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Girard, René – Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz. Eine kritische Apologie des Christentums

Die großen Weltreligionen sind im Niedergang, auch wenn derzeit noch einmal suggeriert wird, ein mächtiger Islam sei die große Bedrohung. Aber die fundamentalistische Gefahr geht in Wirklichkeit von kleinen Minderheiten aus und in den christianisierten Ländern kann kaum noch von einem Einfluss der Religionen auf die Gesellschaft gesprochen werden. René Girard übt mit seinen Werken einen großen Einfluss auf die Religionsgeschichte und Kulturanthropologie aus und im jüngsten Buch vergleicht er die jüdisch-christliche Religion mit ihr vorausgegangenen Mythen und stellt Ähnlichkeiten fest, die spektakulärer sind als die frühen Ethnologen erwarteten. Girard macht aus nichtreligiöser Beurteilung das Christentum zu einer neuen Religion.

Seine Sichtweise hat vor ihm noch niemand vertreten. In der Spirale der Gewalt sieht er das eigentliche Wesen des Satans: der Zerfall der Gesellschaft, der Krieg aller gegen alle. Aber Satan bietet auch die Wahl für einen Sündenbock und dessen einmütige Ermordung. Die Kreuzigung Christi als solche notwendige Tat zu erkennen, zielt auf eine Radikalisierung des christlichen Glaubens. Girard hält es für unausweichlich, dass eine Verwandlung des „Alle-gegen-alle“, das die Gemeinschaft fragmentiert, nur durch ein „Alle-gegen-einen“ ermöglicht wird. Nur so könne die Einheit der Gemeinschaft wieder hergestellt werden. Aufgrund solcher Gedankengänge wird Satan zum wahren Herrscher der Welt erhoben, dessen grandioser Machtanspruch darauf beruht, dass nur Satan fähig ist, den Satan auszutreiben. Damit ist er unentbehrlich und hat sich die Macht gesichert.

Lynchmord wird zu einer heroischen Tat, da sie wieder Frieden einkehren lässt, und das Opfer wird dabei göttlich und unsterblich. Kollektive Gewalt habe eine läuternde Wirkung. Um das eigene Gegengift zu erzeugen, muss sich die Gewalt erst mal übersteigern. Der Körper des Opfers wird mit dem Samen verglichen, der vergehen muss, um zu keimen. Dies wurde bereits in der biblischen Genesis mit der Ermordung Abels durch Kain festgelegt, welche der Autor als biblische Interpretation sämtlich vorhergehender Gründungsmythen ansieht. Gott schützt Kain und stellt sich hinter dessen Tat, da dieser Mord die Zivilisation begründet. Jedes Mal, wenn eine Kultur aufkommt, beginnt sie mit demselben Typus von Mord. Folglich steht Satan am Ursprung aller menschlichen Kulturkreise. Opferung ist das, was den Menschen vom Tier unterscheidet.

Um sein radikales Christentum von den alten heidnischen Mythologien abzugrenzen und über sie zu erheben, behauptet Girard, in den alten Opfergeschichten sei das Opfer immer schuldig und seine Verfolger im Recht. Das Verdienst am Christentum sei nun aber, dass das Opfer unschuldig sei und die Täter Sünder. Dies belegt er zwar auch ständig mit Beispielen sowohl im Alten wie im Neuen Testament, aber die Behauptung, dass das in den heidnischen Mythen anders gewesen sei, wird nirgends belegt und bleibt einfach postuliert. Dies ist der grundlegende Fehler und dahin richtet sich auch meine Kritik an den ansonsten durchaus interessanten Theorien. Meines Wissens nach ist es nämlich völlig anders, denn die frühen Opfer beruhten auf Freiwilligkeit und nicht auf Mord, wie er in der jüdisch-christlichen Mythologie stattfindet. Von daher beruhen die Thesen Girards auf einer infamen Lüge und glorifizieren eine verabscheuungswürdige Perversion, die tatsächlich Tradition hat, allerdings die der kriminellen monotheistischen Glaubensvorstellungen.

Girard entpuppt sich als Rattenfänger, der die Wahrheit verdreht. In seiner Rehabilitation des Christentums als einzigartige und bessere Religion führt er an, dass bis vor kurzem der Begriff Mythos in der Gesellschaft ein Synonym für Lüge war und im Volksmund bedeute er immer noch Lüge. Girard meint, der Volksmund habe Recht. Nein, der Volksmund hat nicht Recht, denn im Altgriechischen bedeutet Mythos „wahre Sprache“. Die Umkehrung des Verhältnisses von Unschuld und Schuld zwischen Opfern und Henkern sei der Eckstein der biblischen Inspiration. Auch dies ist falsch, denn es gab im Heidentum keine Henker.

Sowohl das Judentum wie der Islam sehen im Christentum den Rückfall in den Polytheismus, denn mit der Kreuzigung wird ja im Grunde ein heidnischer Tod- und Auferstehungsmythos eines Gottes zelebriert. Auch hier entgegnet Girard mit der angeblichen Einzigartigkeit der Struktur des Christentums. Im Gegensatz zu früheren Mythen seien die Christen eine kleine Gemeinschaft einer Minderheit gewesen, die in Jesus keine Schuld sahen, an dessen Ermordung nicht teilnahmen und deswegen keine Entsprechung zu den Mythen haben. In diesem Bruch zum angeblich Bisherigen glaubt er die eigentliche Offenbarung zu erkennen. Im Glauben an die Unschuld liegt für ihn der Sieg über den Prozess der satanischen Selbsttäuschung der Massen. Mit diesem Resultat zieht Girard dann auch seinen Kopf aus der Schlinge des „Hexenjägers“ und bekennt sich zur Unschuld und Nächstenliebe.

Jesus‘ Auferstehung als wahrer und einziger Gott sei die erste und einzige Auferstehung gewesen, im Gegensatz zu den vielen „falschen“ Auferstehungen der heidnischen Mythen. Der Triumph des Kreuzes läge darin, dass gleichzeitig Satan und das Spiel seiner Macht ans Kreuz geschlagen wurden. Satan habe die Offenbarungsmacht unterschätzt. Das Licht des Kreuzes beraubt Satan seiner Macht, den Satan auszutreiben und er kann sich nur noch selbst vernichten. Die Natur der Mythen sei es gewesen, Gewalt zu verbergen, die Natur Christus sei, sie offen zu legen.

Girards Christentum ist revolutionär und schwierig zu verstehen. Seiner Meinung nach aber so einfach, dass Satan es selbst nicht verstanden habe. Oder besser gesagt, zu spät verstanden, um sein eigenes Reich noch schützen zu können. Das Kreuz war eine göttliche Falle, stärker als die Listen Satans. Christus war der Köder, den Gott auf den Angelhaken steckt, um Satan in die Falle zu locken. Schon die griechischen Kirchenväter vertraten die Auffassung, im Kreuz sei Satan der auf den eigenen Schwindel hereingefallene Schwindler.

Sehr ins Abseits stellt sich Girard nach dieser überraschenden Wende am Ende seines Buches aber dennoch erneut. Der Versuch der systematischen Vernichtung des jüdischen Volkes durch den Nationalsozialismus sei ebenfalls etwas anderes gewesen als vorherige Völkermorde. Das „geistige“ Ziel des Hitlertums lag seiner Auffassung nach darin, zuerst Deutschland und dann ganz Europa der ihm aus der religiösen Tradition zugewachsenen Berufung, der Sorge um das Opfer, zu entreißen. Hätte Hitler gesiegt, hätte er belegen können, dass dank seiner die Sorge um das Opfer nicht mehr der unwiderrufliche Sinn unserer Geschichte ist. Hitler habe sich aber als unfähig erwiesen, diese Sorge auszurotten. Weit entfernt davon, die Sorge um die Opfer zu ersticken, habe er die Ausweitung dieser Sorge beschleunigt. Heutzutage würde durch ständige Überbietung die Sorge um die Opfer zu einer Dauerinquisition. Die Sorge um die Opfer würde antichristlich „radikalisiert“. Aber eigentlich hätten die Nazis versucht, um das Christentum abzuschütteln, die Welt zu veranlassen, die Sorge um die Opfer konsequent aufzugeben.

Heidegger z. B. habe die Hoffnung auf eine vollständige Auslöschung des christlichen Einflusses und auf einen vollkommenen Neubeginn, auf einen neuen mythischen Zyklus, nicht aufgegeben. Vom Triumph der Sorge um die Opfer profitiere jedoch nicht das Christentum, sondern diejenigen, die sich diese zu Eigen machen und sie radikalisieren, um sie zu paganisieren. Diese Kräfte würden dem Christentum Verfolgung, Unterdrückung und Inquisition unterstellen. Das sei der Versuch Satans, seine Stellung wieder zu festigen, indem er sich der Sprache der Opfer bedient. Satan ahme Christus immer perfekter nach und scheine ihn sogar zu übertreffen. Der Neopaganismus wolle die Zehn Gebote und die gesamte jüdisch-christliche Moral als inakzeptable Gewalt erscheinen lassen, und deren Abschaffung sei sein erstes Ziel.

Die christliche Kirche sei aus Schuldgefühlen ihrer Taten (Inquisition etc.) heutzutage besonders anfällig für die ständige Erpressung durch diesen zeitgenössischen Neopaganismus. Für diesen läge das Glück in der grenzenlosen Erfüllung der Begehren (vor dem das zehnte Gebot warnt) und folglich in der Aufhebung aller Verbote. Da die Tage Satans gezählt seien, nütze er sie nun maximal aus und entfessle sich im wortwörtlichen Sinn. Christus könne aber den Menschen den wahren göttlichen Frieden nicht bringen, ohne uns zuvor den einzigen Frieden zu nehmen, den wir haben. Diesen zwangsläufig gefährlichen historischen Prozess würden wir derzeit erleben. Die Verzögerung der Apokalypse, die auf fehlendem Verständnis der Offenbarung beruhe, käme aufgrund der Individuen, die sich bemühen auf Gewalt zu verzichten und Vergeltung zu entwerten. Darin sieht Girard eine unerträgliche Ungerechtigkeit in einer Epoche der Pluralismen und Multikulturalismen. Er behauptet, wir opferten die Wahrheit dem Weltfrieden.

Erstaunlich am Buch ist, dass diesen kranken Gedanken Girards sein deutscher Verleger ein Nachwort von Peter Sloterdijk angefügt hat, das auf den ersten Seiten rein thematisch verfehlt scheint, denn Sloterdijk schreibt über Eros und Eifersucht und darüber, dass die Engel unsere Welt verlassen müssen, damit die Erzengel kommen können. Aber dann kritisiert er Girard schonungslos. Dessen Ambitionen für eine Neustiftung des Christentums hält er für lächerlich und er entlarvt ihn als Vertreter einer falsch verstandenen Gnosis im Gewande des Kulturtheoretikers. Auch belächelt er, dass Girard keine Notiz davon nahm, dass viele der nichtchristlichen Kulturen in ihrer Therapie des Begehrens um einiges fortgeschrittener waren als die christliche Religion. Als Nietzsche-Kenner wehrt er sich gegen die Behauptungen, die Girard über diesen anführt, und auch die Aussagen über den „Neopaganismus“ weist er als theologisch-kulturkämpferisch zurück.

Ein Werk wie das von Girard darf nicht verboten, sondern muss diskutiert werden. Ein Lob an den Verlag, dies aber nicht kommentarlos veröffentlicht zu haben.

Über den Autor:
http://de.wikipedia.org/wiki/Ren%C3%A9__Girard

Weis, René – Welt ist des Teufels, Die. Die Geschichte der letzten Katharer 1290 – 1329

Über die Katharer, eine gnostische Bewegung, und deren gnadenlose Ausrottung durch die christliche Kirche wurde viel geschrieben, veröffentlicht und spekuliert. Konsens dabei ist, dass die Katharer (die „Reinen“) in ihrer Glaubensvorstellung tatsächlich nicht denjenigen gnostischen Strömungen zuzuordnen sind, welche Sexualität als Mittel zur Erleuchtung benutzten. Die Katharer sahen die materielle Welt als sündhaftes Werk des Teufels und versuchten, die Seelen aus dem Kreislauf der Wiedergeburt zu befreien. Im Extremfall wählten sie die |Endura|, den heiligen Märtyrerweg des Verhungerns durch vollkommene Entsagung. Sexualität fand offiziell bei den Katharern nicht statt.

Dennoch wurden den Katharern aber von der Inquisition die perversesten Sexualdelikte zum Vorwurf gemacht. Der Autor untersuchte jahrelang alle Berichte der Inquisition, besuchte die heutigen Stätten und versuchte, Historisches zu rekonstruieren. Herausgekommen ist eine detaillierte Beschreibung einzelner verfolgter Familien; ganze Dorfgeschichten mit den Verhältnissen der Bewohner untereinander werden akribisch vorgelegt. Anhand der Aufzählung dieser Quellen stellt das Buch wirklich keine leichte, sondern vielmehr eine sehr anstrengende Lektüre dar. Aber wer sich die Mühe macht, sich durch den Text zu kämpfen, erhält einen wirklichen Einblick in die Gepflogenheiten der Katharer.

Und Sexualität lässt sich nun mal gesellschaftlich nicht unterdrücken. Da der Geschlechtsverkehr nach katharischer Lehre unter Eheleuten noch sündhafter sei als mit Fremden wurde tatsächlich gebuhlt, was nur geht. Gerade die katharischen Priester nutzten ihre Autorität und Macht dafür aus, viele Frauen aus den Dörfern als Konkubinen zu haben. Die Arten der sexuellen Begegnungen werden offen in allen Details vorgelegt; wie und auf welche Weise der Geschlechtsverkehr stattfand, welche oralen Praktiken betrieben wurden und so weiter und so fort. Alle sexuellen Verhältnisse werden mit Namen, Zeit und Ort rekonstruiert. Eine historische Sittengeschichte der Kultur der Katharer zwischen religiösem Ideal und sozialer Wirklichkeit, wie sie zuvor noch nicht vorgelegt wurde.

Die Entscheidung des |Lübbe|-Verlages, solch ein anstrengendes Buch zu publizieren, ist mutig, aber aufgrund des gegenwärtigen Interesses an vielleicht „sensationellen“ Neuigkeiten über die Geheimnisse der Katharer findet das Werk sicherlich auch seine Käufer.

Mehr Informationen unter http://de.wikipedia.org/wiki/Katharer.

Wilson, Colin – Tanz der Teufel – Scharlatane, Gurus, Sektenführer

„Tanz der Teufel“ ist auf den ersten Blick ein reißerisch aufgemachtes Werk mit Vorzeige-Bösewicht Aleister Crowley auf dem Titelbild. Ärgerlich, dass ein früher esoterisch so niveauvoller Verlag wie |Diederichs|, der mit seiner |Gelben Reihe| für hohe Qualität stand, nach seinem Verkauf mit Titeln wie „Dracula“ und „Frankenstein“ und eben vorliegendem „Tanz der Teufel“ – Untertitel „Wie die Gurus Seelen fangen“ – nach einer Geld bringenden breiten Masse schielt. In einer Reihe stehen da Leute wie David Korresh, Jim Jones, Charles Manson, Aleister Crowley zusammen mit Persönlichkeiten wie Rudolf Steiner, Sigmund Freud und einigen anderen, welche normalerweise nicht in der Öffentlichkeit als Sektenführer gelten.

Der Autor Colin Wilson ist seit seinem bahnbrechenden Werk „Das Okkulte“ Bestseller-Autor. Ihm gelingt es, zwischen den Zeilen zu schreiben. Er steht damit in der Tradition einer Geheimnisse verbergenden Symbolsprache, wie es der „eher eingeweihte“ Leser auch von gnostischen, alchemistischen und tantrischen Texten her kennt. Ohne wirklich zu werten, untersucht er die Geschichte der Messiasgestalten – zu denen er alle großen Führer von einflussreichen Bewegungen zählt – und findet heraus, dass im Grunde überall sexuelle Energie und entsprechendes Charisma die wesentliche Rolle spielen.

Das war schon bei Jesus Christus nicht anders und interessanterweise kommt bei all diesen Glaubenssystemen auch die Vorstellung eines baldigen apokalyptischen Weltendes hinzu. Irgendwie erinnern diese Konzepte an den befreienden Orgasmus – oft auch der „kleine Tod“ genannt – da seine Erfahrung mit Auflösung der stofflichen Welt einhergeht. Seit den späteren gnostischen Bewegungen steht in allen im Buch beschriebenen Fällen die sexuelle Energie, der damit verbundene orgiastische Augenblick überwältigender Freude und Erleuchtung, im Mittelpunkt der jeweiligen Lehren. Für Colin Wilson wird deutlich, dass alle bedeutenden Führer dies erkannten und es offensichtlich ist, dass sie ihre Kenntnisse der Bedeutung des Einsatzes von Sexualmagie irgendwann auch in die Praxis umsetzen.

Die „Verführung“, durch das mächtigste Werkzeug, das zur Verfügung steht, die Welt verändern zu können, ist deswegen nicht mehr verwunderlich und es wird deutlich, aus welchen tieferen Beweggründen es immer wieder zu den so genannten Skandalen kommt. Zum einen ist die Verantwortung, in welcher sich solche Führer sehen, zu groß, als dass sie dieses Mittel nicht auch einsetzten, zum anderen ist die göttliche Erfahrung auch zu umfassend, als dass sie Sexualität noch personal auf einzelne Beziehungen beschränken könnten. Es kann keine Trennung der uranfänglichen Schöpfungsenergie – dem Verschmelzen von Gott-Göttin, der weiblich-männlichen Kraft, der Polaritäten dieser Welt – in egoistischer Personenprojektion mehr stattfinden. Alle Vernunft spielt dann, wie bei den gewöhnlichen menschlichen Beziehungen ja nicht anders, keine Rolle mehr.

Sexualität ist immer auch Religion. Sexualität ist immer ein Transformationssystem, die mächtigste Methode zur Verwandlung der Realität überhaupt. Wilson zeigt auf, dass dies auch nicht als Selbsttäuschung abgetan werden kann, sondern dass die derart sexuell aufgeputschten Anhänger mitsamt ihren Messias-Führern tatsächlich in ihrer Wahrnehmung in einem viel höheren Feld sind als die restlichen Durchschnittsmenschen und aufgrund des erfahrenen Wissens schamlos promiskuitiv sein müssen. Aus ihrer Warte heraus begehen sie dabei Rituale in ähnlicher Bedeutung wie das Sakrament der heiligen Kommunion. Die offiziellen Erklärungen, dass es bei den vielen Sexskandalen – die mit vielen historischen Beispielen aufgezeigt sind – um fehlgeleitetes Ausleben von Sexualtrieben ginge, vereinfachen zu sehr den wirklichen Sachverhalt. Evolution ist ohne Sex nicht möglich und deswegen experimentieren Menschen auf einer hohen Entwicklungsstufe auch damit, denn sie wollen verborgene Kräfte entdecken und freisetzen. Das geht nicht immer gut, was die ganzen Beispiele auch zeigen.

Sich die Guru- und Messiasgeschichten unter diesem Gesichtspunkt einmal neu anzusehen, ist spannend, aufschlussreich und macht das Buch von Wilson äußerst lesenswert.

http://de.wikipedia.org/wiki/Colin__Wilson
http://de.wikipedia.org/wiki/Sexualmagie
http://de.wikipedia.org/wiki/Sekte
http://de.wikipedia.org/wiki/Guru

Bernd Wedemeyer-Kolwe – Der neue Mensch. Körperkultur im Kaiserreich und in der Weimarer Republik

Zur Alternativkultur vor 100 Jahren, der sogenannten „Lebensreform“, gibt es für Interessenten eine Vielzahl von Titeln. Noch nie wurde bislang allerdings diesbezüglich eine Analyse des Bereiches der Sport-, Körper- und Kulturgeschichte aus diesem Zeitraum vorgelegt. Dabei war bis zur Naziergreifung 1933 diese Bewegung neben der Turn- und Sportbewegung in der breiten Bevölkerung sehr erfolgreich. Hunderttausende gehörten bereits zum Übergang ins 20. Jahrhundert zu dieser neuen Bewegung, die zu einem Zentralbegriff des modernen Zeitbewusstseins wurde. Sie war Teil der grundlegenden Lebensreform, die eine neue Welt aufzubauen versuchte, um die sozialen Fragen damit zu lösen. Intern selbst so weit gefächert wie alle anderen Reformbewegungen dieser Zeit, waren die Bezüge zu anderen Gruppierungen, welche den utopischen Gesellschaftsentwurf eines „neuen Menschen“ auf ihren Fahnen geschrieben hatten, ineinander gleitend.

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Hesemann, Michael – Hitlers Religion

Der frühere „Magazin 2000“-Herausgeber lebt mittlerweile ausschließlich von seinen vielen Sachbüchern, die meist Bestseller-Status haben. In seinem aktuellsten Buch beschäftigt er sich mit den spirituellen und okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus. Obwohl unter Historikern nach wie vor eher Tabu, gibt es dennoch bereits eine ganze Anzahl solcher Studien. Zunächst erhält man beim Lesen auch den Eindruck, dass sich Hesemanns Werk nicht so sehr von den bisherigen Veröffentlichungen unterscheidet. Auch stellt sich anfangs die Frage, wie seriös seine Untersuchungen zu nehmen sind, da er sich im groben an „Hitlers Tischgesprächen“ von Hermann Rauschning orientiert, deren Wahrheitsgehalt bekannterweise sehr angezweifelt wird. Was er dann allerdings auf dieser Grundlage und zudem an der – wenn auch sehr dezimierten – Bibliothek Hitlers rekonstruiert, ist eine große Leistung, die anders daherkommt als die Versuche seiner Vorgänger. Tatsächlich reiht er sich damit ein in die Reihe der großen wichtigen Hitlerbiografen wie Joachim C. Fest, John Toland und Ian Kershaw und ergänzt auch die profunden Studien Werner Masers oder Guido Knopps. Hesemann kann recht überzeugend darlegen, dass Hitlers Nationalsozialismus durchaus eine ernstzunehmende Religion darstellte und nicht – wie bislang – einfach unter reinen politischen Gesichtspunkten gesehen werden darf. Diese These ist gesellschaftlich ungeheuer provokant, aber die vorliegende Studie ergibt Sinn und erscheint recht überzeugend.

Hitler war zeitlebens Katholik und deswegen werden von Historikern die immer genannten Verflechtungen zum heidnisch-völkischen Germanentum und zu den okkulten Bewegungen als nicht haltbar bezeichnet, da unter der Nazi-Herrschaft diese verboten und verfolgt wurden. Aufgrund seiner umfangreichen Recherchen bietet Hesemann allerdings ein detailliertes Bild all dieser damaligen Strömungen und zeigt auf, welche Wechselwirkungen es zwischen Hitler und anderen Nazi-Größen in der Auseinandersetzung mit Führern dieser Bewegungen tatsächlich gab. Nicht anders als ebenso bei den Kirchen wurden diese zeitweise unterstützt, zeitweise abgelehnt und bekämpft. Das Nazi-Regime war mit ständigem Taktieren verschiedenster Positionen befasst und zeichnete sich vor allem durch die Brutalität aus, mit welcher einstige Bündnispartner ausgemerzt wurden – je nach Situation und scheinbarer Notwendigkeit. In der Einschätzung der Bewegung Hitlers machten auch fast alle völkischen und okkulten Lager einen groben Fehler, indem sie in den Anfängen Hitler unterstützten und tatsächlich einen prophezeiten Messias zu erkennen glaubten. Entgegen der Darstellung der gegenwärtigen Antifaschisten und Linken wird dabei aber auch genauso klar, dass all die völkischen Bewegungen und okkulten Gruppierungen – zusammengefasst unter Lebensreformbewegung – natürlich nicht pauschal als faschistische Wurzel und Wegbereiter betrachtet werden können. Dennoch bewegten sich die Nazis in ihrer Anfangszeit in all diesen Kreisen und Hitler sah sich natürlich als Führer in der Rolle eines Wotanspriesters und benutzte auch seinen Vornamen Adolf entsprechend als „Adewolf“ (der edle Wolf), was sich auch in den Namen seiner Hauptquartiere widerspiegelte (Wolfsschanze, Wolfsschlucht, Wolfsburg). Hitler ersetzte alle christlichen Feiertage mit naturreligiösen Entsprechungen.

Der Leser dieser „esoterischen“ Hitler-Biografie erhält einen sehr umfangreichen Einblick in die Geschichte der relevanten geisteswissenschaftlichen und spirituellen Strömungen des letzten Jahrhunderts und kann aufgrund der Neutralität und Objektivität, die Hesemann wahrt (im Gegensatz zu bisherigen Historikern, welche sich allesamt parteiisch positionierten), auf spannende Weise verfolgen, wie sich vieles, das auch immer noch positiv erscheint, in diese furchtbare, monströse, menschenfeindliche Diktatur entwickeln konnte. Selbst der Antisemitismus war ursprünglich ja nicht mit diesem schrecklichen Ausgang geplant, selbst Hitler schreckte davor zurück, die Brutalität des christlichen Mittelalters und der damals schon vorhandenen Judenfeindlichkeit zu wiederholen. Obwohl er offiziell – trotz Unterschiedlichkeiten – gegenüber den Kirchen immer Christ blieb und der Vatikan ihm dies auch – ebenso zwar mit Misstrauen – im Grunde glaubte, weist Hesemann nach, dass die Nazis die Politik („erst die einen, danach die anderen“) verfolgten und dass nach erfolgreicher Judenvernichtung in gleicher Weise die Vernichtung der Christen geplant war. Das Buch endet mit dem bekannten – in der Welt immer noch beispiellosen – Schrecken der Gaskammern, der letztlich auch zum Zusammenbruch des Nazi-Regimes führte. Ohne diese Bestialität wäre der 2. Weltkrieg vielleicht ganz anders ausgegangen und Deutschland hätte seine Kriege gewinnen können. Aber mit diesem gewaltigen Völkergenozid hatte sich Nazi-Deutschland endgültig isoliert, und keine Macht der Welt stand am Ende noch auf seiner Seite.

Hesemann hat mit dieser Biografie sein bislang wichtigstes und bedeutendstes Werk vorgelegt, mit dem er auf lange Zeit ein Standardwerk geschaffen haben dürfte, dem sicherlich noch intensivere und detailliertere Forschungsarbeiten anderer Autoren folgen werden. Auch in aktueller politischer Hinsicht ergibt es durchaus Sinn, sich mit diesem Buch zu beschäftigen. Denn ähnlich wie der fanatisierte islamische Fundamentalismus einen „Heiligen Krieg“ führt, verfolgten auch die Nazis eine heilsgeschichtliche Mission. Und nicht von ungefähr ist Hitler ein Idol der Radikal-Islamisten.

Ergänzende Literatur zu den okkulten Wurzeln des Dritten Reiches:
[Das schwarze Reich 179 von E. R. Carmin.

Kött, Andreas – Systemtheorie und Religion. Mit einer Religionstypologie im Anschluss an Niklas Luhmann

Luhmanns Systemtheorie erhebt den Anspruch, Universaltheorie zu sein, wobei in ihrer systematischen Welt für den Begriff des Menschen kein Platz mehr ist. Luhmann hatte ein neues Paradigma der Welt- und Selbsterklärung überhaupt formuliert und versuchte, das „alteuropäische“ Denken, die Metaphysik und die Bewusstseinsphilosophie zu überwinden. Kein Wunder, dass sich deswegen in den letzten Jahren auch die Philosophie mit der soziologischen Systemtheorie auseinandersetzte, was aber bislang nicht dazu führte, dass ein größeres Werk der Gegenwartsphilosophie von der Systemtheorie geprägt worden wäre.

Die vorliegende Arbeit versucht erstmals kompakt, aus religionswissenschaftlicher Sicht an Luhmann heranzugehen. Luhmann hatte seine Religionsbestimmung hauptsächlich auf der Basis der jüdisch-christlichen Religion vorgenommen und hier wird nun untersucht, ob sich seine Bestimmungen auch auf andere Religionen übertragen lassen. Immerhin lässt sich durch die funktionale Methode extrem Ungleiches vergleichen und die Umwelt, wie wir sie wahrnehmen, ist sowieso immer unsere Erfindung. Viele Argumente werden in den letzten 30 Jahren gegen die Systemtheorie Luhmannscher Prägung vorgebracht, aber der größte Teil von ihnen konnte nicht aufrechterhalten werden. Die empirische Basis der Systemtheorie verweist immer auf Transzendenz, kann diese jedoch nicht begreifen. Transzendentale Theorien setzen sich dann der Kritik aus, wenn sie ihre transzendentalen Ursache bestimmten.

Auf 120 Seiten baut der Autor zunächst in sehr kompakter Weise die Grundlagen der soziologischen Systemtheorie auf, und dies sogar in überraschend verständlicher Art. Danach bezieht er sich auf den von Luhmann posthum veröffentlichten Aufsatz „Das Medium der Religion. Eine soziologische Betrachtung über Gott und die Seelen“ aus dem Jahr 2000.

Die Bestimmung dessen, was Religion ist, beschäftigt die Religionswissenschaftler seit Ende des 19.Jahrhunderts, aber sie vermochten noch keine überzeugenden Antworten zu geben. Mit dieser Untersuchung verlässt jetzt die bislang vorherrschende atheistische Tendenz der Soziologie ihre Position und nähert sich dem an, was eigentlich ihr Begründer August Comte schon wollte, indem er die Soziologie zur neuen Religion – zur heiligen Kirche des Positivismus – erhoben hatte. Und perfiderweise hat auch der moderne kapitalistische Staat aus ganz eigenen Gründen Interesse am Bestehen der Religion. In Zeiten, in denen Sozialversicherungen immer weniger finanzierbar sind, hat man nicht nur in kapitalistischen Ländern den Wert der Kirchen für die Lösung des Problems der Ausgeschlossenen wiederentdeckt. Dies gilt vor allen Dingen für die USA unter ihrem derzeitigen Präsidenten George W. Bush, der angekündigt hat, die Leistungen des Sozialversicherungssystems deutlich zurückfahren zu wollen. Die dann zu erwartende Zunahme der aus der Gesellschaft Ausgeschlossenen soll durch religiös motivierte Suppenküchen und ähnliche Einrichtungen, die ohne jegliche staatliche Zuschüsse auskommen müssen, aufgefangen werden. Anknüpfend an das amerikanische Vorbild werden in Europa das Stiftungswesen und das Ehrenamt aufgewertet.

In anderen Gesellschaften haben die angestammten Religionen noch nicht den Bedeutungsverlust erfahren, den sie in den westlichen Industrienationen zu verzeichnen haben. Gerade die faktische Unmöglichkeit des Christentums, sich von der Moral zu trennen, bereitet den Nährboden für die Einführung asiatischer Religionen und die Gründung neuer religiöser Bewegungen. Zwar kommt es bei den „eingesessenen“ Religionen auch mehr zum Fundamentalismus, aber der zeichnet sich nicht durch fundamentalen Glauben aus, der einen Rückgriff auf die Tradition darstellen würde, sondern sein Ursprung ist intellektueller Natur. Der orthodoxe Anstrich ist reine Rhetorik. In Wahrheit ist der Fundamentalismus ein Forum, in dem Intellektuelle in der modernen Welt einen Standort suchen. Der Katholizismus ist dabei am degeneriertesten, seine Messen sind nur noch Folklore. Eigentlich gibt es für alle Offenbarungsreligionen keine Zukunft mehr, denn ein ausschließlich auf Offenbarung gestützter Glaube ist heute nicht mehr wahrheitsfähig. Religion ist gesellschaftlich nicht mehr zu begründen, sondern nur noch als subjektive Gotteserfahrung. In Deutschland verzeichnen die beiden christlichen Hauptkirchen seit einigen Jahrzehnten entsprechend sechsstellige Austrittszahlen.

Siehe auch: Niklas Luhmann, [„Einführung in die Systemtheorie“ 639

Niklas Luhmann – Einführung in die Systemtheorie

Niklas Luhmann (* 8. Dezember 1927 in Lüneburg; † 6. November 1998 in Oerlinghausen bei Bielefeld) war Soziologe. Als Begründer der soziologischen Systemtheorie machte er sich auch in der Philosophie einen Namen.
Er studierte von 1946 bis 1949 Rechtswissenschaft. 1952 und 53 begann er mit dem Aufbau seiner „Zettelkästen“ und war als Verwaltungsfachmann tätig. 1960 heiratete er Ursula von Walter. 1960/61 ließ er sich zum Studium an der Harvard-Universität beurlauben. Nach Forschungstätigkeit zu Beginn der 1960er Jahre an der „Sozialforschungsstelle der Universität Münster“ in Dortmund promovierte und habilitierte er innerhalb |eines| Jahres 1966 im Fach Soziologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Seit 1968 lehrte er an der Universität Bielefeld Soziologie. Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Niklas__Luhmann

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Das Janusgesicht der PDS

Die Autorin von „Das Janusgesicht der PDS“, Viola Neu, ist Koordinatorin für Wahl- und Parteienforschung bei der Konrad-Adenauer-Stiftung und legt eine sehr interessante Untersuchung über die PDS vor. Seit dem Zusammenbruch der DDR erlebt diese ein ständiges Auf und Ab in der Wählergunst. Von Anfang an sagte man der PDS keine Zukunft voraus, aber immer wieder hat sie es bislang geschafft sich im Gegensatz zu anderen linken Parteien bei den Wählern nicht unterzugehen. In ihrer Untersuchung kommt Viola Neu zum Ergebnis, dass die Positionen der PDS mehrheitlich außerhalb des Verfassungsbogens angesiedelt ist, wobei sie sich nicht wirklich dem Begriff des Extremismus bedienen möchte. Verdienstvoll an ihrer Untersuchung ist, dass sie die Extremismusforschung sowohl aus der rechten wie linken Position miteinander vergleicht.

Mit der PDS wurde zum ersten Mal seit der Weimarer Republik (abgesehen kurzzeitig von der KPD zu Beginn der 50er Jahre) eine sozialistische Partei links von der SPD in den Bundestag und die Landesparlamente gewählt. Zwar ging sie aus der SED hervor, aber sie ist nicht einfach deren Nachfolgepartei und beansprucht auch nicht mehr den Marxismus-Leninismus als einzig richtige Weltanschauung. Nicht einmal die „führende“ Partei der Arbeitsklasse will sie mehr sein, sondern nur noch ein Sammelbecken „der Linken“. Nach den Grünen ist die PDS die zweite alternative Partei im Parteienspektrum der Bundesrepublik, der es gelang, sich über längere Zeit hinweg zu etablieren. Im Westen anfangs völlig ignoriert, änderte sich das 1998, als es in Mecklenburg-Vorpommern zur Koalition SPD-PDS kam, später auch in Berlin. Damit war der Integrationsprozess in das Parteiensystem abgeschlossen.

Erfolg und Misserfolg liegen allerdings ständig beieinander. Die PDS hat sich als ostdeutsche Regional- und Regierungspartei definitiv etabliert. Diese Verankerung war aber zugleich die Voraussetzung für den Misserfolg im Westen. Den westdeutschen Wählern war die Notwendigkeit einer neomarxistischen Partei des „dritten Weges“ jenseits von Kapitalismus und Stalinismus und links von Grünen und SPD nicht plausibel zu machen. Das Selbstverständnis der PDS beruht auf dem Postulat, Sammelbecken der Linken zu sein. Dabei richtete sie im Westen ihre Hoffnungen auf einen Teil des linken sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Spektrums sowie auf das Feld, das in der kommunistischen Vergangenheit mit der Strategie der Bündnispolitik umworben wurde (z. B. links-alternatives Milieu, antifaschistische Bewegungen, Friedensbewegung). Bündnispolitik gehört seit Lenin und dauerhaft seit den 1930er Jahren zum strategischen Arsenal kommunistischer Parteien. Mit diesem Anspruch gelang es der PDS, die Basis für eine neue moderne linkssozialistische Partei gelegt zu haben, die sowohl im Osten als auch, seit Hartz IV, im Westen mehr und mehr breitere Akzeptanz in der Wählerschaft findet.

Trotz ihrer Regierungsbeteiligung wird die PDS nach wie vor vom Verfassungsschutz beobachtet und mit rechtsextremen Parteien auf eine Stufe gestellt. Die PDS widerspricht diesem Vorwurf des Linksextremismus. Nach ihrem Selbstverständnis ist sie eine antikapitalistische und antifaschistische Partei, die sich für einen demokratischen Sozialismus einsetzt. Neutrale politische Beobachter sind sich allerdings auch sehr unsicher, ob der Extremismus-Vorwurf anwendbar ist. Im Westen bildete sich die PDS anders als im Osten zu einem Gravitationsfeld für eine Vielzahl linker Gruppen und Zusammenschlüsse heraus, die bis heute das Erscheinungsbild der PDS im Westen prägen. Im Wesentlichen erhielt die PDS Zulauf vom „Reformer“-Flügel der DKP, dem KB, der VSP und dem BWK. Anfangs kandidierte sie im Westen deswegen als „Linke Liste/PDS“. Da aber ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes 1990 Listenverbindungen verbot, gründeten sich aus dieser Liste heraus die westdeutschen Landesverbände.

Die Hoffnung, größeren Teilen der Grünen oder der SPD eine neue Heimat zu bieten, hat sich nicht erfüllt. Die PDS hat das für sie mobilisierbare linke Potenzial weitgehend erschlossen. Aber noch immer bleibt ein offenes Feld, das von den Grünen, der SPD und aus dem Nichtwähler- und Protestwählerlager kommt, und kann für die PDS dadurch auch in Zukunft das Wählerpotenzial konstant ausweiten. Da die Grünen insbesondere in ihren ersten Jahren vom Milieu der „K-Gruppen“ mitgetragen wurden, ist ein Wechsel gerade dieser Klientel zur PDS nicht auszuschließen. Die programmatische Ausrichtung der Grünen hat sich seit den 90er Jahren deutlich gewandelt, wodurch für die PDS nun auch eine ideologische Nische im westdeutschen Parteiensystem existiert. Die Betonung des außerparlamentarischen Widerstands, die Aktivitäten im Rahmen der „Anti-AKW-Bewegung“ (u. a. bei den Castor-Transporten) oder auch der Antifaschismus sowie das Themenfeld Frieden (hier das Nein der PDS zu den SFOR-Einsätzen) spielen für die Mobilisierungsmöglichkeiten eine große Rolle. Die PDS hat viele Themenfelder besetzt, die in der westdeutschen Linken bedeutsam sind und von den Grünen nicht mehr vertreten werden.

Im Osten ist sie klar zu den Volksparteien zu zählen, was dort aber auch an der noch starken Anbindung der Bevölkerung zur ehemaligen SED liegt. Interessanterweise gibt es deswegen eine große Kluft zwischen der Ost- und der West-PDS. Als extremistisch wird allerdings hierbei eher die West-PDS eingestuft. Wobei selbst die Autorin hier darauf hinweist, dass der Extremismus-Begriff (genauso wie der „Totalitarismus“) in der wissenschaftlichen wie in der politischen Welt sehr umstritten ist. Mit dem Extremismusbegriff sollen alle politischen Erscheinungsformen mit antidemokratischem Charakter erfasst werden, unabhängig von ihrer politischen Verortung und Begründung. Unabhängig von völlig unterschiedlichen Phänomenen wird Extremismus auf diese allesamt angewandt. Deswegen ist es schlicht ein unlauterer „Kampf-Begriff“. Es besteht in der politischen Auseinandersetzung die Tendenz, die jeweilig entgegengesetzte Richtung mit dem Extremismusbegriff zu belegen und er dient im Grunde nur der Ausgrenzung unbequemer Kräfte. Einige Wissenschaftler fordern aufgrund seiner Instrumentalisierung als Kampfbegriff, diesen Ausdruck zu vermeiden.

Die PDS auf eine Stufe mit den rechten Parteien zu stellen wie der NPD – wie jüngst bei den Montagsdemonstrationen wieder oft geschehen – ist grober Unfug. Die verfassungsfeindlichen Ziele einer NPD sind bei der PDS nicht gegeben. Die NPD dagegen unterscheidet wenig von den Zielen der NSDAP und argumentiert genau wie Goebbels 1928: „Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen um die Weimarer Gesinnung mit ihrer eigenen Unterstützung lahm zu legen. Wenn die Demokraten so dumm sind, uns für diesen Bärendienst Freikarten zu geben, ist das ihre eigene Sache. Uns ist jedes gesetzliche Mittel recht, den Zustand von heute zu revolutionieren. Wir kommen als Feinde! Wie der Wolf in die Schafherde einbricht, so kommen wir“. Diese Vergleiche, die die Autorin zieht, sind recht interessant, denn es gibt zu wenige empirische Studien, die nach strukturellen und inhaltlichen Gemeinsamkeiten in den Einstellungsmustern des rechten und linken Extremismus suchen. Linksextremistisch inspirierte Ideologien verheißen das utopische Ideal einer herrschaftsfreien Gesellschaft, in der das Individuum von all seinen (ökonomischen und sozialen) Zwängen befreit sein wird. In kommunistisch/sozialistischen Ideologien spielt die radikale Veränderung der Eigentumsverhältnisse als eines der Hauptinstrumente der sozialen Nivellierung und der Umgestaltung der Machtverhältnisse eine zentrale Rolle. Linksextremistische Ideologien haben utopische Züge. Als säkularisierte Heilslehren verheißen sie die Schaffung einer idealen Welt, in der Frieden und Gerechtigkeit herrschen und alle antagonistischen Widersprüche beseitigt sind. Deswegen versteht die Autorin diese auch eher als „politische Religion“. Totalitarismus bezieht sich auf Herrschaftsstrukturen, politische Religion auf Denkweisen und politische Ziele.

Wer sich mit Wahlanalysen beschäftigt, findet sehr viele Statistiken zu allen Aspekten diesbezüglicher Forschung in diesem Buch. Interessant ist, dass obwohl im Osten die Partei über viele Wähler verfügt und im Westen über weniger, dass die Perspektive dennoch auch eine andere sein kann. Denn im Osten besteht die Partei hauptsächlich aus sehr alten Menschen. Austritte sind fast keine zu verzeichnen, wenn dann nur durch Todesfall. Im Westen sind sehr wenige ältere Menschen in der Partei und ihr „Aussterben“ ist deswegen nicht zu befürchten. Die PDS ist eine sehr interessante Partei, die sich bisher immer wieder von dem ständig prophezeiten Verschwinden aus der politischen Landschaft auf überraschende Weise erholen konnte.

Siehe auch: http://de.wikipedia.org/wiki/PDS.

Aus dem Inhalt:

1. Einleitung
1.1 Von der SED zur PDS
1.2 Problemstellung
1.3 Aufbau
1.4 Forschungsstand

2. Facetten einer Partei
2.1 Mitgliederentwicklung
2.2 Sozialstruktur der Mitglieder
2.3 West-Partei
2.4 Wahlergebnisse in den alten Bundesländern
2.5 Wahl-Partei
2.5.1 Wählerwanderungen
2.5.2 Wählerpotenziale

3. Theorien des Wahlverhaltens
3.1 Wahlforschung im Verfassungsstaat
3.2 Soziologische Ansätze
3.3 Übertragung der soziologischen Ansätze auf die neuen Bundesländer
3.4 Sozialpsychologischer Ansatz
3.5 Übertragung des sozialpsychologischen Ansatzes auf die neuen Bundesländer
3.6 Rational-choice-Theorie
3.7 Übertragung der rational-choice-Theorie auf die neuen Bundesländer

4. Politisches Verhalten der PDS-Wähler
4.1 Vereinigungsverlierer- und cleavage-Hypothese
4.2 Sozialstruktur der PDS-Wähler
4.3 Parteiidentifikation der PDS-Wähler
4.4 Imagekomponenten der PDS
4.5 Vereinigungsverlierer
4.6 Ost-West-cleavage
4.6.1 Einstellungen der PDS-Wähler zur wirtschaftlichen Lage
4.6.2 Einstellungen der PDS-Wähler zu Staat und Gesellschaft
4.6.3 Einstellungen der PDS-Wähler zu Demokratie und Institutionen
4.7 Politische Partizipation
4.8 1993 – Geburtsjahr der DDR-Nostalgie

_Viola Neu
[Das Janusgesicht der PDS]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3832904875/powermetalde-21
Wähler und Partei zwischen Demokratie und Extremismus
289 Seiten, Paperback
|Nomos| Verlagsgesellschaft
Juli 2004
ISBN 3-8329-0487-5_

Frankfurter Buchmesse 2004

Angesichts der Größe und des gigantischen Event-Charakters, welche die jährliche Buchmesse als kulturelles Ereignis einnehmen, ist es natürlich nicht möglich, im Nachhinein objektiv und insgesamt unberührt darüber zu berichten. Möglich ist nur ein subjektives Kaleidoskop von Eindrücken.

Gastland war dieses Jahr die Arabische Liga, was in der Öffentlichkeit und auch von den Sicherheitsvorkehrungen her mehr wahrgenommen wurde, als es normalerweise bei Gastländern der Fall ist. Den Organisatoren ging es um den Dialog zwischen der westlichen und islamischen Kultur, der auch stattfand. Zwar brachte die Auswahl der arabischen Autoren von Seiten der Gastländer wenig Oppositionelles, dafür kamen aber auf Einladung der Messeleitung auch genügend der im Exil lebenden nicht-angepassten islamischen Literaten. Für den interkulturellen Dialog standen dann am Ende tatsächlich mehr als 200 Intellektuelle, Schriftsteller und Übersetzer zur Verfügung. Arabische Literatur selbst macht in Deutschland nur etwa drei Prozent aus, und daran dürfte sich auch nach dieser Messe nicht viel ändern. Diese hat allerdings auch im arabischen Raum selbst keine große Bedeutung. Dort sind die Auflagen ebenfalls gering, es gibt keinen funktionierenden arabischen Buchhandel und zu strenge Zensur. Großes Interesse dagegen nehmen bei uns seit dem 11. September 2001 die Sachbücher über Islam und Politik ein, ein Trend, dessen Ende noch nicht abzusehen ist.

Neues an Ausstellern gab es in diesem Jahr erstmals nicht wirklich zu entdecken. Im Grunde das Gleiche wie im letzten Jahr. Interessant waren dabei vielleicht die „linken“ Verlage, die im letzten Jahrzehnt in der Öffentlichkeit endgültig in der Bedeutungslosigkeit verschwunden waren, aber durch Hartz IV ihr großes Comeback erleben dürfen. Die vertretenen linken Verlage und Kleinparteien genossen große Aufmerksamkeit. Denn was den Sozialabbau angeht, sind eigentlich alle Verlage und Intellektuellen, die ich ansprach, einer Meinung. Die Zeiten werden schlechter für alle. Schon immer auf der Messe vertreten, kam durch die Besorgnis der Bürger diese Verlagsszene endlich wieder aus ihrem Schattendasein heraus und die Messe machte den Eindruck, als stände ein kulturelles Revival der 68er-Bewegung unmittelbar bevor.
Natürlich gibt es – wie nicht anders gewohnt – keine einheitliche linke Politik. Ironischerweise wirft jede Gruppierung den anderen vor, die Bewegung zu spalten und keine Bündnispolitik zu betreiben. Wahrscheinlich haben damit alle auch Recht, denn lokal dürfte die jeweilige Politik einer Gruppierung ganz anders sein als an einem anderen Ort. Die „Assoziation linker Verlage“ – vornehmlich Autonome – sind die einzigen, die seit Jahren über ein gut strukturiertes Netzwerk verfügen. Erstaunlicherweise ist Hartz IV bei diesen aber weniger ein Thema. Andere traditionelle Verlage der „alten Schule“ wie die MLPD oder der „Bund gegen Anpassung“ (Ahriman-Verlag) dagegen treten sehr selbstbewusst mit einer klaren Positionierung ihrer eigenen Linie und Ansicht auf.

Die esoterische Verlagsszene dagegen tritt von Jahr zu Jahr weniger als gemeinsames Netz in Erscheinung. Auch ist sie in diesem Jahr etwas zusammengeschrumpft. Eine ganze Reihe der gewohnten Verlage fehlte, vielleicht haben der Ausblick auf Hartz IV und wirtschaftliche Rezession diese schon jetzt erreicht, denn die Standpreise sind sehr teuer. Die finanziellen Möglichkeiten, sich auf der Messe präsentieren zu können, sind sicherlich knapper geworden. Interessant ist sowieso die gesamte Zusammensetzung in dieser speziellen Halle. Esoterik teilt sich den Raum mit den Verlagen der Linken und des psychologisch-therapeutischen Spektrums. Mir erscheint aber dieses „neue“ Bild – linke Politik, Therapie und Esoterik – durchaus auch sinnvoll. Trotz seiner Widersprüche passt das sehr gut zusammen und schürt Hoffnungen auf gesellschaftliche Veränderungen. Völlig selbstbewusst steht in diesen Reihen seit Jahren auch der Stand der „Jungen Freiheit“. Wurden diese vor Jahren noch als Provokation empfunden, konnten sich diese liberalen Rechtskonservativen allein durch ihre konsequente Präsenz mittlerweile integrieren und stoßen auf Akzeptanz.
Unter den Esoterik-Ständen befanden sich neben der eigentlichen Gastland-Halle auch eine Anzahl islamischer Verlage. Interessanterweise erweckten diese bei mir durchaus auch Unsicherheit und Misstrauen. Denn es handelte sich um eine breite Palette von schwer einzuordnenden Glaubenspositionen vom Fundamentalismus bis hin zu den Marokkanern, die sehr offensiv für Haschisch warben anstatt des zu erwartenden Islam. Und der Emir der arabischen Emirate, Sheikh Dr. Sultan Bin Mohammed Al Quassimi, hat offensichtlich viel Geld investiert, um jedem Messebesucher ein fast 500-seitiges großformatiges Werk zur Geschichte und Kultur der Araber kostenlos aushändigen zu lassen.

Seit 2003 wurde die Buchmesse zu einer Event- und Arbeitsmesse mit vielen Foren und Bühnen in jeder Halle. Dadurch sollte die Messe eigentlich auch länger dauern können als nur von Mittwochs bis Sonntags. Denn was dort geschieht, ist so interessant, dass ich – obwohl ich zum ersten Mal verlängerte und sogar an den überfüllten Publikumstagen zum Wochenende blieb – nicht mehr die Zeit fand, alle Ausstellerhallen zu besuchen. Die spannenden ausländischen Aussteller – besonders den USA gilt normalerweise mein besonderes Augenmerk – blieben von mir in diesem Jahr ungesehen. Nur für einen kurzen Pflichtbesuch des arabischen Gastlandes hatte es gereicht. Skandalträchtig war dabei ein amerikanischer Stand mitten unter den ganzen Arabern, der die Werke des libanesischen Häretikers Doktor Dahesh präsentierte. Allesamt illustriert und auffallend gänzlich mit Darstellungen Nackter und von Teufeln bestückt. Der Stil ist eine Mischung aus Jugendstil und Kasperl-Theater (Teufelchen mit Hörnern und Flügeln). Für die übrige arabische Welt auf jeden Fall eine Provokation.

Die Foren sind für mich tatsächlich eine große Bereicherung. Wie im letzten Jahr hatte dabei das Hörbuch-Forum – obwohl es nur maximal drei Prozent des Umsatzes in den Buchhandlungen ausmacht – auf mich wieder die größte Attraktivität. In diesem Jahr stand es komplett in Zusammenarbeit mit dem Magazin „Focus“. Über die ganze Messe verteilt gab es auch Hörbuchtürme mit Kopfhörern, um als Chillout auch mal zu hören anstatt immer nur zu lesen. Wie weit das wirklich genutzt wurde, wäre eine interessante Frage. Eröffnet wurde das Hörbuch-Forum mit einer Pressekonferenz zur aktuellen Entwicklung im Hörbuchbereich. Die Anzahl der lieferbaren Titel wird immer größer. Das Hörbuch etabliert sich zunehmend am Markt. Viele Diskussionsveranstaltungen gab es zum neuen Medium des Downloads, dem die Branche nicht abgeneigt ist und das nicht als Ersatz, sondern Ergänzung zum traditionellen Verkaufsweg gesehen wird. Nachdem die Startauflage für Hörbücher – von Rennern wie John Sinclair abgesehen – bislang unter tausend lag, bewegt sie sich mittlerweile im Schnitt bei fünftausend.
Selbstverständlich hat auch das Hörbuch bereits seine Auszeichnungen, die wichtigste dabei ist seit 2002 der Deutsche Hörbuchpreis des WDR, der im nächsten Jahr im März erstmals auf der LitCologne verliehen wird. Ursprünglich war die Buchmesse Leipzig das Forum für Hörbücher, seit letztem Jahr ist dies zur Frankfurter Messe gewechselt und angesichts der immensen Werbung für die AudioBooksCologne auf dem Literaturfestival LitCologne 2005 scheint es offensichtlich, dass die Hörbuch-Macher ihren Schwerpunkt schon wieder verlegen werden.
Eine wichtige Diskussion betraf angesichts der schon jetzt vielfältigen Hörbuch-Preise die Frage, ob es nicht Zeit für einen übergreifenden Hörbuch-Award, sozusagen den „Oscar“, wäre. Dies wurde sehr kontrovers betrachtet.
Jedenfalls bleiben die Hörbuch-Forum-Events der Geheimtipp der Messe, mit ihrem vielfältigen Programm zu Inszenierungen, ungewöhnlichen Präsentationen, Darstellungen zur Produktion etc., und haben dem in den letzten Jahren noch innovativen Comic-Forum, mittlerweile aber schon wieder zu etabliert, den Rang abgelaufen.
Selbstverständlich wird nicht nur „gehört“, sondern auch „gelesen“. Hervorzuheben sind in diesem Jahr Serdar Somuncu – der Türke, der „Hitler“ und „Goebbels“ las und auch auf der Messe überaus unterhaltsam bissig und provokativ auftrat – und auch Helmut Krauss, die deutschen Stimme von Marlon Brando, der aus „Necroscope“ und [„HR Giger`s Vampirric“ 581 las. Gänsehaut für die Ohren, Horror ist sowieso einer der Renner der Hörbuch-Branche. Eigentlich macht das Lanze auch Lust, Hörbuch-Veranstaltungen zu organisieren, deren Präsentationsmöglichkeiten grenzenlos sind. Natürlich sind die rechtlichen Bedingungen dafür sehr kompliziert, den Leistungsschutz geben Verlage, das Urheberrecht liegt ebenso bei Verlagen wie den Autoren. Aber bislang sind die Verlage gegenüber Veranstaltern sehr kulant und machen das kostenfrei, da ihnen die PR fürs Hörbuch generell noch wichtiger ist als daran zu verdienen.

Angenehm war die Präsenz der Dienstleister der Branche – das Forum Management – im Herzen der Messe, die früher immer abseits angesiedelt waren. Nicht nur, weil das Sortimenterzentrum preiswerteres Essen und Trinken anbietet, für Azubis mit dem Azubi-Café fast für Unkosten (ein Platz, wo auch schon immer ständig im Wechsel bekannte und unbekanntere Autoren live lesen), sondern weil für die Buchhändler und Verleger auch die obligatorischen Wege zu den Vertriebsnetzen, Barsortimenten, Buchhandelsschulen, Beratungs- und Dienstleistungsangeboten kürzer und zeitsparender waren. Auch kann man sich an diesem Platz immer ein wenig vom sonstigen Messetrubel erholen. Als Überraschung dabei war festzustellen, dass die vor einigen Jahren neu eingeführte Fachschule des deutschen Buchhandels, die noch in diesem Sommer angesichts ihres universitären Charakters den hochprotegierten Stolz der Branche ausmachte und als neue Elite galt, sang- und klanglos im Nichts verschwunden ist. Ursache dafür sind zu wenige Teilnehmer an dem Studiengang. Wer sich für aktuell Interneres aus der Branche interessiert, kann immer die in dieser Halle anwesenden Buchschulen-Lehrer befragen. Verständlicherweise sind diese am besten und umfassendsten über alles informiert.

Im Lesezelt musste man sich dieses Jahr in langen Schlangen anstellen, um überhaupt Einlass zu bekommen. Ein Highlight dabei war die zweistündige Lesung von Dirk Bach aus dem neuen Walter Moers, „Die Stadt der träumenden Bücher“, einer spannenden Geschichte, die auf hohem Niveau eine Hommage an die Geschichte der Literatur darstellt. Vor allem das Fantasy-Event, welches auf dem Podium das „Königspaar der deutschen Fantasy“ Heike und Wolfgang Hohlbein, die neue „deutsche Queen der Fantasy“ Monika Felten und den amerikanischen Autor Tad Williams zusammen präsentierte, konnte wegen Überfüllung von vielen nicht gesehen werden. Tad Williams war sowieso einer der Stars der gesamten Messe, der seine aufwendige Hörspiel-Adaption von „Otherland“ präsentierte und von einem Termin zum anderen hechtete. Siehe dazu auch http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=29. Als wahre deutsche Nationalhelden wurden aber der 75-jährige Pierre Briece (Winnetou), der seine Biografie vorlegte, und aber auch das „Urmeli“ aus der Augsburger Puppenkiste gefeiert. Zur Platin-Verleihung (600.000 Exemplare) der erst im Frühjahr erschienenen DVD-Reihe des Hessischen Rundfunks waren die Originalpuppen Urmeli, Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer, angereist, die dem dankbaren Publikum eine eigens konzipierte Inszenierung präsentieren. Fernsehdirektor Dr. Hans-Werner Conrad vom HR ließ sich diese Gelegenheit, anwesend zu sein, nicht entgehen und verteilte sehr großzügig DVD-Exemplare ans anwesende Publikum, was natürlich großen Anklang fand, denn die Puppenkiste ist vor allem bei den Erwachsenen unverändert Kult.

Schon in diesem Jahr ausgebaut – neben dem gewohnten Messekino gab es ein Rechtezentrum und einen Gemeinschaftsstand der Filmindustrie – wird das Forum Film & TV im nächsten Jahr noch größer werden. Eine Kooperation mit der „Berlinale“, den internationalen Filmfestspielen in Berlin, wurde abgeschlossen, Filmproduzenten reisen zur Buchmesse, Workshops vom Drehbuchschreiben bis zum Lizenzgeschäft stehen auf dem Programm.

Und Frankfurt steht auch außerhalb der Messe in dieser Zeit gänzlich im Zeichen des Buches. Unzählige Verlage präsentieren auch abends verschiedenste Veranstaltungen. Auch hier füge ich nur ein Beispiel an von den vielen, die ich besucht habe. Der Nachtschatten-Verlag veranstaltete im Tanzhaus West – einem Rave-Techno-Szenentreff – eine gut besuchte Informationsveranstaltung zu Ahayuasca. Auf dem Podium saßen Arno Adelaars (Ritual-Leiter), Dr. Christian Rätsch (Ethnopharmakologe), Govert Derix (Manager / Philosoph), Dr. Henner Hess (Soziologe) und Wolfgang Sterneck (Publizist). In recht intimer Atmosphäre verfolgten ungefähr 200 Gäste dicht gedrängt die Berichte zu dieser eigentlich längst bekannten Droge, als sei es etwas völlig Neues, und erweckten den Eindruck, dass eine neue psychedelische Drogenwelle auf die westliche Welt zurollt. Zwar gab es das, was da als letzte Möglichkeit, sich selbst und die gesamte Welt zu heilen, angepriesen wurde, in ähnlicher Ansicht und Form in den Anfangszeiten der LSD-Bewegung, aber alle Redner waren sich sicher, dass diese beiden Drogen in ihrer Wirkung nicht zu vergleichen wären. Selbst die anwesenden gesellschaftlichen Anti-Drogen-Experten waren sprachlos und konnten den Argumentationen nichts entgegensetzen. Man müsste, um die Bewegung zu beurteilen, wahrscheinlich die Sache mal ausprobieren. Die Lust darauf zu wecken, ist jedenfalls als gelungen zu betrachten. Der Star des Abends war natürlich der bekannte Pharmaethnologe und Autor Christian Rätsch, aber der holländische Philosoph Govert Derix – dessen aktuelles Buch „Kritik der psychedelischen Vernunft“ (Nachtschatten-Verlag) präsentiert wurde – trat mit seinen Ansichten in ungeahnter Weise richtig radikal und revolutionär auf und sorgte für ziemliches Aufsehen. Die Vorträge selbst sind mittlerweile auch schon im Netz abrufbar unter http://www.sterneck.net/connecta/03program/index.php.
Alles in allem eines der Highlights der diesjährigen Messe, ein Abend, der lange in Erinnerung bleiben wird.

Was wäre eine Messe ohne Preise. Bedeutsamster deutscher Literaturpreis ist der Friedenspreis des deutschen Buchhandels, der zum Abschluss der Messe in diesem Jahr an Pèter Esterházy ging. Aber es gibt viele unbekanntere Preise mehr … z. B. die Verleihung der „schönsten deutschen Bücher“ der Stiftung Buchkunst für die Hersteller, Lektoren etc. von Büchern. Zwar wurden diese schon im Mai in Berlin bekanntgegeben, aber erst auf der Messe wurden die Urkunden für die etwa 50 preisgekrönten Bücher übergeben. Eine lange Prozedur, die Standbein verlangte. Dann gibt es auch den Preis für den Comic des Jahres, der in diesem Jahr an die in Frankreich lebende Exil-Iranerin Marjane Satrapie für ihr Werk „Persepolis“ ging. Der erste Band ist bereits erschienen, der zweite Band erscheint im Dezember in der „Edition Moderne“. Vielleicht war der eigentliche Grund dieser Verleihung auch nur der arabische Schwerpunkt der diesjährigen Messe, denn dafür war dieser Preis ja sehr passend. Dies nur als kleine Auswahl. Von den Überlegungen zu Hörbuch-Preisen wurde schon weiter oben berichtet und zu den im nächsten Jahr erstmals neu vergebenen deutschen Buchpreisen hatte ich bereits am Ende meiner [Sommer-Herbst-Kolumne]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=27 einiges geschrieben.

May, Karl / Sudhoff, Dieter (Hrsg.) – Zwischen Himmel und Hölle. Karl May und die Religionen

Das Thema Religion zieht sich durch das Gesamtwerk Karl Mays wie ein roter Faden, wobei dies in der Vergangenheit sehr wenig thematisiert wurde. Der |Karl May|-Verlag beginnt mit diesem Band nun allerdings diese Rezeption auf eine umfassende und innovative Art, die erst den Anfang für eine neue Herangehensweise an den bedeutenden deutschen Literaten bildet, der, wie in der Einleitung vermerkt, noch weitere Forschungen folgen werden.

Zwar ist bekannt, dass May seine Reisen erfunden hatte und die fernen Länder gar nicht kannte, allerdings zeigt die vorliegende Sammlung, dass er um so mehr das zu seiner Zeit vorliegende Material zu Religionsgeschichte der Völker aufs Gründlichste studiert hatte. Er selbst war Christ, aber kein Kirchenchrist und in seinem Werk lehnte er die Missionierungen des Christentums aufs Entschiedenste ab. Liest man seine Bücher, springt einem stattdessen eine tiefe theologische Auseinandersetzung mit „fremden“ Religionen förmlich entgegen, die sich in den Dialogen seiner literarischen Figuren spiegelt. Schon in seinem Frühwerk diskutiert das Christliche als „Kara Ben Nemsi“ mit „Hadschi Halef Omar“ oder „Old Shatterhand“ mit „Winnetou“. Natürlich bleibt May immer Christ, aber die Toleranz, die er anderen Religionen entgegenbringt, war für seine Zeit Aufsehen erregend.

Ähnlich vielleicht wie Lessing in seinem „Nathan der Weise“, sieht er die Gemeinsamkeit der Sprache des Herzens und der inneren Spiritualität, auf welcher Religionen in ihrer Essenz beruhen. Sicherlich hatte auch das reformerische Denken der |Theosophischen Gesellschaft| sehr viel für seine Sichtweise beigetragen. Millionen Deutsche bezogen rein über die Abenteuergeschichten Karl Mays ihr Wissen über andere Religionen. Er hat die heute vorhandene Ökumene schon lange vor ihrer Zeit gepredigt und darf als einer der Väter des ökumenischen Denkens gesehen werden.

Auch in politischer Hinsicht hat sein Werk nach wie vor aktuelle Bezüge. Die Glaubenskriege zwischen Islam und Christentum sind seit dem Golfkrieg wieder so prekär wie damals. Und Karl May war politisch. Er wandte sich, gegen den damaligen Trend, in seinen Romanen scharf gegen den internationalen Kolonialismus und Imperialismus. Es geht ihm um den Frieden der Völker, den Verzicht auf Gewalt und in diesem Zusammenhang um den Ausschließlichkeitsanspruch des Christentums und dessen Beziehungen zu anderen Religionen. Wurde sein Frühwerk noch in katholischen Zeitungen in Fortsetzungen veröffentlicht, war das mit seinem Spätwerk nicht mehr der Fall. Diese Titel wie „Frieden auf Erden“, „Winnetous Erben“ oder sein literarisches Meisterwerk „Ardistan und Dschinnistan“ kam gar auf den Index der Inquisitionsbehörde des Vatikans. In diesen Büchern entwickelte er seine eklektische philosophische Spiritualität mit ihrer neuen Geistes- und Seelentheorie auf hohem religiösen Niveau, immer aber auch psychologisch, sozial und politisch motiviert. Solange der Mensch sich mit anderen um Gott und Gottes Liebe streitet, sah er das Göttliche bei diesen verloren. Wer seinen Feind hasst, verzichtete seiner Ansicht nach auf die beste Waffe, diesen zu besiegen.

Dem Vatikan war er gefährlich geworden, denn er wies in seinen Dialogen – in welchem er zwar das Christentum vertrat – immer darauf hin, dass dort, wo die Christen regieren, historisch mehr Blut geflossen ist als in den Ländern anderer Religionen. Einem jugendlichen jüdischen Leser, der ihm schrieb, zum christlichen Glauben aufgrund Mays Bücher überwechseln zu wollen, riet er, besser einmal erst den jüdischen Glauben richtig zu studieren („Ich sage dir als aufrichtiger und gewissenhafter Christ: der Glaube deiner Väter ist heilig, ist groß, edel und erhaben. Man muss ihn nur kennen und verstehen. Seinen Glauben wechselt man nicht einiger Bücher wegen“). Neben dieser unverhohlenen Positionierung sah die katholische Inquisition in Karl May aber noch mehr einen modernen Ketzer, der den Spiritismus, Pantheismus und Monismus als Irrlehre verbreitete.

Dem Leser dieser Zusammenstellung bietet sich eine Einführung in die Grundzüge der Religionen – der indianischen Naturreligion, des Islams in all seinen Facetten (den Yezididen war May z. B. sehr verbunden), aber auch der polynesischen, südamerikanischen und asiatischen Kulturen. Wobei sein Wissen über die chinesischen Religionen wie Daoismus, Konfuzianismus und Buddhismus nicht an die Kenntnisse der indianischen und islamischen Kultur heranreicht. Belegt sind seine Ansichten durch reichhaltige Auszüge aus seinem Gesamtwerk und es bereitet besondere Freude, sie unter neuem Blickwinkel erneut im Zusammenhang zu lesen. Für mich war es als einem, der Karl May in der Jugend verschlungen hatte, sehr reizvoll, ihn nun im Alter noch einmal auf ganz neue Weise wiederzuentdecken. Aber auch der nicht mit Karl May vertraute Leser müsste aus religionsgeschichtlichem Interesse mit dem im vorliegenden Buch Gebotenen durchaus zufrieden sein.

Informationen über Karl May bei |wikipedia|: http://de.wikipedia.org/wiki/Karl__May (mit weiterführenden Verlinkungen ins Netz)

Ursula Spuler-Stegemann (Hrsg.) – Feindbild Christentum im Islam. Eine Bestandsaufnahme

Die „Feindbild Christentum im Islam“ herausgebende Professorin lehrt Islamwissenschaften an der Universität Marburg und hatte zuvor bereits mit „Muslime in Deutschland“ das wohl beste Werk über die ausländischen Islam-Angehörigen in unserem Land vorgelegt. In diesem Band hat sie nun eine ganze Reihe von Fachleuten versammelt, die sich dem interreligiösen Dialog widmen, der seit dem 11. September 2001 mit größerem Interesse als zuvor in der Bevölkerung wahrgenommen und beobachtet wird.

Ursula Spuler-Stegemann (Hrsg.) – Feindbild Christentum im Islam. Eine Bestandsaufnahme weiterlesen

Feindbild Christentum im Islam

Die „Feindbild Christentum im Islam“ herausgebende Professorin lehrt Islamwissenschaften an der Universität Marburg und hatte zuvor bereits mit „Muslime in Deutschland“ das wohl beste Werk über die ausländischen Islam-Angehörigen in unserem Land vorgelegt. In diesem Band hat sie nun eine ganze Reihe von Fachleuten versammelt, die sich dem interreligiösen Dialog widmen, der seit dem 11. September 2001 mit größerem Interesse als zuvor in der Bevölkerung wahrgenommen und beobachtet wird.

Der Islam ist aufgrund des Terrorismus ein Feindbild geworden, aber dies gilt seit dem Einmarsch von George W. Bush in Afghanistan und dem Irak auch umgekehrt. Die Muslime fühlen sich – nicht einmal zu Unrecht – vom Christentum bedroht. Die im Sammelband vertreten Ansichten sind sehr unterschiedlich, aber es zeichnet sich durchweg eine kritischere Betrachtung und Einschätzung des Dialoges zwischen den Kulturen ab, als dies gegenwärtig stattfindet. Vor allem die evangelische Kirche, welche seit Anfang der achtziger Jahre den Dialog aufgrund der „islamischen Revolution“ im Iran vorantreibt, geht sehr realitätsfremd mit den Wirklichkeiten um. Blauäugig wird alles ausgeklammert, was Konflikte darstellen würde. Der Dialog ist sehr einseitig, denn die Christen beginnen in unserer Zeit eigentlich erst mit dem Dialog. Für die Muslime ist dieser längst abgeschlossen und wurde schon im Koran geführt.

Demnach sind Christen wie Juden zwar durchaus Anhänger des „Buches“ und stehen in der Tradition der Gottesgläubigen, aber dennoch sind sie auch zu verurteilende Ungläubige. Nur in der Anfangszeit Mohameds war dieser christenfreundlich, da die christlichen Gemeinden, mit denen er in direktem Kontakt stand, seine Lehre sogar als eine christliche Splittergruppe einstuften. In späteren Zeiten Mohameds galten Christen aber bald als die gleichen Ungläubigen wie Juden und Heiden. Ein gläubiger Moslem ist nicht bereit, sich auf eine Wahrheit im Christentum einzulassen. Auch ist es nicht erlaubt, mit Christen zu verkehren, außer im Sinne der Missionierung. Und der Dialog gilt im Islam als Missionierung. Dies betrifft nicht die Gestalt Jesus selbst, dieser gilt als Prophet (der nicht am Kreuz gestorben sei und schon gar nicht Gottes Sohn sein konnte) und er ist auch tatsächlich im Koran derjenige, welcher am Ende aller Zeiten kommen wird, um zu richten. Trotz dieser Tatsachen lehnen die Autoren den Dialog nicht ab. Zwar ist kein wirklicher Dialog möglich, solange jede monotheistische Religion fundamentalistisch die eigene als alleinig Gültige betrachtet – aber deswegen nicht zu kommunizieren, empfinden auch sie dennoch als den „verkehrteren“ Weg.

Konflikte und Tabus dürfen dann aber nicht – wie es der Fall ist – ausgeklammert bleiben. Die Evangelisten unterstützen viel Islamisches und sehen nicht, dass umgekehrt nichts Derartiges vonstatten geht. Wenn man einen Dialog führt, muss geprüft werden, ob beide Seiten unter den benutzten Begriffen überhaupt das Gleiche verstehen, z. B. der Begriff „Frieden“ ist bei uns mit Harmonie und Gewaltlosigkeit und Abwesenheit von Kriegen verbunden. Wenn Islamisten von „Frieden“ sprechen, meinen sie damit allerdings etwas ganz Anderes, nämlich die Ausweitung des Islams auf die ganze Welt. Im bisherigen Dialog werden von muslimischer Seite nur Anklagen und Forderungen erhoben. Die deutschen Protestanten akzeptieren das widerstandslos aus ihren Schuldgefühlen heraus, aufgrund ihrer Rolle im „Dritten Reich“. Nie wieder will man andere Religionen diskriminieren. Ein wenig Angst vor Machtverlust spielt sicherlich auch eine Rolle. Wenn nämlich der Anspruch des organisierten Islam, alle Muslime im Rahmen einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu vertreten, zurückgewiesen wird, bliebe das im Sinne der Gleichbehandlung nicht ohne Folgen für die Kirchen. Wer den Monopolanspruch der orthodoxen Muslime bestreitet, gefährdet das entsprechende christliche Monopol.

Kaum beachtet werden die vielen unterschiedlichen Strömungen des Islams. Man unterscheidet weder die Hauptgruppen der Sunniten und Schiiten noch die diversen Strömungen letzterer Gruppierung und begreift auch nicht, dass ein islamischer Religionsunterricht in den deutschen Schulen schon aus diesen Unterschieden heraus überhaupt nicht möglich ist. Der Dialog wird gnadenlos durchgezogen, ohne die Möglichkeiten der Information über die Personen und Organisationen, die sie vertreten, zu nutzen. Alles, was den Dialog behindert könnte, wird ganz bewusst übersehen und eliminiert. Es kann aber doch nicht wirklich die Aufgabe christlicher Pfarrer sein, dafür zu sorgen, dass Moscheen errichtet werden. Islamisten dürfen in christlichen Kirchen predigen, umgekehrt findet so etwas nicht statt.

Verhandelt wird mit Organisationen, die als zwei verschiedene Zentralräte der Muslime in Deutschland auftreten, aber diese als solche anzuerkennen, ist eigentlich realitätsfern. Denn beide vertreten Minderheiten (nach Schätzung nur drei bis fünf Prozent) und stehen nicht für die Mehrheit der islamischen Glaubensbewegungen der in Deutschland lebende Muslime. Und eine ganze Reihe dieser dem Zentralrat angehörenden Gruppen, mit denen man kritiklos interkulturelle Aktionswochen zelebriert, wird vom Verfassungsschutz beobachtet und wie beispielsweise „Milli Görüs“ als rechtsradikal eingestuft. Man kann nicht – wie vertreten wird – die Menschenrechte und die Behandlung der Christen in islamischen Ländern ausklammern, diese Betrachtungsweise gehört zum Dialog.

Und da sieht es überall düster aus – von wenigen Lichtblicken abgesehen. Erstaunlicherweise werden im einzigen Staat mit islamischer Verfassung – dem Iran – andere Religionen anerkannt und diese können sogar Vertreter in die Regierung entsenden. Saudi Arabien bezieht sich in seiner Verfassung auch auf den Islam, aber mit dem Iran ist diese nicht vergleichbar. Dort ist wie in den meisten arabischen Ländern die Situation der Christen die einer in ständiger Gefahr befindlichen Minderheit. Wenige Lichtblicke gibt es in Ägypten, wo der Islam mit den koptischen Christen tatsächlich im Austausch und in gegenseitiger Anerkennung existiert.

Das Buch bietet sehr interessantes Wissen über die unterschiedliche Situation in islamischen Ländern, die man kennen sollte. Den christlich-islamischen Dialog aufgrund dieses Wissens zu verwerfen, wäre dennoch nichts anderes als Propaganda für den als unvermeidlich hingestellten Kampf der Kulturen. Aber wir brauchen dafür keine interreligiösen Schmusestunden und auch keinen Austausch von Beweihräucherungen oder verlogenen Zusicherungen des guten Willens. Ehrlichkeit gibt es nur, wenn man ohne Selbstzensur, ohne Tabus und ohne Duckmäuserei miteinander reden kann.

_Ursula Spuler-Stegemann (Hrsg.)
[„Feindbild Christentum im Islam. Eine Bestandsaufnahme“]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/345105437X/powermetalde-21
189 Seiten, TB
|HERDER spektrum|
Januar 2004
ISBN 3-451-05437-X _

Terhart, Franjo – Schatz der Tempelritter, Der

Terhart ist einer der jüngeren Tempelritter- und Katharerforscher und legt zu diesem Thema sein zweites Buch nach [„Die Wächter des Heiligen Gral“]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3404701828/powermetalde-21 (2001) vor. Augenfällig ist gleich, dass sein Folgeband nicht mehr zuerst als Hardcover erschienen ist. Der interessierte Leser kann darüber viel spekulieren. Beispielsweise wäre es nahe liegend, dass bei all der Fülle an Publikationen in den letzten Jahren das Interesse einfach nachlässt, weil nichts wirklich Neues mehr dazukommt. Andererseits halte ich es für wahrscheinlicher, dass der Verlag sich zu Recht für das Taschenbuch-Original entschied, weil der Inhalt eigentlich mehr wie ein Überbleibsel gestrichenen Materials aus dem ersten Band erscheint. Im Grunde wäre das Meiste Stoff für einen umfangreichen Anmerkungsanhang gewesen. Aufgrund ursprünglicher Kürzungen scheint nun einfach ein Folgeband nachgeschoben. Akribisch werden darin alle Plätze und Vermutungen, wo sich der verschwundene Templerschatz befinden könnte, aufgezeigt. Durchaus eine Leistung, aber interessiert das noch wirklich den zeitgenössischen Gralsforscher, der vor einigen Jahren durch die Veröffentlichungen der englischen Autoren Baigent und Leigh mit den Enthüllungen um den geheimnisvollen Blutslinien-Orden Jesu („Prioré de Sion“) auf sensationelle Weise einmal mehr auf die Katharergeheimnisse aufmerksam gemacht wurde?

Um das Buch nicht ganz zu schmälern: Sicherlich finden sich überall versteckt neue kleine Puzzle-Stücke, die das Gesamtbild komplettieren und die zu erfahren sich lohnt. Dafür ist aus Preisgründen eine Taschenbuchausgabe geradezu gerechtfertigt. Recht interessant sind Verknüpfungen zum alten Pilgerweg nach Santiago de Compostela in Bezug auf die Schatzsuche. Neu geschrieben – also nicht als Anmerkungen für den vorhergehenden Band zu betrachten – ist die Auseinandersetzung mit dem Kult der abgeschnittenen Köpfe. Aber diese scheint in der Hauptsache eine Zusammenfassung des 1999 erschienenen Buches „Das Haupt Gottes“ von Keith Laidler zu sein, welche nur noch um wenige eigene Vermutungen ergänzt wird.

Leider ist noch keiner der Autoren, die sich mit dem Baphomet-Kopf und den Kopf-Riten alter Völker befassen, auf die Idee gekommen, dies mit den Geschichten um die geheimnisvollen Kristallschädel aus dem indianischen Kulturkreis in Verbindung zu setzen. Meines Erachtens wäre das eine sehr lohnenswerte Sache, die ebenso Spektakuläres an den Tag bringen wird wie einst die ersten Enthüllungen über die „Prioré de Sion“. Auch die Kristallschädel stammen aus matriarchal-religiösen Überlieferungen und das Wissen darüber wird heute noch von „Großmütter“-Zusammenkünften gehütet, was zu den neueren Thesen – welche auch Terhart im vorliegenden Buch vervollständigt – passt, die besagen, dass die Templer mit ihrem Marienkult auf alte Göttinnenverehrung zurückgreifen, die über die ägyptische Isis weiter zum Stamm der Benjamiten (welche, während Moses die Gesetzestafeln erhielt, unten ums Goldene Kalb tanzten) führte, und dass auch Maria dieser Stammeslinie zugehörig war. Jedenfalls bleibt die Sache mysteriös und die Zusammenhänge werden dennoch immer besser ersichtlich, so auch zur Bundeslade, welche zur Zeit König Davids zur geheimnisvollen Königin von Saaba wechselte (worüber die Freimaurer in ihrem Hiram-Abif-Mythos – „Sohn der Witwe“, gleichzeitig auch wieder ein Kopfkult – noch heutzutage geheimes Wissen überliefern).

Auf alle Verknotungen einzugehen, die in diesem Buch wieder und wieder aufbereitet werden, wäre zu mühsam. Deswegen nur noch einige Highlights, z. B. der „Sternenweg“ nach Compostela im Zusammenhang zu Sirius und der Priesterschaft Johannes des Täufers, die in eine geistige Linie zu Seth, Typhon, dem Schlangengott, Lucifer, Johannes und Jesus gestellt wird. Oder die Überlieferungen der Sinti und Roma, die noch heute zu Sara Kali beten, einer Tochter von Jesu, die mit Maria Magdalena überlebt habe und über Ägypten nach Frankreich geflohen sei. Maria Magdalena selbst ist in diesen Darstellungen die große Hure Babylons und ihre Priester waren Sexualmagier bis hin zu Johannes, der Simon Magus, den bedeutenden gnostischen Magier mit seiner Gefährtin Helena – ein Pendant zu Jesus und Maria – als Schüler hatte. Simon Magus brachte das überlieferte Wissen nach Irland, nach keltischen Legenden zum Hochdruiden Mog Ruith und der Inhalt dieses Wissen zeigt wiederum deutliche Parallelen auf zum indianischen Medizinrad und den dortigen Schädeln. Doch wie gesagt, darüber steht leider nichts im Buch.

Deutlich bleibt nach der Lektüre jedenfalls die Sichtweise, dass es um Göttinnenwissen geht, dass Maria-Jesus immer wieder archetypisch wiederkehrende Vorbilder in den alten religiösen Legenden haben, und dass es um das Wissen um die Schöpfungsursache geht und damit um Sexualmagie im gnostisch-philosophischen Sinne, die aufgrund der Vereinigung vorhandener Polaritäten diese überhaupt erst bewirkt.

John Carter – Raumfahrt, Sex und Rituale. Die okkulte Welt des Jack Parsons

Ein wunderlicher Titel, der aber nichts mit merkwürdiger Science-Fiction zu tun hat, sondern sehr treffend beschreibt, was das Werk des in Deutschland nicht sehr bekannten Okkultisten beinhaltet. Lediglich im Magazin „Mescalito“ wurden in den achtziger Jahren Texte von Parsons veröffentlicht, mittlerweile wird man dank des Internets allerdings eher fündig.

Jack Parsons (bürgerlich John Whiteside Parsons, 1914 – 1952) war führendes Mitglied des OTO (Ordo Templi Orientis) und Lieblingskind Aleister Crowleys. Er schrieb das „Buch Babalon“, welches als viertes Kapitel des „Liber Al“ gilt und damit zum Vorläufer der Maat-Magick von Soror Nema wurde. L. Ron Hubbard, der Gründer von Scientology, arbeitete sehr eng mit ihm zusammen und brannte dann aber 1947 mit Parsons Frau und einem Batzen Geld durch, eine Aktion, die einen „magischen Krieg“ nach sich zog. Das Grundgerüst der Scientology stammt insgesamt vom OTO, wurde allerdings so verändert, dass kein direkter Zugang in die hierarchische Spitze mehr möglich ist. Parsons war ein typischer Anti-Christ, der stark gegen die repressive Sexualmoral des Christentums rebellierte, damit in der Boheme starken Anklang fand und in der Öffentlichkeit ebenso wie Crowley mehrfach für Skandale sorgte.

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Buchwurminfos IV/2004

Die _Rechtschreibreform_-Entwicklung wurde an dieser Stelle schon länger genau beobachtet, aber gleich Anfang Sommer platzte dann tagelang die Sensation durch die Hauptnachrichten: Die Reform soll kurz vorm Ziel gestoppt werden. Der saarländische Bildungsminister Jürgen Schreier wird auf der Sitzung der Kultusministerkonferenz im Oktober den Antrag stellen, die vereinbarte Stichtagsregelung (1. August 2005) aufzuheben. Führende Zeitungsverlage („Spiegel“, „Springer“ und „Süddeutsche Zeitung“) haben sich von der Reform verabschiedet. Österreichische Zeitungen schließen sich dem an. Presseagenturen wie „dpa“ stehen auch davor, zur alten Schreibweise zurückzukehren. Deutschland ist gespaltet in Befürworter und Ablehner, Schüler schreiben anders als ihre Eltern und die Autoren ebenso. Im Grunde gibt es vier „deutsche“ Rechtschreibungen: eine westdeutsche, eine ostdeutsche, eine schweizerische und eine österreichische. In der Schweiz benutzte man noch nie das „ß“, sondern schrieb schon immer „ss“ (dies allerdings durchgehend). Ansonsten nehmen sich die Eidgenossen sowieso die Freiheit selbst zu entscheiden, wie sie jeweils schreiben.
Im Grunde ist das Chaos perfekt und passt recht gut zu all den Pannen der deutschen Innenpolitik. Die Bevölkerung steht nun mal nicht hinter den Reformen. Ein identitätsstiftendes Gebilde wie die Sprache lässt sich nicht durch staatliche Verordnungen regeln. Es erinnert zu sehr an orthografische Planwirtschaft und Kritiker sprechen von „staatlich verordneter Legasthenie“.
Die Verlage bleiben ebenfalls zerstritten, was die Position zur Reform angeht. Die Literaturverlage hatten mehrheitlich sowieso die alte Schreibweise beibehalten. |Suhrkamp| hatte im Einvernehmen mit den Autoren nie die „so genannte Reform“ übernommen. Wolfgang Balk, |dtv|-Verlag: „Ich sehe bis heute keine Notwendigkeit für diese seltsame Reform und verstehe noch weniger deren quasidiktatorische Durchsetzung. Die langfristige wirtschaftliche Belastung durch die weitgehend absurde Rechtschreibreform ist mit Sicherheit höher zu veranschlagen als die kurzfristigen Kosten für eine Rückführung“. Thedel von Wallmoden, |Wallstein|-Verlag: „Bei uns ist noch kein einziges literarisches Buch in neuer Rechtschreibung erschienen. Nicht nur, weil wir dagegen sind, sondern auch aus dem einfachen Grund, weil wir bislang kein Manuskript in neuer Rechtschreibung angeboten bekommen haben. Ich habe noch keinen literarischen Autor getroffen, der die neue Rechtschreibung anwendet. Diese so genannte Reform ist eine Missgeburt. Wir werden auf jeden Fall bei der alten Rechtschreibung bleiben“. Wolfgang Ferchl, |Piper|-Verlag: „Ich habe mich immer für den Erhalt der alten Rechtschreibung eingesetzt, ob bei |Eichborn| oder jetzt bei |Piper|. Es war abzusehen, dass die neuen Regeln zur Anarchie führen. Deswegen waren alle Verlage gut beraten, die das alte System beibehalten haben. Die jetzige Entwicklung zeigt, dass die Rechtschreibreform in wesentlichen Zügen gescheitert ist“. Klaus Eck, Geschäftsführer von |Random House|, verschließt sich der Rückkehr ebenso wenig. Bei |Random House| sieht man die Debatte relativ entspannt, denn gesetzt werden die Bücher sowohl in alter wie in neuer Rechtschreibung, je nach Willen des Autors.
Finanziellen Schaden würden allerdings tatsächlich die Schulbuch- und Kinderbuchverlage in beträchtlichen Summen haben. Das Gütesiegel „In neuer Rechtschreibung“ ziert ja deren Umschläge. |Beltz & Gelberg| wird – falls die Reform gestoppt wird – Schadensersatz von der Regierung fordern. Der |Duden| beharrt auf der Reform und hat die 23. Auflage des „Duden“ gerade neu ausgeliefert. Die Buchhändler erklären aber, dass sie diesen aufgrund der ganzen Irritationen nicht verkaufen können, obwohl sie ihn wie frühere Auflagen genügend geordert hatten. Bei der unklaren Situation geben die Kunden das Geld dafür nicht aus. In den Feuilletons wird der „Duden“ kritisch belächelt: „Das unmögliche Wörterbuch“ (FAZ), „Chaos voran“ (Süddeutsche Zeitung).
Die Reformer gingen vor sechs Jahren davon aus, dass mit der neuen Rechtschreibung von deutschen Schülern 13 Prozent weniger Fehler begangen würden. Untersuchungen zeigen jetzt allerdings, dass die Rechtschreibleistungen seitdem nicht besser geworden sind. In Wien wurde im August der „Rat für Rechtschreibung“ gebildet, der die Reform auf ihrem weiteren Weg begleiten wird und Änderungen und Kompromisse formulieren soll. Damit wurden dort die deutschen Mitglieder der |Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung| beauftragt. Nach Abschluss der Übergangsphase für die Rechtschreibreform im Sommer 2005 wird der „Rat“ dann an die Stelle der Zwischenstaatlichen Kommission treten. Gleichzeitig gründete sich allerdings in München ein unabhängiger |Rat für deutsche Rechtschreibung|, der sich für die Rücknahme der Reform einsetzt. Zu diesem Rat gehören unter anderem Egon Amman, Elfriede Jelinek, Günter Kunert, Hans Magnus Enzensberger, Günter Grass und Marcel Reich-Ranicki. Auch haben sich 37 Mitglieder der |Berliner Akademie der Künste| und der Darmstädter |Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung| dem Lager der Rechtschreibgegner angeschlossen. Und Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer von den Grünen plädiert nun ebenfalls für die Rücknahme der Reform, da diese in keinem Bundesland ein demokratisches Gremium durchlaufen habe.

_Bonnier_ hatte sich beim Bundeskartellamt gegenüber _Random House_ beschwert, da diese vor dem Verkauf der |Heyne-Fantasy|- und |Heyne-Esoterik|-Taschenbuchreihen gut verkäufliche Titel einfach in die allgemeine Reihe übernommen hatten. Um den Marktanteil im Taschenbuchsektor unter 33 Prozent zu halten, hatte |Random House| diese beiden Reihen verkaufen müssen. Die Beschwerde wurde allerdings nun vom Bundeskartellamt zurückgewiesen. Wahrscheinlich wird |Bonnier| nun den Streit auf zivilrechtlichem Wege weiterverfolgen.

_Rowohlt_ trennt sich vom _“Kursbuch“_, denn die Abonnentenzahl sinkt. Bis Mitte nächsten Jahres werden nur noch drei Ausgaben erscheinen. Das „Kursbuch“ war 1965 von Hans Magnus Enzensberger gegründet worden und hat schon einige Verlagswechsel hinter sich. Zunächst erschien es bei |Suhrkamp|, später bei |Wagenbach| und schließlich bei |Rowohlt Berlin|. Die Herausgeber des „Kursbuchs“, Ina Hartwig und Tilman Spengler, suchen nun wieder nach einem neuen Verlag, erste Angebote sind schon eingegangen.

_Hanser_ wächst weiter, denn der zu |Hanser| gehörende _Paul-Zsolnay-Verlag_ hat den Literaturverlag _Deuticke_ übernommen. Erst im vorigen Jahr wurde dieser von _Klett_ gekauft und nun schon wieder abgestoßen. |Zsolnay| erweitert damit sein Programmspektrum mit österreichischen Autoren. Der Markenname |Deuticke| wird bestehen bleiben und als Imprint geführt.

Fantasy-Autorin _Ursula K. LeGuin_ feiert am 21.Oktober 2004 ihren 75. Geburtstag. Ihr Zyklus „Erdsee“ ist jetzt preisgünstig in der |Serie Piper| neu aufgelegt worden (Serie Piper 8523, 8542 und 8541).

Der Verleger _Ferdinand Schöningh_ verstarb im August an einem Herzversagen. Er war 1986 in die Leitung des 1847 gegründeten |Schöningh|-Verlags eingetreten und 1989 zu dessen Geschäftsführer bestellt worden. Im Jahr 2000 übernahm er auch die Geschäftsführung des Wissenschaftsverlags |Wilhelm Fink|. Er führte sein Familienunternehmen in fünfter Generation.

Auch Professor _Dietrich Kerlen_, Inhaber des Lehrstuhls für Buchwissenschaft und Buchwirtschaft am |Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft| der Universität Leipzig ,verstarb im August an einer Herzattacke. Er war Lektor bei |Klett-Cotta| und Mitglied der Geschäftsleitung im Gütersloher Verlagshaus. Seinen Lehrstuhl in Leipzig hatte er seit 1995.

_Hartz IV_ ist auch für Verlage und Buchhandel ein Ärgernis. Aufgrund der wirtschaftlichen Lage wird sowieso seit längerem nicht mehr so viel gekauft wie früher („Geiz ist geil“), aber die Verunsicherung der Kunden, was da im Zuge von Hartz IV auf die Verbraucher zukommen mag, macht den ausbleibenden Umsatz nur noch schlimmer. Seit der Reformdebatte traut man sich noch viel weniger, Geld auszugeben. Das Reizwort Harz IV treibt die Menschen auf die Straße und in dieser Stimmungslage entwickelt niemand Kaufgelüste. Allein das Gefühl, es könnte noch enger werden, verkleinert den Kreis derjenigen, die mehr als das Notwendige ausgeben.

Araber haben seit dem 11. September 2001 hierzulande eine schlechte Presse, wenn seither die Medien auch um so gründlicher über die islamische Welt informieren. Die _Buchmesse_ bietet in diesem Jahr den Arabern die Plattform zu einer gründlichen „Gegenoffensive“. Ab 2006 wird die Führung der Frankfurter Buchmesse neu besetzt. Der Vertrag mit dem amtierenden Geschäftsführer _Volker Neumann_ endet am 31.12.2005 und wird nicht verlängert. Dieses unfreiwillige Ausscheiden sorgt derzeit für Turbulenzen in der Branche. Der Aufsichtsrat duldet anscheinend keinen starken Messedirektor, heißt es unter anderem. Auch wird gemunkelt, dass einer der Gründe darin liegt, dass Neumann die Messeverlegung forcierte und alternative Standorte anstatt Frankfurt prüfte. Aber auch anderer Gegenwind weht noch: Die _Frankfurter Messegesellschaft_, denen die Messehallen gehören, ist an einer kompletten Übernahme der Buchmesse interessiert oder zumindest an einer Beteiligung. Der _Börsenverein_, von dem die Buchmesse eine Tochtergesellschaft ist, sieht allerdings keine Veranlassung, sich von der Messe zu trennen und sucht nicht das Gespräch mit der |Frankfurter Messe GmbH|.
Im nächsten Jahr wird es zum Auftakt der Messe auch einen neuen Buchpreis geben. Der _Deutsche Buchpreis_ unterscheidet sich in seinem Konzept deutlich vom einstigen _Deutschen Bücherpreis_, der im März 2004 zum letzten Mal in Leipzig vergeben wurde. Ausgezeichnet werden nun die besten Romane des Jahres in deutscher Sprache. Da der Preis nun von Leipzig nach Frankfurt wandert, vergibt die Leipziger Messe im nächsten Jahr stattdessen erstmals den _Preis der Leipziger Buchmesse_ zu gleichen Teilen in den Kategorien Belletristik, Sachbuch und Essayistik sowie Übersetzung. Dass der Börsenverein den in den vergangenen Jahren in Leipzig vergebenen |Deutschen Bücherpreis| nicht fortführt, wird politisch interpretiert, man spricht von einer Vertiefung des Ost-West-Konflikts.

Das Börsenblatt, das die hauptsächlichen Quellen für diese Essayreihe darstellt, ist selbstverständlich auch im Internet zu finden, mit ausgewählten Artikeln der Printausgabe, täglicher Presseschau, TV-Tipps und vielem mehr: http://www.boersenblatt.net/.

Giovetti, Paola – gefallene Engel, Der. Über den Teufel und das Böse in der Welt

„Der gefallene Engel“ ist eine interessante Arbeit über den Teufelsglauben, verfasst von einer italienischen Geisteswissenschaftlerin und damit einmal mehr ein notwendiger Beitrag dahin, dass auch Frauen vermehrt beginnen, sich in wissenschaftlichen Arbeiten mit der Teufelsthematik auseinander zu setzen. Denn dies geschieht auf andere Weise als es frühere männliche Kollegen taten. In ihrem Werk erscheint der Teufel nicht als das „Böse“, sondern sie greift auf alte Mythologien zurück und auf Aspekte des luciferischen Prinzips eines „Lichtbringers“, der z. B. bei den Griechen als Prometheus – welcher Zeus das Feuer raubte und es den Menschen brachte – in hohem Ansehen stand. Hervorragend ist ihre Aufarbeitung der Thematik in den romantischen Schriften und in der Kunst, Musik, Literatur – wo man ja über Dante, Goethe, Schiller, Baudelaire, Hugo, Dostojewski und viele andere im Teufelsthema sehr fündig werden kann. Aus dieser kulturhistorischen Sichtweise gelangt sie auch zu den heutigen psychologischen Auslegungen, ausgehend vor allem von der „Schatten“-Thematik bei C. G. Jung bis hin zu seinem bahnbrechenden Buch „Antwort auf Hiob“. Den inquisitorischen Diffamierungen gegenüber „schwarzen Messen“ und anderen Ausschweifungen der Satanisten hält sie den Spiegel der mittelalterlichen Hexenverbrennungen und des damit verbundenen „Aberglaubens“ an Besessenheiten entgegen und beruft sich dabei auf die Arbeiten von Sigmund Freud, der dies alles als absurde Phantasien des Unbewussten enttarnte. Das „Böse“ erkennt sie durchaus in politischer Hinsicht und führt Beispiele wie Adolf Hitler, die Golfkriege gegen Hussein oder die Konflikte im Balkan auf. Den Teufel kann sie darin nicht erkennen.

Nicht zuletzt aufgrund der reichhaltigen Bebilderung eine sehr schöne Arbeit, welche die Faszination des Lucifers in kulturspezifischer Hinsicht zusammenfasst. Im Grunde ist dies in etwa die Position wie sie in Deutschland auch der Orden „In Nomine Satanas“ (INS) vertritt. Leider gelingt ihr aber nicht der Sprung, den Teufel aus weiblicher Sicht ganz anders als patriarchalisch-traditionell neu zu definieren, wie es z. B. die deutsche Autorin Dagmar Scherf in ihrem Buch „Der Teufel und das Weib“ erstmalig vorlegte. In Italien war das Buch von Giovetti in der „Edizioni Mediterranee“ 1997 erschienen. Dieser Verlag ist einer der niveauvollsten okkulten Verlage Italiens, leider in Deutschland bisher nicht so sehr bekannt. Vor allem die umfassende Julius-Evola-Ausgaben dieser Edition warten noch auf ihre deutschen Übersetzungen. Es ist begrüßenswert, dass ein Großverlag wie |Hugendubel|, dem |Kailash| angehört, sich zu einer solche Übersetzung entschließen konnte und das macht Hoffnung, dass auch andere Titel dieses bedeutenden Verlages demnächst in deutscher Sprache zugänglich werden.

Hoffmann, Arne – Lexikon der Tabubrüche, Das

Der sehr erfolgreiche Journalist Arne Hoffmann, der schon in vorherigen Büchern mit besonders Grenzen aufbrechenden Themen wie Sadomasochismus oder gar dem Sexismus durch Frauen Aufsehen erregte, legte 2003 ein Lexikon der zeitgenössischen Tabus vor. Wenn man sich die scheinbare sexuelle Freizügigkeit in den Medien unserer Gesellschaft ansieht, denken viele sicherlich, wir lebten eigentlich schon heute in „Sodom und Gomorra“ – aber dabei ist auch unsere jetzige Welt alles andere als tabulos, wie uns „Das Lexikon der Tabubrüche“ unterrichtet.

In seiner Einführung erklärt Hoffmann, was ein Tabu ist und woher der Begriff überhaupt stammt, welche Tabus es bei uns gab und wie sie sich immer mehr verschoben haben. Danach beginnt das spannende Lexikon von A – Z, wobei auch immens viele Fernsehserien und Filme aufgelistet werden. Vieles ist – um ein solches Lexikon zu füllen – natürlich eigentlich eher unwesentlich und harmlos. Erstaunlich finde ich, wie viel Aufmerksamkeit auf jede Andeutung von Homosexualität und lesbische Liebe in überzogen wirkender akribischer Weise in Film und Fernsehserie gelegt wird.

Wirklich interessant dagegen sind die vielen Verschiebungen gesellschaftlicher Ansichten, z. B. bei Sex mit Minderjährigen und Pädophilie, die in den 70er Jahren durchaus ausgewogen diskutiert werden konnten, als eine breite Bevölkerungsschicht noch für die völlige Abschaffung der Altersbegrenzungen eintrat, wogegen heute deutlich die Mehrheit Sex mit Kindern völlig verachtet. Im Großen und Ganzen wird Sex in jeder Art ansonsten fast komplett toleriert, auch extreme Gewaltdarstellungen im Kino. Die Realität solcher Behörden wie FSK und Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften – eine bundesdeutsche Absurdität, welche sich durch völlige Unqualifiziertheit und Zufallsbewertungen äußerst blamabel zu künstlerischer Freiheit und Verstümmelungen hervortut – wird letztlich zu Recht in Frage gestellt und ihre endgültige Abschaffung gefordert.

Aufschlussreich sind die Tabus, die heutzutage zu politischen Themen stattfinden. Angefangen mit dem Irak-Krieg und dem Anti-Amerikanismus bis hin zu den immer stärker auftretenden Distanzierungen und Skandalen wegen angeblichen Antisemitismus‘, wo z. B. die Möllemann-Affaire mit dessen Freitod endete und sein Widersacher, der in Frauenhandel und Prostitution verstrickte Michel Friedman, relativ ungeschoren aus den Skandalen herausgelangen konnte. Einige solcher Fälle mehr werden ausgiebig dargestellt. Sogar eine politische Diskussion wie eine mögliche rot-rote SPD-PDS-Regierung zählte zu den absoluten Tabus unserer Gesellschaft.

Natürlich haben auch Satanismus (und sein medienbekanntestes Beispiel, die Rudas), Vampirismus, Zoophilie, Kannibalismus (der Kannibalenmord per Internet) und Nekrophilie größere Beiträge innerhalb des Lexikons. Kannibalismus gibt es eigentlich kaum und wird kulturgeschichtlich relativ neutral bewertet, ohne völlig verurteilt zu werden. Auf mich persönlich schockierender wirken interessanterweise die beiden Beiträge zu Nekrophilie und zu Zoophilie, weil beide Artikel sich lesen wie eine praktische Anleitung zum Nachvollziehen. Ausführlich wird erklärt, wie man Leichenwürmer vermeidet – Nekrophilie geschieht viel häufiger als man annehmen würde – und auch eine ganze Reihe sodomistischer Ratschläge wird sehr konkret gegeben, welche Tiere auf welche Art zu nutzen sind und worauf genau geachtet werden müsste.

Das sind dann auch tatsächliche Highlights, wobei es verwundert, dass diese zu beschreiben erlaubt ist und das Tabubuch deswegen nicht schon selber indiziert wird. Aber das kann ja noch kommen. Natürlich ist die Auswahl, die ich in dieser Besprechung jetzt traf, sehr subjektiv hervorgehoben. Selbstverständlich wird jeder Leser seine eigenen ihn besonders interessierenden Beiträge finden. Ich bin der Ansicht, dass dies ein lohnenswertes Buch ist, in das man immer wieder hineinschauen wird und aus dem man sich sicherlich auch dieses Buch oder jenen Film, die dort erwähnt werden, unbedingt mal besorgen wird.

Verlagsinformation zum Autor: |Tabubrüche sind ein Leitmotiv in den bisherigen Veröffentlichungen Arne Hoffmanns. Sie finden sich sowohl in SM-Erotika wie »FOX« (Marterpfahl-Verlag 2002) als auch in Sachbüchern wie dem »Lexikon des Sadomasochismus« sowie dem jetzt schon berühmt-berüchtigten »Sind Frauen bessere Menschen?«, in dem er sich mit häuslicher und sexueller Gewalt durch weibliche Täter auseinandersetzte und den Feminismus demontierte (Schwarzkopf & Schwarzkopf und Lexikon Imprint Verlag, 2001).
Hoffmann ist nicht-praktizierender Bisexueller und wandte sich im Herbst 2001 einer Schauspielerkarriere zu, als deren erster Höhepunkt er im Dorftheater seines Heimatortes die Titelrolle in »Warten auf Godot« verkörpern durfte. Wenige Monate später begann er seine Arbeit an einer Novelle, die zentrale Elemente von Shakespeares »Cardenio« sowie Büchners »Pietro Arentino« aufgreifen wird. Ostern 2002 ernannte sich Arne Hoffmann ex cathedra zum evangelischen Papst und gilt seitdem als unfehlbar. Versuchen Sie mal, ihn davon abzubringen … |

Speziell bei |wikipedia|: http://de.wikipedia.org/wiki/Sexualmoral

Giordano Bruno – Der Kerzenzieher

Giordano Bruno (1548 – 1600) war einer der bedeutendsten Philosophen der Renaissance und ist neben den akademischen Geisteswissenschaften in vielen Szenen ein Begriff, denn sowohl die Mystiker als auch die Okkultisten ebenso wie die Heiden – wobei es sonst selten der Fall ist, dass diese sich für solche Denker interessieren – verehren heute Bruno als Genie, das seiner Zeit weit voraus war. Bruno wurde als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt, da er nicht bereit war zu widerrufen. Er war zuerst Dominikaner, bevor er der Kirche den Rücken kehrte und zu einem pantheistischen kosmologischen Weltbild fand.

 

Das vorliegende Buch – in der |Philosophischen Bibliothek| erschienen – ist weitgehend unbekannt geblieben und für Philosophie auch sehr ungewöhnlich. Denn es handelt sich um ein Theaterstück, eine Komödie sogar. Bruno versuchte darin, sein Denken in einem neuen Gewand über die Bühne dem einfachen Volk vermitteln zu können. Natürlich ist es hinter der Komödie ein philosophisches Theaterstück, ein literarisches Bravourstück sondergleichen gar. Die Struktur des Stückes ergießt sich in eine kaleidoskopische Vielfalt und ist ständig äußerst zweideutig. Bereits der Titel „Der Kerzenzieher“ sorgt für konträre Assoziationen. Einerseits evoziert es den Lichtbringer Luzifer, andererseits ist es eine damals gängige Bezeichnung für einen passiven Homosexuellen (was in diesem Falle auch inhaltlich passt). Die Kerze fungiert dabei als Metapher für das männliche Geschlecht.

Aber es ist nicht nur eine Parodie, sondern ein Lehrstück in griechischen Mysterien, Philosophie, Alchemie und Religion überhaupt, wobei das Christentum in vielen Anspielungen natürlich kritisch persifliert wird. Ein wahrer Mikrokosmos pervertierter Ideale der Renaissance-Kultur wird hier in derber Sprache selbst dem heutigen Leser verständlich gemacht. Agrippa von Nettesheim hatte zu dieser Zeit gerade auch sein Kompendium magischer Traditionen, „De occulta philosophia“, veröffentlicht, auf die Bruno sehr viel Bezug nimmt.

Inhalt der Komödie ist die Kunst der Transmutation. Die Verwandlung aller Dinge und ihre Beeinflussung wird von den agierenden Personen mit unterschiedlichem Geschick betrieben: Bonifacio will durch die Kraft der Magie eine Transmutation im Objekte seiner Liebe, der Prostituierten, hervorrufen. Sie soll ihn wirklich lieben, damit er nicht bezahlen muss. Dazu lässt er eine Wachspuppe anfertigen, die in einer magischen Prozedur manipuliert wird. Bartolomeo bedient sich einer anderen Art von Alchemie, die aus Dreck Gold machen will. Dabei kommt es zu den häufig in dieser Arkandisziplin angewandten Trickbetrügereien. Es geht vor allem um sexuelle Energie, da Bruno diese auch als Zentrum der Schöpfungskraft begriff. Und da schreckt er vor Obszönitäten nicht zurück: „Warum hat die Möse keine Knöpfe? Weil der Schwanz keine Finger hat, um sie zu öffnen.“ Er versuchte sich mit dieser Komödie als Prophet einer neuen Philosophie und Religion zu inszenieren.

Dem Meiner-Verlag ein großes Lob, einen so ungewöhnlichen und lustvoll zu lesenden Text wieder zugänglich gemacht zu haben.

Gebundene Ausgabe: 208 Seiten

Bandini, Ditte / Bandini, Giovanni – Drachenbuch, Das

Drachenerzählungen finden wir in allen Kulturen der Erde, und sie geben nach wie vor den Märchenforschern und Mythenkundlern Rätsel auf, die nicht eindeutig geklärt sind. In der christlichen Kultur vor allem mit dem Teufel gleichgesetzt, sieht es mit dem Drachen in anderen Kulturen – vor allem in China – ganz anders aus. C. G. Jung sah den Drachen als das Unbewusste und intuitiv Weibliche. Diesem Gesichtspunkt schließen sich viele an, indem sie dem Drachen das Dunkle zurechnen und die zahlreichen Drachentöter, wie den Heiligen Georg oder Siegfried, den Sonnen- und Lichtkräften zuordnen. Seit |Tiamat|, der ältesten Überlieferung einer drachenartigen Urgöttin Babylons, zieht sich die Geschichte der Drachen in verschiedensten Ausprägungen durch die Zeiten bis heute zu uns. Im deutsch-germanischen Sprachschatz ist der Begriff |Drache| dabei gar nicht mal so alt. Wir sprachen vom |Lindwurm|, ein Name, der sich vom althochdeutschen |lint| (= weich, zart, biegsam) und |wurm| (=Wurm, Schlange) ableitet.

Die beiden Autoren des „Drachenbuches“ bieten einen Einblick in die wundersame Welt der Drachen, der sich vor allem an eine jüngere Leserschaft richtet. Für Märchenfreunde, Hobbyritter und Fantasyfans ist es eine wahre Fundgrube.

Natürlich kommt der bekannteste Drachenkämpfer Siegfried auch nicht zu kurz und ist Gegenstand eines eigenen Kapitels. Für Leser in Worms ist dies deswegen interessant, da die verschiedenen Versionen der Sage detailliert dargestellt sind. Hier heißt bekannterweise der Drache |Fafnir|, der den Schatz der Nibelungen hütet. Neben dem Nibelungenlied gibt es mehrere Lieder der älteren |Edda|, den Völsungen, die Thidrekssage, das Lied des Hünen Seyfried, das zwar erst Jahrhunderte später aufgezeichnet wurde, aber in manchen Teilen genauso alt wie die altnordischen Dichtungen ist, sowie das umfangreiche Volksbuch von dem gehörnten Siegfried. Ausgerechnet im Nibelungenlied wird – anders als etwa in Wagners |Ring des Nibelungen| – Siegfrieds Drachenkampf nur am Rande erwähnt.

Neben den Mythen aus allen Kulturbereichen unserer Welt kommen auch die Randgebiete zur Sprache, wie zum Beispiel die Drachenadern, hierzulande eher als „geomantische Leylinien“ bezeichnet, die Dinosaurierforschung, der alchemistische Drache als Symbol des Zustands der unvollkommenen Materie, Drachen in Wappen, Kunst und Literatur. Lohnenswert ist die Aktualität, welche die Autoren in ihrem durchgehend und reichhaltig illustrierten Werk berücksichtigten, wodurch die modernsten Varianten in der Kinderliteratur von Michael Endes „Jim Knopf“, in dessen Gefolge Astrid Lindgrens „Die Brüder Löwenherz“ in den siebziger Jahren eine Flut von Kinderbüchern mit Drachen auslöste, bis hin zu den Drachen in der Fantasy ebenso Beachtung finden. Auch durch Filme wie „Dragonheart“ und die zahlreichen Fantasy-Rollenspiele bewirken Drachen noch heutzutage unverändert eine magische Faszination. Es gibt sie noch und sie sind erneut aus ihrem Teufelsloch, in dem sie so lange sitzen mussten, herausgekommen.