossier mit Reportagen und Berichten zu ausgewählten Themengebieten. Billig dagegen ist das eigentlich wie bislang aber auch nicht mehr. Ein Einzelband kostet 17,90 Euro, die komplette Reihe ist für 299 Euro zu haben. „Bild der Frau“ startet mit dem Mira-Taschenbuchverlag die _“Bild der Frau“-Bestseller-Reihe_. U. a. gibt es da auch „Wo bist du?“ von Marc Levy im Hardcover für nur 5,95 Euro. Außerdem startet _“Bild“_ mit Random House die _“Erotik-Bibliothek“_. Erotik zum Hören als Hörbuch gibt es bereits in der _“Playboy-Hörbuch-Edition“_ vom Oskar Verlag zusammen mit der Zeitschrift „Playboy“. Die Zeitschrift „Eltern“ war 2005 unter dem Namen „Abenteuer Hören“ mit Hörbüchern an den Start gegangen und erweitert das nun zur _“Eltern-Abenteuer-Edition“_, wo in Kooperation mit Beltz & Gelberg, Random House Audio und Universum Film neben Hörbüchern auch Bilderbücher und Filme versammelt werden. Literarisch am interessantesten in diesem Jahr ist aber die Edition des „Spiegels“ mit den 40 Bänden aus vierzig Jahren _Spiegel-Bestseller-Listen_. Und im Herbst ebenso interessant, da mit CD gekoppelt, eine 20-bändige _“Klassik“-Edition der „Zeit“_, die sich den Stars klassischer Musik widmet. Aufgrund der derzeitigen Markverstopfung werden perspektivisch gesehen nur zwei, drei Verlage in diesem Geschäftsfeld tätig bleiben können. Die „SZ“ ist da auf jeden Fall dabei und plant auch weitere Editionen. Ob solche Prognosen eintreffen werden, wird sich aber erst noch zeigen. Über Umsatzeinbußen durch die Editionen (vor allem im Taschenbuchgeschäft) gibt es mittlerweile auch sehr widersprüchliche Untersuchungen. Große Verlage sprechen von Einbrüchen, unabhängige Studien dagegen von einem Zuwachs, weil das Leseinteresse geweckt worden sei.

Über _Bestseller-Charts_ zu berichten, ergibt angesichts der schon ganzjährigen Unbeweglichkeit dort eigentlich wenig Sinn. Neue Titel hinein bringt vor allem Elke Heidenreich jeweils mit ihrer „Lesen!“-Sendung im TV und fast alle ihre Bände aus der „Brigitte“-Edition landen automatisch sofort auf vorderen Plätzen. Erst im Sommer kam frischer Wind in die Charts und von null auf die ersten beiden Plätze stieg Random House ein mit Elisabeth Georges neuem Krimi „Wo kein Zeuge ist“ und dem dritten Teil von Jonathan Strouds „Bartimäus“-Trilogie „Die Pforte des Magiers“.

Den größten Umsatz machte während der Fußball-Weltmeisterschaft allerdings _Panini_ mit seinen Sammelbildern fürs Album. Kalkuliert war ein Bedarf für Deutschland von 100 Millionen Tütchen à sechs Bildchen, aber es wurden schließlich 155 Millionen ausgeliefert. Weltweit druckte Panini 4,8 Milliarden WM-Sticker. Im Jahr 2005 war der Umsatz mit Klebebildern 400 Millionen Euro und 2006 dürfte sich dieser um ca. 30 % steigern.

_Weltbilds Bestseller Jokers_ bietet unter www.jokers-downloads.de jeden Monat einen Kurzkrimi als pdf-Datei zum Download an.

_S. Fischer Verlag_ startet im Herbst eine 32-bändige Sonderedition mit modernen Klassikern in aufwendig gestalteten Leinenbänden mit abgerundeten Ecken (!) zum Preis zwischen 12 und 14 Euro. Der Name der Reihe lautet „_Jahrhundertwerke_“; Fischer will damit sein eigenes Profil zeigen und seine Substanzen wie Kafka, Hemingway, Fontane und Thomas Mann neu verwerten.

Die _Deutsche Grammophon Literatur_ vertont zusammen mit der _“Zeit“_ ausgewählte _Rowohlt_-Monografien zum Preis zwischen 9,90 und 11,90 Euro. Zu den ersten Hörbüchern, die in das Leben und Werk berühmter Persönlichkeiten einführen, gehörten Clara Schumann, Andy Warhol und Albert Einstein. Im Herbst folgen u. a. Marilyn Monroe und Jesus. Auch die „_Brigitte-Hörbuch-Edition_“ wird fortgesetzt. Elke Heidenreich hat wieder 26 Titel ausgewählt. Mit einem Kinderbuchprogramm geht die Holtzbrinck-Tochter _Argon_ im Herbst mit entsprechenden Hörbüchern an den Start. Ebenso im Herbst startet der _be.bra Verlag_ mit seinem Imprint _be.bra phon_ mit Krimis und Belletristik. Der _Dioneta Hörbuchverlag_ hat ein Programm mit Fantasy- und Spannungstiteln vorgelegt. Auch der Kinderbuchverlag _Coppenrath_ ist ins Hörbuchgeschäft mit dem erzählenden Kinderbuch eingestiegen. Unter dem Namen „Auge und Ohr“ gab es bereits eine Hör-Backlist, aber nun kommt dazu ein echtes Hörbuch-Programm mit fünf Produktionen pro Halbjahr.

Die Gewinner des _Leipziger Hörspielsommers_: Das erstplatzierte Werk „Tages Todestag“ von Kristoffer Keudel überzeugte die fünf Jury-Mitglieder des Leipziger Hörspielsommers durch seinen Perspektivenreichtum und eine „sprachlich gelungene Darstellung“. Das Kriminalhörspiel „er.ich“ eroberte den zweiten Platz. Der dritte Preis wurde an „Die Sonne, ein Park geht unter“ vergeben. Außerdem sprach die Jury vier lobende Erwähnungen aus.

Neben den Kiosk-Comicreihen gibt es natürlich interessante Comic-Verlage. Beispielsweise _Reprodukt_, der vor 15 Jahren mit einem Independent-Programm startete. Im Programm erscheinen episch anspruchsvolle Alben deutscher und franko-belgischer Zeichner. Letztere finden sich auch im Programm von _Avant-Verlag, Edition Moderne_ oder der _Edition 52_. Überhaupt scheint endlich der „Manga“-Markt, der derzeit noch 80 % Anteil hält, gesättigt. _Egmont Ehapa_ baut inzwischen auch wieder seinen Stamm deutscher Illustratoren kontinuierlich auf. Diesem Trend folgen alle großen deutschen Comic-Verlage. _Panini_ dagegen bedient mit viel Engagement die Superhelden-Fans. Zuletzt wurde ein Vertrag mit den zu _DC-Comics_ gehörenden US-Labels _Vertigo_ und _Wild Storm_ abgeschlossen, so dass nun das gesamte DC-Portfolio bei Panini erscheint. Aber auch das Manga-Programm von Panini hat noch Zuwachs: In „_Trinity Blood_“ – in Japan der Renner – werden Vampire gejagt und in „_Fullmetal Alchemist_“, mit über 10 Millionen verkauften Exemplaren in Japan einer der erfolgreichsten Mangas, bestehen die Brüder Ed und Al Abenteuer mit Magie und Alchemie.
Ansonsten jüngst bei Panini: In der _Wolverine_-Heftreihe startete mit Ausgabe 31 der Fünfteiler „Anfang und Ende“, in welchem wichtige Fragen zu Wolverines Geschichte behandelt werden. Ebenfalls als Heftreihe begann _Justice_, eine auf sechs Doppelhefte angelegte Story um die „Justice League of America“ (Superman, Batman, Aquaman, Wonder Woman, Green Latern und Flash). Gemalt von Alex Ross, geschrieben von Jim Krueger, ist diese kleine Reihe ein edel gemachtes photorealistisches Abenteuer. Und wie kürzlich „Batman“ ganz neu als Comic wieder begann, kommt nun auch „_All Star Superman_“, wo jeder, ohne je Superman gelesen zu haben, ganz von Anfang an wieder mitfiebern darf. Eine weitere Sensation im Heftbereich sind sieben Ausgaben der _Infinite Crisis_, all die bekannten Superhelden in einem gigantischen Paralleluniversum. Und was bei DC geht, gibt es bei Marvel ja ähnlich. In einer vierteiligen Heftreihe _House of M_, ebenfalls einer Parallelwelt, existieren mutierte Versionen von Spider-Man, X-Men und allen anderen Superhelden. Und diese Abenteuer gibt es auch in einer großen Special-Edition _House of M-Ausgabe, Marvel Monster Edition 13_ (mit anderen Geschichten). Im _JLA-Sonderband 13_ befindet sich eine 116-seitige _Infinite Crisis_-Ausgabe. Die Superhelden-Liga ist seit der „Identity Crisis“-Heftreihe in schwerer Krise und Batman ist schwer angeschlagen, da er von seinen Freunden über Jahre betrogen wurde. In den Sonderbänden _Batman/Superman_ ist mit Nummer 2 der Themenband „_Supergirl_“ erschienen, in welchem die gemeinsamen Abenteuer der beiden Superhelden weitergesponnen werden. Batman entdeckt dieses gefährliche Mädchen von Krypton. Besonders für die Fans der klassischen Charaktere ist diese zeichnerische Neuschöpfung ein Leckerbissen. Und bei Marvel ist der Sonderband _Der ultimative Spiderman 3: Dobule Trouble_ herausgekommen. Voll mit Highlights wie z. B. dem ersten Auftritt der Gwen Stacy, der Rückkehr des Doktor Octopus oder dem Debüt von Kraven, dem Jäger. Aber es gibt nicht nur solch alte Charaktere. Endlich ist auch das letztes Jahr gestartete erotisch-magische Meisterwerk von Jim Balent fortgesetzt worden mit dem 2. Band von _Tarot – Witch of the Black Rose: Rückkehr der dunklen Hexe_. Ein richtig gut gemachter Kultcomic mit sexy Hexen und finstersten Dämonen. Und zuletzt noch ein anderes ungewöhnliches Meisterwerk aus dem Haus Marvel. Mit Band 23 der Reihe _100 % Marvel_ ist _1602 – Die neue Welt_ erschienen. 2003 hatte Neil Gaiman, Autor u. a. vom Sandman, eine Maxiserie von acht Teilen geschaffen, in welcher Captain America in einem Paralleluniversum in die Vergangenheit geschickt wurde und eine weitere Parallelwelt erschuf. Am Ende dieser Aufsehen erregenden Geschichte kam Captain America zwar wieder in der Zukunft an, aber das Leben dort ging weiter und wird von Greg Pak und Greg Tocchini nun weitererzählt, wobei es direkt an das Ende der Story von Gaiman anschließt. Marvel-Superheldenbilder, wie man sie nun mal gar nicht gewohnt ist.

_Fredering & Thaler_ wurde an den _Christian Verlag_ verkauft. Fredering und Thaler hatten den Verlag 1988 gegründet, 1998 an Random House verkauft, 2002 jedoch wieder zurückgekauft.

Der _Marix-Verlag_ startet im Herbst die Reihe „_Wissen der Welt_“, die auf 100 Bände angelegt ist. Alle Titel sind Originalausgaben und kosten fünf Euro.

_Patmos-Verlag_ startete anlässlich des 60-jährigen Jubiläums die Neuauflage der _Artemis Bibliothek_, der traditionsreichen Reihe mit Texten der Weltliteratur von der Antike bis zu Klassikern des 20. Jahrhunderts.

_Peter Meyer Verlag_ hat 30-jähriges Jubiläum. Er begann mit ökologischer Alternativ- und anderer Szeneliteratur. Der Renner dabei ist immer noch „Connexions – Adressbuch alternativer Projekte“. Verlagsleiter Peter Meyer schrieb aber auch alternative Reiseführer, fünf Jahre lang bei „Reise know how“ und ab 1991 im eigenen Verlag „Peter Meyer Reiseführerverlag“.

_Compact Verlag_ feiert ebenfalls 30-jähriges Bestehen als Anbieter nützlicher und anwenderfreundlicher Sachbuchratgeber.

Der _Mitteldeutsche Verlag_ ist 60 Jahre alt geworden, der als Verlag für sozialistische deutsche Gegenwartsliteratur begonnen hatte. Neben „Aufbau“ war er der DDR-Verlag für Erstlingswerke. 1997 musste er Insolvenz anmelden und wurde von einer Druckerei-Familie gekauft. Veronika Schneider, die neue Inhaberin, setzte auf ein breiter gefächertes Angebot, das auch Medizin- und Juratitel beinhaltete. Die Belletristik wurde abgebaut. Erst mit dem Jubiläumsjahr soll diese als tragende Säule wieder neu aufgebaut werden.

Der Katalog zur Kunstausstellung _Documenta_ vom 16. – 23.September 2007 wird nicht mehr beim _Verlag Hatje Cantz_, der den Katalog drei Jahre herausbrachte und eigentlich auch weiterhin produzieren wollte, erscheinen. Die Veranstalter haben den Auftrag an _Taschen Verlag_ vergeben, der weltweit über bessere Vertriebswege verfügt.

_Europa Verlag_ hat Insolvenz angemeldet, aber der Inhaber Arne Teutsch gründete mit Gesellschafter Sparkasse Leipzig sofort den _Neuen Europa Verlag_, dessen Herbst-Programm sich an der eigentlichen Tradition des 1933 in Zürich gegründeten Europa-Verlages orientiert, mit Krimis, historischen Romanen und Sachbüchern. Ein Teil der Rechte-Inhaber des Europa-Frühjahr-Programmes hat seine Titel auch schon wieder in den neuen Verlag eingebracht.

Der _Georg Olms Verlag_ ist Partner eines vom _Moses Mendelssohn Zentrum_ initiierten Projekts: der _“Bibliothek verbrannter Bücher“_. Rund 300 vom NS-Regime verbotene Titel sollen bei Olms neu aufgelegt werden.

Bei _Suhrkamp_ dreht sich weiterhin das Personalkarussell. Durch die Verlagsneugründungen „Verlag der Weltreligionen“ und „Edition Unseld“ wurde eine Neuorganisation der Programmzuständigkeiten notwendig. Rainer Weiss sollte die Geschäftsführung vom Insel-Verlag an die Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz abgeben und wäre lediglich Programmgeschäftsführer von Suhrkamp geblieben. Diese Aufgabenverteilung wollte er nicht mittragen und hat den Verlag verlassen. Unseld-Berkéwicz hat nun auch die Programmgeschäftsführung von Suhrkamp übernommen. Der Posten von Weiss wird nicht neu besetzt werden.

Darüber, dass das _Kursbuc_h von Rowohlt im Sommer letzten Jahres zum Zeitverlag wechselte, hatten wir berichtet. Wirtschaftlich hat sich das noch nicht gelohnt, aber der neue Verlag wollte auch vor allem das Journal mit seiner lebendigen Tradition am Leben erhalten. Das Kursbuch ist nicht die Fortsetzung der „Zeit“ mit anderen Mitteln geworden, sondern völlig eigenständig geblieben. Einiges hat sich dennoch verändert: Das neue „Kursbuch“ ist mit Bildstrecken und moderner Typografie leserlicher geworden. Das alte „Kursbuch“ war zudem monothematisch aufgebaut, was aus enzyklopädischer Sicht sinnvoll war, aber Käufer, die das jeweilige Thema nicht interessierte, ausschloss. Das neue Kursbuch ist themengespreizter, wenn auch miteinander verknüpft. Zeiten wie früher, wo sich eine Kursbuch-Ausgabe mehr als 100.000-mal verkaufte, sind nicht mehr zu erwarten. Der Ursprung des Magazins lag in den politisch aufgeladenen 60er Jahren, deren Brisanz heute gesellschaftlich nicht mehr vorhanden ist.

Im letzten Jahr hatten zwei Frauen – Mutter und Tochter – in vielen Instanzen das Verbot des Romans _“Esra“_ von _Maxim Biller_ durchgesetzt und damit eine große Debatte über Kunstfreiheit ausgelöst. In den Buchwurminfos hatte ich darüber berichtet. Nun setzen die beiden nochmals nach mit einer Forderung auf Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 100.000 Euro, die sie aufgrund der richterlich attestierten Verletzung ihres Persönlichkeitsrecht stellen. Zahlen sollen dies der Kiepenheuer & Witsch Verlag sowie der Autor selbst. Verhandelt wird darüber am 9. August beim Landgericht München. Über 100 Prominente – Autoren, Verleger, Theaterleute, darunter die Nobelpreisträger Günter Grass und Elfriede Jelinek – haben sich einem Aufruf gegen das Verbot und für die Freiheit der Kunst ausgesprochen. Bei _Königshausen & Neumann_ ist derweil auch schon ein Buch erschienen, das sich mit dem gerichtlichen Verbot beschäftigt: _Bernhard von Becker – Fiktion und Wirklichkeit im Roman, Der Schlüsselprozess um das Buch „Esra“_. Dabei geht es über die Entrüstung über das genannte Buch hinaus um das generelle Verhältnis zwischen den Persönlichkeitsrechten Einzelner und der Kunstfreiheit. Verschlüsselte zeitgenössische Persönlichkeiten in Romanen zu verpacken, ist ja nichts Ungewöhnliches, und das Ganze nennt sich als Genre „Schlüsselroman“. Im Buch werden die wichtigsten solcher Fälle vorgestellt, wobei Thomas Manns „Mephisto“ neben in jüngerer Zeit Martin Walsers „Tod eines Kritikers“ wohl die bedeutendsten darstellen. Breiten Raum nehmen dabei auch die gegensätzlichen Rechtspositionen im Konflikt ein. Irgendwie bleibt der Eindruck, dass einen mit Bücherverboten generell ein mulmiges Gefühl beschleicht, vor allem weil in den letzten Jahren Bücherskandale und damit verbundene Verbote immer häufiger auftreten. Und es geht gar nicht mehr wie früher um unsittliche oder „kriminelle“ Inhalte, sondern um Inhalte im Bereich zwischen Wirklichkeit und Fiktion, durch die sich Einzelne in ihrer öffentlichen Darstellung gefährdet sehen konnten. Das Szenario lautet also nicht: Die Öffentlichkeit gegen ein Buch, sondern: Ein Einzelner gegen die durch das Buch hergestellte Öffentlichkeit. Die Auseinandersetzung selbst liest sich durchaus wie ein Krimi.

Das Buch _“Der Deutschland-Clan“_ von _Jürgen Roth_ bei _Eichborn_ bekam aufgrund von Beanstandungen des Alt-Bundeskanzlers _Gerhard Schröder_ ebenfalls Ärger. Der Verlag schwärzt nun die Textstellen, die im Zusammenhang mit Schröders Aufsichtsratsmandat beim russischen Energiekonzern Gasprom stehen und verzichtet auf gerichtliche Auseinandersetzungen. Davor wurden bereits 20.000 Exemplare verkauft und es steht auf den vorderen Plätzen der „Focus“-Bestsellerliste Sachbuch. Schon einmal hatte 2005 Schröder eine einstweilige Verfügung gegen Eichborn erwirkt. Damals ging es um das _“Schwarzbuch VW“_ von _Hans-Joachim Selenz_.

Eine ganz andere Art von Zensur erfahren derzeit Klassiker in England. Mit dem Furor der _Political Correctness_ passen die englischen Hausverlage ihre Bücher heutigen Sprach- und Lebensnormen an. Z. B. Enid Blyton („Fünf Freunde …“). Dort darf die Lehrerin keine Ohrfeigen mehr austeilen, Jungs und Mädchen teilen sich häusliche Pflichten. Aus Klassikern der Kinderliteratur werden weich gespülte Abenteuer für die Jugend von heute, die ihre Wurzeln aus vergangener Zeit leugnen.

Erwähnenswerte Nachträge zum Erscheinen der Taschenbuchausgabe und zum Filmstart von _Dan Browns „Sakrileg“_ können nicht ausbleiben. In der vorherigen Kolumne berichtete ich über die weltweite Kritik christlicher Kreise, aber erstaunlicherweise findet das sogar selbst in Deutschland statt. Viele Buchhandlungen, die ihre Schaufenster entsprechend gestalteten, bekamen Ärger mit manchen ihrer Kunden oder vorbeigehenden Bürgern. Die Regensburger Dombuchhandlung musste aufgrund solcher Meinungsmache ihr Schaufenster sofort wieder umdekorieren. Aber auch manche Kinobesitzer wurden mit Anfeindungen konfrontiert. In China ist übrigens von den Behörden die Kinoausstrahlung des „DaVinci Codes“ verboten worden, nachdem er dort bereits zehn Wochen lang lief. Spekuliert wird darüber, dass er zu gut bei den chinesischen Christen angekommen sei. Die Rechnung für die Branche ging voll auf. Das Interesse am Bestseller ist tatsächlich noch mal gestiegen und zieht auch die anderen Dan-Brown-Titel noch mal mit an. Allerdings laufen jetzt natürlicherweise vor allem die Taschenbuchausgaben. Ob als Hörbuch-CD, Buch oder Film bleiben Dan Browns Spitzentitel unangefochten in allen Medienkategorien führend. Unter den Hörbuch-Bestsellern räumt Lübbe-Audio mit „Illuminati“, „Sakrileg“ und „Meteor“ auf den ersten Plätzen ab. Dieser Erfolg wird von einer immer größer werdenden Zahl von Nachahmertiteln zum Thema natürlich ebenso genutzt. Neben dem im letzten Buchwurm-Info empfohlenen „Da Vinci-Tarot“ gibt es auch das Spielkarten-Deck „Da Vinci Code“ mit 55 Spielkarten für Skat, Rommé, Canasta, Poker etc.

Die christliche Kritik an manchem Bestseller fing allerdings nicht erst mit „Sakrileg“ an, sondern schon – was fast wieder vergessen ist – bereits mit _Harry Potter_. Der heutige Papst Benedikt XVI. hatte bereits als früherer Chef der „vatikanischen Glaubenskongregation“ – noch als Kardinal Ratzinger – mehrmals über die Gefährlichkeit der Harry-Potter-Romane für die Erziehung der Jugend lamentiert. Nach Ansicht der Kirche sind die darin geschilderten Vorgänge um Magie und Zauberei vom „Teufel“ eingegeben und würden daher die Heranwachsenden zur „Sünde“ verleiten. Nicht anders in den USA, wo unter Präsident Bush (der den Irak-Krieg als von Gott beauftragt bezeichnet und wo jede Parlamentssitzung mit Gebet eröffnet wird) die christliche Lobby besonders stark ist. Im Bundesstaat Florida haben christliche Interessengruppen eine Verordnung durchgesetzt, wonach Kinder und Jugendliche eine schriftliche Erlaubnis ihrer Eltern haben müssen, um Harry-Potter-Bücher aus Schulbibliotheken ausleihen zu dürfen. Mittlerweile gibt es in den USA sogar schon Kindergärten, in denen man den Kindern bestimmte Malfarben vorenthält, damit sie keinen Regenbogen malen können. Der religiöse Hintergrund ist, dass der Regenbogen seit langem schon als Zeichen Satans gilt, aber auch weil der Regenbogen in Homosexuellen-Kreisen als Symbol genutzt wird. Einige Eltern hatten Kindergärten mit gerichtlichen Klagen gedroht, wenn sie ihren Kindern erlauben, derart „sündige“ Bilder zu malen und sie dadurch homosexuell würden …

_Religiöse Bücher_ haben insgesamt aber Hochkonjunktur. Letztes Jahr vor allem wegen der Papstwahl, wo sich um Benedikt XVI. ja eine regelrechte Popkultur aufgebaut hat und 2005 zu einem Umsatzplus von 16 % für religiöse Bücher führte. Das hat sich aber ein Jahr später noch nicht – wie eigentlich erwartet – normalisiert. Die Nachfrage nach religiösen Büchern bleibt erhöht und das Potenzial scheint noch lange nicht ausgeschöpft.

In der letzten Buchwurminfo berichtete ich auch über die Repressalien, die _Peter Handke_ derzeit erleidet, weil er eine Rede bei der Beerdigung Milosevics gehalten und auch zuvor wegen des Balkankrieges gegen die „Mainstream“-Propaganda berichtet hatte. Nun hatte eine Jury entschieden, dass er den mit 50.000 Euro dotierten Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf erhalten sollte. Alle vier Ratsparteien im Stadtrat haben diese Preisvergabe in einer Ratssitzung wegen seiner pro-serbischen Haltung gestoppt. Aus Protest gegen die Einmischung der Politik haben inzwischen zwei Mitglieder der Jury des Heine-Preises, Sigrid Löffler und Jean-Pierre Lefebvre, ihren Rückzug aus dem Gremium erklärt. In ihrer Begründung wandten sie sich unter anderem dagegen, für „politische Ränkespiele“ instrumentalisiert zu werden. Peter Handke den Pries zu verweigern, hat vor allem auch die Auszeichnung selbst beschädigt. Handke verzichtet aufgrund der „Pöbeleien“ auf den Preis. Es hat sich aber inzwischen eine Initiative _“Berliner Heinrich Heine Preis für Peter Handke“_ gegründet, die den Autor damit doch noch ehren will. Der Suhrkamp-Verlag steht hinter seinem Autor und schaltet ganzseitige Anzeigen mit Handkes literarischen Verdiensten. Die Anmaßung, dass sich Stadtratsvertreter anmaßen, einer Fachjury in den Rücken zu fallen, löst inzwischen sogar eine überfällige Debatte über Preisvergaben und Vetternwirtschaften im Literaturbetrieb aus.

Ausgerechnet zur Feier des zwanzigjährigen Jubiläums der Wochenzeitung _“Junge Freiheit“_ Anfang Juni kam es nun noch einmal zu einem unerfreulichen Vorfall. Mitarbeiter der Zeitung verteilten in Berlin auf der Straße vor den Zentralen des Springer Verlages (Bild, B.Z., Welt, Berliner Morgenpost), des „Tagesspiegel“, der „Berliner Zeitung“ und der „taz“ kostenlose Jubiläumsausgaben. Mit Ausnahme bei der „_taz_“ verlief das überall ohne Zwischenfälle. Dort wurden sie von Mitarbeitern der linksliberalen Zeitung als „Faschisten“ beschimpft, bedroht und geschlagen. Auch Frauen der „Jungen Freiheit“ wurden angegriffen. Die Polizei musste einschreiten und die „taz“-Mitarbeiter darüber aufklären, dass es sich keineswegs um Hausfriedensbruch handelt, wie diese versuchten zu argumentieren. Im Gegenteil wird gegen die „taz“-Mitarbeiter jetzt wegen Körperverletzung ermittelt. Die „taz“ selbst distanziert sich nicht von den Ereignissen, weswegen die „Junge Freiheit“ die Journalisten- und Zeitungsverlegerverbände dazu aufgerufen hat, die „taz“ zu einer Klärung des Falles und zu einer Verurteilung von Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung aufzufordern.

In der Türkei wurde erneut gegen eine Autorin Anklage erhoben: _Elif Shafak_ lässt in ihrem Roman „Father and Bastard“ Erzählfiguren von „Genozid-Überlebenden“ und „türkischen Schlächtern“ reden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Verunglimpfung des türkischen Staates und der Nationalversammlung. Auf Deutsch wird der Titel bei Eichborn erscheinen.

Dagegen geschehen auch positive Dinge: Die Landesregierung von Baden-Würtemberg will die Pressefreiheit besser schützen. Justizminister _Ulrich Goll_ (FDP) kündigt eine Bundesratsinitiative an, um die Strafverfolgung von Journalisten zu erschweren. Zukünftig sollen Hausdurchsuchungen in Wohnungen von Journalisten und die Beschlagnahme von Recherchematerial nur noch mit richterlichem Beschluss möglich sein. Bislang galt dies nur für Redaktionsräume. Zudem soll es erschwert werden, Fernmeldedaten von Journalisten zu erfassen.

Im Mai wurde durch den Hörverlag zum ersten Mal der _PRIX HÖRVERLAG _ vergeben. Ziel des neuen Preises ist es, die freie Hörspielszene zu stärken. Der _1. Preis_ ging an den Hörspielautor _Stefan Finke_ mit seiner assoziativen Soundcollage _“Familienalbum. Innerer Monolog für Stimmen, Musik und Geräusche“_, produziert für den Bayerischen Rundfunk. Die Jury – besetzt mit dem Autor Wiglaf Droste, Udo Kittelmann (Museum für Moderne Kunst in Frankfurt), dem Musiker und Komponisten Hans Platzgumer, der Schauspielerin Wiebke Puls, dem Literaturkritiker Wilhelm Trapp und Verlegerin Claudia Baumhöver – stellte die drei besten unter 120 Einsendungen in Wort und Klang vor. Den zweiten Preis konnte das Berliner Autoren-Duo SEROTONIN (_Marie-Luise Goerke_ und _Matthias Pusch_) für den Beitrag _“Scheitern für Fortgeschrittene“_, produziert im Auftrag des WDR, entgegennehmen. Mit _“In’ Sack haun“_, ebenfalls eine WDR-Produktion, kam der Berliner _Hermann Bohlen_ auf Platz 3. Der PRIX HÖRVERLAG, der einzige Hörspielpreis, der von einem Verlag vergeben wird, wird alle zwei Jahre ausgeschrieben und hat das Ziel, unabhängige HörspielmacherInnen zu fördern und ihren Werken zusätzliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. Der Münchner Hörbuch-Marktführer will freie Kreative ermutigen, die Möglichkeiten des Formats Original-Hörspiel in alle Richtungen auszuloten. Gleichzeitig sollen die Werke den Autoren und ihrem Publikum gleichermaßen Lust auf akustische Umsetzungen machen.

_Hans Pleschinski_ erhält im Oktober den _Hannelore-Greve-Preis der Hamburger Autorenvereinigung_, einen der höchstdotierten Literaturpreise Deutschlands. Bekannt wurde der Autor 2002 mit seinem Roman „Bildnis eines Unsichtbaren“ bei dtv.

Der _Deutsche Kulturförderpreis_ ging an das _Bankhaus Metzler_ für dessen Engagement beim Wettbewerb _“Ohr liest mit“_ des Börsenvereins, bei dem Schüler literarische Vorlagen in Hörspiele und Features umsetzen. Der Preis wird vom Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDI vergeben und zeichnet das herausragende kulturelle Engagement von kleineren, mittleren und großen Unternehmen aus.

Mit dem _Hermann-Hesse-Förderpreis_ wurde die Literaturzeitschrift _Sprache im technischen Zeitalter_ ausgezeichnet. Die vierteljährlich erscheinende Zeitschrift ist seit den frühen 1990er Jahren ein führendes Forum für die deutschsprachige Gegenwartsliteratur. Das Magazin ist eine empfehlenswerte intelligente und leserfreundliche Verbindung von Literatur, Literaturwissenschaft und Essayistik.

Das _“Goldene Buch“_ der _Stiftung Lesen_, mit der seit 2005 Persönlichkeiten geehrt werden, die sich der Leseförderung verdient gemacht haben, ging an _Ulrich Wechsler_.

Der Stiftungsrat des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels hat den deutschen Soziologen und früheren Rektor des Wissenschaftskollegs zu Berlin, _Wolf Lepenies_, zum diesjährigen Träger des _Friedenspreises_ gewählt. Die Verleihung findet während der Frankfurter Buchmesse am Sonntag, 8. Oktober 2006, in der Paulskirche statt und wird live im Ersten Deutschen Fernsehen übertragen. Der Friedenspreis wird seit 1950 vergeben und ist mit 25.000 Euro dotiert. In der Begründung des Stiftungsrats heißt es: „Den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verleiht der Börsenverein im Jahr 2006 Wolf Lepenies und ehrt damit den wissenschaftlichen Schriftsteller, den anschaulich schreibenden Biographen, den stilsicheren Essayisten, der durch Wort und Tat belegt, dass zwischen Verhalten und Wissen, zwischen Moral und Wissenschaft ein unauflöslicher Zusammenhang besteht. Zwischen den in Kunst und Wissenschaft verbreiteten Haltungen von Enthusiasmus und Skepsis hat sich Wolf Lepenies für eine dritte Haltung entschieden: für den intellektuellen Anstand, wie er ihn bei Diderot vorgebildet sieht. Er hat den ,handelnden Intellektuellen’ in der Geschichte gesucht und ihn als einen Typus beschrieben, der für das Gemeinwohl einsteht. In den 15 Jahren seines Rektorats wurde das ,Wissenschaftskolleg zu Berlin’ zu dem vielleicht anregendsten und freiesten Ort Europas, zu einer Begegnungsstätte von westlicher Rationalität und östlicher Weisheit, von Kunst und Wissenschaft, zu einer Heimstätte für moderne Musik und Literatur. Den Samen dieses freiheitlichen Denkens hat er nach dem Fall der Mauer mit großer Tatkraft auch in anderen Städten und Institutionen gepflanzt, in St. Petersburg und in Warschau, in Sofia, in Bukarest, in Budapest und in Mali, und dadurch Völker und Kulturen im friedlichen Gespräch zusammengeführt. An die Stelle des Drohbildes vom ,Zusammenprall der Kulturen’ hat er das Hoffnungsbild kultureller Lerngemeinschaften gesetzt und solche Gemeinschaften in seinem Umkreis beispielhaft begründet. Er hat dem Frieden unter den Völkern einen Wurzelgrund gegeben. Dafür danken wir ihm.“ Wolf Lepenies, geboren am 11. Januar 1941 im ostpreußischen Deuthen (Allenstein), schloss sein Studium der Soziologie 1967 in Münster mit der Dissertation „Melancholie und Gesellschaft“ ab, die zwei Jahre später als Buch erschien. 1971 habilitierte er an der Berliner Freien Universität, an der er bis 2006 als Professor lehrte. Nach Auslandsaufenthalten in Paris und als Mitglied der School of Science des renommierten Institute for Advanced Study in Princeton, New Jersey, wurde Lepenies 1986 Rektor des Wissenschaftskollegs zu Berlin. In seiner Amtszeit bis 2001 initiierte er schon 1994 ein breit angelegtes Forschungsprogramm zum Thema Islam und intensivierte den wissenschaftlichen und kulturellen Austausch vor allem mit den osteuropäischen Nachbarn durch die Einrichtung von Wissenschaftszentren. Lepenies ist weiterhin „Permanent Fellow“ des Wissenschaftskollegs; seit 2004 gehört er dem Aufsichtsrat der Axel-Springer AG an. Geehrt wurde Wolf Lepenies unter anderem mit dem Alexander-von-Humboldt-Preis für seine Verdienste um die deutsch-französische wissenschaftliche Zusammenarbeit (1984), dem Karl-Vossler-Preis (1998), dem Leibniz-Ring (1998), dem Joseph-Breitbach-Preis der Mainzer Akademie der Wissenschaften für sein Lebenswerk (1998), dem Theodor-Heuss-Preis gemeinsam mit Andrei Pleşu für ihr europa- und demokratiepolitisches Engagement (2000) sowie mit der Leibniz-Medaille der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (2003). 1994 hielt er in der Frankfurter Paulskirche die Laudatio auf den Friedenspreisträger Jorge Semprún. Mit seinen Werken „Melancholie und Gesellschaft“ (1969), „Das Ende der Naturgeschichte“ (1976) und zur Soziologie der Gesellschaft im 19. Jahrhundert lieferte Wolf Lepenies wichtige Beiträge zum modernen gesellschaftlichen Selbstverständnis. 1981 brachte er das vierbändige Werk „Geschichte der Soziologie“ mit Studien zur kognitiven, sozialen und historischen Identität dieser Disziplin heraus. Als sein Hauptwerk gilt die Studie „Die drei Kulturen. Soziologie zwischen Literatur und Wissenschaft“ (1985) über die Etablierung der Sozialwissenschaften und ihre nationaltypischen Besonderheiten in England, Frankreich und Deutschland. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Lepenies mit seiner Biographie über den französischen Literaturkritiker „Sainte-Beuve. Auf der Schwelle zur Moderne“ (1997) bekannt. Sein neuestes Buch „Kultur und Politik. Deutsche Geschichten“ über das prekäre Verhältnis von Politik und Kultur zwischen dem 18. und 20. Jahrhundert erscheint im Juli 2006. Wolf Lepenies ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Berlin.
Der rumänische Philosoph und Kunsthistoriker Andrei Pleşu, ehemaliger Außenminister seines Landes, wird die Laudatio auf Wolf Lepenies halten. Die Verleihung findet am 8. Oktober 2006 in der Frankfurter Paulskirche statt und wird ab 11 Uhr im ersten Programm der ARD live übertragen. Andrei Pleşu, geboren am 23. August 1948 in Bukarest, wurde nach seiner Promotion 1980 Dozent an der Akademie der Schönen Künste, 1982 aber aus politischen Gründen entlassen. 1989 wurde er in das Dorf Tescani verbannt, als er sich mit dem oppositionellen Dichter Mircea Dinescu solidarisierte. Nach der Revolution 1989 wurde Pleşu Kulturminister, seine Amtszeit endete 1991 mit dem Sturz der Regierung. Er lehrte fortan Religionsphilosophie in Bukarest und übernahm Gastprofessuren in Berkeley und in Berlin, wo er als Fellow im Wissenschaftskolleg forschte. Von 1997 bis 1999 war Andrei Pleşu parteiloser Außenminister. In dieser Zeit intensivierte er die Annäherung an den Westen und schuf wichtige Voraussetzungen für die mittlerweile erfolgreichen Beitrittsverhandlungen Rumäniens zur Europäischen Union. Pleşu ist Mitglied in verschiedenen wissenschaftlichen Akademien. Für seine politische und literarische Tätigkeit wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Er lebt in Bukarest, ist verheiratet und hat zwei Söhne. Andrei Pleşu gehörte 1994 zu den Gründern des ‚New Europe College’, das er nach dem Vorbild des Institute for Advanced Studies in Princeton ausbaute und bis heute leitet. Zu den Unterstützern dieser und anderer Wissenschaftseinrichtungen in Osteuropa zählt der Friedenspreisträger 2006.
Für seinen Bestseller „Die Vermessung der Welt“ erhielt _Daniel Kehlmann_ den diesjährigen _Heimito von Doderer-Literaturpreis_. Ebenso ging der _Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung_ an ihn.
Den _Ingeborg-Bachmann-Preis_ erhielt _Kathrin Passig_. Bemerkenswert dabei ist, dass diese Autorin bislang nur einen einzigen literarischen Text – die Erzählung „Sie befinden sich hier“ – geschrieben hat. Nach eigener Aussage hat sie dafür „insgesamt weniger als einen Tag gebraucht“. Sie überzeugte so sehr, dass sie auch den Kelag-Publikumspreis erhielt. Bislang war sie als reine Sachbuch-Autorin bekannt, was sie auch fortführen wird.
_Wolfgang Büscher_ erhielt für sein „Deutschland, eine Reise“ (Rowohlt) den _Ludwig-Börne-Preis_.
Am 11. Juli wäre _Herbert Wehner_ 100 Jahre alt geworden. Als eine der herausragendsten, aber auch umstrittensten Persönlichkeiten der deutschen Nachkriegsgeschichte verstarb er 1990. Zum Jahrestag fand in Dresden eine Großveranstaltung des Herbert-Wehner-Bildungswerkes statt, an der u. a. Helmut Schmidt, Greta Wehner, Hans-Jochen Vogel und Franz Müntefering teilnahmen. Aktuell dazu ist bei dtv von Christoph Meyer die Biografie „Herbert Wehner“ erschienen.

_Manfred Steffen_, einer der erfolgreichsten deutschen Hörspiel- und Synchron-Sprecher, feierte am 28. Juni seinen 90. Geburtstag. Steffen hat nahezu alle Bücher von Astrid Lindgren auf Tonträger gelesen und ist damit zu DER Stimme der Autorin im deutschsprachigen Raum geworden.

50. Geburtstag feierte am 28. Juni der Illustrator _Peter Knorr_, von dem sehr viele der Titelbilder im Kinder- und Jugendbuch-Programm von Beltz & Gelberg zu finden sind.

60. Geburtstag hatte am 23. Juni _Rafik Schami_, der einer der erfolgreichsten Autoren deutscher Sprache ist. Die Gesamtauflage seiner Bücher bei dtv liegt über einer Million.

Am 18. Oktober 2006 wäre _Klaus Kinski_ 80 Jahre alt geworden. Zu diesem Anlass erscheint im Hörbuch-Programm der Deutschen Grammophon eine weitere Edition (4 CDs im Digipack) „Kinski spricht Deutsche Dichtung“ (Goethe, Büchner, Schiller, Hauptmann, Brecht und Nietzsche).

Am 11. Juli war der 50. Todestag von _Werner Riegel_, der 1956 mit erst 31 Jahren an Krebs starb. Von 1952 bis 1956 gab er die Literaturzeitschrift „Zwischen den Kriegen“ heraus, in der er politische Leitartikel, Gedichte und Aufsätze veröffentlichte. Dabei kritisierte er zumeist die frühe deutsche Nachkriegsliteratur der 50er Jahre. Er schätzte stattdessen vor allem George, Trakl, Benn und Brecht. Peter Rühmkopf bezeichnete Riedel als den „Revisionisten des Expressionismus schlechthin“. Auch Arno Schmidt schätzte diesen deutschen Dichter, der in der Geschichte der deutschen Literatur ansonsten wenig Bekanntheit behielt.

Aber auch einer der bedeutendsten deutschen Dichter hatte am 7. Juli den 50. Todestag: _Gottfried Benn_. Er begann bereits in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts zu schreiben, aber vor allem sein lyrisches Spätwerk wie z. B. die „Statischen Gedichte“ von 1948 machten ihn zu einem der ganz Großen in der Literatur des 20. Jahrhunderts. Von Emigranten-Kollegen blieb er immer kritisiert, schrieb er doch 1933 „Der neue Staat und die Intellektuellen“, aber er bekam 1951 den Büchner-Preis und 1952 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Für die Linke zählt Benn zu den Nazis, obwohl er nicht dazugerechnet werden kann. Zwar kamen keine eindeutige Distanzierung, aber sehr wohl scharfe Kritiken von seiner Seite gegenüber dem Nationalsozialismus. Auch war er nie in der NSDAP Mitglied gewesen.

Am 1. Juni ist _Hans-Christian Kirsch alias Frederik Hetmann_ verstorben.

Im Juli ist Robert Gernhardt im Alter von 68 Jahren in Frankfurt am Main verstorben. Bekannt war er für seine satirischen Texte und Karikaturen. 1964/65 war er Redakteur der Satire-Zeitschrift „Pardon“. Zusammen mit Friedrich Karl Waechter, F.W. Bernstein, Chlodwig Poth, Eckhard Henscheid und anderen gründete er die „Neue Frankfurter Schule“, deren Publikationsorgan das Satiremagazin „Titanic“ wurde. Mit seinen zahlreichen Gedichtsbänden wurde er einer der bedeutendsten Dichter deutscher Sprache und erhielt 2004 den Heinrich-Heine-Preis. Posthum erschien nun sein noch selbst fertiggestellter Gedichtband „Später Spagat“ bei S. Fischer. Im nächsten Jahr folgt noch der Erzählband „Denken wir uns“. Der umfangreiche literarische Nachlass ging an das Deutsche Literaturarchiv in Marbach.

Das neue _Literaturmuseum der Moderne_ in Marbach (wir hatten schon berichtet) wurde nun am 6. Juni durch Bundespräsident Horst Köhler eröffnet. Auf mehr als 1000 Quadratmetern Ausstellungsfläche zeigt es in einer Dauerausstellung die bedeutenden Bestände der Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts, die im angeschlossenen Deutschen Literaturarchiv gesammelt und bewahrt werden. Im Zentralraum werden 1300 Objekte dauerpräsentiert; daneben steht ein Multimediaraum zur Verfügung; der dritte Saal dient Sonderausstellungen. Seit dem 7. Juli ist eine Ausstellung zu Gottfried Benn zu sehen, der auch zwei Tagungen angegliedert waren (Benns Modernität – 7. – 9.Juli, und Benns Nietzsche – 26. August). Das weltweit einzige Literaturmuseum verfügt über 1200 Textnachlässe, darunter 250 aus Gelehrtenhand; dazu kommt eine Spezialbibliothek von 750.000 Bänden. Der Museumsbau wurde von David Chipperfield in 21 Monaten für 11,8 Millionen Euro errichtet.
Auch im Internet hat das Literaturmuseum Neues zu bieten. Unter www.literaturportal.de finden Besucher unter anderem einen umfangreichen Literaturkalender, der das literarische Leben im deutschsprachigen Raum in all seinen Facetten dokumentiert. Das Archiv erweitert auf diese Weise seine dokumentarischen Leistungen und richtet seinen Scheinwerfer auch auf die aktuelle Gegenwart des Literaturbetriebs. Nutzer des neuen Angebots können gezielt nach Terminen von Lesungen, Vorträgen, Diskussionen und Ausstellungen mit literarischem Bezug suchen. Interessante Zusatzmodule komplettieren das Angebot.

Im Mai fand zum ersten Mal nach 20 Jahren der _72. internationale PEN-Kongress_, zu dem mehr als 450 Delegierte und Autoren aus aller Welt anreisten, wieder in Deutschland statt. Dem PEN (1921 gegründet) gehören etwa 140 Autorenverbände in 100 Ländern mit insgesamt 18 000 Mitgliedern an. Dazu gehört auch das „Writers in Prison Comitee“, das konkrete Fälle verfolgter oder inhaftierter Autoren verhandelt, Maßnahmen berät und international diplomatischen Einfluss genießt. Die Tagung in Berlin stand unter dem Motto „Schreiben in friedloser Welt“ und wurde von Bundespräsident Horst Köhler und dem Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass eröffnet, der unter starkem Applaus die Bushregierung und ihre Kriegspolitik im Irak kritisierte.

Dem _Goethe-Institut_ geht nach jahrelangen Mittelkürzungen das Geld aus, um seinen Verpflichtungen zur Pflege der deutschen Sprache im Ausland und zur Förderung der internationalen kulturellen Zusammenarbeit im bisherigen Umfang gerecht zu werden. Deswegen fordert es die Politiker auf, der „fortgesetzten Vernachlässigung auswärtiger Kulturarbeit ein Ende zu machen und weiteren Schaden von ihr abzuwenden“.

Nach einigen Querelen heißt von nun an die Deutsche Bibliothek doch _Deutsche Nationalbibliothek_. Neu ist außerdem, dass der Sammelauftrag auch für Netzpublikationen gilt, und im Verwaltungsrat werden auch Bundestagsabgeordnete sitzen.

Dieses Jahr ist wie bereits geschildert „Indien“ Gastland der diesjährigen _Frankfurter Buchmesse_. Erwartet werden rund 200 indische Verlage und mehr als 20 indische Autoren. Geplant wird derzeit schon für die Folgejahre. 2007 ist Katalonien zu Gast. 2008 folgt die Türkei. Ursprünglich wollte Angela Merkel, dass die USA zu diesem Zeitpunkt kommen. Aber von Amerika kam dazu das „Nein“, weil dann doch Präsidentschaftswahlen wären. Scheinbar haben die eher Angst, dass dann aufgrund der PR Bush an Stimmen verlieren würde. Für 2009 ist man mit China im Gespräch und 2010 ist Argentinien angedacht.

In der _Reform des Börsenvereins_ geht es voran. Im April hatte die Abgeordnetenversammlung, die sich nach Reformplänen selbst abschaffen müsste, mehrheitlich dieses Thema bereits zum zweiten Mal auf den Herbst vertagt. Auf den Buchhändlertagen im Mai wurde aber deutlich, dass die Mitgliederbasis die Reform will. Die Abgeordnetenversammlung wurde aufgefordert, zu einem klaren Ergebnis zu kommen (d.h. der Auftrag der Basis ist es, sich abzuschaffen), was auch Chancen auf Zustimmung hat, denn es wird künftig ein Branchenparlament geben, das alle Seiten zufrieden stellen kann.

|Das Börsenblatt, das die hauptsächliche Quelle für diese Essayreihe darstellt, ist selbstverständlich auch im Internet zu finden, mit ausgewählten Artikeln der Printausgabe, täglicher Presseschau, TV-Tipps und vielem mehr: http://www.boersenblatt.net/.|

Buchwurminfos III/2006

Die Änderungen der _Rechtschreibreform_ wurden von den Ministerpräsidenten der 16 Länder bei ihrer Konferenz in Berlin bestätigt. Die Korrekturen bei der Getrennt- und Zusammenschreibung sind damit wieder mehr an die Sprachpraxis angelegt bestätigt (z. B. „sitzenbleiben“). Wieder einmal zum 1. August wird das Ganze verbindlich. Der |Duden|-Verlag freut sich, denn es gibt wieder eine neue Ausgabe. Für die nun neu gültige Regelung gibt es auch wieder die einjährige Übergangsfrist, in der fehlerhafte Schreibungen nicht gewertet werden. Namhafte deutsche Schriftsteller beharren weiterhin darauf, an der ganz alten Schreibweise unverändert wie bisher festzuhalten. Verleger sehen das nicht anders, z. B. |dtv|-Verleger Wolfgang Beck: „Wie können Menschen, die ganz offensichtlich von Sprache und Literatur keine Ahnung haben, Richtlinien für eine ganze Sprachgemeinschaft vorgeben?“ Das Reformieren wird sicherlich noch lange Zeit weitergehen. Und auch das Bundesverfassungsgericht lässt – mit Ausnahme der bislang Geplagten aus Schule und staatlichen Behörden – alles beim Alten. Im Beschluss vom 2. Mai stellte es fest: „Personen außerhalb dieses Bereiches sind rechtlich nicht gehalten, die reformierte Schreibung zu verwenden; sie sind rechtlich vielmehr frei, wie bisher zu schreiben“. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass die Kultusministerkonferenz an alle Verlage und Publikationsorgane appelliert habe, sich an die veränderten Rechtschreibregeln zu halten.

Oldenbourg und Rowohlt Verlag haben beim Landesgericht München eine Klage gegen die Ausschüttung der _VG Wort_ eingereicht. Der Börsenverein unterstützt dieses Musterverfahren, in dem geklärt werden soll, in welchem Verhältnis die Einnahmen der VG Wort an Autoren und Verlage zu verteilen sind. Der Vorstand der VG Wort hatte beschlossen, einer aufsichtsbehördlichen Anweisung des Deutschen Patent- und Markenamtes entgegen den eigenen Verteilungsplänen zu folgen und einen Teil der Ausschüttung an die Verlage vorerst einzubehalten. Streit gibt es auch zwischen der VG Wort und den Herstellern von Kopiergeräten. Hintergrund sind in beiden Fällen die neuen Urheberrechtsgesetze, die der Gesetzgeber wegen der auftretenden Schwierigkeiten jetzt ändern will.

Die Urheberrechtsklage gegen _Dan Browns „Sakrileg“_ ist vom Obersten Gericht in London abgelehnt worden. Der Richter sah es als nicht erwiesen an, dass Browns Roman Copyright-Rechte verletze. Die beiden klagenden Autoren Michael Baigent und Richard Leigh hatten u. a. behauptet, Brown habe das zentrale Thema seines Buches aus ihrem vor 24 Jahren veröffentlichten Werk „Der heilige Gral und seine Erben“ übernommen. Eigentlich wird das auch schon im Namen des Protagonisten im Sakrileg, dem Gralsforscher Leigh Teabing, deutlich: Leigh = der Nachname von Richard Leigh, Teabing = ein Anagramm von Baigent. Ein kleiner Skandal bot dagegen die Auslieferung der 1,1-Millionen „Sakrileg“-Taschenbücher, wo es zu Verstößen gegen den Erstverkaufstag am 8. April gekommen war.
Bei der ganzen Vermarktungsangelegenheit sollte vielleicht auch auf das neu aufgelegte _“Da Vinci Tarot“_ aufmerksam gemacht werden, das bei IRIS erhältlich ist. Es sind allesamt Bilder von Da Vinci, mit denen man die Geheimnisse der Ideenwelt des Künstlers entschlüsseln kann. Da im Kinofilm Abbildungen aus diesem Deck verwendet wurden, dürfte dieses Tarotset nun Berühmtheit erlangen und könnte zu einem der weltweit erfolgreichsten Tarots werden.
Ansonsten überrascht in heutiger Zeit doch sehr, wie unerträglich die angebliche Blasphemie, dass Jesus mit Maria Magdelena sexuellen Verkehr hatte und sogar Nachkommen zeugte, für die herrschenden Kirchen noch ist. Weltweit ist wegen des Films die katholische Kirche in Aufruhr. Die griechisch-orthodoxe Kirche fordert auf, den Film nicht zu sehen und das Buch nicht zu lesen. Der Vatikan ruft gar zu organisierten Protestaktionen auf und empfiehlt den Gläubigen, den Film wegen Verunglimpfung der Religion anzuzeigen. Und natürlich ist es nicht anders im fundamentalistischen Amerika, wo die Kirchen zum Filmstart „Wahrheitskommissionen“ einsetzten. In Asien kam es beim Filmstart zu den dramatischsten Szenen. In Indien drohten hunderte entrüsteter Christen mit Hungerstreik, falls ihrem gerichtlichen Ersuchen, den Filmstart zu verhindern, nicht stattgegeben würde. Gleiches spielte sich in Korea ab. Auf den zu Dänemark gehörenden Färöern (90 % der Bevölkerung sind Protestanten) boykottieren die Inhaber der Kinos den Film, um ein Zeichen gegen Blasphemie zu setzen. Schon der Film „Das Leben des Brian“ von Monty Python aus dem Jahr 1979 wurde dort bislang aus Rücksicht auf religiöse Empfindlichkeiten nie gezeigt.
Deswegen möchte ich auch auf ein überaus teures Werk, _“Römische Inquisition und Indexkongretation – Grundlagenforschung“_, hinweisen, das in 8 Bänden im Schöningh-Verlag für ca. 650 Euro zur Subskription angeboten ist. Sechs davon sind bereits erhältlich. Dieses untersucht, wie der Vatikan jahrhundertelang die Bücher missliebiger Autoren auf den Index setzte. Gemessen an Umfang und inhaltlicher Tragweite handelt es sich um das größte theologische Forschungsprojekt im deutschen Sprachraum, das erst möglich wurde, seit sich 1998 der Zugang zu den vatikanischen Archiven öffnete. Kürzlich wurden sie dem ehemaligen Präfekt der Glaubenskongretation und jetzigen Papst Benedikt XVI. übergeben, der diese Indexgeschichte als wichtigen Meilenstein für eine neue Kirche, die Licht in die dunklen Kapitel ihrer Geschichte bringen will, bezeichnete. Man rechnet damit, dass der Film „Da Vinci Code“ der größte Blockbuster aller Zeiten werden wird, denn auch schon das Buch ist ja eines der erfolgreichsten Bücher, die je verlegt wurden. Weltweit ist Dan Brown auf den Bestsellerlisten und der Titel über 40 Millionen Mal verkauft worden. Das ist zwanzigmal mehr als bis dahin auflagenträchtige Bestsellerautoren wie etwa John Grisham absetzen konnten.

In den _Bestseller-Listen_ bewegt sich fast nichts. Es kommen nur wenige Neueinsteiger überhaupt hinzu und auf den ersten Plätzen halten sich Kehlmanns „Vermessung der Welt“ unverändert seit Januar auf Platz 1, Dan Browns „Sakrileg“, Stephen Kings „Puls“ und Cornelia Funkes „Tintenblut“. Die Kinderbuch-Autorin Funke ist sowieso die eigentliche jüngere Überraschung. In der Hardcover-Belletristik-Bestseller-Liste ist sie mit gleich fünf Titeln vertreten. Auch überraschend und endlich etwas Neues: In den vorderen Plätzen kam im Mai ausgerechnet ein schon vor 30 Jahren erschienenes Perry-Rhodan-Heft nun im Hardcover: „Die Kaiserin von Therm“, das damalige 800. Jubiläumsheft. In den Heften ist man mittlerweile bei 2330, die Leser sind zu 80 % Männer zwischen 35 und 40 Jahren, für die Buchausgaben noch älter. In den Sachbüchern halten sich unverändert Kochbücher und Diäten-Ratgeber, wobei die Umsätze leicht rückgängig sind. Die Sensationsdiät „Schlank im Schlaf“ von Gräfe und Unzer ist dabei die gegenwärtige Nr.1. Auch im Hörbuch-Bereich ist die Jubiläums-Edition von Dan Browns „Illuminati“ sofort nach Erscheinen auf die ersten Plätze geschnellt.

Die _“Stern“-Krimi-Bibliothek_ ist mit 24 Bänden abgeschlossen. Mehr als 750.000 Bücher wurden dabei verkauft. Aber auch die Kriminalbibliothek der _“SZ“_ hat die Erwartungen übertroffen. Krimis sind gefragt. Auch im sonstigen Belletristik-Umsatz liegen sie etwa bei 22 %. Eine große Anzahl der belletristischen Taschenbuchneuheiten macht in diesem Jahr das Thema Liebe und Leidenschaft aus, das für lustvolle Lesestunden sorgt. Aus den Editionen schaffen es in die Bestseller-Listen allerdings unverändert vor allem die Titel aus der _“Brigitte“-Edition_ von Elke Heidenreich. Im August startet die _“Spiegel“-Edition_, die 40 Titel aus 40 Jahren der Spiegel-Bestseller-Liste umfassen wird (20 Romane und 20 Sachbücher), mit einem Band pro Woche, Einzelpreis 9,90 Euro. Vertriebspartner ist dtv. Und im September startet die zwölfbändige _“Bild“-Wissensbibliothek_ in Zusammenarbeit mit Bertelsmann zum Preis von 9,95 Euro.

Mit Beginn des zunehmen „WM“-Vorfeld-Hypes hatte der Bundesgerichtshof (BGH) dem Fußball-Weltverband untersagt, das alleinige Copyright-Recht für den Begriff _“Fußball-WM 2006″_ innezuhalten. Die Fifa hatte den Begriff für mehr als 800 Waren- und Dienstleister eintragen lassen. Damit gab es auch bei den Verlagen ein Aufatmen, denn diese brauchten diese Bezeichnung auch auf ihren Titeln und Buchhandlungen und konnten ihre Ladenflächen und Schaufenster wieder gestalten, ohne gleich rechtliche Konsequenzen fürchten zu müssen.

Interessante Zahlen: Das „Potter“-2005 mit Joanne K. Rowling bescherte dem englischen Verlag _Bloomsbury_ einen Umsatz von 156 Millionen Euro und damit ein Plus von 29 %. Der Vorsteuergewinn verbesserte sich um 24 % (42 Millionen Euro), was den Aktienkurs des Verlagshauses in die Höhe schnellen ließ. Bislang wurden weltweit mehr als 300 Millionen Bücher verkauft. Über 3,5 Milliarden Dollar verdiente der Warner-Konzern bisher mit allen Filmen, eine ähnliche Summe bringt auch das Geschäft mit den Lizenzartikeln ein. Darsteller Daniel Radcliffe wird für seinen Auftritt im fünften Teil „Harry Potter und der Orden des Phoenix“ 14,4 Millionen Dollar Gage erhalten. Autorin Joanne K. Rowling ist die reichste Frau Großbritanniens mit einem geschätzten Vermögen von über einer Milliarde Dollar.

Womit ich mal wieder bei den ganz „Großen“ im Buchgeschäft wäre. Der Konzern _Random House_ wäre durch seine Marktmehrheit ja fast am Kartellrecht gescheitert, hätte er nicht „Heyne“ gezwungenermaßen verkleinert und ein paar TB-Sparten davon abgetreten. Nachdem die Integration von Heyne erfolgreich abgeschlossen war, wurde weiterhin zugekauft, zuletzt DVA, Kösel, Manesse und die Gerth-Medien. Außer den auch in Zukunft geplanten Zukäufen wurden auch ganz neue Marken gegründet, wie Pantheon und Page & Turner. Im Kinderbuch und Hörbuch wurde in den vergangenen Jahren um 85 % zugelegt. Auch bei den „billigeren“ Kiosk-Buch-Editionen war man mit dabei; die Krimi-Bibliothek des „Stern“ lief in Kooperation mit Random House. Eine eigene Bibliothek im Stil dieser Zeitungseditionen dagegen ist nicht geplant. Der Zenit sei erreicht. Zwar kämen noch in den nächsten beiden Jahren einige weitere solcher Editionen auf den Markt, aber man will nicht das eigene Taschenbuchgeschäft schädigen – was diese Editionen nachweislich verursacht hatten. Der Konzern ist die größte deutschsprachige Verlagsgruppe. Bislang blieb der Konzern überraschend dezentral strukturiert, in der Programmarbeit der übernommenen Verlage hat sich nichts grundlegend verändert. Natürlich verändern sich gegenüber früher dennoch die zugekauften Verlage. Das Misstrauen und die Kritik gegenüber Random House ist geblieben, aber natürlich sind die Buchhandlungen darauf angewiesen, die Masse der Random-House-Gruppe einzukaufen und ihren Kunden anzubieten.

Der Kinder- und Jugendbuchverlag _Oetinger_ hat unter dem Label _Atrium_ den Einstieg ins Erwachsenenbuch gestartet. Im Herbst kommen die ersten Titel aus dem Belletristik- und Biografienbereich heraus.

Die _Thieme-Verlagsgruppe_ hat den _Diomed Verlag_ übernommen und damit ihr patientenorientiertes Informationsangebot erweitert. Diomed verlegt derzeit rund 700 standardisierte Patientenbögen in bis zu 13 Sprachen, die Ärzten vor einer Operation zur Information und Aufklärung sowie als Einverständniserklärung des Patienten dienen.

Die _Kinderbuchlabels_ Aare, KBV Luzern und Dachs verschwinden aus den Regalen. Alle waren 2001 zusammen mit Sauerländer von Patmos gekauft worden. Allerdings zeigte sich nur Sauerländer als starke Marke. Ab 2007 laufen alle Programme nur noch unter dem Namen _Sauerländer_ weiter. Ausnahme bleiben die religiösen Kinderbücher, die weiter unter dem Namen _Patmos_ laufen.

Auch _Knesebeck_ setzt auf Kinder und bringt im Herbst erstmals zehn Kinderbücher in einer separaten Vorschau. Pro Jahr sollen zwanzig Titel erscheinen.

Dann arbeitet auch noch der _Gerstenberg Verlag_ künftig mit _dtv_ zusammen und bringt am Oktober bei dtv junior die Reihe „Gerstenberg bei dtv junior“ heraus, mit jährlich zehn bis zwölf Titeln.

Die Wochenzeitung _“Junge Freiheit“_ feiert im Juni ihr zwanzigjähriges Bestehen und hat ihr Image in den letzten Jahren zu verbessern gewusst. Im Mai 2005 hatte sie erfolgreich vorm Bundesverfassungsgericht gegen die Diffamierungen im Verfassungsschutzbericht Nordrhein-Westfalen geklagt und erwirkt, dass dies verfassungswidrig war. Die Prozesse wegen der Erwähnung im Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg sind noch nicht abgeschlossen, aber aufgrund der Entscheidung gegen NRW wurde auch dort im neuesten Bericht die „JF“ nicht mehr erwähnt. Im Frühjahr dieses Jahres sollten sie von der Leipziger Buchmesse ausgeschlossen bleiben, was durch einen „Appell für die Pressefreiheit“ mit 1500 Unterzeichnern, vorwiegend Prominenten, ebenso rückgängig gemacht werden musste. Durch das ursprüngliche Verbot hat somit die Messeleitung Schaden erlitten, und die erwarteten Proteste durch linke Störer sind gänzlich ausgeblieben. Zum Jubiläum ist nun in limitierter Auflage sowohl ein Buch „20 Jahre Junge Freiheit“ als auch eine gleichnamige DVD erschienen, die sich sehr eignen, um sich über die umstrittene Zeitung zu informieren.

Was sich die Türkei wohl so denkt? So schnell ist der Widerstand doch hoffentlich nicht in Vergessenheit geraten. Nach heftiger internationaler Kritik war das Strafverfahren gegen den Schriftsteller _Orhan Pamuk_ im Januar eingestellt worden. Nun hat die türkische Justiz das Verfahren gegen den Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels erneut aufgenommen und es geht unverändert um den Vorwurf, dass Pamuk durch seine Äußerungen zur Verfolgung und Ermordung von Kurden und Armeniern das türkische Volk beleidigt habe. Ihm droht eine mehrjährige Haftstrafe – wie auch anderen weniger prominenten Autoren und Journalisten, die wegen ähnlicher Vergehen vor Gericht stehen.

Für Medienfurore sorgte auch _Peter Handke_, der am 18. März an der Beerdigung des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten _Slobodan Milosevic_ teilgenommen hat und auch eine Grabrede hielt. In Paris wurden deswegen die für Anfang 2007 geplanten Aufführungen des Handke-Dramas „Spiel vom Fragen oder Die Reise ins sonore Land“ vom Spielplan genommen. Zahlreiche Autoren wie Elfriede Jelinek, Patrick Modiano, Robert Menasse und Paul Nizon protestieren ebenso wie Suhrkamp-Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz gegen diese Entscheidung.

Der _Drei Eichen Verlag_ hat in diesem Jahr sein 75-jähriges Jubiläum, gegründet am 1. März 1931 von Ludwig Jordan als Verlag für schöngeistige Literatur in Dresden. 1937 wurden der Verlag von den Nazis beendet und die Bücher verbrannt. Einer der Autoren des Verlags, Hermann Kissener, gründete nach dem Krieg 1947 den Saturn Verlag in München, und dadurch kamen Jordan und Kissener wieder in Kontakt, den sie in den Kriegswirren verloren hatten. Jordan übertrug 1948 Kissener den Drei Eichen Verlag, der sich darauf spezialisierte, ein spirituelles Verlagsprogramm aufzubauen, mit Sitz in der Schweiz. 1980 übernahm Kisseners Sohn Manuel den Verlag, der nunmehr wieder in Niederbayern die Geschäfte führte. Dort war es schwer, gegen die konservative Haltung der Gemeinde und die katholische Kirche anzugehen, die den Verlag als Sekte denunzierten. Deswegen wechselte der Verlag 1994 nach Unterfranken. Nach wie vor publiziert Drei Eichen ein Programm mit spirituellen Weisheiten aus Ost und West und richtet sich nicht nach den Verkaufszahlen der Titel. Alle Bücher sind im lieferbaren Programm geblieben. Der erfolgreichste Verlagstitel ist sicherlich die „Einweihung“ von Elisabeth Haich.

100 Jahre alt geworden ist der bei München ansässige Verlag _Langewiesche-Brandt_. Kaum bekannt dennoch, da er keine Produktionen für die Masse publiziert, sondern sehr feine und äußerst niveauvolle Bücher.

Am 6. Mai war der 150.Geburtstag von _Sigmund Freud_, und in den Medien wurde dies auch sehr breit ausgeführt. Das stärkte etwas die Psychoanalyse, die längst nicht mehr ihren Stellenwert vom Anfang des letzten Jahrhunderts oder auch in den 1960er Jahren hatte. Heute ist die Psychoanalyse in der Wissenschaft doch eher sehr umstritten. Zum Jubiläum sind unzählige Titel erschienen, die sich erstmals in ihrer Breite auch an eher breiteres Publikum wenden und leichter verständlich sind als die bisherigen Schriften. Hervorzuheben an wirklich interessanten Titeln sind vor allem folgende drei: Klaus Theleweit „Absolutely Freud“ (Orange Press), Eli Zartesky „Freuds Jahrhundert. Die Geschichte der Psychoanalyse“ (Zsolnay) und Micha Brumlik „Sigmund Freud. Der Denker des 20.Jahrhunderts“. Im Letzteren geht der Autor der gewagten Frage nach, ob die Erfindung der Psychoanalyse nicht einer der bedeutendsten Beiträge des Judentums für die europäische Kultur sei. Aber auch beim Hörbuch gibt es in Kooperation des Hörverlags mit der Wochenzeitung DIE ZEIT eine interessante Höredition „Entdeckungen auf der Couch“, deren Sammlung die wichtigsten Texte des Psychoanalytikers zu Themen wie Traumdeutung, Liebesleben, das Unbewusste und den Ödipuskomplex umfasst. Gelesen von prominenten Sprechern wie Gudrun Landgrebe, Roger Willemsen, Michael Krüger, Ulrich Noethen, Hannah Schygulla und Juliane Köhler.

Der Kritiker, Publizist und Übersetzer _Walter Boehlich_ ist im Alter von 84 Jahren gestorben. Bekannt vor allem durch Übersetzungen von Tania Blixen, Hjalmar Söderberg, Herman Bang, Ramon José Sender, Lope de Vega und Virginia Woolf. Mitte der 50er Jahre arbeitete er unter Peter Suhrkamp im Suhrkamp Verlag bis hin zu den Zeiten unter Siegfried Unseld. Er war maßgeblich mitbeteiligt an dem, was man die „Suhrkamp-Kultur“ nennt. Dort wird er in der Verlagsgeschichte mittlerweile verschwiegen, denn 1968 kam es zum legendären „Aufstand“ der Lektoren, was zur Gründung des Verlags der Autoren führte.

Der _Deutsche Jugendliteraturpreis_, einziger Staatspreis für Literatur in Deutschland, feiert sein 50-jähriges Bestehen.

Und auch die _Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendliteratur_ feiert ihr dreißigjähriges Bestehen. Sie wird von der Stadt Volkach am Main finanziell unterstützt, sowie durch die Bayrische Sparkassenstiftung, die den jährlichen _Großen Preis_ für ein literarisches bzw. graphisches Gesamtwerk oder für herausragende wissenschaftliche, publizistische oder literaturpädagogische Arbeiten im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur stiftet. Monatlich prämiert die Akademie jeweils drei Neuerscheinungen aus den Bereichen Bilder-, Kinder- und Jugendbuch zum _Buch des Monats_. Außerdem werden seit 1982 verdiente Persönlichkeiten mit dem _Volkacher Taler_ ausgezeichnet. Seit ihrer Gründung finden Tagungen und Seminare für Kinder- und Jugendliteratur statt und in einer Schriftenreihe veröffentlicht. Darüber und einiges weitere mehr findet sich auch etwas im Internet unter www.akademie-volkach.de.

Der _Friedrich-Glauser-Krimipreis 2006_ der Autorenvereinigung Das Syndikat ging an _Astrid Paprotta_ für ihren Roman „Die Höhle der Löwin“ (Piper).

Den _Büchnerpreis_ der Akademie für Sprache und Dichtung erhielt kurz vor seinem 80. Geburtstag der Großmeister der experimentellen Lyrik, _Oskar Pastior_.

Die Iranerin _Shirin Ebadi_ erhielt 2003 den Friedensnobelpreis. Wie wurde als erste Frau im Iran zur Richterin ernannt und war von 1975 bis 1979 Vorsitzende des Teheraner Stadtgerichts. Mit dem Sturz des Schah-Regimes 1979 und der Ausrufung einer islamischen Republik musste sie ihr Richteramt aufgeben. Seither arbeitet sie als Anwältin und setzte sich unter anderem für politische Gefangene, benachteiligte Frauen und Kinder ein. Nun ist ihre Autobiografie _“Mein Iran“_ erschienen. Zur Vorstellung dieses Buches reiste sie nach Berlin und warnte vor einem Militärschlag: „Trotz aller Kritik, die wir an der iranischen Regierung haben, darf kein einziger amerikanischer Soldat seinen Fuß auf iranischen Boden setzen“. Das Beispiel Irak zeige, welchen Preis das Volk für den Sturz von Diktatoren bezahlen müsse. „Der Irak steht an der Schwelle eines Bürgerkriegs und der Spaltung des Landes. Das ist das Ergebnis des willkürlichen Angriffs der USA auf den Irak“. Die US-Medien verbreiteten derzeit ein Bild vom Iran, mit dem die Öffentlichkeit auf einen Angriff auf ihr Land vorbereitet werden solle. Sie fordert Washington und Teheran auf, ihre Differenzen durch Verhandlungen beizulegen. Nur mehr Demokratie könne die Nutzung der Kernenergie in ihrem Land kontrollierbarer machen.

Die Deutsche Umweltstiftung verlieh ihren _19. Umweltpreis für Journalisten_ dem _Strahlentelex_ (Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit) und würdigte eine 20-jährige unabhängige Informationsarbeit. Das monatliche Printmedium gibt es für 64 Euro im Jahresabo bei Strahlentext, Waldstr.49, 15566 Schöneiche bei Berlin. Im Internet unter www.strahlentelex.de.
Der bekannte Autor Erik Neutsch („Spur der Steine“) stellt seinen künstlerischen Nachlass zur Verfügung, die Rosa-Luxemburg-Stiftung übernimmt die Treuhänderschaft. Die _“Erik-Neutsch-Stiftung“_ hat als unselbständige gemeinnützige Stiftung in der Rosa-Luxemburg-Stiftung den Zweck, politische Bildung, Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur sowie internationale Verständigung und Zusammenarbeit zu fördern. Die Stiftungsurkunde wurde am Mittwoch, dem 17. Mai 2006, von dem Stifter Erik Neutsch und dem Geschäftsführenden Vorstandsmitglied der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Evelin Wittich, in Halle/Saale feierlich unterzeichnet. Als Auftakt in der Arbeit der Erik-Neutsch-Stiftung wird am 21. Juni 2006 bei der RLS in Berlin ein Kolloquium zum 75. Geburtstag des Autors stattfinden.
Der Bundestag hat nun am 6. April in dritter Lesung das Gesetz verabschiedet, mit dem _Die Deutsche Bibliothek_ in _Deutsche Nationalbibliothek_ umbenannt werden soll. Der Weg durch die Gremien ist damit aber noch nicht abgeschlossen, da der Bundesrat die Entscheidung noch billigen muss – ohne zustimmungspflichtig zu sein. Vom Bundesrat war gegen die Namensänderung ja im Vorfeld erhebliche Kritik ausgegangen.

Der ehemalige Direktor der Frankfurter Buchmesse, _Volker Neumann_, (davor Marketing-Chef bei Random House) ist wieder ins direkte Buchgeschäft gegangen. Seit 1. Mai ist er Geschäftsführer für Marketing und Vertrieb bei Pendo. Der gegenwärtige Pendo-Verleger Christian Strasser war früher Verleger von Ullstein Heyne List.

_Juergen Boos_, der neue Direktor der Frankfurter Buchmesse, will die Frankfurter Buchmesse als internationale Marke profilieren. Nach der Buchmesse in Kapstadt, die im Juni dieses Jahres zum ersten Mal stattfindet, hat er nun sogar eine Gegenmesse zur London Book Fair ins Leben gerufen. Der erste Auftritt der _Book Fair Earl`s Court_ in London war vom 16. – 18. April 2007 geplant und tritt gegen die _London Book Fair_ an, die vom internationalen Messeveranstalter „Reed Exhibitions“ organisiert wird und bereits vom 5. bis 7. März stattfinden sollte. Da der Frankfurter Messeableger nicht außerhalb, sondern in der Innenstadt stattfindet, hatte er bereits jetzt nicht nur deswegen die größere Rückendeckung der großen Verlage. Reed Exhibitions, die weltweit 460 Veranstaltungen organisiert, reagiert sehr verschnupft auf die Frankfurter Pläne, denn auch die Standpreise waren günstiger als bei ihnen. Reed ist ein börsenorientierter Messeveranstalter, der profitorientiert denkt. Die Frankfurter Messe dagegen will den besten Service für die Branche bieten und nicht nur den Profit. Jürgen Boos ging sehr zuversichtlich davon aus, dass im Jahr darauf die London Book Fair nicht mehr stattfinden wird. Es sei kein Bedarf für zwei Buchmessen. Ein „Krieg der Messen“ hat damit begonnen. Die Verträge für die Messehalle _EC&O_ waren bereits zur Unterschrift in Frankfurt eingegangen, als im letzten Moment die Messehalle den Partner wechselte und Reed die Hallen für den von der Frankfurter Messe geplanten April-Termin vergab. Reed hat zudem seine Standpreise um 8 % zum Vorjahr gesenkt. Die Frankfurter Buchmesse prüft nun, ob sie den Betreiber des Messezentrums juristisch auf Schadensersatz belangen kann. Man spricht aber nicht von einem Imageverlust für die Frankfurter Messe, sondern vom Gegenteil. Im Ausland habe es sogar einen Imagegewinn gegeben, da die dortigen Verlage enttäuscht sind. Für die deutsche Messe sind zwei Märkte sehr wichtig: der englischsprachige und der sich entwickelnde Markt in China. In Peking unterhält man bereits das Buchinformationszentrum, das die deutschen Verlage beim Rechtshandel unterstützt.

Der _Börsenverein_ bereitet seit Jahren eine umfangreiche Verbandsreform vor, deren Ziele mehr Transparenz, Kommunikation und Partizipation sind. Obwohl diese Ziele unumstritten sind, wurde auf der Abgeordnetenversammlung im April die Entscheidungen darüber aufs nächste Jahr vertagt. Die Finanzkontrolle z. B. soll ganz an die Hauptversammlung abgeben werden. Ein Branchenparlament sollte im Herbst bereits die Abgeordnetenversammlung ablösen. Die Abgeordneten stimmten dem jedoch nicht zu. Noch werden die Konflikte zwischen Hauptversammlung und Abgeordnetenversammlung eher heruntergespielt, aber es scheint sich ein Machtkampf im Verband anzubahnen. Ein umstrittenes und umkämpftes Thema ist auch die „Volltextsuche online“.

Zum zweiten Mal werfen wir in den regelmäßigen Buchwurm-Infos auch einen Blick auf das Comic-Geschehen. Der _Konkursbuchverlag_, dessen literarisches Programm aus fernöstlicher Literatur sowie Sex eine ganz besondere Nische bedient, ist vor einiger Zeit auch mit einer Comic-Reihe angetreten: _“Small Favors – Girly Sex Comic“_, gezeichnet von der Autorin Colleen Coover, die Sex-Comics auch für Frauen etablieren will. Tatsächlich sind die Geschichten der kleinen Annie und ihrer Freundin Nibbil recht funny wie auch anregend anzuschauen. Die niedlichen romantischen Storys stecken darüber hinaus voller Ironie.
Die eigentlichen sich gut verkaufenden Comics – vor allem an den Bahnhofsbuchhandlungen – bleiben allerdings die Superhelden. Bei DC ist der zweite Band der _Infinite Crisis Monster Edition_ erschienen, ein gigantisches Crossover, welches, wie zuletzt vor zwanzig Jahren geschehen, die Welt der Superhelden um Superman, Batman und Wonderwoman gewaltig durcheinander wirbelt. Nun haben sich auch die Superschurken unter der Leitung von Lex Luthor zusammengeschlossen. Und passend zur Rückkehr von Superman ins Kino kommt auch im Comic ein ganz neuer _Superman_ mit _“Die Rückkehr 1″_ in den Handel. Gezeichnet von dem Koreaner Jim Lee, der mit X-Men bei Marvel begann und danach seine eigene Firma gründete. Mit dem Autor Brian Azzarello erschuf er eine von Story wie Zeichnung ganz außerordentliche Superman-Episode. Im Kino waren bislang aber die „X-Men“ die eigentlich großen Renner und deswegen gibt es sie auch in vielen Variationen auf dem Comic-Markt. Sehr löblich ist es deswegen, die allerersten Folgen von Stan Lee und Jack Kirby innerhalb der Reihe _“Marvel History“_ neu aufzulegen. Gerade ist _“X-Men, Bd.1″_ mit den ersten zehn Geschichten von September 1963 bis März 1965 erschienen. Zeichnerisch ein Riesenunterschied zur aktuellen Reihe, die unter _“Die ultimativen X-Men“_ am Kiosk läuft. Gegenwärtig bekommt man dort die auf fünf Teile angelegte Story „Magnetischer Nordpol“. Star der X-Men ist seit den Filmen zweifellos Wolverine geworden und den gibt es in einem Spezialband _“Wolverine: Origin“_, der von Starzeichner Andy Kubert in einem Meilenstein der Comickunst die Ursprungsgeschichte davon, wie es mit Wolverine begann, erzählt. Auch eine neue Spiderman-Version ist im Mai am Kiosk gestartet: _“Im Netz von Spider-Man“_ mit Band 1 – Das Andere, eine auf zwölf Folgen angelegten Story „Evolution oder Tod“. Ärgerlich nur, dass man auch, um die Story zu haben, den regulären Kiosk-Spiderman kaufen muss, denn nach den ersten vier Storys im eigenen Heft folgen die nächsten vier in der Normalausgabe und die restlichen vier dann in Band 2. Interessanter sind deswegen dann schon auch hier die Sonderbände, wo Spiderman in _Marvel Exklusiv Nr. 61_ als _Spider-Man: House of M_ zelebriert wird. Im House of M existiert das „normale“ Marvel-Universum nicht mehr. In dieser Welt regieren die Mutanten unter der Schirmherrschaft von Magneto und die normalen Menschen bilden die Minderheit. Hier lebt Peter Parker mit seiner Ehefrau Gwen Stacy ein sehr luxuriöses Leben und in der Öffentlichkeit ist er der Wrestling-Star Spider-Man. Eine sehr interessante Variante.
Sehr lobenswert ist, dass Panini seit einiger Zeit auch ins DVD-Filmgeschäft eingestiegen ist und neben Zeichentrickklassikern wie „Ghost in the Shell“, „Akira“ und „Blood – The Last Vampire“ auch eine ganze Menge Mangas auf den Markt wirft, die sonst keinerlei Chance auf dem deutschen Markt hätten. Ein aktuelles Beispiel dieser _Anime-DVD-Collection_ ist _“Dead Leaves“_ aus dem Studio _Production I.G._, die ihren großen Durchbruch mit „Ghost in the Shell“ hatten, mittlerweile aber auch in amerikanischen Produktionen animierte Kapitel erarbeiten, wie in Quentin Tarantino`s „Kill Bill, Vol. 1“. „Dead Leaves“ ist eine sehr schräge Sci-Fi-Geschichte, deren Charaktere in ein überaus gewalttätiges, chaotisches und respektloses Abenteuer geraten.

Zu guter Letzt: Es tut sich viel auf dem Verkaufsmarkt. Im nächsten Jahr wird _“LIDL“_ den Bahnhöfen, Buchhandlungen und Kiosken Konkurrenz machen und ein breites Zeitungs- und Zeitschriftenangebot in seinen Läden etablieren. Die _Bahnhofskioske_ und -Buchhandlungen dagegen werden mehr auf Hörbücher, CDs, DVDs, aber auch MP3s, die man für die Reise runterladen kann, umsteigen.

|Das Börsenblatt, das die hauptsächliche Quelle für diese Essayreihe darstellt, ist selbstverständlich auch im Internet zu finden, mit ausgewählten Artikeln der Printausgabe, täglicher Presseschau, TV-Tipps und vielem mehr: http://www.boersenblatt.net/.|

Interview mit Alisha Bionda

|Die Autorin, Herausgeberin und Lektorin Alisha Bionda wurde in Düsseldorf geboren, lebt derzeit auf Mallorca und gehört mittlerweile fest zur deutschsprachigen Phantastik-Szene. Bekannt ist sie unseren Lesern neben ihrer Redaktionsarbeit vor allem durch ihr Wirken beim BLITZ-Verlag. Mehr über sie und ihre vielfältige Arbeit erfahrt ihr im nun folgenden Gespräch, das Gastautor Florian Hilleberg mit ihr führte.|

_Florian Hilleberg:_
Wie kam der Kontakt mit dem BLITZ-Verlag zustande?

_Alisha Bionda:_
Ich stand mit Jörg Kaegelmann schon 1999 kurz in Kontakt, der sich aber verloren hatte. Dann bot ich ihm vor vier Jahren einige meiner Manuskripte an. Da er auch eine Mitarbeiterin in einigen Bereichen des Verlages suchte und ein anderer Autor – der zu der Zeit ebenfalls im BLITZ-Verlag veröffentlichte – auch hier auf der Insel lebt, entschloss sich Jörg Kaegelmann, mir 2002 einen Besuch abzustatten. So kam unser erneuter Kontakt zustande. Unsere Zusammenarbeit ist seither stetig gewachsen und hat sich immer mehr gefestigt. Wir sind uns in den wesentlichen Dingen und Ansichten sehr ähnlich, üben aber auch gegenseitig konstruktive Kritik – alles, was zu einem guten Team gehört.

_Florian Hilleberg:_
Wie sieht ein Arbeitstag bei dir aus und wie eng sind die Termine gelegt? Hast du überhaupt einen „richtigen“ Feierabend?

_Alisha Bionda:_
Einen richtigen Feierabend in dem Sinne, dass ich zu einer bestimmten Zeit den Mac ausschalte, habe ich nicht. Aber das bleibt mir selbst überlassen. Der schönste Aspekt dieses Berufes ist es, dass man die freie Wahl hat. In allem. Ebenso, wie lange ich arbeite und welche Projekte ich durchführe. Da habe ich BLITZ einiges zu verdanken, und ich bin an Erfahrung reicher geworden. (Auch was menschliche Verhaltensweisen angeht.) Ich gebe zu, dass ich oft zu lange |wirke|. Aber das liegt vor allem daran, dass ich erstmals in meinem Leben einen Beruf ausübe, der mir richtig Spaß macht, und ich darüber hinaus ein Mensch bin, der sich ohnehin immer sehr einsetzt. Es liegt natürlich auch immer an den Zusammenarbeiten. Bei BLITZ ist z. B. eine kleine Familie entstanden, durch das Lektoratsteam (TTT), das ich vor vier Jahren gegründet habe, durch die Zusammenarbeit mit dem Setzer und den Grafikern, aber auch den Autoren. Das funktioniert alles sehr gut und auf freundschaftlicher Ebene.

Wie mein Arbeitstag aussieht, bestimmt immer meine Wochenplanung – und das, was an Projekten gerade anliegt. Das kann man so pauschal nicht sagen. Aber grob ist es so, dass ich meist tagsüber meine Verlagstätigkeiten ausübe und abends/nachts schreibe. Da muss ich sagen, dass die Termine immer enger beieinander liegen. Aber das ist natürlich. Und man kann ja froh sein, wenn die Auftragslage halbwegs stimmt. Da ich sehr diszipliniert und belastbar bin, kann ich aber mit Fug und Recht sagen, dass ich mehr schaffe, als das manch anderer kann.

_Florian Hilleberg:_
Wie entspannst du dich am besten?

_Alisha Bionda:_
Die Frage kann ich nicht so einfach beantworten. Ich entspanne mich, wenn ich beispielsweise meinen Morgen oder Abend am Meer starte/beende, mit meiner Windhunddame Jamila am Strand entlanggehe, einen Cappu und Zigarillo in meinem Stammcafé am Meer genieße und dort in einem Buch (meist Rezensionsbücher) schmökere.

Hin und wieder zieht es mich hier ins Gebirge. Natur ist für mich Entspannung.
Es kommt für mich oft auf die Intensität des Augenblicks an – das kann ich nicht pauschal beantworten.

Am besten entspanne ich mich in der Gesellschaft der wenigen Menschen, die mich erreichen. Die kann man aber an einer Hand abzählen, umso wichtiger sind sie mir. Und ich hoffe immer, sie wissen das. Darunter sind zwei Menschen, denen ich mich besonders verbunden – nein, dem einen zugehörig fühle. Sie bereichern mein Leben, und auch wenn ich an sie denke, bewirkt das in mir eine Form der Entspannung.

_Florian Hilleberg:_
Kannst du dir die Serien und Reihen, die du lektorierst, aussuchen? Wie viel Spielraum hast du in Hinsicht auf Gestaltung und Änderungen der Bücher?

_Alisha Bionda:_
Grundsätzlich kann ich das natürlich aussuchen, weil es ja reine Auftragsarbeiten sind. Ich bin keine fest bezahlte BLITZ-Kraft. Aber es besteht eine Absprache mit dem Verlag, dass möglichst einheitlich lektoriert werden soll, und so gibt es da feste Regeln. Und ich versuche, gewisse Titel selbst zu lektorieren. Nun kommt es aber vor, dass ich an der einen oder anderen Serie selbst mitschreibe, da muss ich dieses Lektorat vergeben. Was den Spielraum angeht, so liegt das in der Ethik des Berufes. So, wie man nicht in seine Kinder hinein-, sondern herauserziehen soll, sollte ein Lektorat den Text eines Autors unterstützen und nicht zu Tode lektorieren – oder nach dem eigenen Geschmack vergewaltigen. Die Autoren bei BLITZ werden in das Lektorat mit einbezogen, soweit das von Verlagsseite vertretbar ist. Die Gestaltung sprechen Jörg Kaegelmann und ich ab, wir haben uns das in etwa aufgeteilt. Das ergibt einen Sinn.

_Florian Hilleberg:_
Mit „Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik“ ist dir ein großer Wurf gelungen; welchen Anteil hatte dabei der Namensgeber der Serie?

_Alisha Bionda:_
Einen wesentlichen insoweit, dass sie nie diese enorme Beachtung erfahren hätte. Durch die Zusammenarbeit mit Weltbild, die Jörg Kaegelmann initiiert hat, erreicht die Serie einen Zuspruch, den sie aber ohne Wolfgang Hohlbeins Herausgabe nicht erzielt hätte. Im Zuge dessen prüft er natürlich jeden Titel und ist somit nicht nur ein Namensgeber, und daher für alle, die mit der Serie zu tun haben, ein Ansporn, sie in seinem Sinne weiterzuführen.

Alles in allem bin ich ihm da zu großem Dank verpflichtet!

_Florian Hilleberg:_
Serien über weibliche Vampire sind mittlerweile keine Seltenheit mehr, ich denke da an „Vampira“ und „Vampir-Gothic“, die neue Serie von Martin Kay. Auch im Kino kann man starke Vampirinnen in Filmen wie „Underworld“ bewundern. Wieso hast du dich trotz der großen Konkurrenz entschieden, ebenfalls einer Untoten die Hauptrolle zu geben?

_Alisha Bionda:_
Wahrscheinlich, weil ich nie einen Vampira-Roman gelesen habe. Mittlerweile besitze ich zwei Vampir-Gothicbände, die ich aber aus Zeitmangel noch nicht lesen konnte.

Warum ich einer Untoten die Hauptrolle gegeben habe? Im Grunde ist sie es nicht wirklich. Ihr Gefährte Calvin hat einen ebenso großen Anteil, wie auch andere Charaktere der Serie. Es ist eine immer mehrschichtigere Vampirgesellschaft / Schattenwesenwelt, die wir schaffen. Um Dilara dreht es sich zwar, aber ich würde sie nicht als alleinige Hauptperson bezeichnen.

_Florian Hilleberg:_
Ist das Konzept der „Schattenchronik“ auf eine bestimmte Anzahl von Bänden ausgelegt, oder lasst ihr (du und die anderen Autoren) euch da überraschen?

_Alisha Bionda:_
Wir planen immer in Zweijahresabständen. So werden Jörg Kleudgen und ich in den nächsten Wochen die Bände 13 bis 20 konzipieren. Mit Jörg entwickele ich die Serie ab Band 4 zusammen weiter. Bei ihm möchte ich mich hier mal bedanken, weil er wirklich immer zur Stelle ist, wenn ich ihn zu allen möglichen und unmöglichen Zeiten |nerve| und ihm mit „kannst du mal dies“ und „kannst du mal das“ oder „sollen wir nicht noch hier mal eben eine Dilara-Kurzgeschichte schreiben?“ komme. Ich habe so etwas noch nie erlebt. Immerhin hat er einen stressigen Beruf mit wechselnden Arbeitszeiten, eine Frau, seine Band |The House of Usher| inklusive Auftritte, auch im Ausland. Aber er hat noch nicht einmal in den letzten Monaten zu mir gesagt: „Jetzt reicht es aber, Alisha!“ Man kann das nicht genug würdigen. Daher erwähne ich es.
Zurück zur Serienplanung: Was die Ideen angeht und die Lust am Schreiben, so sind wir alle so motiviert und voller Ideen, dass es eine Endlosserie werden könnte. Das entscheidet daher letztendlich der Leser.

_Florian Hilleberg:_
Wie viele Autoren werden an der Serie mitschreiben, und ist ein Roman von Wolfgang Hohlbein eingeplant?

_Alisha Bionda:_
Bisher war mein Wunsch immer zwei Co-Autoren, die ja vorhanden sind, aber ich habe noch die ein oder andere Idee. Da kann man sich überraschen lassen!

_Florian Hilleberg:_
Bislang haben schon Marc-Alastor E.E., Jörg Kleudgen und S.H.A. Parzzival an der Serie gearbeitet. Wie kam der Kontakt zustande? Welchen Anteil haben die anderen Autoren an der Entwicklung der Serie?

_Alisha Bionda:_
Es war so, dass ich mit der Serienidee bereits einige Jahre „schwanger“ gehe und nun die Gelegenheit erhielt, sie in Angriff zu nehmen. Da habe ich Marc-Alastor E.-E. gefragt, ob er Lust hätte, an der Serie mitzuwirken. Und er |hatte|, was mich sehr glücklich stimmte, da ich ihn für ein großes Talent halte – du selbst sagtest ja letztens, dass er eine Bereicherung für die Serie war, denn du kennst ja alle sechs Bände. Er hat auch der Serie in den Anfängen durch einige Charaktere, die er geschaffen hat, wesentlichen Atem eingehaucht.

Später kam Jörg Kleudgen dazu und hat sich wundervoll eingefunden. Die Serie hat dadurch eine etwas andere Richtung eingeschlagen, weil er Marc-Alastor nicht ersetzen konnte, sollte und wollte. Aber die neue Richtung gefällt mir, weil für jeden Leser etwas dabei ist.

Dann kam wiederum S.H.A. Parzzival dazu, der den Vampircop Mick als Idee einbrachte – gewürzt mit meiner Bitte, diesem ein Voodoo-Vampir-Zwitterwesen zu geben. Insoweit haben alle drei einen Anteil an der Entwicklung der Serie. Ich möchte da keine Gewichtung vornehmen.

_Florian Hilleberg:_
Wie sieht die Mitarbeit mit anderen Autoren aus? Gibt es eine strikte Arbeitsteilung? Schickt ihr euch einzelne Abschnitte zu, die der andere weiterentwickeln muss?

_Alisha Bionda:_
Das ist unterschiedlich. Wir sprechen uns vorher ab, teilen auch auf, das geht nicht anders. Aber es besteht eine tägliche Kommunikation, daher verzahnt sich ein großer Teil der Texte automatisch, den Rest passe ich in der nachfolgenden Überarbeitung an. Es herrscht die richtige „Chemie“ zwischen uns. Das merkt man besonders bei dieser Zusammenarbeit. Aber wir arbeiten selten gemeinsam an einer Szene.

_Florian Hilleberg:_
Habt ihr vor, auch andere Wesenheiten des Horror-Genres auftreten zu lassen, z. B. Werwölfe?

_Alisha Bionda:_
Haha … Da schweige ich wie ein Grab. Ich will dem Leser doch nicht die Spannung nehmen! Aber: Bei uns ist man nie vor Überraschungen sicher!

_Florian Hilleberg:_
In der Magic Edition ist dein Roman [„Regenbogen-Welt“ 2149 erschienen. Wie und wann kam dir die Idee dazu, und warum ausgerechnet ein Mythos der Navajo-Indianer?

_Alisha Bionda:_
Die Idee kam mir schon sehr früh. Und es hatte mehrere Gründe. Ich möchte meinen Lesern zeigen, dass ich viele Facetten habe. Aber ich greife auch immer wieder Themen für Einzelprojekte auf, die mich beschäftigen oder reizen. Die sind gänzlich unterschiedlicher Natur. Sei es nun die Mythologie der Navajo-Indianer oder ein Gen-Roman. Da ist die Bandbreite bei mir recht groß. Zu den Navajos bin ich über viele Wege gekommen. Das würde zu weit führen und ist auch zu privat, weil es mit einem dunklen Kapitel meines Lebens zu tun hat. Aber: Es hat mir persönlich sehr geholfen, mich damit zu beschäftigen. Ich bin zwar überhaupt nicht esoterisch veranlagt, doch es gibt viele Dinge, die wir von der Natur lernen können, wenn wir nur richtig hinschauen … und vieles mehr.

_Florian Hilleberg:_
Kann man mit einem ähnlichen Projekt von dir in absehbarer Zeit rechnen?

_Alisha Bionda:_
Mit einem ähnlichen nicht, aber dafür mit anderen interessanten Projekten, etwa ein mystischer Mallorcaroman „Das Grab des Poeten“ mit Jörg Kleudgen, aber auch andere Co-Projekte, auf die ich mich freue. Aber sicher auch wieder Einzelromane, die bei mir immer sehr in die Tiefe gehen und während des Entwicklungsprozesses und des Schreibens – die dann einen Teil von mir beinhalten – auch in mir Spuren hinterlassen.

_Florian Hilleberg:_
Bald erscheinen auch neue Abenteuer mit „Larry Brent“ von dir und S.H.A. Parzzival. Du hattest schon einmal gesagt, dass ihr mehrere Bände zu LB schreiben wollt. Wer wird noch zu dem neuen Autorenteam gehören?

_Alisha Bionda:_
S.H.A. Parzzival und ich haben einige Titel geplant, die wir zusammen bestreiten werden. Es sollen nun weitestgehend Zyklen erscheinen. Der erste wird sich um den Dämonensohn ranken (LB 113 bis 115), danach gibt es einen Zyklus, den ich mit Christian von Aster, S.H.A. Parzzival und der österreichischen Erfolgsautorin Barbara Büchner verfasse. Weitere Zyklen sind in Planung. Wer außer S.H.A. Parzzival und meiner Wenigkeit mitschreiben wird, steht noch nicht fest. Daher lohnt sich immer ein Blick auf unsere [Verlagsseite,]http://BLITZ-Verlag.de die wir täglich auf aktuellem Stand halten. Auch unsere Vorschau ist immer sehr pünktlich online. Da kann sich jeder informieren, aber auch über den Kontaktbutton auf der Verlagsseite täglich mit uns Kontakt aufnehmen.

_Florian Hilleberg:_
Fällt es dir schwer, mit den vorgegebenen Charakteren umzugehen?

_Alisha Bionda:_
Nein, überhaupt nicht, wenngleich man sich natürlich Projekte herauspickt, die einem als Autor auch liegen. Aber man schafft ja parallel zu den vorgegebenen Charakteren auch immer neue und baut – darüber hinaus – die vorgegebenen noch aus. Da bleibt genug Raum für die schriftstellerische Entfaltung. Für Projekte, die zu enge Vorgaben machen, würde ich nicht schreiben. Das reizt mich nicht.

_Florian Hilleberg:_
Habt ihr vor, der Serie einen neuen roten Faden zu verleihen, oder verlegt ihr euch auf einzelne Fälle?

_Alisha Bionda:_
Es wird auf jeden Fall einen roten Faden geben. Wie erwähnt, sind Zyklen geplant. Ich denke, da erwarten die Larry-Brent-Leser, aber auch die Neueinsteiger interessante Titel.

_Florian Hilleberg:_
Inwieweit sprecht ihr euch mit Dan Shocker über die Entwicklung der Serie ab?

_Alisha Bionda:_
Wir sprechen uns bei jedem Band mit ihm ab.

_Florian Hilleberg:_
Die neuen Titel versprechen zumindest ein Wiederlesen mit dem Dämonensohn des Dr. Satanas. Werden auch andere alte Feinde, wie Dr. X, Mystex oder Dr. Tschang Fu wieder mitspielen?

_Alisha Bionda:_
Wir werden mit Sicherheit immer Charaktere der Serie aufgreifen. In welcher Form und welchem Umfang, richtet sich dann nach den jeweiligen Plots. Es muss ja alles stimmig sein. Ich gehe davon aus, dass wir eine gesunde Mischung aus Althergebrachtem und Neuem anbieten werden.

_Florian Hilleberg:_
Mit der „Magic Edition“ wurde eine vielversprechende Reihe beendet, welche Einzelromane verschiedener Genres vereinte. Gibt es ein ähnliches Konzept für eine neue Reihe? Oder werden in Zukunft auch einzelne Romane außerhalb einer Serie oder Reihe veröffentlicht?

_Alisha Bionda:_
Da ist derzeit nichts geplant. Es ist sinnvoll, sich auf weniges zu konzentrieren und das dann möglichst immer weiter zu verbessern und pünktlich zu bringen. Diese Politik verfolgen wir und sie greift. Das heißt aber nicht, dass wir nicht neue Ideen entwickeln. Das sieht man gerade jetzt, in Form des [„Titan-Comic“,]http://www.blitz-verlag.de/index.php?action=serie&id=39 dessen erster Band im Juni erscheint.

Im Übrigen gibt es die „Magic Edition“ ja noch bis Ende 2006. Wer flott zugreift, kann sie sich noch sichern. Wer sie komplett erwirbt, erhält auch signierte Exemplare – und hat somit in mehrfacher Sicht schöne Sammlerstücke.

_Florian Hilleberg:_
Werden in naher Zukunft weitere Bücher von dir im BLITZ-Verlag, außerhalb der Serien „Schattenchronik“ und „Larry Brent“, erscheinen?

_Alisha Bionda:_
Ich schreibe 2007 und 2008 an jeweils zwei Bänden der Serie „Titan-Sternenabenteuer“ mit und bin ansonsten immer offen für Projekte, in die ich mich auch einbringen kann. Ich muss das Gefühl haben, dem auch gerecht zu werden. Aber ich habe schon die eine oder andere Idee an den Verlag herangetragen.

Darüber hinaus gebe ich dieses Jahr noch je eine Anthologie in der „Poe“- und „Sherlock Holmes“-Reihe heraus.

_Florian Hilleberg:_
Im Herbst dieses Jahres möchtest du eine neue Internet-Seite veröffentlichen, u. a. mit Rezensionsmöglichkeiten für Bücher. Kannst du darüber ein wenig berichten? Was unterscheidet beispielsweise deine Seite von anderen Homepages dieser Art?

_Alisha Bionda:_
Das stimmt nicht so ganz. Im Herbst soll erst einmal meine neue Autorenseite programmiert werden, die ich dann selbst täglich auf aktuellem Stand halten kann. Alles andere ist noch nicht spruchreif, da sich leider Verzögerungen ergeben haben.

_Florian Hilleberg:_
Wie bist du zum Schreiben gekommen, wann stand für dich fest, selbst schriftstellerisch tätig zu werden?

_Alisha Bionda:_
Da ich, so lange ich denken kann, lese-lese-lese, habe ich auch recht früh begonnen zu fabulieren, dann tummelte ich mich jahrelang in der Literaturzeitschriftenszene, habe einige Jahre auch selbst eine herausgegeben – nach alter Undergroundmanier, was für mich mehr Herz und Seele hatte als die heutigen Hochglanzmags. Auch wenn sie alle mit tollem Layout daherkommen. Sie lassen für mich manchmal den persönlichen Fingerabdruck vermissen.

Zurück zum Schreiben: Ich habe neben meinem erlernten Beruf immer Zusatzstudien absolviert, so auch einiges in Richtung Literatur, Journalismus, aber auch Marketing. Und das andere hat sich dann natürlich entwickelt. Es vergeht kein Tag, ohne dass ich lese und schreibe. Das gehört zu meinem Leben.

Ich bin eine, die sehr intuitiv lebt und agiert. Dennoch zielstrebig. Auch wenn sich das widersprüchlich anhört, so ist es das nicht. Ich bin immer sehr authentisch – daher auch schon mal sehr unbequem – und das, was in mir ist, muss heraus: das geschriebene Wort und die Gefühle für die wenigen Menschen, die ich liebe …

Aber bei beidem bin ich nicht inflationär. Ich schreibe nicht alles und liebe nicht jeden.

_Florian Hilleberg:_
Gibt es ein Thema, außer den Vampiren, über das du am liebsten schreibst? Was wäre dein größter Wunsch, welche Projekte würdest du gerne verwirklichen?

_Alisha Bionda:_
Auch Vampire sind nicht mein Lieblingsthema. Ich bin da nicht festgelegt. Der Plot muss mich ansprechen und gefangen nehmen. Das beste Beispiel sind meine „Schattenchronik“-Bände und die „Regenbogen-Welt“. Erstere sind ja eher düster und melancholisch und letzter ein lichter phantastischer Schöpfungsroman der etwas anderen Art. Ich sage es mal so: Außer reinen Liebesromanen reizt mich so ziemlich alles. Wie im Leben: Alles zu seiner Zeit! Das sieht man auch daran, dass es Zeiten gibt, da möchte ich auf jeden Fall alleine schreiben. Und dann wiederum fruchtet gute Zusammenarbeit, aber das kann ich nur mit ganz bestimmten Personen. Ich bin nicht der Typ, der mit jedem Co-Autor zusammenarbeiten könnte und wollte. Es gibt noch zwei Wunschkandidaten, mit denen leider bisher noch nichts in der Art zustande gekommen ist, wie ich es ab Band 4 in der „Schattenchronik“ begonnen habe.

Kommen wir zu deiner Frage, was mein größter Wunsch ist. Ich bin mal so kühn und äußere gleich zwei: Ich würde gerne eine ganz bestimmte Trilogie mit Wolfgang Hohlbein zusammen verfassen. Das ist ein sehr lange gehegter Wunsch. Und ich möchte mit Marc-Alastor E.-E. eine stilistisch schöne und |ausgereifte| düstere Novelle schreiben, die mit Muße reifen soll und mit viel Liebe zum Detail geschrieben wird. Ich hoffe, ich habe zu beidem die Gelegenheit! Die Zeit wird es zeigen!

_Florian Hilleberg:_
Welche Projekte von dir sind sonst noch geplant?

_Alisha Bionda:_
Über die BLITZ-Projekte hinaus – was nicht gerade wenige sind – möchte ich für drei meiner schon vor längerer Zeit begonnenen Anthologien eine Verlagsheimat finden, was zugegebenermaßen derzeit schwer ist. Aber dennoch bleibe ich am Ball, zumal die Anthologien sehr gut sind, sowohl inhaltlich, als auch von der Aufmachung wie Innenillus/ Grafiken. Dann werde ich zusammen mit Jörg Kleudgen noch den einen oder anderen Roman verschiedener Genres (u. a. einen Fantasy-Jugendroman) verfassen. Sonstige Co-Projekte sind auch angedacht. Aber mir schwirren auch zwei Romane im Kopf herum, für die ich mir so viel Zeit lassen möchte wie für die „Regenbogen-Welt“. Beide sind völlig gegensätzlicher Natur, was mich ja ohnehin reizt. Man muss immer alle seine Möglichkeiten ausschöpfen. Nur daran wächst man. Nichts ist schlimmer und erstickender als Stagnation. Privat und beruflich.

_Florian Hilleberg:_
Woher nimmst du deine Ideen? Gibt es auch Zeiten, in denen du eine Schreibblockade hast?

_Alisha Bionda:_
Was die Ideen angeht, so ist das sehr vielschichtig. Da sprühe ich ziemlich über, und daran mangelt es mir nicht. Ich müsste so alt wie Dilara werden, um alle umzusetzen – haha … Woher ich meine Ideen nehme? Wenn ich eine bestimmte Musik höre oder unterwegs bin, oder manchmal ist es ein Satz, den ich aufschnappe oder irgendwo lese. Und daraus entsteht etwas völlig Anderes, aber es sind Ideenlieferanten. Oder wenn es Auftragsarbeiten sind, befasst man sich mit der vorgegebenen Grundidee und recherchiert. Dank Internet ist das heutzutage immer interessanter und optimaler zu handhaben. Schreibblockaden hatte ich nie, bis vor gut einem Jahr. Da war ich während meiner Vampirserienarbeit in einer persönlich sehr emotional angespannten Situation und hatte die erste (und sofort heftige) Blockade, die furchtbar war, weil es einer inneren Gefangenschaft gleichkam – für ein ansonsten so reges Wesen wie mich doppelt schwer erträglich, und bleibt mir künftig hoffentlich erspart.

Aber es hat mir gezeigt, dass auch ich nicht davor gefeit bin. Ich bin ohnehin ein Mensch, der optimaler arbeiten kann, wenn er in sich ruht, dann explodiere ich förmlich vor Energie. Gottlob ist ein Teil meiner Wesenheit fast immer so … Ich bin emotional eine recht ausgeglichene Seeleneinheit: das Energiebündel und die stille, sanfte Melancholikerin. Ich genieße beide Seiten an und in mir und hoffe, die wenigen Menschen, die mir etwas bedeuten, auch. Weil ich in beiden Wesenheiten den wenigen, mir wichtigen Menschen sehr viel zu geben habe. Aber ich räume ein, nicht alle können damit umgehen. Der ein oder andere fühlte sich da schon überfordert und hat es vorgezogen, sich aus meiner Welt zu schleichen.

_Florian Hilleberg:_
Wer Romane schreibt, kommt unweigerlich in die Lage, seine Werke im Licht der Öffentlichkeit und im Kreuzfeuer der Kritik zu sehen. Wie gehst du damit um? Zumal Kritik leider nicht immer objektiv bleibt.

_Alisha Bionda:_
Das stimmt. Generell kann ich zur Kritik sagen: |Ich trage sie wie meine Diamanten, nämlich mit Fassung|. Besonders wenn sie erkennen lässt, dass der Rezensent nichts verstanden hat oder schon krude an das Buch heranging, wie z. B. jüngst die Rezension meines Romans „Regenbogen-Welt“ bei MEDIA MANIA. Da lache ich dann eher drüber und reagiere auch nicht, weil die Rezension dann für sich selbst steht und spricht; vor allem, wenn sich derjenige auch noch darin widerspricht. Manche denken halt, wer viel liest, kann auch rezensieren. Das ist ein Trugschluss.

Man muss es gelernt haben, Texte zu analysieren. Um bei dem Beispiel zu bleiben: Der Rezensent eines Fantasy-Romanes |muss| erkennen können, dass es sich um |Fantasy| handelt, in der Insekten auch gerne mal nicht zu hundert Prozent einem Sachbuch entsprechen müssen. Vor allem!, wenn es sich um eine Schöpfungsgeschichte handelt, also eben jene Insekten bereits einen menschlichen Funken in sich haben und sich im Laufe der Handlung wandeln. Das zu erkennen, gelingt halt nicht jedem. Wenn derjenige eine hochentwickelte und mit Respekt zu behandelnde Mythologie als Esoterikkram abtut – nur weil er sie nicht verstanden hat – hat er in mehrfacher Sicht gefehlt. Da ist es verschwendete Zeit, sich darüber zu ärgern. Die kann man besser nutzen.
Darüber hinaus wusste schon MRR zu sagen: |besser schlecht besprochen, als gar nicht erwähnt|.

_Florian Hilleberg:_
Du mußt von Berufswegen schon sehr viel lesen, liest du privat auch noch Bücher, und wenn ja, welche?

_Alisha Bionda:_
Ich gestehe, dass ich kaum noch privat lesen kann, aber diese wenigen Bücher genieße ich dann besonders. Sie sind eher philosophischer Natur und beschäftigen mich daher meist auch recht lange. Was das Gros der anderen Bücher angeht, die ich lese, also Rezensionsbücher, so versuche ich nur solche zu wählen, die ich auch gerne privat lesen würde.

_Florian Hilleberg:_
Hast du einen Lieblingsort, an dem du liest?

_Alisha Bionda:_
Ich lese bevorzugt in freier Natur. Also am Strand, im Wald oder Gebirge.

_Florian Hilleberg:_
Was sind deine Hobbys?

_Alisha Bionda:_
Literatur, Kunst, Musik sind die wichtigsten Eckpfeiler meiner Hobbys. Fast alles, was damit zu tun hat, interessiert mich. Ich bin zum Beispiel eine rege Konzertgängerin. Aber es gab früher in meinem Umfeld auch kaum eine Vernissage, auf der ich nicht anzutreffen gewesen wäre. Reisen würde ich auch dort eingliedern, wenngleich ich es eher als kulturelle Horizonterweiterung ansehe.

Dann habe ich bestimmte Rituale, wie ich meinen Tag hier auf der Insel beginne und ausklingen lasse. Beides am Meer. Morgens – im Sommer schwimmend – bei Sonnenaufgang (das hat etwas Meditatives, weil ich dann mutterseelenalleine im Wasser bin) und nachts, in der Dunkelheit am Meer, an den Klippen, am Strand. Ich sitze dann da, lausche der Brandung, genieße meinen Zigarillo, und egal, was am Tag war – es fällt von mir ab. Dann wünsche ich mir eigentlich nur noch eines: den Mann, den ich liebe, an meiner Seite.

_Florian Hilleberg:_
Vielen Dank für dieses Interview, Alisha, und viel Erfolg für deine Projekte.

_Alisha Bionda:_
Ich habe zu danken!

http://www.alisha-bionda.de/
http://www.blitz-verlag.de/

Interview mit Pat Hachfeld

Pat(rick) Hachfeld, 1969 in Wolfsburg geboren, ist Illustrator und bebildert unter anderem die Serien „Larry Brent“, „Macabros“ und „Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik“ für den |BLITZ|-Verlag. Florian Hilleberg hat sich mit dem Künstler unterhalten:

_Florian Hilleberg:_
Hallo Pat, wie bist du eigentlich zum Zeichnen gekommen?

_Pat(rick) Hachfeld:_
Also, ich bin hundertprozentig überzeugt, dass mein Onkel dafür die Verantwortung trägt! Er hat früher immer echt geile Comicfiguren gezeichnet; Silver Surfer, Spiderman, Hulk usw. Und da dachte ich mir als Fünfjähriger: Hey, was der große Mann da kann (er war 17 Jahre), das musst du auch versuchen. Tja, und so kam der erste Kontakt mit diesen „langen dünnen Dingern“ zustande. Ich malte und malte … und irgendwann, nach gefühlten 80 Jahren, sind dann die ersten erkennbaren Figuren entstanden.

_Florian Hilleberg:_
Ist das Zeichnen dein Hauptberuf?

_Pat Hachfeld:_
Mh, wenn man das, was ich mache, als Beruf bezeichnet (Beruf klingt fast immer nach ungeliebter Arbeit), kann ich sagen: „Ja“. Wobei ich das Zeichnen – ob Illustration, Portrait, Wunschportrait, oder private Auftragszeichnungen – |nicht| als Arbeit bezeichnen möchte. Dafür hat es für mich eine viel zu persönliche Bedeutung, und ich verdanke dem Zeichnen sehr, sehr viel!

_Florian Hilleberg:_
Orientierst du dich beim Zeichnen an bestimmten Stilrichtungen, hast du Vorbilder?

_Pat Hachfeld:_
Als ich die Comicfiguren „im Sack“ hatte, bekam ich die erste LP von |IRON MAIDEN| zwischen meine Finger. Ich war circa 11 Jahre „alt“, und das Cover fand ich einfach so |hammergeil| – es war der gute alte „Eddi“ – dass ich |den| auch zeichnen wollte.
Also begann ich damit und raffte alles zusammen, was diese für mich damals |härteste| Heavy-Band der Welt so hatte. Und so entdeckte ich für mich, dass mir das Zeichnen von etwas düsteren und morbiden Bildern viel mehr Spaß machte als die „schöne heile Welt“.
Später wurde ich sicherlich von H. R. Giger und Paul Booth (Tattoowierer aus den USA) inspiriert.

_Florian Hilleberg:_
Mittlerweile bist du wohl der produktivste Künstler, der für den [BLITZ-Verlag]http://www.BLITZ-Verlag.de arbeitet. Wie kam der Kontakt zustande?

_Pat Hachfeld:_
Das war eigentlich kein großes Ding. Ich habe den Suchbegriff „Fantasie und Autoren“ eingegeben, und das Suchergebnis war dann Bernd Rothe (für Bernd habe ich auch die Fantasy-Anthologie „Rattenfänger“ illustriert, sie erschien ebenfalls im BLITZ-Verlag). Ich habe seine HP angeklickt und ihm eine E-Mail mit drei meiner Zeichnungen geschickt.
Bernd hat dann Alisha Bionda angeschrieben, ob sie noch einen Illustrator sucht. Alisha schaute sich dann auf meiner HP um, und so bin ich zu meiner ersten Buchillustration „Der ewig dunkle Traum“, Band 1 von „Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik“ gekommen, die Alisha Bionda zusammen mit Michael Borlik herausgegeben hat.

_Florian Hilleberg:_
Woher nimmst du deine Inspirationen?

_Pat Hachfeld:_
Wenn ich Bilder für meine [DUNKELKUNST]http://www.dunkelkunst.de zeichne – diese Motive werden bald im Shop als T-Shirts erhältlich sein -, kommen die Ideen ganz von selbst und aus meinem tiefen Inneren. Da die Bilder sehr „finster“, „morbid“ und „detailverliebt“ sind, und wegen der steigenden Anzahl der Aufträge, kommt es vor, dass ein Bild schon mal bis zu seiner Vollendung an die sechs Monaten braucht. Aber, wie gesagt, bedingt durch die Auftragsarbeiten habe ich |für mich| das letzte Mal vor circa zwei Jahren gezeichnet.

_Florian Hilleberg:_
Kennst du eigentlich die Romane, die du illustrierst, oder gibt dir der Verlag Vorgaben, nach denen du die Motive zeichnest?

_Pat Hachfeld:_
Das ist unterschiedlich. Bei den Anthologien, z. B. „Der ewig dunkle Traum“, „Rattenfänger“, „Wellensang“ (herausgegeben von Alisha Bionda und Michael Borlik, erschienen im |Schreiblust|-Verlag) oder aktuell eine Katzenanthologie (Hrsg. Frank W. Haubold & Alisha Bionda), bekomme ich die gesamten Geschichten zugeschickt. Ich picke mir dann eine Story raus, mache mir beim Lesen kleine Notizen, und meistens bilden sich dann schon die ersten Illus in meinem Kopf.
Bei den Dan-Shocker-Serien „Macabros“ und „Larry Brent“ oder der Fortsetzung von „Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik“ im |BLITZ|-Verlag bekomme ich von Alisha Bionda grobe Illustrationswünsche, die ich dann versuche umzusetzen. Und damit fahren wir eigentlich sehr gut.

_Florian Hilleberg:_
Wie weit lässt dir der Verlag in der Interpretation Freiraum?

_Pat Hachfeld:_
Der Freiraum, den mir der Verlag (den ich aber auch brauche) lässt, ist nahezu grenzenlos! Ich habe festgestellt – durch die vielen Illustrationen, die ich bisher für den |BLITZ|-Verlag erstellt habe -, dass ich mit Alisha, bezogen auf die Bilder, geschmacklich sehr nahe beieinander liege. Sie muss mich manchmal sogar etwas zügeln, weil ich sehr detailverliebt bin, und hier und dort noch eine Kleinigkeit hinzeichnen möchte.

_Florian Hilleberg:_
Wie auf deiner Homepage zu lesen ist, zeichnest du auch Portraits und nimmst Auftragsarbeiten an. Dagegen wirken die Illustrationen zu „Larry Brent“ und „Macabros“ recht surreal. Welche Motive zeichnest du am liebsten?

_Pat Hachfeld:_
|Das| ist das Faszinierende an Kunst! Man kann „düster“, „morbid“ und „hart“ zeichnen, je nach Vorlage der Geschichte oder der Serien, und seiner Fantasie freien Lauf lassen. Wobei es mir sehr, sehr wichtig ist, dass die Illustrationen |nicht| „billig“ und „flach“ wirken. Ich versuche also immer, „noch einen Hauch“ Ästhetik mit einfließen zu lassen.
Und dazu steht dann das Portraitzeichnen im krassen Gegensatz – alles sehr feine Linien und sehr weiche Übergänge.
In mir ist die Frage aufgetaucht, ob ich nicht meinen Stil, also das „Düstere“, in die Weichheit des Portraitzeichnens einfließen lassen kann.
Und dadurch bin ich auf die Idee des „Wunschportraits“ gekommen.
Das heißt, wenn beispielsweise jemand Fan, egal ob Weiblein oder Männlein, des Fantasiespiels „Warhammer“ ist, und so wie eine Figur aus dem Spiel gezeichnet werden möchte, dann zeichne ich den Auftraggeber so. Aber auch als verführerische Hexe, oder als Zombie. Entscheidend dabei ist allerdings, dass der, der sich portraitieren lassen möchte, seiner Phantasie freien Lauf lässt! Da bin ich dann sogar etwas abhängig von der Vorstellungskraft meines Auftraggebers!
Daher: Ich bin immer bestrebt, mich zeichnerisch weiterzuentwickeln, so dass ich |nicht| sagen kann, welche Motive ich am liebsten zeichne.

_Florian Hilleberg:_
In welchem Umfeld arbeitest du am liebsten?

_Pat Hachfeld:_
Am liebsten zu Hause. Ich habe mir im Dachgeschoss unserer Maisonettewohnung einen kleinen Platz geschaffen, wo alles in meiner Nähe ist, was mir wichtig ist – meine Verlobte Angie, unser grüner Leguan Jabba, die Musikanlage (ohne Musik geht echt nix!, ich liebe |System of a Down|, |Slipknot|, |Rammstein| usw.) und natürlich Fernseher.

_Florian Hilleberg:_
Gibt es bestimmte Tageszeiten, zu denen du besonders kreativ und produktiv bist?

_Pat Hachfeld:_
Ich muss sagen, dass ich am produktivsten in den frühen Morgenstunden bin. Soll heißen, dass ich gegen sechs Uhr aufstehe, nach oben gehe, mir meinen frischen Guten-Morgen-Kaffee schnappe, ins Wohnzimmer wanke, mir eine Zigarette drehe (Kaffee und Zigarette gehören zusammen), den Fernseher anschalte, um Nachrichten (Euro News) zu sehen, und beginne so gegen 6 Uhr 30 mit dem Zeichnen, was ich dann zwei bis drei Stunden am Stück mache.

_Florian Hilleberg:_
Was für Projekte hast du für deine nähere Zukunft geplant?

_Pat Hachfeld:_
Neben dem Wunschportrait, was sehr gut angenommen wird, arbeite ich (hier allerdings reines Portraitzeichnen) neuerdings mit Schauspielern aus einer TV-Serie, die auf RTL im Vorabendprogramm ausgestrahlt wird, zusammen. Sie schicken mir ihre Fotos zu, welche ich dann auf DIN A3 zeichne. Bis jetzt ist das ziemlich interessant und aufregend für mich, weil es absolutes Neuland ist, bezogen auf das Zeichnen von Schauspielern aus dem TV.
Dann illustriere ich die Horroranthologie „Blutmond“ (wo ich auch Mit-Herausgeber bin) für Bernd Rothe. Die Katzenanthologie „Fenster der Seele“ mit Alisha Bionda läuft auch noch zeitgleich. Die beiden Serien „Larry Brent“ & „Macabros“ für den BLITZ-Verlag. Hier und da private Auftragszeichnungen (vor kurzen einen japanischen Drachen auf DIN A3 für ein Geburtstagsgeschenk) oder ein schönes Familienportrait. Und bald starten auch die Illustrationen für die nächsten „Schattenchronik“-Bände.

_Florian Hilleberg:_
Lebst du vom Zeichnen oder hast du noch einen Brotjob?

_Pat Hachfeld:_
Ich denke, ich kann sagen: „Ja, ich lebe davon“; zwar noch sehr wacklig, aber es geht. Es müssen halt mehrere „Zahnräder“ ineinander greifen: Portrait, Wunschportrait, Buch und Romanillustrationen, Auftragszeichnungen – z. B. Tattooflashs – entwerfen.

_Florian Hilleberg:_
Da du durch die enge Zusammenarbeit mit Alisha Bionda und dem BLITZ-Verlag ja überwiegend literarische Projekte illustrierst, drängt sich die Frage auf: Was liest du? Welche Autoren bevorzugst du?

_Pat Hachfeld:_
Also, ich lese sehr gerne John Grisham und Brad Meltzer und mag ihre Schreibweise. Ich finde es sehr gut, dass bei John Grisham ein überschaubarer Personenkreis mitwirkt und dass die Personen leicht verständliche Namen erhalten, so dass man nicht ständig sieben bis zehn Seiten zurückblättern muss, um nachzulesen, was oder wer „Mister X“ war, bzw. so gemacht hat. Ich mag sehr gerne Thriller oder Geschichten, die vor Gericht spielen („Die Jury“).
Außerdem lese ich sehr gerne historische Romane. Aktuell lese ich „Die Rächer“ von Aaron J. Klein über das Attentat auf die Israelis während der Olympischen Spiele 1972 in München. Ab und zu ziehe ich mir auch mal den guten alten |Larry Brent| rein.

_Florian Hilleberg:_
Was gibt es noch über den |Menschen| Patrick Hachfeld zu sagen? Was ist dir wichtig? Welche Wertigkeiten hast du? Welche Menschen sind dir, neben deinem direkten privaten Umfeld, über das du ja schon gesprochen hast, wichtig?

_Pat Hachfeld:_
Mh, was gibt es über mich zu sagen? Mir ist Ehrlichkeit sehr, sehr wichtig! Dass ich sehr viel Wert darauf lege, Freundschaften zu pflegen, und sei es auch nur ein kurzes Telefongespräch. Mit der Zeit hat sich auch eine freundschaftliche Beziehung mit Alisha Bionda und Bernd Rothe entwickelt, und mit Bernd habe ich mich auch schon drei-, viermal privat getroffen. Er lebt ja nun mal in meiner Lieblingsstadt Hameln, die ich schon von meinen früheren Besuchen auf der „Hameln-Tattooconvention“ her kenne und deren Ruhe und Altstadt ich sehr zu schätzen gelernt habe.

_Florian Hilleberg:_
Welche Projekte würdest du gerne noch machen? Was würdest du gerne selbst initiieren?

_Pat Hachfeld:_
Ich möchte mich noch stärker, bezogen auf das Wunschportraitzeichnen, in die Gothic-Szene einbinden lassen. So kann ich meinen Stil mit dem Portraitzeichnen verbinden. Außerdem möchte ich mit meinen Illustrationen aus der DUNKELKUNST wieder verstärkt an Ausstellungen teilnehmen. Zwar nicht hier in Wolfsburg, sondern mehr die Richtung Ruhrpott, Gelsenkirchen, Essen usw.

_Florian Hilleberg:_
Gibt es dabei Menschen/Kollegen/Verlage, mit denen du bevorzugt arbeiten würdest? Oder zählt für dich nur die „Auftragslage“?

_Pat Hachfeld:_
Abgesehen von dem BLITZ-Verlag, wo ich mich sehr wohl fühle, ist es mir eigentlich (fast) egal, mit welchen Verlagen oder Menschen ich zusammenarbeite. Ich versuche einfach, jeden Auftrag so umzusetzen, dass nach Erledigung der Zeichnung die Leute oder der Verlag sagen: „Ja, war eine prima Zusammenarbeit, hat echt Spaß gemacht“. Und so baut man(n) sich gleichzeitig wieder neue Brücken.

_Florian Hilleberg:_
Vielen Dank für das Interview.

_Pat Hachfeld:_
Ich habe zu danken für die interessanten Fragen. Ich hoffe, ich habe nicht zu umfassend geantwortet. Hat mir echt großen Spaß gemacht, und wenn jemand Interesse an einem Portrait, Wunschportrait oder Ähnlichem hat, so kann er ganz zwanglos und locker mit mir Kontakt aufnehmen. Ich freue mich sehr!
In diesem Sinne, „mit einem Segen auf den Lippen“ – alles Gute und danke!

Bye, Pat
http://www.dunkelkunst.de/

Interview mit Christoph Hardebusch

Mittlerweile bin ich richtiggehend zum Lesungsfan geworden. Daher konnte ich mir selbstverständlich die in Heidelberg stattgefundene Lesung von Christoph Hardebusch, der aus seinem Debütroman „Die Trolle“ lesen sollte, nicht entgehen lassen. Das Interessante daran war sicher auch, dass es sich um eine Deutschlandpremiere handelte, denn es war die allererste Lesung Christoph Hardebuschs überhaupt. Diese wurde diesmal vom Heidelberger Buchladen [Fun-Fiction]http://www.fun-fiction.de und der Buchhändlerklasse der Julius-Springer-Berufsschule veranstaltet. Was soll ich sagen, die Buchhändlerklasse hatte sich ordentlich ins Zeug gelegt, denn die Aula war nicht wiederzuerkennen: Abgehängte Wände, archaische Dekoration, dazu ein nettes Catering, so lasse ich mir eine Lesung noch viel lieber gefallen. Zu meiner Überraschung war die Aula auch bis auf den letzten Platz gefüllt, was man ja sonst von solchen Veranstaltungen nicht unbedingt gewöhnt ist.

Nachdem dann eine Schülerin mit ihrer Anmoderation „Christoph Hardebusch sieht nicht nur interessant aus, er schreibt auch interessante Bücher!“ die Lacher auf ihrer Seite hatte, konnte es gegen 20:15 Uhr dann mit der Lesung losgehen. Ein zu Beginn sichtlich nervöser Christoph Hardebusch fasste im Kerzenschein zuerst einmal grob die Grundhandlung seines Romans zusammen, für diejenigen Zuhörer, die den Roman noch nicht gelesen hatten. Als er dann allerdings anfing, die erste von vier von ihm ausgesuchten Szenen zu lesen, merkte man ihm die große Nervosität nicht mehr an. Die Textstellen waren gut gewählt, denn die Zuhörer hatten sichtlich ihren Spaß. Nach knapp einer Stunde war dann die eigentliche Lesung zu Ende. Nun konnten die Zuhörer natürlich noch ihre Ausgaben von „Die Trolle“ signieren lassen. Hier war Christoph Hardebusch richtig in seinem Element, plauderte mit den Leuten, und schrieb fast schon ausschweifende Widmungen. So dauerte es eine Weile, bis ich ihn mir greifen konnte, um einem merkbar gut gelaunten Lesungsdebütanten meine zahlreichen Fragen zu stellen. Doch lest selbst:

_Martin Schneider:_
Servus Christoph, stellt dich doch bitte zu Beginn einmal unseren Lesern vor.

_Christoph Hardebusch:_
Ja, ich heiße Christoph Hardebusch, habe zuerst mein Abitur gemacht, dann habe ich in Marburg sehr lange sehr verschiedene Fächer studiert. Ich habe mich dann irgendwann entschieden, dass das Studium so nichts taugt, es hingeworfen, und mich als Quereinsteiger beworben. Ich bekam ein Praktikum bei einer Werbeagentur und bin dann durch eine Bekannte, die eine Literaturagentur aufgemacht hat, zum professionellen Schreiben gekommen.

_Martin:_
Hast du vorher schon für dich privat geschrieben?

_Christoph:_
Ich schreibe schon lange und habe bereits vor und während des Studiums geschrieben. Aber das geschah nie mit dem Ziel, die Sachen auch zu veröffentlichen, sondern nur für mich und meine Freunde.

_Martin:_
Wie kam dann die Idee, „Die Trolle“ zu schreiben?

_Christoph:_
Ich habe auf Anraten meiner Agentin ein Romanmanuskript bei |Heyne| eingereicht. Die meinten dann, es gefalle ihnen recht gut, aber einen neuen Autor zu veröffentlichen sei schwierig, wegen der kleinen Auflage und der wenigen Werbung. Daher schlugen sie vor, einen Teil meines Manuskriptes – nämlich die darin enthaltenen Trolle – größer aufzuziehen, und das in der Reihe zu veröffentlichen. Das würde die Chancen auf Erfolg beträchtlich erhöhen.

_Martin:_
Damit lag der Verlag wohl auch richtig. Kannst du für unsere Leser, die die „Die Trolle“ noch nicht gelesen haben, die Handlung einmal zusammenfassen?

_Christoph:_
In dem Land, in dem der Roman spielt, herrscht seit 200 Jahren ein Bürgerkrieg, weil das dort lebende Volk, die Wlachaken, von einem anderen Volk überfallen und unterjocht wurde. Der größte Teil wird von eben diesem Volk, den Masriden, beherrscht, und es gibt nur noch wenige Wlachaken, die frei sind und gegen die Besatzung ankämpfen. Der Herrscher der Masriden heißt Zorpad; er versucht die letzen Widerständler auszumerzen. Einer der Freiheitskämpfer ist der Protagonist dieses Buches. Dieser wird gefangen genommen, in einem Käfig mitten im Wald ausgesetzt und dann von den Trollen gerettet. Wie der Mensch und die Trolle zusammenarbeiten, sich langsam vertrauen, und welche Ziele sie verfolgen, ist dann der Inhalt eines großen Teiles des Buches.

_Martin:_
Wie sind deine Trolle beschaffen, und wie hast du dich für die Erschaffung inspirieren lassen?

_Christoph:_
Da muss ich jetzt erst einmal ein bisschen weiter ausholen: Trolle in der Fantasy gibt es ja schon lange, und sehr viele. Klassisches Beispiel sind die Trolle aus J.R.R. Tolkiens „Der Hobbit“. Es gibt noch einige weitere Trolle, etwa bei Terry Pratchett oder den jeweiligen Rollenspielsystemen. Dann habe ich mir überlegt, wie ich mir selber die Trolle vorstelle und wie ich sie spannend darstellen kann. Natürlich habe ich mich hier und da inspirieren lassen. Allerdings wollte ich schon etwas Eigenständiges machen.

_Martin:_
Von der Beschreibung deiner Trolle her haben sie mich sehr an eine Mischung der Trolle aus dem Rollenspielsystem „Shadowrun“ und denen eben Tolkiens erinnert, was deren Schwäche betrifft …

_Christoph:_
Das kommt so hin. Die „Shadowrun“-Trolle fand ich immer interessant, weil sie nicht in die Böse-Wesen-Ecke gedrängt werden, denn sie sind ja eigentlich ganz normale Menschen, die sich nur verwandelt haben. Eine große Schwäche sollten sie aber auch haben. Zumal die Geschichte ja darauf basieren sollte, dass die Trolle eben auch lange Zeit verschwunden waren, da sie nicht auf der Oberfläche überleben können.

_Martin:_
Sehr interessant finde ich den ständigen Kontrast zwischen dem verständlichen Ziel der Trolle und ihrer eigentlichen Fremd- und Bösartigkeit. Wie hast du versucht, das darzustellen, und was hat dich daran motiviert?

_Christoph:_
Die Trolle anders sein zu lassen, und im eigentlichen Sinne böse, war von mir gewollt. Die Differenz zu dem Streben des Rebellen, der ja ein gutes Ziel verfolgt und dabei eine Allianz mit diesen Ungeheuern eingeht, fand ich schon sehr spannend. Das auszuloten, nämlich aus der Sicht der Menschen die Trolle zu zeigen, die so völlig anders sind, aber sehr verständliche Motive haben für das, was sie tun, hat für mich einen großen Reiz beim Schreiben ausgeübt.

_Martin:_
Wie würdest du die Charaktere der einzelnen Trolle beschreiben?

_Christoph:_
Das reicht von Druan, der intelligent ist und als Anführer die Trolle an der gefährlichen Oberfläche leitet, bis hin zu Pard, der alle Probleme zuerst mit Gewalt lösen will. Ich habe versucht, eine Hand voll eigener Trollcharaktere zu entwerfen, die keine Abziehbilder sind. Sie sollten nicht nur alle böse sein, sondern eigenständig Charaktere darstellen.

_Martin:_
Der eigentliche Protagonist ist ja der Mensch Sten. Warum hast du einen Menschen dafür ausgewählt und keinen Troll?

_Christoph:_
Weil ich mir dachte, es ist spannender, die Trolle in ihrer Andersartigkeit durch die Augen der Menschen zu betrachten. Es gibt ja einige menschliche Charaktere, die die Trolle auch alle unterschiedlich erleben. Von daher habe ich die Trolle nicht als Protagonisten ausgewählt.

_Martin:_
Wie würdest du Sten charakterisieren?

_Christoph:_
Sten ist auf jeden Fall ein Guter. Er hat hehre Ziele und will diese – teilweise auch sehr kompromisslos – erreichen. Er ist sich allerdings bewusst, dass er dabei seine Menschlichkeit aufs Spiel setzt. Dazu hat er aber auch viel Humor, zumindest hoffe ich, dass das so auch im Buch rüberkommt.

_Martin:_
Sogar einen ziemlich schwarzen Humor!

_Christoph:_
Ja, das bringt seine Lage so mit sich (lacht).

_Martin:_
Sten hat ja auch eine Zwillingsschwester, Flores. Die beiden sind ja, obwohl eben Zwillinge, völlig verschieden. Einmal natürlich unterscheiden sie sich bezüglich ihres Geschlechtes, andererseits wegen der Ziele und Denkweise.

_Christoph:_
Flores habe ich absichtlich gegensätzlich zu Sten angelegt, weil ich es spannend fand, sich mit dem Rebellen und Untergrundkämpfer zu identifizieren, der für etwas Gutes kämpft und sich ähnlich wie etwa Robin Hood gegen die Obrigkeit auflehnt. Daher habe ich Flores so angelegt, dass sie sich der Rebellion gegenüber verweigert. Da sie aber trotzdem freundschaftliche Bande zu den Rebellen hat, wird sie trotzdem immer wieder hineingezogen, obwohl sie damit gar nicht zu tun haben will.

_Martin:_
Hast du bei den Rebellen irgendwelche Vorbilder gehabt, realpolitisch oder aus der Literatur?

_Christoph:_
Ehrlich gesagt, nicht bewusst. Ich habe an ein bestimmtes Szenario gedacht. Bei der Entwicklung der Welt habe ich mich natürlich von historischen und realen Hintergründen beeinflussen lassen, aber nicht in dem Sinne, dass ich konkrete Sachen übernommen hätte.

_Martin:_
Wie würdest du den Masridenherrscher Zorpad beschreiben?

_Christoph:_
Zorpad ist auch einem höheren Ziel verpflichtet. Allerdings ist er beim Versuch, dieses Ziel zu erreichen, krasser/brutaler und kompromissloser als der Rest. Er hat keinerlei moralische Bedenken, seinen Willen durchzusetzen, weil er sich als den rechtmäßigen Herrscher sieht und das mit allen Mitteln erreichen will.

_Martin:_
Gab es für ihn irgendwelche Vorbilder?

_Christoph:_
(lacht) Nein, nicht wirklich. Ich wollte aber keinen dummen Bösen erschaffen. Zorpad hat ein Ziel und verfolgt dieses intelligent und sinnvoll.

_Martin:_
Die Zwerge kommen in deinem Buch ja nicht so gut weg. Allerdings, finde ich, sieht man hier sehr schön, inwiefern in diesem Roman der Blickwinkel eine Rolle spielt, denn in den meisten anderen Romanen wäre man wohl eher auf deren Seite und würde die Trolle als die „Bösen“ sehen.

_Christoph:_
Wenn man das Buch aus einer anderen Sicht schreiben würde, würde man das wohl tatsächlich anders sehen, weil die Zwerge natürlich gegen die Trolle kämpfen, und diese ja auch in ihrer Vorgehensweise nicht gerade nett sind. Das heißt, man hat sicherlich auch ein wenig Verständnis für die Zwerge, die versuchen ihren Willen durchzusetzen. Der für das Buch wichtigste Zwergencharakter ist sehr gefährlich und in seinen Aktionen sehr kompromisslos und bildet so ein Gegengewicht zu den Trollen. Die anderen Zwerge werden ja eigentlich nur so grob angerissen.

_Martin:_
Die Szene, in der Sargan den Trollen das Schreiben beibringt, hat mich sehr an den Film „Der 13. Krieger“ erinnert. Ist das gewollt oder zufällig?

_Christoph:_
Jetzt wo du es sagst … Ich kenne den Film natürlich, und habe auch das Buch zu Hause. Kann sein, dass ich mich davon habe unbewusst inspirieren lassen. Aber absichtlich war das nicht. Unabhängig davon gefällt mir diese Szene sehr gut, weil sie schön den Zwiespalt zwischen Menschen und Trollen aufzeigt.

_Martin:_
Wie kam dir allgemein die Idee für das Setting: „Das Land zwischen den Bergen?“

_Christoph:_
Ich habe ein gewisses Faible für Osteuropa und habe mich da grob an Rumänien orientiert, das Land jenseits der Wälder. Ich fand das sehr passend als Vorbild für ein Fantasyland. Es sollte ein sehr düsteres Land sein, mit vielen Legenden und abergläubischen Menschen, wobei hier der Aberglaube ja auf realen Begebenheiten fußt. Von dieser Ausgangsbasis aus habe ich das Setting dann langsam entwickelt.

_Martin:_
Es ist ja auch von einem „Östlichen Imperium“ die Rede, aus dem Sargan kommt. Wie stellst du dir das vor?

_Christoph:_
Das Imperium ist quasi alles, was Wlachkis (Das Land zwischen den Bergen/d. Red.) nicht ist. Nämlich ein hoch entwickeltes, relativ fortschrittliches Volk mit einem vernünftigen Staatswesen, einem stehenden Heer und all dem Fortschritt, der in Wlachkis nicht gegeben ist. Vergleiche mit realen Völkern oder Imperien sind hier schwierig, am ehesten noch Persien oder dergleichen.

_Martin:_
Das Ende lässt dir ja alle Möglichkeiten für eine Fortsetzung; auch wenn du betonst, das das nicht gewollt war, so wäre doch eine Expansion in Richtung östliches Imperium durchaus vorstellbar.

_Christoph:_
Ich habe mir logischerweise schon Gedanken gemacht, wie ich diese Welt weiterentwickle, und habe da auch schon einen Haufen Ideen. Es ist viel Material angefallen, das sich mit anderen Dingen beschäftigt, die nicht in dieses Buch gepasst haben. Ich denke, dass ich durchaus noch ein oder zwei Geschichten in dieser Welt erzählen könnte. Ob das dann was wird, ist von anderen Faktoren abhängig, aber die Möglichkeit ist auf jeden Fall gegeben.

_Martin:_
Das muss ja auch nicht zwangsläufig unter dem Banner „Die Trolle“ geschehen …

_Christoph:_
Ich denke, die Welt, so wie sie ist, macht schon Spaß, sonst hätte ich sie nicht geschrieben. Mir gefällt sie, ich mag sie, und das würde sich für andere Bücher durchaus anbieten.

_Martin:_
Wie sehen denn deine weiteren schreibtechnischen Planungen aus?

_Christoph:_
Es sind Projekte in Planung, allerdings treffe ich mich erst demnächst mit |Heyne|, wo dann über verschiedene Optionen gesprochen wird. Das heißt, dass ich noch nichts Genaues sagen kann, aber die Verhandlungen laufen.

_Martin:_
Dein Buch erschien ja bei |Heyne| in einer Art Reihe, mit „Die Orks“, „Die Zwerge“ und „Die Elfen“ etc. Wie findest du denn diese Veröffentlichungspolitik?

_Christoph:_
Offensichtlich kommt das bei den Lesern sehr gut an. Es gibt eine relativ große Fangemeinde, und die Leute kaufen die Bücher gerne und finden Gefallen daran. Man muss schon sagen, dass sich |Heyne| Mühe gegeben hat, mit der Covergestaltung, den Karten sowie der Betreuung der Autoren. Das ist durchaus sehr praktisch für mich als Autor, genauso wie für den Leser, der natürlich weiß, was ihn erwartet. Von daher finde ich die Reihe eine gute Sache, die offensichtlich auch gut angenommen wird.

_Martin:_
Wie ist es für dich, in einer Reihe mit deutschen Fantasygrößen wie Markus Heitz oder Bernhard Hennen zu erscheinen? Spornt dich das an, oder ist das eher eine Belastung?

_Christoph:_
Das wechselt immer wieder. Bevor „Die Trolle“ erschienen, war es eine große Belastung, weil ich die Angst hatte, die Fans würden denken: „Oh Mann, einen unbekannten Autoren will ich nicht lesen!“. Das hat sich mittlerweile aber zum Glück gelegt. Natürlich ist aber ein Markus Heitz mit seinem Erfolg der „Zwerge“ und seinen anderen Büchern, die in mehrere Sprachen übersetzt werden, ein Beispiel für mich. Die Leute mögen, was er schreibt, seine Welten und seine Charaktere, von daher ist er sicherlich ein gutes Vorbild. Gleiches gilt für Bernhard Hennen, der mit den Elfen ja auch sehr erfolgreich ist.

_Martin:_
Du bist ja ein bekennender Rollenspieler. Was spielst und was leitest du gerne?

_Christoph:_
Meine Rollenspielbücher füllen mittlerweile ganze Regale, das ist schon ein wenig problematisch. Momentan spielen wir „Cthulhu“, „Rolemaster“, „Shadowrun“ und „Vampire“. „Vampire“ ist auch gleichzeitig die Runde, an der wir schon am längsten spielen. Wir haben da bei „Dark Ages“ angefangen und sind inzwischen im 20. Jahrhundert, und die Spieler haben schon gehörig Angst vor Gehenna. (lacht)

_Martin:_
Hast du auch mal Lust, ein eigenes Rollenspiel zu schreiben, eventuell auf der Basis von „Die Trolle“?

_Christoph:_
Sagen wir mal so: Als Rollenspieler und „Sehrvielspielleiter“ habe ich natürlich verschiedene Systemleichen im Keller. Ich habe durchaus für viele Welten, die ich so beschrieben habe, versucht, verschiedene Regeln zu machen. Ich habe so eine Art eigenes System, das sich von „Hârnmaster“ ableitet, das ich als Hintergrund für die Troll-Welt nehmen könnte – wenig Magie, halbwegs realistisch. Aber professionell werde ich das wohl eher nicht machen.

_Martin:_
Kommen wir zur Lesung: Wie ist denn deine erste Lesung deiner Meinung nach gelaufen?

_Christoph:_
Ich war extrem nervös. Ich habe mir die ganze Woche vorher Gedanken gemacht und andauernd Leuten vorgelesen, ob sie nun wollten oder nicht! Habe geübt, was ich vorlese, was ich für Geschichten erzähle, und habe die Überleitungen und Einleitungen zu Hause gelernt, damit ich weiß, was ich sagen muss. Und dann waren noch so viele Leute da – ich dachte, es wird fürchterlich! Als ich dann allerdings angefangen habe zu lesen, hat sich die Nervosität aber Gott sei Dank gelegt.

_Martin:_
Es hat ja dann im Endeffekt auch gut geklappt.

_Christoph:_
Danke, man hat mir gesagt, dass es okay war! (lacht)

_Martin:_
Du hast ja vier Szenen vorgelesen. Welche waren das, und warum hast du sie ausgesucht?

_Christoph:_
Die Szenen sollten auf unterschiedliche Charaktere und deren Zusammentreffen oder deren Beziehung zu den Trollen ein Schlaglicht werfen. Ich hatte zuerst überlegt, ein Kapitel zu lesen, fand das dann aber zu eintönig. Ich dachte mir, Szenen mit Dialogen und Action kommen wahrscheinlich gut bei den Hörern an. Da habe ich halt eine ausgewählt, die die Trolle gut darstellt, nämlich Druan und Sten in Orvol, wie sie auf andere Menschen treffen. Als zweites habe die Szene genommen, in der Flores Natiole begegnet. Sie ist halt etwas aufbrausender als Sten, und daher sind hier die Dialoge besonders geeignet. Die dritte Szene beschreibt Sargan und die Trolle. Sargan ist definitiv auch ein wichtiger Charakter und es hat sehr viel Spaß gemacht, seinen Part zu schreiben.

Die letzte Textstelle ist einfach eine sehr wichtige im Buch, nämlich in Teremi, wo die Handlungsstränge zusammenlaufen und es so einen kleinen Höhepunkt gibt. Zufälligerweise hat es sich auch ergeben, dass dort ein gut geeigneter Satz für das Ende der Lesung ist, der die Leute dazu anregen könnte, dass sie das Buch noch kaufen und lesen. (lacht)

_Martin:_
Es waren ja auch erstaunlich viele junge Leute da, was bedeutet dir das?

_Christoph:_
Es heißt ja immer, die Leute würden nicht mehr lesen, oder das Lesen stirbt aus. Ich glaube nicht, dass das stimmt. Es gibt genug Menschen, die noch oder wieder lesen. Die Lesung ist für mich auf jeden Fall eine super Möglichkeit, die Leser persönlich kennen zu lernen. Das fand ich sehr spannend. Eine Woche vorher war es bei meiner Signierstunde auf dem Mannheimer Rollenspielertreffen genauso interessant zu sehen: Wer interessiert sich für meine Bücher? Was für Leute sind das?

_Martin:_
So, Christoph, damit sind fürs Erste meine Fragen erschöpft und ich danke dir recht herzlich für dieses sehr ausführliche Interview. Jetzt allerdings hast du zum Schluss noch die Möglichkeit, einen letzten Satz an unsere Leser zu richten:

_Christoph:_
Erst einmal danke für das Interview. Ich glaube, ich möchte mit einem chinesischen Sprichwort schließen: „Hast du drei Tage kein Buch gelesen, werden deine Worte seicht“ (lacht).

|Siehe ergänzend dazu auch:|

[Rezension zu „Die Trolle“ 2408
[Teaser und Leseprobe zu „Die Trolle“]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=62

Oder die Homepage: http://www.hardebusch.net/

|Foto: © Julia Abrahams|

Berlusconi

Knapp verloren hat Silvio Berlusconi die Wahlen in Italien und zeigt sich als schlechter Verlierer, indem er das Ergebnis anzweifelt. Eine Ära scheint ihrem Ende entgegen gegangen zu sein, soweit es nicht doch noch zu Neuwahlen kommt. Ganz trauen darf man der neuen Realität noch nicht, hatte doch die Wahl selbst bis in die darauf folgenden Tage hinein noch etwas von einem Krimi, der Italien in Atem hielt und die Bevölkerung spaltete.

Grund genug, einen Rückblick auf Berlusconi und seine politische Geschichte zu unternehmen. Vor allem die Frage, ob in Italien unter Berlusconi noch von Demokratie zu sprechen war, galt während seiner Amtszeit als sehr umstritten, vor allem da unter seinem Machtmonopol die Medien die zentrale Rolle einnahmen und die Politik ihrer Logik, ihres Zeitgefühls und ihren Marktgesetzen unterwarfen. Vor allem über das Fernsehen wurde Politik sehr vereinfacht, aber auch deren Inhalte völlig im Verbogen belassen.

Berlusconi war schon Anfang der 80er Jahre Mitglied in der umstrittenen Freimaurerloge [P2,]http://de.wikipedia.org/wiki/Propaganda__Due die ein Kompendium der Machtelite Italiens darstellte und alle Leiter der Geheimdienste, Offiziere, Generäle und Admirale ebenso umfasste wie auch Minister. Inhaltlich ging es vor allem um die Bekämpfung des Kommunismus, und Berlusconi hat dort wahrscheinlich vor allem seine Bekanntheit und sein Netzwerk ausgebaut und Zugang zu Finanzquellen erhalten. Berlusconi versuchte seine dortige Mitgliedschaft immer herunterzuspielen und wurde deswegen 1990 von einem Gericht in Venedig wegen Falschaussage verurteilt, was bis heute trotz all seiner Verfahren seine einzige rechtsgültige Verurteilung darstellt.

Die strategische Zielsetzung der P2 war u. a., die Unabhängigkeit der Justiz zu durchbrechen und die Schlüsselstellung in den Medien zu erobern, was, entlarvend genug, dann ja auch die zentralen Punkte in Berlusconis politischem Programm darstellte. Er baute das Privatfernsehen auf, und man könnte für italienische Verhältnisse heute sogar sagen: Fernsehen ist Berlusconi. Mit Hilfe dieses Mediums konnte er in die Politik gehen und kandidierte 1994, wobei er sich mit sehr unterschiedlichen politischen Lagern der italienischen Rechten verbündete: auf der einen Seite mit der Lega Nord, auf der anderen Seite mit dem Movimento Sociale Italia (MSI), der sich mit der faschistischen Vergangenheit des Landes identifizierte. Die MSI nannte sich später in Alleanza Nazionale um und wandelte sich zu einer straff organisierten rechten Massenpartei. Lega Nord und AN passten aber damals wie heute nicht wirklich zusammen und vertreten sehr konträre Programme.

Dennoch gelang es ihnen damals die Mitte-Links-Koalition mit Berlusconis amerikanisiertem, personalisiertem Politikspektakel völlig zu überrumpeln. Zwar kamen sie noch nicht an die Macht, aber Berlusconis eigene Partei Forza Italia war mit 21 % die stärkste politische Kraft in der zersplitterten italienischen Parteienlandschaft. Von Anfang an verhielt sich Berlusconi im Parlament nicht wie ein Parteivorsitzender, sondern trat als Boss seiner Partei auf. Bei den Europawahlen 1994 stieg sein Stimmenanteil schon auf über 30 %. Im selben Jahr begann aber auch schon die Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen Korruption zu ermitteln. Die Lega Nord unter Umberto Bossi realisierte, auf welches unsichere politische Abenteuer sie sich eingelassen hatte, und trat aus der Koalitionsregierung zurück. Die Regierung war gestürzt und Berlusconis erste Amtszeit nach sechs Monaten gescheitert.

Zudem ermittelte erneut die Staatsanwaltschaft gegen ihn. Diesmal ging es um Korruption der Finanzpolizei, illegale Parteifinanzierung, Bilanzfälschung und Richterbestechung. In Spanien wurde wegen Steuerhinterziehung und Verstöße gegen das Kartellrecht gegen ihn ermittelt. 1995 waren die Ermittlungen abgeschlossen und 1998 wurde Berlusconi zu zwei Jahren und neun Monaten Gefängnis schuldig verurteilt. Im italienischen Justizwesen tritt man seine Strafe aber erst an, wenn alle Instanzen durchlaufen sind. 2000 wurde vom höchsten Gericht die Strafe bestätigt. Aber da die Schuld mehr als zehn Jahre zurücklag, kamen Verjährungsbestimmungen zum Tragen. Außerdem gewann er 2001 wieder die Wahlen und wurde überraschend daraufhin gerichtlich für unschuldig erklärt.

Berlusconi war einfach nur sehr geschickt darin, Verfahren in die Länge zu ziehen und politische Termine vorzuschieben, um nicht vor Gericht erscheinen zu müssen. Solcherart die Verjährung zu erzielen, war nicht ehrenhaft, aber umso wirksamer. Auch hatte seine Medienkontrolle, wodurch er zehn Jahre gegen die Strafverfolgungsbehörden als „kommunistische Staatsanwälte und Richter“ hetzte, sicherlich auch ihren Anteil daran, dass er ohne Konsequenzen davonkam.

Das Ausland war schon immer Berlusconi-kritisch, aber 1999 gelang es ihm mit Hilfe von Helmut Kohl und José Maria Aznar, mit seiner FI tatsächlich als Nachfolgepartei der alten DC anerkannt und damit in den Kreis der Europäischen Volksparteien (EPP) aufgenommen zu werden. Dass der damalige christdemokratische Kommissionspräsident Roman Prodi darüber sehr entrüstet war, änderte nichts. In Italien gewann er wieder Land, als nach einigen Jahren Streitereien die Lega Nord Stimmen verlor und deswegen doch erneut Interesse daran bekam, vielleicht in die Koalition mit der FI und AN zu gehen. 2001 gewann er also wieder die Wahlen, wenn auch knapp – eigentlich hatte er sogar weniger Stimmen als das Mitte-Links-Bündnis, aber die Sitzverteilung im italienischen Parlament und den Senaten ist so kompliziert, dass für normale europäische Verhältnisse in recht merkwürdiger Weise Stimmen gebündelt werden.

Er kaufte mehr und mehr private Fernsehsender und im Grunde gehören ihm mittlerweile alle etwa fünfzig Programme, bei denen es nur um Einschaltquoten geht und die allesamt den gleichen verdummenden und geistlosen Quatsch senden. Privatfernsehen ist in der Hand von Superreichen, von Holdings und Unternehmensgruppen – eine Situation, die auch andernorts Schule macht. An der Spitze stehen Manager, die riesige Summen verdienen, aber die meisten Konsumenten sitzen am unteren Ende der Einkommensskala. In Italien wie auch in den USA und anderenorts ist der Fernsehkonsum bei Familien mit niedrigstem Bildungsstand und Einkommen am höchsten. Diese sozialen Schichten sind auch am wenigsten in der Zivilgesellschaft aktiv. Passivität und ein auf das Privatleben beschränkter Horizont setzen natürlich manipulativer Suggestion nichts entgegen. Statistisch sehen die Italiener mehr fern als alle anderen Westeuropäer, aber noch nicht so viel wie die Amerikaner.

Das krasse Beispiel in Italien ist aber, dass alle Programme von Berlusconi diktiert werden. Faschismusvorwürfe weist er jedoch von sich, weil er ja angeblich auch linke Wähler bediene. Entgegen dem klassischen Faschismus werden abweichende Stimmen nicht zum Schweigen gebracht. Aber ein schönes Zitat von Talkmaster Maurizio Constanze von 2001 drückt es dennoch treffend aus: „Die Macht gehört nicht dem, der im Fernsehen zu Wort kommt, sondern dem, der dir erlaubt, darin zu Wort zu kommen“. Zwar kommen also, kurz geschnitten, viele unterschiedliche Politiker zu Wort, die dann aber anschließend lange aus Regierungsmeinung heraus kommentiert werden.

Die Erfahrung zeigt auch, dass wenn Einschaltquoten sinken, Berlusconi kritische Stimmen aus seinen Programmen herauswirft. 2003 wurde z. B. auch die Berichterstattung über den Generalstreik der Gewerkschaften in den Nachrichten untersagt. Historiker sind sich beim Faschismusvergleich noch sehr uneinig, denn zwischen Mussolini und Berlusconi gibt es auch viel mehr Unterschiede als Ähnlichkeiten. Darin, wie sie sich allerdings medienwirksam aufbauen und über welches Charisma sie verfügen, sind sich die beiden dennoch ähnlich.

Auch die staatliche Gewalt geht in eine faschistische Richtung, wofür die bekannt gewordenen Übergriffe der italienischen Sicherheitskräfte gegen die Demonstranten wider den G8-Gipfel 2001 in Genua bestes Beispiel sind. In den Polizeikasernen wurde gefoltert und Angereiste Gipfelgegner waren in der Diaz-Schule mitten in der Nacht im Schlaf überfallen und verprügelt worden. Die Rechtfertigung für diesen Überfall waren zwei gefundene Molotowcoctails, wobei sich aber später herausstellte, dass diese von der Polizei selbst hineingeschmuggelt worden waren. Solches Vorgehen gibt es im internationalen Vergleich nur in südamerikanischen Diktaturen.

Tatsächlich feierte unter Berlusconi die faschistische Kultur fröhliche Urständ: faschistisch in ihren Losungen, faschistisch in ihrer Brutalität und faschistisch in ihrer mutwilligen Missachtung der elementarsten Rechte von Festgenommenen. In seiner Amtszeit wurde Mussolinis Faschismus neu bewertet und im offiziellen Sprachgebrauch der Mitte-Rechts-Parteien gilt der Faschismus als nicht gar so verwerflich; Mussolini sei durch Hitler vom Weg abgekommen und erst nach der Einführung der berüchtigten Rassengesetze 1938 sei das Regime entgleist. Auch die Lega Nord erklärte 1994, dass Frauen es unter dem Faschismus gut gehabt hätten. 2003 erklärte Berlusconi, Mussolini habe niemanden umgebracht, er sei ein „milder“ Diktator gewesen und habe seine Gegner anstatt ins Gefängnis auf Inseln wie Ponza und Ventotene „in die Ferien“ geschickt. Solche Behauptungen sind historisch unhaltbar. Sogar die rechtsgerichtete Presse Italiens beklagte die haltlosen Lügen Berlusconis. Unter seiner politischen Geschichte von 1994 bis 2003 wurden viele „gute“ Faschisten rehabilitiert. Die italienischen Schulbücher wurden nach „objektiven Kriterien, die die historische Wahrheit respektieren“ umgeschrieben, da sie angeblich bisher zu linkslastig waren.

Auch die Justizangelegenheiten, denen Berlusconi durch Verjährung entging, zeigen die gleichen Tendenzen. Seine Mitangeklagten bekamen ja 2003 elf Jahre Gefängnis, aber auch sie sitzen nicht ein, da noch nicht alle Instanzen durchlaufen sind. Zudem hatte Berlusconi mit einem schnell durchs Parlament gejagten Gesetz erreicht, dass den Inhabern der fünf höchsten Staatsämter für die Dauer ihrer Amtszeit Immunität zugebilligt wird. Am 20. Juni 2003 konnte er verkünden: „Mein Leidensweg ist zu Ende“. Mehr als 60 % der Italiener sprachen sich gegen dieses Immunitätsgesetz aus, und selbst unter den Wählern der Regierungskoalition waren nur 25 % für das Gesetz. Aufgrund der Medienmacht und ihrer Propaganda hatte aber auch nur noch ein Drittel der Italiener Vertrauen in die Justiz. 2004 entschied das Verfassungsgericht, dass das Immunitätsgesetz gegen die Verfassung verstößt. Berlusconi kam doch vor Gericht, wurde in drei Punkten für unschuldig erklärt, aber der Hauptanklagepunkt war verjährt. Von seinen neun Verfahren seit 1996 kam sechsmal die Verjährungsfrist zum Tragen, in den übrigen Fällen war er in der zweiten Instanz freigesprochen worden.

In der Außenpolitik verlor er an Ansehen wegen seiner liebdienerischen Beziehung zu Bush und weil er sein Land zu einem der ersten Mitglieder der „Koalition der Willigen“ beim Angriff auf den Irak machte. Das war gegen das religiöse Gefühl des katholischen Italiens und auch gegen die Meinung der Bevölkerung überhaupt. 90 % der Italiener sprachen sich gegen den Krieg aus.

Seit 2002 hat sich ein neuer unerwarteter Widerstand in Italien organisiert, der sich aus der globalen Protestbewegung der 18- bis 25-Jährigen speist und locker in den Sozialforen der meisten größeren Städte organisiert ist. Italiens Social Forum ist das mitgliederstärkste und bestorganisierte in Europa. Millionen Menschen werden für Demos aktiviert. Diese Zahlen übertrafen die kühnsten Hoffnungen der Organisatoren und gehen auch über alle vergleichbaren Zahlen der Vergangenheit hinaus, übertreffen sogar den „heißen Herbst“ der Arbeiterkämpfe 1969 – 70. Auffallend ist der Anteil der Mittelschicht, der weder mit Berlusconis Politik noch mit der Mitte-Links-Koalition zufrieden ist.

Im Frühjahr 2006 hat er die Wahl verloren und damit wurde die Gefahr gestoppt, dass er im Herzen Europas ein voll entwickeltes, durch Medien gesteuertes persönliches Regime errichtet. Aber noch reagiert er bissig und angriffsfreudig auf das Wahlergebnis und man darf seine Entschluss- und Widerstandsfähigkeit nicht unterschätzen. Was in Italien passiert, hat nach wie vor vielfältige Folgen für die Zukunft der Demokratie in der ganzen Welt.

Mehr über Berlusconi erfährt man in einem recht preisgünstigen Buch beim |Wagenbach|-Verlag:

Paul Ginsborg
[BERLUSCONI]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3803124972/powermetalde-21
Politisches Modell der Zukunft oder italienischer Sonderweg?
192 Seiten, Paperback, Wagenbach Verlag 2005
ISBN 3-8031-2497-2

|Infolinks:|
[Propaganda Due]http://de.wikipedia.org/wiki/Propaganda__Due
[Silvio Berlusconi]http://de.wikipedia.org/wiki/Silvio__Berlusconi
[Parlamentswahlen in Italien 2006]http://de.wikipedia.org/wiki/Parlamentswahlen__in__Italien__2006