Hausdorf, Hartwig – Begegnungen mit dem Unfassbaren

„Begegnungen mit dem Unfassbaren“ – ein weiterer reißerischer Titel der Superlative, dessen Inhalt nicht wirklich so unfassbar ist, wie vermutet werden sollte. Aber interessant sind die „Reisen zu den geheimnisvollsten Stätten dieser Welt“ (ach, schon wieder ein Superlativ) allemal, die Hartwig Hausdorf hier beschreibt, seines Zeichens langjähriger Erforscher des Unerklärlichen und Autor zahlreicher Veröffentlichungen zu diesem Themenbereich. Er ist ebenso wie Ernst Meckelburg, Viktor Farkas, Dr. Carlos Calvet oder Dr. Johannes Fiebag Mitglied im VfgP (Verein für grenzwissenschaftliche Phänomene) und in Dänikens A.S.S. (Forschungsgesellschaft für Archäologie, Astronautik & SETI). Das Buch erschien zuvor unter dem Titel „X-Reisen“ (ein bedeutend geschmackvollerer und passenderer Titel, wie ich finde) bei Herbig und wurde für Knaur vollständig überarbeitet und aktualisiert.

Bekannt wurde Hausdorf vor allem durch die Tatsache, dass es ihm als erstem westlichen Forscher gestattet wurde, für einen kurzen Zeitrahmen archäologische Forschungen in China zu betreiben. Dabei entdeckte er für die westliche Welt die lang verborgenen und verheimlichten chinesischen Pyramiden, die in Anzahl und teils auch Größe die Summe der weltweiten Funde vielfach übertrumpfen dürften, Südamerika eingerechnet. In kurzen Auszügen und Darstellungen widmet er sich diesen Funden auch in „Begegnungen mit dem Unfassbaren“, und hier komme ich zu dem Faktum, das die Darstellungsweise des Buches etwas aus der beachtlichen Masse an Veröffentlichungen zu ähnlichen Themen heraushebt: Die einzelnen Kapitel sind zu einem guten Teil in Form von Reiseberichten aus eigener Erfahrungssicht heraus gestaltet, angereichert mit Hintergrundinformationen und gelegentlichen Vergleichsfällen.

Zwar nimmt Südamerika hierbei den größten Raum ein, zumeist basierend auf einer Gruppenreise zusammen mit Dr. Johannes Fiebag 1996 (was in dieser Form in der zweiten Hälfte des Buches wiederholt ausgeführt wird, etwas nervend und den Schluss nahe legend, dass die Berichte nicht im Zusammenhang, sondern lose gesammelt entstanden). Doch Hausdorf nimmt auch verschiedenste andere Lokalitäten in Augenschein und geht dabei durchaus schematisch vor. Die Reise führt von Deutschland (die ersten drei Kapitel) über die Karpaten und Malta nach China, Australien, die Osterinsel und schließlich nach Süd- und Mittelamerika. In den meisten Fällen handelt es sich um Orte, die Besuchern zugänglich sind und somit jenen mit genügend finanzieller Polsterung Anreiz zu faszinierenden Ausflügen abseits des Pauschaltourismus sein sollte. Dass auch Seltsamkeiten im deutschen Raum angeführt werden, finde ich dabei sehr positiv, denn nicht jeder kann mal eben die Bauten Perus bestaunen fliegen.
Der Schreibstil ist dabei angenehm zu lesen und inhaltlich gut gemischt dargestellt, wenn auch teils etwas selbstverliebt in seiner Art. Persönliche Kommentare zu den Orten, die auch über die Buchthematik hinausgehen, verleihen dieser Veröffentlichung eine sympathische Note. Vier Dutzend teils großformatige Fotos und Skizzen reichern die Reiseberichte an, eine Liste mit Begriffserklärungen fehlt ebenso wenig wie ein Ortsregister für diesen kleinen Reiseführer des Unerklärlichen. Eine Spezialität sind die Reisehinweise zu etlichen der vorgestellten Orte im Anhang, inklusive Anschriften und Kontaktadressen. Da juckt es den Leser spontan in den Füßen, loszulegen und sich einen eigenen Eindruck von diesen ungewöhnlichen Orten und Vorkommnissen zu verschaffen, wäre da nicht die finanzielle Frage im Wege.

Das Buch bietet eine interessante Auswahl an besonderen Orten und „Sehenswürdigkeiten“ (im Wortsinne) und könnte in dieser Form gern eine Fortsetzung erfahren, wenngleich der Informationsgehalt zu Hintergründen und Lokalgegebenheiten nicht zu sehr in die Tiefe geht und eher als Zusatzlektüre oder Anreiz für andere Veröffentlichungen dieser Sparte zu betrachten sein sollte.
Die Einzelheiten der Darstellung kann man nachfolgender Kurzübersicht des Inhaltes entnehmen:

Vorwort: Wenn einer eine Reise macht
1 „Sternenkind“ aus dem Jahre 1735?: Deutschlands unheimlichstes Museumsstück
2 „Göttliche“ Vorbilder?: Schädeldeformationen auch in unsrem Land
3 „Mind over matter“: Spukorte in Oberbayern
4 „Götterkriege“ in den Karpaten: Kam die Vernichtung von oben?
5 Kleine Insel – Große Rätsel: Malta ist immer eine Reise wert
6 Im Schatten der vergessenen Pyramiden: Auf Forschungsreise durch das verbotene China
7 „Wenn es nicht so fantastisch klingen würde…“: Die Sternenkarte aus dem Mumiengrab
8 „Terra australis incognita“: Mysteriöse Funde aus der „Traumzeit“
9 Wenn Steine reden könnten: Die Riesen der Osterinsel hüten ihr Geheimnis
10 Horrornacht im Dreiländereck: Am Originalschauplatz einer UFO-Entführung
11 Verkehrte Welt: Bergauf geht’s nach unten!
12 Rätsel der Anden: Die zeitlosen Ruinen von Puma Punku
13 Am „Gipfel der grausamen Götter“: Weltwunder im Hochland von Kolumbien
14 „Baut ein Abbild eures Sonnensystems!“: Teotihuacan – ein gigantisches Planetarium in Stein
15 Trauminsel mit besonderer Note: Puerto Rico – die Insel der UFOs
16 Die Pyramiden von Güimar: Vermächtnisse eines erloschenen Vulkans
Begegnungen mit dem Unfassbaren
Begriffserklärungen
Einige Worte zum Ausklang
Danksagung
Ortsregister

Homepage des Autors: http://www.vfgp.de/hartwighausdorf/

Gabaldon, Diana – Meer der Lügen, Das

Diana Gabaldon dürfte eigentlich jedem Büchernarr zumindest vom Namen her ein Begriff sein, denn ihre Highland-Saga um Claire Randall und James Fraser schuf Millionen begeisterter Fans und erreichte eine Auflage von über drei Millionen Exemplaren allein in Deutschland. Gabaldon, 1952 in Williams, Arizona, geboren, war vor ihrer Schriftstellerkarriere Honorarprofessorin für Tiefseebiologie und Zoologie an der Universität von Arizona. Sie schrieb den ersten Band der Saga, „Feuer und Stein“, eigentlich nur zum Üben, konnte nach dessen Erscheinen allerdings das Schreiben zum Beruf machen.
Während ihre Anhänger auf den sechsten Band warten, präsentiert sie inzwischen mit „Das Meer der Lügen“ – das seine Weltpremiere in Deutschland erlebt – den Auftakt zu einer neuen Romanreihe. Die Hauptfigur ist ein alter Bekannter: Lord John Grey, ein treuer Freund und langjähriger Briefpartner von James Fraser. Jedoch sei schon mal vorweggenommen, dass es sich nicht um den Beginn einer neuen Schottland-Saga handelt, sondern der Leser hier in einen äußerst verzwickten Kriminalfall hineingerät.

Wir treffen auf Lord John Grey im Jahre 1757 in London, kurz nach seiner Rückkehr aus dem schottischen Zwangsexil. Genauer gesagt, kommt er gerade in den zweifelhaften Genuss, bei dem Verlobten seiner Cousine Joseph Trevelyan während eines intimen Bedürfnisses Syphilis zu entdecken – oder diese Krankheit zunächst einmal zu vermuten. Verständlich, dass diese Vermutung ihre Bestätigung verlangt, was jedoch nicht das Einzige ist, was Grey das Leben schwer macht.
Denn außerdem ist einer seiner Soldaten bei einer Rauferei zu Tode gekommen und bei dem pflichtgemäßen Witwenbesuch macht ihn das merkwürdige Verhalten der Frau stutzig, noch dazu die Tatsache, dass sie von ihrem neuen Freund Finbar Scanlon bereits seit fünf Monaten schwanger ist und dieser seine Nervosität nicht verheimlichen kann. Grey wird von seinem Vorgesetzen auf den Fall angesetzt und erfährt, dass der verstorbene Tim O´Connell für einen Spion gehalten und ihm Jack Byrd als Überwacher auf den Hals gehetzt wurde. Außerdem ist Byrd ein Hausdiener von Trevelyan und passenderweise seit dem Mord spurlos verschwunden.
Bei seiner zweigleisigen Ermittlung steht ihm auch ausgerechnet der Bruder von Byrd tatkräftig zur Seite, was die ganze Sache nicht gerade erleichtert. Und die ist schon kompliziert genug. Auf der Spur der Mörder gerät er in einen Streit um die Leiche, denn sowohl die Witwe als auch die Geliebte des Verstorbenen sehen jeweils das Recht zur Beerdigung auf ihrer Seite, und so wird Grey fast selber Opfer einer Prügelei.
Auf der Spur der Syphilis hingegen landet er zuerst in einem Bordell, was seiner Neigung nun überhaupt nicht entspricht, und dann in einem gewissen Männer-für-Männer-Club, was seiner Neigung wiederum voll entspricht.
Doch in beiden Fällen türmen sich Rätsel auf: Sind die Verwandten der Witwe oder der Geliebten die Mörder? Oder war es doch der unbekannte Auftraggeber, der seinen Spion lieber komplett zum Verstummen brachte?
Was tut Trevelyan in einem Herrenclub, noch dazu mit einer Dame? Und wer ist die Dame, wegen der eine unglaubliche Diskretion herrscht? Hat Trevelyan nun Syphilis oder haben Greys Augen ihm einen Streich gespielt?
Der Fall wird noch mysteriöser, als die gewisse unbekannte Dame tot aufgefunden wird, das Gesicht völlig unkenntlich gemacht, – und Grey feststellen muss, dass diese Dame doch ein Herr ist.

Diana Gabaldon versteht sich einfach auf’s Schreiben. Sie bleibt auch bei ihrem neusten Buch ihrem Stil treu, der eine Riesenportion Humor, eine lockere und flüssige Schreibweise sowie äußerst lebendige und interessante Charaktere beinhaltet. Natürlich kann man diesen Roman nicht mit den dicken Highland-Schwarten vergleichen – an deren Komplexität kann ein Krimi gar nicht herankommen – aber Gabaldon hat damit bewiesen, dass sie nicht nur ein Genre beherrscht.
„Das Meer der Lügen“ saugt den Leser sofort in sich auf und wenn dieser nicht ertrinken will, sollte er schleunigst miträtseln. Genau das trifft es: Es ist eine Freude, Grey auf seiner Spurensuche zu folgen, jedem Charakter misstrauisch gegenüber zu stehen und die kleinen Überraschungen während der Ermittlung zu genießen.
Gabaldon-Fans werden dem Buchhändler ohnehin die Exemplare aus den Händen reißen, doch auch diejenigen, die noch nicht in den Genuss der Schottland-Saga gekommen sind, sollten hier mal testen, erst Recht, wenn sie auch noch Krimi-Liebhaber sind. Verwirren können allerdings die eingestreuten Hinweise auf James Fraser, dazu sei den ’neuen‘ Lesern gesagt: Nicht beachten, sie sind für die Story nicht wirklich wichtig! Und wenn ihr Muße und Zeit habt, holt euch die anderen Bände!
Fazit: Ein Gabaldon eben! Bleibt nur noch das Warten auf den nächsten Band.

Homepage der Autorin: http://www.dianagabaldon.com

Josef Dvorak – Satanismus

„Die Verteufelung des ‚kreativen Chaos‘ ist eine Verdrängung, deren Resultat eine erstarrte, lebensfeindliche ‚Gesellschaft‘ ist.“ (J. Dvorak, Konrad Becker zitierend)

Da Bücher über das Phänomen „Satanismus“ nur allzu gern den Federn von Theologen, so wie auch in diesem Falle, und Sektenbeauftragten zu entwachsen scheinen, sieht sich der Leser meist dem vernichtenden erhobenen Zeigefinger des Autors gegenüber und es fällt daher oft schwer, einer differenzierten und objektiven Betrachtungsweise Raum zu geben. Dieses Buch ist anders, in jedweder Hinsicht, zumal, wenn es darum geht, eine konsistente und dem Werk gerechte Klassifizierung zu liefern. Es ist sicherlich für jeden, der sich eingehender mit dem „Leibhaftigen“ und den damit einhergehenden Ausformungen eines Kultus der Selbstvergöttlichung auseinander setzen will, eine der besseren Publikationen zum Thema Satanismus / Okkultismus im deutschen Raum, auch wenn der alles bzw. nichts sagende und etwas plakativ daherkommende Titel zunächst den Anschein eines dieser typischen, an Banalität und Oberflächlichkeit nicht zu überbietenden Werke vermittelt. Dem tut auch der Untertitel („Schwarze Rituale, Teufelswahn und Exorzismus – Geschichte und Gegenwart“) vorerst keinen Abbruch.

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King, Stephen – Im Kabinett des Todes

Der Erfolgsautor Stephen King steht vor dem Ende seiner Schriftstellerkarriere: Er hat das angekündigt. Nun wird noch kurz aufgeräumt. In diesem Band sind die kürzeren Werke aus der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre gesammelt. Nun warten wir noch auf „The Wolves of Calla“, einen Roman aus dem Zyklus um den Dunklen Turm. Und dann? Stephen King – was kann man noch sagen, was nicht schon allgemein bekannt ist? Er ist einer der erfolgreichsten Autoren aller Zeiten. Und nicht ohne Grund. Das sollte eigentlich genügen.

Zu den vierzehn Stories:

1) Autopsieraum vier

Frisch vom Golfplatz in die Autopsie – so schnell kann’s gehen, denkt sich sich Howard Cottrell, Börsenmakler, entsetzt. Warum war er hier, kurz davor, mit einer Schere wie ein Truthahn aufgeschnitten zu werden? Warum kann er seine Hände nicht bewegen, geschweige denn, einen Laut von sich geben, um zu protestieren? Ein Schlangebiss scheint ihn gelähmt zu haben. Ihm ist einzig und allein gestattet, zuzuhören, wie die Chirurgin mit dem Praktikanten anbandelt, der den ersten Schnitt führen soll. Anästhesie? Fehlanzeige! Howard Cottrell möchte schreien und kann nicht.
Stephen King erzählt das klassische Thema „lebendig begraben“, nur eben in den Autopsieraum verlegt. Und er macht einen klasse Job daraus. Der Leser leidet praktisch mit dem Scheintoten mit. Oder ist Howie vielleicht doch tot und erlebt alles nur von „höherer Warte“? Oder ist dies nur sein Traum? Bis zum Schluss lässt uns der Autor im Ungewissen zappeln.

2) Der Mann im schwarzen Anzug

Für diese Story erhielt King eine der höchsten Auszeichnungen für US-Autoren, den O. Henry Award. King selbst hält die Story nicht für genug gut, um sich für diesen hohen Preis zu qualifizieren, aber für den Kritiker ist es nicht schwierig, die Gründe für die Entscheidung der Jury herauszufinden.
Zum einen geht es um eine uramerikanische Figur: den Teufel in menschlicher Verkleidung. Und die knappe Handlung findet an uramerikanischen Orten statt: auf einer Farm und am benachbarten Forellenbach. Gary ist im Sommer 1914 erst neun Jahre alt, als er nach getanem Tagwerk die Erlaubnis erhält, angeln zu gehen. Nahe Castle Rock ist der Wald damals noch weitläufig und kühl, die Bäche sauber und voller Forellen. Doch als Gary zwei Prachtexemplare gefangen hat, kreuzt der „Mann im schwarzen Anzug“ auf. Er riecht nach Schwefel und seine Augen sind Löcher, hinter denen das Höllenfeuer brennt. Sein Gebiss ähnelt dem des Weißen Hais, doch seine Lügen treffen Gary bis ins Mark. Eine schicksalhafte Begegnung folgt, die Gary erst 81 Jahre später nieder zu schreiben wagt.
Hier merkt man wieder, wie stark sich King in das Seelenleben eines Jungen hineinzuversetzen vermag. Mit wenigen Absätzen versetzt er diesen Jungen in eine Welt, die noch gar nicht so lange vergangen ist: Der Teufel ist hier noch lebendig, und wie weiland in Irland kann man ihm und seinen Versuchungen am helllichten Tag begegnen. Eine spannende Story, die man gleich noch einmal lesen möchte.

3) Alles, was du liebst, wird dir genommen

Eine sehr traurige Story, aber mit witzigen Einsprengseln. Alfie Zimmer, seines Zeichens Vertreter für Tiefkühlgerichte im Mittleren Westen, will sich heute Abend umbringen. Er hat im Motel eingecheckt und seine Smith & Wesson bereitgelegt: Kaliber 9 Millimeter – eine beträchtliche Durchschlagskraft.
Bevor er sich umbringt, ruft er noch fürsorglich an der Ostküste im Haus seine Frau Maura und seiner Tochter Carlene an, erreicht aber nur den Anrufbeantworter. Als er sich den Revolver in den Mund steckt, fällt sein Blick noch einmal auf sein Notizbuch. Er kann es nicht so aufgeschlagen liegen lassen. All diese Klosprüche! Obszön, schweinisch, politisch ganz bestimmt nicht korrekt, und zum Schluss noch dieser: „Alles, was du liebst, wird dir genommen.“
Diese Sprüche hat Alfie in den einsamen Toiletten entlang der einsamen, endlosen Highways gesammelt, weiß der Herr, warum. Flaschenpost auf dem stillen Örtchen? Aber was würde die Polizei daraus schließen? Oder seine Frau? Alfie nimmt den Revolver aus dem Mund, stellt sich auf den Parkplatz und wartet ab, ob ihm der tobende Wind das Notizbuch aus der Hand reißen wird. (Und wenn er nicht gestorben ist, steht Alfie Zimmer dort noch heute. Wir können nur für ihn und seinesgleichen beten, meint der Autor.)
Eine sehr traurige Geschichte: der Tod eines Handelsvertreters in seiner klassischen Form. Die einzigen Lichtblicke jedoch stammen von den witzigen Klosprüchen. Und sie bringen Alfie wirklich zum Nachdenken, so dass er über das richtige Versmaß grübelt und die Tatsache, dass ‚Maine‘ der einzige Bundesstaatname ist, der wegen seiner Einsilbigkeit in Klosprüchen vorkommt… Ein verfehltes Leben, das ist Alfie Zimmer. (Diese Geschichte erschien im renommierten Literaturmagazin ‚The New Yorker‘.)

4) Der Tod des Jack Hamilton

1934, Prohibition, Chicago-Gangster. Die Story erzählt zunächst eine rechte Räuberpistole, schlägt dann allmählich in eine Groteske mit makabren Zügen um, bevor sie richtig anrührend endet. Nachdem John Dillingers Bande eine Bank auf dem Lande überfallen hat, muss sie das Weite suchen. Allerdings wurde sein Komplize Jack Hamilton angeschossen, will aber nicht zugeben, wo. Als die Gangster glücklich im Hinterzimmer einer Chicagoer Absteige landen, nimmt man Jacks Verwundung näher in Augenschein. Wie sich zeigt, hat Jack einen glatten Lungendurchschuss erlitten. Wenn er eine raucht, dringt der Rauch wieder hinten (!) aus ihm heraus.
Die Geschehnisse werden von Jacks Freund Homer erzählt. Nach Dillingers Erschießung durch das FBI wunderte man sich nämlich allenthalben über dessen demolierte Oberlippe, und Homers Memoiren sollen erklären, wie es dazu kam. Der Grund dafür war, dass Homer und Dillinger Jacks letzten Wunsch erfüllten und es dabei zu einem beinahe tödlichen Unfall kam.

5) Im Kabinett des Todes

Bei dem Titel gebenden Raum handelt es sich schlicht und ergreifend um einen Raum im Keller einer Polizeistation irgendwo in Zentralamerika. Der amerikanische Journalist wird hierher gebracht, um verhört zu werden – wenn nötig mit Folter. Seine Folterknechte – Escobar mit dem mexikanischen Akzent, eine 60jährige, die aussieht wie „Frankensteins Braut“, ein Gunman sowie ein schleimiger Kriecher, der die Folterwerkzeuge bedient – wollen erfahren, was Fletcher über die Pläne des Rebellen weiß, der die bestehende Ordnung bedroht.
Kurz und gut: Die Ereignisse in diesem „Kabinett des Todes“ verlaufen etwas anders, als es die Beteiligten erwartet haben.

6) Die Kleinen Schwestern von Eluria

Eine Episode aus Kings umfangreichem ‚magnum opus‘ „Der dunkle Turm“. Ich setze die Vorgeschichte als allgemein bekannt voraus (sorry!). Der Revolvermann, eine der Hauptfiguren des Zyklus, gelangt in eine scheinbar verlassene Stadt, wird von Mutanten überwältigt und von den Kleinen Schwestern gepflegt. Mit kleinen Häppchen der Erkenntnis steigert King das Grauen, das nun folgt: Der Gunman ist in die Hände von Vampiren gefallen und muss zusehen, wie ihnen einer der Lazarettgenossen nach dem anderen zum Opfer fällt. Er ist der nächste… Wird es ihm gelingen, sich rechtzeitig zu befreien? Lest selbst! (Diese Novelle erschien zuerst in R. Silverbergs Anthologie „Der 7. Schrein“.)

7) Alles endgültig

Ein seltsames Bild: Ein junger Mann schüttet Woche für Woche Kleingeld in den Gully (und Scheine in den Müll-Schredder). Der junge Mann, Dinky Earnshaw, wurde von einer obskuren Behörde namens Trans Corp. angeheuert, ausgebildet und postiert – so wie etliche andere mit Fähigkeiten wie Dinky (sie werden „Trannys“ genannt, was im Englischen die Abkürzung für Transvestiten ist – eine kleine Ironie am Rande). Jede Woche gibt’s 70 Dollar zum Verpulvern. Was nicht weg ist, muss vernichtet werden, etwa im Gully. Mr. Sharpton von Trans Corp. erkannte Dinkys außergewöhnliches Talent: mit Hilfe von erfundenen Zeichen den Tod eines anderen Lebewesens herbei zu beschwören.
Was ihm beim nervenden Nachbarshund noch himmlische Ruhe verschafft hat, bereitet aber nun Dinky erhebliche Gewissensbisse: Er hat entdeckt, dass er ein Massenmörder ist. Mindestens 200 Leute hat er schon mit seinen codierten Botschaften ums Leben gebracht – und warum und wozu? Weil ihn erstens Trans Corp. während einiger Hypnosesitzungen dazu konditioniert hat. Und weil die Opfer den Interessen der Regierungsstellen zuwider handelten. Aber wie kann eine AIDS-Forscherin regierungsfeindlich sein, fragt sich Dinky, da sie doch zum Wohle der Menschheit arbeitet. Er beschließt, den Spieß umzudrehen.
Diese Novelle ist zwar interessant, aber schlecht geschrieben. Sie vermischt Konzepte aus Fantasy (magische Symbole) und Thriller (Regierungskomplott), wird in einer realistischen Umgangssprache erzählt und führt relativ geradlinig von A nach B. Der Plot erinnert an Kings frühen Roman „Feuerkind“ und ist ebenso abgedroschen wie vorhersehbar. Die geistige Beschränktheit des Ich-Erzählers Dinky verhindert, dass eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Problem der Auftragsmorde stattfindet, die den Leser anrühren könnte. Die schnoddrige Oberflächlichkeit der Erzählung und ihres Geschehens erzeugt den Eindruck einer zynischen Haltung des Autors, die mich abgestoßen hat. Diese Novelle ist der Tiefpunkt der Sammlung, und ich musste mich überwinden, sie zu Ende zu lesen.

8) L.T.s Theorie der Kuscheltiere

Diese wunderschöne Geschichte gibt es bereits als Hörbuch, gelesen von Ulrich Pleitgen. Seit fast einem Jahr erzählt L.T. deWitt seine Leidensgeschichte, wenn er im Lokal einen hebt. Er ist ein schlichtes Gemüt, leidet aber dennoch an der Tatsache, dass ihn seine Frau Lulubelle vor fast einem Jahr verlassen hat. Und schuld daran war offenbar ihre Unverträglichkeit mit einem Kuscheltierchen, das L.T. ihr geschenkt hatte: Sie nannte das Kätzchen schon bald nur noch „Spinnerlucy“, weil es Lulu offenbar nicht ausstehen konnte. Doch L.T. hatte ein Jahr zuvor von Lulu ebenfalls ein Haustier geschenkt bekommen: einen Terrier namens Frank (nicht wie der in MIB2), der leider in L.T.s Schuhe kotzte und pisste.
L.T.s Theorie über die Kuscheltiere geht also dahin, dass sie die betroffenen Ehepartner unweigerlich auseinander bringen. Was aber L.T. in seinem Kummer nicht ahnt, ist, dass es wahrscheinlich der von der Polizei gesuchte „Axtmann“ war, dem die ausgezogene Lulu zum Opfer gefallen ist, vermutet jedenfalls L.T.s Freund, der Erzähler.
Dies ist Kings Lieblingstory in diesem Band. Die ganze Story ist sprachlich so realistisch wie möglich und zugleich so wunderbar schräg erzählt, dass man sich in manche Szenen direkt hineinversetzt fühlt. Wie King in seiner obligatorischen Anmerkung berichtet, hatte er selbst zwei Haustierchen bekommen: einen Corgi-Hund namens Marlowe und eine „durchgeknallte“ Siamkatze namens Pearl. Sie kamen ebenso gut miteinander aus wie Frank und Lucy in der Geschichte. Dass das geschenkte Tier in der Story seinen neuen Besitzer nicht ausstehen kann, wohl aber dessen Partner, ist ein weiterer amüsanter Kunstgriff des Autors. Doch am Schluss erwischt er den Leser dann kalt, wenn er den Axtmann erwähnt und wie es L.T. in Wirklichkeit geht.

9) Der Straßenvirus zieht nach Norden

Diese wirklich unheimliche Erzählung erschien zuerst in Al Sarrantonios exzellenter Horror-Anthologie „999“ aus dem Jahr 1999. Der Horrorautor Richie Kinsell (ein alter ego des Autors) fährt mal wieder vom heimatlichen Derry/Maine nach Boston auf einen Schriftstellerkongress. Keine große Sache. Auf dem Rückweg kommt er im hübschen Städtchen Rosewood (ein Verweis auf den Roman „Rose Madder“?) an einem privaten Flohmarkt, einem ‚garage sale‘, vorbei. Sein Blick fällt auf ein Aquarell, das zum Kauf angeboten wird, und Kinsell muss das Bild sofort haben. Zum Glück ist die Verkäuferin auch noch ein Fan seiner Schundromane und erzählt ihm brühwarm die Story zum Bild: Der Maler brachte sich um. Es trägt den Titel „Der Straßenvirus zieht nach Norden“ und zeigt einen grinsenden blonden Mann in einem schnittigen Superschlitten, der gerade die Bostoner Tobin Bridge überquert. Besonderheit: Die Zähne des jungen Mannes sehen aus wie die eines Kannibalen – Reißzähne. Kinsell ist hingerissen.
Als Richie es auf dem Nachhauseweg seiner lieben Tante Trudy zeigt, ist diese entsetzt. Er aber auch: Das Bild hat sich verändert! Das grässliche Gebiss hat sich inzwischen vergrößert, der Blick des Fahrers ist noch irrer, und der Hintergrund besteht nicht mehr aus der Tobin Bridge. An einer Raststätte wirft Kinsell das Bild in den Müll, denn es hat sich schon wieder verändert: Nun zeigt es den Wagen auf dem Weg nach Rosewood… Was geht hier vor sich? Kaum zu Hause, schreit Kinsell beinahe auf: Das Bild hängt jetzt in seiner Diele, und es zeigt die Verkäuferin des privaten Flohmarkts in Rosewood in schrecklich zugerichtetem Zustand. Offenbar folgt der „Straßenvirus“ seinem neuen Besitzer – bis zur letzten Konsequenz…
Kontinuierlich zieht King die Daumenschraube des Entsetzens und der Bedrohung an, bis es der Leser – ebenso wie der Erzähler – kaum noch in seinem Sessel aushält und sich vorsichtig nach dem nächstgelegenen Bild umdreht. Denn der „Straßenvirus“ ist wahrscheinlich immer und überall.

10) Lunch im Gotham Café

Ebenfalls eine Rauchergeschichte. Joe Davis wurde – zack! peng! – von seiner Frau Diane verlassen und hat sofort mit dem Rauchen, dem Scheidungsgrund, aufgehört (ein wenig zu spät). Natürlich fühlt er sich während des Entzugs total mies. Aber der eigentliche Unglückstag kommt, als er sich mit Diane und deren Scheidungsanwalt William Humboldt in einem Feinschmeckerrestaurant in der New Yorker Innenstadt trifft: im Titel gebenden Gotham Café („Gotham“ ist quasi der literarische Spitzname New York Citys, siehe „Batman“ und Poe).
An der Rezeption des Cafés stößt Joe auf den Oberkellner, der ein äußerst merkwürdiger Zeitgenosse zu sein scheint. Der dunkle Fleck auf seinem Hemd könnte getrocknetes Blut sein. Und er kreischt ihn an, er solle gefälligst keinen Hund mit hereinbringen! Welchen Hund, bitteschön?
Kaum wurden die Verhandlungen eröffnet, rastet der Oberkellner aus unerfindlichen Gründen völlig aus und macht sich über mit einem enormen Schlachtmesser über den Scheidungsanwalt her. Den Rest kann man sich denken. Diese kurze Story ist ebenso actiongeladen wie absurd. Und es ist eben diese Absurdität, die sie so verdächtig macht, symbolisch zu sein. Symbol wofür? Wohl für die unterschwellig wütenden Aggressionen zwischen den meisten zu scheidenden Paaren und ihren jeweiligen Anwälten. Insofern ist diese kurze Story klassischer Horror, voll Splatter und ebenso drastisch. Nichts für zarte Gemüter!

11) Dieses Gefühl, das man nur auf Französisch ausdrücken kann

Carol Shelton hat dieses schreckliche Gefühl, sie sei in der Hölle gelandet. Nur, dass die Hölle genauso aussieht wie Florida. Seit 25 Jahren ist die streng katholisch erzogene Carol mit Billy, dem Software-Entwickler, verheiratet, ist aber kinderlos geblieben (eines hat sie, omeingott!, abgetrieben). Zur Silberhochzeit spendiert ihr der Göttergatte die zweiten Flitterwochen. Und die könnte sie auch wirklich genießen, wenn, ja wenn da nicht dieses seltsame Gefühl wäre, das man… ach ja: „Déjàvu“ nennt.
Und tatsächlich steigert sich Carols Unbehagen zu einer Angespanntheit, dann zu leisem Grauen, schließlich zu blankem Entsetzen: Denn sie hängt in einer Zeitschleife fest, die nichts anderes für sie ist als die Hölle. Und am Ende der Schleife scheint ein Atomschlag zu passieren, oder eine Rakete das Flugzeug zu treffen oder… Und es passiert immer wieder. Endlos. Es ist (sagte ich das nicht bereits? Es kommt mir jedenfalls so vor…) die Hölle.
Eine tolle Story, die für viele Leser verwirrend sein wird, die mich aber stark an die Science-Fiction-Geschichten erinnert, die von literarisch ambitionierten Briten und Amis Mitte der Sechzigerjahre für das Avantgarde-Magazin „New Wave“ geschrieben wurden, das damals unter der Leitung von Michael Moorcock Furore machte und für eine Anfrage im Parlament sorgte. Das Thema ist natürlich existenzialistisch. Und King zitiert dessen Götter: Camus und Sartre. Er weiß genau, auf welch schwankendem Terrain er sich bewegt.

12) 1408

Wie „Kuscheltiere“ wurde auch diese Geschichte bereits auf einem Audiobook verewigt, nämlich in der Sammlung „Blut und Rauch“. Der Autor empfiehlt die Quersumme aus dieser Zahl zu ziehen und sie auf die Nummern von Hotelzimmern anzuwenden.
Mike Enslin ist so eine Art Reporter des Unheimlichen. Aus seinen Ermittlungen in gespenstischen Gemäuern und seinen Besuchen auf berühmten Friedhöfen hat er bereits drei Bestseller fabriziert. Diesmal hat er sich ein etwas unbekannteres Hotelzimmer vorgenommen: Nr. 1408 im New Yorker Hotel Dolphin. Der Hoteldirektor möchte Mike warnen: Dort seien bereits 30 Leute eines so genannten ’natürlichen Todes‘ gestorben und weitere 16 eines wahrlich unnatürlichen: Einige sprangen aus dem Fenster. Mike bleibt unerschütterlich.
Er hat zwar etwas Mühe, die Tür zu diesem ominösen Zimmer zu öffnen, doch er schafft es und spricht weiterhin seine Beobachtungen in sein Diktaphon. Dann beginnt er allmählich, sinnloses Zeug von sich zu geben. Später hält die Polizei fest, dass Mike Enslin gerade mal siebzig Minuten in Zimmer Nr. 1408 verbracht habe. Seitdem hat man seine Verbrennungen wieder heilen können, doch Mike hat seither keine Zeile mehr geschrieben, hat alle Telefone aus seiner Wohnung entfernen lassen und verschließt bei Sonnenuntergang sämtliche Fenster, weil er die Farbe orangerot nicht mehr ertragen kann…
„1408“ ist eine wahrhaftig gruselige Story über das klassische Motiv des Gespensterzimmers. Nur dass Zimmer 1408 von einem Horror erfüllt ist, der – wie in einem Nebensatz angedeutet wird – von einem der namenlosen Schrecken stammen könnte, die sich H.P. Lovecraft, der große Phantast aus Neuengland, ausgedacht hat. Dies ist nicht die erste Lovecraft-Kopie, die King schrieb: Auch in „Briefe aus Jerusalem“ taucht ein namenloser Schrecken auf. Doch „1408“ ist weitaus besser und wirkungsvoller. Tauchte dort eine deutlich materialisierte Gestalt, ein Riesenwurm, auf, so ist diesmal das Unheimliche nur in seinen Auswirkungen feststellbar, und die sind für Mike Enslin absolut unerträglich.

13) Achterbahn (Riding the ‚Bullett‘)

Alans Mutter liegt 100 Meilen entfernt im zentralen Krankenhaus von Maine, und er will sie unbedingt besuchen, obwohl seine rostige Studentenkarre im Eimer ist. Beim Trampen durch die Wälder erlebt Alan so einiges, das man sich nicht als Alltagsroutine wünschen würde. Da ist der alte Witwer, der sich dauernd mit seiner „Affenklaue“ im Schritt kratzt, weil ihn sein Leistenbruch schmerzt. Und schließlich landet Al auch noch nächtens auf dem Friedhof – allerdings nicht als Leiche, sondern als Verletzter.
Was man mit einer Beule am Kopf so alles träumt… Zum Beispiel, dass man in einem 60er-Jahre-Ford-Mustang von einem Toten mitgenommen wird, der beim Rauchen Qualm aus den Stichen bläst, mit denen sein Kopf angenäht ist… Geträumt oder nicht: Fakt ist, dass Al bei seiner Ankunft im Hospital einen Button am Revers trägt: „Ich bin in Thrill Village, Laconia, mit dem BULLETT gefahren“. Zu dumm, dass Al nur einmal in Laconia, New Hampshire, gewesen ist: Als kleiner Junge, begleitet von seiner Mutter. Doch weil ihm die Achterbahn dort Angst machte, benahm er sich wie ein Feigling, und seine Mutter versetzte ihm eine schmerzhafte Kopfnuss. An so etwas erinnert man sich sein Leben lang.
Und jetzt liegt sie im Krankenbett, mit einem Schlagfall, und Al denkt, sie ist tot, und er ist schuld daran. Klar, denn der Tote im Mustang war sein Alter Ego, und es stellte ihn vor die Wahl: Wenn ich dich hinbringen soll, musst du wählen: Wer soll leben – du oder deine Mutter? Und nun, als Alan vor dem Zimmer steht, in dem seine Mutter liegt, weiß er es einfach…–
Stephen King hat eine wunderbare Geschichte über Schuld, Angst und Versöhnung geschrieben. Sie lässt einen auch nach der Lektüre nicht mehr los. Ständig hat man diese Szene im Mustang des Toten im Sinn. Sie hat ihr Gegenstück in der Szene, als Alan an das Krankenbett seiner Mutter treten muss. Dazwischen liegt ein ganzes Leben, ein Alptraum, eine immense Spannung, die diesem kurzen Stück Prosa seinen besonderen Reiz verleiht.

14) Der Glüggsbringer

Eine wirgglich schöne Story, die King in einem Casinohotel in Nevada geschrieben hat – und dort spielt sie auch. Er schreibt also aus eigener Anschauung. Da ich selbst solche Casinohotels von innen kenne, kann ich die Akkuratesse seiner Beschreibung nur bestätigen.
Lernen Sie Darlene kennen, das seit fünf Jahren von seinem Ehemann verlassene Zimmermädchen, das nun Mutter zweier quengelnder Kinder ist, Paul und Patricia. Darlene ist so arm, dass sie Patsy nicht einmal eine Zahnspange kaufen kann, geschweige denn für Paul ein Asthmamedikament. Vom Leben gebeutelt, glaubt sie auch keineswegs der Notiz, die ein Hotelgast in Zimmer Nr. 322 hinterlassen hat: „Dieser Vierteldollar bringt Ihnen Glügg! Echt wahr! Sie haben Glügg.“ Warum sollte eine ausgebeutete Kreatur wie Darlene auf einmal Glück haben sollen, hm?
Kurz träumt sie sich in einen Spielertraum vom großen Glügg, wacht aber schließlich wieder auf. Als sie Feierabend macht, schenkt sie ihrem Sohn Paulie den Quarter, kaum hoffend, dass dieser damit etwas anfangen könne. Als Paul den Quarter in den erstbesten Einarmigen Banditen steckt, hört Darlene im Davongehen nur das neidischen Quengeln von Patsy, ihrer Tochter. Und dann das einsetzende Klimpern von ausgeschütteten Vierteldollars. Und es hört nicht auf zu klimpern…
Das ist natürlich eine Art Weihnachtsgeschichte, eine Wunscherfüllung. Aber sind das letzten Endes nicht alle Geschichten? Und diese bietet dem Band einen netten, geradezu versöhnlichen Abschluss.

Unterm Strich:

Dieser neue Storyband lohnt sich wirklich, zumindest für Freunde des literarischen Horrors. Die Vielfalt der Themen – klassische wie neue – und Formen sorgt für unterhaltsame Abwechslung. Dies sind zumeist keine Kurzromane wie in den „Langoliers“-Novellen. Einzige Ausnahme: „Die Kleinen Schwestern von Eluria“, das für Silverberg geschrieben wurde. In der Mehrzahl sind es Kurzgeschichten von klassischem Zuschnitt.
In seiner Einleitung mit dem Titel „Wenn man sich einer fast ausgestorbenen Kunstform widmet“ beklagt sich King mehr oder weniger deutlich, dass es für diese Form der Literatur kaum noch einen Markt gebe: Die Short Story, vor etwa 170 Jahren von E. A. Poe „erfunden“ und in berühmten Essays definiert, ist dabei auszusterben. Woran liegt’s? Das Publikum wird mit zunehmend dickeren Romanen versorgt, ja mit ganzen Trilogien und Zyklen. Sei’s drum. Die Short Story verlangt nach einem echten Könner des Metiers. King ist so ein Könner, und diese Sammlung – vielleicht seine letzte überhaupt – belegt dies in überzeugender Weise.
Ich habe fast jeden Text mit Genuss gelesen, insbesondere die kürzeren, denn die längeren waren mir meist bereits bekannt („Achterbahn“, „Eluria“). Der einzige Ausfall im gesamten Band ist ausgerechnet die Novelle, die der Originalausgabe ihren Titel gab: „Alles endgültig“ (Everything’s eventual). Und selbst darüber, ob dies ein Ausfall ist, lässt sich natürlich streiten. Jedenfalls hatte ich bei diesem Band kaum je das Gefühl, meine Zeit zu verschwenden. Und das ist ein sehr befriedigendes Gefühl.

_Michael Matzer_ (c) 2003ff
(lektoriell editiert)

Kinkel, Tanja – Puppenspieler, Die

Auf dieses Buch war ich wahrhaft gespannt. Als „Die Puppenspieler“ 1993 erschien, waren die Kritiken voll des Lobes über die junge, deutsche Autorin, so dass ich mit einer relativ hohen Erwartungshaltung an diesen Roman heranging. Gerade mal 23 Jahre alt war Tanja Kinkel, als sie ihr bislang erfolgreichstes Buch beendete. Inzwischen promovierte Germanistin begann die 1969 in Bamberg geborene Autorin bereits mit acht Jahren Gedichte und Erzählungen zu schreiben, gewann 1987 in einem Jugendliteraturwettbewerb den ersten Platz für den besten Einzeltext und den dritten Platz für insgesamt fünf Texte.
In „Die Puppenspieler“ nimmt sie sich des finsteren Mittelalters an, ein allseits beliebtes Thema bei historischen Romanen und auch bei mir.

Richard Artzt ist gerade erst zwölf Jahre alt, als er mit ansehen muss, wie seine Mutter, eine Sarazenin, auf dem Scheiterhaufen qualvoll stirbt, weil sie die Liebesgelüste eines Mönches abgewiesen hatte. Voll Hass auf die Kirche schwört Richard, dieser irgendwann zu beweisen, dass es keine Hexen gibt.
Als Vollwaise wird er von seiner Tante Sybille Artzt aufgenommen, deren Ehemann Jakob Fugger, einer der erfolgreichsten Kaufleute seiner Zeit, durch geschickten Geldhandel zum Bankier des deutschen Königs Maximilian I. geworden ist, dessen Handelsbeziehungen weltweit reichen, der sich mit vorausschauendem Geschäfts- und Finanzsinn verschiedene Minen aneignete und somit den Metallhandel beherrscht. Fugger, der die Menschen nach seinen Wünschen biegen und beugen kann, wird für den Jungen schnell zum größten aller „Puppenspieler“. Fasziniert von diesem Mann und seiner Neugier entsprechend taucht Richard in die Naturwissenschaften ein, lernt begeistert fremde Sprachen und begreift rasch die Geschäftswelt der Fuggers.
Nach drei Jahren erfüllt ihm Jakob Fugger einen Traum: Er schickt ihn nach Italien, in die neu errichtete Faktorei in Florenz, wo Richard wieder eine neue Welt kennenlernt, wo die Renaissance in ihrem ganzen Glanz vor ihm liegt, wo aber auch der Einfluss der Kirche mächtig ist. Seine Aufgabe ist die Weiterleitung von Neuigkeiten und Wissenswertem aus der Welt der Medici.
Seinem persönlichen Schwur folgend wird Richard Zeuge einer schwarzen Messe, in deren Verlauf er ein geplantes Attentat auf den über Florenz herrschenden Lorenzo de´Medici aufdecken und deshalb verhindern kann, und aufgrund der wieder einmal ein unschuldiger Mensch stirbt. Selbstvorwürfe treiben ihn zu dem Mönch Mario Volterra, dem es gelingt, die Freundschaft des Deutschen zu erringen. Er schafft es ebenfalls, Richard das Geheimnis um den Tod seiner Mutter zu entlocken und beginnt mit ihm zusammen ein Buch zu schreiben, das die Unrechtmäßigkeit der Hexenprozesse aufdecken soll.
Doch da ist noch die Zigeunerin Saviya, der er einst das Leben rettete und die er nun liebt. Als sich offenbart, dass Saviya die Zauberin ihres Stammes ist und angesehenen Bürgern als Hexe die Zukunft vorhersagt, trennen sich ihre Wege, denn Richard kann diese Tatsache nicht akzeptieren. Da ruft Fugger ihn nach Augsburg zurück.

„Die Puppenspieler“ ist tatsächlich eine kleine Goldperle, und gäbe es nicht so unwichtige Dinge wie z.B. schlafen, hätte ich das Buch nicht aus der Hand genommen. Damit ist ja schon mal klar, dass alle Lobeshymnen meines Erachtens voll und ganz gerechtfertigt sind, denn Kinkel ist es hier gelungen, die Großen dieser Zeit wieder auferstehen zu lassen, nebenbei fesselnden Geschichtsunterricht zu geben und den Leser sich wie auf einer Zeitreise fühlen zu lassen. Zumindest ich wurde eine Puppe von Fugger, wandelte durch Florenz und Rom, unterhielt mich mit Philosophen und Dichtern, bewunderte Michelangelo bei seiner Arbeit und trauerte um Lorenzo de´Medici. Da fällt es schwer, wieder in die Gegenwart zurückzukehren, um gleich mal über die Fugger-Familie recherchieren zu gehen, denn dieses Buch macht neugierig und hungrig auf mehr. Solch sorgsam und liebevoll ausgearbeiteten Charaktere bleiben einem eben im Gedächtnis.
Und auch Kinkels erzählerisches Talent überzeugt vollkommen. Wo bei anderen Autoren oft entweder die Detailfreude oder die Handlung zu kurz kommen, ist hier eine glückliche Mischung zu finden, so dass Fans historischer Romane gut auf ihre Kosten kommen. Und ein flüssiger Schreibstil lässt die Seiten viel zu schnell vorüberfliegen.
Fazit: Meine Erwartungen wurden allemal erfüllt, deshalb kann ich mit gutem Gewissen eine uneingeschränkte Empfehlung geben, allerdings keine Leseprobe, denn die würde ca. 600 Seiten lang werden.

Homepage der Autorin: http://www.tanja-kinkel.de

Haber, Karen (Hg.) – Geheimnis der Matrix, Das

„Matrix Reloaded“ war mit grandiosem Erfolg in den USA gestartet und hatte sofort neue Kassenrekorde aufgestellt, obwohl es wegen seines Gehalts an Sex (virtueller Sex?) und Gewalt erst ab 17 mit Elternbegleitung freigegeben wurde (R-rated). Doch es bleiben noch immer ein paar grundsätzliche Fragen, und die versuchen die AutorInnen des vorliegenden Sammelbandes zu beantworten oder zumindest einzukreisen. Unter den Autoren finden sich dabei höchst klingende Namen wie etwa der von Bruce Sterling, einem der Erfinder des „Cyberpunk“, und David Brin, seines Zeichens ein gestandener Physiker, der obendrein einer der erfolgreichsten Science-Fiction-Autoren ist. Insgesamt sind 14 Beiträge unterschiedlicher Länge enthalten. Für Freunde des Films, die schon immer wissen wollten: „What is the Matrix?“ und ist sie überhaupt möglich, ist diese Anthologie sehr empfehlenswert.

Karen Haber, geboren 1955, ist seit 1987 die Gattin von Robert Silverberg, einer der lebenden Legenden der Science Fiction. Ebenso wie er hat sie sich als Herausgeberin von guten Anthologien einen Namen gemacht. Im Genre der Science Fiction kennt sie alles, das Rang und Namen hat. In Deutschland wurde von ihr der Mutanten-Zyklus bei Heyne veröffentlicht, dessen fünf Romane sie fast vollständig ohne Kooperation mit ihrem Mann schrieb.

Es wäre nun relativ ineffizient, alle Beiträge als Liste abhaken zu wollen. Vielmehr lassen sich fast alle Beiträge in wenigen thematischen Gruppen zusammenfassen:

In der ersten Gruppe beschäftigen sich die AutorInnen mit dem Film „The Matrix“ an sich: Was macht ihn so besonders, woher kommt sein Erfolg, wie sind seine Machart und Ideen zu bewerten? Den besten Beitrag dazu hat meiner Ansicht nach Bruce Sterling geschrieben: „Jeder andere Film ist die blaue Kapsel“. Sterling lässt sich nicht täuschen von den Spezialeffekten, den vielfältigen Zitaten aus allen möglichen Literaturwerken, Philosophien und Religionen, sondern sagt knallhart, was hier Sache ist. Man merkt ihm an, dass er in den frühen Achtzigerjahren Herausgeber des wichtigsten Cyberpunk-Organs war.

Paul di Filippo führt zahlreiche Einflüsse aus der Literatur an, um klarzumachen, dass ein Phänomen wie Matrix nicht aus dem Nichts gekommen ist, sondern zahlreiche Wurzeln aufweist, nicht zuletzt Cyberpunk. Karen Haber ist ebenfalls aufgefallen, dass Design und Spiegel eine wichtige Rolle im Film spielen. Diese Lack-und-Leder-Fetischisten sehen einfach obercool aus. Und genau das macht Neo & Co. zu so verführerischen Leitbildern für die Jugend. Aber nicht für irgendwelche Basketballspieler an amerikanischen Highschools und Colleges, sondern für ihre Computer spielenden Brüder, die gerne auch so abgefahren aussehen möchten wie Neo, um damit die Mädels zu beeindrucken. Außerdem: Wer wollte nicht auch fliegen wie Neo und kämpfen wie Morpheus? Leider sind sie auch Waffenfetischisten par Excellence: „We need guns. Lots of guns.“ Das dachten sich die Attentäter von Littleton auch, als sie den Anschlag auf die Columbine Highschool vorbereiteten. Star-Wars-Autor Kevin J. Anderson befasst sich ernsthaft mit dem Aspekt des schlechten Einflusses auf die Jugend. „Die Rache der Unterdrückten, Teil 10“ lautet denn auch sarkastisch das Fazit von Alan Dean Foster, dem Schöpfer des Humanx-Commonwealth-Universums.

David Brin legt den rückwärts gewandten Romantizismus des von einer Prophezeiung bestimmten Films offen: Weil Neo der „Auserwählte“ ist, von Morpheus alias Johannes dem Täufer ausgebildet und vom Orakel quasi gesegnet ist, wird er seiner Bestimmung zugeführt. Und durch Trinity alias Maria Magdalena wird dieser neue Jesus vollends unsterblich. Sind das die Leute, die eine Ahnung davon haben, wie unsere Zukunft aussehen soll? Die Wissenschaft und Technik lieben? Genauso wenig wie Tolkien die „schwarzen satanischen Mühlen“ (W. Blake) in „Herr der Ringe“ liebte. Nur tragen sie jetzt einen anderen Namen: Matrix!

Aber die Matrix hat zwei Aspekte: Da sie eine Totalsimulation ist, fällt es extrem schwer, sie zu erkennen. Und da sie eine Simulation ist, muss jemand es geschafft haben, Riesenmengen von Daten und Energie dafür abzuzweigen. In der Matrix herrscht auf ewig das Jahr 1999 mit all seinen schönen und schmutzigen Seiten. Frauen in roten Kleidern sind eine subversive Erscheinung, der Rest der Menschheit verhält sich wie hirnlose Schafe. Höchste Zeit, dem weißen Kaninchen bis in die tiefsten Tiefen des Kaninchenbaues zu folgen wie weiland Alice. Es ist Neos Seelenführer im Auftrag des global gesuchten Oberterroristen Morpheus. Neo kennt zwar Baudrillards Buch über Simulacren und Simulation, so dass er ahnt, dass etwas nicht mit der Welt stimmt, aber er weiß nicht, was es ist. Das Problem betrifft also Erkenntnisfähigkeit und Wahrnehmung – zwei Aspekte, die von John Shirley ebenso aufgegriffen wird von Kathleen Ann Goonan: Was hält die Welt im Innersten zusammen? Und wer hat die Welt/Matrix entworfen und gebaut, zu welchem Zweck und mit welchen Vorgaben? Wenn die Matrix zerstört werden kann, was ist dann die Nachfolgewelt und wer soll dort herrschen?

Der Brite Ian Watson beschriebt die Matrix gleich als ein Simulacrum (künstliches Abbild), und sein Landsmann Stephen Baxter berechnet mathematisch und nach physikalischen Maßgaben, wie viel Energie und Daten man aufwenden müsste, um ein Matrix-Simulacrum der Welt zu erschaffen. Je größer der Rauminhalt der Welt, desto exponentiell größer die nötige Daten- und Energiemenge. Das Simulakrum einer Stadt verbraucht weniger davon als etwa ein Kontinent und so weiter. Man geht von einer Datenmenge von 1 Megabyte aus, die nötig ist, eine Totalsimulation eines einzigen Wasserstoffmoleküls zu erschaffen. Die Rede ist also von astronomisch großen Datenmengen. Natürlich müsste nicht jedes Haus komplett erschaffen werden, sondern wie im Film nur seine Frontseite etc. Das wird ja so auch in Spielen gemacht. Dennoch ist die erforderliche Rechenkapazität enorm. Und die nötige Energie sollen Menschen liefern? Irgendwo geht die Rechnung nicht auf.

Die restlichen Beiträge beschäftigen sich mit sehr speziellen Aspekten des Films. Rick Berry beispielsweise ist als Filmdesigner der Schöpfer der Schlusssequenz von „Vernetzt – Johnny Mnemonic“. Keanu Reeves spielte auch hier eine Cyberpunk-basierte Rolle in einer Story, die Cyberspace-Erfinder William Gibson geschrieben hatte. Als Mann vom Fach bewertet Berry also „Matrix“ und dessen Fortsetzungen: Kann zum Beispiel ein Hirnstecker funktionieren? Das sollte man sich mal überlegen.
Während Dean Motter als Comiczeichner sich über die Architektur in „Matrix“ auslässt und Darrel Anderson als Cyber-Guru demonstriert, dass künstliches Leben wie die Spinnenspäher in „Matrix“ möglich ist, steuert Star-Wars-Autor Walter Jon Williams mit seinem Essay über „Yuen Woo-Ping und die Kunst des Fliegens“ einen der informativsten und besten Beiträge zu diesem Buch bei. Man erfährt so zum Beispiel, dass der Stunt-Choreograph von „Matrix“, Yuen Woo-Ping, ein enger Freund eines gewissen Jackie Chan war/ist und dessen Riesenerfolg erst möglich machte, indem er die traditionelle männliche Heldenfigur der Peking-Oper, aus deren Tradition beide stammen, umschrieb, um sie gegenwartstauglich zu machen. Chan ist kein Übermensch mehr, sondern ein hasenfüßiger Normalo mit komischen Seiten. Dass Yuen Woo-Pings „Kunst des Fliegens“ keineswegs ungefährlich ist, zeigte sich wieder bei den Matrix-Sequels: Während Reeves Muskelzerrungen und blaue Flecken davontrug, brach sich Kollegin Moss ein Bein. Aber das war beim Motorradfahren.

Das ist aber noch nicht alles. Der Redakteur der deutschen Ausgabe, Alexander Martin, hat zu jedem/r der AutorInnen einen kurzen Eintrag geschrieben, der berichtet, was die Tätigkeitsfelder des Beiträgers sind und wo man im Internet mehr darüber erfahren kann.
Die Lesetipps im Anhang sind zweigeteilt. Bei den „Romanen und Erzählungen“ gehören natürlich zu den wichtigsten Autoren William Gibson und Philip K. Dick. Aber auch Christopher Priest („Die Amok-Schleife“), Daniel F. Galouye („The 13th floor“) und Bruce Sterling („Schismatrix“) werden genannt. Diese Liste stellt wirklich nur das absolute Minimum für Einsteiger dar.
In der Sektion „Sachbücher“ finden sich ebenfalls die üblichen Verdächtigen. Jean Baudrillard mit „Agonie des Realen/Kool Killer“, da Neos Baudrillard-Buch „Simulacra und Simulation“ immer noch nicht komplett auf Deutsch vorliegt. Dass die Wachowski-Brüder kräftig bei Joseph Campbell abgeschaut haben, lässt sich anhand von dessen Standardwerk „Der Heros in tausend Gestalten“ nachprüfen. Es handelt sich um „eine Typologie der schöpferischen Phantasie des Menschen“ – was auch immer das heißen mag. Jedenfalls holen sich hier Hollywood-Drehbuchschreiber so manche Idee, wie es mit dem Plot weitergehen soll. Der Held muss mehrere Entwicklungsstufen durchlaufen, bevor er die Welt (oder was auch immer) retten darf/kann; für die Heldin gilt auf weiblicher Ebene Entsprechendes.

Ebenso wie die Matrix-Filme wendet sich auch dieses Buch nicht an Anspruchslose, sondern fordert zum Mitdenken auf. Zwar wird dafür einiges an Weltwissen nötig – Physik, Design, Filme, um nur ein paar Gebiete zu nennen -, aber das meiste davon wird frei Haus mitgeliefert. Der anspruchsvollste Beitrag stammt von Stephen Baxter, aber der erklärt sein Thema ebenso verständlich und kompetent, wie der Amerikaner Lawrence Krauss uns die Physik von Star Trek und anderer Science-Fiction-Ideen erklärt hat. (Krauss‘ Bücher erschienen ebenfalls in der Heyne-SF-Reihe.)
Der Anhang macht das Buch auch praktisch benutzbar, da man damit in den nächsten Buchladen oder auf die nächste Website gehen und entsprechende Werke kaufen oder Infos besorgen kann.
Insofern weiß dieses Buch ebenso zu begeistern wie Karen Habers schöne Anthologie „Tolkiens Zauber“, die ich an anderer Stelle bereits vorgestellt hatte.
In jedem Fall sollte man sich mit dem Kauf dieses Buches beeilen, denn in unserer Matrix lautet das Motto neuerdings: „Life’s a sim, and then you’re deleted“…

_Michael Matzer_ (c) 2003ff
(lektoriell editiert)

Ernst Meckelburg – Die andere Wirklichkeit

Der Name „Ernst Meckelburg“ ist alles andere als unvertraut, wenn es um Paranormales und unerklärliche Phänomene geht. Der Wissenschaftsjournalist und technisch versierte Autor, Jahrgang 1927, hat mittlerweile eine wahre Flut an Büchern und Fachartikeln zu grenzwissenschaftlichen Themen herausgebracht, darunter etliche Bestseller im In- und Ausland.
Wenn mich nicht alles täuscht, erschien das vorliegende Werk „Die ‚andere‘ Wirklichkeit“ bereits 1998 unter dem der Zeitströmung angepassten Aufmachertitel „Die Titanic wird sinken“; eine Anbiederung, die ich skeptisch betrachte, aber aus Marketinggründen natürlich verständlich ist. Vorhersagen dieser und anderer Natur waren wohl auch der Auslöser, diese Sammlung von Berichten zu veröffentlichen, die auch nicht im Zusammenhang geschrieben, sondern eher in Teilen entstanden und zusammengefügt zu sein scheint.

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Gruber, Elmar R. – PSI-Protokolle, Die

Die Untersuchung der PSI-Phänomene hat es in den letzten 20 Jahren geschafft, aus dem Schatten der etablierten Wissenschaft herauszutreten und ihr stiefmütterlich geführtes, allzu gern belächeltes Dasein in die Gestalt ernsthaft und sorgfältig betriebener Forschungsarbeit zu transformieren, und sei es nur in Gestalt neuer Bereiche wie der „Transpersonalen Psychologie“. Dies geschieht zu einem Gutteil noch immer jenseits der Wahrnehmung der Öffentlichkeit, was teilweise daran liegt, dass die hier erbrachten Ergebnisse leider nicht mit Wundern und spektakulären Sensationen protzen können, nach denen es die Menschen stets verlangt. Die tatsächliche Arbeit ist in etwa so aufregend wie die jahrelange Auswertung von Zahlenkolonnen bei Messungen in Teilchenbeschleunigern, doch die Konsequenzen sind ebenso berauschend und hoffnungsvoll wie eben dort. So sollten wir dankbar sein, dass die Fachkundigen so viel Geduld für Feinarbeit aufbringen, um den resultierenden Erkenntnissen den gebührenden Vorschub leisten zu können. Der interessierte Laie muss sich jedoch damit anfreunden, auf die nur selten nachprüfbaren Wunderberichte über Jedi-Kräfte in seiner Erwartungshaltung zu verzichten, wenngleich seltene Sonderfälle durchaus noch unmittelbar Erstaunliches zutage fördern.

Die Zahl akademischer Grade unter den in diesem Bereich wissenschaftlich Aktiven ist inzwischen beeindruckend, um nicht zu sagen: erschlagend. Dem mittlerweile verstorbenen Professor Hans Bender kommt auf diesem Sektor, unter anderem mit seinem „Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene“, zweifelsohne eine Vorreiterposition im deutschsprachigen Raum zu. Der österreichische PSI- und Bewusstseinsforscher Dr. Elmar R. Gruber, Jahrgang 1955, war Mitarbeiter von Bender und studierte Psychologie, Philosophie und Ethnologie. Er hält noch immer zahlreiche Kontakte zu den Forschungskollegen im Bereich des „Unerklärlichen“ und gestattet der Öffentlichkeit in seinem Werk „Die PSI-Protokolle“ einen Blick hinter die Kulissen dieses bahnbrechenden Forschungsbereiches, hinein in die weltweit aktiven Labors, bis hin zu nur wenig bekannten empirischen Befunden aus Russland, China und Japan, wo derlei Tätigkeiten ausgesprochen ernst genommen werden.

Dabei greift Gruber zunächst auf die Anfänge der wissenschaftlichen PSI-Forschung im militärischen Sektor zurück und bietet neben einer historischen Aufarbeitung und der Schilderung besonders interessanter Fälle Einblick in die Resultate und Entwicklungen. Eine höchst interessante Darstellung, die nicht zuletzt durch angeordnete Offenlegung etlicher bislang geheim gehaltener Verschlussakten ermöglicht wurde. Hier hält er sich vornehmlich an das, was aus den USA an Fakten vorliegt, da die Arbeiten aus Russland und Asien aufgrund der politischen Situation verständlicherweise höchstens über Gerüchte und Vermutungen den Weg in unsere Gefilde fanden.
Im nachfolgenden Teil des Buches präsentiert Gruber auch aus diesen Gebieten einiges an Fakten, allerdings aus neuerer Zeit, begünstigt durch den politischen Klimawechsel. Dieser und der nachfolgende Part bilden den wichtigeren Hauptteil des Werkes, der aktuelle Forschungen vorstellt. Dies geschieht, und darauf wird in der Gesamtdarstellung großer Wert gelegt, in wissenschaftlich fundierter und durch Quellen, Fachveröffentlichungen, Protokolle und Signifikanzanalysen (mit teils atemberaubend hoher Zahl an Einzeluntersuchungen) abgesicherter Weise.

Gruber begnügt sich erfreulicherweise nicht mit einer reinen Aufzählung von Experimenten und unerklärlichen Vorfällen, sondern hat einiges an theoretischen Ansätzen, Erklärungsmodellen und Querverbindungen zur Neuen Physik und Bewusstseinsforschung parat. Nicht die durchaus interessanten Vorkommnisse, sondern deren Deutung und Einordnung in ein konsistentes Theoriegebäude stehen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Eine wesentliche Erkenntnis, die aus den Quantentheorien erwuchs, ist hierbei die Tatsache, dass in jedem Experiment der Beobachter stets einwirkender Teil des Versuches ist; dies umso mehr, je tiefer man in die Quantenwelt eindringt. Dies bringt erhebliche Probleme für die üblichen Randbedingungen und Vorgaben ‚objektiver‘ Versuchsdurchführung mit sich. Doch dies nur als Bemerkung am Rande.

Die Neue Parapsychologie dürfte weit reichende Konsequenzen mit sich führen, die zunächst die meisten Wissenschaften beeinflussen und darüber hinaus selbst in Bereichen der ‚ernsthaften‘ Esoterik eine Zurkenntnisnahme und Neubetrachtung notwendig machen werden – auch für diesen Sektor bietet das Buch einige faszinierende Ansätze und sogar praktische Bezüge. Gerade die aktuellen Arbeiten zur Geist-Maschine-Interaktion, erneut vom Militär voran getrieben, zeigen auf, dass ein Umdenken in der Wissenschaftsarbeit vonnöten sein wird. Gruber macht bei Alledem nicht den Fehler, sich in waghalsigen Behauptungen oder Vermutungen zu ergehen, sondern bleibt stets sachlich und wissenschaftlich im positiven Wortsinne. Vieles des hier Dargelegten gilt mittlerweile als faktisch erwiesen, da signifikant bestätigt, vieles aber bedarf noch eingehender Erforschung – und vor allem des bemühten und aufgeschlossenen Versuches einer Erklärung für ein wirkliches Verständnis. Die Zeiten, wo Wissenschaftler sich hinter Formeltürmen verschanzen und meinen, damit die Ursachen und das dahinter liegende Wesen der Welt erklärt zu haben, sollten hoffentlich ihrem Ende zugehen.

Da auch der Schreibstil eine gelungene Balance zwischen Wissenschaftlichkeit und Allgemeinverständlichkeit findet, zahlreiche Schwarzweißabbildungen den Lesefluss auflockern, die Anmerkungen und Quellverweise keine Wünsche offen lassen und Gruber auch nicht davor scheut, Problemzonen seines Forschungsbereiches aufzuzeigen, kann ich „Die PSI-Protokolle“ insgesamt als populärwissenschaftliches Standardwerk der Parapsychologie und als Überblickslektüre bedingungslos empfehlen. Diese 400 Seiten (nicht 352, wie manchenorts angegeben) Material stellen zweifelsfrei eine Ausnahmeveröffentlichung im Bereich der oftmals allzu strapazierten PSI-Phänomene dar.

Grobes Inhaltsverzeichnis:

Prolog
Teil I – Geheimdienste und Parapsychologie: Die Geschichte von Remote Viewing und den Psi-Spionen
1 Paranormale Aufrüstung
2 Remote Viewing
3 SRI und CIA
4 Die Psi-Spione von Fort Meade
5 Swanns RV-System
6 Psi-Spionage in Aktion
7 Der Niedergang der RV-Einheit
Teil II – Aktuelle Psi-Forschung: Auf dem Weg zu einem neuen Weltverständnis
1 Parapsychologie in Rußland: Legende und Realität
2 Psi-Aufstand im Reich der Mitte
3 Anomale Kognition: Dem Rätsel auf der Spur
4 Auf der Suche nach dem idealen Zustand für Psi
5 Mentale Beeinflussung lebender Systeme
Teil III – Das bewußte Universum: Die stille Revolution in den Psi-Labors
1 Die Physik des Bewußtseins
2 Subtile Verbindungen
3 Der Fingerabdruck des Bewußtseins
4 Über die Zeitschranke
5 Kosmische Beziehungen: Psi, die Erde und der Himmel
6 Der Parzival-Effekt
Epilog
Anhang
Anmerkungen
Glossar der wichtigsten Begriffe und Abkürzungen
Danksagung

Homepage des Autors: http://www.e-r-g.de/

Anstelle einer Leseprobe noch einige Pressestimmen:

„1995 gab die CIA endlich zu, was viele lange vermuteten: Jahrzehntelang hat die amerikanische Regierung erfolgreich paranormale Fähigkeiten für die Spionage nutzbar gemacht…
Als aktiver Forscher an diesen wissenschaftlichen Untersuchungen kann ich Grubers Buch als eine der klarsten und genauesten Analysen dieser seltsamen aber wahren Geschichte empfehlen. Außerdem ist seine Behandlung des gegenwärtigen weltweiten Standes der Psi-Forschung außerordentlich gut… Ich empfehle das Buch uneingeschränkt.“
(Dr. Dean I. Radin, Institute of Noetic Sciences)

„Grubers informationsdichtem Insiderwerk ist angesichts eines so „heiklen“ Themas zugute zu halten, dass es keinen effektheischenden Charakter aufweist…
Gerade seine bewertende Dokumentation der geheimen Psi-Forschungsprojekte der amerikanischen Geheimdienste im Hinblick auf ihren praktischen Nutzen verleihen den „Psi-Protokollen“ besondere Spannung.“
(Joachim Göppert, Esotera)

„Dieses ist ein rundum empfehlenswertes Buch, das insbesondere jenen Lesern Stoff zum Nachdenken vorlegt, die der Parapsychologie überkritisch gegenüberstehen…
Allzu viele Titel schmücken sich heute mit der problematischen Bezeichnung „Sachbuch“. Grubers Werk ist eines der wenigen, das ihn zurecht trägt. Niemand, der künftig ernsthaft über Psi mitreden will, sollte an ihm vorübergehen.“
(Prof. Dr. Ernst Senkowski)

Sagan, Carl – Contact

Carl Sagan war Zeit seines Lebens ein Visionär und zählt zweifelsohne zu den populärsten Wissenschaftlern unserer Zeit. So war er maßgeblich am SETI-Projekt beteiligt, der Suche nach außerirdischen Signalen (an der man sich mittlerweile durch das Programm SETI@home mit eigener Rechnerkapazität beteiligen kann), entwarf unter anderem zusammen mit Ann Druyan und Frank Drake die berühmte Plakette für die Pioneer-Sonde sowie die Goldschallplatte für die ersten Voyager-Sonden und hat eine Vielzahl populärwissenschaftlicher Bücher und Dokumentarfilme hoher Qualität und Auflage herausgebracht. Besondere Beachtung fand neben dem weltweit meistverkauften wissenschaftlichen Werk „Cosmos“ sein Roman „Contact“ von 1985, der zuletzt bei Knaur verlegt wurde und in deutscher Sprache mittlerweile leider – geradezu bedenklicherweise – nur noch aus zweiter Hand erhältlich ist (laut Auskunft von Knaur wurden die Rechte nicht an Dritte übertragen). Bekannt sollte in jedem Falle die fabelhafte Roman-Verfilmung von Oscar-Preisträger Robert Zemeckis („Forrest Gump“) sein, perfekt inszeniert mit Jodie Foster, Matthew McConaughey, James Woods, John Hurt, Tom Skerritt und Angela Bassett in den Hauptrollen.

Sagan, seines Zeichens Professor für Astronomie und Weltraumwissenschaften, war Leiter des Laboratory for Planetary Studies, Vorsitzender und Mitbegründer der Planetary Society und dozierte am Jet Propulsion Laboratory. Sagan erhielt insgesamt 22 akademische Ehrengrade; sein Werk wurde mehrfach preisgekrönt, unter anderem mit dem Pulitzer-Preis und der Public Welfare Medal, der höchsten Auszeichnung der National Academy of Sciences. Carl Sagen verstarb leider im Dezember 1996 – sein cineastisches Vermächtnis erschien 1997.

Es sei gleich voran gestellt, dass das Buch auch noch für jene interessant genug ist, die den Film gesehen haben, denn aus Gründen der Dramaturgie weichen beide Darstellungen erheblich in Details und handelnden Personen voneinander ab – bis auf das Grundgerüst gibt es nur grobe Übereinstimmungen. Dass das Resultat die Mittel rechtfertigt, muss angesichts der fabelhaften Film-Umsetzung kaum erwähnt werden, zumal Carl Sagan und Ann Druyan als ursprüngliche Schöpfer der Geschichte und des nachfolgenden Romans an der Produktion selbst beteiligt waren. Zudem geht das Buch natürlich erheblich mehr ins Detail und bietet überdies vielfache inhaltliche Besonderheiten, die im Film keinen Platz fanden bzw. nicht umgesetzt werden konnten. Ich kann übrigens durchaus anraten, den Film zuvor anzusehen, was die Intensität des Lesegenusses durch die ausgezeichnete Realisierung nur erhöht und die atmosphärische Komponente anregt, auch wenn die Abweichungen vielleicht irritieren mögen.

Die Kerngeschichte ist schnell erzählt, und wesentlicher ins Detail möchte ich auch gar nicht gehen, um dem Entdeckerdrang der Leser nichts vorweg zu nehmen. Die schon als Kind hochbegabte Dr. Ellie Arroway, die es als naturwissenschaftlich interessierte Frau in ihrer Generation reichlich schwer hat, entdeckt in faszinierender Detektivarbeit mit ihrem Team vom Projekt „Argus“ – mit 131 riesigen Radioteleskopen in der Wüste von New Mexico beheimatet – ein offenkundig künstlich erzeugtes Radiosignal aus dem Wega-System. Ein Traum wird wahr, Ellie hat endlich die Möglichkeit zu zeigen, dass ihre gern belächelte Suche nach fremden Intelligenzen nicht sinnlos war, und so werden weltweit Empfangsstationen verständigt und gekoppelt, um die „BOTSCHAFT“ lückenlos und bestätigt aufzuzeichnen und das Primzahlmuster zu entschlüsseln. Neben einer höchst dubiosen Videobotschaft versteckt sich in dem Signal die Anleitung zum Bau einer gigantischen Maschine unbekannten Zwecks, und so kommen die Weltregierungen überein, das Experiment zu wagen und sich an den Bau der Konstruktion zu machen. Als 12 Jahre später fünf Wissenschaftler in diese Maschine gesetzt werden, beginnt eine Reise ins Herz der Galaxis und der menschlichen Seele – und die Begegnung mit dem Unbekannten verläuft ganz anders als erwartet…

Die Erzählung besticht durch wissenschaftlich lehrreiche Detailfreudigkeit und ein breites Spektrum von Verwicklungen und Denkansätzen. Politische Konflikte, religiöse und philosophische Gedanken und Diskussionen, wissenschaftliche Überlegungen und persönliche Beziehungen fließen ebenso in das Konzept ein wie beständige, erfreulich neutral und in beweglichem Standpunkt vorgebrachte Kritik, versehen mit lohnenswerten Denkimpulsen durch alle angeführten Themenbereiche hindurch. Dass Sagan in erster Linie Wissenschaftler und kein Literat ist, wird zwar durchaus ersichtlich, da gelegentlich die Dramaturgie etwas hängt und einige Ausführungen sicherlich über realistisch wirkende Gespräche hinaus gehen – in diesen Punkten ist der Film klar im Vorteil – aber das tut der wahrhaft Atem beraubenden Lektüre keinen Abbruch. Zu faszinierend sind die Geschichte und ihre Implikationen, zu wesentlich die Kernbotschaften dieses Werkes, das als Utopie und Mahnung an die Menschheit zum Nachdenken, aber auch zum Träumen einlädt und bei aller teils erschreckenden Missstände, die aufgezeigt werden, letztlich voll Hoffnung auf eine positive Zukunft und Menschheitsentwicklung steckt.

Carl Sagan ist ein beeindruckendes und überaus bedeutsames Buch gelungen, das sein Andenken gebührlich zu ehren weiß und von mir jedem aufgeschlossenen und geistig beweglichen Menschen dringend ans Herz gelegt werden kann.

Homepage des Autors: http://www.carlsagan.com
Homepage des Filmes „Contact“: http://contact-themovie.warnerbros.com

Herbert, James – Creed

Als ich „Creed“ kaufte, sagte mir der Name James Herbert genau gar nichts. Dabei soll der 1943 in London geborene Autor der meist gelesene Horror-Schreiber auf der britischen Insel sein. Herbert studierte vor seiner schriftstellerischen Karriere Grafikdesign mit Schwerpunkt Werbung am Horsey College of Art, arbeitete nach erfolgreichem Abschluss für verschiedene Werbeagenturen und wurde 1971 Direktor einer solchen. Er schrieb insgesamt acht Romane, bevor er mit „Moon“ den Durchbruch schaffte. Dieses katapultierte sich sofort in die Bestsellerlisten Großbritanniens und war auch das erste seiner Bücher, das in Deutschland erschien. Inzwischen erreichen seine Romane eine Auflage von über 30 Millionen Exemplaren weltweit und Herbert gilt als der englische Stephen King.

Herbert suchte sich für „Creed“ einen Helden, der alles andere als ein Held ist. Genauer gesagt ist Joseph Creed „ein Kotzbrocken ersten Ranges – in Anbetracht seines Gewerbes vielleicht sogar höchsten Ranges“, so sein Erfinder. Creed ist ein Paparazzo, und zwar einer der schlimmsten Sorte, aber auch einer der erfolgreichsten, mitunter ein Grund für seine Unbeliebtheit bei seinen Kollegen (bei seinen Opfern sowieso). Und diesen so ganz und gar unsympathischen Herrn lernen wir bei seinem neuesten Einsatzort kennen: auf dem Friedhof. Das Begräbnis von Lily Neverless, eine wegen ihrer schlechten Leistungen verehrte Schauspielerin, ist für Creed eher einer der langweiligeren Routineaufträge. Als er jedoch nach dem beendeten Zeremoniell einen masturbierenden Mann auf die Kamera bannt, beginnt sein Alptraum.
Zuerst lernt er Cally McNally kennen, die sich unter fadenscheinigen Begründungen an ihn dranhängt. In der Nacht bricht Dracula bei ihm ein – zumindestens ein Etwas, das wie Dracula aussieht – und stiehlt die Fotoabzüge. Creed holt sich eine Beule, weil er vor Schock die Treppe herunterfällt, und als er blutsaugende Spinnen in seinem Bett findet, die spurlos wieder verschwinden, und seine Toilettenschüssel zu einem gefrässigen Maul mit scharfen Zähnen mutiert, glaubt er zunächst an eine Gehirnerschütterung. Er macht sich neue Abzüge der Fotos, die allerdings nach einem Besuch von McNally wieder verschwunden sind, und eine Nachricht macht ihm deutlich, dass er besser auch die Negative herausrücken sollte.
Creeds Recherche ergibt, dass der besagte Mann am Grab, Nicholas Mallik mit Namen, vor über fünfzig Jahren gehängt wurde und die „Bestie von Belgravia“ genannt wurde, weil er Kinder ermordet und zerstückelt hatte. Außerdem war er mit Aleister Crowley im Bunde gewesen, dem berühmt-berüchtigten Schwarzmagier. Creed riecht eine Sensationsstory, die ihm zu Ruhm und mächtig viel Geld verhelfen wird, und genau zu diesem ungünstigen Zeitpunkt schickt seine Ex-Frau Evelyne seinen Sohn Samuel zu ihm, damit er die Vaterfreuden genießen kann. Den Sohnemann halbwegs versorgt, macht Creed einen Treffpunkt für die Übergabe der Fotos mit McNally aus. Mitten in der Nacht und in einem leeren Park, wo ihn nicht das Mädchen, sondern Mallik und sein Vampir erwarten – und Bäume, die sich bewegen. Den beiden Monstern knapp entkommen, muss er zu Hause feststellen, dass Samuel verschwunden ist.

„Dämonen sind heutzutage ein erbärmlicher Haufen“ lautet die Widmung des Buches, und da muss ich dem Autor aus vollem Herzen zustimmen – zumindestens, was seine eigenen Dämonen angeht. Das will ich gar nicht mal im negativen Sinne meinen, denn „Creed“ ist unglaublich unterhaltsam, und die Dämonen sind tatsächlich eher von der amüsanten denn der gruseligen Art (obwohl ich skeptisch bin, dass der Autor das beabsichtigt hatte). Die Schauplätze sind Friedhöfe, alte Gemäuer, verlassene Parkanlagen, ein dubioses Altersheim, und natürlich spielt alles nachts – also Standardvoraussetzungen für einen Horrorroman. Aber das ist es ja auch nicht, was „Creed“ lesenswert macht, sondern die Art und Weise, wie Herbert seinen Antihelden von einer dummen Situation in die nächste rennen lässt; wie er die Story unterbricht, um dem Leser, den er auch direkt anspricht, Nebensächlichkeiten und Zusatzerklärungen nahe zu bringen; wie er seinen Protagonisten analysiert, entschuldigt und niedermacht. Irgendwie tut einem dieser so unnette Zeitgenosse dann doch leid. Herberts Vergnügen, so gut wie alle seine Charaktere zuerst von der schlechtesten Seite zu beleuchten, springt vom ersten Satz an auf den Leser über. Zugegeben, seine Detailfreude ist zwar manchmal etwas zu überschwenglich, aber der unterschwellige Zynismus macht alles wieder wett.
Herbert erfindet im Horror-Bereich nicht unbedingt Neues und auch die Story ist meistens vorhersehbar, trotz allem bringt „Creed“ jede Menge Spaß.

Leseprobe:
„Manche Leute weigern sich zu glauben, was ihre eigenen Augen ihnen gezeigt haben. Gewöhnlich liegt es daran, dass sie nicht glauben wollen. Man mag es der Unwissenheit, dem Vorurteil, der Realitätsblindheit oder den Rätseln des Lebens selbst zuschreiben. Es kann auch viel mit der Unfähigkeit zu tun haben, die Unerfreulichkeiten der Welt, in der wir leben, zu bewältigen. Das kommt nicht nur beim Individuum vor. Noch verbreiteter ist es wahrscheinlich bei den Massen, und bei bestimmten Völkern kann es vorherrschende Züge annehmen (obwohl wir hier keiner bestimmten Nation etwas nachsagen wollen, denn niemand von uns hat das Urheberrecht auf den klaren Blick). Damit wir nicht zu tief hineingeraten und allzu deprimiert werden, bleiben wir lieber bei Joe Creed.
Nun können wir ihm wahrhaftig nicht zum Vorwurf machen, dass er nicht glauben mochte, was seine Augen ihm in jener Nacht gezeigt hatten. Im kalten Licht des Morgens neigt die Vernunft dazu, ihr zudringliches Haupt zu erheben. Und außerdem, wenn einer meint, er habe einen Vampir gesehen, besonders, wenn er nicht in der finster höflichen Maske erschien, wie wir sie von Christopher Lee oder Louis Jourdan kennen, noch in der komisch-teigigen Erscheinungsform Bela Lugosis, dann liegt es nahe, dass man vernünftig mit sich zu Rate geht und zu einer Regelung kommt, die einen Nervenzusammenbruch verhüten kann.
Sehen Sie, der ursprüngliche Nosferatu/Dracula war die wahre Schreckensgestalt. Geschaffen von Friedrich Wilhelm Murnau für seinen 1922 gedrehten Film Nosferatu, eine Symphonie des Grauens und in den Grundzügen übernommen von Bram Stokers Dracula, erschien der Vampir als ein rattenähnliches Geschöpf, mit vergrößertem Kahlkopf, langen dünnen Nagezähnen in der Mitte des Mundes (im Gegensatz zu den vergrößerten Eckzähnen späterer Filme) und gekrümmten langen Fingernägeln, die Raubvogelkrallen ähnelten. Um das grässliche Bild zu vervollständigen, war der Mann bucklig und stand auf spindeldürren, krummen Beinen. Das war der echte Artikel, der Typ, dem man nie auf der Straße zu begegnen hofft, geschweige denn allein und mitten in der Nacht. Ein Abbild völliger Widerwärtigkeit.
So war Creed nicht allzusehr zu tadeln, wenn er annahm (oder sich selbst glauben machte), dass es ein böser Traum gewesen sei. Der Einbruch selbst war freilich nicht zu leugnen, und das war ein Kapitel für sich, denn der Eindringling hatte kaum etwas mitgehen lassen. Keine Wertgegenstände, kein Bargeld, keine Foto-, Hifi- oder Videoausrüstung. Nur belichtete Filmstreifen und ein paar Abzüge. Wenn Creed im Erraten des Motivs langsamer war als Sie, dann war ihm auch das schwerlich zum Vorwurf zu machen. Als Unbeteiligter und Außenstehender ist es gewöhnlich viel einfacher, die Antworten zu sehen.“

Homepage des Autors: http://www.james-herbert.co.uk

Meyer, Kai – Alchimistin, Die

Der Traum von der Unsterblichkeit gehört wohl zu den ältesten Mythen der Menschheit, und in unserem Kulturkreis ist keine andere Gruppierung mehr damit verknüpft als die der Alchimisten – beständig auf der Suche nach dem Stein der Weisen, dem Großen Werk, dem aurum potabile. Kai Meyer hat sich dieses Themenbereiches mit besonnen geführter Feder angenommen und ein atemberaubendes Abenteuer erschaffen, das um die Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert, größtenteils in deutschsprachigen Landen, angesiedelt ist. Meyer studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften, Philosophie und Germanistik – und all diese Bereiche kamen ihm bei der Erschaffung der „Alchimistin“ zugute. Er hat inzwischen eine sehr große Zahl von Romanen in verschiedensten Bereichen veröffentlicht, von gefälliger Fantasykost bis zu anspruchsvoller Lektüre wie diesem Werk; das phantastische Element ist dabei jedoch ein beständiges Merkmal. Und so ist auch „Die Alchimistin“ trotz der historischen Einordnung und der lebendigen und sorgfältig recherchierten Darstellung der entsprechenden Epoche nur schwerlich als reiner Historienroman einzuordnen, weist das Buch doch breit gefächerte Bezüge zur Phantastik, Mystik, Philosophie und Esoterik auf und ist zugleich Okkult-Thriller wie Fantasy-Abenteuer.

Die jugendliche Waise Christopher findet bei der steinreichen Familie Institoris auf einer Schlossinsel in der Ostsee ein neues Zuhause. Christopher ist ein Sonderling, ein höchst belesener Studiosus – mit einer Buchbindeleim-Allergie. Bis auf die kleine Sylvette, die ein Geheimnis zu umgeben scheint, und seine Ersatzmutter, die auch so einige dunkle Flecken auf ihrer Lebensgeschichte zu verbergen trachtet, stößt er bei der Familie nicht gerade auf freudige Nächstenliebe. Eine besondere Bedeutung kommt Aura Institoris zu, seiner etwa gleichaltrigen neuen Schwester, die nicht nur einen für ihr Geschlecht und jene Zeit ungewöhnlichen Bildungseifer an den Tag legt und ein ungeziemendes Verhältnis zu ihrem ebenfalls adoptierten Bruder Daniel pflegt, sondern – der Buchtitel lässt es vermuten – eine zentrale Bedeutung für den Fortgang der Geschichte hat. Da verwundert es kaum noch, dass der eigenbrötlerische, zurückgezogene und menschenfeindlich auftretende Vater der Sippe, Nestor Nepomuk Institoris, sich in seinem Dachgarten seit Jahrzehnten als Alchimist versucht, auch wenn nicht einmal die Familie genau weiß, was er da eigentlich im Einzelnen hinter verschlossener Türe tut. Aus der vermeintlichen Geborgenheit eines neuen Zuhauses entwickelt sich so für Christopher ein Chaos aus unvorhersehbaren Ereignissen, Beziehungen und Geheimnissen, doch diese Entwicklung ist ihm zum Teil gar nicht so zuwider wie es den anfänglichen Anschein hat – nicht grundlos ist er von nimmersattem Wissensdurst geplagt. Und als der alte Widersacher Nestors, Lysander, von Wien aus einen hermaphroditen (androgynen) Attentäter auf diesen ansetzt, beginnen die Ereignisse sich zu überschlagen, und eine abenteuerliche Hetzjagd nach dunklem Wissen und den für all die Schicksalsschläge Verantwortlichen beginnt ebenso wie eine zeitgleiche beständige Flucht der Protagonisten vor vielfältigen Gefahren. Schlag und Rückschlag folgen aufeinander in einem wahrhaft Atem beraubenden Kaleidoskop überraschender Ereignisse, skuriler Persönlichkeiten, wagemutigen Draufgängertums, gefährlicher Begegnungen und erotischer Abenteuer, durchsetzt und gewürzt mit faszinierendem Geheimwissen der Alchimisten und Templer. Und über allem steht die verzweifelte Suche nach dem Großen Werk – der Unsterblichkeit durch den Stein der Weisen.

Kai Meyer ist ein erstaunlicher Roman gelungen, der durch sorgfältige historische Darstellung, Detailtreue sowie Inszenierung und Dramaturgie besticht. Die Charaktere sind faszinierend ausgeformt, lebensecht und zugleich wiederum gelegentlich so überdimensionale Persönlichkeiten mit markanten Eigenheiten, dass es theatralisch genug wirkt, um der Verfilmung von „Der Name der Rose“ Konkurrenz zu machen. Die faktischen Darstellungen zu Templern und Alchimisten sowie die historischen Beschreibungen gehen zwar nicht zu sehr in die Tiefe, um auf weniger fachlich Interessierten langweilig zu wirken, sind aber immer in exakt bemessenem Umfang ausreichend und interessant genug, um auch unter einem gewissen Bildungsaspekt ein Leseerlebnis zu bieten. Der gesamte Aufbau der Geschichte und der Handlungsstränge, die erzählerische Präsentation und die im Vergleich zu anderen Veröffentlichungen dieses Genres ausgezeichnete Prosa sind durchweg überzeugend und liebevoll ausgefeilt. In der Summe ist „Die Alchimistin“ also ein wirkliches Meisterstück geworden, das durchweg spannend, überraschend und auch in literarischer Hinsicht gelungen ist. Ein klarer Fall für meine persönliche Favoritenliste.

Homepage des Autors: http://www.kai-meyer.de

Lovecraft, Howard Phillips – Berge des Wahnsinns

H. P. Lovecraft (1890-1937) und seine Erzählwelten sind ebenso zum Mythos avanciert wie die von ihm beschriebenen Mythen selbst. Kaum jemand, der sich mit Horrorliteratur befasst, dürfte seine Geschichten von den Alten Wesen, von Cthulhu und natürlich um das Necronomicon nicht kennen. Faszinierenderweise sind die Erzählwelten Lovecrafts mittlerweile so fest im archetypisch Unbewussten verankert, dass noch immer nicht schlussendlich geklärt ist, ob ein Buch namens „Necronomicon“ wirklich existiert. Bis hinein in die Esoterik- und Okkult-Szene werden ernsthafte Nachforschungen angestellt, die sich mit den Hintergründen zu Lovecraft und seinem Schaffen befassen und beispielsweise die Ursprünge des „Necronomicon“ bis ins 16. Jahrhundert zum britischen Hofastrologen und -magus Dr. John Dee zurückverfolgen, wobei hier die magische Kunstsprache des Henochischen erwähnenswert ist, die auch in aktuelle Fachveröffentlichungen zu diesem Themenkomplex Einzug gehalten hat. Beim „wahnsinnigen Araber“ Alhazred allerdings dürfte es sich um eine reine Fiktion handeln. Insgesamt also ein höchst bemerkenswertes und eigentümlich mythisiertes Produkt der phantastischen (oder doch nicht ganz so phantastischen) Literatur, das, mittlerweile zum Weltliteratur-Erbe gezählt, auch heute noch von Autoren wie Wolfgang Hohlbein fortgeführt wird, sich in einem Atemzug nennen darf mit romantisch-gotischen Gruselliteraten wie Shelley, Poe, Stevenson oder Stoker und auch Leser von Clive Barker erwärmen dürfte.

Exemplarisch für die Erzählwelten des Sonderlings Howard Phillips Lovecraft habe ich mir seine Novelle „Berge des Wahnsinns“ zu Gemüte geführt, die 1936 veröffentlicht wurde und in deutscher Sprache zuerst 1970 innerhalb der „Bibliothek des Hauses Usher“ im Insel-Verlag erschien.
In Gestalt eines authentisch gestalteten wissenschaftlichen Berichtes, der die Nachwelt vor einem verborgenen Schrecken in der Antarktis warnen soll, schildert der Ich-Erzähler, seines Zeichens Geologe, die Ereignisse einer 1930 gestarteten Expedition in die Regionen des Ewigen Eises. Nebst beständigen unterschwelligen Andeutungen offenbart sich nach und nach ein „uralter Schrecken“, der von der Menschheit unerkannt in den eisbedeckten Bergen der Südpolregion lauert. Zunächst stößt eine Teilexpedition auf Überreste einer unbekannten und nach menschlichen Maßstäben nicht einzuordnenden amphibischen Spezies, während sie bislang nicht kartographierte Gebirgszüge erforscht, die in ihrer kolossalen Ausdehnung alles bisher Bekannte in ihre Respekt einflößenden Schatten stellen. Während eines Eissturmes geschieht etwas Furchtbares mit dieser Vorabexpedition, das nicht allein auf das Wirken der Naturgewalten zurückzuführen ist und dessen Ergründung sich fortan die verbleibenden Mitglieder der Forschungsgruppe widmen. Der Erzähler und ein wissenschaftlicher Kollege erahnen zuerst die schreckliche Wahrheit und begeben sich mit einem speziellen Flugzeug auf Erkundungsreise in die von den drohenden Gipfeln abgegrenzten Regionen, in eine uralte und verborgene Welt voller wahnsinniger Wirklichkeiten – und entdecken eine zyklopische Stadt aus menschlicher Vorzeit, die Erschreckendes zu berichten weiß. Und sie stellen fest, dass sie wie befürchtet nicht allein in dieser kalten Einöde sind.

Gemessen an der gewählten Darstellungsform beeindruckt Lovecraft durch höchst fachkundige und detaillierte Beschreibungen wissenschaftlicher Erkenntnisse, die dem Forschungsstand seiner Zeit nachprüfbar entsprechen. Eingebettet in einen umfangreicheren Rahmen wäre diese Detailverliebtheit lobenswert gewesen, so allerdings hält sich die Novelle zur Hälfte mit derlei Selbstverliebtheiten auf, die, anfänglich noch faszinierend und lehrreich, auf Dauer ermüden, während der Leser die Entwicklung eines Handlungsstranges abwartet, der sich aber letztlich in wenigen Worten zusammenfassen ließe. Im Hauptteil der Erzählung entwirft Lovecraft ein überaus beeindruckendes, ausgefeiltes Szenario der Erdgeschichte, beherrscht vom Mythos der Großen Alten, von Cthulhu und den sterngeborenen Wesenheiten, die seit Äonen überdauert haben und dabei sind, ihren Schrecken erneut in die Welt hinaus zu tragen.

Ermüdung ist vielleicht der zentrale Begriff, um die Leseerfahrung dieser vielfach gelobten Erzählung zu beschreiben. Allzu umfangreiche Randdetails, ellenlange Beschreibungen und zahlreiche Wiederholungen wirken auf Dauer missmutig stimmend auf den Leser. Dieser wird gern mit seitenweise Nebensächlichkeiten gequält, bis Lovecraft zum Punkt kommt – und dieser ist leider stets vorhersehbar, besonders natürlich, wenn man mit dem Mythos vertraut ist. Als Erzähler düsterer Schreckenswelten offenbart Lovecraft ein nicht zu verachtendes Talent, schriftstellerisch jedoch ist sein Stil geradezu erschreckend banal, einfallslos und platt. Die übermäßige Häufung klischeebeladener Adjektive überstrapaziert den nur mäßig gelungenen Versuch eines Spannungsbogens. Es wimmelt nur so von „uralten, verborgenen, dunklen, schrecklichen, verbotenen“ Geheimnissen, die des Chaos‘ Wahnsinn in sich tragen. Als Verfilmung ließe sich aus dem Material sicherlich etwas Eindrucksvolles zaubern, als Lektüre gesehen muss ich bei aller Sympathie und Faszination für Lovecrafts Werk und seine Welten leider gestehen, dass „Berge des Wahnsinns“ zum Langweiligsten und Stümperhaftesten zählt, was die Belletristik hervorgebracht hat. Wer sich für Cthulhu und Necronomicon interessiert, bekommt hier bildreiche Details geboten und kann sich vor dem Hintergrund einer Fachrecherche gern an diese Novelle wagen; wer einfach gute und spannende Horrorlektüre sucht, sollte sich lieber Lohnenswerterem zuwenden.

Eine sehr ansprechende deutsche Infoseite: http://www.nyarlathotep.de

Preston, Douglas – Child, Lincoln – Riptide – Mörderische Flut

Unvermittelt erhält Dr. Malin Hatch Besuch vom charismatischen Kapitän Gerard Neidelmann, der ihm eine wiederholte Schatzsuche auf der Insel Ragged Island vorschlägt. Bei dieser handelt es sich um eine kleine, unwirtliche Steininsel vor der Küste von Maine, die seit vielen Jahren in Familienbesitz ist, seit sie Malins Großvater erworben hat. Legenden zufolge soll dort der Pirat Edward Ockham gegen Ende des 17. Jahrhunderts einen unglaublichen Schatz versteckt haben, zu dem auch das sagenumwobene St.-Michaels-Schwert gehören soll und der heute einen Wert von zwei Milliarden Dollar hätte.

Über die Jahrhunderte hinweg gab es immer wieder erfolglose Versuche, den Schatz zu heben und die Legende hat unzählige Männer zu einer zwanghaften Obsession geführt, die sie letztlich mit ihrer wirtschaftlichen Existenz und, in einigen Fällen, auch mit ihrem Leben bezahlt haben. Auch Malins jüngerer Bruder Johnny kam in der Wassergrube der Schatzhöhle ums Leben, als die beiden dort in ihrer Kindheit auf Entdeckungstour gegangen waren.

Malin reagiert zuerst sehr zurückhaltend, stellt sich aber letztlich seinen Dämonen und lässt sich auf die Schatzsuche ein. Mit modernsten Geräten, Supercomputern und einer Armada von Schiffen fällt die Mannschaft von Kapitän Neidelmann über die Insel her, um den trickreichen Fallen des von ‚Red Ned‘ Ockham angelegten Labyrinths dessen Schatz zu entreißen, und selbstverständlich geht absolut nicht alles glatt.

„Riptide“ kann bei weitem nicht mit seinen starken Vorgängern „Attic“, „Das Relikt“ oder auch „Mount Dragon“ mithalten, die mit ihren spannenden, wissenschaftlich angehauchten Storys von degenerierten Lebewesen und freigesetzten Viren eine hohe Erwartungshaltung geschaffen haben. Im direkten Vergleich ist die Geschichte um eine Schatzsuche auf einer kleinen Insel zwar nett, aber einfach nicht spektakulär und spannend genug. Zwar haben die Autoren die höhlenartigen Gänge und Fallen sehr einfallsreich gestaltet, aber das hilft nicht über einige Längen in der Erzählung hinweg. Dazu mutet die ‚Wahrheit‘ über das sagenumwobene St.-Michaels-Schwert fast schon lächerlich an.

„Riptide“ ist bei weitem kein schlechter oder gar langweiliger Thriller, aber das Thema der Schatzsuche verlangt eher nach einem trivialen Abenteuerroman als nach dem gewohnten wissenschaftlichen Stil der Autoren.

Die Autoren Douglas Preston und Lincoln Child haben sowohl einzeln als auch gemeinsam mehrere Thriller geschrieben, die lange die Bestsellerlisten anführten. Mit „Das Relikt“ ist ihnen ein großer Erfolg gelungen und die filmische Umsetzung hat ihre Bekanntheit noch weiter gefördert. Während Child ursprünglich aus dem Verlagswesen und später der Rechercheabteilung einer Lebensversicherung stammt, hat Preston Universitätsabschlüsse in Mathematik, Biologie, Physik, Anthropologie, Chemie, Geologie, Astronomie sowie englischer Literatur und ist Mitglied mehrerer Forschungsgruppen … Sein Bruder Richard hat mit „Hot Zone“ und „Cobra“ ebenfalls zwei hochklassige Thriller produziert, die dem Stil von Preston/Child sehr ähnlich sind.

Archer, Jeffrey – elfte Gebot, Das

Die zehn Gebote der Bibel sind hinlänglich bekannt. Ein Verstoß gegen eines oder alle von ihnen ist für CIA-Agenten nicht weiter tragisch, jedoch gibt es da noch das elfte Gebot: Lass dich nicht erwischen! Wie soll man das allerdings schaffen, wenn der Agent von der CIA selbst verraten und verkauft wird?

Conner Fitzgerald ist ein NOC – ein nichtoffizieler Cover-Agent der CIA. Kurz vor der Präsidentschaftswahl in Kolumbien führt er seinen Auftrag aus: die Ermordung des favorisierenden Kandidaten Ricardo Guzman. Fitzgerald, der kurz vor seiner Versetzung in den Innendienst steht, ahnt nicht, dass die Direktorin der CIA, Helen Dexter, in diesem Fall eigenmächtig gehandelt hat.

Als der Präsident der Vereinigten Staaten, Tom Lawrence, von dem Attentat erfährt, stellt er Dexter zur Rede, die eine Beteiligung der CIA abstreitet. Lawrence, der die Chance wittert, die ihm unangenehme Frau loszuwerden, verlangt Beweise und setzt selber den ehemaligen stellvertretenden Direktor Chris Jackson auf den Killer an.

Fitzgerald wird damit zur Gefahr für Dexter. Sie verbaut ihm seinen neuen Job, schickt ihn nach Russland, um dort erneut einen Präsidentschaftskandidaten namens Viktor Zerimskij zu eliminieren, und liefert ihn an die Russen aus, wohl wissend, dass der Agent zum Tode verurteilt wird, sollte Zerimskij zum Präsidenten gewählt werden – was auch prompt geschieht.

Seine einzige Hoffnung liegt nun auf seinem langjährigen Freund Jackson, der die Absichten der CIA-Chefin durchschaut und sich schließlich an die russische Mafia wendet, um mit deren Hilfe Fitzgerald zu befreien. Doch auch die Mafia tut nichts umsonst.

„Das elfte Gebot“ besagt Folgendes: Der amerikanische Präsident darf alles, wenn es dem Land dient, was natürlich auch seiner Einschätzung unterliegt. Die CIA darf morden, weil’s eine Geheimorganisation ist. Fitzgerald, der irgendwie an James Bond erinnert, ist sowohl ein eiskalter Killer als auch ein treusorgender, liebevolle Familienvater und Ehemann, ein wegen Tapferkeit ausgezeichneter Held aus dem Vietnamkrieg und natürlich der allerbeste Mann der CIA, der ungerechterweise bei einem Auftrag für sein Vaterland verraten wird. Der russische Präsident ist ein Stalin-Imitator, der skrupellos die Diktatur einführt und Russland zu einer gefürchteten Staatsmacht führen will. Die Mafia ist genau das, was wir aus unzähligen Filmen kennen: eine Familie, deren Dienste immer einen hohen Preis haben und die alle ‚arbeitssuchenden‘ Jugendlichen bereitwillig aufnimmt.

Für mich ein bisschen zu viele Klischees, derer sich der Autor Jeffrey Archer hier bedient, deswegen kann ich das Buch auch nur eingeschränkt empfehlen. Lesenswert ist es aufgrund eines ausgezeichneten Erzählstils, der einen optimalen Spannungsbogen schlägt und den Leser zu fesseln weiß. Auch die ‚böse‘ CIA-Chefin ist durchaus unterhaltsam, genauso wie das Hin und Her zwischen ihr und dem Weißen Haus. Mein Lieblingscharakter ist jedoch ein kleiner russischer Junge, der mit einem Anruf bei seiner Mutter die Mafia ins Spiel bringt, was mal wieder beweist: Die Mafia kennt jeden!

Wer also über die erwähnten Minuspunkte hinwegsehen kann oder sie mit Humor hinnimmt, der wird mit „Das elfte Gebot“ einen spannenden Thriller in die Hand bekommen, allen anderen ist dann doch eher von der Lektüre abzuraten.

Der britische Autor Jeffrey Archer (geb. 1940) wurde mit 29 Jahren Abgeordneter der Conservative Party und begann damit sein Politiker-Dasein. Sein Lebenslauf umfasst die unterschiedlichsten Stationen: Er war professioneller Bodybuilder, BBC-Rugbykommentator und auch Sportlehrer an einer Privatschule. Er war bei der Armee und bei der Polizei, besaß zeitweilig eine Kunstgalerie und ein Theater. Nach Fehlschlägen bei Börsenspekulationen stieg er aus der Politik aus und schrieb 1974 seinen ersten Roman „Not a Penny More, Not a Penny Less“, der in 17 Ländern ein Erfolg wurde. 1992 wurde er in den Adelsstand zum Baron Archer of Weston-super-Mare erhoben. Mittlerweile gilt er als der schillerndste und zwielichtigste Schriftsteller Englands und saß seit 2000 einige Jahre wegen Meineides im Gefängnis. Jeffrey Archer lebt zurzeit in Lambeth (London) und in The Old Vicarage im Dorf Grantchester bei Cambridge. Er ist verheiratet und hat zwei Söhne.

Bibliographie deutschsprachiger Ausgaben:

– „Es ist nicht alles Gold, was glänzt“ (1974, dt. 1984)
– „Kain und Abel“ (1980, dt. 1981)
– „Abels Tochter“ (1982, dt. 1983)
– „Das Attentat“ (1977, dt. 1986)
– „Rivalen“ (1984, dt. 1985)
– „Ein Mann von Ehre“ (1986, dt. 1987)
– „Der Aufstieg“ (1991, dt. 1991)
– „Die Stunde der Fälscher“ (1993, dt. 1994)
– „Imperium“ (1996, dt. 1998)
– „Das elfte Gebot“ (1998, dt. 2000)

http://www.bastei-luebbe.de

Rice, Anne – Merrick oder Die Schuld des Vampirs

Und die wohl berühmtesten Vampir-Chroniken werden fortgesetzt …

Im achten Band der Vampir-Chronik verbindet Anne Rice zum ersten Mal direkt die Geschichten um Louis und Lestat mit der Saga um die Mayfair-Hexen. Die Geschichte wird erzählt von David Talbot, dem ehemaligen Generaloberst der Talamasca. Die Talamasca sind ein wohl tausend Jahre alter Orden übersinnlicher Detektive, die Wesen wie Vampire, Hexen oder auch Geister beobachten und überwachen. David tauchte zum ersten Mal in „Königin der Verdammten“ auf, wo er als Generaloberst der Talamasca vorstand. Obwohl über siebzig und schwer krank, lehnte David Lestats Angebot, ihn unsterblich zu machen, ab. In „Nachtmahr“ half er dann Lestat dabei, seinen Körper wiederzubekommen (Lestat tauschte seinen mächtigen Vampirkörper mit einem übersinnlich veranlagten Mann. Dieser hatte jedoch nicht die Absicht, Lestats Körper zurückzugeben). Lestat dankte David für seine Hilfe, indem er ihn gegen seinen Willen in einen Vampir verwandelte. In „Merrick oder die Schuld des Vampirs“ bittet nun Louis de Pointe du Lac David um Hilfe. Er möchte mit dem Geist seiner Tochter und Geliebten Claudia in Verbindung treten, die in „Interview mit einem Vampir“ auf so grausame Weise vernichtet wurde. Louis plagen starke Schuldgefühle, weil er Lestat dabei geholfen hatte, das Vampirkind zu erschaffen und später nicht in der Lage war, sie zu retten. Er hat Angst, dass Claudia als ruheloser Geist herumirrt und wegen seiner Fehler keinen Frieden finden kann. Um Louis zu helfen, wendet David sich an Merrick Mayfair. Merrick, ein Mitglied des farbigen Teils der riesengroßen Mayfair-Familie, ist eine Hexe mit außergewöhnlichen Fähigkeiten und zudem eine ausgebildete Vodooo-Priesterin. Unter anderem besitzt sie die Fähigkeit, Geister zu beschwören. Früher war David Merricks Vorgesetzter, Vaterfigur und für kurze Zeit ihr Geliebter. Auf Bitten von David und Louis führt Merrick schließlich ein Ritual durch, um den Geist von Claudia zu beschwören. Doch wie Merrick schon sagte : „Ein Geist kann denen, die ihn rufen, fürchterliche Dinge sagen, und hier geht es um den Geist eines Monsterkindes, das gewaltsam gestorben ist!“

„Merrick“ ist einer der weniger gelungenen Romane von Anne Rice. Die Lebensgeschichte von Merrick ist zwar durchaus fesselnd und die Beschreibung der Voodoo-Rituale und Geisterbeschwörungen sind ziemlich überzeugend. Auch die Idee einer Verbindung zwischen den beiden Romanreihen (Vampir-Chronik und Mayfair-Saga) wurde gut umgesetzt. Durch die Wahl eines Mitglieds des farbigen Zweigs der Mayfair-Familie, das mit den Hexen aus der Triologie zwar entfernt verwandt ist, aber mit diesen im Grunde genommen nichts zu tun hat, bieten sich vielfältige Möglichkeiten, die Anne Rice zum Teil auch aufgreift. Jedoch verliert die Geschichte schnell an Schwung. Durch die Wahl von David als Erzähler der Geschichte fehlen wichtige Einblicke in die Gefühle der anderen Figuren. Die Handlungen von Merrick und Louis sind deshalb ziemlich sprunghaft und zum Teil überhaupt nicht nachvollziehbar. Wer eine Weiterentwicklung der Vampir-Chronik erwartet, wird zwar nicht entäuscht, aber leider findet dies erst auf den letzten hundert Seiten statt. Da David die Geschichte erzählt, aber die Veränderung Merrick und Louis betrifft, erfährt man zwar was passiert, leider jedoch nicht warum. Für Fans der Serie ist Merrick sicherlich lesenswert, aber trotz allem ziemlich unbefriedigend.

Homepage der Autorin: http://www.annerice.com/

Wolfgang Hohlbein – Dunkel

Wolfgang Hohlbein ist ein geradezu schreibbesessener Geschichtenerzähler – zu einem wirklichen Literaten und Künstler des geschriebenen Wortes hat es nie gereicht, aber wenn man sich darauf einstellt und den Geschichten selbst hingibt, nimmt man ihm dieses Manko auch nicht übel. Immerhin hat er es mit den Jahren geschafft, die beständige Nutzung abgeschliffener Phrasen und dramaturgischer Wortplattitüden einzudämmen. Dass bei der enormen Masse an Veröffentlichungen nicht viel Muße für literarische Feinheiten bleibt, ist nachvollziehbar – weit über 200 Bücher in 20 Jahren Schreibtätigkeit zeugen von einem beeindruckenden Schaffensdrang. Hohlbein geht es nicht um eloquente Satzkonstruktionen oder ausgefeilte Wortgebilde, sondern um die Geschichten; und dass er diese ansprechend zu präsentieren weiß, zeigt sein für deutsche Autoren erstaunlicher Erfolg. Natürlich ist es schon etwas verwunderlich, wie es zu dieser allgemeinen Beachtung kommen konnte, da auch seine Geschichten unter dramaturgischen Schwächen leiden, sich die Ideen gern wiederholen und so manches Werk rein kommerziell motiviert ist, aber nehmen wir Hohlbein einfach hin wie er nun einmal als Autor ist, gönnen ihm den Erfolg seines Schaffens und gestehen ihm die herausragende Stellung in der Autorengemeinde zu – und gerade durch seinen schlichten Stil gelingt es ihm in besonderem Maße, Kinder und Jugendliche für die phantastische Literatur zu interessieren, was ich ihm sehr zugute halten möchte.

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Rice, Anne – Interview mit einem Vampir

Anne Rice, am 4. Oktober 1941 in New Orleans geboren, schreibt nach dem Tod ihrer Tochter Michele durch Leukämie in nur fünf Wochen den Roman „Interview with the Vampire“.
In dem 1974 in den USA veröffentlichten Roman verliert der junge Plantagenbesitzer Louis de Pointe du Lac durch ein Unglück seinen Bruder und mit ihm auch seine Freude am Leben. Voller Selbstzerstörungswut fällt er im Jahre 1791 dem Vampir Lestat de Lioncourt in den Straßen von New Orleans zum Opfer. Aus eigennützigen Gründen verwandelt Lestat Louis in einen Vampir. Anfangs von Lestat und dem Leben als Vampir beeindruckt, erkennt Louis schnell, wie schrecklich das Leben als Vampir ist, wenn man wie er Skrupel hat zu töten. Um Louis an sich zu binden, verführt Lestat ihn dazu, mit ihm zusammen die fünfjährige Claudia in einen Vampir zu verwandeln.
Zusammen ‚leben‘ die drei Vampire anfangs glücklich in New Orleans, bis Claudia bewusst wird, dass sie auf ewig in einem Kinderkörper gefangen ist, der niemals erwachsen werden kann. Dafür beginnt sie ihre beiden ‚Väter‘ zu hassen. Für ewig auf die Hilfe eines anderen Vampirs angewiesen, benutzt sie Louis, um Lestat zu beseitigen. Vergiftet und ausgeblutet werfen sie Lestat in die Sümpfe, in der trügerischen Hoffnung, ihn so für immer losgeworden zu sein. Jedoch ist es gar nicht so einfach, einen Vampir wie Lestat zu vernichten.

Anne Rice‘ Erstlingswerk wird 1978 unter dem Titel „Schule der Vampire“ vom Claasen-Verlag erstmals in Deutschland veröffentlicht. Insgesamt vier weitere Auflagen folgen: zunächst 1989 beim Ullstein-Verlag und 1992 beim Goldmann-Verlag unter dem Titel „Gespräch mit einem Vampir“, und nach der Verfilmung mit Brad Pitt und Tom Cruise 1994 wird es im selben Jahr ebenfalls beim Goldmann-Verlag unter dem selben Titel wie der Film, „Interview mit einem Vampir“, veröffentlicht. 2003 erscheint dann die neueste Auflage auch wieder im Goldmann-Verlag.

Da ursprünglich keine weiteren Vampir-Romane geplant waren, ist „Interview mit einem Vampir“ ein abgeschlossener Roman, denn erst der große Erfolg in den USA veranlasste Anne Rice, daraus eine ganze Reihe zu machen. Durch diesen Roman entstand (in den USA) ein neues Feld der Literatur: New Gothic. Erstmals in der damaligen Literatur wird die Geschichte aus der Sicht des Vampirs dargestellt. Man erfährt von der Zerissenheit zwischen der Sehnsucht nach der verlorenen Menschlichkeit und der Sucht nach dem Gefühl und der Macht, die darin liegt, einen Menschen zu töten und über sein Blut seine Lebenskraft in sich aufzusaugen. Schnell vergisst man die mörderischen Monster, die sie ja eigentlich sind, und sieht nur noch ihr allzu menschliches Streben nach Liebe, Wissen und einem Sinn im Leben.
Ein sehr gelungener und packender Roman, bei dem es wirklich schwer fällt, ihn aus der Hand zu legen, bevor man die letzte Seite gelesen und somit alles über Louis, Lestat und Claudia erfahren hat. Vor allem macht gerade dieser erste Teil der Vampir-Chronik süchtig – süchtig nach mehr.

Homepage der Autorin: http://www.annerice.com

Koontz, Dean R. – Schattenfeuer

Rachael Leben steckt mitten in den Scheidungsverhandlungen, als ihr Noch-Ehemann Eric, ein Experte auf dem Gebiet der Genetik, nach einem Streit mit ihr direkt vor ein Auto läuft und ums Leben kommt.
Den Schock noch nicht ganz überwunden, erfährt sie, dass Erics Leiche aus dem Leichenschauhaus verschwunden ist – eine Tatsache, die angesichts der ausgezeichneten Sicherheitsvorkehrungen schlichtweg unmöglich ist.
Doch Rachael ahnt, was passiert ist und fürchtet nun um ihr Leben, denn sie kennt das geheime Projekt, an dem Eric und seine Mitarbeiter bei Geneplan arbeiteten: Die Verlängerung des Lebens durch Genmanipulation. Als die getöteten Versuchstiere wieder lebendig wurden, führte Eric die Genveränderung an sich selbst durch und ist nun wieder von den Toten auferstanden – aggressiver und hassvoller als je zuvor. Mit den Nebenwirkungen hat er allerdings nicht gerechnet: Sein Körper erholt sich innerhalb weniger Stunden von den Unfallfolgen, doch das Zellenwachstum hört nicht auf; die Zornesausbrüche und die Zerstörungswut werden immer animalischer. Hin- und hergerissen zwischen Menschsein und Tierwerden konzentriert sich sein Hass nur noch auf seine Frau.

Rachael und ihr Freund Ben Shadway nehmen die Jagd nach ihm auf, um ihn zurück ins Jenseits zu befördern, und werden dabei selbst verfolgt. Die Regierung weiß ebenfalls von dem Projekt und will es unter ihre Kontrolle bringen, denn wer Unsterblichkeit vergeben kann, hat die ganze Menschheit in seiner Gewalt.
Anson Sharp, der stellvertretende Direktor der Defense Security Agency, nimmt den Fall gerne in die Hand. Da er mit Ben noch eine Rechnung zu begleichen hat, plant er statt einer Verhaftung den Tod der Beiden.
Rachael und Ben bleibt nur die Chance Eric gefangen zu nehmen und mit ihm als „lebendem“ Beweis das Projekt an die Öffentlichkeit zu bringen, um ihr eigenes Leben zu retten.

Wer Dean R. Koontz kennt, weiß genau, dass eine unheimliche Story noch längst nicht alles ist, was der Autor zu bieten hat. Seine Charaktere wirken durch die exakt ausgearbeiteten Hintergründe und eine psychologisch angehauchte Analyse ihrer Taten und Gedanken wie aus dem Leben gegriffen. Der Leser wird stückchenweise in die tiefen Abgründe der Geschichte geführt, die immer wieder mit Überraschungen aufwartet und in einem sehr flüssigen und irgendwie auch ästhetischen Stil geschrieben ist.
Koontz versteht es, seinen Lesern unvermittelt eine Gänsehaut aufzudrücken, nur um sie dann wieder schmunzeln zu lassen. Und irgendwann während der Lektüre schaut jeder wohl mal in die dunklen Ecken seines Zuhauses – nur zur Sicherheit.
Auch „Schattenfeuer“ macht da keine Ausnahme und brilliert zusätzlich noch mit beängstigenden Zukunftsvisionen, die die Frage aufwerfen: Lohnt sich Unsterblichkeit wirklich?
Für alle Grusel- und Horror-Fans sowieso ein ultimatives Muss, allein schon wegen der Beschreibung von Erics Veränderungen! Für alle anderen: Spannung ist von der ersten bis zur letzten Seite garantiert, und erst beim Gruseln spürt man doch wirklich, dass man lebt…

Dean Ray Koontz wurde 1946 in Bedfort, Pennsylvania geboren und gewann mit 20 Jahren bereits den ersten Platz bei einem Schreibwettbewerb. Er besuchte das Shippensburg State Teachers College, heiratete 1966 und lebt heute mit seiner Frau in Orange County / Kalifornien. Seine Bücher erreichten eine Weltauflage von über 100 Millionen Exemplaren in 18 Ländern. Mehrere seiner Romane schafften es in die Bestsellerlisten.
Gerade neu erschienen ist „Der Geblendete“.

[Homepage des Autors]http://www.randomhouse.com/bantamdell/koontz/index.html

Senf, Bernd – Wiederentdeckung des Lebendigen, Die

Ein Wort vorweg: Die Buchbesprechung ist aufgrund der Komplexität des Themas etwas ausführlicher geraten, zudem ist dieser Themenkomplex den wenigsten vertraut, so dass ich einen etwas genaueren Überblick über dieses Gebiet für angebracht halte.

Im Titel „Die Wiederentdeckung des Lebendigen“ stecken bereits zwei Grundannahmen: Zum einen, dass der Begriff des Lebendigen weiträumig aus unserer menschlichen Wahrnehmung von Realität verschwunden ist. Zum zweiten, dass den scheinbar neuen Ansätzen nicht so sehr die Rolle eines Neuansatzes zukommt als vielmehr die archäologische Funktion, altes und verschüttetes Wissen wieder freizulegen.

Beiden Thesen und noch einigen mehr geht Bernd Senf, Professor für Ökonomie, Reich-Kenner, Lebensenergieforscher und Bioenergetiker, in seiner populärwissenschaftlichen Publikation nach, die bereits 1996 im Verlag Zweitausendeins erschien. In seiner Einleitung stellt er Kernproblemzonen heraus und führt zugleich die Hauptthesen an, um deren Erläuterung und Darstellung es nachfolgend gehen wird.
Er betrachtet die zivilisatorisch erkrankte Menschheit – körperlich wie ‚feinstofflich‘ –, die kippende Atmosphäre, unsere gleichermaßen kranke Ökologie und interessanterweise auch Ökonomie, die ebenso wie die erstarrten Wissenschaften lediglich Ausdruck tiefer liegender Blockierungen, einer ‚ängstlichen‘ Kontraktion sind. Diese äußern sich bei Lebewesen in einem durch Außendruck erzeugten blockierenden Muskel- und Charakterpanzer, einem Begriffsfeld, dessen gar nicht so abwegige Bildhaftigkeit sich überdies sehr effizient auf analoge Prozesse in den oben genannten Bereichen übertragen lässt. Somit sieht Prof. Senf in Tradition früherer Forscher, auf die ich noch eingehen werde, hier auch den Ansatz für Lösungsfindungen: In der Auflösung dieser bioenergetischen Blockaden. Seine Hauptarbeit in diesem Buch besteht darin, Forschungen lang ‚übersehener‘ Entdecker darzustellen und zu verdeutlichen, dass es bei aller scheinbaren Verschiedenheit offenbar Überschneidungspunkte und Identitäten in den Arbeiten gibt, die sich zu einem größeren, effektiveren und solideren Ganzen zusammenfügen lassen.

Die Verschüttungsprozesse solchen Wissens muss man gar nicht allzu lang in der Vergangenheit suchen, sie beginnen bereits unmittelbar mit der ‚Wiederentdeckung‘ dieser Zusammenhänge im Verlauf des zwanzigsten Jahrhunderts, die geradezu inquisitorische Reaktionen des Etablissements provozierte und zu weitläufiger Zensur und Verfolgung führte. Den direkten Ursprung der Erforschung des Lebendigen bzw. der Lebensenergie kann man wohl in der Orgon-Forschung des vielseitigen Wissenschaftlers Wilhelm Reich suchen, der sich von seinem Lehrer Sigmund Freud lossagte, da sie in ihren Ansätzen unterschiedlicher Meinung waren und Reich bereits die Freudsche These von der „Todessehnsucht“ ablehnte. So setzte er nicht beim Negativen als Wesenskern der Menschen an, sondern beim Positiven fließender, frei strömender und wirbelnder Lebenskraft, deren Erforschung als Therapiebasis er sich fortan widmete und die Ansätze weit über das eigentlich angestrebte Ziel hinaus liefern sollte. Dabei ließ er es nicht mit theoretischen Konstrukten bewenden, sondern erforschte das Lebendige zunächst unter dem Mikroskop, beobachtete seine Patienten, Lebewesen unserer Mitwelt und führte verschiedene Zusammenhänge zur Synthese. Der Vorteil der Reichschen Forschung liegt darin, dass nicht nur unübersehbare Therapieerfolge sowohl auf psychologischer wie auch heilpraktischer Basis – z.B. durch den Einsatz der von ihm erdachten und mittlerweile wieder weiter entwickelten ‚Geräte‘ – zur Untermauerung der Richtigkeit herangezogen werden können, sondern zudem ein theoretisches Modell zugrunde liegt, das in sich sinnvoll und geschlossen ist – ein für die etablierte Wissenschaft wichtiges Kriterium. Aber ähnlich wie damals, als Galilei angeklagt wurde und die kirchlichen Astronomen sich weigerten, durch das noch recht neuartige Teleskop zu blicken, da ohnehin nicht sein kann, was nicht sein darf, so weigern sich die Wissenschaftler im Falle Reichs, seiner Forschung und auch nur seinen Beobachtungen lebender Zellen unter dem Mikroskop nachzugehen. Selbst die Biologen ziehen es vor, sich mit der Analyse zumeist zerschnittenen, sezierten und letztlich abgetöteten Forschungsmaterials zu befassen, um daraus eine Wissenschaft vom Leben etablieren zu wollen – ein recht absurder Gedanke eigentlich. Reichs Theorien und Forschungsresultate zur Biogenese und Orgon-Energie haben neuzeitlich weitere Bestätigung gefunden, und obwohl sie zunächst vor allem für psychotherapeutische und noch mehr für heilpraktische Zwecke nutzbar sind, kann das Grundprinzip sehr weitreichend ausgebaut werden. Sie liefern interessante und ebenfalls experimentell untermauerte Zusammenhänge – durch neuere Forschungen, teils unabhängig von Reichs Arbeit durchgeführt – zum Verständnis der Erkrankung insbesondere der Atmosphäre – und praktische Lösungen zu einer ‚Heilung‘, die eine ausreichend lange Erprobungsphase hinter sich haben, um als bewährt gelten zu können.
Für seine Forschungen wurde er, wie schon erwähnt, ausgegrenzt und verfolgt; was in Deutschland in der Auseinandersetzung mit der Vereinigung der Psychoanalytiker zusammenhängen dürfte und mit Analysen wie seinem erstaunlich weitsichtigen Werk „Massenpsychologie des Faschismus“. Aber auch in seinem Wahlland USA ging es ihm nicht besser: Seine Orgon-Theorie wurde per Gesetz verboten, das Gericht stellte amtlich fest, dass irgendeine „Lebensenergie“ nicht existiere und man verfasste, dass Reichs Werke zu vernichten und aus dem Verkehr zu ziehen seien. Da Reich weiterhin seine Thesen publizierte, wurde er inhaftiert, und er starb zwei Jahre darauf im Gefängnis.

Nicht wesentlich anders erging es Viktor Schauberger, der beispielsweise von den Nazis in einem Gefangenenlager zur Forschung gezwungen wurde und letztlich innerlich gebrochen verstarb, als ihn skrupellose amerikanische Geschäftsleute nach Ende des Krieges schamlos ausnutzten und vertraglich knebelten. Schauberger beobachtete die Natur und kam zu dem Schluss, dass ein Fließen und Verwirbeln allem Lebendigen und allen energetischen Lebensprinzipien zugrunde liegt. Dies deckt sich interessanterweise mit Beschreibungen jener Physiker, die sich der Vakuum- bzw. Nullpunktenergie widmen, dem weitest verbreiteten Ansatz für den Bereich der so genannten „Freien Energie“; bei Kenntnis entsprechender Sekundärliteratur stellen sich ohnehin erhebliche Überschneidungen und Ähnlichkeiten heraus zwischen Freier Energie und der Erforschung der Lebensenergie – vermutlich liegen beiden Ansätzen ähnliche Realitäten zugrunde. Schauberger war wie die meisten Forscher dieser Richtungen mehr Pragmatiker als Theoretiker und konstruierte verschiedene Maschinen vornehmlich zu dem Zwecke, gestörtes Gleichgewicht in Gewässern und Böden wieder herzustellen, und seine Methoden erwiesen sich als äußerst wirkungsvoll.

Mit ähnlichen Zielen ging Roland Plocher zu Werke, dessen Energiesystem zur bioenergetischen Heilung von Böden und Gewässern einige Aufmerksamkeit auf sich zog und höchst effektiv eingesetzt werden kann. Georges Lakhovsky, Paul Schmidt und Arno Herbert konzentrierten sich auf die Schwingungs- und Resonanzaspekte lebender Systeme, und auch ihre Arbeit wird ausführlich vorgestellt sowie in Zusammenhang gebracht. Letzter Forscher, dem ein eigenes Unterkapitel gewidmet wurde, ist Dieter Knapp, der die Energie- und Strahlungsfelder untersucht hat, die lebende Systeme abstrahlen und die sich problemlos zum Test der Gesundheitsverträglichkeit und Wirksamkeit nutzen lassen, ohne Patienten oder Tiere als Versuchskaninchen zu missbrauchen.

Im letzten Schwerpunktbereich „Die historische Verschüttung des Lebendigen“ kommt Bernd Senf auf ein Thema zu sprechen, bei dem er als Ökonomieprofessor fundierte Fachkenntnis aufzuweisen hat. In einer Analyse von Kulturen, Herrschaftsstrukturen, Wirtschaftssystemen sowie Wissenschafts- und Glaubensdogmen stellt er heraus, wie es zum einen zur Verschüttung der Wahrnehmung des Lebendigen und zum andren zu einer zivilisatorischen Komplettpanzerung und Erstarrung in vielen Formen kommen konnte. Dabei geht Prof. Senf nicht gerade zimperlich ins Gericht mit allerlei lebensfeindlichen Grundhaltungen und Institutionen.

Der Schreibstil ist sehr gut verständlich und angenehm zu lesen. Sowohl von fachlicher Seite als auch wegen der verschiedenen Hintergrundinformationen sowie der Zweiteilung in den Themenschwerpunkten bleibt „Die Wiederentdeckung des Lebendigen“ durchweg eine faszinierende Lektüre. Die komprimierte Faktendarstellung eignet sich hervorragend, um zum Themenkomplex der Lebensenergieforschung einen Zugang zu bekommen, die weitreichende Gesamtanalyse bietet darüber hinaus faszinierende Möglichkeiten, hält aber auch so einiges bereit, das uns erschrecken und ermahnen sollte. In dem hier aufgezeigten Bereich sollte erheblich mehr geforscht werden; warum sich dies aber als so schwer herausstellt, wird ebenfalls im Buch aufgezeigt. Über reines Faktenwissen und interessante Modelle hinaus finden Heilpraktiker und an Heilkunde interessierte Laien in diesem Buch viele Praktiken und Anwendungen, die mit wenig Aufwand selbst überprüft und verwendet werden können; so enthält der Anhang z.B. eine Bauanleitung für Orgon-Akkumulatoren.
Der Band von knapp 400 Seiten Hardcover wird ergänzt durch 125 schwarz-weiße Abbildungen, acht Farbtafeln, ein umfassendes Literaturverzeichnis, eine Adressinformation, ein Register sowie eine Liste zusätzlicher Anmerkungen.

Grobes Inhaltsverzeichnis:

1. Einführung
1.1. Krankheit und Heilung
1.2. Die Verschüttung und Wiederentdeckung des Lebendigen
1.3. Die Angst vor dem spontanen Fließen

2. Die innere Bewegung des Lebendigen
2.1. Sigmund Freuds Tragik
2.2. Wilhelm Reich: Entdeckung des biologischen Kerns

3. Mein eigener Weg zu Reich

4. Die Wiederentdeckung des Lebendigen
4.1. Wilhelm Reich: Erforschung der Lebensenergie
4.2. Viktor Schauberger: Mit der Natur bewegen
4.3. Georges Lakhovsky: Bioenergetische Schwingung und Resonanz
4.4. Paul Schmidt: Schwingung und Heilung
4.5. Roland Plocher: Bioenergetische Heilung kranker Gewässer und Böden
4.6. Arno Herbert: Übertragen und Kopieren von Schwingungen
4.7. Dieter Knapp: Lebensenergie sichtbar gemacht

5. Die historische Verschüttung des Lebendigen
5.1. Lebensenergetisches Wissen und liebevolle „Kulturen“
5.2. Die ethnologische Wiederentdeckung des Lebendigen: Die Trobriander
5.3. Patriarchat: Sexualunterdrückung und Gewalt
5.4. James DeMeo: Die Saharasia-These
5.5. Kapitalismus und Kolonialismus: Gewaltwellen aus Europa
5.6. Historische Wurzeln der Bevölkerungsexplosion
5.7. Rationalismus und mechanistisches Weltbild
5.8. Herrschende Wissenschaft, Technologie und Verwertungsinteresse
5.9. Moderne Physik – Grundlage eines ökologischen Weltbilds?

6. Zusammenfassung

7. Innere und äußere Heilung durch Resonanz und Inspiration

Anhang
Anmerkungen
Literatur
Über den Autor
Adressen
Register
Bildnachweise

[Hier]http://www.omega-verlag.de/pdf/wdlk1.pdf gibt es das vollständige Kapitel 1 als Leseprobe im pdf-Format.

[Homepage des Autors]http://www.berndsenf.de

Buchholz, Tonny Vos-Dahmen von – Vom Rentierjäger zum Raubritter

„Vom Rentierjäger zum Raubritter“ beschäftigt sich mit dem Teil der menschlichen Geschichte, die sich von 9000 vor bis 1600 nach Christus abgespielt hat. Also, wie der Titel schon sagt, von der Zeit der Rentierjäger bis zu der der Raubritter. Dabei handelt es sich aber keineswegs um ein trockenes Geschichtsbuch, in dem man keine zwei Seiten am Stück lesen kann, sondern um 15 spannende Geschichten.

Diese Erzählungen orientieren sich meistens an Funden aus der jeweiligen Epoche. So lässt die Autorin Tonny Vos-Dahmen von Buchholz die mögliche Vergangenheit eines Steins, in den ein tanzendes Mädchen eingraviert wurde, wieder lebendig werden, indem sie eine Menge Fantasie und Spannung hinzugibt: Vor den Augen des Lesers lässt sie die vergangene Landschaft wieder auferstehen, in der einst die Rentierjäger lebten und arbeiteten. Sie berichtet von einem Jäger namens Orf, der in ein Mädchen von einer anderen Horde verliebt ist. Aber leider ist es für die beiden nicht so einfach, ein Paar zu werden, denn der Vater von Ena möchte aber lieber Rangi, das erfolgreiche Oberhaupt des Nachbarstammes, als seinen Schwiegersohn sehen. Eines Abends treffen sich Orf und Ena heimlich im Wald, wo sie einander die Treue versprechen und Orf als Zeichen dafür ein Bildnis von Ena in seinen Druckstein ritzt. Als Ena erfährt, dass sie von ihrem Vater an Rangi versprochen worden ist, beschließt sie, sich zu verstecken und zu warten, bis ihre Horde nach der Rentierjagd, die fast ein halbes Jahr dauert, wieder zurückkehren würde. Sie muss nun alleine versuchen zu überleben, damit sie ihr Versprechen an Orf halten kann. Denn Rangi würde bestimmt nicht so lange warten, wenn er nicht einmal wüsste, ob sie noch am Leben ist, sondern sich eine andere zur Frau nehmen. Ena schaffte es auch tatsächlich, den Winter zu überstehen und kann endlich mit ihrem geliebten Orf zusammen sein.

Doch hier liegt auch leider schon der Haken, der ansonsten gelungenen Geschichte: Wenn man am Ende angelangt ist verspürt man immer noch diesen innerlicher Drang weiterzulesen, was aber nicht möglich ist, weil da nichts weiter über Orf, Ena und die anderen Mitglieder der Rentierjägerhorden steht.
Dieses Problem zieht sich durch das ganze Buch, da eigentlich jede der Geschichten zu schnell aufhört. Sei es die Geschichte vom Eichengott, von den heiligen Beilen oder dem Altar für die Göttin Nehalennia – jede einzelne hätte locker ein ganzes Buch füllen können und wäre immer noch spannend gewesen. Als nützlich, aber leider noch weiter spannungshemmend, erweisen sich die historischen Quellenangaben und Museumsempfehlungen, die nach jeder einzelnen Geschichte folgen. Hier wird immer darauf verwiesen, welcher historische Fund der jeweiligen Erzählung zu Grunde liegt und wo man diesen oder ähnliche Dinge finden kann. Dennoch eignet sich dieses Buch eher zur Unterhaltung als zur historischen Bildung, da ja nur wenige Ausschnitte aus der Geschichte angesprochen werden. Außerdem geht es in den Erzählungen mehr um die Lebensweisen des ‚kleinen Mannes‘ und der ‚kleinen Frau‘, weshalb die sonst in der Geschichte relevanten Könige und Jahreszahlen – glücklicherweise – ausgespart werden.

Zu erwähnen ist noch, dass „Vom Rentierjäger zum Raubritter“ den niederländischen Jugendliteraturpreis „Silberner Griffel“ erhalten hat, was aber nicht bedeutet, dass das Buch nur von Jugendlichen gelesen werden kann. Die Sprache ist zwar so gewählt, dass sie auch für die Jüngeren verständlich ist, artet aber noch lange nicht in naives Kindergeplapper aus, weshalb das Buch auch noch für ‚große‘ Abenteurer geeignet ist.

Fazit also: Ein gutes, spannendes und einfach geschriebenes Buch, aus dem aber noch viel mehr hätte werden können.