Archiv der Kategorie: Fantasy / Science-Fiction

Paxson, Diana L. – Herrin vom See, Die (Artor 1)

Diane L. Paxson, die viel mit Marion Zimmer-Bradley zusammengearbeitet hat, hat auch eine eigene Version der Artussage veröffentlicht.

Der erste Band „Die Herrin vom See“ beginnt weit vor Artus‘ Zeit, als die Sachsen gerade beginnen, Britannien zu erobern. Er erzählt davon, wie zwei Frauen zwei besondere Kinder zur Welt bringen. Die eine gebiert ein Mädchen, dem sie den Namen Igraine gibt. Ihr ist es bestimmt, einst Herrin vom See zu werden wie ihre Mutter, nachdem sie den König geboren hat, der Britannien einen und befrieden soll. Das andere Kind ist ein Junge, unter geheimnisvollen Umständen gezeugt und mit außergewöhnlichen Fähigkeiten begabt. Getauft wurde es Ambros, doch berühmt wurde es unter dem Namen Merlin. Er erzählt von Vitalinus und Uther, in deren Diensten Merlin als Seher stand, von ihren vergeblichen Versuchen, Britannien gegen die Sachsen zu verteidigen, und von Merlins Beziehung zu Artus, der in Unkenntnis seiner Herkunft bei Zieheltern aufwächst, bis er auf einer Versammlung, die nach Uthers Tod den neuen Hochkönig wählen soll, aus Versehen das Schwert aus dem Stein zieht.

Der zweite Band „Die Herrin der Raben“ fängt etwas früher an, als der erste Band endet. Oesc, ein junger Sachse, dessen Vater und Großvater bereits gegen Vitalinus und Uther kämpften, kommt mit seinem Vater und der Sippe seiner Mutter nach Britannien, weil seine Heimat vom Meer überflutet wird. In seiner ersten Schlacht gerät er in Artus‘ Gefangenschaft und wird von ihm als Geisel behalten. Der frischgebackene Hochkönig und der junge Sachse freunden sich an. Dann stirbt Hengest, Oescs Großvater. Sein Vater ist in einer Schlacht gegen Uther gefallen. Artus schickt Oesc zu seinem Volk zurück, damit er Hengests Thron besteigt, und er kommt sogar zu seiner Hochzeit. Doch einer seiner britischen Fürsten ist unzufrieden damit, wie Artus mit den Sachsen umgeht. Er raubt Oescs junge Frau und seinen kleinen Sohn und entführt sie. Das hat einen blutigen Aufstand zur Folge.

Der dritte Band „Die Herrin von Camelot“ beginnt nach diesem Aufstand. Nachdem die Sachsen nun großteils befriedet sind, denkt Artus daran, eine Königin zu küren. Seine Mutter, die Herrin vom See, weiß, welches Mädchen ihm bestimmt ist, und so heiratet Artur Gwendivar. Aber seine Schwester Morgause, die seit ihrer Kindheit eifersüchtig auf ihren Bruder ist, hat an einem der hohen Feste der Kelten in einer rituellen Vereinigung einen Sohn von ihm empfangen und zur Welt gebracht. Mit vollem Bedacht offenbart sie ihrem Bruder dies unmittelbar vor der Hochzeitsnacht. Artus ist so entsetzt, dass er sich nicht in der Lage sieht, seine Frau anzurühren. Aber nicht nur, dass Morgause vorhat, ihren Sohn zu einer Waffe gegen Artus zu machen, sie will außerdem erreichen, dass ihre Mutter sie endlich in ihr Erbe einweiht, die Geheimnisse der Herrin vom See. Sie will oberste Priesterin und Hochkönigin sein!

Der letzte Band „Die Herrin der Insel“ erzählt, wie Modred an Artus‘ Hof kommt, wie Artus, einem alten Eid Folge leistend, nach Gallien aufbricht und dort jahrelang gegen die Franken kämpft, bis ihm in Britannien fast seine Herrschaft abhanden kommt, und von dem endgültigen Kampf, der nach seiner Rückkehr in Großbritannien entbrennt.

Die Artussage ist unzählige Male nacherzählt worden, in allen möglichen Variationen von 0815-Fantasy bis zu fast historisch anmutenden Romanen. Der berühmteste dürfte „Die Nebel von Avalon“ sein, an dem die Autorin selbst mitgearbeitet hat. Diese Reihe unterscheidet sich grundlegend von allen anderen. Die meisten Erzählungen lassen entweder den historischen Hintergrund völlig außer Acht, oder sie erzählen die Geschichte in Anlehnung an die berühmten Dichtungen von Geoffrey of Monmouth und Chrétien de Troyes. Diese wurden gegenüber den historischen Berichten, die es zu diesem Thema gibt, jedoch um einiges erweitert, unter anderem um den Begriff der Tafelrunde und die Gralssage, sowie einige Personen, zu denen unter anderen auch Ritter Lancelot gehört. Das in diesen Dichtungen beschriebene Umfeld von Turnieren und Minne, verewigt in den Geschichten von Gwendivar und Lancelot sowie Tristan und Isolde, entspricht somit eher der hochmittelalterlichen Zeit der Verfasser als der, in der die Geschichte tatsächlich spielt, nämlich zur Zeit der Völkerwanderung. Diana Paxson hingegen hat sich in ihrer Version die Artussage von den durch die Dichtung schon fast zur Symbolik überhöhten Idealen losgelöst, sie sozusagen auf ihre Ursprünge reduziert. Ihr Camelot ist keine großartige Burg, sondern eine eisenzeitliche Festung, eine mit Mauern umgebene und durch Palisaden geschützte Ansammlung von mit Riet gedeckten Rundhütten, deren größte die Versammlungshalle ist. Das einzige „Turnier“, von dem sie berichtet, ist lediglich eine Reihe von Zweikämpfen zu Fuß, die sozusagen als Entspannungsübung zwischen die Sitzungen einer Ratsversammlung geschoben wurden, und in einem alten römischen Amphitheater stattfinden. Die hochmittelalterliche Minne ist in der stillen Verehrung Gwendivars durch Bediver, Artus‘ besten Freund, lediglich vage angedeutet. Dementsprechend ist hier nicht das Schicksal schuld an Artus‘ Ende, auch nicht Gwendivars Ehebruch mit Lancelot oder die Auflösung der Tafelrunde durch die Suche nach dem Gral, sondern schlicht und ergreifend eine Revolution, angezettelt von einem ehrgeizigen Mann, der Artus‘ Thron und Frau will.

Das Hauptaugenmerk ruht dadurch auf dem Ablauf des Geschehens an sich, was nicht heißen soll, dass es eine pure Auflistung von verschiedenen Schlachten ist. Der Erzählverlauf ist vielmehr großteils von derjenigen Person abhängig, aus deren Sicht erzählt wird. Im ersten Band wird hauptsächlich aus Merlins Sicht und später gelegentlich auch aus der Igraines erzählt, und so umfasst er außer dem eigentlichen Erzählstrang, wie es zu Artus‘ Geburt und Königtum kam, auch einiges über den geheimnisvollen Zauberer Merlin und das Schwert Excalibur. Der zweite Band zeigt durch seinen Helden Oesc die Sachsenkriege hauptsächlich aus der Sicht der Sachsen und beleuchtet gleichzeitig die Anfangszeit von Artus‘ Regierung und die Entstehung der engen Freundesclique um ihn, die aus seinem Halbbruder Gai, Oesc, dem Bretonen Bediver und dem Iren Cunorix sowie Morgauses älteren Söhnen besteht. Im dritten Band stehen Gwendivar und Morgause im Vordergrund. Hier teilt sich die Erzählsicht zum ersten Mal spürbar in zwei Stränge: den um die unerfüllte Ehe von Gwendivar und ihrem Bemühen, ihren Platz als Königin vor allem vor sich selbst zu finden, und den von Morgause, die sich in ihrer Machtgier an die Pikten wendet, um deren Magie zu erlernen, und gegen Artus intrigiert. Diese Splittung setzt sich im letzten Band noch fort, der zwar großteils aus der Sicht von Modred und Gwendivar erzählt ist, aber oft auch Absätze von Merlin, Morgause und Artus aufweist. Durch die starke Gewichtung der eigentlichen Ereignisse tritt aber nicht nur die tragisch-romantische Sicht in den Hintergrund, es wird auch der Einfluss der jahrhundertelangen Fremdherrschaft durch die Römer deutlicher spürbar. Alles in allem ist es der Autorin so gelungen, eine sehr hohe Authentizität zu erreichen. Das einzige Zugeständnis, das sie an die mittelalterlichen Dichter gemacht hat, war die Erwähnung des Gralsmysteriums, aber natürlich vor dem Hintergrund einer keltischen Deutung, keiner christlichen.

Auch sprachlich ist die Reihe ungewöhnlich. Während die Autorin Stimmungen durchaus manchmal spielerischer umschreibt, zeichnet sich ihr Stil ansonsten eher durch Sachlichkeit aus. Sie schreibt knapp und präzise, fast schon spartanisch. Alle Situationen und Handlungen ihrer Charaktere, auch ihre Gedanken und Gefühle, sind auf das absolut Notwendige reduziert, um Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten. Das macht die Lektüre etwas trocken. Stellenweise hatte ich beim Lesen echte Durchhänger, weil mich der Text nicht wirklich gefangen nehmen konnte, geschweige denn mitreißen. Der Anfang war interessant, weil er mir neu war, im Übrigen unterlag die Erzählung manchmal dem Paradoxon, zu lang zu sein, obwohl beziehungsweise weil sie so straff und knapp erzählt war. Den Figuren fehlten Leben und Farbe. Da Diana Paxson an „Die Nebel von Avalon“ mitgeschrieben hat, nehme ich mir diesmal die Freiheit, einen wirklichen Vergleich zu ziehen, den ich mir von ihr selbst leihe: Die Reihe der Herrinen wirkt neben den Nebeln wie die erdigen Farben eines piktischen Kilts neben den leuchtenden Farben einer britischen Dalmatika. Oder, um es mit eigenen Worten auszudrücken: Die Reihe der Herrinnen ist ein etwas blasses Bild in einem sehr gelungenen Rahmen, während die Nebel ein Bild in so lebhaften Farben darstellen, dass sie ohne Rahmen auskommen. Sollte ich jetzt allerdings sagen, welches von beiden mir besser gefällt, hätte ich ein Problem. Sie sind beide auf ihre Art sehr gelungen. Paxsons Version fehlt die zwanghafte Unvermeidlichkeit, die Bradleys Version anhaftet, deren Vielschichtigkeit und Intensität. Dafür ist sie bodenständiger, ursprünglicher und umfassender, nicht zuletzt durch das ausführliche Glossar im ersten und dritten Band. „Die Nebel von Avalon“ ist ein Epos, die Reihe der Herrinen ist etwas, wofür es eigentlich keinen eigenen Namen gibt… So etwas, wie eine Dokumentation in Romanform, eine Mischung aus informativem Sachtext und Erzählung. Ich würde sagen, sie ergänzen sich. Und es schadet durchaus nicht, sie beide zu lesen. Wer allerdings keines von beiden kennt, dem würde ich empfehlen, die Reihe der Herrinnen zuerst zu lesen. Und sich Zeit zu lassen für die jeweils gut 1100 Seiten, die beide Versionen umfassen.

Diana Paxson lebt in den USA, wo sie die populäre Mittelalterbewegung mitgegründet hat. Unter anderem ist sie eine führende Vertreterin der dortigen neuheidnischen Religionsbewegung. Die damit verbundenen Kenntnisse werden in ihren Büchern deutlich spürbar. Außer der Reihe der Herrinnen hat sie den Romanzyklus „Die Töchter der Nibelungen“, „Die Keltenkönigin“ und weitere Romane veröffentlicht. Desweiteren schrieb sie viele Kurzgeschichten sowie Theaterstücke und Gedichte.
Die unten angegebene Homepage war wegen „Bauarbeiten“ zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung noch nicht erreichbar.

Die Herrin der Raben: ISBN 3-404-20466-2
Die Herrin von Camelot: ISBN 3-404-20484-0
Die Herrin der Insel: ISBN 3-404-20492-1

Welcome to My Worlds

Carey, Jacqueline – Kushiel\’s Dart

Es gibt wohl kaum überlaufenere Genres als Fantasy und historische Romane aller Art. Als Jungautor muss man gegen den heiligen Gral – sprich das Konzept des Herrn der Ringe – und allerlei AD&D und Standardfantasy antreten, das Mittelalter diente schon als Rahmen für zahllose historische Romane, so dass man sich schon einiges einfallen lassen muss, will man nicht in diesem Einheitsbrei untergehen.

Jacqueline Carey ist eine weitgehend unbekannte Autorin, die Kushiel-Trilogie ist ihr erster Romanzyklus. Die 1964 geborene Autorin hat einen Abschluss in Psychologie und englischer Literatur und hat von Finnland bis nach Ägypten im Rahmen ihrer kunsthistorischen Forschungen schon viele Länder bereist. Ihre ersten Sachbücher trugen die Titel „Angels: Celestial Spirits in Legend and Art“ und „Emerald Magic: Great Tales of Irish Fantasy“. Bemerkenswert insofern, als dass ihre gesammelten Erkenntnisse in die Kushiel-Trilogie einflossen und diese weitgehend prägten.

Altbekannt und gewissermaßen das Fantasy-Standardrezept: Man rühre eine gleiche Menge Elfenohr mit Zwergenbart in einer Hobbit-Fußpilzsoße und verfeinere mit einigen Schwertstreichen Orkgeschnetzeltem und einer fein abgeschmeckten Prise Magie – Voilà, damit hätte man schon die Grundlagen eines Fantasyromans.

Jacqueline Careys Rezept ist etwas schärfer gewürzt: Man nehme eine sadomachosistische Kurtisane und einen kampferprobten Klosterbruder, lasse Maria und Jesus ein Kind zeugen und dieses zum Stammvater eines Volkes werden, das in heidnischer Weise Halbgötter und gefallene Engel, Gefährten von Elua, dem Sohn von Jesus und Maria, anbetet. Das oberste Gebot Eluas wird dabei über alles gestellt: Die D’Angelines sind durch ihre halbgöttliche Abstammung Schönlinge sondergleichen und in der Liebe sehr freizügig, Prostitution und Homosexualität sowie alle Spielarten der Liebe sind akzeptiert und vollständig in die Gesellschaft integriert – „Liebet wie ihr wollt“…

In dieser Welt, die, wie man anhand der Landkarte im Einband feststellen kann, eine exakte Kopie Europas ist, liegt das halbgöttliche Terre D’Ange, das Land der Engel, an der Stelle Frankreichs. Italien heißt Caerdicca Unitas, Venedig La Serenissima und bemerkenswerterweise ist das Skaldia genannte Germanien noch so wild und barbarisch wie zu Zeiten der Römer. Ebenso herrscht in Ägypten – Menekhet – ganz unchronologisch noch ein Pharao, und Alba (England) befindet sich noch im düstersten Mittelalter.

In der Stadt Eluas, wir würden sie Paris nennen, beginnt die Geschichte der „Anguisette“ Phèdre nó Delaunay, die als unerwünschter Bastard einer ehemaligen Konkubine des „Court of Night-Blooming Flowers“ ihr Leben in der untersten sozialen Schicht eines der dreizehn Häuser des Night Court beginnt: Sie hat einen roten Fleck im linken Auge, etwas, das im auf absolute Schönheit achtenden Night Court ihr eine Karriere in Diensten Namaah’s als Hetäre (Edelhure) verbauen dürfte. Bis der Adelige Anafiel Delaunay sie kauft und in seinen Haushalt adoptiert. Er erkennt den roten Fleck in ihrem Auge als göttliches Zeichen, „Kushiel’s Dart“. Der Engel Kushiel war einst einer der Bestrafer Gottes, bis er verdammt wurde, weil er Elua folgte, seine Blutlinie genießt Schmerz und Strafe als Lust, als einzigen Weg zu Sühne und Erlösung. In Phèdre’s Fall geht das jedoch weit darüber hinaus: Als einzige lebende „Anguisette“ empfindet sie auch dann noch Lust, wo andere nur noch Schmerz empfinden würden. Delaunay erkennt als einer von wenigen ihren Wert und bildet sie in seinem Haushalt zur Spionin weiter. Phédre lernt, den Gesichtsausdruck und zahllose andere Anzeichen für Lüge oder Nervosität zu deuten, ihr Gedächtnis wird geschult, während Delaunay’s zweiter Schüler, Alcuin, eher im Entschlüsseln und Knacken von Codes Begabung zeigt, ist Phédre besonders sprachbegabt. Zu Delaunays Leidwesen auch im Davonlaufen, sie trifft sich in der Stadt öfters heimlich mit ihrem Jugendfreund, dem Tsingano (Zigeuner) Hyacinthe.

Sowohl Alcuin als auch Phèdre werden in den Dienst Namaah’s gestellt, als Konkubine Delaunays hat Phèdre bald einen sehr guten Ruf – als einzige lebende Anguisette zieht sie die entsprechende sadomachosistische Klientel an, was für Delaunay oft Grund höchster Sorge ist. Erfolgreicher in Sachen Bettgeflüster und Spionage ist Alcuin: Er findet heraus, dass Haus Trevalion die Ermordung der Dauphine Ysandre plant – der König hat sonst keine Nachkommen, und die Thronfolge würde auf Haus Trevalion übergehen. Dass Spionage ein gefährliches Spiel ist, zeigt sich, als Guy, der Hausdiener und Beschützer Delaunays, bei der Verteidigung Alcuins stirbt und dieser verwundet wird – ein hoher Preis für die wichtige Information.

Sein Nachfolger als Beschützer seiner Spione wird Joscelin Verreuil, ein Mönch der Cassilinischen Bruderschaft, die dem Engel Cassiel geweiht ist, dem einzigen Anhänger Eluas, der zölibatär ihm als der perfekte Gefährte zur Seite stand und sich zwischen den Zorn Gottes und Elua stellte. Die Bruderschaft stellt zudem die zwei traditionellen Leibwächter des Königs von Terre d’Ange, ihr Kampfstil ist geprägt von zwei Dolchen und Armschützern als einzige Rüstung und dem auf den Rücken geschnallten Schwert, das nur gezogen werden darf, wenn nicht mehr nur beschützt, sondern getötet werden muss, was jedoch in den Augen der Bruderschaft eine Sünde ist, die nur dann gerechtfertigt ist, wenn der Schutzbefohlene nicht anders gerettet werden kann. Das Verhältnis zwischen dem humorlosen und steifen Joscelin und Phèdre, deren Gelüste für ihn Zeichen der größten Verdammnis und Fehlleitung sind, ist von gegenseitiger Missachtung geprägt – Joscelin flucht über sein Schicksal, warum gerade er diese ihm sehr unangenehme Aufgabe übertragen bekam. Dennoch bleibt er dem Motto „dienen und beschützen“ treu, auch wenn es ihm unerträglich ist, die stets arg zerschundene Phèdre von ihren perversen Patronen nach Hause zu begleiten – vor allem, wenn sie dann noch recht zufrieden dreinblickt.

Dank der Informationen Delaunay’s kann das Komplott zerschlagen und die Verschwörer hingerichtet werden, jedoch entkommt Melisande Shahrizai. Diese ehemalige Geliebte Delaunays ist wie er mit allen Wassern gewaschen und kann mangels Beweisen nicht überführt werden. Es gelingt ihr auch, Phèdre gegen ihren Mentor zu benutzen, ohne dass diese es ahnt.

Sie gibt Phèdre ein großzügiges Geschenk, so wertvoll, dass sie ihre traditionelle Tätowierung als Dienerin Namaahs auf dem Rücken vollenden und damit auch Delaunay ihren Kaufpreis erstatten kann – womit sie nur noch auf freiwilliger Basis oder gar nicht mehr für ihn arbeiten müsste. Während Phèdre tätowiert wird, überfallen Söldner Delaunays Landsitz und töten ihn. Phèdre und Joscelin werden von Melisande abgefangen und in die Sklaverei nach Skaldia verkauft – als Geschenk für den skaldischen Kriegsherren Waldemar Selig. Nach und nach erkennt Phèdre, gefangen unter den Barbaren, die Pläne Melisandes. Erst jetzt wird ihr klar, dass sie es riskiert, Terre d’Ange in die Hände des unter den Skaldi beinahe als König verehrten Selig fallen zu lassen, nur um sich selbst an die Stelle der Königin zu setzen. Doch Selig spielt falsch: Er plant seine Mitverschwörer ebenfalls zu beseitigen. Haben die abtrünnigen D’Angelines erst einmal seiner Armee den Weg über die Pässe gewährt, hält er seine Truppen für zahlreich genug, um sowohl die Revoluzzer als auch die königliche Armee zu vernichten.

Phèdre plant jeden Tag auf ihre Flucht hin, während Joscelin hart unter seinem Sklavendasein leidet. Auf der Flucht lernen sie sich schätzen, nur durch Joscelins Geschick und Phèdres Raffinesse können sie den Skaldi entkommen und sich zurück in Terre d’Ange durch die Reihen der Verschwörer mit Hilfe von Phèdres altem Freund Hyacinthe schmuggeln. Leider haben sie keinen Beweis für ihre Anklagen gegenüber Melisande und für Seligs Plan, was ihre Situation erschwert – beide sind in Abwesenheit des Mordes an Delaunay schuldig gesprochen worden. Es gelingt ihnen dennoch, die mittlerweile zur Königin gewordenen Ysandre zu überzeugen.

Sie werden auf eine gefährliche Mission geschickt: Um die Verräter nicht zu warnen, und um militärisch stark genug zu sein, um sowohl die abtrünnigen als auch die Skaldi zu stoppen, werden Phèdre und Joscelin in geheimer Mission nach Alba geschickt. Sie sollen den Cruarch (König) von Alba dazu bewegen, Ysandre und Terre d’Ange beizustehen – was kein Problem sein sollte: Er ist der heimliche Verlobte von Ysandre. Leider stehen dem Plan zwei Dinge im Weg. Erstens ist Drustan im eigenen Land in einen Bürgerkrieg verwickelt und derzeit im Exil in Eire (Irland), und würde selbst dringend die Hilfe der gar nicht so bereitwilligen Iren benötigen, um sein eigenes Land zurück zu erobern. Zweitens gestattet der Master of the Straits, ein Wesen, das über Wind und Wetter im Kanal zwischen Alba und Terre D’Ange gebietet, keinem Schiff mehr die Passage.

Natürlich gelingt es Drustan, seine Krone zurück zu erobern, und auch der Master of the Straits kann mit einem großen Opfer besänftigt werden – hierzu verrate ich aber nichts Näheres. Bei Troyes-le-Mont kommt es zum Gefecht, doch selbst mit der Hilfe Albas sind die Heerscharen der Skaldi den durch Verrat geschwächten D’Angelines noch überlegen. Erst Phèdres Raffinesse verhilft Königin Ysandre zum Sieg – die Skaldi werden geschlagen, die Hochverräterin Melisande verhaftet. Phèdres und Joscelins Ehre wird offiziell wiederhergestellt und ihr Name wird nicht mehr nur wegen ihres berüchtigten Rufes als Anguisette geehrt. Als Heldin des Reiches wird sie zur Comtesse de Montrève ernannt und zur engsten Vertrauten der Königin.

Mehr historischer Roman denn Fantasy – die einzigen Fantasy-Elemente in „Kushiel’s Dart“ stellen die Geschichte um den Master of the Straits dar, die in den Folgebänden an Gewicht gewinnen wird, sowie die für Terre d’Ange erfundene Kultur und Religion. Dabei kann Carey gewaltig punkten: „Angels: Celestial Spirits in Legend and Art“ und „Emerald Magic: Great Tales of Irish Fantasy“ waren Inspiration und Quelle hierfür, genauso wie ihre Reisen durch ganz Europa. Die Namensgebung ist eng an den Ort gebunden, die germanischen Namen sowie die französischen Namen sind zwar arg kompliziert, aber stimmig, ebenso wie die in Folgebänden aus Afrika und Persien stammenden.

Carey achtet sehr auf die unterschiedlichen Mentalitäten der verschiedenen Völker und beschreibt Charakter und Aussehen aller Personen sehr detailliert – dafür werden Gebäude und Landschaften bis auf Ausnahmen wie die winterliche Wildnis Skaldias oft nur zweitrangig beschrieben. Sprachlich schreibt sie in der oberen Liga, ohne einen Guy Gavriel Kay zu erreichen, was aber auch nicht nötig ist. Im Gegenteil, ihr schlichterer Stil gefällt mir sehr gut. Zu Anfang des Buches im Night Court erschlägt und verschreckt sie jedoch mit einer übertrieben blumigen Sprache voller, später nicht mehr auftauchender, geschwollener Satzkonstruktionen, die durch die Wahl exotischen Vokabulars wohl sogar gebürtige Engländer fordern dürfte – wer dieses Buch wirklich genießen möchte, sollte Englisch fließend und ohne Hilfe eines Wörterbuches lesen können. Definitiv nichts für ungeübte Leser, auch wenn nur das erste Drittel wirklich kompliziert ist.

Ein interessanter Kniff ist es, die Heldin Phèdre selbst ihre Geschicht erzählen zu lassen. Sie ist eine sehr sympathische Person; da sie den Leser stets an ihren Gedanken teilnehmen lässt, kann man einfach nicht anders, als sie zu mögen – auch wenn ihre sexuellen Vorlieben starker Tobak sind. Hier hatte ich auf etwas Erotik gehofft – Carey versteht es aber, durch die harten, sadomachosistischen Sexszenen den Leser zu verblüffen und zu verwundern. Joscelin darf hier ein wenig die Rolle des Lesers übernehmen und sich an seiner Stelle über Phèdre ärgern und wundern. Ein recht gelungener Kniff – zumal die anfangs nur Verwunderung bis Bestürzung hervorrufenden Folterszenen in den Folgebänden der Trilogie an religiöser Bedeutung und Sinn gewinnen, in diesem Buch selbst sind sie nur ein ziemlich gewagter Aspekt des Charakters Phèdre, den sie prinzipiell nicht nötig hätte. Phèdre ist ein wenig an die klassische Phaedra oder die Phèdre Jean Racines angelegt, ihre Gefährten ereilt meist ein tödliches Schicksal… Ihr Schicksal ist eng mit Leid und Tragik verbunden, das selbst ihr als Anguisette einiges abverlangt.

Fantasyfreunde kommen hier arg zu kurz – Spionagethriller und historischer Abenteuerroman, gemischt mit einer eigenwilligen und interessanten Religion nebst dazu passender Kultur, das beschreibt den Roman am besten. Allein alle dreizehn Häuser des Nightcourt sowie ihre besonderen Disziplinen – von den Mystikern Haus Gentians bis zu den eher weltlichen Buchhaltern Haus Bryonys – aufzuzählen, nebst allen Gefährten und Engeln Eluas in Terra d’Ange, würde hier zu weit führen.

Das Schöne ist, „Kushiel’s Dart“ ist in sich abgeschlossen – einzig das einleitende erste Drittel, in dem lange nichts wirklich für die Handlung Wichtiges passiert, deutet darauf hin, dass noch zwei volle Bände einer Trilogie darauf aufbauen werden. Recht clever gemacht – doch der Roman war in den USA ein Erfolg und einer Komplettierung der Trilogie stand nichts mehr im Wege.

Ich kann die Trilogie empfehlen, und zwar für jedermann – dies ist keineswegs ein Frauenroman. Der dritte Band ist geradezu genial und kombiniert die Stärken des an einen Krimi erinnernden zweiten Bandes (der für mich leider etwas langatmig und enttäuschend war) mit einer sehr interessanten Suche nach dem wahren Namen Gottes, die mich ein wenig an eine anspruchsvollere Version von Indiana Jones‘ Suche nach dem heiligen Gral erinnerte. Auch Phèdres persönliche Nemesis und Hassliebe Melisande ist nicht totzukriegen und in beiden Folgebänden wieder mit von der Partie, was man am Ende des ersten Bandes nicht mehr erwartet hätte.

Ein Wort zur deutschen Ausgabe von Knaur: „Kushiel’s Dart“ wurde gedrittelt, die sehr schönen und passenden Titelbilder (der 2. Band der Trilogie zeigt exakt die Tätowierung auf Phèdres Rücken sowie genau das passende Kleid mit dazugehörigen Schleier in der richtigen Farbe z.B.) wurden durch süßliche Bildchen ersetzt, der Titel „Die Geheimnisse des Nachtpalais“ suggeriert auch wohl eher etwas anderes als Phèdres eher harte Leidenschaften und dürfte die falsche Zielgruppe ansprechen bzw. die passende verschrecken. Die Teilung selbst ist tödlich – Eine Einleitung, ein Mittelteil ohne Vorgeschichte und Schluss und dann das Finale als separates Buch? Das geht selten gut, hier ist es tödlich. Da das Buch sich sehr komplexer Sprache bedient, ist die Übersetzung wohl ähnlich wie bei Guy Gavriel Kay leider wirklich nur ein Kompromiss und ganz klar zweite Wahl.

Jacqueline Carey plant weitere Romane in Terre d’Ange, allerdings mit anderen Hauptfiguren. Man darf gespannt sein.

Die Trilogie im Überblick:

Kushiel’s Dart (ISBN 0-765-34298-7)
Kushiel’s Chosen (ISBN 0-312-87239-9)
Kushiel’s Avatar (ISBN 0-765-34753-9)

Homepage der Autorin:

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Empfehlenswerte Fanseite:
http://www.stargirl-designs.com/rw_main.html

Winkler, Dieter – magische Reich, Das (Wolfgang Hohlbeins Enwor – Neue Abenteuer 1)

Mit „Das magische Reich“ hat Piper eine weitere Fortsetzung zu Wolfgang Hohlbeins Enwor-Zyklus veröffentlicht. Die Enwor-Welt ist ein gemeinsames Kind von Wolfgang Hohlbein und Dieter Winkler, wobei die eigentliche Schreibarbeit bisher hauptsächlich von Herrn Hohlbein geleistet wurde. „Das magische Reich“ ist der erste Band aus Herrn Winklers Feder.

Der junge Daart ist zusammen mit seiner Partnerin Carnac auf dem Weg nach Irapûano. Offiziell befinden sie sich auf ihrer Erweckungsreise, aber nebenbei haben sie auch noch einen dringlichen Auftrag: die Essenz des Lebens zu besorgen. Obwohl sie beide noch nicht geweiht sind, tragen sie echte Sternenstahlschwerter, ein Zeichen, wie dringlich die Mission ist. Denn Enwor droht im Chaos zu versinken, und die Satai verlieren mehr und mehr die Kontrolle.
Der Gnom, der die beiden unfertigen Krieger führen soll, scheint allerdings den Weg nicht zu kennen. Zusätzlich zu diesem Ärgernis sind sie kurz davor, in einen Schneesturm zu geraten. Dann stürzt Daart ab. Er überlebt, wacht aber zu seiner großen Überraschung mitten im Dschungel wieder auf. Der Führer ist noch da, offenbar an derselben Stelle abgestürzt, aber Carnac ist verschwunden. Daart macht sich auf die Suche und trifft dabei auf Irana, die von sich behauptet, zum Orden der Prophetinnen zu gehören. Ihre Anwesenheit an diesem Ort – und nicht nur die – wirft für Daart eine Menge Fragen auf, doch er kommt nicht dazu, sie zu stellen, denn sie werden angegriffen. Ihre halsbrecherische Flucht ist der Auftakt zu einem endlosen Verwirrspiel. Beide landen letztendlich in Nyingma, der Festung und Hauptstadt der Aralu, und in der Gewalt von Nubina, deren Herrscherin. Nubinas Macht beruht auf Schein und Täuschung, und schon bald weiß Daart nicht mehr, wo ihm der Kopf steht. Dabei kann er sich Zweifel überhaupt nicht leisten. Sein und Iranas Leben stehen auf dem Spiel und nebenbei auch noch das Schicksal von ganz Enwor, denn Nubina strebt nach Unsterblichkeit, nach der Essenz des Lebens, die sie durch Zelebrieren der Großen Zeremonie gewinnen will. Um jeden Preis müssen Daart und Irana die Durchführung dieser Zeremonie verhindern. Auf dem Weg dorthin begegnet Daart seinem schlimmsten Alptraum…

Der Hauptteil des Buches dreht sich um Daarts Kampf gegen Halluzinationen, Sinnestäuschungen und nicht greifbare Wahrnehmung. Nichts ist so, wie es scheint, alles wirkt verdreht, unwirklich und bizarr. Eine solche Welt lässt, zumindest bis zu einem gewissen Grad, etwas zu, was sonst nicht einmal in der Fantasy möglich wäre: das Aushebeln der Logik. Die Handlung ist vergleichbar mit einem Traum. Eine Person, die ursprünglich als Frau erschien, ist plötzlich ein Mann und dann wieder einen Frau; Tote leben wieder; Personen tauchen auf, sind plötzlich wieder verschwunden, um dann anderswo wieder aufzutauchen; und das alles nicht unbedingt in einem erkennbaren Zusammenhang. Das einzige, was von Anfang an klar ist, ist die Tatsache, dass den Sinnen an diesem Ort nicht zu trauen ist, am allerwenigsten den Augen. – Erzählt wird die Geschichte konsequent aus Daarts Sicht. Was mit den anderen geschieht, während sie voneinander getrennt sind, erfährt man also nicht. Man ist ganz auf die Sinne Daarts angewiesen, und Irana, die offenbar weiß, worum es bei all dem geht, beantwortet seine Fragen nur ausweichend und diffus. Dieser Umstand, zusammen mit der teilweise überstürzten Handlung, zwingt den Leser in dieselbe Verwirrung, die Daart empfindet. Das macht es ziemlich hautnah, allerdings bleibt durch eben diese aufgezwungene Verwirrung die Spannung auf der Strecke. Man ist als Leser viel zu sehr mit dem Versuch beschäftigt, Ordnung und einen gewissen Sinn in dieses Chaos zu bringen, um der Zuspitzung auf das Ende folgen zu können. – Für die Charaktere bleibt in diesem actionlastigen Wirrwarr nicht viel Raum. Daarts Person erhält als einzige ein wenig Profil durch die immer wieder einfließenden Erinnerungen, die sein Fühlen einigermaßen nachvollziehbar machen, andererseits geht durch sein verwirrtes Denkvermögen auch wieder einiges an Charakterzeichnung verloren. Von Nubina dagegen erfährt man überhaupt nichts, außer, dass sie offenbar größenwahnsinnig ist. Auch Harkon, der Führer und Gnom, bleibt ziemlich blass. Alle anderen vorkommenden Personen sind nur Randerscheinungen, wenn man so will eher Requisite als Darsteller.

So viel Freiheit ein Szenario wie das obige dem Autor auch bieten mag, es ist trotzdem nicht ganz ohne Tücken. Es besteht die Gefahr, dass der Autor selbst den Überblick verliert. Von einem Alptraum erwartet man nicht, dass er sich nach dem Aufwachen durch ein paar Antworten plötzlich erklären lässt, insofern spielt es keine Rolle, wenn man nicht erfährt, ob Nubin und Nubina nun eine oder zwei Personen waren. Aber manchmal gelten die Gesetze der Logik eben auch für einen Albtraum, und zwar dann, wenn das Geschehen nicht wirklich ein Traum ist, sondern nur albtraumähnliche Züge trägt. Die Grenzen zwischen Realität und Traum sind in „Das magische Reich“ größtenteils verwischt, das ist natürlich Absicht und im Großen und Ganzen auch gut gemacht. Aber es ist kein reiner Traum, wie sich am Ende herausstellt. Der Handlungsablauf muss sich also dem Anspruch stellen, in sich schlüssig zu sein, und das ist er nicht immer. Dass zum Beispiel jemand, der gemäß seiner eigenen Aussage die Kunst der Illusion selbst nur sehr unvollkommen beherrscht, tatsächlich in der Lage sein soll, einen Meister dieser Kunst damit zu täuschen, wie Irana es tat, kommt mir irgendwie unwahrscheinlich vor. Nun, dafür könnte man vielleicht eine Erklärung konstruieren. Ein zweiter Punkt ist, dass Zar`Toran, ein Magier, den Daart aus seiner Kindheit kennt, plötzlich wieder auftaucht, obwohl er eigentlich tot sein sollte. Vielleicht liegt der Schlüssel dazu im vorhergehenden Band. Der dritte und störendste Punkt aber ist die Frage: wozu eigentlich dieses ganze Theater? Laut Iranas Aussage dient alles, was Nubina mit Daart anstellt, nur dazu, seinen Willen zu brechen, um Informationen preis zu geben, die er nicht verraten darf. Tatsächlich will Nubina aber etwas ganz anderes von Daart, nämlich, dass er Irana für sie tötet, die eine Bedrohung für sie darstellt. Warum braucht sie Daart dafür? Sie hätte Irana mehrfach selbst ausschalten können und Daart gleich dazu, oder das von ihren Kriegern erledigen lassen können. Diese Tatsache lässt die gesamte Handlung aufgebläht, umständlich und überflüssig erscheinen, etwas, das ich auch schon bei anderen Hohlbein-Büchern festgestellt habe, und es wäre gut, wenn zumindest im nächsten Band dem Autor gute Gründe dafür einfallen. – Abgesehen von all dem muss ich sagen, irgendwie habe ich den Eindruck, dass einige Ideen auf fremdem Mist gewachsen sind. Dass die Landkarte von Enwor der des nordamerikanischen Kontinents verblüffend ähnelt, ist dabei das Geringste, sowas kennen wir bereits von Xanth. Gleichzeitig klingt aber der Name des Magiers Zar`Toran doch sehr nach Kal`Torak, dem finsteren Gott aus Eddings Elenium-Saga, und auch die Opferriten erinnern daran, auch wenn das Feuer hier einen stärkeren Einfluss hat als bei Eddings. Der Gezeitenwurm ist mir, wie ich meine, ebenfalls schon mal irgendwo begegnet.

Sprachlich gesehen ist das Buch ziemlich leicht zu lesen, wobei sich Winklers Sprach- und Erzählstil nicht sehr von Hohlbeins unterscheidet. Er schreibt etwas straffer und temporeicher, aber größere Unterschiede gibt es nicht, auch nicht in der Gewichtung von Handlung zu Personendarstellung. Negativ ist mir aufgefallen, dass es an manchen Stellen holpert. Häufig tauchen dieselben Formulierungen auf, Wörter kommen im selben Satz zweimal an unterschiedlichen Stellen vor, obwohl einmal genügen würde, und mancher Druckfehler macht durch fehlende Umlautpunkte aus einem Konjunktiv einen Indikativ. Ansonsten liest es sich flüssig.
Der Enwor-Zyklus umfasst insgesamt zwölf Bände, von denen ich allerdings nur den Neuesten gelesen habe. Normalerweise steigt niemand so weit hinten in einen solchen Zyklus ein – dass ich es getan habe, war reine Unwissenheit – , deshalb wurde verständlicherweise auf die Erklärung von Spezialwörtern der Enwor-Welt verzichtet, was es anfangs etwas mühsam machte. Auch einiges Vorwissen aus den vorigen Bänden fehlte mir, das für die Handlung an sich zwar nicht unabdingbar ist, aber im Hinblick auf das Gesamtbild der Enwor-Welt erwies sich dieser Mangel doch als Handikap. Ich empfehle deshalb jedem, der sich für diesen Zyklus interessiert, vorne anzufangen. Die ersten zehn Bände erzählen offenbar die Geschichte eines anderen Satai namens Skar, dessen Name auch in diesem Band genannt wird, der aber selbst nicht wirklich vorkommt. Mit Band Elf beginnt dann die Geschichte von Daart, die wohl auch Einzelheiten zu dem enthält, was man im neuesten Band durch seine Erinnerungen erfährt. Vielleicht vertieft das auch nochmal die Charakterzeichnung der Protagonisten, die mir bisher bei allen Hohlbein-Büchern – auch den in Kooperation geschriebenen – immer arg zu kurz gekommen ist, selbst wenn das Geschehen nicht so actionreich und hektisch war wie in „Das magische Reich“.

Für mich bedeutet diese zuletzt genannte Oberflächlichkeit in der Charakterzeichnung zusammen mit dem Punkt der grundlos umständlichen und damit unrealistischen Handlungsführung das k.o.-Kriterium für weitere Winkler- und Hohlbein-Bücher, obwohl in diesem Fall die Grundidee, die Verwirrung und Zerstörung der objektiven Wahrnehmung durch Illusion und Drogen und der dadurch bewirkte geistige Zusammenbruch eines Menschen ein durchaus interessantes Thema wären. Und da dieser Band mit seiner ausgefallenen Handlung wohl auch nicht repräsentativ für den restlichen Zyklus stehen dürfte, werde ich diesen nicht nachlesen. Pure Action liegt mir einfach nicht.

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Byers, Richard Lee – Zersetzung (Der Krieg der Spinnenkönigin 1)

Das Böse hat seine eigene Faszination. Besonders Rollenspieler lieben Schurken, die ein facettenreicheres Spiel erlauben als der ewig fromme und langweilige, ehrenwerte Paladin.

Mit den düsteren Drows oder Dunkelelfen hat der bekannte AD&D-Autor (Advanced Dungeons & Dragons, ein Rollenspielsystem) R.A. Salvatore die dunklen Brüder zu den klassischen Elfen geschaffen. Die übermäßig stolzen und arroganten Dunkelelfen lieben das Chaos, die Intrige und den Kampf – menschliche Gefühle wie Liebe, Dankbarkeit oder Mitleid sind ihnen völlig fremd. Ob mit Schwertern oder Magie – Drows sind unerbittliche und hinterlistige Gegner.

Im unterirdischen Reich der Drow sind Mord und Folter an der Tagesordnung. Wenn sich die Dunkelelfen nicht gerade auf einem Raubzug an die Oberfläche begeben, bekämpfen die Adelshäuser der mächtigsten und größten Stadt der Drows, Menzoberranzan, sich gegenseitig. Einzig die Priesterinnen der Spinnengöttin Lolth, die das Chaos verkörpert und die Gottheit der Drow ist, halten die Ordnung in dieser lebensfeindlichen Umgebung aufrecht. Besonders für Männer tödlich: In Menzoberranzan haben die Frauen das Sagen, und Männer stehen nur unwesentlich über Tiefengnomen und Grauzwergen sowie allen anderen minderwertigen Unterrassen.

Der wohl bekannteste Drow ist der aus der Art geschlagene Drizzt Do’Urden, dessen Lebensgeschichte man in Salvatores „Saga vom Dunkelelf“ nachlesen kann. Auch in diesem Fantasy-Klassiker stand die faszinierende Stadt Menzoberranzan im Mittelpunkt, die auch Ausgangsort der neuen sechsbändigen Reihe „Der Krieg der Spinnenkönigin“ ist. Allerdings diesmal nicht von Altmeister Salvatore: Jeder Band wurde von einem anderen Jungautoren geschrieben. Man kann davon ausgehen, dass damit auch ein gewisser Wettbewerb verbunden ist. Ich könnte mir gut vorstellen, dass ein oder zwei dieser Neulinge in Zukunft Salvatore beim Schreiben von Geschichten für die „Vergessenen Reiche“ unterstützen werden, wer weiß?

Die abgeschlossene Serie zeigt ein einschneidendes Ereignis in den Vergessenen Reichen aus Drow-Sicht: Die Göttin Lolth gewährt ihren Priesterinnen nicht mehr ihre Macht, erhört keine Gebete und offenbart sich ihnen nicht mehr. Ohne Lolths Gunst schwinden Macht und Einfluß der Priesterinnen, was zunächst verheimlicht werden kann. Doch bald erkennen immer mehr Feinde Menzoberranzans die prekäre Lage und machen sich auf, ihren Vorteil daraus zu ziehen. Auch die versklavten Kreaturen in den Elendsvierteln Menzoberranzans begehren auf, es kommt zur Revolte. Doch auch in dieser Lage halten die Drow nicht zusammen, einzelne Männer sehen gar den Zeitpunkt gekommen, das Matriarchat abzuschaffen, niedere Adelshäuser und ehrgeizige Drows die Chance, ihren der Magie beraubten Rivalen den Garaus zu machen…

„Der Krieg der Spinnenkönigin“ im Überblick:

Band 1: Zersetzung
Richard Lee Byers

Band 2: Empörung
Thomas M. Reid

Band 3: Verdammung
Richard Baker

Band 4: Zerstörung
Lisa Smedman

Band 5: Verheerung (November/Dezember 2004)
Philip Athans

Band 6: Auferstehung (Anfang 2005)
Mel Odom

Richard Lee Byers verschwendet keine Zeit, bereits auf den ersten Seiten werden die Fronten abgesteckt. Gromph Baenre, der Erzmagier von Menzoberranzan, streitet mit seiner Schwester Quenthel, der Herrin der Priesterinnen-Akademie Arach-Tinilith, um die Gunst ihrer Schwester Triel, die seit dem Tod der alten Baenre die Muttermatrone des mächtigsten Adelshauses der Stadt ist. Als einer der wenigen Eingeweihten weiß Gromph um die Misere der Priesterinnen und setzt einen Attentäter nach dem anderen auf Quenthel an, bis hin zu beschworenen Dämonen.

Quenthel selbst hat alle Hände voll zu tun mit ihren Priesterinnen, die den Glauben an Lolth und den Respekt vor ihrer Hohepriesterin verlieren, sie gar für die Misere verantwortlich machen. Die Botschafterin der Drowstadt Ched Nasads, Faeryl, wird derweil zu Unrecht bei Triel Baenre in Misskredit gebracht und fällt schließlich deren halbdämonischem Sohn Jeggred (für Insider: Jeggred ist ein Draegloth) in die Hände und wird auf grausamste Weise verhört.

Eher nebensächlich erscheint da die Aufgabe, die man dem Meistermagier Pharaun Mizzrym und dem Waffenmeister Ryld Argith übertragen hat: Sie sollen herausfinden, wohin sich eine beträchtliche Zahl männlicher Adeliger in letzter Zeit abgesetzt hat. Der für einen Drow ungewöhnlich gewitzte und respektlose Pharaun ist seinen weiblichen Artgenossen ein Dorn im Auge, während sein eher simpler Freund Ryld Argith im Unterreich seltene Charakterzüge aufweist: Der aus niedersten Verhältnisse stammende Ryld ist ihm gegenüber relativ treu und loyal – für einen Drow.

Das ungleiche Paar stolpert bei seinen Nachforschungen in ganz Menzoberranzan bald über die Wahrheit: Wie sie haben auch einige der verschwundenen Männer gemerkt, dass die Priesterinnen Lolths derzeit keine Magie wirken können. Diese planen mit Feinden der Stadt einen Umsturz – Ryld und Pharaun versuchen sich einzuschleichen, werden aber erkannt und geraten in höchste Gefahr. Der Aufstand beginnt, nach schweren Kämpfen und nur durch Pharauns Gewitzheit kann der Untergang der Stadt verhindert werden.

Triel Baenre ist beeindruckt von dieser Leistung und beschließt, den cleveren, aber aufsässigen Magier zusammen mit Ryld und dem Späher Valas Hune, von der berüchtigten Söldnertruppe Bregan D’Aerthe, auf eine Reise nach Ched Nasad zu schicken. Sie sollen prüfen, ob nur Menzoberranzan den Segen Lolths verloren hat, oder ob auch andere Dunkelelfenstädte davon betroffen sind, vor allem aber, wer sonst noch alles über die Schwäche der Drow weiß. Um ihre Interessen sicherzustellen schickt sie ihren kampfstarken Beschützer Jeggred sowie ihre Schwester Quenthel und die Botschafterin Ched Nasads, die rehabilitierte Faeryl, mit auf die Reise. Eine explosive Mischung, zu der ihr nicht ganz uneigennützig ihr Bruder Gromph geraten hat…

Richard Lee Byers wagt sich auf gefährliches Terrain: Die Charakterisierung eines Dunkelelfen endet bei faszinierten, aber weniger geübten Rollenspielern oft in einem eindimensional platten, bösartigen, schwertschwingenden oder zaubernden Ungeheuer. Für ein Buch eine Mischung, die gepflegte Langweile garantieren würde.

Doch er macht seine Sache nicht nur gut, er erweist sich als Kenner und Experte der Dunkelelfen-Welt. Die Autoren tauschten sich untereinander aus, wie man unschwer in den Dankesworten und Vorwörtern erkennen kann, so war z.B. Philip Athans, der Autor des fünften Bandes, bei den ersten vier Büchern Lektor. AD&D-konform hat sich Byers keinen einzigen Lapsus bei der Beschreibung magischer Fähigkeiten und sonstiger Charakteristiken der Drow geleistet. Im Gegenteil, Pharaun beim Zaubern zu erleben oder Ryld beim Kämpfen gefiel mir oft viel besser als die langsam öde werdende, immer relativ ähnliche und abgenutzte Kampf-Choreographie eines R.A. Salvatore. Einige Kämpfe weniger hätten dem Buch jedoch gut getan, denn glänzen kann Byers auch bei der Charakterisierung seiner Figuren: Die schwache neue Herrin der Stadt, Triel, die von der Krise völlig überfordert ist, ihr listiger Bruder und Berater Gromph sowie ihre besonders gemeine Schwester Quenthel als perfekte Verkörperung einer Hohepriesterin Lolths können gefallen.

Der eindeutige Star ist jedoch Pharaun: Der raffinierte und geistreiche Magier begeistert nicht nur mit seinen genialen magischen Zaubereinlagen. Seine schnippische Art und wie er sich dennoch stets den Zorn der meist höhergestellten weiblichen Opfer entziehen kann, sind einfach köstlich. Ryld ist ein ihn gut ergänzender Kompagnon, hier setzt aber auch meine Kritik an: Die beiden sind wirklich Freunde, etwas, das es bei Drows nicht geben dürfte. Zum Glück nicht so sehr, dass sie ihr Leben in ausweglosen Lagen für den anderen opfern würden, wie wir sehen werden… Aber dennoch, Ryld würde Pharaun nie zu seinem eigenen Vorteil drowtypisch in den Rücken fallen, etwas, das genauso unverständlich und grundlos ist wie ihre Freundschaft. Ich bin gespannt, wie sich das in den Folgenbänden entwickeln wird. Pharaun wird Ryld einmal in der Patsche sitzenlassen, ich bin gespannt, ob Ryld sich in Zukunft einmal revanchieren wird…

Das bunte Treiben mannigfaltiger Kreaturen auf den Basaren Menzoberranzans wird sehr gut eingefangen, exotischere Wesen als im Unterreich finden sich wohl nirgendwo anders in den Vergessenen Reichen. Für jeden Rollenspieler eine wahre Freude!

Nebenhandlungen wie die um Faeryl und den Auftritt Valas Hunes habe ich nur kurz beschrieben, auch habe ich nicht einmal annährend den ganzen Umfang der Verschwörungen in der Stadt angedeutet. Byers hat den verschlagenen Charakter der Drow, die sich selbst in höchster Gefahr noch gegenseitig übers Ohr hauen, einfach sehr gut eingefangen.

Von einem Jungautoren erwartet man nicht, dass er gleich ein tadellos lesbares Buch abliefert. Byers hat es geschafft. „Zersetzung“ hat keine Hänger, man wird immer gut unterhalten und möchte das Buch gar nicht aus der Hand legen. So etwas können selbst anerkannte Autoren nicht immer von sich behaupten. Natürlich kann er dabei vom faszinierenden Szenario der Drowstadt Menzoberranzan profitieren.

Ein weiterer Pluspunkt der Reihe ist die optisch ansprechende Gestaltung: Die Titelbilder zeigen meist Drow, deren weißes Haar im angenehmen Kontrast zu dem sonst blauschwarz/lila und dunkel gehaltenen Hintergrund steht. Sie sind allesamt sehr gut, vor allem passen sie perfekt zum Szenario, man erkennt oft einzelne Figuren aus dem betreffenden Roman wieder. Die Kapitel werden mit kruden drowischen Runen eingeleitet, die Absätze von kleinen Spinnensymbolen getrennt, der verschnörkelte Zeichensatz, der bei Kapitelüberschriften und auf dem Cover eingesetzt wird, trägt zum insgesamt vorzüglichen Erscheinungsbild bei.

Für die Übersetzung (Ralph Sander), Lektorat und Gestaltung zeichnen die Fantasy-Spezialisten von „Feder und Schwert“ verantwortlich, die im Gegensatz zu früheren Projekten hier ihr ganzes Können professionell in Szene setzen konnten. Nur ein paar Kleinigkeiten der Übersetzungen störten mich. Sogar eine Karte Menzoberranzans wurde nicht vergessen.

Alles in allem kann ich „Zersetzung“ Rollenspielern und Fans der Vergessenen Reiche nur empfehlen. Pharaun und Ryld genießen schon jetzt in Rollenspielerkreisen eine hohe Beliebtheit. Die Reihe ist bereits vollständig übersetzt und genau terminiert, der letzte Band erscheint im Oktober 2004. Neueinsteiger sollten vielleicht eher mit der „Saga vom Dunkelelf“ mit Drizzt Do’Urden beginnen, da Byers wie auch die anderen Autoren für Kenner schreibt und man ohne Vorkenntnisse schier erschlagen wird von unbekannten Details, vor allem dem doch recht eigenwilligen Wesen der Drowgesellschaft. Bleibt nur zu hoffen, dass die fünf anderen Autoren Byers‘ recht hohes Niveau halten können. Der letzte Tick fehlt ihm vielleicht noch, ich meine aber, hier wächst den Vergessenen Reichen ein würdiger möglicher Partner oder Nachfolger Salvatores heran.

Feder & Schwert:
http://www.feder-und-schwert.com/

Gemmell, David – Wolf in Shadow (Stones of Power)

Jon Shannow ist ein hochgewachsener Mann mit langem, schwarzem Haar und Kinnbart, der erste silbergraue Stellen zeigt. Bevorzugt gehüllt in schwarze Kleidung, schwarzen Mantel, schwarzen Hut, reitet er auf seinem schwarzen Hengst immer mit einem lockeren Griff an den beiden Revolvern um seine Hüften durch eine an den Wilden Westen erinnernde Endzeitwelt… – auf der Suche nach Jerusalem!

Der britische Autor David Gemmell ist ein Meister, wenn es darum geht, Klischee mit Anspruch zu verbinden. Mit „Wolf in Shadow“ bietet er ein Endzeit-Western-Szenario, dessen Held Jon Shannow bei den Fans so populär wurde, dass zwei Fortsetzungen bis heute folgten. Leider sind diese Romane bislang nur auf Englisch erschienen. Bekannt ist Gemmell für seine eher in antiken bis mittelalterlichen Zeiten angesiedelten Fantasy-Romane. Zu seinen beliebtesten Werken gehören die Drenai-Saga, insbesondere „Die Legende“ mit dem Axtschwinger Druss und die Romane um den düsteren Helden Waylander.

„Wolf in Shadows“ hat einen losen Bezug zu der „Stones of Power“-Reihe. Spielten die ersten beiden Bände derselben im alten England zu König Artus‘ Zeiten, ist das Western-Endzeit-Setting mit Shannow lesbar, ohne diese zu kennen. Ein absoluter Neueinstieg.

War „Wolf in Shadows“, zuerst unter „The Jerusalem Man“ erschienen, anfangs als Einzelroman geplant, folgten aufgrund der begeisterten Fans, die mehr von Shannow lesen wollten, mit „The Last Guardian“ und „Bloodstone“ zwei weitere Bände.

Jon Shannow schlägt genau in dieselbe Kerbe wie Waylander – allerdings nicht mit Schwert oder Pfeil und Bogen, sondern mit Pulver und Blei:
Vor knapp 300 Jahren kippte die Erdachse, und als Folge von Atomkrieg und den ausgelösten Überschwemmungen und Naturkatastrophen wurde die menschliche Zivilisation zerstört. Shannow lebt in einer Western-Endzeitwelt (allerdings ohne Indianer!), in der Banditen wie Aasgeier die geplagten Menschen terrorisieren.

Jons Familie wurde Opfer von Outlaws, sein Pflegevater Varey Shannow, dessen Namen er zu seinem Gedenken angenommen hat, wurde ebenso ermordet. Während sein Bruder Daniel Cade ein gefürchteter Banditenführer wird, der den Glauben an Gott verloren hat, sucht Jon nach Sinn in dieser gewalttätigen Welt. Er sucht Jerusalem – in der heiligen Stadt der Bibel will er Antworten finden. Auf seiner ruhelosen Suche erwirbt er sich einen üblen Ruf: Der Tod reitet mit Shannow. Auch wenn er nicht lügt, betrügt, trinkt und vergewaltigt, sein Ruf ist der eines gnadenlosen, wahnsinnigen Killers.

So verfolgt er zum Beispiel Halunken, die einen kleinen Jungen entführt haben, um seine Mutter zu erpressen. Er stellt sie, schießt einen nieder, zitiert dem Anführer mit der Waffe an der Schläfe aus der Bibel, und lässt ihn dann noch einmal davonlaufen. Ergebnis: In der Stadt wird erzählt, die Schurken wollten den kleinen Jungen vor Shannow retten und wurden dabei über den Haufen geschossen…

Das Kind ist kaum weniger dankbar: Es kann sich nicht vorstellen, dass Mr. Fletcher ihm und seiner Mutter etwas Böses antun wollte, er verehrt ihn sogar als netten und freundlichen Mann. Vor der düsteren Figur Shannow und seiner erschreckenden Art hat er jedoch große Angst. Wenigstens die Mutter dankt Shannow…

Das ist es auch, was Jon Shannow plagt: Gutes will er tun, aber wo immer er auftaucht, gibt es Mord und Totschlag. In der Bibel steht, du sollst nicht töten… aber auch, die Feinde des Herren niederzustrecken. Als ein Mann der Extreme ist er kein guter, milder und vergebender Mensch – aber auch kein böser und habgieriger. Mit der Waffe in der Hand lässt er stets nur eine Wahl: Leben oder Tod. Keine zweite Chance. Wer Shannow erneut in die Quere kommt, den schickt er ganz alttestamentarisch zur Hölle. Shannow verzweifelt an seinen Taten – Gutes will er tun, doch seine Gewalt führt nur zu noch mehr Gewalt, Mord und Tod sind stets seine Begleiter. Tut er nichts gegen Willkür und Gewalt, sieht er hilflos zu wie Leid geschieht – greift er ein, eskaliert die Gewalt noch mehr.

Soviel zu Shannow – nun möchte ich kurz die Handlung von „Wolf in Shadow“ vorstellen. Der Beginn des Buches ist recht… apokalyptisch.

Ein Überlebender des atomaren Weltuntergangs hat mit Hilfe der magischen Sipstrassi-Steine seit über 300 Jahren überlebt. Mit seinem Wissen um verloren gegangene Technologien und den aus den ersten Bänden der Saga bekannten Steinchen hat er ein Weltreich aufgebaut. Die Zerstörung der Welt hat ihm den Glauben an Gott genommen, er interpretiert die Bibel recht eigenwillig und nennt sich jetzt Abaddon, Sendbote Satans auf Erden.

Seine Macht fußt auf den Sipstrassi-Steinen – aber deren Macht ist endlich: Golden glänzend werden sie, je öfter sie verwendet werden, schwärzer – bis nichts mehr geht. Aber… man kann sie mit BLUT, oder besser gesagt der Lebensenergie von Menschen, neu „auffüllen“. Dann werden die Sipstrassi zu „Blutsteinen“, welche nicht mehr heilen und erschaffen können, aber dem Anwender Stärke und Macht geben, sowie seine niederen Regungen wie Gier und Hass steigern. Das schreckliche ist, es macht süchtig – und verlangt nach immer mehr Nachschub.

So ziehen dann die „Hellborn“, des Satans treue Kinder, vom wiedererrichteten neuen Babylon mit fortschrittlichen Revolvern (Steinschlossflinten, Musketen und Armbrüste sind der „Standard“) aus, um ein Weltreich zu erobern. Menschen werden als Blutopfer dargebracht, und jeder von der Hellborn-Armee getötete Mensch gibt seine Energie an Abaddon ab, der sie über die in die Stirn eines jeden Hellborn eingepflanzten Blutstein-Splitter empfängt.

Dieser „Teufel“ stößt bald auf Jon Shannow… dieser ist mit einem Siedlertreck und seiner neuen Lebensgefährtin in die Plague Lands gezogen, wird aber von ihnen getrennt. Als er erfährt, dass die Hellborn das Leben der Siedler bedrohen, nimmt er den Kampf auf. Abaddon schickt seine „Zealots“, Fanatiker mit durch Blutstein gesteigerten psionischen Fähigkeiten, Shannow und dem desertierten Hellborn Batik entgegen.

Sein Bruder Daniel Cade reagiert anders auf die Bedrohung durch die Hellborn: Ohne Siedler zum berauben hat man als Räuber keine Existenzgrundlage. Er organisiert Verteidigung und Flucht vor den Hellborn und macht sich die Bibel als Werkzeug zunutze, gibt sich als Prophet aus – er hat die Macht der Religion zur Manipulation erkannt. Das Ganze läuft jedoch anders, als er es erwartet hat: Nach einigen glücklichen Erfolgen und nachdem einige Ex-Banditen Cades ihr Leben opferten, um Siedler vor den Hellborn zu schützen, wird er immer populärer und seine Erfolge als Wunder gefeiert. Auch Cade selbst ist betroffen, er erkennt, dass ihm ein respektiertes Leben und ein Ideal, für das er kämpfen kann, mehr Wert sind als ein Leben als Desperado, und wird selbst bekehrt.

Doch es ist an Shannow, die Macht Abaddons zu brechen – denn er ist nur ein Werkzeug anderer Überlebender der Apokalypse, die ihre eigenen Ziele verfolgen… deren Anführer ist der wahre „Wolf in Shadow“…

Das Szenario tönt wie eine Groschenheft-Apokalypse, wenn man das so liest. Man darf sich nicht täuschen lassen: Gemmell ist ein erstklassiger Charakter-Beschreiber, die Handlung gewinnt mit dem überraschenden Ende, das ich nicht verraten werde, an Klasse. Die christlichen Aspekte und der „Teufel“ werden zum Glück nicht in üblicher amerikanischer Art und Weise runtergeleiert… Gemmell ist Brite, und er hat mit seiner Version dieser Thematik ein sehr ansprechendes Buch geliefert.

Schön ist auch, dass die Folgebände nicht wiederkäuen, sondern erweitern: So gibt Shannow Noah die Inspiration zum Bau der Arche, und wird zum Auslöser des Weltuntergangs. Ja, Jon Shannow war schuld – auch am Untergang von Atlantis! Im finalen Band ist Shannow eine Legende und ein Quasi-Heiliger, in dessen Namen die „Jerusalem Riders“ mit Gewalt und Willkür ihre „Wahrheit“ durchsetzen – was Shannow noch tiefer als seine eigenen Sünden erschüttert.

„Wolf in Shadow“ ist leider NUR auf ENGLISCH erhältlich. Da derzeit Gemmell’s Rigante-Zyklus übersetzt wird, wird man so bald auch nicht mit einer deutschen Fassung rechnen können. Wer es dennoch versuchen will – in Gemmell’s Büchern reden die Hauptpersonen sehr viel in direkter Rede, und es ist deshalb leichter verständlich als manch andere englische Bücher.

Mich begeistert insbesondere das frische Szenario, das vom Standard-Ambiente der Antike und des Mittelalters abweicht. Kommt der Folgeband „The Last Guardian“ nicht ganz so gut rüber wie „Wolf in Shadow“, ist das Finale mit „Bloodstone“ ein echter Knüller.

Wer ein bisschen Englisch kann und auf düstere Heldentypen steht, der findet in Jon Shannow exzellentes Lesefutter. Das Buch spricht wohl deshalb auch eher eine männliche Zielgruppe an.

Coleman, Loren – Kampf beginnt, Der (Mechwarrior Dark Age 2)

BattleTech-Fans können aufatmen: Auch wenn die Nachfolgeserie der beliebten TableTop-Reihe rund um die gigantischen Kampfkolosse aus Stahl ein wenig respektables Debüt mit „Geisterkrieg“ präsentierte, bei Loren Coleman’s Roman „Der Kampf beginnt“ ist der Name Programm – er zeigt, welches Potential in dem neuen Szenario steckt und lässt Stackpole’s Ausrutscher schnell vergessen.

Die Handlung des Romans spielt vollständig auf der Welt Achernar, eine der wenigen Welten der Inneren Sphäre, die noch über einen funktionsfähigen Hyperpuls-Generator verfügen. Sowohl die Republik der Inneren Sphäre als auch die der Clankultur treuen Stahlwölfe sind deshalb an der Kontrolle über diese Welt interessiert. Doch auch lokale Kräfte wie der „Schwertschwur“ der Sandovals machen ihre Rechte geltend. Der gescheiterte Mechkrieger Raul Ortega wird seine zweite Chance erhalten – der Zöllner darf einen Legionär-BattleMech in die Schlacht gegen die Stahlwölfe führen, die wie in den Zeiten der Claninvasion einen Besitztest um Achernar fordern. Für zusätzliche Verwirrung sorgen die bemerkenswert – ich spreche hier nicht nur von ihrem Mech – gut ausgestattete Mechkriegerin Tassa Kay und der nicht immer loyale Kommandeur des Schwertschwurs, Erik Sandoval-Gröll.

Loren Coleman stand bislang immer im Schatten des erklärten Lieblings Stackpole, das neue Endzeit-Szenario von Dark Age scheint ihm jedoch besser zu liegen. Anstelle ganzer Heerscharen von BattleMechs sind nie mehr als 3-4 Mechs auf einem Schlachtfeld aktiv, dazu einige wenige Panzer und Elementare. Hochgezüchtete Kampfkolosse werden durch umgebaute AgroMechs ersetzt, Tassa Kay’s moderner Ryoken II stellt auf dem Schlachtfeld die absolute Ausnahme dar. Das kommt Raul Ortega’s Legionär zugute: Ein 50-t-Mech mit nur einer einzigen Autokanone hätte wohl kaum in der klassischen Serie für Aufsehen gesorgt. In Dark Age ist er ein wandelnder Alptraum. Der klassische Mech-Einzelkampf weicht Verbundwaffentaktik – Panzer und Infanterie sowie Helikopter haben in Dark Age ihren festen Platz. Kurz, die Mechgefechte machen wieder Spaß und erinnern ein wenig an die ersten Romane um die Gray-Death-Trilogie.

Die Hauptfiguren sind allesamt interessant: Man fiebert mit Raul Ortega und Tassa Kay, auch die Clanner auf der Gegenseite oder der seine eigenen Pläne verfolgende Sandoval-Gröll haben glaubhafte Motivationen und Probleme – mancher auch das eine oder andere Geheimnis…

Ein wenig mehr Licht wird auf die aktuellen Verhältnisse der Inneren Sphäre geworfen, nicht nur die Stahlwölfe planen die Eroberung von Präfektur IV, radikale Fraktionen der früheren Herrscherhäuser nehmen alte Fehden wieder auf. Der fahrende Ritter Kyle Powers hat alle Hände voll zu tun, besonderes Augenmerk wird auf den Aufstieg von Raul Ortega in höhere Ränge gelegt, aber auch die Clanner und der Schwertschwur bekommen ihre eigenen Kapitel gewidmet, was die jeweilige Situation aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet und für Abwechslung sorgt. Durch die Konzentration der Gefechte auf wenige Mechs und die vorherige Bekanntmachung des Lesers mit ihren Piloten gewinnen diese eine höhere Intensität als das am Ende massenkampflastig gewordene klassische BattleTech.

Die Übersetzung von Reinhold H. Mai ist in gewohnt guter Qualität, das Titelbild vermag sogar zu begeistern: Heyne hat ein absolut zur Handlung passendes Titelbild mit einem Legionär-Mech von Wizkids gekauft! Der einzige Wermutstropfen dieses Romans ist, dass er die Handlung der Serie nicht wirklich voranbringt. Die letzte Genialität, die Stackpoles Klassiker auszeichnete, fehlt Coleman leider auch dieses Mal.

Dafür zeigt er, wie gut man klassische BattleTech-Aspekte mit dem neuen Szenario verbinden kann – es ist hervorragend gelungen! Ob Raul Ortega es in die Herzen der Fans schaffen und einem Grayson Carlyle oder Kai Allard-Liao den Rang ablaufen kann, wird sich zeigen, sein „Legionär“-BattleMech dürfte sich bereits seit diesem Roman einen Platz im Herzen der Fans erballert haben. Von der mysterösen Tassa Kay wird man noch mehr hören, einen Teil ihrer Geheimnisse offenbart sie bereits in diesem Roman – ein Tipp für alle BattleTech-Fans: Einfach einen Blick auf das US-Cover werfen und darüber nachdenken, an wen sie euch erinnert. Der Roman gefiel mir sehr gut und ist eine wahre Erlösung nach dem frustrierenden Einstiegsband, er macht Lust auf mehr. Ganz in klassischer Clanner-Manier gesagt: Gut gehandelt und akzeptiert, Mr. Coleman!

Ich bin gespannt, wie die Neulinge Robert E. Vardeman und Martin Delrio sich schlagen werden. Dass man aus dem umstrittenen Dark Age etwas machen kann, beweist dieser Roman.

Eddings, David – Thron im Diamant, Der (Elenium)

„Zu Anbeginn der Zeit, lange ehe die Urväter von Styrikum in Felle gehüllt und mit Keulen bewaffnet aus den Bergen und Wäldern von Zemoch auf die Ebenen von Mitteleosien schlurften, hauste in einer Höhle, tief unter dem ewigen Schnee Thalesiens, ein zwergenwüchsiger, missgestalteter Troll namens Ghwerig. (…) …der Stein, der von tiefstem Saphirblau war, besaß die Form einer Rose. Er gab ihm den Namen Bhelliom, Blumenstein, und er glaubte, dass die Kraft dieser edlen Saphirrose jeden Wunsch zu erfüllen vermochte.“

So beginnt die Vorgeschichte des ersten Bandes der Elenium-Trilogie, „Der Thron im Diamant“. David Eddings schrieb diese parallel zu den letzten Bänden der Malloreon-Saga 1989 (Der Thron im Diamant), 1990 (Der Ritter vom Rubin) und 1991 (Die Rose aus Saphir). Unverkennbar die Quelle der Inspiration, der Bhelliom und Ghwerig könnten auch der Meister-Ring und Gollum sein. Allerdings hat Eddings nicht kopiert, sondern nur die besten Stücke aus Artussage, dem Herrn der Ringe und anderen Sagen in eine eigenständige Geschichte übertragen.

Die Elenium-Trilogie lebt von ihren stolzen Rittern und Recken – und ebenso üblen Schurken. Der Held Sperber gehört einem kirchlichen Ritterorden an, der sich an den legendären Templern orientiert. Um das Mittelalter mit einer gehörigen Portion Romantik und Hexerei wiederaufleben zu lassen, wird der Bhelliom erst einmal zum Heilmittel für die sterbende Königin Eleniens degradiert: Diese wurde auf Geheiß des Primas Annias mit dem tödlichen Gift Darestim vergiftet. Nur dank des Eingreifens des pandionischen Hochmeisters Vanion und der styrischen Zauberin Sephrania kann ihr Leben vorerst gerettet werden:

Zwölf Ritter verpfänden ihr Leben, um das ihrer Königin in einem unzerstörbaren Diamant zu bewahren, bis ein Heilmittel gefunden werden kann. Der Haken: Der Zauber hält höchstens ein Jahr, und jeden Monat muss einer der Ritter sterben…

Der durch eine Intrige exilierte Sperber kehrt zurück an den Königshof, um seine Aufgabe als Streiter der Königin – Sir Lancelot lässt grüßen – wieder aufzunehmen. Er macht sich mit zahlreichen Gefährten, vom edlen Ritter über den gewitzten Dieb bis hin zur liebenswerten Mystikerin Sephrania auf die Suche. Bald stellt sich heraus: Nur ein magisches Artefakt höchster Macht kann Ehlanas Leben retten und dadurch die Machtübernahme des Primas verhindern. Der lange verschollene Bhelliom muss wiedergefunden werden… doch nicht nur Sterbliche suchen ihn, die jungen Götter von Styrikum und die alten Trollgötter haben ebenfalls ihre eigenen Pläne mit dem magischen Juwel.

Klassischer geht es kaum – High Fantasy wurde durch Eddings geprägt. Etliche seiner Ideen wurden geklaut und zu einer dadurch natürlich nicht völlig neuen Geschichte verbunden. Rittertum, Kirche, Minne, Hexerei, Diebe und Meuchler – der Einfluss des Hochmittelalters ist unverkennbar, und gibt dem Buch Charme und Glanz. Eddings geizt auch nicht mit Humor: Ritter Sperber, im englischen Original „Sparhawk“, insofern ist mir der etwas seltsame deutsche Name doch lieber, hat ein bissiges Streitross und eine gebrochene Nase, plus einen etwas kernigeren Charakter als der edle Sir Lancelot. Seine Begleiter stehen da kaum nach, Sephrenia ist eine liebenswertere Variante seiner bekannten Zauberin Polgara, und Königin Ehlana darf im ersten Band eingeschlossen in Diamant warten, bis Sperber sie erlöst, wie Schneewittchen im Glassarg. Der Bastard seines Knappen Kurik ist der obligatorische smarte Dieb, mit Bevier ist ein überkorrekter und weltfremd frommer Ritter aufgeboten, der nicht gegensätzlicher zu Sperbers Erzfeind Martel, einen vom Orden verstoßenen, gefallenen Ritter, sein könnte.

Die Abenteuerfahrt durch die Wüsten von Rendor, düstere Städte und Sumpfgebiete führt im ersten Band noch nicht zum Ziel, erst in den Folgebänden wird man den Bhelliom in einer Trollhöhle finden und Ehlana heilen können – hier ist normalerweise das Happy End erreicht, Eddings setzt hier noch einen drauf – wie ich schon sagte, es gab mehrere Interessenten am Bhelliom…

Die Elenium-Saga hat mir wegen ihres stark mittelalterlich-märchenhaften Einschlags gefallen; ebenso sind die Hauptfiguren einfach liebenswert, besonders Sephrenia. Leider sind alle Figuren mehr oder minder klischeehaft, vor allem entwickeln sie sich nicht weiter. Hier erkennt man auch das Alter der Geschichte (1989): Es gibt ganz klar das Gute und das Böse, alle Figuren bleiben von Anfang bis Ende unverändert. Deshalb verliert sich der Charme der Charaktere spätestens im zweiten Band, es kommt einfach nicht mehr viel Neues hinzu. Faszinierende Entwicklungen vom Buhmann bis hin zum Sympathieträger, wie bei einem Jaime Lannister von George R.R. Martin, so etwas bietet Eddings einfach nicht. Das führt dann auch dazu, dass, sobald die Figuren an Glanz verlieren, die Story einfach nicht mehr begeistern kann, dazu ist sie viel zu simpel und linear. Keine verschlungenen Intrigen, wenig Raum zum Spekulieren. Eddings pflegt wie schon in der Belgariad-Saga einen sehr dialoglastigen Stil, verzichtet weitgehend auf detaillierte Beschreibungen, was ich nicht negativ meine. Das Szenario und sein Stil regen die Phantasie an, weshalb die laut Buch eindeutig schwarzen Rüstungen der Pandioner in meiner Vorstellung zu glänzend silbernen Harnischen mutierten – es passte einfach besser in mein Bild dieser Welt. Mehr hätte Eddings aus der Tatsache machen können, dass die elenischen Ritter, um ihren schweren Aufgaben nachzukommen, von styrischen Hexern in der Zauberei unterrichtet werden – obwohl der Glaube an die Götter Styrikums als Ketzerei gilt. Hier hatte ich auf Konflikte gehofft, ärgerlicherweise blendet Eddings die Vorbehalte der Kirchenfürsten stets aus, wenn es ihm in den Kram passt und es für die Handlung nötig ist. Das Buch ist übrigens ziemlich brutal: Von lebendig einmauern bis hin zu foltern, vergewaltigen und einfach mal so hilflos verrecken lassen – Eddings ist im ersten Band schon brutal und steigert sich bis zum letzten hin noch einmal drastisch, was mich sehr gewundert hat, in der zeitgleich geschriebenen Malloreon-Saga hält er sich in dieser Hinsicht sehr zurück.

Ein Lob verdient auch die Übersetzung, bis auf den kaum annehmbar übersetzbaren, seltsamen Namen Sperber (Sparhawk) [„Sparhawk“ leitet sich von „sparrow hawk“ her, was wiederum „Sperber“ bedeutet und ist damit tatsächlich eigentlich ebenso wenig übersetzbar wie Sir Lancelot (lance-a-lot), Anm. d. Lektors] stimmt alles, auch sind die Bücher besser lektoriert als die Belgariad- und Malloreon-Saga, sie enthalten kaum Tipp- oder Flüchtigkeitsfehler wie die genannten Werke. Die Titelbilder sind eine Klasse für sich: Besonders das Titelbild des ersten Bandes, die in Diamant eingeschlossene Königin Ehlana, hat mir gefallen. Karten begleiten fast jedes Kapitel, inklusive einer großen Übersichtskarte auf den ersten Seiten oder auf der Innenseite des Einbandes, je nach Version:

Die Trilogie ist als Sammelband „Elenium“ erschienen, etwas schöner und luxuriöser sind die schwer erhältlichen Hardcover. Als Taschenbuchausgabe existiert eine mit silbernen Lettern versehene und etwas größer formatierte Jubiläums-Edition, sowie die kleinen, schlichten Taschenbücher, auf denen die Titelbilder verkleinert und mit hässlich bunter Schrift bedeutend weniger schön abgedruckt sind.

„Der Thron im Diamant“ bietet eine spannende, abwechslungsreiche Abenteuergeschichte mit liebenswerten Charakteren. Eine besonders originelle Story sucht man jedoch vergebens, die Figuren wirken auch etwas altbacken. Die Trilogie ist abgeschlossen und mit der Tamuli-Saga ist eine bereits ebenfalls fertige Fortsetzung erschienen. Viel komplexer und moderner ist George R.R. Martin’s „Lied von Eis und Feuer“ – dennoch kann ich die Elenium-Trilogie und besonders den ersten Band, „Der Thron im Diamant“, den ich für den besten halte, empfehlen.

Homepage des Autors: http://www.eddingschronicles.com/

Voenix – Tolkiens Wurzeln. Die mythischen Quellen zu \’Der Herr der Ringe\‘

Noch ein Buch zum Herrn der Ringe? Gleich vorweg: Voenix ist sich der mit einem solchen Thema verbundenen Fragen und Schwierigkeiten bewusst: zu viele Tolkien-Fans haben den Deutungsrahmen dieses Buches so überstrapaziert, dass alles und jedes darin gefunden werden kann. Dagegen sprach Tolkien sich klar gegen nachträgliche allegorische o. a. Deutungen aus und hielt davon nichts. Voenix schildert im Vorwort deutlich diese konträren Positionen und findet eine gelungene Synthese, die beidem Rechnung trägt: Jedes Kapitel ist in sich unterteilt in einen beschreibenden Teil, eine mythologische Ausleuchtung und eine Charakterisierung.

Die Gefahr der Überdeutung besteht bei Voenix nicht, da er als Kenner der nordischen Mythen den Schwerpunkt auf genau diese Bereiche legt. Durch diese Hintergründe bekommt Tolkiens Werk eine Tiefe und Verbindungen, die eine große Bereicherung für den Leser darstellen. Die Charakterisierungen in den einzelnen Kapiteln orientieren sich modellhaft an der Psychologie, besonders den Archetypen C.G. Jungs. Die archetypischen seelischen Prozesse sind eine naheliegende Parallele zum Mythos, Geschehnisse und Grundfragen des Lebens in einer zeitgemäßeren Sprache anders darzustellen und dadurch eine neue Perspektive zu gewinnen. Die Wahl ist also thematisch gut begründet; darüber hinaus zeigen sich hier Verbindungen zu Akron, mit dem der Autor seit Jahren befreundet ist und deren Zusammenarbeit dieses Buch in der Form erst ermöglichte.

An manchen Stellen scheint mir die Übertragung der HdR-Geschichte auf psychische Prozesse zu holzschnittartig, zu polar konstruiert, beispielsweise, wenn an einer Stelle Triebe und Erlösung(sstreben) als Gegensätze benannt werden oder ein dunkler (verdrängter) Persönlichkeitsanteil wie eine Konstante behandelt wird. Aber das sind insgesamt Kleinigkeiten, die am gelungenen Gesamteindruck von „Tolkiens Wurzeln“ verblassen. Und ob der Leser mit einer umfangreichen Psychologie-Einführung in einem Tolkien-Buch zufriedener wäre… das ist fraglich. Vielmehr werden bestimmte psychische Aspekte betont, und Schwerpunkte muss man gerade bei einem so facettenreichen Werk wie von Tolkien setzen – es bleiben Fragen offen, an denen der Leser gewinnbringend weiterdenken kann.
Noch ein paar Worte zum Inhalt: Wie schon erwähnt, ist die systematische Trennung einzelner Bereiche der Beschreibung und Deutung sehr positiv sowohl für das Mitdenken und Nachvollziehen, als auch für das Auffinden eines Themas. Die einzelnen Kapitel sind thematisch gruppiert; einige Themen sind ‚Die Völker von Mittelerde‘, ‚Die neun Gefährten‘, ‚Die Verbündeten und Frauen im HdR‘, die Gegner der Gefährten, mythische Motive und Historisches.

Voenix hat das Buch mit zahlreichen farbigen Illustrationen versehen, bei denen er sich an den Darstellern der Verfilmung von Peter Jackson orientierte, was bei mir so manche Erinnerung weckte und die Geschichte noch lebendiger werden ließ. So „verspricht dieses Buch neben neuen Antworten und Einsichten einen doppelten Lesegenuss für alle Fans des Fantasy-Genres, Mythenliebhaber und solche, die es werden wollen.“ (Klappentext) Jo, Recht hamse.

_Knut Gierdahl_
für die Zeitschrift [AHA]http://www.aha-zeitschrift.de
Ausgabe 04/2003 (August/September)

Homepage des Autors: http://www.voenix.de
Homepage des Verlages: http://www.akron.ch/verlag/verlag.htm

Wilson, Robert Charles – Bios

Mutter Erde ist ein Waisenkind. Das stellt sich heraus, als die Menschen den Planeten Isis erforschen. Doch um diese Wahrheit zu erfahren, müssen die Forscher aufhören, als Menschen zu existieren. – „Bios“, im Original 1999 erschienen, ist ein wissenschaftlich fundierter und recht spannend geschriebener SF-Roman: ein wahrer Bio-Thriller.
Robert Charles Wilson wurde 1953 in Kalifornien geboren und lebt in Toronto. Er gehört seit seinem mehrfach preisgekrönten Roman „Darwinia“ zu den bedeutendsten Science-Fiction-Autoren der Gegenwart.

Im 22. Jahrhundert haben die Menschen die von Seuchen und Biowaffen verheerte Erde weitgehend verlassen müssen. Zunächst gründeten die konservativen Nonkonformisten am Rande des Solarsystems, im so genannten Kuiper-Gürtel, eigene Kolonien. Alle Hoffnungen jedoch ruhten auf weit entfernten erdähnlichen Welten wie Isis, die man komplett und in großer Zahl besiedeln konnte.
Auf Isis, so beobachten die Forscher, ist die Evolution natürlich anders verlaufen als auf der Erde, weniger von Katastrophen und Mutationen heimgesucht. Folglich ist das Leben an sich, die Zellen selbst, hoch entwickelt und äußerst wehrhaft gegen Einwirkungen von außen. Den Menschen präsentiert sich ein Paradies, das für sie absolut tödlich ist: Die Isis-Organismen zersetzen menschliche Zellen zu einer schwarzen Soße.
In dieses tödliche Wunderland dringt eine neue Alice vor. Mit Namen Zoe Fisher, soll sie erst auf der Orbitalstation Dienst schieben, später dann die neueste Errungenschaft der Erdwissenschaft testen: einem neuen Exkursionsanzug. Dafür ist’s auch höchste Zeit, denn die Isis-Mikroben haben offenbar eine Methode gefunden, um die Dichtungen der Bodenstationen und der herkömmliche Exkursionsanzüge, die schwer gepanzert sind, zu zersetzen: Der Untergang der Menschen auf – und über – Isis ist besiegelt.
Zoe ist nicht nur außen besser geschützt als der Rest, sondern auch innen. So kann sie weiter vordringen als irgendein Mensch vor ihr, mitten in eine Kolonie intelligenter Wesen. Und dort stößt sie auf ein unglaubliches Geheimnis.

Ich habe diesen Bio-Thriller in nur einem Tag gelesen. Das ist nicht schwer, denn die Kapitel sind so kurz wie bei James Patterson und ebenso spannend. Außerdem kam es mir dabei so vor, als hätte ich so manches Motiv bereits irgendwo anders gelesen – wenn auch nicht in dieser Kombination. Um zu entsprechenden Quellen zu gelangen, müsste man in die siebziger Jahre zurückgehen, zu Autoren wie Alan Dean Foster, oder noch weiter zurück.
Sei’s drum: Die Story reißt mit. Und es geht dem Autoren ja nicht um die simple Erforschung des Geheimnisses von Isis oder den unabwendbaren Untergang seiner Erforscher, sondern vielmehr auch um die Untersuchung eines Testfalls. Getestet wird hier nicht die Fremdwelt, sondern die Menschheit des 22. Jahrhunderts. Dieser Test bezieht sich nicht nur auf die fortgeschrittene Technik – das wäre ja zu erwarten -, sondern insbesondere auf die psychosoziale Verfassung der Menschen, die mit Isis zu tun haben.
Wie oben erwähnt, ist die Menschheit lange in zwei Siedlungszonen gespaltet gewesen: die Erdlinge, die das Kartell hervorgebracht haben, und die nonkonformistischen Rebellen der Kuiper-Welten. An der Front, also in der Isis-Orbitalstation und in den Bodenstationen, müssen beide zusammenarbeiten. Doch nur die Erdlinge haben leitende Funktionen inne, die Kuiper-Rebellen machen die Drecksarbeit und sind folglich unter den ersten, die geopfert werden.
Dieses System erinnert an die mittelalterliche Zeit des Feudalismus, als sich die Adligen zu Zeiten der Pest in ihren Schlösser und Burgen verschanzten, in der Hoffnung, von der tödlichen Seuche verschont zu werden. Eine Illusion, wie sich oft herausstellte. Edgar Allan Poe hat darüber eine schön-schaurige Geschichte geschrieben: „Die Maske/Der Maskenball des Roten Todes“ (The Masque of the Red Death).
Nun wiederholt sich die Geschichte auf Isis: Die ‚Bauern‘ werden geopfert, die ‚Adligen‘ und Funktionäre versuchen ihre Haut zu retten, und nur ein einziger Mensch setzt sich wirklich mit dem grundlegenden Problem auseinander: Zoe Fisher, unsere Alice im Wunderland. Als 150 Jahre später nach einer Revolution wieder Forscher nach Isis kommen, werden sie als alte Bekannte begrüßt – aber nicht von Menschen und nicht in einer ihnen bekannten Sprache. Werden die Waisen der Sterne endlich nach Hause finden?

Wie gesagt, lässt sich „Bios“ sehr schnell und spannend lesen. Der Schluss ist ein schöner Augenöffner, soll hier aber nicht verraten werden.
Die Übersetzung vom Ehepaar Linckens trägt wesentlich zum Verständnis der zahlreichen Fachbegriffe aus der Biochemie bei: Diese Begriffe werden kurz in Fußnoten erklärt. Auch stilistisch ist die Übersetzung ein echter Pluspunkt des Buches.
Science-Fiction-Kennern werden einige Motive bekannt vorkommen, so dass sie das Buch nicht gerade umhaut. Die Vorgänge an Bord der Isis-Orbitalstation hätte beispielsweise C. J. Cherryh wie in „Pells Stern“ (Downbelow Station, HUGO-preisgekrönt) sicherlich spannender und komplexer geschildert. Die Exkursionen auf Isis selbst wurden schon x-mal ähnlich beschrieben, etwa in zahllosen Folgen von „Earth 2“. Eigenständig ist wohl eher die Figur der Zoe Fisher und das System, das sie hervorgebracht hat.

_Michael Matzer_ (c) 2003ff
(lektoriell editiert)

Haber, Karen (Hg.) – Geheimnis der Matrix, Das

„Matrix Reloaded“ war mit grandiosem Erfolg in den USA gestartet und hatte sofort neue Kassenrekorde aufgestellt, obwohl es wegen seines Gehalts an Sex (virtueller Sex?) und Gewalt erst ab 17 mit Elternbegleitung freigegeben wurde (R-rated). Doch es bleiben noch immer ein paar grundsätzliche Fragen, und die versuchen die AutorInnen des vorliegenden Sammelbandes zu beantworten oder zumindest einzukreisen. Unter den Autoren finden sich dabei höchst klingende Namen wie etwa der von Bruce Sterling, einem der Erfinder des „Cyberpunk“, und David Brin, seines Zeichens ein gestandener Physiker, der obendrein einer der erfolgreichsten Science-Fiction-Autoren ist. Insgesamt sind 14 Beiträge unterschiedlicher Länge enthalten. Für Freunde des Films, die schon immer wissen wollten: „What is the Matrix?“ und ist sie überhaupt möglich, ist diese Anthologie sehr empfehlenswert.

Karen Haber, geboren 1955, ist seit 1987 die Gattin von Robert Silverberg, einer der lebenden Legenden der Science Fiction. Ebenso wie er hat sie sich als Herausgeberin von guten Anthologien einen Namen gemacht. Im Genre der Science Fiction kennt sie alles, das Rang und Namen hat. In Deutschland wurde von ihr der Mutanten-Zyklus bei Heyne veröffentlicht, dessen fünf Romane sie fast vollständig ohne Kooperation mit ihrem Mann schrieb.

Es wäre nun relativ ineffizient, alle Beiträge als Liste abhaken zu wollen. Vielmehr lassen sich fast alle Beiträge in wenigen thematischen Gruppen zusammenfassen:

In der ersten Gruppe beschäftigen sich die AutorInnen mit dem Film „The Matrix“ an sich: Was macht ihn so besonders, woher kommt sein Erfolg, wie sind seine Machart und Ideen zu bewerten? Den besten Beitrag dazu hat meiner Ansicht nach Bruce Sterling geschrieben: „Jeder andere Film ist die blaue Kapsel“. Sterling lässt sich nicht täuschen von den Spezialeffekten, den vielfältigen Zitaten aus allen möglichen Literaturwerken, Philosophien und Religionen, sondern sagt knallhart, was hier Sache ist. Man merkt ihm an, dass er in den frühen Achtzigerjahren Herausgeber des wichtigsten Cyberpunk-Organs war.

Paul di Filippo führt zahlreiche Einflüsse aus der Literatur an, um klarzumachen, dass ein Phänomen wie Matrix nicht aus dem Nichts gekommen ist, sondern zahlreiche Wurzeln aufweist, nicht zuletzt Cyberpunk. Karen Haber ist ebenfalls aufgefallen, dass Design und Spiegel eine wichtige Rolle im Film spielen. Diese Lack-und-Leder-Fetischisten sehen einfach obercool aus. Und genau das macht Neo & Co. zu so verführerischen Leitbildern für die Jugend. Aber nicht für irgendwelche Basketballspieler an amerikanischen Highschools und Colleges, sondern für ihre Computer spielenden Brüder, die gerne auch so abgefahren aussehen möchten wie Neo, um damit die Mädels zu beeindrucken. Außerdem: Wer wollte nicht auch fliegen wie Neo und kämpfen wie Morpheus? Leider sind sie auch Waffenfetischisten par Excellence: „We need guns. Lots of guns.“ Das dachten sich die Attentäter von Littleton auch, als sie den Anschlag auf die Columbine Highschool vorbereiteten. Star-Wars-Autor Kevin J. Anderson befasst sich ernsthaft mit dem Aspekt des schlechten Einflusses auf die Jugend. „Die Rache der Unterdrückten, Teil 10“ lautet denn auch sarkastisch das Fazit von Alan Dean Foster, dem Schöpfer des Humanx-Commonwealth-Universums.

David Brin legt den rückwärts gewandten Romantizismus des von einer Prophezeiung bestimmten Films offen: Weil Neo der „Auserwählte“ ist, von Morpheus alias Johannes dem Täufer ausgebildet und vom Orakel quasi gesegnet ist, wird er seiner Bestimmung zugeführt. Und durch Trinity alias Maria Magdalena wird dieser neue Jesus vollends unsterblich. Sind das die Leute, die eine Ahnung davon haben, wie unsere Zukunft aussehen soll? Die Wissenschaft und Technik lieben? Genauso wenig wie Tolkien die „schwarzen satanischen Mühlen“ (W. Blake) in „Herr der Ringe“ liebte. Nur tragen sie jetzt einen anderen Namen: Matrix!

Aber die Matrix hat zwei Aspekte: Da sie eine Totalsimulation ist, fällt es extrem schwer, sie zu erkennen. Und da sie eine Simulation ist, muss jemand es geschafft haben, Riesenmengen von Daten und Energie dafür abzuzweigen. In der Matrix herrscht auf ewig das Jahr 1999 mit all seinen schönen und schmutzigen Seiten. Frauen in roten Kleidern sind eine subversive Erscheinung, der Rest der Menschheit verhält sich wie hirnlose Schafe. Höchste Zeit, dem weißen Kaninchen bis in die tiefsten Tiefen des Kaninchenbaues zu folgen wie weiland Alice. Es ist Neos Seelenführer im Auftrag des global gesuchten Oberterroristen Morpheus. Neo kennt zwar Baudrillards Buch über Simulacren und Simulation, so dass er ahnt, dass etwas nicht mit der Welt stimmt, aber er weiß nicht, was es ist. Das Problem betrifft also Erkenntnisfähigkeit und Wahrnehmung – zwei Aspekte, die von John Shirley ebenso aufgegriffen wird von Kathleen Ann Goonan: Was hält die Welt im Innersten zusammen? Und wer hat die Welt/Matrix entworfen und gebaut, zu welchem Zweck und mit welchen Vorgaben? Wenn die Matrix zerstört werden kann, was ist dann die Nachfolgewelt und wer soll dort herrschen?

Der Brite Ian Watson beschriebt die Matrix gleich als ein Simulacrum (künstliches Abbild), und sein Landsmann Stephen Baxter berechnet mathematisch und nach physikalischen Maßgaben, wie viel Energie und Daten man aufwenden müsste, um ein Matrix-Simulacrum der Welt zu erschaffen. Je größer der Rauminhalt der Welt, desto exponentiell größer die nötige Daten- und Energiemenge. Das Simulakrum einer Stadt verbraucht weniger davon als etwa ein Kontinent und so weiter. Man geht von einer Datenmenge von 1 Megabyte aus, die nötig ist, eine Totalsimulation eines einzigen Wasserstoffmoleküls zu erschaffen. Die Rede ist also von astronomisch großen Datenmengen. Natürlich müsste nicht jedes Haus komplett erschaffen werden, sondern wie im Film nur seine Frontseite etc. Das wird ja so auch in Spielen gemacht. Dennoch ist die erforderliche Rechenkapazität enorm. Und die nötige Energie sollen Menschen liefern? Irgendwo geht die Rechnung nicht auf.

Die restlichen Beiträge beschäftigen sich mit sehr speziellen Aspekten des Films. Rick Berry beispielsweise ist als Filmdesigner der Schöpfer der Schlusssequenz von „Vernetzt – Johnny Mnemonic“. Keanu Reeves spielte auch hier eine Cyberpunk-basierte Rolle in einer Story, die Cyberspace-Erfinder William Gibson geschrieben hatte. Als Mann vom Fach bewertet Berry also „Matrix“ und dessen Fortsetzungen: Kann zum Beispiel ein Hirnstecker funktionieren? Das sollte man sich mal überlegen.
Während Dean Motter als Comiczeichner sich über die Architektur in „Matrix“ auslässt und Darrel Anderson als Cyber-Guru demonstriert, dass künstliches Leben wie die Spinnenspäher in „Matrix“ möglich ist, steuert Star-Wars-Autor Walter Jon Williams mit seinem Essay über „Yuen Woo-Ping und die Kunst des Fliegens“ einen der informativsten und besten Beiträge zu diesem Buch bei. Man erfährt so zum Beispiel, dass der Stunt-Choreograph von „Matrix“, Yuen Woo-Ping, ein enger Freund eines gewissen Jackie Chan war/ist und dessen Riesenerfolg erst möglich machte, indem er die traditionelle männliche Heldenfigur der Peking-Oper, aus deren Tradition beide stammen, umschrieb, um sie gegenwartstauglich zu machen. Chan ist kein Übermensch mehr, sondern ein hasenfüßiger Normalo mit komischen Seiten. Dass Yuen Woo-Pings „Kunst des Fliegens“ keineswegs ungefährlich ist, zeigte sich wieder bei den Matrix-Sequels: Während Reeves Muskelzerrungen und blaue Flecken davontrug, brach sich Kollegin Moss ein Bein. Aber das war beim Motorradfahren.

Das ist aber noch nicht alles. Der Redakteur der deutschen Ausgabe, Alexander Martin, hat zu jedem/r der AutorInnen einen kurzen Eintrag geschrieben, der berichtet, was die Tätigkeitsfelder des Beiträgers sind und wo man im Internet mehr darüber erfahren kann.
Die Lesetipps im Anhang sind zweigeteilt. Bei den „Romanen und Erzählungen“ gehören natürlich zu den wichtigsten Autoren William Gibson und Philip K. Dick. Aber auch Christopher Priest („Die Amok-Schleife“), Daniel F. Galouye („The 13th floor“) und Bruce Sterling („Schismatrix“) werden genannt. Diese Liste stellt wirklich nur das absolute Minimum für Einsteiger dar.
In der Sektion „Sachbücher“ finden sich ebenfalls die üblichen Verdächtigen. Jean Baudrillard mit „Agonie des Realen/Kool Killer“, da Neos Baudrillard-Buch „Simulacra und Simulation“ immer noch nicht komplett auf Deutsch vorliegt. Dass die Wachowski-Brüder kräftig bei Joseph Campbell abgeschaut haben, lässt sich anhand von dessen Standardwerk „Der Heros in tausend Gestalten“ nachprüfen. Es handelt sich um „eine Typologie der schöpferischen Phantasie des Menschen“ – was auch immer das heißen mag. Jedenfalls holen sich hier Hollywood-Drehbuchschreiber so manche Idee, wie es mit dem Plot weitergehen soll. Der Held muss mehrere Entwicklungsstufen durchlaufen, bevor er die Welt (oder was auch immer) retten darf/kann; für die Heldin gilt auf weiblicher Ebene Entsprechendes.

Ebenso wie die Matrix-Filme wendet sich auch dieses Buch nicht an Anspruchslose, sondern fordert zum Mitdenken auf. Zwar wird dafür einiges an Weltwissen nötig – Physik, Design, Filme, um nur ein paar Gebiete zu nennen -, aber das meiste davon wird frei Haus mitgeliefert. Der anspruchsvollste Beitrag stammt von Stephen Baxter, aber der erklärt sein Thema ebenso verständlich und kompetent, wie der Amerikaner Lawrence Krauss uns die Physik von Star Trek und anderer Science-Fiction-Ideen erklärt hat. (Krauss‘ Bücher erschienen ebenfalls in der Heyne-SF-Reihe.)
Der Anhang macht das Buch auch praktisch benutzbar, da man damit in den nächsten Buchladen oder auf die nächste Website gehen und entsprechende Werke kaufen oder Infos besorgen kann.
Insofern weiß dieses Buch ebenso zu begeistern wie Karen Habers schöne Anthologie „Tolkiens Zauber“, die ich an anderer Stelle bereits vorgestellt hatte.
In jedem Fall sollte man sich mit dem Kauf dieses Buches beeilen, denn in unserer Matrix lautet das Motto neuerdings: „Life’s a sim, and then you’re deleted“…

_Michael Matzer_ (c) 2003ff
(lektoriell editiert)

Sagan, Carl – Contact

Carl Sagan war Zeit seines Lebens ein Visionär und zählt zweifelsohne zu den populärsten Wissenschaftlern unserer Zeit. So war er maßgeblich am SETI-Projekt beteiligt, der Suche nach außerirdischen Signalen (an der man sich mittlerweile durch das Programm SETI@home mit eigener Rechnerkapazität beteiligen kann), entwarf unter anderem zusammen mit Ann Druyan und Frank Drake die berühmte Plakette für die Pioneer-Sonde sowie die Goldschallplatte für die ersten Voyager-Sonden und hat eine Vielzahl populärwissenschaftlicher Bücher und Dokumentarfilme hoher Qualität und Auflage herausgebracht. Besondere Beachtung fand neben dem weltweit meistverkauften wissenschaftlichen Werk „Cosmos“ sein Roman „Contact“ von 1985, der zuletzt bei Knaur verlegt wurde und in deutscher Sprache mittlerweile leider – geradezu bedenklicherweise – nur noch aus zweiter Hand erhältlich ist (laut Auskunft von Knaur wurden die Rechte nicht an Dritte übertragen). Bekannt sollte in jedem Falle die fabelhafte Roman-Verfilmung von Oscar-Preisträger Robert Zemeckis („Forrest Gump“) sein, perfekt inszeniert mit Jodie Foster, Matthew McConaughey, James Woods, John Hurt, Tom Skerritt und Angela Bassett in den Hauptrollen.

Sagan, seines Zeichens Professor für Astronomie und Weltraumwissenschaften, war Leiter des Laboratory for Planetary Studies, Vorsitzender und Mitbegründer der Planetary Society und dozierte am Jet Propulsion Laboratory. Sagan erhielt insgesamt 22 akademische Ehrengrade; sein Werk wurde mehrfach preisgekrönt, unter anderem mit dem Pulitzer-Preis und der Public Welfare Medal, der höchsten Auszeichnung der National Academy of Sciences. Carl Sagen verstarb leider im Dezember 1996 – sein cineastisches Vermächtnis erschien 1997.

Es sei gleich voran gestellt, dass das Buch auch noch für jene interessant genug ist, die den Film gesehen haben, denn aus Gründen der Dramaturgie weichen beide Darstellungen erheblich in Details und handelnden Personen voneinander ab – bis auf das Grundgerüst gibt es nur grobe Übereinstimmungen. Dass das Resultat die Mittel rechtfertigt, muss angesichts der fabelhaften Film-Umsetzung kaum erwähnt werden, zumal Carl Sagan und Ann Druyan als ursprüngliche Schöpfer der Geschichte und des nachfolgenden Romans an der Produktion selbst beteiligt waren. Zudem geht das Buch natürlich erheblich mehr ins Detail und bietet überdies vielfache inhaltliche Besonderheiten, die im Film keinen Platz fanden bzw. nicht umgesetzt werden konnten. Ich kann übrigens durchaus anraten, den Film zuvor anzusehen, was die Intensität des Lesegenusses durch die ausgezeichnete Realisierung nur erhöht und die atmosphärische Komponente anregt, auch wenn die Abweichungen vielleicht irritieren mögen.

Die Kerngeschichte ist schnell erzählt, und wesentlicher ins Detail möchte ich auch gar nicht gehen, um dem Entdeckerdrang der Leser nichts vorweg zu nehmen. Die schon als Kind hochbegabte Dr. Ellie Arroway, die es als naturwissenschaftlich interessierte Frau in ihrer Generation reichlich schwer hat, entdeckt in faszinierender Detektivarbeit mit ihrem Team vom Projekt „Argus“ – mit 131 riesigen Radioteleskopen in der Wüste von New Mexico beheimatet – ein offenkundig künstlich erzeugtes Radiosignal aus dem Wega-System. Ein Traum wird wahr, Ellie hat endlich die Möglichkeit zu zeigen, dass ihre gern belächelte Suche nach fremden Intelligenzen nicht sinnlos war, und so werden weltweit Empfangsstationen verständigt und gekoppelt, um die „BOTSCHAFT“ lückenlos und bestätigt aufzuzeichnen und das Primzahlmuster zu entschlüsseln. Neben einer höchst dubiosen Videobotschaft versteckt sich in dem Signal die Anleitung zum Bau einer gigantischen Maschine unbekannten Zwecks, und so kommen die Weltregierungen überein, das Experiment zu wagen und sich an den Bau der Konstruktion zu machen. Als 12 Jahre später fünf Wissenschaftler in diese Maschine gesetzt werden, beginnt eine Reise ins Herz der Galaxis und der menschlichen Seele – und die Begegnung mit dem Unbekannten verläuft ganz anders als erwartet…

Die Erzählung besticht durch wissenschaftlich lehrreiche Detailfreudigkeit und ein breites Spektrum von Verwicklungen und Denkansätzen. Politische Konflikte, religiöse und philosophische Gedanken und Diskussionen, wissenschaftliche Überlegungen und persönliche Beziehungen fließen ebenso in das Konzept ein wie beständige, erfreulich neutral und in beweglichem Standpunkt vorgebrachte Kritik, versehen mit lohnenswerten Denkimpulsen durch alle angeführten Themenbereiche hindurch. Dass Sagan in erster Linie Wissenschaftler und kein Literat ist, wird zwar durchaus ersichtlich, da gelegentlich die Dramaturgie etwas hängt und einige Ausführungen sicherlich über realistisch wirkende Gespräche hinaus gehen – in diesen Punkten ist der Film klar im Vorteil – aber das tut der wahrhaft Atem beraubenden Lektüre keinen Abbruch. Zu faszinierend sind die Geschichte und ihre Implikationen, zu wesentlich die Kernbotschaften dieses Werkes, das als Utopie und Mahnung an die Menschheit zum Nachdenken, aber auch zum Träumen einlädt und bei aller teils erschreckenden Missstände, die aufgezeigt werden, letztlich voll Hoffnung auf eine positive Zukunft und Menschheitsentwicklung steckt.

Carl Sagan ist ein beeindruckendes und überaus bedeutsames Buch gelungen, das sein Andenken gebührlich zu ehren weiß und von mir jedem aufgeschlossenen und geistig beweglichen Menschen dringend ans Herz gelegt werden kann.

Homepage des Autors: http://www.carlsagan.com
Homepage des Filmes „Contact“: http://contact-themovie.warnerbros.com

Herbert, Mary H. – letzte Zauberin, Die

Lord Medb, Häuptling des mächtigen Klans der Wylflinge, hegt ehrgeizige Pläne: Er will uneingeschränkter Herrscher über die zwölf nomadischen Stämme werden, die in Eintracht in der weiten Ebene der dunklen Pferde leben. Als die Corin sich gegen Lord Medb auflehnen, lässt er den gesamten Klan durch Söldner auslöschen. Allein Gabria, die halbwüchsige Tochter des Häuptlings, überlebt unbemerkt das Massaker und schwört Blutrache. Da eine Frau im Rahmen der Klangesetze kein Recht auf Vergeltung hat, opfert sie ihr langes blondes Haar und nimmt die Identität ihres Zwillingsbruders Gabran an. Auf dem Weg zu den Khulinin, dem Klan ihrer ermordeten Mutter, rettet Gabria eine schwarze Hunnuli-Stute, die sich ihr anschließt. Die Hunnulis sind eine besondere Rasse von Pferden und jeder, der ein Hunnuli reitet, genießt ein besonderes Ansehen. Dennoch stößt Gabria bei den Khulinin auf großes Misstrauen. In dieser einsamen Zeit hält allein der Gedanke an Rache sie aufrecht; unbeirrt lässt sie sich zum Krieger ausbilden, um den Mörder der Corin beim jährlichen Treffen der Klane herauszufordern.
Lord Medb hat jedoch inzwischen ein uraltes schwarzmagisches Buch in seinen Besitz gebracht, und obwohl die Ausübung von Magie bei den Klanen mit dem Tode bestraft wird, nutzt er das Buch bei seinem Versuch, die Stämme zu unterjochen.

Der Roman ist sehr spannend geschrieben und kommt ohne eine komplexe neue Welt aus, in der es von fantastischen Elementen nur so wimmelt. Vielmehr liegt der Schwerpunkt eher auf dem fremdartigen Leben der Stämme; von den Hunnuli-Pferden und der Zauberei abgesehen, könnte das Ganze auch ein historisches Abenteuer sein.

Mary H. Herbert wurde 1957 in Ohio geboren und fing zuerst als Autorin bei der Fantasy-Serie „Drachenlanze“ an. Heute lebt sie mit ihrem Ehemann und ihren zwei Kindern in Georgia.

Anthony, Patricia – Gottes Feuer

Um eins gleich mal vorwegzunehmen: Auch wenn „Gottes Feuer“ bei der ‚Science Fiction & Fantasy‘-Reihe von Heyne erschienen ist, so handelt es dabei doch eher um einen historischen Roman, in den die Autorin geschickt einige SF-Elemente einfließen lässt.
Patricia Anthony, 1947 in den USA geboren, schrieb bereits „Kalte Verbündete“ und „Bruder Termite“. Sie ist vielseitig begabt, kann reiten und schießen, unterrichtete Englisch in Brasilien und seit 1991 lehrt sie Kreatives Schreiben an der Southern Methodist University in Dallas, Texas. Dort lebt sie heute auch.

Wenn Außerirdische im 17. Jahrhundert in Portugal abstürzen, stellt sich die Frage, sind es Engel, Dämonen, Menschen aus Borneo oder doch nur seltsame Tiere, die die Spanier per Katapulten ‚rübergeschossen haben?
Pater Manoel Pessoa ist Jesuit und Inquisitor. Im Auftrag des Heiligen Offizium reist er das Jahr über in seinem Gerichtsbezirk umher und hält nach Häresien Ausschau. In dem Dorf Quintas erfährt er bei einer Beichte, dass angeblich Engel mehreren Frauen beiwohnen, wobei ein Mädchen von ihnen sogar geschwängert worden sei. Ein anderes Mädchen berichtet ihm, es hätte die Jungfrau Maria gesehen und von ihr einen Auftrag bekommen, den sie aber niemandem sagen dürfe. Mehrere Bewohner des Dorfes erzählen von leuchtenden Kreuzen am Himmel, die sie nachts beobachtet hätten, und auf einem Feld befindet sich ein Kornkreis – gedeutet als die Spuren des Rades vom Propheten Ezechiel.
Pessoa, der mit einem doch sehr rationalen Verstand ausgestattet ist, hält diese Berichte zunächst für religiöse Wunschträume. Um eine von ihm verhasste Untersuchung und Meldung beim Offizium zu vermeiden und um seine Schäfchen zu retten, beschwört er die Bewohner, von ihren Aussagen abzulassen, ja er fordert sie sogar auf, zu fliehen, um einer Verurteilung zu entkommen.
Doch ein fallender Stern, der „Engel“ auf die Erde bringt, macht seine Bemühungen zunichte. Selbst der Dorfpater und Pessoas Freund Luis Soares sinkt vor den seltsamen Wesen auf die Knie und glaubt an ein Wunder.

Der geistig zurückgebliebene König Afonso, der auf seiner Gegen-Windmühlen-kämpfen-wie-Don-Quijote-Reise den Stern beobachtete, findet in der abgestürzten Kapsel Gott, der mit Farben zu ihm spricht und ihn in seiner, von der Inquisition als ketzerisch angesehenen Meinung bestärkt, dass sich die Erde um die Sonne dreht. Mit seinem verkümmerten Verstand scheint er der einzige zu sein, der die Wahrheit erkennt, doch sein Bruder Pedro befindet sich schon auf dem Weg zur Thronbesteigung.
Als der Generalinquisitor Monsignor Gomes in Quintas eintrifft, werden Pessoas Hoffnungen vollends zerschlagen. Ohnmächtig muss er mit ansehen, wie die fremden Wesen und die Bewohner des Dorfes ins Gefängnis geworfen werden und ein Tribunal zusammengestellt wird, bei dem er natürlich selbst Mitglied ist. Ein Autodafé (port.: Ketzerverbrennung) wird vorbereitet, und unter den Verurteilten befindet sich die jüdische Kräuterfrau Berenice Pinheiro, die schon einmal gestorben war und dank eines Engels, der sie immer noch besucht, wieder ins Leben zurückkehrte – die Frau, die er liebt.

Patricia Anthony muss auf Kirchenmänner nicht gut zu sprechen sein. Mit bissigem Humor beschreibt sie die Laster ihrer Charaktere: Der eine kann das Essen, der zweite das Huren, der dritte von kleinen Jungs nicht lassen – für den Leser ist es allerdings ein Genuss, diesen Ausschweifungen zu folgen. Ein ständig furzender Generalinquisitor und sich häufig an ungezieme Stellen fassender König geben oft Anlass zum Schmunzeln, und mit prägnanten weiblichen Charakteren wie z.B. der Kräuterfrau wird’s niemals langweilig.
Locker (sehr locker), mit einer teilweisen drastischen Ausdrucksweise und dauerhaftem Augenzwinkern erzählt Anthony, wie das Chaos ausbricht, wenn die Inquisition Außerirdischen gegenübersteht. Ich für meinen Teil habe Hunger nach mehr bekommen, aber ich habe ja auch keine Magenleiden wie Monsignor Gomes.
Fazit: Ein überaus unterhaltsamer Roman, den ich eigentlich jedem empfehlen kann, der an Geschichte oder Science Fiction interessiert ist, oder der einfach mal ein etwas anderes Buch zur Hand nehmen möchte.

Robert A. Heinlein – Fremder in einer fremden Welt

Dieser Roman erschien 1961 das erste Mal in den USA und löste eine Welle verschiedenster Reaktionen aus – die ganze Palette von emphatischer Zustimmung bis hin zu empörter Ablehnung. „Stranger in a strange world“ war einer der programmatischen Romane der Sechzigerjahre. Vor allem die Hippie-Bewegung las Heinleins Worte mit Begeisterung und Charles Manson fühlte sich durch den Roman inspiriert.
Dabei gilt Heinlein allgemein als „Rechter“, als eine Mischung aus Aristokrat, Militarist, Anarchist und typisch amerikanischer Selfmade-Man-Attitüde. Irgendwie scheint es da kein Wunder, dass ein Kater im Roman Friedrich Wilhelm Nietzsche heißt.

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Bertin, Joanne – letzte Drachenlord, Der

Die Drachenlords sind Menschen, die nur mit einer halben Seele geboren wurden. Den frei bleibenden Teil besetzt die ebenfalls halbe Seele eines Drachen. Die so entstandenen Werdrachen können mehrere tausend Jahre alt werden und sind sehr mächtig, da sie über die Fähigkeit verfügen sich zu verwandeln und in Drachengestalt zu fliegen. Sie können telepathisch miteinander kommunizieren und mittels ihres Drachenfeuers heilen. Als unparteiische Schutzherren der Menschheit werden sie bei Konflikten als Vermittler und oberste Richter um Hilfe gebeten.
Als im Land Cassori der Herrscher plötzlich verstirbt, werden die drei Drachenlords Linden, Kief und Tarlna gerufen, um die Streitigkeiten bei der Thronfolge zu schlichten. Linden ist mit seinen 600 Jahren der jüngste aller Drachenlords und seit vielen Jahren auf der Suche nach seiner Seelengefährtin, einer Frau, die mit der anderen Hälfte seiner Seele geboren wurde und ebenfalls die Fähigkeit besitzt, sich in einen Drachen zu verwandeln.
In Casna, der Hauptstadt Cassoris, trifft Linden auf die Seefahrerin Mauryanna, die er als seine Seelengefährtin erkennt. Die beiden verlieben sich ineinander, doch da Mauryanna ihre erste Verwandlung in einen Drachen noch nicht erlebt hat, wird sie durch die Anwesenheit der Drachenlords gefährdet. Sollte einer der Drachenlords sich in ihrer Gegenwart in einen Drachen verwandeln müssen, könnte der Drache in ihr zu früh erweckt werden, was ihren Tod bedeuten könnte.
Als die Bruderschaft – böse Magier, die alle Drachenlords vernichten wollen – einen Anschlag auf Linden verübt, spitzt sich die Lage zu.

Ein sehr schöner Drachenroman, der sich vor den Pern-Büchern von Anne McCaffrey nicht zu verstecken braucht. Die Autorin richtet ihre Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die gefahrvolle Liebesgeschichte zwischen dem letzten Drachenlord und seiner Seelengefährtin. Jedoch wird auch das tödliche Intrigenspiel am Hofe Casnas eindringlich geschildert und die Spannung durch die bedrohliche Bruderschaft aufrechterhalten.

Joanne Bertin wurde 1953 in New York geboren und lebt heute in Connecticut, wo sie in einer Bücherei arbeitet. Der letzte Drachenlord ist ihr erster veröffentlichter Fantasy-Roman.

Homepage der Autorin: http://www.weredragon.com

Margaret Weis & Tracy Hickman – Himmelsstürmer (Die Vergessenen Reiche 1)

Manchmal merkt man, dass man alt wird. Mit einer Tasse heißer Schokolade bewaffnet, setze ich mich gemütlich an eine Besprechung der Saga „Die Vergessenen Reiche“ und recherchiere ein wenig zu aktuellen Informationen dazu, nur um festzustellen, dass es zehn (!) Jahre her ist, seit ich mir meine Paperback-Version der sieben Bände zulegte und es inzwischen – natürlich – eine Taschenbuchversion dazu gibt, die zudem nur zwei Drittel dessen kostet, was ich dazumal dafür hinlegte. Gut, der leidlich zerfledderte Zustand der Bücher hätte mir eigentlich Hinweis genug sein sollen. Das habe ich gerade gebraucht, wo bleibt mein Rollstuhl? Aber dennoch: Auf geht’s! Mir nach!

Margaret Weis & Tracy Hickman – Himmelsstürmer (Die Vergessenen Reiche 1) weiterlesen