Archiv der Kategorie: Thriller & Krimis

Jonathan Rabb – Die Eisenreich-Verschwörung

Rabb Eisenreich Cover TB 2004 kleinDas geschieht:

In Washington wurde vor einiger Zeit eine streng geheime Untersuchung beschlossen. Diverse ultra-reaktionäre und rechtsradikale Gruppen sollen darauf überprüft werden, ob sie dem Staat gefährlich werden könnten und aus dem stets verdächtigen Ausland Unterstützung erfahren. Dahinter steckt der „Aufsichtsausschuss“, eine der Öffentlichkeit nicht bekannte Abteilung des US-Außenministeriums, die einst gegründet wurde, um jenseits der lästigen Knechtschaft durch niedergeschriebene Gesetze die Bösen dieser Welt zu strafen und auszuschalten.

Agentin Janet Trent taucht hinab in den Sumpf selbst ernannter Tugendwächter und fanatischer Seelenretter, in dem es seit einiger Zeit gefährlich brodelt: Eine Welle äußerst brutaler, dabei militärisch präzise organisierter Terroranschläge erschüttert die USA. Der Aufsichtsausschuss rätselt, ob es der fundamentalistische TV-Demagoge Jonas Tieg ist, der Furcht und Schrecken säen lässt, um die USA innenpolitisch zu destabilisieren und so die Herrschaft an sich zu reißen. Jonathan Rabb – Die Eisenreich-Verschwörung weiterlesen

Winegardner, Mark – Rache des Paten, Die

Im Jahre 1969 veröffentlichte der Autor Mario Puzo den Roman „Der Pate“ (The Godfather) und schaffte damit den Sprung auf die internationalen Bestsellerlisten.

„Der Pate“ erzählte die Geschichte der aus Sizilien stammenden Familie Corleone, die in New York das gesamte organisierte Verbrechen rund um das Glücksspiel steuert. Vito Corleone ist „Der Pate“, wie er von seinen Freunden und Feinden ehrfürchtig und voller Respekt genannt wird. Doch auch New York mit seiner Kriminalität verändert sein Gesicht. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg erobert der Drogenhandel nicht nur die amerikanischen Staaten, und Don Vito Corleone ist nicht bereit, sich an dem für ihn schmutzigen Geschäft zu beteiligen.

Killer einer anderen Mafia-Familie verüben einen Mordanschlag auf den „Paten“, den dieser schwerverletzt überlebt. Seine drei Söhne – Sonny, Fredo und Michael, der jüngste – führen die familiären Geschäfte und Interessen weiter, aber Sonny, der älteste Sohn und Nachfolger, verliert die Nerven und rächt mit aller Gewalt den Mordanschlag auf seinen Vater. Es entbrennt ein Mafia-Krieg, der auf vielen Seiten seine Opfer fordern wird.

Schließlich wird auch Sonny das Ziel eines Mordanschlags und brutal an einer Mautstation hingerichtet. Michael Corleone übernimmt nun als Oberhaupt der Familie die Geschäfte und führt einen Rachefeldzug gegen seine Feinde, dabei verschont er auch nicht die eigene Familie …

Das Epos rund um die Geschichte der Familie Corleone wurde erfolgreich in drei Teilen verfilmt. Francis Ford Coppola und der Autor Mario Puzo schrieben gemeinsam an dem Drehbuch. Ein fast einmaliger Erfolg in diesem Genre. Selbst die realen Mafiosi fühlten sich geehrt und sagten aus, dass das Buch und der Film das wahre Lebensgefühl ihres Standes aussagen, also ein kleiner Werbespot für die Mafia in Amerika.

Verfilmt wurde die Saga mit vielen inzwischen bekannten Weltstars wie Robert De Niro, Marlon Brando, Al Pacino, Robert Duvall und anderen, ein Sprungbrett in die Welt des internationalen Films. „Der Pate“ Teil 1 wurde 1972 mit dem Oscar als bester Film prämiert und Marlon Brando sollte als bester Hauptdarsteller auch ausgezeichnet werden, Mario Puzo und Francis Ford Coppola erhielten den dritten Oscar für ihr Drehbuch. Aufgrund dieses Erfolges will man natürlich wissen, wie es weitergeht mit der Familie Corleone. Eigentlich sind sie ja wirklich nette Menschen, auch wenn sie hin und wieder einen Mord begehen … aber das ist für sie nur eine Notwendigkeit im geschäftlichen Sinne.

Der Autor Mark Winegardner wurde von der Erbgemeinschaft Mario Puzos persönlich ausgewählt, die Saga fortzuführen bzw. zu ergänzen. Er hat schon im Jahre 2005 mit „Der Pate kehrt zurück“ einen sehr großen Erfolg erzielen können. Mit dem neuesten Werk „Die Rache des Paten“ sollten noch einige andere offene Fragen, die sich dem Leser oder auch Zuschauer stellten, zufriedenstellend aufgelöst werden können.

_Die Geschichte_

New Orleans 1963. Michael Corleone, nach dem Tod seines Vaters Don Vito Corleone nun „Der Pate“ und Oberhaupt der Familie, konnte seinen Machtbereich ausbauen und die feindlichen Familien durch Mordanschläge quasi auslöschen. Michael versucht immer mehr, sich von seinen illegalen Aktivitäten zu distanzieren. Er versucht durch seine Kontakte in der Politik, seine Geschäften einen legitimierten Anschein zu verleihen. Aber die anderen Dons der großen Familien stehen dem sehr kritisch gegenüber und er wird offen angefeindet und bedrängt, die Geschäfte auf die alte und bewährte Weise zu führen.

Doch Michael geht seinen eigenen Weg, und durch seinen Einfluss macht er den jungen Jimmy Shea zum Präsidenten der Vereinigten Staaten. Entgegen seinem Willen gibt es dennoch Probleme, denn der Präsident ist alles andere als gewillt, mit dem organisierten Verbrechen zusammenzuarbeiten, zumal dieser noch Probleme mit dem südamerikanischen Nachbarn Kuba hat. Politik und Verbrechen geben sich die Hand und arbeiten zusammen, doch jede Partei hat ihre eigenen Gesetze und Motivationen. Der jüngere Bruder des Präsidenten bekämpft das organisierte Verbrechen in einem Kreuzzug und greift auch auf nicht legale Mittel zurück. Ziel ist es für ihn, den Paten von New Orleans, Carlo Tramonti, nach Kolumbien zu deportieren, was ihm zeitweise auch gelingt. Die so genannte Kommission der Cosa Nostra wird damit unter Druck gesetzt, und innerhalb dieser Gruppierung ist man sich uneinig darüber, wie man sich gegenüber den ehemaligen Wohltätern und Förderern in der Politik verhalten soll.

Auch Michael Corleone muss und wird Stellung beziehen müssen. Doch noch andere Probleme lassen den „Paten“ nicht zur Ruhe kommen. Ein ehemaliger Capo, Nick Geraci, ein Unterboß der Corleones, entpuppte sich als Verräter und wird nun gejagt und natürlich weiß dieser zu viele Interna über die illegalen und legalen Geschäfte der ehrenwerten Familie, auch dass die Corleones Killer für die Ausschaltung von Castro ausgebildet haben! Doch Nick Geraci ist nicht gewillt, sich zu verstecken, und verfolgt seine eigenen Rachepläne gegenüber seinem ehemaligen Paten. Er ist mit Sicherheit nicht zu unterschätzen.

Michael Corleone hat noch andere Probleme,; seine Frau und seine Kinder haben sich von ihm getrennt und er leidet sehr unter dem Verlust. In seinen Alpträumen wird er von seinem verstorbenen, älteren Bruder Fredo besucht, den Michael töten ließ, da er illoyal gegenüber seiner Familie gewesen war. Damit kämpft Michael an vielen Fronten und nicht zuletzt gegen sich selbst. Seine Geschäfte hinterlassen körperliche und seelische Spuren. Michael Corleone erkrankt an Diabetes und fühlt sich verlassen, auch wenn er versucht, seine langjährige Geliebte in sein Leben einzugliedern.

Die Situation eskaliert, als der Präsident der Vereinigten Staaten einem Attentat zum Opfer fällt. Wer ist dafür verantwortlich? Für welche Seite wird sich der Nachfolger des Präsidenten entscheiden und was bedeutet dann die veränderte politische Lage für die ehrenwerte Gesellschaft? Doch Michael verliert auch in dieser kritischen Lage nicht den Überblick und setzt seine Interessen wie gewohnt kalt und erbarmungslos durch …

_Kritik_

Mark Winegardner hat es mit seinem Roman „Die Rache des Paten“ hervorragend verstanden, offene Fragen abschließend zu klären. Die Saga rund um den Paten war stets ein Familienepos, in dem es primär um die Sorgen und Nöte der Mitglieder und Freunde der Corleones geht. Der Autor setzt die Hauptcharaktere, die man schon aus den beiden anderen Büchern sowie den drei Filmen kennt, hervorragend ein. Auch reine Randfiguren aus „Der Pate“ wie Woltz, der Regisseur, der dem Wunsch des Paten nicht Folge leisten wollte, oder Johnny Fontane findet man hier gut untergebracht in der Geschichte wieder.

Die Politik und das organisierte Verbrechen sind nicht die Hauptzutaten in diesem Roman. In „Die Rache des Paten“ spielt der „Consigliere“ Tom Hagen eine große Rolle, und einige Fragen, die nach den ersten beiden Teilen des Paten blieben, klärten sich auf. Die Rache der verschiedenen Persönlichkeiten bildet die eigentliche Handlung im Roman, aber diese verbindet die Nebenerzählungen außerordentlich gelungen.

Leider gerät die Entwicklung von Michael Corleone in der Handlung für meine Begriffe etwas zu kurz. Als gebrochener Familienvater und „Pate“ bleiben seine Sorgen und Nöte immer etwas im Hintergrund. Wenn er aber auftritt, und das in oftmals kurzen Passagen, dann als der gewohnt kalt agierende Charakter, der uns auch schon in den Filmen begegnete.

Es ist zu empfehlen, „Der Pate kehrt zurück“ zuerst zu lesen, denn die Vorgeschichte des Nick Geraci, ehemals ein Unterboss der Familie, würde dem Leser sonst zu undurchsichtig erscheinen. In den Filmen taucht dieser zwar als Statist auf, stellt aber keine in der Geschichte wichtige Person dar. In „Die Rache des Paten“ bildet er neben Tom Hagen den zweiten und größten Teil der Handlung heraus.

Mark Winegardner versteht sein literarisches Handwerk. Die geheimnisvolle Aura der Mafia beschreibt der Autor genau wie Mario Puzo spannend und interessant, wenn auch nicht unbedingt der Realität entsprechend. Das Verhältnis der Politik zum Verbrechen haben beide Autorenrecht realitätsgetreu behandelt. In den Filmen wie auch Romanen findet man Parallelen zu tatsächlich stattgefundenen Ereignissen. Gerade in „Die Rache des Paten“ wird das Verhältnis der Geheimdienste zum organisierten Verbrechen mit brisanten Themen zur Diskussion gestellt. Wer also auch hier fleißig recherchiert, wird sich manches Mal verblüfft sehen. Ein anderes Thema wäre der Mord an dem jungen Präsidenten der USA; natürlich ist hier der Mord an J. F. Kennedy eine historische Parallele.

Was ich im Roman vermisst habe, war vielleicht ein Nachwort des Autoren. Seine Sicht der Geschichte hätte ich gerne nachgelesen. Andererseits werden am Anfang des Romans die Zeitlinie der Trilogie und die wichtigsten Hauptpersonen in einem guten Schaubild eingeführt.

_Fazit_

„Die Rache des Paten“ kann ich allen Fans der Mafia-Trilogie sehr empfehlen. Die Lücken und Fragen, welche die Filme und der Roman von Puzo offenlassen, werden geklärt. Der Roman spielt kurz nach „Der Pate Teil 2“ und somit in den Jahren 1963 bis 1965. Beide Romane – „Die Rückkehr des Paten“, sowie „Die Rache des Paten“ – sollen verfilmt werden, was mich nach der Lektüre aber nicht überraschte. Die beiden Romane laden geradewegs dazu ein, verfilmt zu werden, und der Erfolg könnte vielversprechend sein, wenn vielleicht Francis Ford Coppola wieder im Regiestuhl sitzt.

Fassen wir zusammen: „Die Rache des Paten“ liest sich flüssig und spannend, ist informativ, allerdings nur für Leser bestimmt, die die Vorgeschichte schon kennen. Diesmal ist die Bühne der Politik der Hauptbestandteil der Geschichte, doch hat sich der Autor auch viel Zeit für die Familiengeschichte der Corleones genommen, was vielleicht noch wichtiger ist.

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Kalla, Daniel – Immun

An der Westküste Nordamerikas setzt ein Auftragskiller ein tödliches Bakterium frei. Der Mann, der sich Dennis Lyndon Tyler nennt, verschenkt im Drogenmilieu eine todbringende Droge, die zum Ausbruch eines Bakteriums führt, den die Drogensüchtigen in die ansässigen Krankenhäuser schleppen. Als der Familienvater Thomas Mallek wegen eines Sportunfalls in Vancouver in die Notaufnahme kommt, wird er Zeuge, wie der behandelnde Arzt einer jungen Frau ein Abzess aufsticht. Doch der Eiter spritzt dabei so weit, dass auch Mallek davon getroffen wird. Dieser Spritzer Eiter von der kranken Drogensüchtigen wird Malleks Todesurteil sein. Doch auch in anderen Krankenhäusern an der Westküste breitet sich ein Bakterium aus, das auf keine Antibiotikabehandlung anschlägt, da es gegen sämtliche bekannten Medikamente resistent ist.

Zeitgleich bangt Dr. Ellen Horton um die Zulassung ihres neuen Antibiotikums Oraloxin, denn obwohl es sich im Test gegen Bakterien hervorragend behauptet, macht sich die Wissenschaftlerin Sorgen, denn in den Oraloxin-Testreihen sind bereits drei Schimpansen gestorben. Ellen Horton versucht sich aber zu beruhigen, denn die Tiere wurden über lange Zeit mit einer hohen Dosis behandelt, während Menschen Antibiotika jedoch nur über einen kurzen Zeitraum verabreicht bekommen. Dennoch hält Horton den Gewissenskonflikt kaum aus, da sie den Tod der Schimpansen bisher verheimlicht hat. Nur ihre beiden Kollegen und der für Forschung und Entwicklung zuständige Vizepräsident von SeptoMed Luc Martineau wissen von diesen Problem.

In anderen Handlungssträngen lernen wir Dr. Catalina Lopez kennen, die als Epidemiologin beim EIS (Epidemiologischen Informationsdienst für den pazifischen Nordwesten) arbeitet und durch das neue Bakterium bald viel zu tun bekommt, denn sie ist dafür verantwortlich, die Verbreitung des neuen Bakteriums, das bald MRGAS getauft wird, zu vermeiden. Hilfe erhält sie von Dr. Graham Kilburn, der als praktischer Arzt in Vancouver arbeitet und in seiner Funktion als Spezialist für Infektionskrankheiten ins Krankenhaus gerufen wird, als Thomas Mallek im Sterben liegt und auf keine Antibiotikabehandlung anspricht. Aber auch zwei Polizisten sind dem mysteriösen Bakterium und seinem Verbreiter auf der Spur, nachdem nämlich zwei Drogendealer in Portland ermordet aufgefunden werden, die offensichtlich von einem Profi exekutiert worden sind. Langsam aber sicher kommen Seth Cohen und Roman Leetch dem unbekannten Mörder und damit auch dem Bakterium auf der Spur.

In hohem Tempo und mit schnellen Wechseln der Schauplätze erzählt Daniel Kalla seinen neuen Medizinthriller, der nicht minder packend ist als sein Debütroman [„Pandemie“, 2192 der ebenfalls für schlaflose Nächte gesorgt hat. Seine Zutaten für einen spannenden Thriller sind dabei wieder einmal erfolgversprechend: Er nimmt mutige Protagonisten und solche, die etwas zu verbergen haben und ihr dunkles Geheimnis hüten wollen, und mixt aus seinen verschiedenen Handlungssträngen einen packenden Roman, der gut zu unterhalten weiß.

Im Mittelpunkt stehen dieses Mal allerdings so viele Figuren, dass man zunächst einige Schwierigkeiten hat, sich einzulesen und an den unterschiedlichen Handlungsorten zurechtzufinden. Außerdem erschwert die hohe Anzahl handelnder Charaktere die Identifikation, obwohl sich im Laufe des Romans Catalina Lopez und Graham Kilburn als Helden der Geschichte erweisen werden. Die beiden sind es, die – unterstützt durch die beiden Polizisten – dem gefährlichen Bakterium auf die Spur kommen, denn es will nicht nur ein Weg gefunden werden, um die Verbreitung des Bakteriums zu stoppen, sondern auch eine Medikation, die bereits Betroffenen helfen kann. Darüber hinaus liegt lange Zeit im Dunkeln, wer MRGAS durch einen Auftragskiller verbreiten lässt.

Mit fortschreitender Handlung nimmt die Spannung immer mehr zu; wir nähern uns dem Geheimnis um das Bakterium und seine Entstehung und bangen um das Leben unserer Helden, die plötzlich ins Zielfeuer des Killers geraten, als sie nämlich immer mehr Erfolge bei ihren Nachforschungen vorweisen können. Doch hier tauchen schließlich auch die ersten Kritikpunkte auf, die man nicht verschweigen sollte: Recht schnell zeichnet sich nämlich ab, wer ein gesteigertes Interesse daran haben könnte, MRGAS zu verbreiten und damit das Leben unzähliger Menschen in Gefahr zu bringen. Die Spuren, die Daniel Kalla hier für uns und seine Protagonisten auslegt, sind einfach zu offensichtlich und bergen kaum Überraschungen.

Selbstverständlich baut Kalla am Ende noch ein Überraschungsmoment ein, das den Leser noch einmal erstaunen mag, doch mit dieser finalen Wendung handelt Kalla sich allerdings auch einige logische Patzer ein. Denn die Entwicklung seiner Charaktere ist am Ende einfach nicht mehr schlüssig, wenn man diese Wendung mit einbezieht. Wieso nämlich sollte sich jemand so verdammt auffällig und hinterrücks verhalten, wenn er am Ende doch gar nichts zu verbergen hat und vollkommen unschuldig ist? Das ist mir nicht klar geworden und mindert definitiv das Lesevergnügen. Mir wäre es lieber gewesen, wenn Kalla seine Linie beibehalten hätte, auch wenn es dann am Ende eben keine Überraschung mehr gegeben hätte. Doch dann wäre zumindest sein Plot stimmig gewesen. So gelingt ihm jedenfalls nicht die Gratwanderung, die zu einer gelungenen Überraschung hätte führen können. Ganz im Gegenteil, sein Überraschungsmoment sorgt am Ende höchstens für Verärgerung, denn ich persönlich habe mich schon ein wenig veräppelt gefühlt.

So bleibt festzuhalten, dass Daniel Kalla mit „Immun“ zwar wieder ein hochspannender Pageturner gelungen ist, der über weite Strecken gut zu unterhalten weiß, der aber am Ende doch nicht voll überzeugen kann. Kallas Buchende wirkt auf mich unnötig konstruiert und alles andere als stimmig, sodass der Gesamteindruck des Buches darunter zu leiden hat. Wer darüber hinaus auf der Suche nach ausgefeilter Figurenzeichnung und literarischem Hochgenuss ist, der sollte von „Immun“ lieber die Finger lassen, denn Kalla bedient sich in seinem vorliegenden Roman relativ einfacher Figuren, die wenig Profil gewinnen, aber natürlich nicht die unvermeidliche Liebesgeschichte vermissen lassen. Auch sein Schreibstil ist eher schlicht und schnörkellos gehalten – das wiederum sorgt allerdings für einen gelungenen Spannungsbogen. Insgesamt gefällt „Immun“ über weite Strecken ziemlich gut, handelt sich aber gen Ende so viele Minuspunkte ein, dass der vorliegende Medizinthriller leider nicht über das Mittelmaß hinauskommt.

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Link, Charlotte – Echo der Schuld, Das

Das junge Aussteiger-Ehepaar aus Deutschland Livia und Nathan Moor hat zuhause alles verkauft und in ein Segelboot investiert. Doch der Traum von der Weltumsegelung platzt bald. Vor der schottischen Küste kollidieren sie mit einem Frachter. Mit letzter Kraft können Livia und Nathan ihr Leben retten. Das Segelboot sinkt und ihnen bleibt nichts als die Kleider, die sie tragen. Während Nathan das Schicksal mit Fassung trägt, bricht Livia völlig zusammen.

Der Unfall spricht sich im Dorf rasch herum. Auch die junge Engländerin Virginia Quentin, die mit ihrem Mann Frederic und ihrer kleinen Tochter Kim im Ferienhaus wohnt, hört davon. Kurz vor dem Unglück hatte Livia für sie im Garten gearbeitet und sich etwas Geld verdient. Virginia, die die junge Frau sympathisch fand, fühlt sich zur Hilfe verpflichtet. Gegen den Willen ihres Mannes gestattet sie den Moors, bis auf Weiteres in ihrem Ferienhaus zu leben. Dankbar nimmt das Ehepaar an, während die Quentins am nächsten Tag nach Hause nach Norfolk fahren.

Frederic, der politische Ambitionen verfolgt, reist beruflich nach London und Virginia bleibt mit Kim in Norfolk zurück. Überraschend steht auf einmal Nathan in der Tür. Seine Frau muss im Krankenhaus betreut werden und ist nicht transportfähig für die Rückreise nach Deutschland, er selber hat kein Geld, um sich im Ferienhaus zu versorgen. Widerwillig erlaubt Virginia dem mysteriösen Nathan, bei ihr zuhause unterzukommen. Einerseits fühlt sie sich von ihm bedrängt, andererseits kann sie sich seines Charismas nicht erwehren. Zur gleichen Zeit verschwinden zwei Mädchen in der Gegend und werden bald darauf ermordet aufgefunden. Virginia sorgt sich um ihre Tochter Kim. Hat etwa Nathan etwas mit den Vorfällen zu tun?

Charlotte-Link-Fans dürfen sich freuen: „Das Echo der Schuld“ ist nicht nur der aktuelle Roman der Autorin, sondern gehört auch mit zu ihren besten.

|Spannung in allen Handlungssträngen|

Gleich auf mehreren Ebenen wird eine Spannung entwickelt, die sich bis zum Ende des Buches zieht. Wie es für die Autorin typisch ist, verteilt sich die Handlung auf mehrere Stränge, die alle miteinander in Verbindung stehen. Die Haupthandlung konzentriert sich auf die beiden Ehepaare, das deutsche Paar Livia und Nathan Moor und ihre englischen Gastgeber Virginia und Frederic Quentin. Das Schiffsunglück bedeutet eine Zerreißprobe für die Moors, Livia erleidet einen körperlichen und seelischen Zusammenbruch, während ihr Ehemann die Dinge offenbar deutlich gelassener nimmt. Schon früh fragt man sich, was diese beiden grundverschiedenen Menschen eigentlich zu einer Ehe geführt hat und ob ihre Beziehung diese Katastrophe überstehen wird.

Ähnliches gilt für die beiden Engländer. Nicht genug damit, dass die Aufnahme der Moors für sie eine Belastung darstellt, auch zuvor deuten sich Spannungen an. Der bekannte Bankier Frederic sucht sein Heil in der Politik und drängt Virginia zu öffentlichen Auftritten an seiner Seite. Diese jedoch zieht sich lieber zurück und kümmert sich um Tochter Kim statt seine politischen Ambitionen zu unterstützen. Noch prekärer wird die Lage, als Frederic nach London reist und Nathan Moor sich bei Virginia einnistet. Trotz seiner leicht unheimlichen Aura fühlt sie sich zu diesem Fremden mehr und mehr hingezogen. Einerseits verunsichert durch seine aufdringliche und selbstbewusste Art, vertraut sie ihm in einer stillen Stunde Dinge aus ihrer Vergangenheit an, die selbst ihr Mann bislang nicht erfahren hat. Auch hier darf man gespannt sein, worauf diese Annäherung hinausläuft und inwieweit auch die Ehe von Frederic und Virginia zu zerbrechen droht.

Ein Nebenstrang führt in Virginias Vergangenheit. Sie erzählt Nathan von ihrem ehemaligen Lebensgefährten Michael, ihr bester Freund und Cousin aus Kindertagen, für den sie nie mehr als platonische Liebe empfinden konnte und mit dem sie ein schreckliches Geheimnis verbindet, das Virginia noch heute belastet. Neben diesen Rückblicken gleitet die Handlung letztlich auch zu den beiden Mädchen über, die zunächst spurlos verschwinden und später ermordet aufgefunden werden. Man gewinnt schmerzhaft realistische Einblicke in das Leid der zurückgelassenen Eltern, sodass man beinah dankbar ist, dass diese Handlung nicht so breit angelegt ist wie das Geschehen um die beiden Ehepaare. Als ein drittes Mädchen Gefahr läuft, in die gleiche Falle zu laufen, bleibt dem Leser nur ein banges Hoffen, dass wenigstens sie – wie auch die später verschwundene Kim – von diesem grausamen Schicksal verschont bleiben. Der Leser grübelt nicht nur über die Identität des Kindermörders nach, sondern auch über die zwischenmenschlichen Entwicklungen innerhalb der Beziehungen.

|Zwiespältige Charaktere|

Im Mittelpunkt steht Virginia, die sich im Verlauf der Handlung als vielschichtiger entpuppt als erwartet. Ihre bewegte Vergangenheit und das schreckliche Geheimnis, das sie mit Michael teilt und das „Echo der Schuld“, das sie seither mit sich herumträgt, sind der Grund für ihre in sich gekehrte Art und den Mangel an Ausgelassenheit. Ihre Hilfsbereitschaft gegenüber den Moors ist gut nachvollziehbar, während man ebenso die Abneigung von Frederic verstehen kann, der zu Recht befürchtet, dass sie sich auf eine große Belastung einlassen.

Der wohl interessanteste Charakter ist Nathan Moor. Seine Frau Livia, ein verstörtes, scheues Wesen, ist ein reiner Sympathieträger, während man für Nathan zunächst Abscheu empfindet. Sein gutes Aussehen und gewinnendes Auftreten können nicht über seine Unverschämtheit hinwegtäuschen. Empört verfolgt man, wie er Stellung in Virginias Haus bezieht und immer weiter in ihr Leben eindringt. Allerdings offenbart er auch eine sensible Seite und bringt Virginia dazu, ihr tiefstes Geheimnis zu offenbaren. Nach und nach begreift man, was für einen wichtigen Ausgleich der unbekümmerte Nathan im Gegensatz zum karriereorientierten Frederic für Virginia darstellt, sodass die anfangs rein negative Empfindung revidiert wird.

|Keine nennenswerten Schwächen|

Insgesamt ist „Das Echo der Schuld“ so grundsolide, dass man kaum etwas bemängeln kann. Etwas fragwürdig ist die Begründung, weshalb Virginia Nathan Moor tatsächlich bei sich zuhause einziehen lässt. Zwar ist ihr Ehemann Frederic für einige Tage verreist, doch es steht außer Frage, dass er über Tochter Kim früher oder später von dem unliebsamen Gast erfahren wird. Trotz allen rhetorischen Geschicks ist nicht ganz nachvollziehbar, warum Virginia Nathan so viele Freiheiten zugesteht und sich nicht überwindet, ihn an die deutsche Botschaft zu verweisen, zumal sich die Sympathie und Vertrautheit für ihn erst später ergibt.

Obwohl in leichtem Stil geschrieben, kann die Vielzahl der Handlungsstränge den Leser leicht überfordern. Mal geht es um Virginia und Frederic, dann um Nathan und Livia, dann um die ermordete Sarah und ihre Leidensgenossin Rachel, dann um die kleine Rachel, die Bekanntschaft mit dem Mörder schließt, und letztlich um Virginias Vergangenheit. Ein kleiner Kritikpunkt ist außerdem das Ende, das einen der Handlungsstränge offen lässt. Obwohl es kein zentraler Aspekt ist, wirkt dies beinah wie eine Aufforderung zu einer Fortsetzung.

_Unterm Strich_ liegt hier ein sehr unterhaltsamer und hochspannender Thriller vor, der nicht nur Fans von Charlotte Link ans Herz zu legen ist. Auf mehreren Ebenen entfaltet sich eine fesselnde Handlung, die sich um Ehedramen, Kindsmord und eine geheime Vergangenheit dreht. Die kleinen Kritikpunkte fallen dabei kaum ins Gewicht, sodass am Ende nur eine klare Empfehlung bleibt.

_Charlotte Link_, Jahrgang 1963, gehört zu den erfolgreichsten deutschen Autorinnen der Gegenwart. Fast alle ihre Bücher wurden zu Bestsellern. Ihre Spezialgebiete sind historische Romane sowie Psychothriller. Zu ihren bekanntesten Werken zählen: „Das Haus der Schwestern“, „Verbotene Wege“, „Die Sünde der Engel“ und die Sturmzeit-Trilogie („Sturmzeit“, „Wilde Lupinen“, „Die Stunde der Erben“). Mehrere ihrer Bücher wurden fürs Fernsehen verfilmt.

http://www.blanvalet.de

|Siehe ergänzend dazu:|

[„Am Ende des Schweigens“ 1606
[„Der fremde Gast“ 1080

Keith Ablow – Der Diener Gottes

Das geschieht:

In diversen US-Staaten stellt ein Serienmörder seine Opfer aus: Er entführt Menschen, um sie dann zu vergiften und mit dem Skalpell die Muskeln, einzelne Organe oder Knochen wie für ein anatomisches Modell zu präparieren. Da der Täter keine ethnischen Minderheiten, Außenseiter oder andere Bürger zweiter Klasse metzelt, sondern seine ‚Schaustücke‘ unter den Angehörigen prominenter, d. h. politisch und wirtschaftlich einflussreicher Familien auswählt, erregen diese Fälle Aufsehen. Die Presse bläst zur Hetzjagd auf die mächtig unter Druck geratende Polizei.

Nach dem fünften Mord heuert in Washington Dr. Whitney McCormick, Direktorin der FBI-Abteilung für Verhaltensforschung, den Psychiater Frank Clevenger an. Schon oft hat er ihr bzw. dem FBI beratend zur Seite gestanden. Clevengers Spezialität ist die Erstellung psychologischer Profile, die zu verstehen helfen, was in den Köpfen von Gewalttätern vorgeht, damit man sie mit diesem Wissen identifizieren und aufhalten kann. Keith Ablow – Der Diener Gottes weiterlesen

Sternmut, Norbert – Marlies

Von Normans Spielfeld und Marlies, der Hexe

Nach dem erfolreichen Krimi „Der Tote im Park“ folgt nun das Mittelstück einer Trilogie: „Marlies“. Der Leser darf sich auf alles gefasst machen, denn die rothaarige lüsterne Marlies macht sich wieder einmal über den wankelmütigen Schriftsteller Norman her, der selbstverständlich keine Chance gegen ihre Attacke hat.

Der Autor

Norbert Sternmut
Norbert Sternmut

Norbert Sternmut (= Norbert Schmid), geboren 1958, lebt in Ludwigsburg und arbeitet als Sozialpädagoge. Der Theaterautor, Rezensent, Maler, Lyriker und Romanschreiber erhielt Stipendien vom Land Baden-Württemberg und der Stadt Gerlingen. Er veröffentlichte zwanzig Einzeltitel seit 1980 und ist in über 50 Anthologien vertreten. Als Maler trat er mit 75 Ausstellungen an die Öffentlichkeit. Der gelernte Werkzeugmacher wurde nach einem Studium zwischen 1982 und 87 Sozialpädagoge und ist seit 1993 in der Bildungsarbeit im Bildungszentrum Stuttgart tätig. Mehr Infos gibt’s auf seiner Website www.sternmut.de.

Seit 1980 hat Sternmut eine ganze Reihe von Lyrikbänden veröffentlicht, darunter die von mir vorgestellten Bücher „Photofinish“, „Triebwerk“ und „Absolut, du“. In dem Band „88 Rätsel zur Unendlichkeit“ arbeitete er mit dem Grafiker Volker Funke zusammen: Die Rebus-artigen Rätselgrafiken harmonierten mit den frei assoziierenden Gedichttexten Sternmuts. Eine Webseite ergänzte das multimediale Werk auf der Zeit angemessene Weise.

Auf der Prosaseite ist seine Romantrilogie hervorzuheben, zu der „Der Tote im Park“ (1999), „Marlies“ (2003) und sein Roman mit dem Titel „Norm@n“ gehören. Eine Reihe von z.T. phantastischen Erzählungen erschienen in dem Band „Das Zeitmesser“ (Rainar Nitzsche Verlag, Kaiserslautern, 1997).

Handlung

Norman, der Schriftsteller, hat sich mit seiner Frau Regina und den zwei Kindern Lisa und Gloria (die nicht von ihm sind) fest eingerichtet in einer sicheren, gedeihlichen Umgebung, so dass er an seinem nächsten Roman schreiben kann. Was die mütterlich treu sorgende Regina allerdings nicht ahnt: Norman hat eine Geliebte, eine gewisse Eva Adam. (Man sieht: Namen tun hier wenig zur Sache.) Das dürfte für ihn zu einem gewissen Problem werden.

Marlies hat nämlich angerufen – Marlies, die Zerstörerin, Aphrodite und Kalí in einem, Normans femme fatale. Leider konnte Norman die Klappe nicht halten und erzählte ihr von Eva. Wenig später meldet sich der Herr Inspektor (der überhaupt keinen Namen hat) bei Norman an: Eva Adam sei ermordet (mit „aufgetrennten Brüsten“ und zerschnittenen Genitalien) aufgefunden worden, und ob der Herr Schriftsteller, dessen Fingerabdrücke man überall in der Eva-Wohnung gefunden habe, etwas Erhellendes dazu beitragen könnte? Norman kann nicht.

Als Marlies vor der Tür steht, während Regina beim Einkaufen ist, kann Norman ihr nicht widerstehen, so sehr er sich das auch wünschen würde – von wegen Treue zu Regina und so. Die anschließende Sexszene dauert so lange, dass Regina die beiden in ihrer Wohnung vorfindet. Regina wurde von ihrer Freundin Helga gewarnt, dass der Schriftsteller sie eines Tages enttäuschen würde. Regina stellt Norman auf die sanfte Tour vor die Wahl zwischen zwei Frauen. Doch er hält an ihr fest. Sagt er.

Der Verdacht des Herrn Inspektors gegen Norman wird immer dringender. Warum, bleibt vorerst unklar – Polizeigeheimnis. Allerdings gibt Norman das Verhältnis zu Eva Adam erstmals zu. Das ist wohl nicht so geschickt. Marlies lädt ihn zu einem Stelldichein bei sich ein, doch er erzählt ihr nochmals, dass Eva seine Geliebte gewesen sei und er seiner Frau „treu“ bleiben wolle. Nix da: Marlies‘ Verhältnis zum Schriftsteller, über das nun endlich mehr zu erfahren ist, verhindert, dass er sich ihr verweigern kann. Seine fatale Muse ist für ihn ebenso lebensnotwendig wie die treue Versorgerin.

Da taucht der Herr Inspektor auf und nimmt den Schriftsteller wegen dringenden Mordverdachts fest. Ob ihn Marlies oder Regina aus seiner Zelle herausholen, dürfte der zweite Teil des Romans zeigen.

Mein Eindruck

„Marlies“ ist zwar ein Krimi mit entsprechender Handlungsstruktur, aber es ist beileibe kein realistischer Roman im handelsüblichen Sinne. Das lässt sich schon an der Tatsache ablesen, dass es der Autor wagt, einer der wichtigsten Figuren eines Krimis, nämlich dem Ermittler, hier den Eigennamen zu verweigern. Unerhört, nicht wahr! Er ist einfach nur „der Herr Inspektor“ – eine Chiffre. Jeder Leser kann sie mit einem Gesicht versehen. Das gilt im Grunde auch für die übrigen Figuren in diesem Stück: Marlies, die fatale Muse; Regina, die mütterliche Ehefrau; Norman, der schwankende Schriftsteller, der wie sein Namensvetter Norman Bates (aus Hitchcocks „Psycho“) womöglich einen gravierenden Mutterkomplex hat.

Nicht nur die Figuren sind typisiert, als habe man es mit einem morality play zu tun, sondern auch ihre Sprechweise widerspricht dem mimetischen Prinzip, demzufolge die Figuren so sprechen sollten, wie es wirkliche Menschen tun. Sie deklamieren, argumentieren, überreden, beschwören, flehen einander an, sprechen mit Ausrufezeichen, Fragezeichen und was nicht alles. Der Ton erinnert an Theaterstücke, an hymnische Gedichte (Klopstock, Hölderlin usw.).

Dann wieder beschäftigt sich der Autor mit prosaischen Themen wie dem Leben in Ibbenbüren bei Osnabrück, von wo nie ein Bundespräsident o. Ä. gekommen ist. Auch Elfriede (Jelinek) und Peter (Handke) sowie (Martin (Walser) tauchen als Chiffren auf, herbeizitiert, wie es dem Zweck des Moments dienlich erscheint.

Eines wird also klar: Die Darstellung von Fakten, wie sie einem Krimi wohlansteht, ist hier nicht weiter von Belang. „Wahrheit“ ist nur ein Wort und Fiktion alles. „Wirklichkeit“ ist der Willkür ausgeliefert. Insofern hat es der Leser eher mit einer subjektiven Weltkonstruktion wie bei Joyce oder T. S. Eliot zu tun als mit einer realistischen Erzählweise, die sich eben an Realien festmacht. Die Bewusstseinsebenen wechseln ebenso leicht wie die Sprachebenen.

Gleichzeitig reflektiert der Ich-Erzähler, der sich selbst als „Norman-Figur“ auf die Bühne des Geschehens stellt, über die dargestellte Geschichte: Fiktion und Reflexion sind eng miteinander verknüpft. Selbst wenn „Norman“ also stürbe, so wäre dies relativ unerheblich: Dies ist nur für die Fiktion relevant, nicht aber für den reflektierenden Erzähler.

Für ihn ist die Fiktion eine Versuchsanordnung. Falls er sich in „Norman“ spiegelt, so findet sich Norman in einem Experiment der Beziehugnen zwischen drei Frauen: Marlies, Regina und Eva Adam. Eva wird schon bald aus der Gleichung entfernt, und wer weiß, was Regina noch zustößt? Falls Norman versucht, eine Position zu finden, so ist dieser Versuch wohl zum Scheitern verurteilt. Als Nicht-Handelnder, sondern Gelegenheit-Ergreifender, als Beobachter, ist er ein Spielball mehr oder weniger sichtbarer Kräfte – Marlies ist eine davon. Norman kann nur versuchen, möglichst „gut“ zu scheitern – frei nach Samuel Beckett. Woran sich die Qualität dieses Scheiterns bemisst, ist jedem Leser selbst überlassen.

Unterm Strich

Für den durchschnittlichen Krimileser, der nur eine einigermaßen spannende Unterhaltung für zwei bis drei Tage erwartet, nach denen er den nächsten Krimi „verschlingen“ kann, eignet sich „Marlies“ nur in sehr eingeschränktem Maß. Schon bald bildet nämlich das Spiel mit der Fiktion Stolpersteine auf dem Weg zur Unterhaltung. „Marlies“ bietet kein Paralleluniversum, sondern eine Spielwiese, auf der sich der Autor nach Belieben auslässt, wonach ihm der Sinn steht. Dafür muss der Leser nicht einmal den ersten Band der Trilogie, „Der Tote im Park“, kennen.

Wenn dies also kein „richtiger Krimi“ ist, dann ist es vielleicht ein erotischer Liebesroman? Die Marlies-Figur als verführerische Muse, die den Schriftsteller aus Reginas fürsorglichem Herrschaftsbereich in das Reich von Eros und Sexus entführt, ist die klassische Hexe. Und die Norman-Figur verbrennt sich an ihr regelmäßig die Finger, bedient sich ihrer aber ebenso gerne. (Die Sexszenen sind durchaus erotisch.) Wahrscheinlich schreibt er sogar über Marlies (lies = Lügen). Was aber, wenn dieser Erlebnisdurst seine Existenz zerstört?

Die wichtigste Ebene des Romans dürfte die des reflektierenden Spiels mit Figuren, Gedanken, Empfindungen und Erinnerungen sein. Der Autors verfügt hier über ein breites Repertoire, das durchaus seinen Reiz hat. Immer wieder verweist er auf Samuel Beckett, den alten Iren: „Das letzte Band“ und „Warten auf Godot“ sind in diesem Zusammenhang die maßgeblichen Werke. Gut, wenn man sie schon kennt. Das optimale Scheitern – vielleicht lässt es sich auf dieser Grundlage besser beurteilen. Der Leser sollte auf jeden Fall die nötige Spielfreude mitbringen.

Vielleicht klärt sich ja der Fall „Marlies“ im nächsten Band der Trilogie mit dem Titel „Norm@n“ (s.o.). Man sollte aber keine endgültigen Antworten erwarten.

Verlag: http://www.wiesenburgverlag.de

MacBride, Stuart – Stunde des Mörders, Die

Nach einer katastrophal fehlgeschlagenen Razzia ist der ohnehin angeschlagene Ruf von Logan McRae, Detective Sergeant bei der Grampian Police im ostschottischen Aberdeen, endgültig ruiniert. Nur sein Chef Detective Inspector Insch stellt sich vor ihn, kann aber nicht verhindern, dass McRae zum „Versagerclub“ versetzt wird: Für die verschrobene, manieren- und rücksichtsfreie, nikotinsüchtige Detective Inspector Roberta Steel arbeiten jene Beamte, die für den Dienst schlicht zu dämlich sind oder bestraft werden sollen.

McRaes aktueller Fall ist entsprechend. Die alternde Prostituierte Rosie Williams wurde auf offener Straße zu Tode geprügelt. Niemand will sich der Routinesache annehmen, denn ein publicitywirksamer Massenmord beschäftigt die Grampian Police viel stärker: Sechs Menschen – darunter ein neun Monate altes Kind – wurden in ein baufälliges Haus eingeschlossen und lebendig verbrannt.

Auch ein kaltgestellter McRae ist ein guter Polizist, was DI Steel sehr wohl weiß und für sich auszunutzen gedenkt. Ihr neuer Untergebener findet Hinweise auf einen Serientäter, der mehr als eine Prostituierte umgebracht hat. Leider versteift sich Steel auf einen Verdächtigen, den McRae nicht für den Täter hält.

Als der Feuerkiller ein weiteres Mal zuschlägt, gerät McRae vorübergehend aus dem Sichtfeld seiner Vorgesetzten. Das gibt ihm die Gelegenheit, selbstständig zu ermitteln sowie sich in weitere berufliche Schwierigkeiten zu verwickeln. Die Fährte wird heiß – brandheiß, denn plötzlich stört McRae zwei Killer von „Malk the Knife“, dem heimlichen Herrscher von Aberdeens Unterwelt auf. Unklugerweise beschließt der Detective Sergeant mit einigen Kollegen einen „privaten“ Einsatz, der schrecklich schiefgeht und sie in die Gewalt zweier Gangster bringt, die im „Verhör“ für ihr Geschick im Umgang mit der Geflügelschere berüchtigt sind …

Ein Serien-Brandstifter, ein Serien-Totschläger, diverse vertierte Mafia-Killer, Kinderschänder und rachsüchtige Eheleute sind noch längst nicht alle Finsterlinge, mit denen es die Polizei von Grampion und vor allem Logan McRae zu tun bekommen. Wie schon in „Die dunklen Wasser von Aberdeen“, dem Startband der Serie um den unkonventionellen (gibt’s eigentlich auch andere?) Detective Sergeant McRae, ist der Plot auch dieses Mal ausgesprochen verwickelt bzw. zerfällt in verschiedene Subplots, die ein wenig zu zahlreich ausfallen und den Zufall stärker als manchmal glaubhaft bemühen, um zum Beispiel die heute im Krimi so beliebte „Überraschung in letzter Sekunde“ zu ermöglichen, nachdem der Fall (oder hier die Fälle) längst gelöst scheint.

Immerhin bleibt kein Rätsel ungelöst, während gleichzeitig die Weichen neu für die Fortsetzung der Reihe gestellt werden. McRae und die Grampian Police haben einige Strolche von den Straßen Aberdeens geholt, an den Verhältnissen, die sie dorthin brachten, hat sich jedoch nichts geändert. Vor allem „Malk the Knife“ bleibt ungeschoren und verliert viel Geld, was ihn nicht warnen, sondern reizen und zu neuen Schandtaten anstacheln wird.

Man darf gespannt sein, wie weit MacBride in dieser Hinsicht gehen wird. Der Bodycount ist in den McRae-Romanen schon jetzt für einen britischen Krimi der klassischen Schule ungewöhnlich hoch, doch sind die Schotten seit Jahrhunderten als kriegerisches Volk und nicht zimperlich bekannt. Auch die Freunde des explizit Ekelhaften werden erneut reichlich bedient, wenn Autor MacBride McRae über noch rauchende Feuerleichen oder in Auflösung begriffene Hundekadaver stolpern lässt. Gefoltert wird mit ungetrübter Sicht auf Täter und Opfer, und natürlich werden auch im Bereich der Pathologie neue Maßstäbe gesetzt. Selten wurden Sezierszenen so goretauglich in Szene gesetzt wie zur „Stunde des Mörders“. (Ein dummer weil nichtssagender Titel übrigens, der wohl der Verzweiflung über die Ratlosigkeit, eine deutsche Übersetzung für „Dying Light“ zu finden, geschuldet ist.)

Nicht mit Blut und Schmerz allein treibt MacBride seine Geschichte/n voran. Das menschliche Elend im Angesicht des Verbrechens, sondern auch im Zeitalter einer globalisierten Gesellschaft, die sich immer deutlicher in Gewinner (wenige) und Verlierer (die Mehrheit) scheidet, ist ein integraler Bestandteil der McRae-Romane. Schon vor langer Zeit hat der Krimi sein soziales Gewissen entdeckt. Die Beschwörung bzw. Anprangerung von Missständen funktioniert besser, wenn sie im Rahmen einer spannenden Handlung geschieht; bittere Medizin nimmt man lieber mit ein wenig Zucker. Wie sein Kollege Ian Rankin (jedoch nicht nur er) nimmt MacBride die unheilige Dreieinigkeit des 21. Jahrhunderts aufs Korn: Politik, Wirtschaft und (organisiertes) Verbrechen. Serienkiller sind daneben fast nur Belästigung, denn die von ihnen angerichtete Schäden halten sich in Grenzen. Mafiosi wie „Malk the Knife“ zerstören dagegen ganze Stadtteile, in denen sie praktisch die Macht an sich reißen und selbst die „unabhängige“ Presse für sich einspannen. Straßenkriminalität, Drogensucht, Prostitution, Frauenhandel: Endlos ist die Liste des Üblen, das dem folgt. MacBride integriert es immer wieder in die Handlung und entwirft ein Bild der Gegenwart, das die Resignation seines Helden erklärt.

Die brutale Wucht der Wahrheit wird geschickt durch einen Humor gemildert, der in seiner Intensität und Konsequenz ziemlich einmalig ist. Die Welt ist ein Irrenhaus, und man sollte sie deshalb nicht gar zu ernst nehmen, wenn man überleben möchte. Ein wenig Gelächter kann befreiend wirken. MacBride versteht die Kunst, es zu wecken (und der Übersetzer hat sich erfolgreich bemüht, den bekanntlich komplexen angelsächsischen Humor ins Deutsche zu retten). Er sieht die Situationskomik, die auch dem Traurigen und Tragischen innewohnt. Wie er sie in Szene setzt, irritiert manchmal, zumal MacBride ein wenig zu oft auf den Heiterkeitseffekt deftiger Flüche, drastischer Pornografie oder Körperausscheidungen setzt, aber er nimmt dem alltäglichen Grauen, das sonst in der Häufung, in welcher MacBride es auf seine Leser niedergehen lässt, schier unerträglich wäre, seine Schärfe.

Wenn es uns wirklich an Herz und Nieren gehen soll, schaltet der Verfasser den Humor plötzlich ab. Das lässt die Ernüchterung umso stärker wirken, denn jetzt zeigt MacBride, dass er auch Emotionen wie Grauen und Schmerz zu wecken versteht. Selbst gute Witze sind manchmal unangebracht. MacBride versteht dies und hält sich daran. Wenn der unglückselige Reporter Colin Miller Stück für Stück seine Finger unter der Geflügelschere seiner Peiniger verliert, ist das nur grauenhaft und nie komisch.

Wirklich „realistisch“ wirkende Personen treten in „Die Stunde des Mörders“ nicht auf. MacBride setzt auf die (gelungene) Überzeichnung seiner Figuren, die durch markante Marotten im Gedächtnis haften. Vor allem mit der Figur der DI Steel läuft der Verfasser dieses Mal zur Hochform auf. Sie erinnert nicht nur an Reginald Hills unvergleichlichen Andy Dalziel, sondern wirkt wie dessen verschollene Schwester im Geiste (und im Polizeidienst). Nichts und niemand ist vor ihrem drastischen Spott sicher, der dazu mahnt, Regeln und Normen in Frage zu stellen, statt sich ihnen anzupassen. Immer wenn man meint, den Charakter Steels in seiner ganzen Primitivität erfasst zu haben, schlägt uns MacBride ein Schnippchen, indem er plötzlich tiefere menschliche Regungen offenbart: Steel spielt die Rolle des Ungeheuers, die sie tarnt und ihr innerhalb des Systems eine Bewegungsfreiheit garantiert; eine Taktik, die sich besagter Dalziel ebenfalls zu Eigen gemacht hat.

Reginald Hill spielt freilich intellektuell in einer anderen Liga. Er schöpft seine Bosheiten aus einem immensen literaturgeschichtlichen Wissen, so dass manche Anmerkung des nur scheinbar grobschlächtigen Dalziel die Verwendung von Fußnoten erforderlich macht. Das ist bei MacBride überflüssig. DI Steel ist definitiv keine gebildete Person, wenn auch eine Persönlichkeit, und MacBride ficht in Sachen Humor wie bereits erwähnt eine wesentlich breitere Klinge.

Logan McRae drängt der Verfasser zeitweise zu stark in die Peter-Pascoe-Rolle des duldsamen Assistenten, der einerseits die Wand darstellt, an die Steel ihre einfallsreichen Bosheiten schmettert, während er andererseits die eigentliche Detektivarbeit leistet. In „Cold Granite“ wirkte McRae nicht so „vernünftig“. Er ist tatsächlich auch jetzt noch exzentrisch genug, doch er sitzt im Polizeirevier von Grampion, das so ausschließlich mit Witzbolden, Spinnern und Nulpen besetzt ist, dass es mit einem „richtigen“ Krimi schwer vereinbar scheint. Erst im Finale kommt der Querkopf und Querdenker McRae wieder zum Vorschein.

In der Darstellung seiner Mörder und Serienkiller lässt MacBride die notwendige Zurückhaltung walten. Es wäre kontraproduktiv, auch sie in Witzgestalten zu verwandeln. Als „normale“ Menschen kann man sie ebenfalls nicht betrachten. Ihre Seltsamkeiten erschrecken jedoch und stoßen ab. Das Böse ist nicht komisch, und seine Bekämpfung laugt aus. Kein Wunder, dass McRae und Co. sich in skurriles Verhalten flüchten. Sie sind uns in ihrer individuellen Verrücktheit ans Herz gewachsen, was uns – wie vom Verfasser geplant – gespannt auf den dritten Band der McRae-Serie warten lässt.

Stuart MacBride wurde (in einem Jahr, das sich nicht ermitteln ließ) im schottischen Dumbarton geboren. Die Familie zog wenig später nach Aberdeen um, wo Stuart aufwuchs und zur Schule ging. Studiert hat er an der University in Edinburgh, die er indes verließ, um sich in verschiedenen Jobs (Designer, Schauspieler, Sprecher usw.) zu versuchen. Nach seiner Heirat begann MacBride Websites zu erstellen, stieg bis zum Webmanager auf, stieg in die Programmierung ein und betätigte sich in weiteren Bereichen der Neuen Medien.

Stuart MacBride lebt heute wieder in Aberdeen. Über Leben und Werk informiert er auf seiner Website [www.stuartmacbride.com,]http://www.stuartmacbride.com die er um einen Autorenblog sowie eigene Kurzgeschichten erweitert hat.

Die Logan-McRae-Serie erscheint im |Wilhelm Goldmann|-Verlag:

1. [Die dunklen Wasser von Aberdeen 2917 („Cold Granite“, 2005)
2. Die Stunde des Mörders („Dying Light“, 2006)

http://www.goldmann-verlag.de

Christopher, Paul – Luzifers Testament

Es gibt vier offizielle Evangelien. Die vier Evangelien des Matthäus, Markus, Lukas und Johannes wurden von den römischen Kaisern überarbeitet, angepasst und der gläubigen Christenheit präsentiert, die dabei war, die Götterwelt des römischen Reiches abzulösen.

Der eigentliche Grund in der Akzeptanz der Evangelien war natürlich die Motivation, die beiden Glaubensrichtungen friedlich nebeneinander praktizieren zu können. Ein kluger und wichtiger Schachzug, denn alles andere wäre leicht vorhersehbar zu einen frühen Religionskrieg eskaliert.

Es gab und gibt noch andere Zeugnisse aus dem Leben Jesus, z. B. die Apokryphen des Neuen Testaments (griechisch apókryphos: verborgen). Dieser Sammelbegriff bezieht sich auf mehr als einhundert Schriften christlicher Autoren zwischen dem 2. und 4. Jahrhundert. Sie weisen durchaus eine interessante Ähnlichkeit auf und verfügen über grundlegende gemeinsame Merkmale. Trotzdem gehören diese weder zum Kanon des Neuen Testaments noch zu den akzeptierten und zum Lehren geeigneten Schriften der Kirchenväter.

Einige der Schriften haben beispielsweise das alltägliche Leben Jesu näher beschrieben. Vielleicht war dies mit ein Grund, diese nicht der Allgemeinheit zu eröffnen, denn was ist schon eine Gottheit, die menschlich wirkt, mit all ihren Fehlern und in ihrer Sterblichkeit?

Der amerikanische Autor Paul Christopher hat nun mit seinem zweiten bei uns erschienen Roman „Luzifers Testament“ eine nicht unbedingt neue, aber anders interpretierbare Geschichte zu dieser Thematik veröffentlicht.

_Die Geschichte_

Die bekannte Archäologin Finn Ryan besucht das noch immer geheimnisumgebene Ägypten, um nach ihrem erfolgreichen Studium ihren ersten Job bei einer vielversprechenden Ausgrabung anzutreten. Gerüchten und Mutmaßungen zufolge befindet sich hier das Grab eines Apostels. Als wissenschaftliche Zeichnerin sucht sie in der Nähe der lybischen Oase Al-Kufrah nach dem Grab.

Bei einem Routineflug über die Wüste stößt sie zusammen mit dem Piloten Virgil Hilts auf eine unbekannte, geheimnisvolle Höhle. In dieser liegen Leichen noch aus den Zeiten des Zweiten Weltkrieges, die keines natürlichen Todes gestorben sind. Bei einer der Leichen finden sie ein Goldmedaillon, dessen Inschrift auf Luzifer, den Lichtbringer verweist. Diese Inschrift deutet an, dass Jesus die Kreuzigung überlebt bzw. gar nicht erlitten hat, sondern als Eremit inmitten der Wüste weiterlebte und ein eigenes Evangelium verfasste.

Diese Theorie würde die bekannte Geschichte des Neuen Testaments, ja des christlichen Glaubens grundlegend verändern und in Frage stellen. Der Sohn Gottes, der nicht gekreuzigt worden und anschließend von den Toten wiederauferstanden ist, würde alles in Frage stellen, was die Kirche lehrt und lebt, was sie vermittelt und was ihr eine Daseinsberechtigung gibt.

Schnell werden Finn Ryan und Virgil Hilts zu Gejagten und sind auf der Suche nach der Wahrheit gezwungen, einen Weg über den gesamten Globus einzuschlagen. In der karibischen See liegt ein Schiffswrack, das den Schlüssel zu dem verschollenen Evangelium bergen soll. Ein mörderischer Wettlauf mit der Zeit und den anderen Interessenten entbrennt, denn es sind sich alle einig, dass die letzte Botschaft Christi die Geschichte völlig in Frage stellen könnte – eine Gefahr für die Kirche und ihre Machtstellung in der Welt …

_Kritik_

Romane rund um die katholische Kirche und mysteriösen Verschwörungstheorien haben nach den Veröffentlichungen des Trendsetters Dan Brown eine schier endlose Anzahl von Nachahmern auf die Bühne gerufen. Auch Christopher ist mit „Luzifers Testament“ einer dieser Trittbrettfahrer und unterhält den Leser mit seinen Theorien rund um das Leben und noch viel wichtiger dem Überleben Christi auf recht einfallslose Art und Weise.

Paul Christopher verfährt sich mit einer Geschichte um ein „verlorenes“ Evangelium in eine Schnitzeljagd, die die beiden Charaktere rund um die Welt reisen lässt. Leider kommt dabei die eigentliche Geschichte, die sich ja um die Evangelien herum abspielen sollte, völlig zu kurz. Völlig unzureichend recherchiert, findet der Autor keine plausible und vielleicht sogar interessante Theorie, stattdessen wird geschossen, gekämpft und gereist und selbst die Ausarbeitung der Protagonisten bleibt auf der Strecke.

Die beiden Hauptcharaktere Finn und Hilts haben beide kaum eine Vergangenheit, die ihren Figuren literarische und charakterliche Tiefe geben könnte. Viele Fragen stellen sich dem Leser schon auf den ersten Seiten und werden auch im Laufe der Geschichte und Entwicklung nicht zufriedenstellend erklärt. Hilts sollte eigentlich nur eine Nebenfigur sein, aber dessen Geschichte und seine heldenhafte Überlebenskünste bleiben in einem erzählerischen Nebel gefangen. Keine Erleuchtung, nicht mal ein Funken erzählerischen Tiefgangs hat sich mir präsentiert.

Was hätte aus der Idee geboren werden können, dass Jesus nicht gekreuzigt worden ist, sondern sich versteckt hat? Dass er ein eigenes Evangelium verfasst hat? Alles Ideen, die überhaupt nicht weiter verfolgt worden sind. Primär stand wohl das Abenteuer à la „Indiana Jones“ im Vordergrund. Es hätte ein toller Roman werden können, der seine Leser hätte fesseln und dazu motivieren können, selbst ein wenig in den Geschichten und Sagen der Evangelien zu recherchieren.

Was bleibt am Ende übrig? Nichts – der Leser wird nach den knapp 400 Seiten keinen Aha-Effekt erleben. Stattdessen wird er sich fragen, wo die Erklärungen für die haltlosen Theorien abgeblieben sind. Kein Nachwort des Autors, kein Hinweis auf historische Quellen oder Karten, die uns auf der Suche nach dem Sinn hätten zur Hilfe eilen können. Enttäuschend, geht man von dem Hintergrund aus, dass der Autor Paul Christopher Professor für Geschichte ist. Seine Erfahrungen zum Thema Fälscherei und Kunstraub während des Zweiten Weltkrieges hat er zwar im Roman ein wenig verarbeiten können, aber ansonsten hat er nicht gut und ausreichend genug recherchiert.

_Fazit_

Bringt man eine gewisse Erwartungshaltung in Bezug auf die Theorien des verschollenen Evangeliums in die Lektüre ein, kann der Autor seine Leser in keinerlei Hinsicht von seinen Thesen überzeugen. Weder besitzen seine Figuren so etwas wie eine Seele noch wirkt die Story fesselnd und glaubhaft. Zu viele kleine Ungereimtheiten offenbaren sich, zu wenige Theorien werden eingebracht, welche die Geschichte glaubhaft und vor allem abschließend voranbringen. Stattdessen wurde einfach nur Wert auf möglichst viele Actioneinlagen gelegt.

Dieses Feuerwerk hätte sich Paul Christopher ersparen und sein Augenmerk mehr auf die Geschichte selbst richten können, vielleicht wäre dann „Luzifers Testament“ zu empfehlen gewesen.

_Der Autor_

Paul Christopher ist Professor für die Geschichte des 20. Jahrhunderts an einer der großen Universitäten in Amerika. Zur Thematik Fälscherei und Kunstraub u. a. in Europa während des Zweiten Weltkrieges hat er einige wichtige Fachbücher veröffentlicht. Zu diesen Themen hält er weltweit Vorträge und ist Berater der UNO sowie Berater einer auf Kunstraub spezialisierten Sondereinheit der New Yorker Polizei. Zurzeit lebt er in den Vereinigten Staaten und in Europa.

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Leenders, Hiltrud / Bay, Michael / Leenders, Artur – Burg, Die

Schon seit dem Jahr 1992 ist das Autorentrio Hiltrud Leenders, ihr Mann Artur Leenders und Michael Bay in der deutschen Krimilandschaft unterwegs. „Die Burg“ ist bereits das zwölfte Buch der drei und spielt erneut am Niederrhein.

In der kleinen Stadt Kleve ist die Aufregung groß. Eine englische Historiengruppe ist angereist, um eine Schlacht auf der Burg nachzustellen. Doch die Aufregung schlägt in Entsetzen um, als plötzlich eine echte Bombe explodiert und mehrere Menschen getötet und verletzt werden. Die Klever Komissare, das KK 11, steht vor einem Rätsel. Schon bald kann man einen Terroranschlag auschließen. Hatte der Täter nur eine bestimmte Person im Visier? Und wenn ja, wen? Wird er erneut zuschlagen? Für die Komissare, unter ihnen das Ehepaar Toppe, das Zeuge der Explosion war, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit …

„Die Burg“ beginnt denkbar schlecht. Das Autorentrio ergeht sich seitenlang in geradezu perfektionistischer Manier darüber, wie die Historientruppe sich auf ihr Schauspiel vorbereitet und wie sie lebt. Ich möchte noch nicht einmal behaupten, dass all diese Erläuterungen, die teilweise in Dialoge gepackt werden, unnötig wären, aber die feinmaschigen, trockenen Erklärungen stören den Lesefluss erheblich. Wären sie runder dargestellt und ließen dem Leser auch noch ein wenig Platz zum Fantasieren, wären sie kein Problem. So klingen sie aber stellenweise wie schlechte Werbung für historische Veranstaltungen.

Doch dann passiert das, womit man wohl nicht gerechnet hat. Während Leenders / Bay / Leenders sich noch in ihren Beschreibungen verstricken, schleicht sich die Explosion auf leisen Sohlen an. Im ersten Moment ist der Leser verwirrt. Ist das gerade wirklich passiert?

Ja, das ist es. Gott sei Dank, denn durch dieses Ereignis entsteht ein Bruch, der im Gegensatz zur vorherigen Propaganda steht und die Ermittlungen einläutet, die wesentlich angenehmer geschrieben sind. Im weiteren Verlauf verzichten die Autoren auf ausschweifende Erklärungen und schreiben nüchtern und sauber. Vielleicht ein wenig zu nüchtern, denn ein wirklicher Spannungsaufbau möchte nicht gelingen. Überraschungen darf man in der zähen Masse nicht erwarten. Eher im Gegenteil, denn der Einbau einer knapp gehaltenen, kodierten Täterperspektive ist nicht gerade neu und in diesem Fall nicht herausragend gelungen. Trotzdem kann man mit dem Krimi eine schöne Zeit verbringen, denn Hiltrud Leenders und Co. legen ein gutes Erzähltempo vor, das den schwachen Spannungsbogen gut kaschiert.

Die Personen sind sehr gewöhnlich und nur die wenigsten tun sich wirklich hervor. Das passt zu der ebenfalls wenig Aufsehen erregenden Handlung. „Wenig Aufsehen erregend“ sollte man allerdings nicht mit „langweilig“ in eine Reihe stellen. „Die Burg“ ist nicht langweilig, sondern einfach kein sprühendes Feuerwerk voller Ideen. Hausmannskost, wenn man es so sehen möchte.

In einem Klever Kommissariat kann man vermutlich auch nicht erwarten, dort die originellsten Charaktere zu finden. Stattdessen stattet das Autorentrio die Protagonisten mit einer guten Portion Authentizismus und Menschlichkeit aus. Die Klever sind alltägliche Menschen, die auch gar nicht danach streben, etwas anderes zu sein. Und dadurch wieder gefallen.

Einzig die Täterperspektive, die eben doch irgendwie versucht, etwas Besonderes zu sein, ist nicht so ganz gelungen. Neben der Planung des Attentats werden die Gründe für das brutale Vorgehen in kurzen Flashbacks, die oft sehr kryptisch und abgehackt geschrieben sind, aufgezeigt. Leider versteifen sich Leenders und Co. ein bisschen zu sehr auf die „psychopathische Schiene“, so dass man das Gefühl hat, Ähnliches schon in tausend anderen Büchern gelesen zu haben.

Insgesamt hinterlässt „Die Burg“ einen zufriedenstellenden Eindruck. Keinen glänzenden, aber immerhin einen positiven. In dem Krimi wird alles sehr alltäglich gehalten, was auf der einen Seite ein wenig langweilt, auf der anderen Seite aber auch sehr authentisch wirkt. Überhaupt ist Authentizismus vermutlich das stärkste Argument, welches das Autorentrio Leenders / Bay / Leenders für sich verbuchen kann. Ansonsten können sie unterhaltsame Literatur bieten, der die eine oder andere überraschende Wendung sicherlich nicht geschadet hätte.

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Fitzek, Sebastian – Amokspiel

Mit seinem Debüt „Die Therapie“ ist Sebastian Fitzek im letzten Jahr ein rundum guter und erfolgreicher Thriller geglückt, der mittlerweile auch schon fürs Kino verfilmt wird. Nun liegt mit „Amokspiel“ sein zweiter Roman vor und man darf gespannt sein, ob Fitzek damit an den Erfolg des Vorgängerwerks anknüpfen kann.

Eigentlich wollte Kriminalpsychologin Ira Samin schon längst ihren geplanten Selbstmord hinter sich gebracht haben, als ihr SEK-Kollege Oliver Götz sie Hals über Kopf zu einem wichtigen Einsatz mitschleppt. Ein unberechenbarer Psychopath hat einen Radiosender besetzt und hält dort mehrere Menschen als Geiseln fest. Er treibt dort ein makaberes Spiel. Wahllos ruft er Leute an. Wenn sie sich mit der Parole „Ich höre 101Punk5 und jetzt lass die Geisel frei“ melden, darf eine Geisel gehen. Sagt der Angerufene etwas Falsche, so soll eine Geisel sterben.

Wie ernst es dem Geiselnehmer ist, stellt sich gleich in der ersten Spielrunde heraus. Das muss auch die Polizei einsehen, und so stehen Ira Samin und ihren Kollegen harte Stunden bevor. Iras Verhandlungen mit dem Geiselnehmer werden live übertragen. Der Geiselnehmer schwört weiterzuspielen, bis seine Verlobte Leonie zu ihm ins Studio gebracht wird, die Monate zuvor unter merkwürdigen Umständen bei einem Unfall gestorben sein soll. Doch ist sie wirklich tot, wie Jan May, der Geiselnehmer, behauptet? Oder ist der Mann einfach ein Wahnsinniger, dem der Realitätsbezug entglitten ist? Ira muss es herausfinden, doch die Verhandlungen sind ein Wettlauf mit der Zeit. In jeder Stunde will der Geiselnehmer „Cash Call“ spielen und jemanden anrufen. Jede Stunde steht damit aufs Neue das Leben der Geiseln auf dem Spiel …

Der Plot verspricht zunächst einmal jede Menge Spannung. Ein Wettlauf mit der Zeit, eine Geiselnahme, die in der Abgeschlossenheit eines Sendestudios stattfindet und damit wenig Ansatzpunkte für die Polizei zur Stürmung bietet. Obendrein ist der Geiselnehmer selbst Psychologe und kann somit die Tricks der Verhandlerin Ira Samin leicht durchschauen. Für die Polizei und das SEK ist die Situation absolut verfahren, und dadurch, dass der Geiselnehmer bei erster Gelegenheit schon beweist, wie ernst er es meint und dass auch sein einziger Verhandlungsspielraum, sein einziges Pfand (nämlich seine Geiseln) ihm nicht sonderlich viel wert ist, will die Polizei das Dilemma möglichst schnell lösen.

Was für Ira und ihre Kollegen die Sache ebenfalls erschwert, ist die Tatsache, dass Jan May keine wirklich konkreten Forderungen stellen kann. Er fordert den Kontakt zu einem Menschen, der nachweislich bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist. Keiner weiß so recht mit dieser Situation umzugehen, und während Ira versucht, wenigstens einen Aufschub für die nächste Spielrunde zu erzielen, arbeiten die Kollegen fieberhaft an einem Plan zur Stürmung des Studios.

Für Spannung ist allein durch den Plot somit schon zur Genüge gesorgt. Fitzek verschwendet keine Seite mit Ausschmückungen. Er beginnt acht Monate vor der Geiselnahme mit dem Moment, als Jan May von Leonies Autounfall erfährt, und setzt die Geschichte dann unmittelbar am Tag der Geiselnahme fort. Eine kurze Einführung in das Leben der beiden Protagonisten an diesem Tag, und schon beginnt die nervenaufreibende Geiselnahme, die für Spannung bis zur letzten Seite sorgt.

So gesehen ist „Amokspiel“ auf jeden Fall ein Roman mit „Pageturner“-Potenzial. Man mag das Buch einfach nicht mehr zur Seite legen, denn Fitzek versteht es gut, den Leser bei der Stange zu halten. Immer wieder setzt er in Sachen Spannung neue Akzente, streut Andeutungen ein, welche die Neugier anstacheln, und zieht den Leser in den Bann seiner Geschichte.

Einblicke in die Figuren erhält der Leser dabei vor allem während der Verhandlungen. Ira ist eigentlich als Psychologin arbeitsunfähig. Sie fühlt sich verantwortlich für den Selbstmord ihrer ältesten Tochter, ist Alkoholikerin und wollte sich noch wenige Momente vor ihrem Einsatz das Leben nehmen. Im Grunde ist sie ein psychisches Wrack, und dass sie die Verhandlungen mit Jan May dabei noch so gut meistert (auch trotz des einsetzenden Alkoholentzugs), lässt sie leider ein wenig überzeichnet wirken. Sie mag die beste Verhandlerin des SEK sein, aber dass sie in ihrer gegenwärtigen psychischen Verfassung noch so gute Arbeit leistet, lässt dann doch hie und da Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit aufkommen.

Nichtsdestotrotz machen auch gerade die Verhandlungen einen Reiz des Buches aus. Fitzek lässt insbesondere über die Verhandlungen den Leser einen näheren Blick auf Ira Samin und Jan May werfen. Dass beide gut geschulte Psychologen sind, macht die Verhandlungen nur umso interessanter.

Besonders die Figur des Jan May ist ein interessantes Objekt der Betrachtung. Fitzek lässt den psychopathischen Geiselnehmer im Laufe der Verhandlungen immer menschlicher erscheinen. May wird zu einem Menschen, für den man einerseits Mitleid für seine Situation und andererseits auch eine Portion Sympathie empfindet. Er steht im Grunde ahnungslos einer Situation gegenüber, von deren Ausmaßen er nicht den Hauch einer Idee hat. Mit seiner Forderung versetzt er einige Menschen in rege Betriebsamkeit und setzt eine Reihe von Entwicklungen in Gang, deren ganzes Ausmaß niemand einzuschätzen weiß.

Auch der Leser weiß lange Zeit nicht, worauf das Ganze hinauslaufen wird. Ist Leonie nun tot oder lebt sie doch noch? Sicher ist nur, dass an der Sache irgendetwas faul ist. Das ganze Ausmaß der Geschichte kann der Leser nicht so leicht erahnen. Es gibt irgendwo im Polizeiapparat einen Maulwurf, doch den hat Fitzek leider nicht sehr gut versteckt, und so gibt gerade diese Rolle in der Auflösung dann doch Anlass zur Kritik. Den Maulwurf zu entlarven, stellt für den Leser keine große Herausforderung dar, und so ist dementsprechend ein Teil der Auflösung recht unspektakulär.

Bleibt unterm Strich ein durchwachsener Eindruck. „Die Therapie“ war im Vergleich zu „Amokspiel“ wesentlich raffinierter konstruiert und konnte auch am Ende noch sehr schön überraschen. „Amokspiel“ ist zwar kein schlechter Thriller, denn immerhin mag man das Buch bei der Lektüre kaum aus der Hand legen, dennoch kann Sebastian Fitzek die hochgesteckten Erwartungen, die „Die Therapie“ geweckt hat, nicht so ganz erfüllen. Dafür ist der Maulwurf bei der Polizei zu offensichtlich platziert und dafür wirken auch manche Aspekte der Figurenskizzierung ein wenig zu überzeichnet. Dennoch ist „Amokspiel“ ein ausgesprochen spannungsgeladener Lesegenuss, der aber eben aus der Masse an Thrillern auch nicht sonderlich deutlich hervorsticht.

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Thilliez, Franck – Kammer der toten Kinder, Die

Franck Thilliez gehört zu den bekannten Thrillerautoren in Frankreich und hat dort bereits drei Romane veröffentlicht. In Deutschland ist bis jetzt noch nichts von ihm erschienen, aber das soll sich mit „Die Kammer der toten Kinder“ ändern.

Vigo und Sylvain, zwei arbeitslose Ingenieure, lassen ihre Wut über die Entlassung eines Abends mit Graffitidosen an ihrer alten Arbeitsstätte aus. Auf dem Rückweg beschließen sie, aus Spaß über eine verlassene Industrieanlage zu rasen. Dabei töten sie einen Menschen, der eine Tasche voller Geld bei sich hatte. Aus Angst vor Konsequenzen verstecken sie die Leiche im Sumpf und nehmen das Geld an sich.

Was die beiden nicht wissen: Das Geld war Lösegeld und der Tote der Vater eines kleinen Mädchens, der auf dem Weg zur Übergabe war. Wenig später findet man die Entführte tot auf. Lucie Henebelle, junge Polizistin und alleinerziehende Mutter von zwei Säuglingen, spürt, dass der Mörder nicht einfach nur töten wollte. Er hat die Leiche wie eine Puppe ausgestellt und in ihrem Hals findet sich ein Wolfshaar. Lucie ist sich sicher, dass das erst der Anfang war und tatsächlich verschwindet wenig später ein zweites Kind …

Es verschwindet nicht nur ein zweites Kind – auch Lucie steht auf der Liste der Täter. Zum Leidwesen des Buches, denn das wird sicherlich nicht interessanter, wenn man der Handlung so viele durchgekaute Motive wie möglich hinzufügt. Genau das ist nämlich das Problem von „Die Kammer der toten Kinder“. Viele der Handlungselemente wirken wie aus anderen Thrillern und Krimis zusammengeklaubt, was den Aufbau von Spannung beträchtlich behindert. Wie soll man auch von einer Geschichte gefesselt werden, wenn man sie mehr oder weniger schon kennt?

Und wie soll man eine Handlung verstehen, die an wichtigen Stellen, die normalerweise einen Aha-Effekt für den Leser bringen sollten, versagt? Voreilige Schlüsse sind ein weiterer Fallstrick für „Die Kammer der toten Kinder“. Besondere Ereignisse, wie zum Beispiel die Erkenntnis, wer der Täter ist, wirken an den Haaren herbeigezogen und zaubern dadurch neben einem Ausdruck von leichter Langeweile zusätzlich ein Fragezeichen auf das Gesicht des Lesers.

Ausgerechnet die beiden, von denen man es am wenigsten erwartet hat, bringen das Buch am Ende wenigstens noch ein bisschen in Fahrt. Vigo und Sylvain, die beiden Autofahrer, die im Verlauf der Geschichte immer wieder auftauchen, um von ihrem Umgang mit dem Lösegeld zu erzählen, treffen schließlich auf den Mörder. Dieser will sein Geld zurückhaben, doch die beiden Ingenieure haben andere Pläne. Bis es so weit kommt, langweilen die beiden Männer eher, weil nichts wirklich Relevantes in ihrem Handlungsstrang passiert.

Bei den Personen ist es Lucie, die am meisten hervorsticht, weil sie angenehm frisch wirkt. Die junge Frau ist gerade aus dem Schwangerschaftsurlaub zurückgekehrt und ständig übermüdet, weil die beiden Zwillinge, die sie alleine großzieht, sie auf Trab halten. Sie ist hin- und hergerissen zwischen ihrer Rolle als Mutter und der Arbeit als Polizistin, was sich vor allem in den wunderbaren selbstironischen Einwürfen zeigt, die sie immer wieder macht. Tatsächlich ist sie eigentlich auch die Person, die der Autor am stärksten ausbaut, obwohl sie nicht wirklich im Mittelpunkt steht.

Thilliez begeht nämlich den Fehler, sich nicht auf eine Perspektive zu konzentrieren, die er besonders hervorhebt, sondern er setzt den Fokus auf mehrere. Dadurch wird Lucie, immerhin die Ermittlerin, etwas erstickt und auch den anderen fehlt der Platz, sich voll zu entfalten. Das ist sehr schade, denn sie hätte das Zeug dazu gehabt, um in dem Buch führend zu sein.

Einfach nur ärgerlich ist die Darstellung der Täter. Wie Titel und Inhaltsangabe des Buches schon andeuten, geht es nicht um einen einfachen Kriminalroman mit einem einfachen Mord. Vielmehr haben wir es (mal wieder) mit einem psychopathischen Mörder zu tun, der im Verlauf des Buches auch als Bestie bezeichnet wird. Auch das ist nicht neu, und ganz ehrlich: Der Markt ist mittlerweile deutlich von Bestien überlaufen, vor allem, wenn sie derart flach und reißerisch dargestellt werden.

Thilliez‘ Schreibstil ist auf der einen Seite durch sehr farbige und lebendige Beschreibungen geprägt, andererseits aber auch wenig überladen. Der Franzose neigt dazu, so viele Infos wie möglich in so viele Nebensätze wie möglich packen zu wollen, was den Lesefluss erheblich stört. Er unterbricht den Detailüberfluss zwar ab und an mit Lucies selbstironischen Gedanken oder gelungenen Bildern wie auf Seite 61 („Staubdiamanten vibrierten in der Luft wie ein wilder Regenschauer“), doch insgesamt tut sich der Schreibstil nicht wirklich hervor.

In der Summe bietet „Die Kammer der toten Kinder“ wenig Überraschungen. Der Plot ist von der Spannung her überschaubar, Charaktere und Schreibe ragen nicht wirklich heraus. Der Psychothriller ist höchstens guter Durchschnitt, obwohl gerade Lucie Henebelle einen schöner Ansatz bietet.

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Alvtegen, Karin – Seitensprung, Der

Eva ist eine berufliche erfolgreiche Frau und glückliche Mutter des fünfjährigen Axel. Die Ehe mit Henrik ist zwar nach 15 Jahren eingerostet, doch in Evas Augen ist sie dennoch stabil. Nach Monaten der Routine versucht sie, ihren Mann wieder einmal zu verführen. Entsetzt erfährt sie an diesem Abend, dass Henrik schon seit einem Jahr mit dem Gedanken an Trennung spielt. Nur seinem Sohn zuliebe hält er die Fassade aufrecht. Eva unterstellt ihrem Mann eine Geliebte, trotz dessen gegenteiligen Beteuerungen. Durch Zufall erfährt sie von heimlichen Telefonaten mit einer angeblichen guten Freundin namens Maria, die allerdings nicht existiert. Der Fund versteckter Ohrringe beweist Eva endgültig, dass eine andere Frau im Spiel ist.

Noch ehe sie ihren Mann zur Rede stellt, erfährt Eva, wer ihre Rivalin ist. Sie überwindet ihren Schock und beschließt, heimlich zurückzuschlagen. Sie spinnt Intrigen, verschickt Liebes-E-Mails unter falschem Absender und forscht in der Vergangenheit der anderen Frau nach dunklen Punkten, um sie anonym zu verleumden. Um sich ihre eigene Attraktivität zu bestätigen, geht sie einen One-Night-Stand mit dem deutlich jüngeren Jonas ein, den sie in einer Bar kennen lernt.

Nach der gemeinsamen Nacht streicht Eva ihren Liebhaber aus ihrem Leben und konzentriert sich auf die Zerstörung ihrer Rivalin. Doch sie ahnt nicht, dass sie bei Jonas an einen Psychopathen geraten ist, der in ihr seine große Liebe sieht. Während sich Eva mit ihren Verleumdungen in eine prekäre Lage bringt, macht sich der eifersüchtige Jonas auf die Suche nach ihr, um sie zurückzugewinnen …

„Eine verhängnisvolle Affäre“ lässt grüßen; insofern hat Karin Alvtegen ein bekanntes Motiv aus Thrillerfilm und -literatur aufgegriffen. Der besondere Kniff des Romans liegt jedoch darin, dass sie diesen Plot mit einem Psychodrama kombiniert.

|Spannung auf mehreren Ebenen|

Geschickt wird das Bildnis einer zerrütteten Ehe mit den dramatischen Folgen eines One-Night-Stands verbunden. So dreht sich das erste Drittel um die mittlerweile einjährige Affäre von Familienvater Henrik und Evas geschocktes Begreifen, dass ihr Mann sie, wenn ihr gemeinsamer Sohn nicht wäre, auf der Stelle verlassen würde. Zunächst versucht Eva mühsam, die Fassade aufrechtzuerhalten. Sie versucht, ihren Mann zu verführen und an schöne alte Zeiten zu erinnern, doch sie erntet nichts als Kälte. Durch Spionage findet Eva heraus, dass es eine konkrete andere Frau geben muss, und der Zufall verrät ihr schließlich, dass es sogar jemand aus ihrem Bekanntenkreis ist, den sie nie verdächtigt hätte. In diesen Bemühungen, ihre Rivalin psychisch und beruflich zu zerstören, spielt der One-Night-Stand mit dem jungen Jonas zunächst scheinbar kaum eine Rolle. Für Eva ist dieses Abenteuer bloß eine kurze Ablenkung und eine Bestätigung, dass wenigstens andere Männer sie noch als attraktive Frau wahrnehmen.

Schon am nächsten Morgen ist sie mit ihren Gedanken wieder vollends bei ihrer Noch-Ehe und plant die nächsten Schritte ihres Rachefeldzugs. Dieser allein böte schon Stoff genug für einen Roman, doch mit dem mysteriösen Jonas kommt eine zweite inhaltliche Ebene hinein. Das Psychodrama wird um Elemente eines Psychothrillers erweitert. Der Leser erfährt die gefährliche Vergangenheit von Jonas und verfolgt seinen Weg, um seine Geliebte wiederzufinden. Der Ausgang ist in jeder Hinsicht offen, daher ist der Leser bis zur letzten Seite gefesselt. Viele Fragen stellen sich während des Lesens: Wie weit wird Eva ihre Rache an ihrer Rivalin treiben? Gibt es noch eine Chance für ihre Ehe? Wird Jonas auf Evas Spur stoßen und ihr etwas antun?

|Interessante Charaktere|

Die Autorin kreiert trotz der nicht gerade ausufernden Länge des Romans vielschichtige Charaktere. Das gilt vor allem für Hauptperson Eva, die dem Leser mal als Identifikationsfigur dient und mal dunkle Schattenseiten zeigt. Zunächst fühlt man automatisch mit der armen Frau, deren Mann sie betrügt und jeden Versöhnungsversuch harsch zurückweist. Schmerzlich verfolgt man ihre Verzweiflung. Ihr Sohn darf nichts von ihrem Kummer ahnen, auch vor ihren Eltern soll die Fassade gewahrt bleiben, doch Eva erlebt immer wieder neue Demütigungen. Es ist der verzweifelte Kampf einer betrogenen Frau, deren Weltbild von einer Sekunde auf die anderen zerbrochen ist. Auch für die ersten Racheaktionen hat man Verständnis, vor allem angesichts der Tatsache, welche Person sich hinter der Affäre verbirgt. Doch Eva treibt ihre Rache zu weit. Gnadenlos geht sie vor und wird in ihrem Verhalten nach und nach noch kühler als ihr Noch-Mann Henrik.

Dieser gewinnt wiederum im Verlauf der Handlung an Sympathie. Anfangs ist man angewidert vom hinterhältigen Familienvater, der seiner Frau seine Verachtung demonstriert. Doch bei fortschreitender Entwicklung erkennt man, dass auch Henrik seine Zweifel besitzt. Ein geplanter Liebesurlaub mit seiner Affäre endet abrupt, und der Verdacht, dass auch seine Frau ihn betrogen haben könnte, ändert plötzlich seine Gefühle. Henrik liebt Eva zwar nicht mehr so wie früher, doch egal ist sie ihm trotzdem nicht. In ihm wird eine Eifersucht geweckt, von der niemals gedacht hätte, dass sie noch existiert.

In der Figur von Jonas liegen dagegen ein paar Schwächen. Der Hauptkritikpunkt begründet sich damit, dass er einem Klischee-Psychopathen entspricht. Seine verlorene Liebe liegt seit Jahren im Koma, die Chancen auf eine Genesung sind minimal. Der One-Night-Stand mit Eva löst in ihm die irrige Vorstellung aus, das Schicksal habe ihm hier seine neue Liebe gezeigt. Kleine Rückblicke in seine Kindheit und Jugend zeigen eine typische Mutter-Dominanz, die sein Frauenbild gravierend gestört hat.

|Kleine Schwächen|

Ein wenig schade ist, wie leicht es Jonas gemacht wird, Evas Fährte aufzunehmen. Immerhin hatte sie ihm sogar einen falschen Namen genannt, aber der Zufall hilft ihm bei der Suche entscheidend weiter. Ähnliches gilt für Evas Racheaktionen. Obwohl sie ursprünglich nur den Namen und Beruf ihrer Rivalin kennt, stößt sie ohne viel Aufwand auf ein brisantes Details aus deren Vergangenheit, das sie gegen sie verwenden kann und inszeniert eine Fälschungskampagne, bei der Eva viel Glück zur Seite steht. Dagegen geht sie bei einer Aktion ein völlig unnötiges Risiko ein, das auch prompt bestraft wird, sodass man sich über ihr Verhalten als Leser regelrecht ärgert.

Ein wenig gewöhnungsbedürftig sind darüberhinaus die ständigen Perspektivenwechsel. Der personale Erzähler berichtet mal über Evas, mal über Henriks und mal über Jonas‘ Sichtweise, sodass man parallel mehrere Handlungsstränge verfolgt. Verwirrung kommt nicht auf, da ja alle Stränge eng miteinander verknüpft sind, doch man bekommt keinen eindeutigen Hauptcharakter präsentiert. In manchen Fällen wird sogar eine Szene nacheinander aus zwei verschiedenen Sichtweisen erzählt. Dieser Stil sorgt dafür, dass dem Leser nicht viele Gedanken der Figuren vorenthalten werden und wenig Raum für eigene Spekulationen bleibt.

_Als Fazit_ bleibt ein bis zum Schluss spannender Roman, der Psychodrama mit Thriller vereint. In klarer, einfacher Sprache wird von einer zerrütteten Ehe, einem Seitensprung und den fatalen Folgen einer eifersüchtigen Rache erzählt, ohne dabei zu moralisieren. Kleine Schwächen trüben ein wenig den positiven Gesamteindruck, doch unterm Strich bleibt ein sehr lesenswertes Buch, insbesondere für weibliche Thrillerfreunde.

_Die Autorin_ Karin Alvtegen wurde 1965 geboren und lebt in Stockholm. Die Großnichte der bekannten Kinderbuchautorin Astrid Lindgren verfasste mit „Schuld“ ihren ersten Kriminalroman. Mit ihrem nachfolgenden Werk „Die Flüchtige“ gelang ihr der Durchbruch. Zuletzt ist „Scham“ auf Deutsch erschienen.

Mehr über sie auf http://www.karinalvtegen.com.

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Kampmann, Renate – Fremdkörper

Kay Scarpetta und Co. müssen sich warm anziehen, denn die deutsche Konkurrenz schläft nicht. Um ehrlich zu sein, ist sie hellwach.

Die engagierte Rechtsmedizinerin Leonie Simon wird gerufen, als man auf dem Dachboden eines Hamburger Hauses die Leiche einer jungen Frau findet, die dort schon sehr lange liegt. Es stellt sich heraus, dass es sich dabei um die vermisste Tochter der mächtigen Staatsanwältin Monika Gebhart-Böttcher handelt. Da ein unnatürlicher Tod nicht auszuschließen ist, tut Leonie ihr Bestes, um Anhaltspunkte dafür zu finden.

Monika Gebhart-Böttcher schiebt ihr und Kommissar Kaminski allerdings einen Riegel vor. Sie lässt das Verfahren einstellen, obwohl Leonie schlüssige Beweise vorlegen kann. Die sture Rechtsmedizinerin findet sich damit allerdings nicht ab und beginnt, in der Vergangenheit der Toten zu recherchieren.

Zur gleichen Zeit werden in verschiedenen deutschen Städten Menschen von einem Sniper erschossen, unter anderem auch in Hamburg. Wirklich interessant wird das für Leonie erst, als ihr Halbbruder Michael auftaucht. Sie hat ihn erst vor Kurzem kennen gelernt und war nicht wirklich erbaut darüber, dass er als Auftragskiller im Untergrund lebt. Er hat den Auftrag, den Sniper zu finden, und bietet Leonie einen Deal an. Die Informationen der Polizei gegen seine eigenen. Die gewissenhafte Leonie ist hin- und hergerissen, doch bevor sie sich versieht, steckt sie viel tiefer im Schlamassel, als ihr lieb ist …

Renate Kampmann schafft mit dem dritten Leonie-Simon-Roman einen sehr gelungenen Krimi, der sich durch eine spannende und vielschichtige Handlung auszeichnet. „Vielschichtig“ ist in diesem Falle ernst zu nehmen, denn es werden gleich zwei voneinander unabhängige Kriminalfälle behandelt. Kampmann schafft es, die beiden Fälle parallel verlaufen zu lassen, ohne dass sie sich verknoten oder dadurch die Spannung flöten geht. Souverän strickt die Autorin ihr Buch zu einem Ende ohne Aussetzer, dafür aber mit viel Spannung, viel Wissen und viel Volumen.

Besonders positiv ist, dass Kampmann nebenbei noch versucht, so authentisch wie möglich den Alltag am Institut für Rechtsmedizin zu beschreiben. Leonie lässt beispielsweise nicht alles stehen und liegen, um auf eigene Faust zu ermitteln, sondern muss weiterhin Leichen und lebende Opfer von Kriminalität untersuchen. Zu den Untersuchungsobjekten werden immer wieder kleine Geschichten erzählt, was das Buch noch fülliger werden lässt.

Das Einzige, was im Verlauf des Krimis immer wieder stört, sind die vielen Erklärungen zu wichtigen und unwichtigen Dingen. Während es bei den medizinischen Fachsimpeleien durchaus etwas mehr hätte sein können, klingen Leonies oft weit hergeholte, sozialkritische Bemerkungen eher wie aus dem Herzen der Autorin als aus dem Mund der Protagonistin.

Leonie selbst ist eine gut ausgearbeitete, sympathische Hauptfigur mit einigen unkonventionellen Zügen. Sie ist eine sehr engagierte Person, die ihre Nase gerne in fremde Angelegenheit steckt und deshalb ständig Ärger bekommt. Außerdem ist sie eine erfolgreiche Frau in ihrer Position mit Aufstiegschancen. Sie ist eine Karrierefrau, aber ihr Leben ist bei weitem nicht so perfekt, wie es scheint. Neben ihrem Halbbruder Michael, mit dessen Gesinnung sie ein Problem hat, hat sie auch noch eine Beziehung zu einem Kollegen, obwohl der verheiratet ist. Leonies Privatleben ist also nicht gerade rosig, und bei der Arbeit legt man ihr auch immer wieder Steine in den Weg. Dadurch entsteht eine sehr starke Frauenfigur, die durch ihre Tiefgründigkeit und Impulsivität gefällt.

Der Schreibstil weist wenige Besonderheiten auf. Er transportiert Handlung und Persönlichkeit Leonies schön in der dritten Person und verzichtet dabei auf überflüssige Satzschnipsel. Die handwerkliche Technik ist ähnlich klar wie der Handlungsverlauf und gefällt durch seine durchkomponierte Art und Weise und die Plastizität.

Die |Bild am Sonntag| wird auf dem Buchrücken mit dem Satz „Besser als Patricia Cornwells aktueller Roman“ zitiert, und auch wenn man Cornwells Buch nicht kennt, muss man anerkennend zugeben, dass es schwierig ist, „Fremdkörper“ Konkurrenz zu machen. Kampmann, die unter anderem auch als Drehbuchautorin arbeitet, weiß, wie man ein gut durchstrukturiertes, spannendes Buch mit einer sympathischen Protagonistin schreibt.

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Holt, Anne – Was niemals geschah

Die norwegische Autorin Anne Holt hat sich mit ihren Büchern rund um ihre Krimiheldin Hanne Wilhelmsen einen Namen gemacht, der sich nicht hinter denen anderer großer (auch nordischer) Krimiautoren verstecken muss. Doch der vorliegende Roman wird dieses Mal nicht von der lesbischen Krimiheldin Wilhelmsen gelöst, sondern vom nicht minder interessanten Ermittlerduo Yngvar Stubø und seiner Frau Inger Johanne Vik, die nicht bei der Polizei arbeitet, sondern als Profilerin hilft.

In diesem Fall ist von Beginn an alles anders. Während nämlich die erste Leiche gefunden wird, ist Stubø auf dem Weg ins Krankenhaus zu Inger Johanne und ihrem gemeinsamen Baby, das zeitgleich mit der norwegischen Thronerbin Ingrid geboren wurde. Als er also von seinen Kollegen die Nachricht erhält, dass eine bekannte Fernsehmoderatorin ermordet und mit herausgeschnittener und gespaltener Zunge aufgefunden wurde, muss Stubø sich zunächst um seine schwierige Stieftochter Kristiane kümmern, die sehr sensibel und „komisch“ ist, ohne dass irgendjemand Stubø und seiner Frau sagen könnte, was mit Kristiane eigentlich los ist. Dementsprechend groß ist Inger Johannes Angst, dass auch ihre zweite Tochter krank sein könnte. Nach der Geburt ist sie deshalb höchst sensibel und zunächst überhaupt nicht am Kriminalfall interessiert. Als allerdings eine bekannte norwegische Politikerin gekreuzigt in ihrem eigenen Schlafzimmer und mit einem Koran zwischen ihren Beinen aufgefunden wird, drängt sich eine düstere Ahnung in Inger Johannes Bewusstsein.

Es dauert nicht lange, bis eine dritte bekannte Persönlichkeit unter mysteriösen Umständen ermordet wird, doch die Polizei tappt im Dunkeln, keine einzige Spur ist zu finden, niemand wurde am Tatort beobachtet und der Täter hat offensichtlich auch keine verwertbaren Spuren hinterlassen. Stubø und seine Kollegen jagen also ein Phantom, das sie nicht greifen können. Aber Inger Johanne wühlt in ihrer Vergangenheit beim FBI, die sie viel lieber vergessen würde, da sie so unvorstellbar große Wunden hinterlassen hat, dass sie nicht einmal mit ihrem Mann darüber sprechen kann. In ihrer Erinnerung findet sie eine Mordserie, von der ihr Ausbilder beim FBI in seiner Vorlesung erzählt hat und die viele Gemeinsamkeiten mit der jetzigen Mordserie aufweist. Was Inger Johanne aber am meisten Angst macht, ist der noch ausstehende fünfte Mord, denn hier wartet ein Anschlag auf den ermittelnden Polizeibeamten und seine Familie, was in diesem Fall Yngvar Stubø und Inger Johanne selbst sind. Die junge Mutter kann kein Auge mehr zutun und muss hilflos mit ansehen, wie der vierte Mord geschieht und sie die nächste auf der Liste ist.

Anne Holt inszeniert ein perfides Katz-und-Maus-Spiel, das von seinen Hauptfiguren lebt. Auch wenn man zunächst Hanne Wilhelmsen vermissen mag, so erinnert man sich schnell und gerne an „Das einzige Kind“ zurück – den ersten Fall, den Stubø und Inger Johanne einst zusammen gelöst haben. Doch „Was niemals geschah“ ist wahrscheinlich noch spannender und packender als dieser erste Stubø-Fall.

Auf den ersten Blick scheint es ein Mörder auf Prominente abgesehen zu haben, die in ihrem Leben etwas zu verbergen haben. Schnell kommt die Polizei dem dunklen Geheimnis des ersten Opfers auf die Spur und damit einem dringenden Tatverdächtigen. Doch nichts ist so, wie es scheint. Denn hinter der Mordserie steckt noch viel mehr. Und wie findet man eigentlich einen Mörder, der kein Motiv für seine Taten hat? Diese Frage muss sich die Polizei stellen, denn bei der erfolglosen Suche nach Spuren und Motiven tappt sie weiterhin im Dunkeln. Und auch wenn die Opfer genügend Feinde gehabt haben, so können doch alle Verdächtigen ein zumindest oberflächlich betrachtet wasserdichtes Alibi nachweisen.

Anne Holt wühlt im Privatleben ihrer Protagonisten und zerrt Geheimnisse ans Licht, die ihre Charaktere gerne im Dunkeln belassen hätten. So hat auch der Verlobte des zweiten Opfers einiges zu verbergen, was ganz nebenbei offenkundig wird. Es gibt daher neben den Mordopfern noch weitere Opfer zu beklagen, die im Laufe der Ermittlung plötzlich im Rampenlicht stehen und ihre Geheimnisse aufgedeckt finden. Bei Anne Holt haben alle Charaktere Ecken und Kanten, aber insbesondere auch einige Leichen im Keller. Doch wer hat das nicht? Wir lernen hier Personen kennen, die viel erlebt und auch Fehler gemacht haben, die sie nun gerne verheimlichen würden. Aber die Polizei deckt so manches davon auf, weil sie vergeblich hofft, dem Täter auf der Spur zu sein.

Die Charakterzeichnung ist absolut großartig und hält so einige Überraschungen für den Leser bereit, die erstmal verdaut werden wollen. Wir lernen die handelnden Figuren sehr genau kennen und blicken bis in ihr Innerstes. Besonders lobend hervorheben muss man hier die Beziehung zwischen Yngvar Stubø und Inger Johanne Vik, die eigentlich angesichts ihrer quietschfidelen Tochter überglücklich sein müssten, deren Glück aber überschattet wird von der grausamen Mordserie und von Inger Johannes düsteren Erinnerungen, die nun wieder ans Tageslicht kommen.

Stubø kann sich nicht damit abfinden, dass seine Frau nicht über ihre Zeit beim FBI reden möchte, obwohl die beiden doch ihr Leben teilen. Dies sorgt für prickelnde Spannung zwischen den beiden jungen Eltern, obwohl sowohl Stubø als auch Inger Johanne gerade in dieser schwierigen Situation doch alle Unterstützung von ihrem Partner benötigt hätten. Und dies sei vorweg genommen: Dieses Spannungsverhältnis ist noch nicht aus der Welt geschafft und hält genügend Potenzial bereit für weitere Kriminalromane mit diesem Ermittlerduo.

Langsam aber sicher kommt Stubø schließlich mit der Hilfe seiner Frau, aber auch mit der Hilfe des Täters selbst, dem Mörder auf die Spur. Doch was er hier entdeckt, kann er zunächst selbst kaum glauben, da er sich so etwas Perfides auch in seinen dunkelsten Alpträumen nie hätte vorstellen können. Anne Holt durchschreitet hier Abgründe, wie sie düsterer kaum sein könnten. Den Leser wiederum überrascht dies nicht wirklich, da er den Täter von Beginn an kennt und ihn auf seinen Wegen oftmals begleitet hat. Dies mindert allerdings weder Spannung noch Lesegenuss, da man immer gespannt darauf wartet, ob die Mordserie weitergeht oder ob die Polizei dem Täter noch rechtzeitig auf die Spur kommt, um den fünften Mord zu verhindern und dadurch Stubø und seine Familie zu retten.

Schade fand ich, dass Anne Holt einige Fragen offen lässt, die zum Teil wohl nie erklärt werden. Zur Abrundung des Buches hätte die Aufklärung der offenen Fragen sicher gutgetan, doch auch so bleibt ein durchweg positiver Eindruck zurück. „Was niemals geschah“ ist der gut durchkonstruierte zweite Kriminalfall eines sympathischen Ermittlerduos, das nicht nur bei der Arbeit, sondern auch privat einige Schwierigkeiten zu meistern hat.Doch wenn alles ganz einfach wäre, würde es sich ja nicht lohnen, ein Buch darüber zu schreiben. Trotz winziger Abzüge in der „B-Note“ freue ich mich schon jetzt auf den nächsten Fall, den Stubø und Vik zu lösen haben!

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O’Connor, Ed – Mit eiskalter Klinge

Das Cover von Ed O’Connors Thriller „Mit eiskalter Klinge“ sorgt für Gänsehaut. Ein blutbeflecktes Messer zieht sich über die gesamte Seite und scheint eine blutrünstige Story zu versprechen.

Unblutig geht es tatsächlich nicht zu. Detective Alison Dexter hat gerade einen Vergewaltiger hinter Gitter gebracht, als bei einem illegalen Faustkampf einer der Kämpfer getötet wird. Blutspuren und DNA-Material des Mörders gehören zu einem guten Bekannten von Alison. Bartholomäus Garrod wurde vor sieben Jahren von ihr verdächtigt, mehrere Menschen geschlachtet und anschließend verspeist zu haben. Während die Polizisten beim Stürmen des Wohnhauses der Gebrüder Garrod dessen Bruder töteten, konnte Bartholomäus entkommen. Seitdem hält er sich versteckt, doch als Alison Dexter wieder auf den Plan tritt, will er seine Drohung von damals wahrmachen und sich für den Tod seines Bruders rächen. Alison befindet sich in größerer Gefahr, als sie ahnt, denn Garrod war in den letzten sieben Jahren nicht untätig und weiß mehr über sie, als ihr bewusst ist …

Wirklich viel kann man über „Mit eiskalter Klinge“ nicht erzählen, denn der Thriller ist sehr durchschnittlich geraten.

Die Handlung ist solide aufgebaut und erzählt sowohl aus der Perspektive von Alison als auch von Garrod, wobei nicht immer deutlich wird, wer Jäger und wer Gejagter ist. Das ist allerdings kein Nachteil, sondern ein geschickter Schachzug. O’Connor schafft es, kontinuierlich Spannung aufzubauen und immer wieder Wendungen und neue, zwielichtige Personen einzubringen.

Die Spannung, die O’Connor aufbaut, ist allerdings nichts weiter als solides Handwerk; Bewunderungsrufe kann er dem Leser nicht entlocken. Dafür fehlt es zu sehr an unkonventionellen Handlungselementen.

Die Protagonisten sind ebenfalls als solide, aber nicht als herausragend zu bezeichnen. Es ist schön, dass O’Connor darauf verzichtet, Unmassen an privaten Details einfließen zu lassen und sich hauptsächlich auf die Kriminalhandlung konzentriert. Trotzdem wirken die Charaktere tiefgründig und gut ausgearbeitet. Sie transportieren die Handlung anschaulich, mehr allerdings auch nicht. Auch in diesem Fall gilt, dass der Autor auf dem sicheren Weg bleibt und sich dadurch einige Möglichkeiten nimmt.

Der Schreibstil erfüllt alle Anforderungen. Er beschreibt schön und anschaulich und weist ein gehobenes, dennoch verständliches Vokabular auf. Dialoge spielen eine wichtige Rolle im Buch und sorgen dafür, dass es lebendig und authentisch wirkt. Ansonsten geschieht nicht viel. Ein übersichtlicher Einsatz von rhetorischen Mitteln und Humor hieven das Buch in die Mittelklasse, aber kein bisschen darüber hinaus.

Ed O’Connors Thriller „Mit eiskalter Klinge“ ist solide Handarbeit. Spannend, gut erzählt, aber nichts Besonderes. Es gibt wenig, das man bekritteln kann, aber genauso wenig, das man wirklich loben möchte. Letztendlich bleiben knapp 400 Seiten gute Unterhaltung. Nicht mehr und nicht weniger.

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Vlugt, Simone van der – Schattenschwester

Brennpunktschulen scheinen nicht nur in Deutschland ein Problem zu sein. Auch in Holland gibt es sie, und Simone van der Vlugt hat diese Tatsache genutzt, um daraus einen Thriller zu basteln.

Die junge Marjolein, verheiratet und Mutter einer sechsjährigen Tochter, ist Lehrerin am Rotterdams College, das mit sinkenden Schülerzahlen und vielen ausländischen Schülern zu kämpfen hat. Eines Tages wird sie von einem ihrer Schüler mit einem Messer bedroht. Obwohl zutiefst verängstigt, gibt sie keine Anzeige auf, unter anderem auch deshalb, weil der Rektor um den Ruf des College fürchtet.

Wenig später wird ihr Auto demoliert und immer wieder wird Marjolein von dem Schüler, der sie bedroht hat, verfolgt. Doch niemand kümmert sich um die junge Frau, und wenig später ist sie tot.

Doch damit ist das Buch natürlich noch nicht zu Ende. Marjoleins eineiige Zwillingsschwester Marlieke ist fest davon überzeugt, dass der Schüler, der ihre Schwester bedrohte, sie auch auf dem Gewissen hat. Doch während sie sich immer mehr mit dem Fall beschäftigt, stellt sich heraus, dass sowohl in Marjoleins als auch in ihrem Leben nicht alles so ist, wie es scheint. Und dass sie den Täter vielleicht ganz woanders suchen muss …

Die Besonderheit von „Schattenschwester“ sind die beiden Perspektiven von Marjolein und Marlieke. Beide im Präsens geschrieben, finden sie zu zwei verschiedenen Zeiten statt. Während Marjolein von den Tagen bis zu ihrem Tod berichtet und davon, wie sie sich währenddessen immer wieder verfolgt fühlt, setzt Marlieke beim Mord an ihrer Schwester an. Sie erzählt, wie es danach mit ihr und Marjoleins Familie weitergeht und wie sie dem Täter auf die Spur kommt.

Diese Kombination ist insofern spannend, dass die Täterentlarvung auf zwei Ebenen passiert. Marjolein steht ihm am Ende ihres Lebens gegenüber und ein Kapitel später findet Marlieke heraus, wer ihre Schwester auf dem Gewissen hat. Das ansonsten in Krimis und Thrillern so oft vorkommende einleitende Kapitel, in dem der Mord geschieht, fällt weg, wodurch ein gewisses Maß an Spannung erhalten bleibt.

Wirklich spannend ist das Buch allerdings nicht, jedenfalls nicht im Sinne von mitreißender Thrillerspannung. Das Buch von van der Vlugt kann sich einer gewissen Frauenbuchlastigkeit nicht erwehren. Die Schwestern erzählen aus der Ich-Perspektive und so viel aus ihrem Alltag, dass man sich oft fragt, worauf die Autorin eigentlich hinauswill. Möchte sie das Leben der beiden Zwillingsschwestern sezieren oder möchte sie dem Leser hochwertige Thrillerkost servieren? Falls sie Letzteres vorgehabt hatte, gelingt ihr Ersteres wesentlich besser. Das Spannungspotenzial wird dementsprechend nicht vollständig ausgeschöpft.

Das Alltagsgeschehen der beiden Schwestern wird dafür sehr authentisch dargestellt. Hierfür muss man die Autorin loben, genau wie für ihre reifen Charaktere. Auch wenn man ab und an das Gefühl hat, dass die Protagonistinnen ein bisschen zu gut dargestellt werden, weisen sie eine seltene Tiefgründigkeit auf. Man erfährt viel über ihr Privatleben, ihre Vergangenheit sowie Gedanken und Gefühle, da sie aus der Ich-Perspektive erzählen. Ab und an schweift van der Vlugt dabei ein wenig ab, aber letztendlich hilft das nur, die beiden Schwestern noch plastischer darzustellen. Das ist auch notwendig. Schließlich tragen die beiden Frauen die Geschichte. Sie sind sogar wichtiger als die eigentliche Handlung, die, wie bereits erwähnt, nicht so viel hergibt.

Einher mit der guten Darstellung geht der Schreibstil, der ungekünstelt und einfach ist, dabei aber alles auf den Punkt bringt. Da in der Ich-Perspektive, also mehr oder weniger aus dem Kopf der Erzählerinnen, geschrieben wird, ist es wichtig, dass ihre Worte so klingen, als ob sie auch aus dem Mund des Lesers kommen könnten. Das gelingt van der Vlugt sehr gut. Sie schafft eine angenehme Leseatmosphäre, auch wenn das Präsens anfangs gewöhnungsbedürftig ist. Hat man sich aber erst mal mit dem seltenen Tempus zurechtgefunden, fühlt man sich tatsächlich so, als ob man am Leben der beiden Schwestern teilhaben würde.

„Schattenschwester“ ist eine zwiespältige Angelegenheit. Obwohl es eine Kriminalhandlung beherbergt, ist es auf weiten Strecken doch eher ein Buch für das weibliche Geschlecht. Die genaue Darstellung der Leben der beiden Frauen führt dazu, dass dies so ist. Allerdings wird der Alltag der beiden sehr authentisch dargestellt und der Schreibstil ist sehr warm und zieht in den Bann. Wer also ein Freund der milden Unterhaltung mit vielen Belletristikelementen ist, kann bei „Schattenschwester“ von Simone van der Vlugt beruhigt zugreifen.

http://www.diana-verlag.de

|Siehe ergänzend dazu: [„Klassentreffen“ 3850 (2006/2007)|

Fischer, Claus Cornelius – Und vergib uns unsere Schuld

Eigentlich ist der Königinnentag in Holland ein Feiertag, doch während ganz Amsterdam feiert, irrt ein vierzehnjähriger Junge im Dunkeln durch einen Park und hat Angst. Er weiß, dass er etwas gesehen hat, das er nicht hätte sehen dürfen, und nun ahnt er, dass ihn etwas Gefährliches verfolgt. Und richtig, es dauert nicht lange, bis er Schritte hinter sich hört und weiß, dass es nun zu Ende ist für ihn. Einen Tag später wird der Junge ermordet aufgefunden. Aber es ist nicht nur irgendein Mord, den Commissaris Bruno van Leeuwen aufzuklären hat, dieser Mord setzt neue Maßstäbe: Dem Jungen ist nämlich der Kiefer aufgestemmt und das Gehirn entfernt worden. Bruno van Leeuwen ist eigentlich nicht schnell zu erschrecken, hat er doch schon viel erlebt in seiner Laufbahn als Kommissar, doch diese brutale Tat lässt ihm das Blut in den Adern gefrieren.

Langsam tastet er sich näher, er verhört Zeugen und befragt die Freunde des ermordeten Jungen, die am Tatabend eigentlich verabredet waren, doch haben die Freunde vergeblich warten müssen. Viele Hinweise sind es allerdings nicht, die van Leeuwen zur Verfügung stehen, doch das Schicksal ist auf seiner Seite: Während er eines Abends durch die Straßen Amsterdams irrt, entdeckt er ein junges Mädchen, das auf der Suche ist nach einem Mann, mit dem sie die Nacht oder auch nur eine Stunde verbringen kann. Van Leeuwen quartiert es einfach in einem Hotel ein, kann aber noch nicht ahnen, dass genau dieses Mädchen einen wichtigen Hinweis für ihn parat hat.

Aber der Mordfall ist nicht die einzige Sorge, die Bruno van Leeuwen plagt, denn seine geliebte Frau Simone ist schwer krank, sie hat keine Erinnerungen mehr und ist den ganzen Tag auf Pflege angewiesen. Doch mitten in den Ermittlungen weigert sich die Pflegerin, weiterhin den ganzen Tag bis spätabends bei Simone zu bleiben, weil Bruno nie pünktlich nach Hause kommt, um sich selbst um seine Frau zu kümmern. Er ist verzweifelt, zumal es nicht lange dauert, bis er vor die Wahl gestellt wird: entweder seine Frau oder sein Job. Da er Simone immer noch über alles liebt, fällt ihm die Wahl nicht schwer – bis ein weiterer, noch grausamerer Mord geschieht und van Leeuwen Dinge aus Simones Vergangenheit herausfindet, von denen er lieber nichts gewusst hätte …

Claus Cornelis Fischer begnügt sich nicht einfach damit, einen spannenden Kriminalfall zu schreiben, nein, er gibt seinem Kommissar so viel Profil, dass er schon als tragischere Figur erscheint, als es ein Kurt Wallander jemals gewesen ist. Nach und nach kommt Bruno van Leeuwen den Geheimnissen des Mörders, aber auch den Geheimnissen seiner Ehefrau auf die Spur, und man weiß als Leser eigentlich nicht, was schlimmer ist: eine Frau, die viel zu verbergen hat, aber sich an ihre Geheimnisse nicht mehr erinnern kann und deswegen keine Aussprache mehr möglich ist oder ein brutaler Mörder, der seinen Opfern das Hirn entwendet. Dieses Buch ist folglich nichts für Warmduscher; man sollte sich schon warm anziehen, wenn man den ersten Fall dieses holländischen Kriminalkommissars zu lesen beginnt.

Was den vorliegenden Roman auszeichnet, ist die ausschmückende Sprache des Autors. Etwa die Hälfte des Umfangs verwendet er darauf, seine Charaktere von allen Seiten zu beleuchten, wir blicken mit Bruno van Leeuwen in die Vergangenheit, wir begeben uns an den Tag zurück, an dem er die schlimme Diagnose erfahren hat, wir durchleben die schwere Zeit mit, in der es Simone immer schlechter ging und sie es aber noch selbst bemerkt hat. Wir folgen auch jedem Gedanken des geplagten Ehegatten, der sich in seiner Fantasie oftmals ausmalt, wie es hätte kommen können, wenn Simone nicht krank geworden oder er selbst nicht so blind gewesen wäre. Manchmal gehen diese Tagträume allerdings so fließend in die Erzählung über und umgekehrt, dass man beim Lesen den Faden zu verlieren droht und den Gedanken nicht mehr so recht folgen kann. Claus Cornelius Fischer setzt seinen Schwerpunkt meiner Meinung nach etwas zu sehr auf die Figurenzeichnung und auf das tragische Familienleben des Kriminalkommissars. Klar, ich mag es auch, wenn die Charaktere an Profil gewinnen, wenn ein Autor erzählen und vor allem schön umschreiben kann, aber manchmal gerät der eigentliche Mordfall so sehr ins Hintertreffen, dass die Spannung arg absinkt und man ungeduldig die Seiten umblättert und auf den Moment wartet, wo es endlich wieder um die Ermittlungen geht.

Ein weiterer Minuspunkt ist die Konstruktion der gesamten Geschichte. Was sich Claus Cornelius Fischer da ausgedacht hat, ist zwar eine hochbrisante Tat mit spannendem Hintergrund, aber wie Bruno van Leeuwen dem Mörder schließlich auf die Spur kommt, ist mir persönlich mit zu vielen Zufällen verbunden. Immer wieder trifft er genau im richtigen Moment die richtige Person, die ihm netterweise den passenden Hinweis geben kann. Hier geraten van Leeuwens private Geschichte und seine beruflichen Ermittlungen zu sehr aneinander – was im Privatleben passiert, ist plötzlich das wichtige Aha-Erlebnis bei den Ermittlungen. Diese Schnittpunkte der beiden Handlungsstränge fügen sich allerdings nicht stimmig in die Geschichte ein, sondern sie werden so plump präsentiert, dass man den Eindruck gewinnt, dass der Autor sonst den Dreh nicht bekommen hätte.

Eigentlich schade, dass Claus Cornelius Fischer sich etwas in seiner Geschichte verfranst, denn sowohl sein Kommissar hat Potenzial als auch der Autor selbst, denn wenn man Fischer etwas zugute halten muss, dann, dass er sehr gut erzählen, Dinge beschreiben und Situationen so vortrefflich darstellen kann, dass man in der Geschichte versinkt. Nur leider versinkt man manchmal eben so sehr, dass man vergisst, hier einen Kriminalroman in den Händen zu halten. Was man Fischer für seinen hoffentlich nächsten Roman nur wünschen kann, ist, dass er die richtige Balance aus interessanter Rahmenhandlung und einem gelungenen Spannungsaufbau während der polizeilichen Ermittlungen findet; dann könnte der nächste Fall von Bruno van Leeuwen ein echter Leckerbissen und Lesegenuss für jeden Krimifan werden. Der erste Fall allerdings lässt leider noch ein paar Wünsche offen.

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Franz, Andreas – Unsichtbare Spuren

Norddeutschland, 1999: Nach einer verregneten Nacht wird die brutal zugerichtete Leiche der siebzehnjährigen Sabine gefunden, die per Anhalter zu einer Chatfreundin reisen wollte. Aufgrund von Spermaspuren stößt die Polizei sehr schnell auf den vorbestraften Georg Nissen. Nissen gesteht zwar, Sabine mitgenommen und einvernehmlichen Sex mit ihr gehabt zu haben, er beteuert jedoch, mit ihrem Tod nichts zu tun zu haben. Doch für Kommissar Sören Henning ist der Fall klar. Kurz nach der Verurteilung nimmt sich der vermeintliche Täter das Leben – zu spät erkennt Henning, dass er tatsächlich unschuldig war.

Fünf Jahre später: Kommissar Henning hat seinen fatalen Irrtum bis heute nicht verkraftet. Seine Ehe ist zerbrochen, seine Frau versucht den Kontakt zu den Kindern zu unterbinden, er selber hat sich auf Büroarbeit verlegt. Doch dann wird die Leiche einer jungen Frau gefunden, am gleichen Ort wie damals Sabine. Fast alles deutet darauf hin, dass der Täter wieder zugeschlagen hat. Henning recherchiert und erkennt, dass Dutzende Morde ähnlicher Art seit rund fünfzehn Jahren in ganz Deutschland verübt wurden. Trotz der Skepsis seiner Kollegen glaubt er an einen Serientäter, der schon zahlreiche Opfer auf dem Gewissen hat.

Ermuntert von seiner jungen, temperamentvollen Kollegin Lisa Santos, steigt Sören Henning wieder in die Ermittlungen ein. Er glaubt, dass der Mörder ein überdurchschnittlich intelligenter Mann ist, der mit seinen Verfolgern spielen will. Bald folgt die Bestätigung in Form eines Briefes an Henning. Der Mörder schickt Fotos seiner toten Opfer und fordert den Ermittler zur Suche heraus. Die Zeitspanne zwischen seinen Taten wird immer kürzer und Kommissar Henning befindet sich mitten in einem grausame Katz-und-Maus-Spiel …

Mit den Krimis um Julia Durant und Peter Brandt existieren bereits zwei Ermittlerreihen von Andreas Franz, doch mit Hauptkommissar Sören Henning gibt ein sehr menschlicher und sympathischer Ermittler sein Debüt, von dem man hoffentlich noch viele weitere Fälle lesen wird.

|Interessante Charaktere|

Hauptkommissar Henning ist Anfang vierzig und ein seelisch gebeutelter Mann. Nach dem fatalen Irrtum, der zum Tod des unschuldig verurteilten Georg Nissen führte, ging sein Leben stetig bergab. Um zu vermeiden, dass ihm jemals etwas Ähnliches nochmal passiert, hat er sich aufs Aktenbearbeiten verlegt, anstatt vor Ort zu ermitteln. Seine Ehe ist unter dieser Belastung zerbrochen, seine Frau verlangt horrenden Unterhalt, während sie sich weigert, arbeiten zu gehen. Seine Töchter vermissen ihn zwar, doch ihre Mutter unterbindet den Kontakt, wo immer es möglich ist. Eine der wenigen Stützen in seinem Leben ist seine langjährige Kollegin Lisa Santos. Die temperamentvolle Halb-Spanierin arbeitet zwar seit rund zehn Jahren mit ihm zusammen, doch erst jetzt lernt er ihre privaten Seiten kennen, die sie im Job erfolgreich verbirgt. Das schlimme Schicksal von Lisas Schwester hilft Henning aufzuwachen und die Resignation von sich abzuwerfen. Gemeinsam mit Santos macht er sich auf die Jagd nach dem brutalen Mörder, dem endlich das Handwerk gelegt werden muss.

Ebenso gut wie den Hauptkommissar lernt der Leser den mysteriösen Butcher kennen. Ein Mann mit biederer Fassade, verheiratet und Vater zweier Töchter, doch dahinter lauert ein Mörder, der Dutzende Opfer auf dem Gewissen hat. Zwar kommt natürlich weder Verständnis noch Mitleid für Butcher auf, aber man gewinnt zumindest Einblick in seine kaputte Psyche. Von klein auf wird er von seiner herrischen Mutter gedemütigt, zum Lernen getrimmt und von der Außenwelt ferngehalten. Freunde werden vergrault, körperliche Nähe gibt es nicht, jeder Fehler wird grausam bestraft. Die Ehe mit seiner Frau scheint ein Rettungsanker zu sein, doch stattdessen wird alles noch schlimmer. Seine Frau gleicht seiner Mutter charakterlich aufs Haar, die beiden Frauen verbünden sich, seine Mutter wohnt mit ihnen unter einem Dach.

So unbarmherzig Butcher mit seinen Opfern umgeht, so sehr schreckt er davor zurück, sich von Frau oder Mutter zu befreien. Die Demütigungen im eigenen Haus werden durch Sadismus sublimiert. Aber der Drang zu töten wird immer stärker, seine unterdrückte Wut lässt sich kaum noch kontrollieren. Für eine überraschende Seite in seinem Wesen sorgt das Zusammentreffen mit Carina, einer alleinerziehenden Mutter, die alles verkörpert, was sich Butcher insgeheim immer von einer Frau gewünscht hat: liebevolle Ausstrahlung, Rücksichtnahme, Güte und Herzlichkeit. Während die ahnungslose junge Frau sich eine Beziehung mit dem scheinbar so verständnisvollen Mann erhofft, reagiert Butcher verzweifelt. Für einen Neuanfang mit Carina ist es zu spät, es ist bereits schwer genug, sein Doppelleben als Mörder und Familienvater zu verbergen. Er ahnt, wie anders sein Leben hätte verlaufen können, wenn Carina ihm früher begegnet wäre, aber gleichzeitig weiß er, dass nichts davon jemals wahr werden kann.

|Fesselnd bis zum Schluss|

Ein weiterer Pluspunkt ist die Spannung, die den Leser von Anfang bis Ende durchgängig in den Bann zieht. Das ist vor allem bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass es hier nicht um einen Whodunit-Krimi handelt, sondern dass dem Leser die Identität des Täters früh bekannt ist. Abwechselnd wird aus dem Leben des Ermittlers und aus dem des Mörders erzählt, sodass man beide Figuren gleichermaßen kennen lernt. Lange bevor der erste Kontakt zwischen Täter und Verfolger zustande kommt, ist der Leser umfassend informiert über die Hintergründe der grausamen Taten und besitzt einen großen Wissensvorsprung gegenüber Hauptkommissar Henning. Trotzdem bleiben genug Fragen, die den Leser bis zum Schluss fesseln.

Zwar rechnet man nicht damit, dass Henning bei seinem Katz-und-Maus-Spiel das Leben verliert, doch seine Kollegen, insbesondere die ihm nahestehende Lisa Santos, sowie Hennings Familie können durchaus ins Blickfeld des Täters geraten. Sehr lange unklar bleibt auch, ob sich „Butcher“, so der Spitzname des Mörders, stellen wird, ob er sich womöglich umbringt oder ob die Polizei ihn fasst. Was geschieht mit seinen Angehörigen, seiner verhassten Mutter und der nicht weniger verhassten Frau? Wie viele Opfer müssen ihr Leben lassen, bis es zu einem Ende kommt? Welches Schicksal wartet auf Carina und ihre Tochter, die nichts vom wahren Wesen des netten Mannes ahnen, der in ihr Leben getreten ist? Bei Andreas Franz muss man damit rechnen, dass sich nicht alles in glückliches Wohlgefallen auflöst, sondern dass auch zum Schluss noch deprimierende Elemente übrig bleiben.

|Geringe Schwächen|

Es gibt nicht viele Punkte, die man dem Roman ankreiden kann. Die Entwicklung des Serienmörders erscheint ein wenig klischeehaft. Die dominante Mutter, die empfundene Hass-Liebe und das zerrüttete Verhältnis zu Frauen sind bekannte Begründungen aus Psychothrillern, spätestens seit dem populären „Psycho“ fast schon Standard in der Thriller- und Kriminalliteratur. Zudem fällt das Ende etwas zu knapp aus. Zwar werden die wichtigsten Fragen geklärt, aber gerade was Nebenfiguren angeht, etwa Butchers Familie sowie seine neue Freundin Carina, verrät der Roman nur sehr wenig über deren Schicksal, zu wenig angesichts der Neugierde, die zuvor geweckt wurde. Unter Umständen enttäuscht auch, dass Hauptkommissar Henning nicht viel Ermittlungsarbeit leisten muss, um an den Täter zu gelangen. Butcher hat Recht, wenn er behauptet, dass er der Polizei sehr entgegengekommen ist, indem er selber den Kontakt suchte und die Leichen teilweise extra so arrangierte, dass die Zusammenhänge zwischen den Morden offensichtlich wurden. So geschickt der Mörder bei allem vorgeht, etwas zu glatt laufen seine Taten dennoch ab. Es wäre wünschenswert gewesen, ihn nicht ganz so souverän zu gestalten, sondern auch hin und wieder in brenzliche Situationen zu bringen. Allerdings trüben diese Kritikpunkte den positiven Gesamteindruck nur wenig.

_Als Fazit_ bleibt ein durchgängig spannender Krimi über einen Serienmörder und einen Hauptkommissar, von dem man hoffentlich noch einige weitere Fälle lesen wird. Dem Autor ist eine überzeugende Ermittlerfigur gelungen, die man gerne begleitet. Von kleinen Schwächen abgesehen, liegt hier ein sehr unterhaltsamer Roman vor, der allen Krimilesern ans Herz zu legen ist.

_Der Autor_ Andreas Franz wurde 1956 in Quedlinburg geboren. Bevor er sich dem Schreiben widmete, arbeitete er unter anderem als Übersetzer, Schlagzeuger, LKW-Fahrer und kaufmännischer Angestellter. 1996 erschien sein erster Roman. Franz lebt mit seiner Familie in der Nähe von Frankfurt, wo die meisten seiner Krimis spielen. Weitere Werke von ihm sind u. a.: „Jung, blond, tot“, „Das achte Opfer“, „Der Finger Gottes“, „Letale Dosis“, „Das Verlies“ und [„Teuflische Versprechen“. 1652

Mehr über ihn auf seiner Homepage: http://www.andreas-franz.org.

http://www.droemer-knaur.de

Hunter, Stephen – Im Fadenkreuz der Angst

Bob Lee Swagger ist einer aus dem Millionenheer blutjunger Amerikaner, die einst für die USA und scheinbar für eine „gerechte“ Sache in den Vietnamkrieg gezogen sind. In Asien hat er dem Marinekorps alle Ehre gemacht, doch Anerkennung und Ehre durfte er dafür nicht erwarten: Swagger ist der geborene Scharfschütze. Als „Bob der Knipser“ konnte er 87 bestätigte „Abschüsse“ verzeichnen, bis die Kugel eines noch geschickteren Vietkong-Heckenschützen seiner Laufbahn jäh ein Ende setzte.

Im Zivilleben stürzte Swagger tief und kehrte nie wirklich aus dem Krieg zurück. Töten will er zwar nicht mehr, aber Waffen sind immer noch sein Leben, und seine Treffsicherheit hat eher noch zugenommen. In seinem Heimatort Blue Eye im ländlichen West-Arkansas führt er am Rande der Gesellschaft ein zurückgezogenes Leben und wird von den Bürgern in Ruhe gelassen.

Swagger ist der einsame amerikanische Waffennarr par excellence. Das macht ihn zum wertvollen Instrument und Sündenbock für die düsteren Pläne des skrupellosen Colonel Raymond Shreck. Der hoch dekorierte, doch sang- und klanglos in den Ruhestand geschickte Soldat ist inzwischen ein verbitterter, aber einflussreicher und auch geschäftlich erfolgreicher Mann mit einer eigenen Firma, die vorgeblich Sicherheitsdienste aller Art anbietet. „RamDyne Security“ ist aber auch das ideale Aushängeschild für Shrecks wahre Aktivitäten, Sammelbecken für eine handverlesene Schar rücksichtsloser, zu allem entschlossener Söldner – und Anlaufpunkt für jedes korrupte und machtgierige Regime dieser Welt, das sich seiner Gegner gewaltsam entledigen will.

Der von Shreck umworbene Swagger kann der Verlockung, wenigstens als angeblicher „Berater“ endlich wieder einmal sein immenses Fachwissen unter Beweis stellen zu können, nicht widerstehen. Als Shrecks Falle zuschnappt, muss Swagger mit zwei Kugeln im Leib und dem gesamten Polizei- und Geheimdienstapparat hart auf den Fersen erkennen, dass er Opfer eines internationalen Komplotts geworden ist. Aber auch Shreck muss sich nun sorgen, denn er weiß sehr wohl: Sein Opfer wird ihm den Verrat niemals verzeihen, sondern sich rächen. Deshalb schickt er ihm ein Killerheer hinterher. Allein gegen scheinbar übermächtige Verfolger zu stehen, ist freilich nicht neu für Bob Lee Swagger. Wenn er ehrlich sein soll, fühlt er sich sogar wie neugeboren, als er beginnt, RamDynes Schergen aus dem Hinterhalt – wie in alten Zeiten – aufzurollen …

„Im Fadenkreuz der Angst“ ist ein bemerkenswerter Thriller. Kompromisslos ignoriert Autor Stephen Hunter beinahe jede Regel, die sein Werk für ein möglichst breites Massenpublikum kompatibel machen könnte. „Amoralisch“ ist wohl der Terminus, mit dem sich die Welt beschreiben ließe, in der sich seine Protagonisten bewegen. Das gilt für die „Bösen“ genauso wie für die „Guten“. Bob Lee Swagger, der „Held“, ist wahrlich kein angenehmer Charakter. Hat der Wolf anfangs noch Kreide gefressen, kehrt er schon sehr bald zu dem zurück, was er am besten kann: Töten auf große Entfernung.

Über die Existenz von Scharfschützen in allen Kriegen seit der Erfindung von Waffen, mit deren Hilfe sich Projektile – Speer- und Pfeilspitzen, später Metallkugeln – über weite Strecken verschießen lassen, scheinen nicht einmal jene gern nachzudenken, die dem Militärischen gegenüber üblicherweise aufgeschlossen sind. Der Gedanke ist – wie alle genialen Einfälle – bestechend simpel: Schalte so viele deiner Gegner aus, wie es dir möglich ist, ohne dich selbst dabei in Gefahr zu bringen, und richte dein Augenmerk dabei auf jene, die jenseits der eigenen Linien die Entscheidungen treffen. Doch es ist in der Tat schwer, etwas Heldenhaftes darin zu finden, ahnungslose Menschen aus dem Hinterhalt niederzuknallen.

Aber Stephen Hunter wählt sich als zentrale Figur einen Mann, der genau dies getan hat. Er geht sogar noch weiter: Bob Lee Swagger haben seine Erlebnisse in Vietnam nur marginal geläutert. Tatsächlich ist er als Zivilist mehr denn je eine menschliche Zeitbombe, der in seiner Hütte, die einer vom Feind dauerbelagerten Festung gleicht, mehr Waffen und Munition lagert als eine mittelgroße Guerillatruppe.

Überhaupt: Waffen! Es gibt „Im Fadenkreuz der Angst“ eine Erzählebene, die man als Hymne auf die Kunst verstehen kann, mit Faust- und Langfeuerwaffen Unglaubliches anzustellen. Das muss auf den europäischen Leser noch wesentlich provokanter wirken als auf das amerikanische Publikum, das ja in seiner Mehrheit das Recht des Bürgers auf seinen eigenen Schießprügel (oder deren zwei oder drei …) gegen alle Widerstände anders denkender Zeitgenossen erbittert verteidigt. Hunter schwelgt in technischen Daten und betont sachlich gehaltenen Darstellungen dessen, was Bob Lee Swagger mit einer Waffe in der Hand zu leisten vermag: das Gewehr als Stradivari des Scharfschützen.

„Im Fadenkreuz der Angst“ ist (abgesehen von der unglaublich rasanten und hochspannenden Handlung) auch deshalb als Thriller so überragend, weil Hunter auf jegliche Anbiederung oder moralisierende Bücklinge verzichtet: In diesem Buch spielen neben den menschlichen Figuren Waffen eine entscheidende Rolle; es ist daher erforderlich, mit besonderer Aufmerksamkeit zu verfolgen, wie sich dies auf den Gang der Geschehnisse auswirkt – und Punkt. Die Schlüsse aus dem, was Hunter dem Leser präsentiert, muss dieser schon selbst ziehen. Der Autor ist viel zu klug, sein Publikum mit vorgestanzten Friede=Freude=Eierkuchen-Klischees einzulullen. Wer die Waffe zieht, kann durch die Waffe umkommen: Wie viel Wahrheit in diesem Kalenderspruch liegt, setzt Hunter viel lieber – und wirksamer – in explosive Bilder um.

Das heißt aber nicht, dass er das Innenleben seiner Protagonisten darüber vernachlässigt. Vorab sei daran erinnert, dass „Im Fadenkreuz der Angst“ ein Thriller ist, der primär der Unterhaltung dient. Im Rahmen seines Talents und der gewählten Form hat Hunter auch hier vorzügliche Arbeit geleistet. Nach 500 Seiten liebt man Bob Lee Swagger genauso wenig wie zu Beginn, aber man versteht ihn nun besser, ohne dass Hunter die „Rambo“-Klischees vom armen, an Leib und Seele verwundeten, für seinen aufopfernden Dienst schnöde vom eigenen Land verratenen Vietnam-Veteranen allzu aufdringlich bedient.

Dasselbe gilt für die übrigen Figuren; Polizisten, Geheimdienstleute und Shrecks Meuchelmörder eingeschlossen. Selbst primitive Schlagetots wie Jack Payne, Shrecks roboterhafte rechte Hand, haben bei Hunter ein Profil: So unerfreulich dies den Gandhis dieser Welt in den Ohren klingen mag – es gibt Menschen, die mit der Gewalt und von der Gewalt leben und sich eines gesunden Nachtschlafes und eines erfüllten Daseins erfreuen. Das ist nicht erfreulich, aber Realität. Man erfährt in den Nachrichten darüber und hat sich gefälligst damit auseinanderzusetzen. Stephen Hunter spielt virtuos mit der unterbewussten Angst, die den „normalen“ Zeitgenossen ob dieser Tatsache bewegt.

Das Bild auf der Website http://www.stephenhunter.net zeigt einen beleibten, kahlköpfigen Herrn mit verschmitztem Gesichtsausdruck, der fabelhaft den Bruder Tuck der Robin-Hood-Legende geben könnte. Dahinter verbirgt sich ein (1946 geborener) Journalist und – ausgerechnet! – Comedy-Schreiber, der außerdem als Filmkritiker der |Baltimore Sun| (1971-1996) einen geradezu legendären Ruf besitzt. Baltimore ist auch Hunters Heimatstadt, wo er mit seiner Lebensgefährtin und zwei Söhnen lebt.

Hunters soldatische Laufbahn beschränkt sich (soweit ich dies in Erfahrung bringen konnte) auf einen zweijährigen Einsatz in einem Ehrenwacht-Regiment, das in der US-Hauptstadt Washington (ähnlich wie die Bärenfellmützen-Witzgestalten der englischen Queen) zeremoniell für die zivile Öffentlichkeit paradiert … In die zwielichtige Welt der amerikanischen Waffennarren ist Hunter hauptsächlich durch Recherche eingetaucht, wie es sich für einen guten Journalisten ziemt, auch wenn er selbst als eifriger, aber nicht fanatischer Schütze und Jäger bekannt ist.

Schriftstellerisch wurde Hunter schon 1980 tätig. Er begann mit einem wüsten Garn um einen Nazi-Heckenschützen (!) im Jahre 1945 („The Master Sniper“), dem er bis heute weitere Thriller folgen ließ, die allesamt nichts für den schöngeistigen Leser sind, aber stets zu unterhalten wissen. Anfang der 90er Jahre begann Hunter mit einer Serie von Romanen, die sich grob um die Familiengeschichte des Swagger-Clans ranken und neben Bob Lee auch seinen Vater und Großvater auftreten lassen.

In Deutschland ist außer „Im Fadenkreuz der Angst“ (noch?) kein weiterer Band der Swagger-Reihe erschienen. Überhaupt sieht es hierzulande für Stephen Hunter düster aus: Außer „Target“, dem Roman zum gleichnamigen (schrecklichen) Film mit Gene Hackman, erschienen nur „Titan“ und „Die Gejagten“ („Dirty White Boys“, 1994), ein wiederum unerhört spannender Thriller um einen spektakulären Gefängnisausbruch mit anschließender Flucht, der immerhin mit einem „Gastauftritt“ Earl Swaggers – Bobs Vater – aufwarten kann.

Nicht einmal zum Start des ungemein erfolgreichen Films „Shooter“, der nach „Point of Impact“, dem ersten Swagger-Roman, mit Mark Wahlberg in der Hauptrolle unter der Regie von Antoine Fuqua gedreht wurde und 2007 in die Kinos kam, wurde die deutsche Übersetzung neu aufgelegt.

James, Peter – Stirb schön

Tom Bryce, Inhaber einer Marketingfirma, die gerade in finanziellen Schwierigkeiten steckt, nimmt im Zug eine CD-ROM mit, die ein Fahrgast vergessen hat. Als er zuhause aus Neugierde den Inhalt ansieht, stockt ihm der Atem: In einem kurzen Video wird gezeigt, wie eine junge, blonde Frau grausam erstochen wird. Zunächst hält er den Film für einen perversen Erotikstreifen. Doch am nächsten Tag ist seine Festplatte gelöscht. Sein Kollege vermutet einen Virus auf der mysteriösen CD-ROM und will sie untersuchen. Kurz darauf wird in dessen Haus eingebrochen und die CD-ROM gestohlen. Tom erhält erhält eine E-Mail, in der er davor gewarnt wird, die Polizei aufzusuchen, anderenfalls wird seine Familie ermordet werden.

Wenig später taucht die kopflose Frauenleiche des Opfers auf. Durch DNA-Tests wird sie als Janie Stretton identifiziert, eine junge Jura-Studentin aus reichem Haus, die ein heimliches Doppelleben als Prostituierte für einen Begleitservice führte. Detective Superintendent Roy Grace führt die Ermittlungen. Sein Ruf hat in der letzten Zeit gelitten, sein Privatleben ist seit dem spurlosen Verschwinden seiner Ehefrau Sandy vor acht Jahren nicht mehr stabil. Grace braucht dringend einen Erfolg, doch die Ermittlungen laufen schleppend.

Tom Bryce entscheiden sich nach Rücksprache mit seiner Frau, die Polizei einzuschalten. Doch trotz aller Diskretion sickert diese Information zu den Tätern durch und Tom und seine Familie schweben in höchster Gefahr. Für Roy Grace und sein Team beginnt ein Wettlauf mit der Zeit, um die Mörder hinter dem grauenvollen Video zu finden …

Nach [„Stirb ewig“ 3268 darf sich der Ermittler Roy Grace nun ein zweites Mal einem Leserpublikum stellen und einen kaum weniger spektakulären Fall klären. Drehte es sich im Vorgänger um einen lebend Begrabenen, steht hier ein Snuff-Film im Mittelpunkt. Erfreulicherweise steht steht dieser Thriller „Stirb ewig“ nicht nur in nichts nach, sondern setzt für Neueinsteiger auch keine Vorkenntnis voraus.

|Spannung auf zwei Ebenen|

Sowohl Tom Bryce als auch Roy Grace können als Hauptfigur des Romans betrachtet werden. Tom gerät zufällig an die brisante CD-ROM, die ihn zum unfreiwilligen Zeugen eines Mordes macht, sodass er von nun an rund um die Uhr überwacht und schließlich gejagt wird. Sein Zwiespalt ist für den Leser gut nachvollziehbar: Einerseits drängt ihn sein Gerechtigkeitssinn dazu, der Polizei bei den Ermittlungen zu helfen. Als Vater zweier Kinder ahnt er, wie sehr der Vater des ermordeten Mädchens darauf hofft, dass die Mörder gefasst werden. Auf der anderen Seite will er um nichts in der Welt riskieren, dass seine eigene Familie in Gefahr gerät. Wie immer er sich entscheidet, die Konsequenzen werden nachhaltig sein, sodass man unweigerlich mit ihm fühlt. Auch davon abgesehen ist Tom ein Charakter, der sich in nichts vom Durchschnittsmenschen unterscheidet. Seine Firma läuft nicht gut, seine Frau Kellie gibt zu viel Geld bei eBay aus und greift heimlich zum Alkohol.

Ein problematisches Leben führt auch Roy Grace, der auch nach acht Jahren noch nicht mit dem Verschwinden seiner Frau Sandy abgeschlossen hat. Er lässt sich auf eine Verabredung mit der attraktiven Pathologin Cleo ein, die er schon lange bewundert, doch hier läuft nicht alles ohne Hindernisse ab. Trotz allem gibt er sein Bestes, um den Fall um die ermordete Studentin zu klären. Ihn berührt ihr Schicksal, er leidet mit ihrem alten Vater und gleichzeitig fühlt er sich dabei immer an seine eigene Frau erinnert, von der er nicht weiß, ob sie vielleicht etwas Ähnliches erlebt hat. Roy Grace ist ein sehr menschlicher Ermittler, der Schwächen besitzt, Fehler begeht, sich von seiner Vorgesetzten Ermahnungen einfängt und mehr als einmal an sich selber zweifelt, weit entfernt von einem perfekten Helden. Besonders liebenswert erscheint er an einer Stelle, an der er die Hündin der Familie Bryce streichelt und sich anschließend ihr gegenüber ebenso verpflichtet fühlt wie ihren Besitzern.

Eine Reihe von Nebenfiguren bevölkert die Handlung, so etwa Tom Ehefrau Kellie, die er für kaufsüchtig hält, die insgeheim aber ein viel größes Problem hat. Ihre eBay-Ersteigerungen sind nur Tarnung, um ihre hohen Alkohol-Ausgaben zu verschleiern. Im Umfeld von Roy Grace begegnet man einigen Personen, die schon im Vorgänger „Stirb ewig“ auftauchen, etwa der hübschen und schlagfertigen Pathologin Cleo, mit der sich Grace endlich auf ein Rendevouz einlässt, seinem Partner Glenn Branson, einem humorvollen Schwarzen, der bei jeder Gelegenheit Filmzitate einfließen lässt, der jungen und ehrgeizigen Kollegin Emma-Jane, die sich hier ein zweites Mal beweisen kann. Für Farbe im Team sorgt außerdem Norman Potting, ein Polizist der alten Schule kurz vor der Pensionierung. Seine politisch unkorrekten, oft auch derben Äußerungen sind berüchtigt, und niemand freut sich auf die Zusammenarbeit. Tatsächlich aber erweist sich Potting durchaus als brauchbarer Mitarbeiter.

|Sehr dezente Mystery|

Eine wichtige Eigenschaft von Roy Grace ist sein Hoffen auf Hellseherei als Unterstützung. Da er auf der Suche nach seiner Frau nach jedem Grashalm greift, konsultiert er auch regelmäßig Wahrsager, die in seiner Stadt auftreten. Über Sandy hat ihm bisher keiner davon etwas sagen können, doch in Ermittlungen konnte er schon Erfolge verzeichnen. Wie in „Stirb ewig“ bittet er auch hier um den Rat von Harry Frame, ein Medium, das ihm schon brauchbare Tips geliefert hat, jedoch auch nicht immer richtig liegt.

Autor Peter James kann seiner Vorliebe für Übersinnliches hier adäquat einbringen, denn auch wer selber diesem Gebiet eher abgeneigt gegenübersteht, wird einsehen, dass es in Graces Lage passt, sich diesen Dingen zuzuwenden. Roy Grace ist durchaus ein rationaler Mensch, doch er will nichts unversucht lassen, um eine Spur seiner Frau zu finden. In diesem Fall aber kann das Medium Harry Frame, ein emsiger kleiner alter Mann mit Ähnlichkeit mit einem Gartenzwerg, zunächst gar keinen Tipp liefern und Grace muss ohne seine Hilfe weiterermitteln. Später kommt eine Eingebung Frames zwar zum Tragen, aber erst, nachdem das Finale schon über die Bühne gegangen ist. Damit kommt der übersinnliche Aspekt auch den abgeneigten Lesern entgegen, da nichts davon handlungsentscheidend eingeflochten wird. Wen der Hintergrund um Graces Frau Sandy näher interessiert, der darf sich über die Ankündigung von Peter James freuen, dass der dritte Band, der zum Jahreswechsel erscheinen soll, ein wenig das Geheimnis um ihr Verschwinden lüften wird.

|Keine großen Schwächen|

Da sich die temporeiche Handlung auf nicht unbedingt epischen 380 Seiten drängt, ist es unvermeidlich, dass einige Charaktere und Aspekte etwas oberflächlich behandelt werden. Das Ende verläuft recht hastig, nach dem Actionfinale folgen nur noch knappe Informationen über den weiteren Verlauf. Auch der Vater des Opfers, Mr. Stretton, tritt nur einmal in Erscheinung, als ihm die Todesbotschaft überbracht wird, anstatt dass man ihn noch während der Ermittlungen begleitet. Gerade da Janies Mutter bereits verstorben ist und seine Tochter sein Ein und Alles war, wäre es schön gewesen, seinen Charakter noch etwas stärker einzubinden. Das gilt auch für das Opfer, schließlich ist es ungewöhnlich, dass eine finanziell unabhängige und scheinbar brave Studentin nebenbei als Sadomaso-Prostituierte arbeitet. Hier wären ein etwas weiter ausgearbeiteter Hintergrund wünschenswert gewesen.

Ein wenig unglaubwürdig wird die Stelle beschrieben, an der Tom und Kellie in höchster Gefahr schweben und ihre Situation kurzzeitig mit Humor zu ertragen versuchen. Noch unpassender ist Toms Gedanke, dass er seine morgige Präsentation in der Firma verpasst, was angesichts seines drohendes Todes unwichtig sein sollte.

_Als Fazit_ bleibt ein spannender und unterhaltsamer Roman über ein Snuff-Video mit einem sympathischen Ermittler. Der übersinnliche Aspekt, der Roy Grace immer begleitet, hält sich angenehm in Grenzen. Von kleinen Schwächen abgesehen, bietet sich dem Leser ein solider und temporeicher Thriller.

_Der Autor_ Peter James, Jahrgang 1948, liebt Autos, Sport und alles Paranormale. Er lebte jahrelang in den USA als Drehbuchautor und Filmproduzent, ehe er wieder nach England zurückkehrte. Zu seinen Werken zählen unter anderem „Ein guter Sohn“ (Neuauflage im Juni 2007 bei |Knaur|), „Die Prophezeihung“ und „Wie ein Hauch von Eis“. Zuletzt erschienen der Horror-Thriller [„Stirb ewig“ 3268 sowie „Sündenpakt“. Für den Jahreswechsel kündigt |Scherz| „Nicht tot genug“ als Hardcover an.

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