Alle Beiträge von Michael Matzer

Lebt in der Nähe von Stuttgart. Journalist und Buchautor.

Hodgson, William Hope – Stimme in der Nacht (Gruselkabinett 69) (Hörspiel)

_Adam und Eva im Schiff des Grauens _

Auf hoher See im Nordpazifik, 1850: Es ist eine dunkle, sternlose Nacht. Ein Segelschiff liegt wegen der anhaltenden Flaute vor Anker. Plötzlich zieht aus heiterem Himmel Dunst auf und hüllt das Schiff immer mehr ein. Im Sichtschutz von Nacht und Nebel nähert sich daraufhin vorsichtig ein Ruderboot, dessen Insasse sich mit verzweifelter Stimme an die Besatzung des Seglers wendet … (Verlagsinfo)

Der Verlag empfiehlt das Hörspiel ab 14. Jahren.

_Der Autor_

Der Brite William Hope Hodgson (1877-1918) fuhr selbst 1891 bis 1899 in der Handelsmarine zur See, bevor er 1904 mit „The Goddess of Death“ seine erste, recht schwache Mystery-Erzählung veröffentlichte. Schon bald zog er Nutzen aus seinen Erlebnissen auf See. Diese Erzählungen schaffen eine Atmosphäre aus der Einsamkeit eines Schiffes auf hoher See und der Fremdartigkeit dessen, was unter den Wellen liegen mag.

Seine wirkungsvollsten Erzählungen drehen sich um die Verwandlung von Menschen und Dingen in andere Wesen, so etwa unter dem Einfluss eines Pilzes in „The Voice in the Night“ (1907) sowie in „The Derelict“ (1912) – die vorliegende Erzählung – in der sich ein Schiffswrack in ein lebendiges Wesen verwandelt.

Neben vielen weiteren Erzählungen schuf Hodgson zwei große Romane: „The House on the Borderland“ (1908), das von H. G. Wells‘ Roman „Die Zeitmaschine“ (1895) beeinflusst wurde, sowie „The Night Land: A Love Tale“ (1912), das eine Queste auf einer Sterbenden Erde schildert.

Unter seinen zahlreichen kommerziellen Storys befinden sich zwei Serien für Magazine: „Carnacki the Ghost-Finder“ (gesammelt 1913) sollte an „John Silence“ (1908) von Algernon Blackwood anknüpfen, und die Serie um Captain Gault weist überhaupt keine übernatürlichen Elemente auf.

„Hodgsons Werk bildet überbrückt die Kluft zwischen den übernatürlichen Schrecken des 19. Jahrhunderts und den wissenschaftlichen Wundern des Zwanzigsten, wobei es demonstriert, dass beide gleichermaßen Schrecknisse der Bestürzung und Verwirrung hervorzubringen vermögen“, schreibt die „Encyclopedia of Fantasy“ (meine Übersetzung).

_Die Sprecher/Die Inszenierung_

Lutz Mackensy: John
Reinhilt Schneider: Vivian
Benjamin Kiesewetter: George
Peter Reinhardt: Will

Marc Gruppe schrieb wie stets das Buch und gemeinsam mit Stephan Bosenius setzte er es um. Die Aufnahme fand in den Planet Earth Studios statt und wurde bei Kazuya abgemischt. Die Illustration stammt von Ertugrul Edirne.

_Handlung_

Die Bark von George und Will liegt schon seit einer Woche wegen einer Flaute im Nordpazifik fest. Das wäre nicht weiter besorgniserregend, wenn nicht regelmäßig kalter Nebel das Schiff einhüllen würde und die Besatzung mit Schaudern erfüllen würde. Will flachst, bald werde ihnen der Fliegende Holländer seine Aufwartung machen und sie zu seinen Geistern mitnehmen.

George erwacht in der Nacht, als er eine Stimme im Nebel hört. Es ist ein Mann, der „Schiff ahoi!“ ruft und dann um Hilfe bittet. Er nennt sich John und bitte lediglich um ein wenig Proviant für sich und seine sterbende Frau Vivian, die auf einer Insel zurückgeblieben sei. Aber warum er nicht mit seinem Boot anlege, fragt ihn George, der inzwischen Will geholt hat. John, der sich scheut, sein Gesicht ihrem Lampenschein preiszugeben, gesteht, dass er ihnen nicht den Fluch übertragen möchte, von dem er befallen sei.

Was kann er bloß meinen, wundern sich George und Will, bevor sie ihm von ihren Vorräten abgeben. Aber John gibt auch nicht die Seile zurück, denn auch diese könnten befallen werden. Und so rudert er wieder mit ihren Seilen von dannen. Hat er sie zum Narren gehalten, fragen sie sich.

|Die Insel des Grauens|

Doch John kehrt zurück, voll Dank für die Gaben. Und diesmal ist er bereit, von seinem entsetzlichen Schicksal zu erzählen. Denn er und Vivian seien die letzten Überlebenden der verschollenen „Albatross“. George und Will erschrecken. Die „Albatross“ verließ vor einem halben Jahr das britische Newcastle und ward nie wieder gesehen. John bestätigt ihren Untergang, nachdem ein schrecklicher Sturm ihre Masten genickt hatte. Doch die Besatzung ging ohne John und Vivian in die Boote, bevor das langsam sinkende Schiff sie in die Tiefe sog. Das Ehepaar zimmerte eilends ein Floß und entkam dem Todesstrudel mit knapper Not.

Doch statt eine Insel zu finden, trieb eine starke Strömung das Floß der zuversichtlichen Schiffbrüchigen an Insel vorüber, bis es endlich in einer großen Lagune anlangte. Dort entdecken die Schiffbrüchigen das menschenleere Wrack eines Schoners. Was wie die Rettung vor der Unbill des Meeres erscheint, erweist sich allerdings nach wenigen Tagen des Putzens und Einrichtens als eine unheimliche Falle. In allen Ecken und Enden finden John und Vivian diesen stinkenden Schimmel vor, der Klumpen bildet und sogar starkem Karbol widersteht. Als der Schimmel auch ihre Körper befällt, verlassen sie diese trügerische Zuflucht.

Von einem vermeintlich schimmelfreien Fleck am Strand der Insel bricht John allein auf, um im Dschungel zu jagen. Denn die hungrige Vivian hat bereits von dem Schimmel gegessen – und er mundete ihr nicht schlecht, gestand sie schaudernd. Doch wo er im Dschungel auch hinblickt, findet er nur Gewächse und Auswüchse des Schimmelpilzes vor.

Da hört er ein unheimliches Fauchen in der Nähe. Eine unmenschliche Gestalt erhebt sich, um sich auf ihn zu stürzen. Kaum kracht sie auf ihn, als sie auch auf dem überraschten Jäger zusammenbricht und zerfällt. Unwillkürlich leckt sich John die Lippen: Die Substanz des Kadavers ist süß und schmeckt einem Hungernden wie ihm wie reinstes Ambrosia. Er beißt sich wie ein Gierhals durch die Substanz, bis etwas in seinen Zähnen metallisch knirscht. Er zieht es hervor. Es ist eine Taschenuhr. Sie tickt noch …

_Mein Eindruck_

Wie schon in „Die Herrenlose“ (Gruselkabinett Nr. 53) hat das Grauen eine amorphe Gestalt, die sich ständig wandelt und der sich kein Widerstand entgegensetzen lässt. Ganz im Gegenteil: Die undefinierbare, schimmelartige Substanz nimmt alles ein, was in ihrer Reichweite liegt – und verleibt es sich ein. Dabei findet eine Umwandlung statt, die einen Menschen zu einem nie gekannten Wesen transformiert, einem lebenden Toten, wie John es nennt. Es handelt sich also keineswegs um künstlich von Voodoo-Schamenen geschaffene Zombies, sondern um Menschen, die den bekannten Bereich des Menschlichen verlassen haben.

|Transhuman|

Der als Metapher formulierte Prozess der Transhumanisierung beginnt unfreiwillig, doch wer dem natürlichen Drang des Hungers nachgibt, begeht einen Sündenfall im biblischen Sinne. Entsetzen erfüllt John, als er seine Frau – natürlich, eine Evastochter als Sünderin! – von der verbotenen Frucht essen sieht. Doch es soll nicht lange dauern, bis er ein weitaus größeres Verbrechen vor Gott begeht: Kannibalismus.

Gott wird ständig von John und Vivian beschworen. Sie beten zu ihm, wenn der Sturm wütet und selbst noch, als die „Albatross“ in den Wogen versinkt. Mit Gottvertrauen stechen sie in ihrer Nussschale in See, und gottergeben lassen sie sich von der tückischen Strömung an fremde Gestade treiben. Was sie jedoch finden, ist ein unheimliches Wrack, das sich als harte Prüfung erweist.

Alles was sie unternehmen, kann den teuflischen Schimmel nicht zurückdrängen. Dies kann offenbar kein Gottesgeschenk sein, denken sie und ergreifen die Flucht. Dabei könnte der Schimmel doch eine Chance zur Veränderung sein. Leider müssten sie dabei ihren gottgegebenen eigenen Körper aufgeben, wie sie ihn bisher gekannt haben.

|Kommunion|

Es ist im Gebiet der Gesetzlosigkeit, im Reich des puren Chaos, im Dschungel, wo Hohn die Zukunft seines Szies entdeckt: Die Transformation zu lebenden Toten, die aus Symbionten des Schimmels bestehen, erscheint ihm als so entsetzlich, dass er Reißaus nimmt. Wieder verkennt er die letzte Chance, die ihm und Vivian bleibt: Sie könnten auf der Insel überleben, wenn sie nur zunächst die Symbionten äßen und sich dadurch dem Schimmel ergäben. Sie verweigern die Kommunion mit dem Andersartigen. Würde ihnen allerdings ein Priester sagen, dies wäre das Manna, das sie essen müssten, um gottgefällig zu sein, würden sie es tun.

|Das Andere |

Wie schon im 17. Jahrhundert in Daniel Defoes gut erfundenem Bestseller „Robinson Crusoe“ bildet das Fremdartige, verkörpert durch den Eingeborenen „Freitag“ und dessen kannibalische Vettern, zwei Seiten einer Medaille: Es jagt erst Furcht und Schrecken ein, dann erweist es sich als nützlich und lebenserhaltend, falls man sich ihm ergibt und mit ihm anfreundet. Letzteres verweigern John und Vivian – sie werden scheitern.

Die Begegnung mit dem Anderen konnte in einem Empire der Briten nicht ausbleiben, das sich ständig in weitere Lebensbereiche fremder Kulturen ausbreitete. Als die Erzählung erschien, befand sich das Kaiserreich der Viktorianer bereits in seinem ersten Zerfallsstadium: Es rumorte von innen heraus, denn erste Zweifel an der eigenen Identität wurden immer lauter.

Nachdem Charles Dickens vor dem inhumanen Utilitarismus gewarnt hatte, zerschmetterte Darwins Evolutionslehre die „Krone der Schöpfung“, Nietzsche und Feuerbach stießen Gott vom Thron und neue Planetenentdeckungen beförderten die Erde ins Irgendwo eines sinnentleerten Universums. Hier treiben John und Vivian nun in ihrer Nussschale, erfüllt von Vertrauen in einen Gott, der sich längst vom Acker gemacht hat.

Doch was soll aus einem Menschen ohne Gott werden, fragt der Autor, indem er das Paar wie weiland Adam und Eva in ein modernes Gomorrha schickt. Das Paar muss sich entscheiden, ob es noch Mensch bleiben und verhungern oder etwas Anderes werden will, das kein anderes menschliches Wesen mehr als solches erkennen kann. Deshalb die Lichtscheu des schiffbrüchigen John.

|Ultimatives Grauen|

Diese Furcht ist nach außen gerichtet und der letzte Überrest von verantwortlichem, bewusstem Handeln. Doch wenn John den Blick nach innen richtet, wie etwa nach seinem Akt des Kannibalismus, dann erblickt er doch eine noch viel stärkere Quelle des Horrors. Denn wenn er sich dem Anderen ergibt, besteht die reale Möglichkeit, sich selbst zu verlieren. Er könnte sich selbst nicht mehr als Mensch wiedererkennen, weil ihm dafür die Definition abhanden käme. Und was würde aus seiner Liebe zu Vivian werden, wenn auch sie in das Stadium des Transhumanen fallen würde, fragt er sich bang. Denn die Möglichkeit, dass er auch sie als Nahrungsquelle betrachten könnte, ist durchaus real.

_Die Sprecher/Die Inszenierung_

Die weniger Sprecherstimmen entsprechen mehr oder wenigen ihren festgelegten Stereotypen. George ist der junge Seemann, der noch viel zu lernen hat. Will ist sein Mentor, der ihm zeigt, wo’s langgeht. Sie zeigen die üblichen Emotionen, wie Misstrauen, Entsetzen, Schrecken und Furcht, ohne aber Paranoia zu vermitteln.

John und Vivian sind die Hauptfiguren, die die Binnenhandlung dominieren. Wie es sich um 1850 gehört, gibt John den Ton an, denn Vivian ist ihm als treu sorgendes Eheweib untertan. Er rührt kaum einen Finger, während sie das Wrack des Schoners blankputzt. Allenfalls holt er noch Karbol, um den allgegenwärtigen Schimmel zu bekämpfen. Sie fechten gegen Windmühlen, wie sich herausstellt.

Es ist wirklich bewundernswert, mit welcher Ausdrucksstärke und -vielfalt Lutz Mackensy: als John und Reinhilt Schneider als Vivian ihre jeweiligen Rollen zu gestalten wissen. Hin und her geworfen zwischen Schrecken und Hoffnung, Gottergebenheit, Zuversicht und Desillusion lachen und schluchzen, wettern und klagen sie, dass man glauben könnte, hier fände eine separate Theateraufführung statt. Würde die Hintergrundmusik die nicht in den Rest der Rahmenhandlung einbinden, könnte man von einem Hörspiel im Hörspiel sprechen. Das ist eine eindrucksvolle Leistung.

|Geräusche|

Die Geräusche sind genau die gleichen, wie man sie in einem realistischen Spielfilm erwarten würde, und die Geräuschkulisse wird in manchen Szenen dicht und realistisch aufgebaut, meist aber reichen Andeutungen aus. Dem Seeabenteuer angemessen sind natürlich Geräusche des Meeres: das Rauschen von Wellen und Brandung, das Platschen von Ruderschlägen. Bemerkenswert ist jedoch die völlige Abwesenheit von Vogelschreien. Diese Leblosigkeit verleiht der Szenerie von vornherein etwas Unnatürliches.

Die Klangcharakteristik schwankt je nach „location“. Das Erwachen in der Lagune ist von einem deutlichen Hall begleitet. Doch wenn sich das Paar unter Deck des Wracks begibbt, fällt dieses weg und wird durch einen Dämpfungseffekt ersetzt, der für enge Räumlichkeiten aus Holz charakteristisch ist. Hier hat die Tonregie also mitgedacht und jeder Szene ihre eigentümliche Klangcharakteristik verliehen.

|Musik|

Die Musik entspricht der eines Scores für ein klassisches Horrormovie. Das erste Drittel kommt fast ohne Musik aus, nur das Intro deutet an, dass hier bald nicht alles mit rechten Dingen zugehen wird. Ganz anders hingegen die Binnenhandlung: Der Untergang der „Albatross“ wird von dramatischer Musik angekündigt, die den Sturm begleitet. Die nachfolgende Stille keineswegs tonlos, vielmehr ist dem Dialog ein sehr tiefer Bass unterlegt, der unterschwellig eine Gefahr anzeigt.

Hinsichtlich einer unheimlichen Stimmung ist die Ankunft an dem Wrack des Schoners kaum zu übertreffen. Künstliche Sounds ergänzen nun die Musik, um eine fremdartige Kulisse zu schaffen. Dass die Stimmen einen Hall bekommen, erhöht die Wirkung des Andersartigen. Vielfach sind auch Chorstimmen zu vernehmen, sogar Vokalisen einer Sängerin. Diese unheimliche Szenerie findet ihre direkte Entsprechung im Dschungel: beide Male treffen Menschen auf das Andersartige.

Nachdem sich George und Will unter einem zufällig vorüberdriftenden Sonnenstrahl die Augen gerieben haben, fragen sie sich beklommen: „Ist das noch ein Mensch?“, der da davon rudert. Eine heitere, entspannte Musik beantwortet ihre Frage indirekt. Diese Entspanntheit konnte ich nicht nachvollziehen. Sie wirkt aufgesetzt, selbst wenn sie den Hörer beruhigt zurücklässt. So als solle eine Zielgruppe sediert werden, während sich die andere noch ordentlich gruseln darf.

Musik, Geräusche und Stimmen wurde so fein aufeinander abgestimmt, dass sie zu einer Einheit verschmelzen. Dabei stehen die Dialoge natürlich immer im Vordergrund, damit der Hörer jede Silbe genau hören kann. An keiner Stelle wird der Dialog irgendwie verdeckt.

|Das Booklet|

… enthält im Innenteil lediglich Werbung für das Programm von Titania Medien. Auf der letzten Seite finden sich die Informationen, die ich oben aufgeführt habe, also über die Sprecher und die Macher.

Im Booklet finden sich Verweise auf die kommenden Hörspiele aufgeführt:
Nr. 68: W. Irving: Die Legende von Sleepy Hollow (10/12)
Nr. 69: W.H. Hodgson: Stimme in der Nacht (10/12)
Nr. 70: Robert E. Howard: Schwarze Krallen (11/12)
Nr. 71: M.R. James: Der Eschenbaum (11/12)
Nr. 72: R.L. Stevenson: Markheim (03/13)
Nr. 73: A. Conan Doyle: Das Grauen im Blue-John-Stollen (03/13)
Nr. 74: E. Nesbit: Die Macht der Dunkelheit (04/13)
Nr. 75: Mary Fortune: Weiß (04/13)
Nr. 76: Bram Stoker: Das Teufelsloch (05/13)
Nr. 77: R. E. Howard: Das Feuer von Asshurbanipal (05/13)

_Unterm Strich_

Wie schon in „Die Herrenlose“ führt der einstige Seemann Hodgson den Hörer an den Rand der Möglichkeiten des Menschseins. Diesmal sind Adam und Eva quasi auf einem anderen Planeten gestrandet und müssen sich entscheiden, ob sie noch Menschen bleiben und dabei sterben – oder ob sie ihr Menschsein aufgeben und als etwas anderes überleben wollen. John stattet dem Rest der Menschheit einen letzten Besuch ab, quasi als Warnung vor den erschreckenden Möglichkeiten, die dort draußen auf den Anfang des 20. Jahrhundert heimatlos gewordenen Menschen lauern. (Die Story erschien anno 1907.)

|Das Hörspiel|

Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und bekannte Stimmen von Synchronsprechern und Theaterschauspielern einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen. Die Atmosphäre, die von Sounds und Musik erzeugt wird, ist unheimlich und stellenweise sogar actionreich.

Diesmal entscheiden über den Erfolg des Hörspiels jedoch die Sprecher, die die zwei zentralen Rollen zum Leben erwecken müssen: John und Vivian verkörpern quasi Adam und Eva, die aus dem Paradies des Gottesglaubens vertrieben werden. Lutz Mackensy und Reinhilt Schneider gestalten diese beiden Rollen so eindrucksvoll, dass man den Rest der Rahmenhandlung darüber komplett vergisst. Es wirkt wie ein Rücksturz, als die Rückblende aufhört und John wieder mit George und Will spricht.

Auch jungen Menschen, die sich einfach nur für gruselige Audiokost interessieren, die gut gemacht ist, lässt sich das Hörspiel empfehlen. Es ist leicht verständlich, wirkungsvoll inszeniert, und die Stimmen der Hollywoodstars vermitteln das richtige Kino-Feeling.

|1 Audio-CD, ca. 66 Minuten Spieldauer
ISBN-13: 9783785747186|

Home – Atmosphärische Hörspiele


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_Das |Gruselkabinett| bei |Buchwurm.info|:_

[„Carmilla, der Vampir“ 993 (Gruselkabinett 1)
[„Das Amulett der Mumie“ 1148 (Gruselkabinett 2)
[„Die Familie des Vampirs“ 1026 (Gruselkabinett 3)
[„Das Phantom der Oper“ 1798 (Gruselkabinett 4)
[„Die Unschuldsengel“ 1383 (Gruselkabinett 5)
[„Das verfluchte Haus“ 1810 (Gruselkabinett 6)
[„Die Totenbraut“ 1854 (Gruselkabinett 7)
[„Spuk in Hill House“ 1866 (Gruselkabinett 8 & 9)
[„Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ 2349 (Gruselkabinett 10)
[„Untergang des Hauses Usher“ 2347 (Gruselkabinett 11)
[„Frankenstein. Teil 1 von 2“ 2960 (Gruselkabinett 12)
[„Frankenstein. Teil 2 von 2“ 2965 (Gruselkabinett 13)
[„Frankenstein. Teil 1 und 2“ 3132 (Gruselkabinett 12 & 13)
[„Die Blutbaronin“ 3032 (Gruselkabinett 14)
[„Der Freischütz“ 3038 (Gruselkabinett 15)
[„Dracula“ 3489 (Gruselkabinett 16-19)
[„Der Werwolf“ 4316 (Gruselkabinett 20)
[„Der Hexenfluch“ 4332 (Gruselkabinett 21)
[„Der fliegende Holländer“ 4358 (Gruselkabinett 22)
[„Die Bilder der Ahnen“ 4366 (Gruselkabinett 23)
[„Der Fall Charles Dexter Ward“ 4851 (Gruselkabinett 24/25)
[„Die liebende Tote“ 5021 (Gruselkabinett 26)
[„Der Leichendieb“ 5166 (Gruselkabinett 27)
[„Der Glöckner von Notre-Dame“ 5399 (Gruselkabinett 28/29)
[„Der Vampir“ 5426 (Gruselkabinett 30)
[„Die Gespenster-Rikscha“ 5505 (Gruselkabinett 31)
[„Jagd der Vampire. Teil 1 von 2“ 5730 (Gruselkabinett 32)
[„Jagd der Vampire. Teil 2 von 2“ 5752 (Gruselkabinett 33)
[„Jagd der Vampire“ 5828 (Gruselkabinett 32+33)
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[„Berge des Wahnsinns“ (Teil 1)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6736 (Gruselkabinett 44)
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[„Die Maske des roten Todes“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6735 (Gruselkabinett 46)
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[„Die Squaw“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6774 (Gruselkabinett 48)
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[„Abenteuer eines Geistersehers“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7119 (Teil 1) (Gruselkabinett 54)
[„Abenteuer eines Geistersehers“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7120 (Teil 2) (Gruselkabinett 55)
[„Aylmer Vance – Neue Abenteuer eines Geistersehers“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7643 (Teil 1) (Gruselkabinett 56)
[„Aylmer Vance – Neue Abenteuer eines Geistersehers“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7644 (Teil 2) (Gruselkabinett 57)
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[„Der Ring des Thot“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7802 (Gruselkabinett 61)
[„Rappaccinis Tochter“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7832 (Gruselkabinett 62)
[„Besessen“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7833 (Gruselkabinett 62)
[„Der Schatten über Insmouth – Teil 1“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=8136 (Gruselkabinett 66)
[„Der Schatten über Insmouth – Teil 2“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=8137 (Gruselkabinett 67)

Mark Brandis: Lautlose Bombe – Teil 2 (Folge 22)

_Fulminantes Finale in der Umlaufbahn_

2131: Cmdr. Brandis‘ Halbbruder Jonathan West steht unter Verdacht, mit Verbrechern zu kooperieren, die vor dem Einsatz von biologischen Kampfstoffen nicht zurückschrecken. Trotz deutlicher Indizien glaubt Mark Brandis an dessen Unschuld und versucht, den untergetauchten Mediziner zu finden, bevor der Geheimdienst ihn eliminieren kann …

Teil 2: 2131: Mark Brandis folgt den Spuren, die sein Halbbruder Nat quer über den Planeten hinterlassen hat, zuerst auf die Kerguelen und dann nach Nordafrika. Der Geheimdienst der Union ist Brandis mal einen Schritt voraus, mal versucht er, ihn einzuholen. Doch was wirklich mit den biologischen Kampfstoffen geschehen soll, ahnt noch niemand …

(Verlagsinfo)

Der Verlag empfiehlt das Hörspiel ab 12 Jahren.

_Der Autor_

Nikolai von Michalewsky (1931-2000) war bereits Kaffeepflanzer, Industriepolizist, Taucher und Journalist gewesen, als sein erster Roman 1958 veröffentlicht wurde. Am bekanntesten wurde er ab 1970 mit den Mark-Brandis-Büchern, der bis heute (nach Perry Rhodan) mit 31 Bänden erfolgreichsten deutschsprachigen SF-Reihe.

Seine konsequente Vorgehensweise, Probleme der Gegenwart im Kontext der Zukunft zu behandeln, trug Michalewskys Serie eine treue Leserschaft und hohe Auflagenzahlen ein. Seine besondere Zuneigung galt besonders dem Hörspiel. Er gehörte zu den meistbeschäftigten Kriminalhörspiel- und Schulfunkautoren Deutschlands. (Verlagsinfo)

_Die Sprecher/Die Inszenierung_

|Sprecher:|

Ruth O’Hara: Dorothea Anna Hagena
Cmdr. Mark Brandis: Michael Lott
Dr. Gomez: Oliver Seidler
Dr. Philipp: Jochim C. Redeker
Jonathan „Nat“ West: Jacob Weigert
José Verasteguí: Daniel Montoya
John Harris: Gerhart Hinze
Cpt. Grigori »Grischa« Romen: David Nathan
Milosch Stojka: Andreas Müller
Bordsystem CORA: Marie Christine Mühlenhof
Sgt. Schulmann: Henning Schäfer
Lt. Pablo Torrente: Martin Keßler
sowie Marco Gehrmann, Stefan Kretschmer u. a.

Nach Motiven des Romans „Lautlose Bombe“ von Nikolai von Michalewsky
Die Macher und Regisseure sind Interplanar.de:
Joachim-C. Redeker: Sounddesign und Musik
Redeker und Balthasar von Weymarn: Produktion, Regie und Schnitt

Jochim-C. Redeker, geboren 1970, lebt seit 1992 in Hannover. Gelernt hat er das Produzieren in der SAE Frankfurt, seither arbeitet er als Tonmeister für Antenne Niedersachsen. An zwei Virtual Reality Projekten hat er als Sounddesigner gearbeitet. Er gibt Audio- und Hörspielseminare und arbeitet als Werbetexter und Werbesprecher für zahlreiche Unternehmen sowie für Kino- und Radiowerbung. Musikalisch betreut er neben seinen eigenen Projekten auch Jingle- und Imageproduktionen. Bereits 1988 brachte ihm eine frühe Hörspielarbeit mit Balthasar den Sonderpreis der Jury für akustische Qualität beim Maxell Momentaufnahmen Wettbewerb ein.

Balthasar von Weymarn, geboren 1968, lebt seit 2006 im Taunus bei Frankfurt. Ausgebildeter Dramaturg und Filmproduzent (Filmstudium Hamburg); arbeitet auch als Skriptdoktor, -autor und Ghostwriter für Unternehmen wie Bavaria Film, Odeon Pictures, Tandem Communications, Storyline Entertainment u.a.
Das Hörspielmanuskript schrieb Balthasar v. Weymarn nach dem gleichnamigen Roman von Nikolai von Michalewsky. Aufnahme: Tommi Schneefuß, Sven-Michael Bluhm, Thomas Weichler
Produktion, Regie und Schnitt: Jochim-C. Redeker & Balthasar von Weymarn
Artwork: Alexander Preuss
Layout/ Satz: Jürgen Straub
Product Management: dp

_Handlung von Teil 2_

Nach dem Tod von Marie-Christine, Wests Freundin, in der Antarktis führt die Jagd Mark Brandis, Grischa Roman und die angeforderte Äreztin Dr. Levy auf die Kerguelen im Südatlantik. West, Marks Halbbruder, war eindeutig hier: Alle australischen Forscher hier sind fort, die Gegend virenverseucht. Einem Gepäckabschnitt entnimmt Dr. Levy, dass Gepäckstücke zum Hafen Massaua am Roten Meer verschifft wurden.

Massaua liegt seit der Kilimanjaro-Katastrophe im strahlenverseuchten Afrika- Außerdem liefern sich die Tuareg mit den arabischen Hodeidad einen Territorialkrieg. Das Kellerversteck, das Grischa Romen mit einem genialen Trick dem Trio verschafft, erweist sich als nutzlos: Granaten treffen das Haus, und um ein Haar geht Brandis drauf.

Der Zigeuner, der das Versteck verschafft hat, verfügt über Geheimdienstkontakte. So kommt es zu einem Wiedersehen mit José Verastegui aus Caracas, der für die VEGA arbeitet. Verastegui hat Nat West ausfindig gemacht: Der Arzt sucht einen Raumpiloten, um in eine Erdumlaufbahn zu fliegen. José bietet sich als Pilot an, sofern ihm Brandis bei dem Treffen mit West souffliert. Der Deal geht um ein Haar schief, weil Brandis einen dringenden medizinischen Anruf bekommt, und West wird misstrauisch. Im letzten Augenblick gelingt es Brandis, José, West und dem Piloten der HERMES, Torrente, in den Orbit zu folgen.

Dort findet die Jagd auf seinen Bruder ihr dramatisches Ende. Brandis muss – wieder einmal – über die Zukunft der Menschheit entscheiden …

_Mein Eindruck_

Der Auftakt dieses 2. Teils, der natürlich die Kenntnis des ersten Teils voraussetzt, beginnt gemächlich. Die Spurensuche fördert jedoch schnell Unheilvolles zutage: Der Kontinent Afrika, auf dem Massaua am Roten Meer liegt, ist seit 2130 eine verheerte, strahlenverseuchte Region. Der Süden ist von den VOR-Republiken besetzt, der Norden seit den Evakuierungsaktionen in Mitleidenschaft genommen, der Osten radioaktiv. Nun kommen auch noch Gebietskämpfe hinzu. Mark Brandis hat dazu einige bittere Anmerkungen zu machen.

Nach einem lustigen Intermezzo unter Zigeunern wähnen sich die drei Sucher in Sicherheit. Weit gefehlt – unvermittelt reißen den Hörer wummernde Mörsereinschläge aus dem Sessel! Das Haus, in dem das Versteck liegt, stürzt krachend zusammen. Man muss das Schlimmste befürchten. Doch obwohl kein Wort über das Schicksal von Romen und Dr. Levy verloren wird, geht die Story weiter. Diesmal gönnt die Regie ihrem Helden keine Verschnaufpause, denn das gejagte Wild ist in Greifweite: Nat West, der die Welt mit Viren vernichten will.

Ist es wirklich so schlimm? Hat West dies wirklich vor? Dass José, der Geheimagent, von ihm erschossen wird, verheißt nichts Gutes, und als Brandis die Brücke erreicht, hat er Grund zur Annahme, er komme zu spät. Bloß gut, dass die gute alte CORA, der Bordcomputer der HERMES, noch auf das Wort ihres ehemaligen Herrn hört!

|Botschaft|

Der Ernst der Botschaft ist indes nicht anzuzweifeln. Viren könnte durchaus große Landstriche entvölkern, wie ja schon SARS-Epidemie und Schweine- bzw. Vogelgrippe angedeutet haben. Die Ironie von Nat Wests Geschichte: Er hatte zunächst ein Universalheilmittel namens Angelus hergestellt, das er aber nicht verkaufen darf. Begründung seines Auftraggebers: Die eh schon gravierende Überbevölkerung soll nicht auch noch gefördert werden.

Das ist schon maximaler Zynismus. Denkt man. Aber dass „Angelus“ raubkopiert und woanders angeboten wird, um Profit zu machen, setzt der Perfidie die Krone auf. Erst vor diesem Hintergrund ist Wests Verhalten zu verstehen: Wenn Nacola, das böse Virus, die Menschen vernichtet, wird sein Angelus, das gute Virus, automatisch gebraucht werden.

Brandis muss nun entscheiden: für oder gegen die Menschheit, gleichzeitig aber auch für oder gegen das Leben seiner eigenen Frau – nur „Angelus“ kann sie retten. Dass der Held persönlich betroffen ist, hat entscheidende Bedeutung für die Glaubwürdigkeit seiner Entscheidung. Er ist bereit, sich selbst und seine Frau für die Menschheit zu opfern. Doch das ist nicht das letzte Wort …

_Die Sprecher/Die Inszenierung_

|Die Sprecher|

Die Sprecher erfüllen ihre Aufgabe zu meiner Zufriedenheit. Es handelt sich um die immer wieder in der Serie auftauchenden Hauptfiguren wie der Titelheld, seine Frau, sein humorvoller Freund Grischa Romen. Nat West wird von Jacob Weigert recht sympathisch gesprochen. Deshalb reagiert man ebenso konsterniert wie Brandis, als West sein irres Ultimatum stellt.

In diesem zweiten Teil fehlen die verzerrten Funkstimmen weitgehend und werden durch „natürliche“ Sprechäußerungen abgelöst. Deshalb fallen plötzlich die Akzente der Sprecher auf. Der Venezolaner José Verastegui klingt wie ein Spanier, und der Zigano Milosch Stojka hat einen undefinierbaren Balkan-Akzent. Da lobt man sich doch Dr. Levy und CORA, die astreines Hochdeutsch sprechen. CORA, der uns aus früheren Episoden bekannte Bordcomputer der HERMES, moduliert längst nicht so stark wie ein Mensch – die Gute kann eben doch nicht alles. Dafür sorgen schon die Tonfilter.

|Geräusche|

Bang, boom, crash – die Mörsergranaten schlagen mit voller akustischer Wucht ein, um den friedfertigen Hörer aus dem Sitz zu reißen. Auch während des folgenden Dialogs grummelt es unheilvoll im Hintergrund, während sich Tuareg und Hodeidad beschießen. Der erdbasierte Teil der zweigeteilten Handlung endet mit dem Start der HERMES in den Orbit. Ab da hören wir wieder die üblichen SF-Klänge wie etwa sich öffnende und schließende Schleusen und Schotts.

Die Geräuschkulisse erstaunt den Hörer mit einer Vielzahl mehr oder weniger futuristischer Töne, so etwa Triebwerke oder Luken und Schleusen. Doch wenn man ein Fan von SF-Fernsehserien und Games ist, dann dürfte einen dies nicht gerade umhauen, sondern eher ganz normal vorkommen. Einige Klänge wie etwa Mobiltelefone – die keinen extra Namen haben – und Analysatoren (die wie von der „Enterprise“ klingen) piepen, zirpen und sirren. Strahlenpistolen sind da schon etwas ein- und nachdrücklicher.

Der gute Sound trägt dazu bei, den Hörer direkt ins Geschehen hineinzuversetzen, und das kann man von den wenigsten SF-Fernsehserien behaupten. Auch das Design von verzerrten Meldungen ist ähnlich professionell gehandhabt. Ein Satz kann mittendrin seine Klangcharakteristik ändern – faszinierend.

|Musik|

Ja, es gibt durchaus Musik in diesem Hörspiel. Neben dem Dialog und den zahllosen Sounds bleibt auf der Tonspur auch ein wenig Platz für Musik. Sie ist wie zu erwarten recht dynamisch und flott, aber nicht zu militärisch – ganz besonders im Intro und in den Intermezzi. Selten ist die Musik mal im Hintergrund zu hören, denn der Dialog soll nicht überdeckt werden.

Die Musik erweist sich als eminent wichtig, um Stimmung zu erzeugen und den Übergang zwischen Szenen zu signalisieren. Sie trennt aber auch Szenen voneinander, und einmal signalisiert sie durch tickende Rhythmik das quälend langsame Verstreichen der Zeit.

Ganz am Schluss erklingt ein zunächst langsames Outro, das den Ausklang zu dieser Episode bildet, bevor es zu einer flotteren Hintergrundmusik Fahrt aufnimmt. Diese läuft während der relativ langen Absage (etwa zwei Minuten), bei der sämtliche Sprecher und, wo sinnvoll, ihre Rollen aufgezählt werden.

|Das Booklet|

Das Booklet bietet einen Überblick über die bereits erschienenen Folgen der Serie, über die Macher und über die Sprecher. Eine Landkarte zeigt die „Todeszone Zentralafrika 2131“. Auf einer weiteren Seite danken die Produzenten einer ganzen Menge Leute – sogar den „kritisch engagierten“ Rezensenten!

_Unterm Strich_

Biologische Kampfstoffe scheinen zunächst das Generalthema zu sein. Und das würde uns angesichts einer solch konfliktreichen Welt wie der von 2131 nicht wundern. Doch wenn man Nat Wests Verteidigungsplädoyer lauscht, klingt eine andere Botschaft an: Er hatte ursprünglich einen Nanovirus als Universalheilmittel entwickelt: „Angelus“ (= Engel). Dieses durfte er jedoch weder vermarkten noch verkaufen. Stattdessen wurde er kopiert und ausgebootet. Kann man ihm verdenken, dass er auf die moralisch andere Seite wechselt und „Nacola“, das böse Virus, entwickelt? Sein Ultimatum an die VEGA war nicht wirklich ernstgemeint. Nun ist er drauf und dran, die Menschheit zu dezimieren, auf dass sie wieder Bedarf nach „Angelus“ verspüre.

Das moralische Dilemma, das der Autor aufzeigt, ist ziemlich deutlich, wenn er es mit „böse“ und „gut“ etikettiert. Soll die Medizin wirklich so gut werden, dass sie zur Überbevölkerung beiträgt? Oder soll sie vielmehr das Seziermesser werden und einen Großteil – aber welchen? – der Bevölkerung beseitigen, um einen Neustart zu ermöglichen – auf die Gefahr hin, von Militär und Regierung missbraucht zu werden? Beide Szenarien haben ihre Vor- und Nachteile. Nur die Moral des Handels, die Ethik, kann urteilen, welche Handlungsweise die „richtige“, verantwortungsvolle ist. Vor dieser schweren Aufgabe steht, wieder mal, Mark Brandis.

Die nächste Folge „Triton-Passage“ folgt im Januar 2013.

|1 Audio-CD
Spieldauer: 49 Minuten
Tracks: 10
Empfohlen ab 12 Jahren
UPC: 0602527804231|
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Mark Brandis: Lautlose Bombe – Teil 1 (Folge 21)

_Besoffene Raumfahrer und andere Schrecken_

2131: Commander Mark Brandis‘ Halbbruder Jonathan West steht unter Verdacht, mit Verbrechern zu kooperieren, die vor dem Einsatz von biologischen Kampfstoffen nicht zurückschrecken. Trotz deutlicher Indizien glaubt Mark Brandis an dessen Unschuld und versucht, den untergetauchten Mediziner zu finden, bevor der Geheimdienst ihn eliminieren kann … (Verlagsinfo)

Der Verlag empfiehlt das Hörspiel ab 12 Jahren.

_Der Autor_

Nikolai von Michalewsky (1931-2000) war bereits Kaffeepflanzer, Industriepolizist, Taucher und Journalist gewesen, als sein erster Roman 1958 veröffentlicht wurde. Am bekanntesten wurde er ab 1970 mit den Mark-Brandis-Büchern, der bis heute (nach Perry Rhodan) mit 31 Bänden erfolgreichsten deutschsprachigen SF-Reihe.

Seine konsequente Vorgehensweise, Probleme der Gegenwart im Kontext der Zukunft zu behandeln, trug Michalewskys Serie eine treue Leserschaft und hohe Auflagenzahlen ein. Seine besondere Zuneigung galt besonders dem Hörspiel. Er gehörte zu den meistbeschäftigten Kriminalhörspiel- und Schulfunkautoren Deutschlands. (Verlagsinfo)

_Die Sprecher/Die Inszenierung_

|Sprecher:|

Ruth O’Hara: Dorothea Anna Hagena
Cmdr. Mark Brandis: Michael Lott
Dr. Gomez: Oliver Seidler
Prolog: Wolf Frass
Dr. Philipp: Jochim C. Redeker
Jonathan „Nat“ West: Jacob Weigert
José Verasteguí: Daniel Montoya
Anflugkontrolle Las Lunas: Elena Wilms
Cpt. Esko Tuomi: Martin May
Porta Stellaris: Anke Reitzenstein
Magnus Sauerlein: Stefan Peters
John Harris: Gerhart Hinze
Cpt. Grigori »Grischa« Romen: David Nathan
Marie-Christine Rousseau: Eva Gaigg
sowie Melanie Blenke, Jens Gümmer, Marco Gehrmann, Michael Hansonis, Stefan Kretschmer, Sebastian Pütz

Nach Motiven des Romans „Lautlose Bombe“ von Nikolai von Michalewsky
Die Macher und Regisseure sind Interplanar.de:
Joachim-C. Redeker: Sounddesign und Musik
Redeker und Balthasar von Weymarn: Produktion, Regie und Schnitt

Jochim-C. Redeker, geboren 1970, lebt seit 1992 in Hannover. Gelernt hat er das Produzieren in der SAE Frankfurt, seither arbeitet er als Tonmeister für Antenne Niedersachsen. An zwei Virtual Reality Projekten hat er als Sounddesigner gearbeitet. Er gibt Audio- und Hörspielseminare und arbeitet als Werbetexter und Werbesprecher für zahlreiche Unternehmen sowie für Kino- und Radiowerbung. Musikalisch betreut er neben seinen eigenen Projekten auch Jingle- und Imageproduktionen. Bereits 1988 brachte ihm eine frühe Hörspielarbeit mit Balthasar den Sonderpreis der Jury für akustische Qualität beim Maxell Momentaufnahmen Wettbewerb ein.

Balthasar von Weymarn, geboren 1968, lebt seit 2006 im Taunus bei Frankfurt. Ausgebildeter Dramaturg und Filmproduzent (Filmstudium Hamburg); arbeitet auch als Skriptdoktor, -autor und Ghostwriter für Unternehmen wie Bavaria Film, Odeon Pictures, Tandem Communications, Storyline Entertainment u.a.
Das Hörspielmanuskript schrieb Balthasar v. Weymarn nach dem gleichnamigen Roman von Nikolai von Michalewsky. Aufnahme: Tommi Schneefuß, Sven-Michael Bluhm, Thomas Weichler
Produktion, Regie und Schnitt: Jochim-C. Redeker & Balthasar von Weymarn
Artwork: Alexander Preuss
Layout/ Satz: Jürgen Straub
Product Management: dp

_Hintergrund und Vorgeschichte_

Die Mark Brandis – Hörspielreihe begann 2005-2007 mit Bordbuch Delta VII. Inhaltlich unterscheidet sie sich in einigen wichtigen Punkten von den Büchern.

* Die Geschichten sind um 50 Jahre in die Zukunft verlegt, die Saga beginnt also 2119;
* Die Kürzel EAAU und VOR sind zu „die Union“ und „die Republiken“ geworden;

EAAU: Die Europäisch-Amerikanisch-Afrikanische Union (EAAU) ist ein transkontinentaler Staatenverbund und wurde als Zusammenschluss der drei Kontinente Europa, Amerika und Afrika ca. 1999 gegründet – ihr assoziiert ist Australien. Während Europa der Kontinent ist, der über die längste Tradition verfügt, haben sich Afrika und Amerika zu den industriell bedeutendsten Kontinenten entwickelt.
Flagge: ein Ring goldener Planeten um drei kleeblattartig angeordnete grüne Kontinente auf weißem Grund.
Hauptstadt: Metropolis

VOR: Die Vereinigten Orientalischen Republiken (VOR) sind ein transkontinentaler Staatenverbund und umfassen zwischen Ural und der Pazifikküste die asiatischen Staaten einschließlich Ozeaniens.
Flagge: zwei gekreuzte Mongolenschwerter vor einer gelb-roten Sonne.
Hauptstadt: Peking

VEGA: Die Strategische Raumflotte (SR) lagerte 2106 ihre Entwicklungsabteilung auf die Venus aus. Die zuständige Agentur ist die VEGA, kurz für Venus-Erde Gesellschaft für Astronautik, mit immerhin 8000 Mitarbeitern. Direktor der VEGA ist seit 2122 der ehemalige Major (SR) und Commander (VEGA) John Harris. Die Routen der Testflüge für die Neuentwicklungen sind streng geheim, da die Prototypen als begehrte Beute sowohl für die Vereinigten Orientalischen Republiken (VOR) und die Europäisch-Amerikanisch-Afrikanische Union (EAAU), aber auch für Raumpiraten gelten. Offiziell gilt die VEGA als neutral, aber ihre Auftraggeber waren bislang immer die SR und die Raumfahrtbehörde der Union.

_Handlung_

|Prolog|

Mark Brandis unternimmt im venezolanischen Urwald eine kleine Flitterwochentour. Ihr Ziel in dem streng geschützten und deshalb menschenleeren Gebiet ist eine heilige Stadt, zu deren Besichtigung sie eingeladen wurden. Da wird Ruth von einer Ameise gebissen und erleidet einen anaphylaktischen Schock. Binnen kürzester Zeit hat die allergische Reaktion sie bewegungsunfähig und bewusstlos gemacht. Der verzweifelte Mark lässt ihre Blutdaten fernanalysieren. Ruth muss schnellstmöglich in ein Krankenhaus! Leicht gesagt, wenn man sich zwei Tage von der Zivilisation entfernt befindet. Mark macht sich auf den Weg …

|Haupthandlung|

Nach einem Zusammenbruch durch völlige Erschöpfung erwacht Mark in einem Krankenhaus in Caracas. Der Arzt sagt ihm, Ruth liege in einem künstlichen Koma. Erst nach Tagen erholt er sich genug, von der „Aeskulab“-Krise“ zu erfahren. Das Weltraumlabor, das von Marks Halbbruder Jonathan West geleitet wurde, ist überfallen worden. Jonathan wurde evakuiert. Nun besucht er Mark in Caracas und erkundigt sich nach der Ameise, die Ruth mit so fatalen Folgen biss. „Nat“ West ist Immunologe, also Spezialist für Immunschwächen.

Bei einem oder zwei Gläsern Wein erzählt Nat von dem Überfall auf die Aeskulab-Medizinerstation. Er werde seitdem gejagt, denn die Terroristen, die den neuen Nacola-3-Virus erbeutet hätten, könnten ihn nur mit Hilfe einer bestimmten DNS-Sequenz aktivieren – und die habe nur er. Tags darauf bietet Nat eine solche Viruskultur zur Heilung Ruths an. Doch er selbst ist inzwischen zum Mond abgereist. Das kommt Mark sonderbar vor.

Nach einem alkoholischen Absturz mit 1,8 Promille wird Mark von einem Geheimdienstler besucht: Nat West sei verschwunden und werde von einem Kollegen schwer belastet: Er habe die Virenkultur selbst geraubt. Mark verteidigt seinen Bruder erst, doch dann will er den Dingen selbst auf den Grund gehen. Auf Las Lunas findet er ihn nicht, er muss auf der Militärstation Porta Stellaris notlanden.

|Porta Stellaris: Geheimauftrag|

Hier taucht Commander Harris, Marks Chef, auf, um ihm eine Mission anzuvertrauen. Nat West hat nämlich der VEGA ein unglaubliches Ultimatum gestellt: Entweder die VEGA stellt Forschung und Raumfahrt ein oder werde die Nacola-3-Viren loslassen. Die Frist beträgt lediglich 24 Stunden. Mark muss Nat West finden und unschädlich machen. Denn Harris hat nicht die Absicht, vor West zu kapitulieren. Der Sicherheitsdienst jage West bereits, um ihn zu liquidieren, doch Mark könne Wests leben retten, indem er den SD-Agenten zuvorkomme.

Zusammen mit seinem Piloten Grischa Romen sucht mark zuerst in der Antarktis nach seinem Bruder. Dort lebt und arbeitet Nats Freundin Marie-Christine Rousseau als Klimatologin. Doch als sie auf dem gesuchten Eisberg mit der kleinen Station eintreffen, scheint bereits alles zu spät zu sein …

_Mein Eindruck_

In diesem ersten Teil machen wir erstmals Bekanntschaft mit Dr. Jonathan „Nat“ West, einem Virenforscher, der sich radikalisiert hat und nun die VEGA vor ein unmögliches Ultimatum stellt. Wir erfahren wenig über die Natur der gefährlichen neuen Viren, die West gezüchtet hat. Dieses Spannungselement muss erst noch seine Tauglichkeit erweisen.

Das Generalthema ist diesmal Gesundheit. Schon der Auftakt lenkt unseren Blick auf die Gefahren, die dem menschlichen Organismus drohen: Marks Frau erleidet einen anaphylaktischen Schock, als ihr gesamter Organismus allergisch auf das Ameisengift reagiert und zusammenbricht. Ein zweites Argument ist der Teufel Alkohol, dem Mark unterlegt. Cops sammeln ihn in Caracas aus der Gosse auf. Auf dem Mond hat er noch einen Helfer, doch an Bord seines Fliegers, der ihn zur Erde bringen soll, versagt Marks Körper vollends den Dienst. Was für uns recht komisch wirkt, ist tödlicher Ernst. Er landet auf Porta Stellaris mit dem Rücken zur Landebahn…

Ein zweiter Aspekt ist die Versorgung der Weltbevölkerung mit Süßwasser (siehe dazu die Anmerkungen im Booklet, s.u.). In diesem gigantischen Projekt ist Wests Freundin Marie-Christines tätig: Sie schickt Eisberge aus der Antarktis in die Trockenzonen Indiens, also quer durch den Ozean. Noch erfahren wir nur aus dem Booklet, wie es zu dieser Süßwasserkrise kommen konnte.

Doch wenn die Eismassen in Gletschern und Polkappen mit dem gleichen rasanten Tempo wie bislang schmelzen, werden wir unser Trinkwasser bald auf andere Weise beschaffen müssen. Die Idee mit den Eisbergen ist keineswegs neu. Allerdings muss sich heute schon fragen, ob sie angesichts des hohen Schmelztempos der Polkappen überhaupt noch in hundert Jahren realisierbar sein wird. Hier hat der Autor nicht radikal genug gedacht – oder hatte ungenügende Daten zur Klimaerwärmung vorliegen. Das Buch wurde bereits 1977 veröffentlicht.

_Die Sprecher/Die Inszenierung_

|Die Sprecher|

Die Sprecher erfüllen ihre Aufgabe zu meiner Zufriedenheit. Es handelt sich um die immer wieder in der Serie auftauchenden Hauptfiguren wie der Titelheld, seine Frau, sein humorvoller Freund Grischa Romen. Nat West wird von Jacob Weigert recht sympathisch gesprochen. Deshalb reagiert man ebenso konsterniert wie Brandis, als West sein irres Ultimatum stellt.

Diesmal spielen durch Tonfilter verzerrte Stimmen eine dominante Rolle. West trägt sein Ultimatum auf einer Videoaufzeichnung vor, die seine Stimme verfremdet. Daneben gibt es eine Vielzahl von weiblichen Beamtinnen wie auf Porta Stellaris und Luna, die mit Funksprüchen aufwarten. Man kann ihre Genervtheit und die wachsende Anspannung förmlich mitfühlen, als Mark Brandis sich auf einen manuell gesteuerten Flug unter Alkoholeinfluss begibt. Autsch! Das kann nur schiefgehen.

|Geräusche|

Folglich muss diese Notlandung besonders eindrucksvoll akustisch inszeniert werden. Crash, bang, boom! – dies ist nicht übertrieben. Das „boom!“ der Explosion bleibt zum Glück aus, aber nur weil die Handlung sonst zu Ende wäre.

Die Geräuschkulisse erstaunt den Hörer mit einer Vielzahl mehr oder weniger futuristischer Töne, so etwa Triebwerke oder Luken und Schleusen. Doch wenn man ein Fan von SF-Fernsehserien und Games ist, dann dürfte einen dies nicht gerade umhauen, sondern eher ganz normal vorkommen. Vor allem das Dröhnen, Zischen und Jaulen von Düsen, Schleusen und Schotts ist regelmäßig zu hören, was ja auch naheliegt.

Der gute Sound trägt dazu bei, den Hörer direkt ins Geschehen hineinzuversetzen, und das kann man von den wenigsten SF-Fernsehserien behaupten. Auch das Design von verzerrten Meldungen ist ähnlich professionell gehandhabt. Ein Satz kann mittendrin seine Klangcharakteristik ändern – faszinierend.

|Musik|

Ja, es gibt durchaus Musik in diesem rasant inszenierten Hörspiel. Neben dem Dialog und den zahllosen Sounds bleibt auf der Tonspur auch ein wenig Platz für Musik. Sie ist wie zu erwarten recht dynamisch und flott, aber nicht zu militärisch – ganz besonders im Intro und in den Intermezzi. Selten ist die Musik mal im Hintergrund zu hören, denn der Dialog soll nicht überdeckt werden. Die Musik erweist sich als eminent wichtig, um Stimmung zu erzeugen und den Übergang zwischen Szenen zu signalisieren.

|Das Booklet|

Das Booklet bietet einen Überblick über die bereits erschienenen Folgen der Serie, über die Macher und über die Sprecher. Ein Buchauszug informiert über „Die Süßwasserkrise“: Die Vernachlässigung von Meerwasserentsalzungsanlagen und die Gletscherschmelze führen schon im 21. Jahrhundert zu einem akuten Mangel an Süßwasser.

Nun, im Jahr 2131, liefern sich die Nationen ein Wettrennen darum, wer die größten Eisberge am schnellsten zum Ziel transportieren kann. Hier hat Marie Christine Rousseau ihren Job. In drei Dossiers erfahren wir zudem mehr über diese Dame, den VEGA-Geheimdienstler José Verastegui und schließlich auch Jonathan West.

_Unterm Strich_

Ich nehme nicht an, dass Marks desaströser Flug unter Alkoholeinfluss so im Originalbuch steht. Aber auf diese Weise bringt die Regie ein gehöriges Maß an Action und Spannung in einen ansonsten recht drögen Auftakt zu diesem Zweiteiler. Sicher, der Prolog mit Ruths Zusammenbruch ist nicht zu verachten, was Dramatik anbelangt, aber der Überfall auf die Aeskulab-Station findet nicht „live“ statt, sondern nur als News-Meldung.

Erst ganz am Schluss nimmt die Handlung wieder an Fahrt auf: Die Jagd auf Nat West beginnt – noch dazu mit einer grausigen Entdeckung seines Werks. Wir fragen usn unwillkürlich: Wenn West schon zu derartigen Aktionen fähig ist, wohin könnte dann ein wirklicher Virenausbruch führen? Die Story trägt also ihren Titel zu Recht.

|Das Hörspiel|

„Mark Brandis“ ist als Hörspiel professionell inszeniert, spannend, stellenweise actionreich und mitunter sogar bewegend. Im Unterschied zu den ersten Folgen wurden nun mindestens zwei größere Dialogszenen eingebaut, die mir sehr gut gefallen haben. Sie charakterisieren besonders Mark Brandis als einen moral- und verantwortungsbewussten Erwachsenen, der auch mal seine Fehler korrigieren kann.

Dies ist beruhigend weit entfernt von Kinderkram und rückt die Serie in die Nähe der POE-Hörspiele, die mir fast durchweg gut gefallen. In zehn Jahren wird man diese Serie als Vorbild für eine gelungene SF-Serie aus deutschen Landen auf gleicher Höhe mit „Perry Rhodan“ setzen. Und die Sammler werden sich die Finger danach lecken.

|1 Audio-CD
Spieldauer: 59 Minuten
Tracks: 10
Empfohlen ab 12 Jahren
UPC: 0602527804224|
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_|Mark Brandis| als Hörspiel:_
01 [„Bordbuch Delta VII“ 4995
02 [„Verrat auf der Venus“ 5013
03 [„Unternehmen Delphin“ 5524
04 [„Aufstand der Roboter“ 5986
05 [„Testakte Kolibri 1“ 5984
06 [„Testakte Kolibri 2“ 5985
07 [„Vorstoß zum Uranus 1“ 6245
08 [„Vorstoß zum Uranus 2“ 6246
09 [„Raumsonde Epsilon 1“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6467
10 [„Raumsonde Epsilon 2“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6468
11 „Die Vollstrecker 1“
12 „Die Vollstrecker 2“
13 [„Pilgrim 2000 1“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7059
14 [„Pilgrim 2000 2“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7060
15 [„Aktenzeichen: Illegal“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7128
16 [„Operation Sonnenfracht“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7129
17 [„Alarm für die Erde“ (Teil 1)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7479
18 [„Alarm für die Erde“ (Teil 2)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7480
19 [„Sirius Patrouille (Teil 1)“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7760
20 [„Sirius Patrouille (Teil 2)“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7763
21 _“Lautlose Bombe“ (Teil 1)_
22 „Lautlose Bombe“ (Teil 2)

_Mark Brandis in Buchform bei |Buchwurm.info|:_
Band 01: [„Bordbuch Delta VII“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6535
Band 02: [„Verrat auf der Venus“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6539
Band 03: [„Unternehmen Delphin“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6536
Band 04: [„Aufstand der Roboter“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6618
Band 05: [„Vorstoß zum Uranus“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6630
Band 06: [„Die Vollstrecker“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6636
Band 07: [„Testakte Kolibri“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6723
Band 08: [„Raumsonde Epsilon“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6781
Band 09: [„Salomon 76“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6723
Band 10: [„Aktenzeichen: Illegal“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6801
Band 11: [„Operation Sonnenfracht“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6802
Band 12: [„Alarm für die Erde“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6882
Band 13: [„Countdown für die Erde“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6908
Band 14: [„Kurier zum Mars“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6938
Band 15: [„Die lautlose Bombe“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6962
Band 16: [„PILGRIM 2000“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7167
Band 17: [„Der Spiegelplanet“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7194
Band 18: [„Sirius-Patrouille“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7267
Band 19: [„Astropolis“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7390
Band 20: [„Triton-Passage“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7391

Gentle, Mary – blaue Löwe, Der (Die Legende von Ash 1)

_|Die Legende von Ash|:_

Band 1: [„Der blaue Löwe“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=303
Band 2: [„Der Aufstieg Karthagos“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=333
Band 3: [„Der steinerne Golem“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=377
Band 4: [„Der Untergang Burgunds“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=420

_Söldner auf Abwegen: zwischen Golems, Klonen, Kampfmaschinen_

Der Historiker Pierce Ratcliff entdeckt im Jahr 2000 verschollene Dokumente, die ihn erkennen lassen, dass die Geschichte Europas im 15. Jahrhundert nicht so verlaufen ist, wie es die Lehrmeinung vertritt. Fasziniert liest er die Lebensgeschichte der jungen Frau Ash, die als Waise in einem der zahlreichen Söldnerhaufen des Spätmittelalters heranwächst.

Mit vierzehn gründet sie ihre eigene Kompanie, welche sich unter dem Banner des Azurblauen Löwen rasch Ruhm auf den in ganz Europa verstreuten Schlachtfeldern erwirbt. Schließlich werden Ash und ihre Männer in Ereignisse verstrickt, die ihr Schicksal nachhaltig verändern. Europa sieht sich einer unheimlichen Bedrohung aus dem Morgenland gegenüber, einer Armee, in der sich steinerne Riesen bewegen und die die Sonne verlöschen lässt …

_Die Autorin_

Mary (Rosalyn) Gentle wurde in England im Jahr 1956 geboren. Ihr erster Roman war ein durchschnittliches Jugendabenteuer mit dem Titel „A hawk in silver“ (1977, überarbeitet 1985). Bekannt wurde sie mit der Science-Fiction-Dilogie „Goldenes Hexenvolk“ (1983) und „Altes Licht“ (1987), in der eine Forscherin die Welt Orthe erkundet und auf die verborgene Superwaffe einer uralten, verschwundenen Alien-Rasse stößt.

Wesentlich interessanter sind ihre Fantasy-Romane aus dem „White-Crow“-Zyklus, in dem eine durch die Zeiten reisende Abenteurerin in alternative Versionen unserer Welt reist: „Rats and Gargoyles“ (1990), „The Architecture of Desire“ (1991) und die Haupterzählung in der Sammlung „Left to his own devices“ (1994), plus zwei der Erzählungen in der Sammlung „Scholars and soldiers“ (1989): „Beggars in Satin“ und „The Knot Garden“.

„Die letzte Schlacht der Orks“ (Grunts!, 1992) ist eine Parodie auf alle Fantasy-Epen, in denen die finale Schlacht zur Rettung der Welt ausgefochten wird, nur dass diesmal die Helden auf der falschen Seite stehen: die Orks. Vor ihrem Megaroman „Ash“ (1999) veröffentlichte sie drei Sammlungen von Erzählungen, die auf einer Shared World namens „The Weerde“ spielen. Diese Spielwiese durften auch andere Autoren benutzen.

_Hintergrund_

Im Spätmittelalter, das hier die Kulisse abgibt, bestanden andere Königreiche als heute: das Heilige Römische Reich Deutscher Nation hatte einen Kaiser, Frankreich hatte in Ludwig XI einen intriganten „Spinnenkönig“, und im Herzogtum Burgund, das sich von Brügge bis nach Savoyen erstreckte, herrschte der höchste damals bekannte Stand der Kultiviertheit, von der stärksten und bestausgebildetsten Armee mal ganz abgesehen. Viele Feinde gab es stets im Inneren – die Engländer führten einen Bürgerkrieg -, doch an äußeren Feinden gab es im Grunde nur einen: die Türken, die 1453 Konstantinopel, das heutige Istanbul, erobert hatten. Ihr Ansturm führte sie zweimal bis vor die Tore von Wien.

Der Aufhänger für Ashs alternative Weltgeschichte ist die Frage: Wie kam es dazu, dass dieses großmächtige Herzogtum Burgund mit dem Tode Herzog Karls im Jahr 1477 vollständig von der Landkarte verschwand? Könnte es sein, dass noch andere Mächte gewirkt haben, als die aus anerkannten Dokumenten bekannten?

_Handlung_

Mit acht Jahren wird Ash wegen ihres silbernen Haars von zwei Söldnern vergewaltigt, wobei sie Narben im Gesicht davonträgt. Sie tötet beide auf der Stelle. Der Hauptmann der Truppe lässt sie auspeitschen, aber das macht ihr nichts aus. Sie hat bereits mit ihrer eigenen Kriegerausbildung begonnen. Vielmehr schleicht sie ihm in den winterlichen Wald zu einer verfallenen Kapelle nach. Dort wird sie Zeugin eines Wunders. Ein echter Löwe erscheint, herbeigerufen von den Beschwörungen – und dem Fleisch auf dem alten Altar. Der Löwe entdeckt die versteckte Ash im Stechpalmengestrüpp und leckt ihr die Tränen vom Gesicht. Dann verschwindet er im Wald.

Als sie neun ist und bereits ein Kurzschwert tragen darf, bringt der Söldner Guillaume mit ihr eine alte Kuh zum Abdecker ins nahe Dorf. Aber der Zweck dieser Übung wird ihr erst klar, als er sie, nachdem er sie mit Innereien beworfen hat, auffordert, die mittlerweile aufgehängte Kuh zu töten. Das Tier zu töten, sei nämlich etwas ganz anderes als einen Menschen zu töten, der einen selbst angreift und dabei schreit und brüllt. Ash schafft es dennoch unter wildem Schluchzen und unter äußerster Kraftaufbietung, die wehrlose Kreatur ins Jenseits zu befördern.

Als sie zehn Jahre alt ist, kommt sie um ein Haar ums Leben. Sie steht mit ihrem Freund Richard auf der obersten Brüstung des Glockenturmw eines Dorfes, als sie die Truppen des Feindes nahen sieht: das Heer der Durchlauchtigsten Meerjungfrau. Ein Begreifen erfasst sie angesichts dieses Anblicks und der bevorstehenden Schlacht, dass ihre periode einsetzt und sie die Stimme hört. Es ist eine Stimme, die sie selbst unbewusst wiedergibt. Das versetzt Richard in echte Panik. Ist sie von Dämonen besessen? Die Stimme redet von einem taktischen Nachteil in der Schlachtformation. Und als die ersten Mörsergranaten der Geschichte auf ihrem Glockenturm einschlagen, machen sich Ash und Richard erst in die Hose und dann aus dem Staub.

Nach der verlorenen Schlacht werden auch die Gefangenen als Teil der Beute des Siegers verteilt. Eine Nonne, die sich für Ash interessiert, weil sie Stimmen hören soll, wird von dem schmächtigen Mädchen angefleht, sie hier wegzuholen, bevor die Soldaten ihr wehtun. – Damit endet die Schilderung des Winchester Codex aus dem Jahr 1495, also 28 Jahre nach der geschilderten Schlacht (vermutlich bei Mailand 1467).

|ASHS LEBEN, Buch 1|

Das nächste Buch schildert DAS LEBEN ASH, veröffentlicht von F. del Guiz im Jahr 1516, kombiniert mit einem Buch aus dem Jahr 1890 und eigenen Recherchen, die Pierce Ratcliff für sein Buch „Fraxinus“ dargestellt hat. Das 1. Buch von LEBEN trägt den Titel „Fortuna Imperatrix Mundi“ (Göttin Fortuna ist die Herrscherin der Welt).

Ein Jahr lang musste es das Mädchen mit dem silbernen Haar dem Narbengesicht bei den Nonnen aushalten, bevor Godfrey, ein junger Priester, sie herausholte und sie nach Genua brachte, wo sie sich der Kompanie des Greifen auf Gold anschloss. Nun, acht Jahre später, im Juni 1476, verfügt die Neunzehnjährige über ihre eigene Kompanie, immerhin 800 Mann aus ganz Westeuropa. Sie kämpft für den deutschen Kaiser Friedrich III, der seit rund 30 Jahren auf dem Thron sitzt. Sein Stadt Neuss wird von den Burgundern belagert, und die Belagerten essen nach all den Monaten bereits Katzen und Ratten.

Als Ash einen Trupp Reiter von rund 80 Mann ausmacht, lässt sie ohne Zögern zum Angriff reiten. Der blaue Löwe, der ihr Wappen schmückt, flattert im Wind. Die Attacke wird ein voller Erfolg, und erst kurz vorm Lager der Burgunder muss sich Ash zurückziehen, weil sie gegen Feuerwaffen keinen Schutz besitzt. Wird der Kaiser die unautorisierte Eigenmächtigkeit bestrafen? Wird er nicht: Er belohnt Ash weder mit Geld, Gold, Land noch einem Titel. Stattdessen tut er etwas viel Schlimmeres. Sie soll heiraten.

Ihr kaiserlich zugewiesener (und somit unabweisbarer) künftiger Ehemann ist ausgerechnet Fernando del Guiz (ihr späterer Biograph), den sie kurz zuvor beleidigt hat. Schlimmer noch: Als sie in Genua noch ein zwölfjähriger Backfisch war, hat er sie extrem gedemütigt. Und den soll sie jetzt heiraten? Auch seine Tante Constanza ist von diesem Mannweib Ash nicht gerade erbaut. Und jetzt stellt sich Ashs Arzt als eine Ärztin heraus – und als Fernandos Halbschwester Floria. Trotz all dieser Umstellungen gelingt es Ash, den Kopf nicht zu verlieren und das Beste draus zu machen. Und den Kaiser zu beleidigen – das ginge nun wirklich nicht.

Weil sie stets als Mann denkt, kommt sie selbst nicht drauf, was die Heirat für ihre Stellung bedeutet: Als Ehefrau geht all ihr weltlicher Besitz in die hand ihres Gatten über. Das bedeutet unter anderem, dass auch alle ihre Verträge mit den 800 Angehörigen ihrer Kompanie ihm gehören werden. Und damit unterstehen einen Angehörigen des Kaiserhauses, was wiederum den Kaiser besonders freuen dürfte – ein Truppenzuwachs mit einem Federstrich und einem Ja-Wort. Ash fällt ums Verrecken kein Mittel ein, um diese Katastrophe zu vereiteln. Ihr Ja-Wort ist mehr dem Zufall und ihrer Unachtsamkeit zu verdanken.

Im Dom zu Köln, wo sie soeben ruckzuck vermählt worden ist, hat sie jedoch eine folgenreiche Begegnung. Der Mann, der Ash unverhohlen den Hof macht, heißt Asturio Lebraja und ist der Gesandte der Westgoten, die in Karthago ein nordafrikanisches Reich aufgebaut haben, das gegen die mohammedanischen Türken kämpft. Seit die Muselmanen 1453 Konstantinopel erobert haben (also vor gerade mal 23 Jahren), lebt Westeuropa in permanenter Furcht vor Eroberung. Die Westgoten, so scheint es, haben nicht nur sehr fortschrittliche Technologie wie etwa einen lebenden Roboter, einen Golem, sondern sind auch führend in der Mathematik.

Deshalb verwundert es Ash, dass Kaiser Friedrich III noch in der Kathedrale einen Zornesausbruch laut werden lässt, dessen Opfer Lebraja und sein Kollege sind. Ein politisches Manöver, lassen Ashs Berater sie wissen. Die Westgoten haben den Kaiser um Truppenhilfe gebeten, die er nicht rundweg ablehnen will. Daher die gespielte Entrüstung. Das Ergebnis: Fernando del Guiz soll einen Teil seiner „neu erworbenen Truppen“ nach Karthago schicken, um die Südfront zu verstärken. Damit ist Ashs Kompanie gemeint. Sie soll mit Fernando und 200 Mann nach Genua reisen und von dort nach Nordafrika segeln.

|Die Invasion|

In der Hochzeitsnacht kommt Fernando seiner ehelichen Pflicht nach, aber die nächsten 15 Tage nicht mehr. Sorglos lässt er seine – ihre ehemalige Truppe – bis kurz vor Genua traben, so dass selbst Söldnerkollegen keine Mühe haben, sich einzuschleichen und Ash mal kurz hallo zu sagen. Es wäre aber völlig sinnlos, durch Widerspruch die Truppe zu spalten und so ins Chaos zu stürzen. Also hält Ash die Klappe.

Bis sie auf einem Hügel über den Nebel hinwegsehen kann: Genua steht in Flammen! Und was da im Hafenbecken liegt, sind keine Kauffahrer, sondern Kriegsschiffe der Westgoten. Es müssen mindestens 30.000 Mann sein, die sie an Bord haben. Truppentransporter schiffen Soldaten und Golems aus. Letztere sind dabei zu beobachten, wie sie Botschaften zu anderen Orten tragen – zu anderen eroberten Städten? Mit ihren Offizieren ist sich Ash einig, dass die Westgoten eine Invasion gestartet haben, aber nicht bloß eine in Italien, sondern eine in ganz Westeuropa.

Da sie Fernando überreden kann, dem Kaiser eiligst Nachricht zu bringen, zieht sich Ashs Truppe zurück – und gerät dabei mitten in einen Hinterhalt in einem engen Bergtal. Die Westgoten wollen verhindern, dass auch nur ein einziger Söldner oder Ritter entkommt, um den Kaiser zu warnen. Ash gedenkt, ihnen einen Strich durch diese finstere Rechnung zu machen …

_Mein Eindruck_

Roboterhafte Golems, Taktikcomputer in Karthago (!), die ihre Feldherren per Telepathie informieren – all das klingt nicht sehr nach Fantasy. Geschweige denn nach dem Mittelalter, dessen Bild man uns in der Schule überliefert hat. Unsere wachsenden Zweifel gegenüber den Schilderungen, die Ratcliffs präsentiert, werden Anna Longman, der Lektorin seines Verlags, geäußert: Will Ratcliff uns für dumm verkaufen? Sitzt er selbst einem aufgelegten Schwindel auf? Doch was ist mit dem Robotergolem, den er selbst mit einer Archäologin in den Ruinen nahe Tunis ausgräbt?

|Das 15. Jahrhundert|

Die Autorin nimmt uns mit auf einen wilden Ritt, der im ersten Band erst so richtig anfängt. Sie führt uns mitten hinein in ein Mittelalter, das sich an der Schwelle zur Neuzeit befindet, denn die Reformation ist nur noch fünfzig Jahre entfernt. Es ist die zeit der Umbrüche: Die Osmanen haben Konstantinopel, den letzten Rest des antiken Roms, erobert, und zwischen England und Frankreich wütet seit hundert Jahren ein Erbfolgekrieg – ebenso wie der Rosenkrieg zwischen den Häusern York und Lancaster. Burgund scheint inmitten dieser Auseinandersetzungen ein Hort der Ruhe, des Friedens und des Wohlstands zu sein.

|Religion|

In all diesen Kriegen gibt es jede Menge Arbeit für Söldner wie Ash. Die junge Frau hat von Jeanne d’Arc gehört, die etliche Jährchen vor ihr die Engländer besiegte und dafür von ihnen verbrannt wurde. Mit Religion hat Ash, die Silberhaarige, nichts am Hut. Ganz im Gegenteil: Religion verstellt den klaren Blick auf die militärischen und politischen Realitäten. Und es bedarf aller Informationen, um in diesen veränderlichen Bedingungen den Überblick zu bewahren. Liebe gibt es eigentlich nur pro forma, und sie ist ein kurzer Beischlaf, um der Ehepflicht des Zwangsgatten Genüge zu tun.

|Lesben|

Deshalb spielen für Ash die Loyalität und Treue ihrer Untergebenen, für die sie sich verantwortlich fühlt, eine so große Rolle. Mögen andere Frauen herumhuren, für sie kommt das nicht infrage, wenn sie ihren Ruf und den Gehorsam ihrer Offiziere bewahren will. Dennoch entsteht der eindeutige Eindruck, dass Ash auch dem eigenen Geschlecht zärtlich zugetan ist. Floria, die als Mann verkleidete Ärztin, legt sich gern in Ashs Bett, und sie ist nicht die letzte als Mann verkleidete Frau. Sie helfen ihr, sich als Frau unter lauter Männern zu behaupten.

|Westgoten|

Und nun diese Invasion der Westgoten. „Westgoten!?!“, fragt Anna Longman ungläubig, und auch wir fassen usn an den Kopf. Die Westgoten gab es doch nur in Spanien, als Ergebnis einer Völkerwanderung nach dem Untergang Westroms. OK, auch die Wandalen setzten sich in Ex-Karthago fest, um den Byzantinern das Leben schwer zu machen. Aber Roboter und Taktikmaschinen, noch dazu Klone? Das alles ist für Anna Longman schwer zu verdauen.

Es kommt aber noch härter für Ash. Die Westgoten haben eine ägyptische Finsternis über Südeuropa gelegt, der Himmel ist pechschwarz – und das ist keine vorübergehende Sonnenfinsternis, sondern der Beginn einer tödlichen Eiszeit. Vögel fallen vom Himmel, Ernten fallen aus, Gebrechliche stürzen in den Schnee. In dieser Endzeitstimmung lässt die Feldherrin der Westgoten Ash zu sich bitten.

|Geklont?|

Ash blickt überrascht und beunruhigt in ihr eigenes Gesicht. Sie und die „Faris“ teilen sich das gleiche Gesicht. Sie sind Ergebnisse des gleichen Zuchtprogramms der Westgoten, das nur ein Ziel hat: Denn als wäre die Existenz als Klon nicht schon schlimm genug, muss Ash auch mit der Erkenntnis leben, dass die Faris ebenso wie sie selbst per Gedankenübertragung die Informationen eines Taktikcomputers empfangen kann. Doch diese Fähigkeit gedenkt Ash, nur im alleräußersten Notfall preiszugeben. Sie trägt ja jetzt schon den Ruf, eine Heilige zu sein, die wie Jeanne d’Arc „Stimmen“ hört. Sie hat keine Lust, ebenso wie Jeanne auf dem Scheiterhaufen zu enden. Oder als Versuchskaninchen in den Kerkern der Westgoten.

|Ausblick|

Ash ist aus dem Kerker der Faris befreit worden, wenn auch unter schweren Verwundungen. Nun gelangt ihr Tross nach Burgund und – o Wunder aller Wunder! – dort scheint die Sonne wie im Juli. Dankbar lobpreisen die geretteten Subalternen die im Kloster genesende Feldherrin. Die denkt, dass sie dafür eigentlich überhaupt nichts getan hat. Aber Floria belehrt sie eines Besseren.

Die Pflicht wartet auf Feldherrinnen wie Ash. Zum einen will der herzog von Burgund, Karl der Kühne, sie in seiner Residenz zu Dijon sehen. Um zu anderen wollen ein paar Lancaster-Lords sie anheuern, um gegen die Westgoten – und das Haus York, versteht sich – zu kämpfen. Ash entscheidet sich für beides. Herzöge soll man nicht lange warten lassen, sonst bereut man es. Aber die Westgoten verdienen eine Lektion, findet sie. Und so entschließt sie sich, deren Taktikrechner zu zerstören – und dazu muss sie natürlich erst einmal nach Nordafrika.

_Die Übersetzung _

Der deutsche Leser kann froh sein, dass dieser voluminöse Roman in vier Teile von jeweils 550 bis 700 Seiten aufgeteilt wurde. Auf diese Weise kann er nämlich jeden Band in halbwegs vertretbarer Zeit bewältigen. Die Schrift ist groß, so dass die Augen nicht ermüden.

Die E-Mails sind in jeweils eigenen Abschnitten zusammengefasst und in einer anderen, serifenlosen, modernen Schrifttype gedruckt. Sie heben sich so auf den ersten Blick von der „Fiktion“ ab, obwohl sie ja selbst Teil der Fiktion der Autorin sind – eine Metaebene, die so manchen Anlass zum Schmunzeln, aber auch Neuigkeiten bereithält. So etwa stößt der Herausgeber von Ashs Lebensgeschichte in Karthago auf einen begrabenen Golem-Roboter …

|Fehler und Zweifelsfälle|

S. 150: „ihr ward“ statt „ihr wart“.
S. 294: „Es wir[d] ein Chaos.“ Das D fehlt.
S. 322: „Ich habe noch nie gegen Westgoten gekämpft? Wie ist es so?“ Das erste Fragezeichen müsste ein Punkt sein.
S. 366: „Westogenemire“ sollte „Westgotenemire“ heißen.
S. 382: „Das ist mein Gesicht; so sehe ich auch …“ „Auch“ sollte „aus“ heißen.
S. 409: „Das hier ist keine Romanze wie die von Artus oder Peredur.“ „Romanze“ sollte besser „Abenteuergeschichte“ heißen.
S. 463: „Früher ward Ihr Maler.“ Siehe S. 150!
S. 524: „Die Debatte war in Geschrei ausgeastet.“ „Gemeint ist „ausgeartet“.
S. 534: „als hätte[n] wir Ihren akademischen Ruf nicht überprüft.“ Das N fehlt.

_Unterm Strich_

Ein abenteuerliches Mittelalter, das man so nie bei Umberto Eco oder Dan Brown finden wird! Ash ist eine Feldherrin in männlicher Rüstung, die sich ihrer Haut zu wehren weiß (merke: eine Rüstung dient auch als Waffe) und sich die Treue ihrer Offiziere versichern kann. Ihr „Arzt“ wird zu ihrer lesbischen Geliebten, und die fremde Feldherrin aus Nordafrika zu ihrer geklonten Schwester. Als wäre dies nicht genug, machen Kampfmaschinen und telepathische Taktikcomputer Südeuropa unsicher.

Wer weiß, was noch alles an Zumutungen folgt, fragt die Lektorin Anna Longman verunsichert ihren Autor Prof. Pierce Ratcliff, der ihr ein Werk namens „Ash: Die verlorene Geschichte von Burgund“ auftischt. Sind seine Quellen wirklich zuverlässig, ist nur eine ihrer vielen Fragen, die uns aus der Seele sprechen. Auf dieser Metaebene entspinnt sich der häufig ironische Diskurs über die Art und Weise, wie überlieferte Geschichte zustandekommt. „Historische Wahrheit“ entwickelt sich zu einem Begriff, der zunehmend hohler und fragwürdiger wird, je unsicherer und seltsamer die Quellen, die Racliff präsentiert, dem Leser erscheinen.

Das Rätsel um Ash und Burgund zu lüften, erfordert indes drei weitere Bände. Diese dürften noch für etliche erotische und militärische Abenteuer sorgen. Ich jedenfalls fand schon den Auftaktband sehr interessant und unterhaltsam.

|Taschenbuch: 540 Seiten
Originaltitel: A Secret History – The Book of Ash Part 1
Aus dem Englischen übersetzt von Rainer Schumacher
ISBN-13: 978-3404205660|
http://www.luebbe.de

_Mary Gentle bei |Buchwurm.info|:_
[„1610: Der letzte Alchemist“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=2360
[„1610: Kinder des Hermes“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=2662
[„1610: Söhne der Zeit“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=2681

Dahl, Arne – Opferzahl

_Terror in vielen Formen_

Stockholm steht unter Schock: Ein Bombenanschlag in der U-Bahn fordert zehn Tote. Die Stadtpolizei, die Reichskripo und sogar die Säpo, die nationale Sicherheitspolizei, befassen sich mit der Aufklärung der Gräueltat. Auch das A-Team unter Kerstin Holm wird – nach einer Weile – eingeschaltet. Bald glaubt man, in einer geheimen islamistischen Vereinigung die Täter gefunden zu haben. Doch dann fallen deren Mitglieder selbst Morden zum Opfer. Kerstin Holm verfolgt eine heiße Spur – doch sie führt ins Herz des schwedischen Sicherheitsapparats …

_Der Autor_

Arne Dahl, geboren 1963, ist das Pseudonym des schwedischen Krimiautors Jan Arnald, der für jene schwedische Akademie arbeitet, die alljährlich die Nobelpreise vergibt. Seine Romane um Inspektor Paul Hjelm werden laut Verlag von Publikum und Kritik begeistert aufgenommen. 2004 wurde er mit dem wichtigsten dänischen Krimipreis ausgezeichnet, dem „Pelle-Rosenkrantz-Preis“. Mehr Infos unter http://www.arnedahl.net

Die Dahl-Krimis in chronologischer Reihenfolge:

1) [„Misterioso“ 2841
2) [„Böses Blut“ 2416
3) [„Falsche Opfer“ 3730
4) [„Tiefer Schmerz“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5512
5) [„Rosenrot“ 3091
6) [„Ungeschoren“ 5087
7) „Totenmesse“

_Handlung_

Ein Bombenanschlag auf die U-Bahn von Stockholm mitten in der Nacht fordert neun Opfer – und das Leben des mutmaßlichen Selbstmordattentäters. Die Stadt steht erst einmal unter Schock, doch dann scharen sich die Sicherheitsdienste zusammen, und zwar um einen Pensionär namens Jan Olov Hultin, seines Zeichens ehemaliger Leiter der A-Gruppe, der Abteilung für Verbrechen internationalen Charakters beim Reichskriminalamt. Hultin hat derart viel Autorität, dass er in der ersten Pressekonferenz sogar dem Leiter der nationalen Sicherheitspolizei, der Säpo, Paroli bieten kann. Selbstredend sind auch die Stadtpolizei und die Kripo eingeschaltet.

Kerstin Holm hat sechs Monate Suspendierung vom Dienst hinter sich, als der Ruf in die „Kampfleitzentrale“ sie erreicht. Sie reist sich vom Krankenbett ihres komatösen Freundes Ake Bengtsson los, um sich mit dem Rest der A-Gruppe zu treffen. Lauter bekannte Gesichter, das beruhigt die Nerven. Jan Olov Hultin macht es kurz. Er beauftragt das Team herauszufinden, woher der oder die Täter kamen, sie und ihr Motiv zu finden. Dies alles natürlich möglichst transparent: Alle Ergebnisse sind ins Intranet der Sicherheitsbehörden einzuspeisen. Transparenz und Kooperation sind das Gebot der Stunde.

Deshalb erhält die A-Gruppe über das Intranet Zugriff auf den Mitschnitt eines Bekenneranrufs, der mehr als sechs Stunden nach dem Anschlag bei einer kleinen Polizeistation irgendwo in den Vororten Stockholms einging. Schon diesen Umstand findet Kerstin Holm bereits seltsam, noch merkwürdiger ist der Name der Organisation, in deren Namen der Anrufer sich zum Anschlag bekennt: „The Holy Riders of Siffin“. Neben den üblichen Beleidigungen von westlichen Frauen als Huren usw. sagt der Mann noch einige weitere Sätze, die wenig Sinn ergeben.

Siffin, so lässt sich ruckzuck herausfinden, war im Jahr 657 eine der Schlachten zwischen Sunniten und Schiiten, in denen um die künftige Richtung des Islam ging. Auch sie brachte keine Entscheidung, und so ist das Schisma bis heute erhalten geblieben. Über tausend Jahre lang. Der Haken an diesem Verweis: Kein Terrorismusexperte hat laut Säpo je von dieser Organisation gehört, die sich auf Siffin beruft. Wie echt kann der Anruf also sein, fragt sich die A-Gruppe.

Allerdings sagt der anonyme Mann einen Satz, der sich als ins Englische übersetztes Zitat aus einem arabischen Buch des 14. Jahrhunderts erweist. Und von diesem Buch gibt es nicht allzu viele Exemplare in Stockholm. Genauer gesagt: nur ein Einziges. Den Ausleiher herauszufinden, ist daher ein Kinderspiel. Doch ihn zu sprechen, ist weitaus schwieriger. Er ist nämlich tags zuvor von einem heranrasenden Auto überfahren worden.

Die Anordnung der Leichen in dem gesprengten U-Bahnwaggon erscheint indes Arto Söderstedt keineswegs zufällig. Fast alle Toten befanden sich am hinteren Endes des explodierten Waggons C, bis auf eine Frau, die anscheinend dort die Tür blockierte. Eine zweite Frau, die Fahrgästen als „Verrückte“ erschien, blockierte die nächste Tür, so dass eine spät kommende junge Frau bis zum vorderen Waggonende eilen musste, um noch einen Sitz zu ergattern.

Was sollten diese „Wächterinnen“ mit den Männern tun, fragen sich Arto Söderstedt und Viggo Norberg. Und warum waren diese Männer nachts um halb eins von ihren Wohnungen aufgebrochen, um quer durch die Stadt zu einem unbekannten Ort zu fahren? Was hatten sie im Sinn? Als Viggo Norberg auf seinem Computer Zeuge wird, wie eine der Leichen – Person 2 – vor seinen Augen aus dem Protokoll der Gerichtsmediziner gelöscht wird, ahnen er und Arto, dass in ihrem eigenen System der Wurm drin ist …

Es ist sehr viel schwieriger, den zweiten Mann der Heiligen Reiter zu finden, doch auch hier kommen Kerstin Holms Leute zu spät. Es sieht nach Selbstmord aus. Auf seinem Computer hat er geschrieben: „We were just amateurs.“ Wenigstens finden sie den fünften Mann der Gruppe, und weil er sich geweigert hat, sich ihren fundamentalistischen Ideen anzuschließen, stöbern sie mit seiner Hilfe auch Nr. 3 und Nr. 4 auf. Aber ob sie diese überhaupt vor dem fleißigen Attentäter retten können, steht auf einem ganz anderen Blatt.

|Unterdessen|

Paul Hjelm, der mal der Partner von Kerstin Holm (sowohl privat als auch in der A-Gruppe war), leitet jetzt die Abteilung für Innere Ermittlungen, quasi die Dienstaufsicht. Ein obdachloser Stadtstreicher namens Arvid Lagerberg, der in Gewahrsam genommen wurde, hat in der fraglichen Nacht vor dem Eingang zur U-Bahn-Station, in der die Explosion der Bombe stattfand, eine bemerkenswerte Beobachtung gemacht. Ein Mann wollte gerade in die Station hinuntergehen, drehte aber sofort nach der Explosion wieder um. „Es war ein Polizist“, ist Arvid überzeugt.

Mit ein paar genialen Verhörtricks und gründlichem Stöbern im EDV-Archiv gelingt es Paul, die Identität dieses Polizisten, den Arvid schon mal gesehen hatte, herauszufinden. Bei dem Gesicht auf dem Polizeivideo wird ihm ganz mulmig zumute. Es ist ein guter alter Freund von ihm …

_Mein Eindruck_

Das Thema von Dahls neuem Thriller über die dem Dahl-Fan wohlvertraute A-Gruppe ist Schrecken. „Terror“ ist heute die geläufigere, aber leider auch inflationär und manipulierend verwendete Bezeichnung. Dass Terror ein Werkzeug ist, dass unversehens außer Kontrolle geraten kann, ist zwar eine Binsenwahrheit, verdient aber in den Augen des Autors offensichtlich ständige Verdeutlichung und Betonung.

|Bekenner|

Es gibt eine ganze Reihe von Erzeugern dieses Terrors in dem Szenario, das aufgezeigt wird. Da sind zunächst die „Holy Riders of Siffin“. Sie sind tatsächliche Amateure, erfährt die A-Gruppe von der Säpo, dem schwedischen Verfassungsschutz. Dummerweise haben sich die Amateure, die sich zu dem „Anschlag“ bekennen, einen Namen herausgesucht, den bereits eine andere, weitaus gefährlichere Gruppe für sich beansprucht – und die keinerlei unerwünschte Reklame möchte. Daher das Ein-Mann-Killerkommando.

|Feminismus|

Aber wer hat die Bombe, die den Waggon zerfetzte, ausgelöst, wenn es nicht die Amateure aus der Vorstadt waren? Die zweite Spur führt deshalb zu den „Wächterinnen“, die sexgeile Mittvierziger auf einen U-Bahntrip eingeladen haben. Doch auch diese selbsternannten Hasserinnen von „Schwanzfechtern“ verfügen über keine Bomben. Und unter den Sexgeilen, die sie einluden, hat bestimmt keiner eine Bombe mitgebracht. Wirklich? Die Säpo weiß da etwas ganz anderes.

Denn die Säpo, die auch die „Person 2“ aus dem Intranet verschwinden lässt, kocht ihr eigenes Süppchen. Sie hat eine Undercover-Aktion laufen, mit der sie den schwedischen Waffenproduzenten und -händler Naberius dingfest machen will. Wie Kerstin Holm & Co. erfahren, bedient dieser „ehrenwerte Herr“ Naberius nämlich beide Seiten im Irak, die „friedenserhaltenden Truppen“ ebenso wie die islamistischen Terroristen. Naberius, der feine Schwede, scheint ein richtiger Terrorist zu sein.

|Gratwanderung|

Der Schrecken ist also hausgemacht. Das ist die eigentliche Kritik des Autors. Aber er hinterfragt auch die Rolle der Säpo. Wieso hat sie diese Rolle des Waffenhändlers nicht publik gemacht? Der Grund ist einfach: Es gibt unzählige Lecks im Polizeiapparat. Schon Minuten nach der internen Besprechung, auf der Hultin die Leitung der Ermittlung übernimmt, weiß die Presse von dieser Sache und posaunt alles hinaus. Folglich hält sich die Säpo bedeckt, um ihren Undercover-Ermittler nicht zu gefährden – und um Naberius, das scheue Wild, nicht zu verschrecken. Die Säpo wandelt einen schmalen Grat, indem sie Terror in kauf nimmt.

|Staatsterrorismus|

Dass es auch aktiven, nicht nur passiven Staatsterrorismus geben kann, darauf verweist überdeutlich der Showdown. Er findet an keiner geringeren Stätte als dem Berliner Mahnmal für die Opfer des Holocaust statt. Zwischen über zweitausend Stelen versteckt sich der Attentäter, der es auf den US-Außenminister abgesehen hat, aber ebenso auch seine Jäger aus der A-Gruppe, die ihn als Einzige identifizieren können. Das Stelenfeld für die ermordeten Juden etc. erinnert an den Staatsterrorismus des „Dritten Reiches“. Ob der Autor auf diese Weise andeuten will, dass eine unbeaufsichtigte Geheimpolizei à la Säpo einen Faschismus à la „Drittes Reich“ ermöglichen könnte, so ist das eine durchaus kritische, wenn nicht sogar brisante Aussage.

|Innerer Terror|

Indirekt entschärft der Autor diese Andeutung. Weil der Terror, den Naberius ausübt, auch ins innerste Privatleben eines Mitglieds der A-Gruppe hineinreicht, muss diese innere Bedrohung aufgehoben, bevor das Team wieder handlungsfähig ist. Die Beseitigung des Druckmittels erfolgt mit Hilfe eines technischen Experten der Säpo. Sie ist also doch zu etwas nutze und kann sich human betätigen.

_Die Übersetzung _

Der Text liest sich flüssig und problemlos, Fußnoten sind in der Regel nicht nötig. Bemerkenswert ist, wie stets bei Dahl, der harmonische Übergang vom Deutschen zum Englischen und wieder zurück. Die problemlose Kombination der beiden Sprachen signalisiert, dass die Ermittler der A-Gruppe, zu denen früher ja auch Paul Hjelm gehörte, durch ihre Tätigkeit im Englischen ebenso flüssig sprechen wie in ihrer Muttersprache: Da sie mit „Verbrechen von internationalem Charakter“ befasst sind, ist Englisch ihre lingua franca.

Englisch ist auch die Sprache jener Songtexte, die sich Paul Hjelm anhört. Die Texte, u.a. von Radiohead, bilden auf einer assoziativen Ebene einen indirekten Kommentar zu den Tätigkeiten und inneren Einstellungen der Ermittler. Den Begriff „Karma Police“ auf die Ermittler anzuwenden, ist ein weiterer ironischer Seitenhieb.

S. 48 wird auf einen Mann namens Carl Jonas Love Almqvist verwiesen, der Namensgeber des Unglückswaggons sein soll. Kerstin Holm sagt von Almqvist: „Das ist er doch gewöhnt.“ Der Grund dafür bleibt uns Nichtschweden allerdings verborgen. Die Wikipedia klärt uns auf: „A. * 28. November 1793 in Stockholm; † 26. September 1866 in Bremen) war ein schwedischer Schriftsteller und Komponist. Er war Feminist und Sozialreformer, der aufgrund seiner Arbeiten von der Kirche als gefährlicher Revolutionär verdammt wurde.“ Wer diese Information hat und sie in Bezug zu den drei feministischen „Wächterinnen“ setzt, bemerkt die Ironie, die der Autor zum Ausdruck bringt. Dass der Waggon nach Almqvist benannt ist, beruht also keineswegs auf einem Zufall.

Eine merkwürdige Art der Mathematik scheint auf S. 98 angewendet zu werden. „Die Schlacht von Siffin findet im Juli des Jahres 657 statt – im Jahr 37 nach muslimischer Zeitrechnung, die im Jahr 622 ihren Anfang nimmt …“ Bei mir ergibt 622 plus 37 immer 659. Es kann aber sein, dass die 2 Jahre Differenz von dem Mondkalender herrühren, den die Muslime bis heute verwenden.

_Unterm Strich_

Ich habe den Krimi in wenigen Tagen gelesen. Er ist spannend und durchaus actionreich geschrieben. Allerdings machte nach den ersten hundert Seiten eine mehrtägige Pause, denn da wurde gerade die relativ dröge Anfangsphase abgeschlossen: Die Figuren werden alle miteinander vorgestellt, aber nicht gerade auf prickelnde Weise. Lediglich leiser Humor kommt hier zum Ausdruck.

|Spaßbremsen|

Und der Fall Ake Bengtsson, der im Koma liegt, drückte zwar gehörig auf die Tränendrüse, tangierte mich aber überhaupt nicht, denn ich kannte die Szene, in der er angeschossen wurde, gar nicht. Hier hätte der Autor eine Rückblende einbauen sollen, damit Leute, die den Vorgängerband nicht kennen, auch etwas damit anfangen können.

Zudem beginnt das Buch nicht mit der Explosion, sondern mit einem inneren Monolog oder einer Art Tagebuch. Dieser Unbekannte stellt ein Rätsel dar, das einen Spannungsbogen beginnt, der erst sehr spät seinen Abschluss findet. Aber eben weil die Eintragungen so rätselhaft sind, reizen sie die Neugier nicht unbedingt. Und weiter von der Action kann man gar nicht entfernt sein.

Der Krimifreund muss sich mit solchen Eigenheiten eines Arne-Dahl-Krimis abfinden. Außerdem ist es hilfreich, wenn man schon mal einen A-Gruppe-Krimi gelesen hat, ganz gleich, welchen („Misterioso“ ist ein guter Einstieg). Dann versteht der Leser die spezielle Dynamik dieser Gruppe besser.

|Rätsel Nr. 2|

Ein zweites Rätsel wird ebenfalls früh aufgezeigt, aber ebenfalls sehr spät gelöst: Wer ist überhaupt der Bombenleger in der U-Bahn? Es kann sich weder um die islamistischen Amateure mit ihrem „Spiel“ handeln noch die Männerhasserinnen noch die sexgeilen Kerle, die sie bloßstellen wollen. Hier muss die Säpo ein paar bohrende Fragen der A-Gruppe beantworten.

Dennoch macht der Krimi auf den restlichen 340 Seiten Spaß. Die Action kommt meist unerwartet und mündet in einen gewaltig inszenierten Showdown im Berliner Holocaust-Mahnmal – eine tolle Kulisse, die zudem ein Versteckspiel à la Stonehenge geradezu provoziert. Beim Zugriff auf den Schären vor Stockholm fragte ich mich aber doch, wieso diesen Job die A-Gruppe erledigt und nicht die örtliche Kripo oder wenigstens der Reichsgrenzschutz (falls es so etwas in Schweden gibt).

|Puzzle|

Nicht alles wird am Schluss in der Sitzung mit der Säpo restlos geklärt. Der Leser ist durchaus aufgefordert, die Puzzlestücke zusammenzusetzen, um ein zusammenhängendes Bild aus den Beziehungen und Ereignissen zu erhalten. Dazu sollte der Leser die einzelnen Bausteine Revue passieren lassen und beurteilen. Es lohnt sich, denn wie gesagt, geht es um die verschiedenen Formen des Schreckens.

Die grimmige Aussage: Terror muss nicht Angelegenheit der Behörden sein. Es kann sich lediglich um eine Idee handeln, die gefährliches Handeln provoziert. Terror kann aber auch die Schlinge um den Hals eines geliebten Menschen sein. Dann beginnt der Horror im Kopf und erreicht schnell die Eingeweide …

|Taschenbuch: 440 Seiten
Originaltitel: Efterskalv (2006)
Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt
ISBN-13: 978-3492274500|
http://www.piper-verlag.de

Lustbader, Eric Van – Die Ungläubigen (Jack McClure 1)

_Die |Jack McClure|-Reihe:_

1) First Daughter (2008, _Die Ungläubigen_)
2) Last Snow (2010)
3) Blood Trust (2011)
4) Father Night (2012)
5) Beloved Enemy (2013)

Agententhriller um die Tochter des Präsidenten

ATF-Agent Jack McClure erhält einen Anruf vom designierten Präsidenten, einem alten Freund: Die Tochter von Edward Carson, Alli, wurde entführt. Sie war eine Freundin von Jacks tödlich verunglückter Tochter Emma, die am gleichen Internat studierte. Die alten Wunden brechen wieder auf, doch Jack stößt auf einen Killer, der Verbindung zu den höchsten Regierungskreisen hat. Wie soll an ihn herankommen? Er muss es rechtzeitig vor der Amtseinführung des neu gewählten Präsidenten schaffen, sonst wird eine Katastrophe passieren.

_Der Autor_

Eric Van Lustbader, geboren 1946, ist der Autor zahlreicher Fernost-Thriller und Fantasyromane. Er lebt auf Long Island bei New York City und ist mit der SF- und Fantasylektorin Victoria Schochet verheiratet. Sein erster Roman „Sunset Warrior“ (1977) lässt sich als Science-Fiction bezeichnen, doch gleich danach begann Lustbader, zur Fantasy umzuschwenken.

1980 begann Lustbader mit großem Erfolg seine Martial-Arts & Spionage-Thriller in Fernost anzusiedeln, zunächst mit Nicholas Linnear als Hauptfigur, später mit Detective Lieutenant Lew Croaker: The Ninja; The Miko; White Ninja; The Kaisho usw. Zur China-Maroc-Sequenz gehören: Jian; Shan; Black Heart; French Kiss; Angel Eyes und Black Blade. Manche dieser Geschichten umfassen auch das Auftreten von Zauberkraft, was ihnen einen angemessenen Schuss Mystik beimengt.

Zuletzt erschien bei uns die „Kundala“-Trilogie: „Der Ring der Drachen“, „Das Tor der Tränen“ und „Der dunkle Orden“. Da diese Fantasy ebenfalls in einem orientalisch anmutenden Fantasyreich angesiedelt ist, kehrt der Autor zu seinen Wurzeln zurück, allerdings viel weiser und trickreicher. Kürzlich hat er noch einmal eine Wendung vollziehen und schreibt nun die Thriller seines verstorbenen Kollegen Robert Ludlum fort, so etwa „Die Bourne-Verschwörung“. 2007 erschien der Mystery-Thriller „Testamentum“ in der Art von Dan Browns „The Da Vinci Code“. Danach veröffentlichte Lustbader Fortsetzungen von Robert Ludlums BOURNE-Serie.

_Handlung_

Jener Moment wird für immer in Jack McClures Erinnerung eingegraben bleiben. Als er gerade eine Antischmuggleraktion seiner ATF-Agenten (ATF: Alcohol, Tobacco, Firearms) dirigierte, rief ihn seine Tochter Emma an, um ihm mitzuteilen, dass sie das Internat Langley Fields verlasse. Natürlich konnte er sich nicht um sie kümmern, obwohl sie sein einziges Kind war. Und so wimmelte er sie ab, bis sie auflegte. Wenige Stunden später wurde er zu einem Autounfall in Virginia gerufen: Seine Tochter lag tot in den Trümmern ihres Wagens. Der Tod seines Kindes bedeutete auch das Ende seine Ehe mit Sharon, denn die gab ihm die Schuld an Emmas Tod. Und sie betrog ihn aus Rache mit seinem besten Freund.

Heute erhält Jack einen Anruf von seinem Freund, dem designierten Präsidenten Edward Carson: Seine Tochter Alli wurde aus dem Internat Langley Fields entführt, und zwei Agenten des Secret Service wurden dabei ermordet. Alli war, wie Jack gut weiß, Emmas beste Freundin. Jacks Chef Bennett fährt ihn zum Tatort und warnt ihn schon mal vor: Hugh Garner, der Leiter dieser Aktion, ist ein Politiker durch und durch. Schon nach wenigen Augenblicken weiß Jack, dass er Garner nicht leiden kann. Und es stellt sich sogar heraus, dass Garner ihm eine Falle gestellt hat: Ob er wohl das Fläschchen Kokain findet, das in die Unterseite der Matratze von Allis Bett gestopft wurde? Jack findet es, doch nur Nina Miller, eine weitere Secret-Service-Agentin, verrät ihm, dass es ein Test war.

Die erste Spur, die Jack findet – Garners hochtechnisierter Ermittlungsapparat findet nichts – sind die beiden Einstiche in den toten Secret-Service-Mitarbeitern. Er findet sie im Autopsieraum seines guten Freundes Egon Schiltz, dem Gerichtsmediziner dieses Distrikts von Washington, D. C. Die Einstiche stammen von einem sehr dünnen, gekrümmten Messer, das bei Konditoren als ‚Panetta‘ bekannt ist und zum Glattstreichen einer Glasur dient. Es wurde extra spitz zugefeilt.

Das Panetta wurde schon einmal in Jacks Leben verwendet, vor 25 Jahren, als sein Mentor Augustus, ein Pfandleiher und Leiter eines Informationsnetzwerks, im Schlaf ermordet wurde. Gus und dessen Freund, Reverend Myron Taske, brachten Jack, der wegen einer Leseschwäche (Dyslexie) stets verunsichert ist, das Lesen bei – und wie man sich in einem Schwarzenvorort behauptet, wo die Verbrechensrate wesentlich höher liegt als im Rest der Hauptstadt.

Der Verdacht des Secret Service, sagt Nina Miller, richtet sich nun gegen eine neue antikirchliche Bewegung, die als NAS bekannt ist: Neue Amerikanische Säkularisten. Diese Bewegung ist dem scheidenden Präsidenten ein Dorn im Auge, den sie lehnt seine Koalition aus christlichen Fundamentalisten und dem militärisch-industriellen Komplex (ein Begriff Präsident Eisenhowers) als repressiv und antidemokratisch ab. Was diese ja auch ist. Der alte Präsident will hingegen die NAS als Brutstätte einheimischer Terroristen brandmarken, die als Zweite Aufklärung oder A-Zwei bekannt sind. Er beauftragt seinen Heimatschutzminister Dennis Paull mit den notwendigen Schritten, bevor er nach Moskau aufbricht, um dort Präsident Yukin Feuer unterm Hintern zu machen. Er ahnt nicht, dass Paull ein Verbündeter Carsons ist …

Jack ist ein Agent mit jahrelanger Erfahrung, und politische Verdächtigungen sind nicht sein Ding. Statt dessen hält er sich an konkrete Spuren. Zusammen mit Nina Miller begibt er sich ins Dickicht unter der hohen Umgrenzungsmauer, die das College Langley Fields umgibt. Nina wundert sich, was Jack hier will. Aber er braucht nur ein paar Ziegel aus der Mauer zu ziehen, und schon wird ein schmaler Pfad durchs Unterholz erkennbar.

Nina folgt Jack auf diesem Pfad durch alle Dornen und Brombeergestrüppe, bis sie endlich auf eine kleine Lichtung gelangen. Hier hat Emma einmal einen unbekannten Mann getroffen, und Jack, der ihr heimlich gefolgt war, entdeckte sie dort. Danach war die ertappte Emma stinkwütend auf ihn. Teenager! Jack schaut sich um und sein Blick fällt auf einen Flecken frische Erde unter einem großen Baum. Bingo!

Als er in dieser Erde gräbt, kommt ein grausiger Fund zutage: die abgetrennte Hand eines Mädchens. Ist es die von Alli, befürchtet er. Denn an einem Finger steckt ein Collegering, den Jack gleich wiedererkennt: Auch seine Tochter Emma trug so einen. Wow, meint Nina. Genau, meint Jack. Ein hübsches Präsent für seinen guten Freund Egon Schiltz. Am besten übergibt er ihm die Hand gleich zum Mittagessen. Egon Schiltz ist zum Glück ein Mann mit Humor …

_Mein Eindruck_

Lustbader hat einen neuen Helden erfunden. Jack McClure hat eine Schwäche: Er kann nur mit Anstrengung lesen. Aber genau diese Schwäche verleiht ihm auch eine einzigartige Stärke: Er kann tausendmal schneller denken, um Fakten zu einem sinnvollen Bild zusammenzufügen, als handle es sich um einen Rubikwürfel. Und diese Fähigkeit rettet ihm mehr als einmal das Leben. Eine weitere Schwäche ist die „Schuld“ an Emmas Tod. Doch die Stärke, die sich daraus ergibt, ist sein Einfühlungsvermögen in andere junge Frauen. Und dies rettet Alli Carson das Leben.

Wie Nicholas Linnear oder Jason Bourne ist auch Jack McClure ein Außenseiter, der anders als alle anderen ist. Der Außenseiter stellt die üblichen Werte infrage, die von der Mehrheit propagiert und vertreten werden. Die amerikanische Gesellschaft, die vom aktuellen (namenlosen) Präsidenten seit acht Jahren geführt wird, ist christlich-fundamentalistisch geprägt und duldet keine Außenseiter. Deshalb hat sie in Jacks Augen selbst ihr eigenes Gegenteil erzeugt, nämlich die atheistische Bewegung NAS. Jack kommt immer wieder in Kontakt mit den Vertretern der NAS, aber auch mit anderen Atheisten und Nihilisten. Es selbst glaubt zwar auch nicht an einen allmächtigen Gott, doch an Loyalität und Freundschaft.

Seine Werte führen ihn nicht nur auf Kollisionskurs mit dem Entführer Allis, einem ganz besonderen Serienmörder, sondern auch mit den Vertretern der aktuellen Politik, allen voran Hugh Garner und seinen Mitarbeitern. Als Garner die Foltermethode des Waterboardings anwendet und sich genauso gnadenlos, wie ein Mafiaboss aufführt, schreitet Jack und bereitet dem Spuk ein Ende. Nur sein Schutz durch den designierten Präsidenten bewahrt seine Karriere vor einem abrupten Ende.

In mehreren Rückblenden, die Lustbader vor 20 Jahren noch separat eingeführt hätte, erfahren wir kapitelweise mehr von Jacks Jugend und Werdegang. Der Pfandleiher Gus und Reverend Myron Taske wohnen in einer Gegend, wo jetzt auch Jacks eigenes Haus steht: in einem Schwarzenvorort, in den sich seine Frau Sharon einfach nicht trauen will. Dabei kennt Jack das Viertel wie seine Westentasche. Hier hat er selbst zwei Menschen umgebracht – den Bandenführer Andre und den Gangster Cyril Tolkan, den er irrtümlich für den Mörder von Gus hielt. Wie diese Taten herbeigeführt werden, ist sehr spannend (im Präsens) geschildert.

Jack ist also durchaus zu harter Action fähig, wenn es darauf ankommt. Wir alle führen ein geheimes Leben – das ist eine Standardzeile, die mindestens zehnmal im Buch auftaucht. Als er dies über Emma erfährt, ist er verletzt: Was konnte ihm seine Tochter nicht anvertrauen? Wer war der Mann, den sie im Wald hinter dem Internat traf?

Es ist natürlich unvermeidlich, dass die Suche nach Alli auch eine Suche nach Emma und Jacks eigener Vergangenheit ist. Viele Rechnungen sind noch offen, viele Fäden nicht abgeschlossen. All dies geschieht jedoch erst im letzten Drittel des Buches. Doch selbst als Jack die gesuchte Alli gefunden hat, bedeutet dies noch lange nicht, dass die Gefahr vorüber ist. Denn erstens läuft der Serienmörder noch frei herum und zieht weitere Jüngerinnen heran, die ihm hörig sind. Und zweitens folgt der eigentliche Höhepunkt der Handlung im Moment der Amtseinführung des neuen Präsidenten. Das macht uns schon der Prolog klar, der uns Alli zeigt, als sie eine sehr gefährliche Handlung vorbereitet …

Ich fand, dass Lustbader diesmal die menschliche, ja familiäre Komponente der geschilderten Welt zu stark betont. Aber man muss Jack McClure nehmen wie er ist: ein Vater und Gatte, der in beiderlei Hinsicht schwer verletzt wurde. Ihm steht eine Politmaschinerie aus Intrigen, Ideologie und Informationsdiensten wie CIA und NSA gegenüber, die drohen, ihn zu Hackfleisch zu verarbeiten. Dennis Paull steht auf dieser Seite im Mittelpunkt. Dieser Teil der Handlung erinnert stark an gewisse Szenen aus den Jason-Bourne-Romanen.

Anders als Jason Bourne sieht sich jedoch Jack McClure ständig mit Werten konfrontiert, die er infrage stellen muss. Nur so kann er es überhaupt mit dem Serienmörder aufnehmen, der sich Ian Brady nennt und sich als Gehirnwäscher ersten Ranges betätigt. Auch an Alli Carson …

_Die Übersetzung _

Die Übersetzung liest sich flüssig und klingt natürlich. Doch der Übersetzer hat eine merkwürdige Schwierigkeit mit der korrekten Kommasetzung. Nach dem Motto „Lieber ein Komma zu viel als eins zu wenig“ streut er ein Komma gern mal da ein, wo keines hingehört.

So etwa auf S. 109: „Ich hatte eigentlich gedacht, dass der tragische Tod von Emma [,] dir gezeigt hat …“ und auf S. 179: „dafür, Edward Carson [,] diese großartige Neuigkeit mitzuteilen?“ Auch auf S. 342 ist das Komma recht überflüssig: „Bis dahin[,] dürfte er sich wieder halbwegs menschlich fühlen.“

Auch falsche Kasus-Endungen (S. 175) und fehlende Buchstaben (S. 173) bzw. zu viele Buchstaben sind zu finden: „Es gibt kein machtvolleres Gebäude in der Welt als den Glauben[s].“ (S. 317) Sowie auf S. 427: „Der Schatten b[e]reitete sich über Alli …“

_Unterm Strich_

Man könnte stark vereinfach sagen, dass Lustbader in „Die Ungläubigen“ die Tugenden seiner Nicholas-Linnear-Romane mit den Vorzügen der Jason-Bourne-Thriller kombiniert, um dem modernen Massengeschmack besser zu bedienen. Dennoch merkt man auf jeder Seite, dass es sich um ein Buch von einem der Großmeister des Thrillers handelt.

Zahlreiche literarische Anspielungen, Musikzitate (viel Blues), wunderbare Beschreibungen der Naturvorgänge und schließlich der Werdegang des jungen Helden – kein anderer Thrillerautor (ich kenne nicht alle) zeigt seine Handschrift in diesen Elementen so deutlich wie Lustbader. Allerdings: Wer Action sucht, sollte sich an Lustbaders BOURNE-Romane halten. Jack McClure kann zwar auch zuschlagen, doch das passiert reichlich selten.

|Outsider|

Der Autor bedankt sich explizit bei Colin Wilson für dessen Sachbuch „The Outsider“ aus dem Jahr 1956. Manchmal lesen sich gewisse Passagen wie Auszüge aus Wilsons Thesen. Diese Passagen sind zum Glück nur sehr kurz. Aber Jack McClure wirkt wie eine Inkarnation des Outsiders. Und sein Kontrahent Ian Brady schafft aus solchen Outsidern Terroristen. Man sieht also, dass Lustbader keineswegs das Lob des Outsiders singt, sondern die Figur neu bewertet.

|Meine Lektüre|

Ich habe das Buch in nur drei Tagen verschlungen. Es ist ungemein spannend, originell in seinen genau gezeichneten Figuren und unvorhersehbar in seinen Finali. Dennoch erscheint manche Elemente, besonders in der Politmaschinerie, zu klischeehaft, so etwa die Skrupellosigkeit der Politiker, insbesondere des Präsidenten. Auch „Men in Black“, also Angehörige der supergeheimen Geheimdienste wie NSA oder DHS, gibt es in rauen Mengen, und meist weiß Jack nicht, auf welcher Seite sie gerade stehen. Jedenfalls meist nicht auf seiner.

Andererseits ist das Buch eine kritische Auseinandersetzung mit den acht Jahren der Administration von George W. Bush, auch wenn dieser nie dem Namen nach genannt wird. Und anders als Barack Obama ist der Nachfolger Carson kein Demokrat, sondern ein liberaler Republikaner, falls es so etwas geben kann. Lustbader macht stets klar, dass sein Buch eine Fiktion ist und daher nie mit der historischen Realität verwechselt werden sollte. Allerdings sind die Parallelen zu Bush so unübersehbar, dass das Wegsehen schwerfällt.

|Die Gläubigen |

Der deutsche Titel ist recht treffend gewählt. Der noch amtierende Präsident hat Amerika in eine Theokratie verwandelt, einen Gottesstaat. Natürlich wird gegen dieses Extrem auch extrem reagiert, nicht zuletzt auch durch Emma und Alli. Doch der Präsident betrachtet alle Andersdenkenden als „Ungläubige“, und die gehören ausgemerzt. Allis Entführung ist ihm ein willkommener Vorwand, gegen die Säkularisten vorzugehen.

Jack selbst steht auf keiner Seite, ist wohl eher als Humanist einzustufen. Anhand seiner Jugend verstehen wir auch, aus welchen Gründen er keinen Glauben außer an den Menschen an sich hat. Jack bekommt es mit zahlreichen Heuchlern zu tun, die nur so tun, als wären sie gläubig: Sie gehen sonntags in die Kirche, um dann als Drogenhändler oder Ehebrecher tätig zu werden.

Deshalb ist für diesen gedanklichen Überbau so elementar wichtig, den „Mentor“ von Emma, Alli und anderen Mädchen kennenzulernen, zu stellen und unschädlich zu machen. Dumm nur, dass er ein supergeheimer Regierungsagent ist. Sein Deckname „Nightwing“ ist sehr treffend gewählt. Als Jack ihn endlich aufstöbert, bekennt sich Nightwing zum absoluten Nihilismus. Er ist der ultimative Outsider. Aber als Mentor hat er viele Jüngerinnen geschaffen und auch sie zu Outsidern gemacht, optimal geeignet als Terroristinnen. Sobald Jack dies erkannt hat, ahnt er, in welcher Gefahr der neue Präsident am Tag seiner Amtseinführung schwebt.

Am Schluss stellt sich der Leser die Frage, ob Jack McClure seine persönliche Erlösung vom Trauma des Todes seiner Tochter finden kann. Aber ob dieser Wunsch in Erfüllung geht, soll hier nicht verraten werden. Vielleicht müssen wir dafür auf die Fortsetzungen warten. Es gibt inzwischen drei davon.

|Taschenbuch: 528 Seiten
Originaltitel: First Daughter (2008)
Aus dem US-Englischen von Robert Brack
ISBN-13: 978-3453434240|
http://www.heyne.de

_Eric Van Lustbader bei |Buchwurm.info|:_
[„Der Ring der Drachen“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=254
[„Der dunkle Orden“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1017
[„Schwarzen Schwert“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1041
[„Der Weiße Ninja“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1042
[„Drachensee“ (Sunset Warrior 5)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1043
[„Der Ninja“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=2542
[„Testamentum“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3967
[„Der Kiasho“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4041
[„Okami“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4078
[„Schwarzer Clan“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4123
[„Das Borne-Vermächtnis“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5355
[„Der Bourne-Betrug“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5537
[„Das Borne-Attentat“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6125
[„First Daughter“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6464

Lustbader, Eric Van – Robert Ludlum\’s The Bourne Dominion (Jason Bourne 9)

_Die |Bourne|-Serie:_

1) Die Bourne-Identität (The Bourne identity)
2) Das Bourne-Imperium (The Bourne Supremacy)
3) Das Bourne-Ultimatum (The Bourne Ultimatum)
4) [Das Bourne-Vermächtnis]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5355 (The Bourne Legacy; von Eric Lustbader)
5) [Der Bourne-Betrug]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5537 (The Bourne Betrayal; von Eric Lustbader)
6) The Bourne Sanction / [Das Bourne Attentat]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6125 (von Eric Lustbader, 2008)
7) The Bourne Deception / Die Bourne-Intrige (von Eric Lustbader, Veröffentlichung 2009)
8) The Bourne Objective / [Das Bourne-Duell]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7652 (von Eric Lustbader, Veröffentlichung 2010)
9) _The Bourne Dominion_ (von Eric Lustbader, 2011)
10) The Bourne Imperative (von Eric Lustbader, 2012)

_Der Schattenkrieger_

Eine mächtige internationale Organisation schickt sich an, der amerikanischen Wirtschaft einen vernichtenden Schlag zu versetzen. Doch zuvor muss der Mann beseitigt werden, der ihr als Einziger gefährlich werden kann: Jason Bourne. Ausgerechnet Bournes russischer Freund Boris Karpow wird auf den amerikanischen Topagenten angesetzt. Findet Karpow einen Weg aus der tödlichen Zwickmühle? (Verlagsinfo)

_Handlung_

Die weltumspannende Geheimorganisation Severus Domna ist immer noch hinter Jason Bourne her. Denn er ist der Mann, der sie um einen sagenhaften Goldschatz betrogen hat, mit dem sie das westliche Währungssystem zerstören wollte. Nun wählt sich Benjamin el-Arian, der Leiter der Gruppe, ein neues Ziel aus: die strategischen US-Ressourcen an seltenen Erden, die in Kalifornien entdeckt wurden. Gelingt es ihm, diese Vorräte zu zerstören, könnten die Amerikaner keine Mobiltelefone, Tablet-PCs und Hightech-Waffen mehr bauen – sie müssten die Chinesen um diese Rohstoffe bitten, die bislang 97 Prozent der Vorräte kontrollieren und sie künstlich verknappen.

Während Benjamin el-Arian eine weitere, gut getarnte Attentäterin auf den Weg schickt, begegnet Bourne im Camp eines kolumbianischen Drogenlords einem Mann, dem er Schlimmes angetan hat: Jalal Essai. Ihm gehörte der Laptop, der brisante Informationen über Severus Domna und deren Pläne enthielt und den er für Alex Cross, den Treadstone-Chef, stahl. Dabei verletzte Bourne ein muslimisches Gebot. Inzwischen aber hat sich Essai von Severus Domna losgesagt, weil diese ihm seine Tochter geraubt haben, und will sich widerwillig mit Bourne verbünden. Sein Ziel: Rache. Als erste Leistung verrät er Bourne, wen die Agenten el-Arian auf Bourne angesetzt haben: seinen guten Freund Boris Karpow.

Erst kürzlich zum Chef des mächtigen russischen Sicherheitsdienstes FSB-2 ernannt, verdankt Boris Karpow seinen Aufstieg der Führungsspitze von Severus Domna. Doch er ist dafür einen Pakt mit dem Teufel eingegangen, wie sich zeigt, mit seinem Kollegen Cherkesow. Dieser verlangt im Gegenzug von Karpow das Unvorstellbare: Er soll seinen Freund Jason Bourne eliminieren. Karpow ist bestürzt und wendet sich an seinen ältesten Freund und Mitkämpfer. Iwan Wolkin rät ihm herauszufinden, was ein Test ist und was ein Opfer.

Die Wege von Bourne und Karpow kreuzen sich in der Altstadt der syrischen Hauptstadt Damaskus. Kann Bourne dem Russen, dem er einst das Leben rettete, noch trauen? Und findet Boris Karpow einen Weg, sich aus der tödlichen Zwickmühle zu befreien? Ihnen bleibt nicht viel Zeit, denn schon bald sehen sie sich mit ihren größten Widersachern konfrontiert.

|Unterdessen|

Christopher Hendricks ist der neue Verteidigungsminister der USA und hat klammheimlich das ehemalige CI-Programm „Treadstone“ reaktiviert. Die einzigen beiden Agenten, die ihm zur Verfügung stehen, sind allerdings bislang nur die beiden geschassten CI-Agenten Soraya Moore, Jason Bournes Busenfreundin und Peter Marks, ein exzellenter Computerermittler.

Der US-Präsident betraut Hendricks damit, die Security für Indigo Ridge, die kalifornische Mine für Seltene Erden, aufzubauen und zu leiten. Was Hendricks verwundert, ist der Umstand, dass die Firma NeoDyme, die diese Mine vermarktet, an der Börse derartig viel Erfolg hat, obwohl man vom Vorleben ihres Direktors Roy FitzWilliam wenig weiß. Als er Peter Marks auf FitzWilliams ansetzt, wird Peter um ein Haar Opfer einer Autobombenexplosion, gleich darauf wird er entführt. Nur Jason Bournes Freunde Tyrone und Deron können ihn vor einem höchst unerfreulichen Ende bewahren.

Nichtsahnend freundet sich Hendricks unterdessen mit seiner neuen Gärtnerin an. Diese Maggie Penrod ist bezaubernd, und da er noch immer seiner verstorbenen Frau Amanda nachhängt, fühlt er sich auf einmal recht einsam. Kann Arbeit allein ein Leben ausfüllen, fragt er sich? Wohl kaum. Zum Verdruss seiner Leibwächter trifft er sich mit Maggie immer öfter. Und zudem setzt sie ihm einen Floh ins Ohr: Er solle die Security von Indigo Ridge doch dem neuen CI-Direktor Danziger überlassen, denn der werde sich damit schon bald bis auf die Knochen blamieren. Doch Hendricks ahnt nicht, dass Benjamin El-Arian „Maggie“ geschickt hat, um Hendricks erst bloßzustellen und dann zu eliminieren …

|Paris|

Soraya Moore lebt auf Alarmstufe Rot: Einer ihrer Kontakte in Paris wurde ermordet. Um herauszufinden, wer dahinter steckt, arbeitet sie erst mit einem jüdischen Inspektor zusammen, dann, als die Spur in die arabische Welt weist, mit ihrem ehemaligen Geliebten Amun, dem Chef des ägyptischen Geheimdienstes. Sie hätte es besser wissen sollen, als einen Juden und einen Araber Seite an Seite zu engagieren. Sie gehen sich um ein Haar gegenseitig an die Gurgel.

Doch der Auftrag ist zu wichtig. Er führt direkt zur Tarnorganisation The Monition Club von Severus Domna, die von El-Arian geleitet wird. Monsieur Donatien Marchand scheint harmlos genug, doch als Amun eine Wanze in dessen Büro anbringt, belauschen sie, wie er einen Mord in Auftrag gibt – und das Ziel sollen sie und ihre beiden Mitarbeiter sein. Als sie Marchand in einen völlig von Arabern bewohnten Vorort folgen, tappen sie direkt in eine tödliche Falle …

_Mein Eindruck_

Dieser Band von Bournes Abenteuern führt einige Fäden, die mit Severus Domna zu tun haben, zu ihrem Ende. Die uralte Geheimorganisation der Römer sollte ursprünglich Okzident (Severus) und Orient (Domna) zusammenführen. Doch unter dem Angriff einer russischen Untergrundorganisation namens Almaz entschloss sich ihr Leiter, Benjamin El-Arian, sich mit einem scheinbar gemäßigten Muslimführer namens Semid Al-Qahhar zusammenzutun. Das war ein schwerer Fehler, denn Semid ist in Wahrheit ein islamistischer Terrorist, der versucht, Severus Domna für seine Zwecke zu missbrauchen. Und diese Pläne sehen den Sturz des Amerikanischen Imperiums vor. Daher sein geplanter Angriff auf Indigo Ridge.

Diese Mine für Seltene Erden, die für neuartige Waffensysteme strategische Bedeutung haben, muss um jeden preis geschützt werden, geht es nach dem US-Präsidenten. Deshalb die Zentrale von Chris Hendricks, dem Verteidigungsminister, und seiner neuen Geliebten Maggie Penrod alias Skara Noren. Wie schon so häufig in Lustbaders Romanen wird die Liebe selbst dem entschlossensten Krieger zum Verhängnis, wenn er in dieser Hinsicht einen wunden Punkt aufweist. Und Hendricks hängt immer noch der verblichenen Amanda nach – dies ist seine Achillesferse. Und Skara nutzt sie weidlich aus, indem sie ihn überredet, die Security für Indigo Ridge abzugeben.

Jason Bourne hat Skaras Mutter ermordet. Es war ein Auftrag Treadstones und ein völlig sinnloser Racheakt von Alex Conklin dafür, dass Cristien Noren in töten wollte, Skaras Vater. Skara hat zwei Zwillingsschwestern. Mikaela wollte das Geheimnis um ihren verschwundenen Vater lüften und kam dabei um, doch Kaja hat überlebt, indem sie nach Kolumbien ging. Hier lebte sie fünf Jahre mit einem Mann der Severus Domna zusammen – bis er abtrünnig wurde. Jason Bourne rettet das Paar und bringt es zu Don Fernando Herrera ins spanische Cadiz. Nun erfährt er erstmals von dem, was seine Tat, an die er sich krampfhaft zu erinnern versucht, angerichtet hat. Doch weil Kaja nicht weiß, wo Skara ist, kann er Treadstone 2.0 nicht vor ihr warnen. Und so tappen Treadstones neuer Herr Chris Hendricks ebenso wie dessen Mitarbeiter Peter Marks und Soraya Marks in tödliche Gefahr.

Durch Jalal Essai weiß Bourne, dass sein Freund Karpov von Severus Domna angestiftet worden ist, ihn zu töten. Alle Wege führen nun zum östlichen Hauptquartier dieser Organisation: Es liegt in der Altstadt von Damaskus. Mehrere Showdowns, einer gewalttätiger als der vorhergehende, reihen sich crescendoartig aneinander, bis eine gewaltige Explosion die syrische Hauptstadt erschüttert. (Ein Vorausverweis auf den aktuellen Bürgerkrieg?) Unterdessen geht auch in Paris die Ermittlung Soraya Moores auf die Zielgerade…

Wie man sieht, ist für jede Menge Spannung, Intrige, Romantik und verdammt viel Action gesorgt. Aus Sicht des amerikanischen Lesers ist der ungewöhnlichste Aspekt an den Bourne-Büchern, dass sie fast durchweg im Ausland spielen, den Leser also an die exotischsten Orte führen. Um dieses Szenario zu genießen, ist seitens des Lesers ein Bildungsniveau erforderlich, das weit über das der Oberschule hinausgeht. Auch der Einsatz von Hightech ist in den Bourne-Romanen extrem hoch, so dass auch hier die Kenntnisse auf hohem Niveau sein sollten. Andererseits weiß heute jeder PC-User, was ein USB-Stick, eine DVD und eine Webcam ist.

|Cliffhanger|

Durch ständige Cliffhanger wird der Leser erfreulicherweise dazu angehalten, weiterzublättern, um herauszufinden, wie es mit dem jeweiligen Erzählstrang weitergeht. Es wechseln sich ungefähr drei bis Stränge ab: Bourne, Soraya, Karpov und Hendricks, Hier und da gibt es noch eine Nebenfigur, an deren Gedanken, Meinungen und Vergangenheit wir teilhaben dürfen. Die bei Weitem interessanteste Nebenfigur ist Skara Noren. Sie hat nämlich laut ihrer Schwester Kaja nicht nur eine Persönlichkeit, sondern gleich sechs verschiedene. Deshalb eigne sie sich ja auch so gut als Agentin und Attentäterin.

|Multiple Persönlichkeiten|

Das dissoziative Persönlichkeits-Syndrom ist keine Erfindung von Romanautoren, sondern eine medizinisch anerkannte Tatsache. Sie wurde schon den achtziger Jahren von Daniel Keyes in Romanen ausgeschlachtet, später dann von Jonathan Nasaw. Dann aber war die Idee ein wenig ausgelutscht. Wohl deshalb hält sich Lustbader in der Schilderung dieser Dissoziation sehr zurück.

Gut möglich, dass hier, wie im gesamten Manuskript zu merken, heftig gekürzt wurde (besonders auf S. 172/173 in der Orion-Ausgabe). So erfahren wir nie, wie die sechs Personas in Skaras Kopf heißen, worin sie sich unterscheiden, welche Vorteile ihr Einsatz bietet und welches Ende sie nehmen. Dies müssen wir erschließen. Und der Epilog gibt dazu die besten Anregungen. Skara war nämlich gar nicht Skara, und sie war auch nie Maggie Penrod …

|Action|

Mann liest die „Bourne“-Bücher ja vor allem wegen der Actionszenen, nicht etwa wegen der vielfach verschlungenen Intrigen. Auch im Kino ist Bourne der Kämpfer par excellence, und Matt Damon machte in allen drei bisherigen Filmen einen fantastischen Job. Ich kann zwar nicht zu erkennen, welche Kampfsportarten er alle kombiniert, weil ich ein Laie bin, der nur Judo kann, aber im Buch geht es definitiv karatemäßig zur Sache.

Und zwar stets mit tödlichen Folgen. Da werden reihenweise Genicke gebrochen, Kehlköpfe zerschmettert und Nasen eingeschlagen. Auch Boris Karpov ist in dieser Hinsicht keine Zimperliese. Wenn es Bourne dann doch mal trifft, ist das meist nur eine Fleischwunde. Und Soraya Moore – es ist ein Wunder, wie sie sich mit einer massiven Gehirnerschütterung auf den Beinen halten und den Feind in der Höhle des Löwen stellen kann. Peter Marks ergeht es keinen Deut besser. Doch er hat wenigstens einen Schutzengel.

_Unterm Strich_

Dies ist mittlerweile der sechste oder siebte BOURNE-Roman, so das man mit Fug und Recht von einer Serie sprechen kann. Der jüngste Roman „The Bourne Imperative“ erschien Sommer 2012. Da das Gesetz der Serie herrscht, sollte der Leser ein paar Dinge beachten. Er kann nicht einfach mit diesem Roman einsteigen, denn dann verstünde er nur Bahnhof. Es gibt weder ein Glossar, ein Personenverzeichnis, noch Fußnoten. Quer- und Zurückverweise sind die einzige Hilfe, die er bekommt.

|Mehr München-Bashing|

Zweitens erscheinen mehrere Schauplätze in regelmäßigen Abständen. Dazu gehören Washington, D. C., als Sitz von CI, Regierung und Treadstone. Aber auch München ist ständig vertreten: Es ist das Reich des Bösen. Ein Sündenpfuhl, in dem hirnlose Säufer Sauerkraut und Wurst mampfen. Sie werden von einer nahezu allgegenwärtigen Polizeitruppe beschützt, die unseren Helden, hier ist es Karpov, in Bedrängnis bringt – und stark an die Gestapo erinnert. Dabei sitzt der wahre Feind in der Münchner Moschee, von wo er ein Spinnennetz von hier ausgebildeten Terroristen dirigiert.

Nein, Bashing ist kein bayerischer Vorort von München, sondern die Spezialität des Autors. Sogar die Bank des Bösen heißt Nymphenburger Landesbank. Das München-Bashing ist absolut ernstzunehmen. Und wem dies nicht gefällt, sollte keinen BOURNE-Roman mehr von Lustbader mehr lesen.

|Zensiert?|

Dennoch hat mich auch dieser BOURNE-Roman außerordentlich gut unterhalten. Die Action gibt es massenweise, die Romantik kommt ebenfalls nicht zu kurz. Und wenn inzwischen der Sex und viel der Psychologie weggekürzt worden sind, so lag das sicher nicht an Lustbader, sondern am Verlag. So erging es ihm ja bei den deutschen, zensierten Ausgabe seiner Romane „Der Ninja“, „Die Miko“ und „Schwarzes Herz“.

Im Übrigen waren den (amerikanischen) Lesern die beiden ersten BOURNE-Romane von Lustbader zu lang, v.a. wegen der ausführlichen Psychologie- und Biografie-Passagen. Diese hat der Autor also gestrafft und führt sie nur noch skizzenhaft aus. So liest sich der Text nun sehr straff und flott. Man sieht also, dass auch Leser Zensur ausüben können. Über Twitter steht der Autor in ständigem Dialog mit seinen Lesern.

|Die Serie|

Im Epilog kommt das Gesetz der Serie wieder zum Tragen. Auch Jason Bourne hat nicht alles herausbekommen, was Severus Domna, Almaz, Treadstone und die Russen angeht. Dafür zwei schlaue alte Herren gesorgt, die inzwischen ihre eigenen Schäfchen ins Trockene gebracht haben. Der Kampf um Indigo Ridge, so scheint es, hat gerade erst begonnen. Und deshalb muss man sich sofort die Fortsetzung besorgen. Was ich natürlich sofort getan habe.

|Taschenbuch: 534 Seiten
ISBN-13: 978-1409121398|

_Robert Ludlum bei |Buchwurm.info|:_
[„Die Paris-Option“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1068
[„Die Ambler-Warnung“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3493
[„Das Osterman-Wochenende“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6841

Susan Price – Die Elfling-Saga

Der Elfling-Zyklus:

Band 1: „Der Erbe der Krone“
Band 2: „Das Heer der Toten“

Beide Romane in einem Band: „Die Elfling-Saga“

Nordische Action-Fantasy aus England

Er ist das Kind einer Frau aus dem Elfenreich. Aber er ist auch der Sohn eines Königs, und er fordert die Krone, die ihm nach altem Recht zusteht. Doch er hat nicht mit der Tücke der Priester gerechnet, die ihn „Teufelsbrut“ nennen. Denn sie behaupten, dass er keine Seele besitzt. (Verlagsinfo)

Die Autorin

Susan Price – Die Elfling-Saga weiterlesen

Frederik Pohl & Cyril M. Kornbluth – Eine Handvoll Venus

Das Narrenschiff Erde

In einer übervölkerten Welt soll ein Raumschiff Kolonisten zur Venus bringen. Die Fowler Schocken Werbeagentur hat dafür die Exklusivrechte und will das Unternehmen möglich profitabel einfädeln. Mitch Courtenay wird Leiter des Programms. Doch gemäß der Devise „Geschäft ist Krieg“ sieht er sich im Handumdrehen als Zielscheibe für mehrere Anschläge, denen er glücklich entgeht. Erst in der Antarktis erwischt ihn der Gegner – er landet ganz unten: unter den verachteten Konsumenten. Doch wer ist sein ominöser Gegner?

Die Autoren

Frederik Pohl & Cyril M. Kornbluth – Eine Handvoll Venus weiterlesen

Gruppe, Marc – Sherlock Holmes – Die Affenfrau (Die geheimen Fälle des Meisterdetektivs 5) (Hörspiel)

_|Die geheimen Fälle des Meisterdetektivs|:_

Folge 1: [„Im Schatten des Rippers“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7494
Folge 2: [„Spuk im Pfarrhaus“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7519
Folge 3: [„Das entwendete Fallbeil“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7519
Folge 4: [„Der Engel von Hampstead“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=8036
Folge 5: [„Die Affenfrau“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=8035

_Zwei Gnome – und eine behaarte Bestie!_

Zum Entsetzen von Mrs. Hudson stellen sich eines Abends unangemeldet die sicherlich außergewöhnlichsten Auftraggeber in der Baker Street 221 B ein, die dort je erschienen sind. Der Fall, den sie Sherlock Holmes zur Aufklärung übertragen, steht ihrem durchaus befremdlichen Aussehen in nichts nach … (Verlagsinfo)

Diese Fälle dieser neuen Holmes-Reihe wurden nicht von Sir Arthur Conan Doyle geschrieben, sondern alle von Marc Gruppe. Sie basieren natürlich auf den originalen Figuren, die mittlerweile Allgemeingut geworden sind.

_Der Autor_

Marc Gruppe ist der Autor, Produzent und Regisseur der erfolgreichen Hörspielreihe GRUSELKABINETT, die von Titania Medien produziert und von Lübbe Audio vertrieben wird. Genau wird dort erscheinen auch „Die geheimen Fälle des Meisterdetektivs“ meist im Doppelpack.

_Die Sprecher/Die Inszenierung_

|Die Rollen und ihre Sprecher|

Sherlock Holmes: Joachim Tennstedt (dt. Stimme von John Malkovich)
Dr. John H. Watson: Detlef Bierstedt (dt. Stimme von George Clooney u.a.)
Mrs. Hudson: Regina Lemnitz (dt. Stimme von Kathy Bates)
Nicodemus: Dirk Petrick
Prinzessin Marietta: Daniela Reidies
Zenora Pastrana: Susanne Tremper
Leonard: Matthias Keller
Elvira: Ingrid van Bergen
Valerie Hudson: Susanne Uhlen
Violet Hudson: Hildegard Meier
Mr. Sherman: Lothar Didjurgis
J. Marx: Rolf Berg
Frederick Trevis: Horst Naumann
Joseph Merrick: Patrick Wolff

Regie führten die Produzenten Marc Gruppe und Stephan Bosenius. Die Aufnahmen fanden in den Planet Earth Studios statt. Alle Illustrationen – im Booklet, auf der CD – trug Firuz Askin bei.

_Handlung_

Der Zirkus ist in London: Ein Marktschreier preist die verblüffenden Attraktionen der „Abnormitätenschau“ an, die heutzutage als Freak Show bekannter ist. Da gibt es die Siemesischen Zwillinge, die dickste Frau der Welt, Marietta, die lebende Teepuppe, und schließlich Julia Pastrana, die Affenfrau …

|Schrecken|

Sherlock Holmes und Dr. Watson hören ihre Wirtin Mrs. Hudson angstvoll aufschreien! Als sie endlich die Besucher ankündigt, bekommt sie vor angstvollem Keuchen kaum ein Wort heraus: „Zwei Gnome – und eine behaarte Bestie!“ Sie schlug ihnen die Tür vor der Nase zu. Nun, das ist kein konstruktiver Anfang, findet Holmes und spricht aus dem Fenster, um die Besucher, die vor dem Haus warten, hereinzubitten.

Mrs. Hudson protestiert vergeblich und kommandiert die Besucher folglich indigniert herum. Dr. Watson räuspert sich halb verlegen, halb erwartungsvoll. Tatsächlich: Zwei Gnome – und eine „behaarte Bestie“, genau wie Mrs. Hudson gesagt hat. Allerdings stellen sich Nicodemus, der Conferencier, und Marietta als Kleinwüchsige vor. Leonard hingegen bezeichnet sich als „Löwenmensch“, der ob seiner Körpergröße und üppigen Behaarung entfernt an den König der Tiere erinnert.

Sie beklagen den Diebstahl ihrer Affenfrau, denn ohne diese stünde ihre Truppe vor dem finanziellen Ruin. Sie war eine Mumie der berühmten Julia Pastrana, die anno 1860 zuletzt auftrat: Sie sah wie eine Mischung aus Frau und Gorilla. „Vermutlich Hypertrichose“, diagnostiziert Watson fachmännisch. Doch die Mumie ist von zwei unbekannten Männern gestohlen worden, wie Marietta gesehen hat. Sie brauchen sie zurück, soll das Schlimmste abgewendet werden.

|Vor Ort|

Der erste Weg führt Holmes aber nicht zum Zirkus, sondern ins örtliche Tierasyl. Hier lebt „die beste und hässlichste Spürnase von London“. Damit ist nicht etwa ein Doppelgänger gemeint, sondern Toby, ein Schnüffler auf vier Beinen. Toby soll sich schon bald als Gold wert erweisen.

Danach begeben sich Holmes und Watson an den Tatort. Es ist ein Zelt, in dem die Mumie der Affenfrau aufbewahrt wurde. Watson ist von der Pietätlosigkeit dieser Ausstellung immer noch angewidert. Die in die Zeltplane geschnittene Öffnung spricht Bände. Der Gestank an diesem Ort dürfte Spürnase Toby völlig ausreichen, den geraubten Gegenstand aufzuspüren.

Aber wer sind die Täter? Vielleicht weiß Zenora, die Schwester der Affenfrau, mehr darüber. Es wird eine unheimliche Begegnung …

_Mein Eindruck_

Die Viktorianer waren bekanntlich nicht weniger sensationsgierig als die heutige Generation. Sie reisten nicht nur zu exotischen Orten, brachten von dort Trophäen und Erinnerungen mit. Sie ließen auch Abnormitäten im Zirkus auftreten, und ein es gab wohl kaum einen Zirkus ohne Freak Show (der farbenfrohe, aber auch unheimliche Ursprung für einige wunderbare phantastische Romane).

Die Handlung stellt die beiden Affenfrauen Julia und Zenora mit überraschend vielen Details über deren Lebensläufe vor. Denn natürlich handelt es sich nur auf den Plakaten um „Schwestern“, doch die Herkunft von Julia und Zenora ist völlig unterschiedlich. Dieser Detailreichtum lässt Neugier aufkommen: Woher hatte der Drehbuchschreiber Marc Gruppe diese Informationen? Denn dass sie keineswegs aus der Luft gegriffen sind, belegen ja gerade die authentischen Details, die zu den bekannten Fakten über Wanderzirkusse in Europa passen.

Das Thema sind natürlich Menschen, die auf irgendeine Weise missgebildet oder sonst wie auffällig sind – Freaks eben. Doch es geht darum, wie man diese Abnormitäten behandelt. Meist werden sie lediglich als Objekte der Sensationslust betrachtet, doch dies wird den Menschen hinter der Freak-Fassade wohl kaum gerecht. Sie haben das Recht, als Menschen mit Würde betrachtet zu werden, fordert nicht zuletzt auch Dr. Frederick Trevis, der Holmes und Watson besucht.

Trevis‘ Besuch stellt eine überraschende finale Wendung dar. Denn in seiner Begleitung befindet sich eine der berühmtesten Missgeburten der Geschichte. Und ich werde hier nur verraten, dass Joseph Merricks Geschichte ausgezeichnet mit Anthony Hopkins und John Hurt verfilmt worden ist.

_Die Sprecher/Die Inszenierung_

|Die Sprecher|

Die Hauptfigur ist natürlich der Titelgeber himself. Joachim Tennstedt verleiht Sherlock Holmes eine flexible Janusköpfigkeit. Die erste Seite bekommen wir zu sehen, wenn Holmes recht abweisend zu Mrs. Hudson, der treuen Seele des Haushalts, ist. Das hält sie aber nicht davon ab, die Vorhänge aufzureißen und frische Luft in die Detektivsgruft zu lassen.

Die andere Seite Holmes‘ ist die des energischen Ermittlers, der sich auch verkleidet. Die Dritte ist die des freundlichen Verführers und Gentlemans – sie bekommen wir erst in späteren Folgen zu Gesicht, insbesondere im Tussaud-Fall. Wie bei John Malkovich können wir uns auf einen Facettenreichtum an Darstellungsformen freuen.

|Dr. Watson |

Die Figur des Dr. Watson ist in vielen Verfilmungen missrepräsentiert worden. Neben Basil Rathbone und Peter Cushing musste er den vetrottelten Stichwortgeber mimen. Er war der selbstgefällige Körper neben dem rastlosen, aber kranken Geist des Detektivs. Nicht so in dieser neuen Serie.

Detlef Bierstedts Stimme ist uns von George Clooney vertraut, daher kann er mit einer gewissen geliehenen Autorität auftreten, ganz besonders in allen medizinischen Belangen. Dennoch kommt er häufig über die Rolle des Stichwortgebers nicht hinaus. Holmes hat stets die Initiative. In Folge 3 wird Watson sogar als Aktenträger missbraucht. Doch auch er verfügt über einen Revolver und die Kenntnisse, diesen zu gebrauchen, besonders aus seiner Zeit in Afghanistan.

|Mrs. Hudson|

Regina Lemnitz als Mrs. Hudson zeigt sich stets hilfreich, mal energisch, mal als fühlende Seele, etwa bei ihrem Besuch im Wachsfigurenkabinett, bei dem sie unverhofft von Sherlock Holmes überrascht wird – dieses „Experiment“ ist sehr erfolgreich. Außerdem ist sie das moralische Zentrum jeder Folge. Alles, was Holmes & Watson tun, müssen sie nicht nur gegenüber Inspektor Abberline rechtfertigen, sondern vor allem vor ihrer Haushälterin. Sie würde sie sonst hochkant hinauswerfen. Regina Lemnitz als Mrs Hudson dürfte man für eine ganze Weile nicht so aufgeregt schreien und keuchen hören.

|Missgeburten|

Eine Mischung aus Affe und Frau spricht gewiss anders als eine ganz normale Frau. Dementsprechend hohe Ansprüche stellt die Darstellung an die Stimme des jeweiligen Sprechers. Susanne Tremper spricht die Zenora mit einer (für eine Frau) sehr tiefen, rauen Stimme. Patrick Wolff muss seine Stimme für die Rolle des Joseph Merrick ebenfalls eindrucksvoll verstellen. Am witzigsten ist sicherlich Daniela Reidies in der Rolle der Prinzessin Marietta: sehr hoch und piepsig.

|Tiere|

Hier hat Toby, die beste und hässlichste Spürnase von London seinen großen Auftritt: wuff! Er bellt kräftig, knurrt und lässt auch sonst einiges hören, was man von intelligenten Schnüfflern erwartet – äh, von vierbeinigen!

|Geräusche|

Die Geräusche sind genau die gleichen, wie man sie in einem realistischen Spielfilm erwarten würde, und die Geräuschkulisse wird in manchen Szenen dicht und realistisch aufgebaut. Statt der aus dem GRUSELKABINETT vertrauten Andeutungen setzt diese Reihe mitunter auf handfeste Splattereffekte. In dieser Episode sind jedoch eher stimmliche Künste gefragt, siehe oben.

|Musik|

Die Musik entspricht der eines Scores für einen klassischen Spielfilm, also nicht zwangsläufig für einen Horrorstreifen. Klassische Instrumente wie Violine, Cello und Kontrabass werden manchmal von elektronisch erzeugten Effekten ergänzt. Schnelle Musik deutet Dynamik und Dringlichkeit an, langsame Musik entspannt und immer wieder endet eine Szene in einem dramatischen Crescendo. Die Haupthandlung beginnt mit Jahrmarktklängen wie etwa einer Drehorgel – vielleicht sogar einem Orchestrion. Glöckchen usw. gehören ebenfalls zum Instrumentarium.

Musik, Geräusche und Stimmen wurden so fein aufeinander abgestimmt, dass sie zu einer Einheit verschmelzen. Dabei stehen die Dialoge natürlich immer im Vordergrund, damit der Hörer jede Silbe genau hören kann. An keiner Stelle wird der Dialog irgendwie verdeckt.

|Das Booklet|

Im Booklet sind die Titel des GRUSELKABINETTS verzeichnet sowie Werbung für den verstorbenen Künstler Firuz Askin zu finden. Die letzte Seite zählt sämtliche Mitwirkenden auf. Ein zweites Booklet listet sämtliche Titel von Titania Medien auf, und zwar auch alle Neuerscheinungen bis Mai 2012.

|Hinweise auf die nächsten Hörspiele:|

Nr. 64: Francis Marion Crawford: Der schreiende Schädel (Mai)
Nr. 65: Mary Elizabeth Braddon: Gesellschafterin gesucht (Mai)
Nr. 66 + 67: Lovecraft: Der Schatten über Innsmouth Teil 1+2 (9/12)
Nr. 68: W. Irving: Die Legende von Sleepy Hollow (10/12)
Nr. 69: W.H. Hodgson: Stimme in der Nacht (10/12)
Nr. 70: Robert E. Howard: Schwarze Krallen (11/12)
Nr. 71: M.R. James: Der Eschenbaum (11/12)

_Unterm Strich_

Der Reiz dieses „geheimen Sherlock-Holmes-Falles“ liegt weniger im Verbrechen als in den davon Betroffenen. Zahlreiche Rätsel umgeben den harmlos erscheinenden Diebstahl der titelgebenden Mumie. Das größte dieser Rätsel wird, wie es sich gehört, erst ganz am Schluss gelöst. Doch welche Rolle Joseph Merrick spielt, soll hier nicht verraten werden.

Wer also wie beim Fallbeil-Fall Entsetzen und Grusel sowie Action erleben will, für den eignet sich dieser Fall weniger. Ebenso wie in „Der Engel von Hampstead“ legt die Regie mehr Wert auf Psychologie, genaue Milieubeschreibungen (wie schon im Debüt über Jack the Ripper) und eine überraschende finale Wendung. Ein zweites Reinhören lohnt sich allein schon wegen der großen Fülle an Details, aber auch wegen der zahlreichen komödiantischen Szenen: Eine vor Furcht kreischende Mrs. Hudson – das gibt’s nicht jeden Tag.

|Das Hörspiel|

Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und bekannte Stimmen von Synchronsprechern und Theaterschauspielern einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen. Die Sprecherriege für diese neue Reihe ist höchst kompetent zu nennen, handelt es sich doch um die deutschen Stimmen von Hollywoodstars wie John Malkovich und George Clooney.

Auch jungen Menschen, die sich einfach nur für gruselige Audiokost interessieren, die gut gemacht ist, lässt sich das Hörspiel empfehlen. Es ist leicht verständlich, wirkungsvoll inszeniert, und die Stimmen der Hollywoodstars vermitteln das richtige Kino-Feeling.

|Audio CD mit 75 Min. Spieldauer
ISBN 9783785746431|

Home – Atmosphärische Hörspiele

deWitt, Patrick – Sisters Brothers, Die

_Das Sublime und der Horror_

Hermann Kermit Warm wird sterben. Sein Tod wurde von dem geheimnisvollen und mächtigen Kommodore befohlen, und die Brüder Charlie und Eli Sisters werden den Auftrag ausführen. Die beiden machen sich auf den Weg von Oregon nach Kalifornien, wo sie Warm aufspüren sollen. Ihre Reise durch den vom Goldrausch geprägten amerikanischen Westen wird allerdings immer wieder von bizarren und blutigen Begegnungen unterbrochen.

Zugleich zeigt sich, wie verschieden die beiden Brüder sind: Charlie ist ein eiskalter, skrupelloser Killer – Eli ein Grübler, der sich mit geradezu existenziellen Fragen beschäftigt. Er beginnt an seinem Beruf zu zweifeln – und an seinem Partner. Doch als die beiden schließlich in Kalifornien eintreffen, nehmen die Ereignisse eine höchst unerwartete Wendung … (Verlagsinfo)

_Der Autor_

Patrick deWitt wurde 1975 auf Vancouver Island in Kanada geboren. Er lebte unter anderem in Kalifornien, Washington und Oregon. Nach „Ablutions: Notes for a Novel“ ist „Die Sisters Brothers“ sein zweiter Roman. Er war für den „Man Booker Prize“ sowie den „Giller Prize“ nominiert, wurde mit dem Rogers Writers‘ Trust Fiction Prize, dem Ken Kesey Award und der Stephen Leacock Memorial Medal for Humour ausgezeichnet und von „Publishers Weekly“, der „Washington Post“ sowie der Canadian Booksellers Association zu den besten Romanen des Jahres gezählt. Patrick deWitt lebt heute mit seiner Frau und seinem Sohn in Portland, Oregon.

Mehr Informationen zum Autor und seinem Werk finden Sie unter [patrickdewitt.net]http:// patrickdewitt.net (Ohne Gewähr).

_Handlung_

Eli Sisters (der Erzähler) will den Mann, den man im Oregon-Territorium des Jahres 1851 den „Kommodore“ nennt, gar nicht sehen. Genug, dass sein Bruder Charlie mit dem Kerl redet, für den sie Leute umlegen. Meist handelt es sich um Menschen, die ihm Geld schulden. Bloß gut, dass Mutter nichts davon weiß. Sie würde ihnen die Leviten lesen. Charlie kommt zurück. Der neue Auftrag lautet, einen Mann namens Hermann Kermit Warm in San Francisco umzulegen. Und wieso? Warm habe dem Kommodore ein Geheimnis gestohlen oder vorenthalten oder was auch immer, meint Charlie. Jedenfalls ist die Bezahlung mal wieder fürstlich. Eli schwört sich, dass es ihr letzter Auftrag ist.

Vorsichtig bahnen sich die beiden Gunmen ihren Weg durch die Wildnis, die sich bis nach Kalifornien erstreckt, also durch Indianerland, das gerade von den Goldsuchern und Glücksrittern in Scharen durchquert wird. Immer wieder stoßen sie verwaiste Jungs, weinende Männer, ausgeraubt und mittellos. Aber auch auf eine Frau, die definitiv eine Hexe sein muss, denn sie belegt Eli mit einem Fluch. Sie entkommen Bären, schließen selber welche, gelangen schließlich nach Jacksonville und Mayfield, wo weitere Barone residieren.

In Mayfields Palast alias Bordell verliert Eli sein Herz an eine Schöne, die auf ihn warten will. Doch Charlie, den nichts schrecken kann außer ein tüchtiger Kater nach einer durchzechten Nacht, verhöhnt sein Bruderherz. Solche romantischen Flausen sollte er sich für später aufheben. Prompt müssen sie sich der Freunde der schönen Hure erwehren.

Schließlich erreichen sie die Stadt der Wunder. San Francisco wird von einem Wald verlassener Schiffe belagert, scheint es Eli. Die Schiffe ankern herrenlos in der Bucht. Sie suchen Morris, den Agenten des Kommodore, doch wie sich herausstellt, ist Morris übergelaufen. Sein Tagebuch verrät, was es mit dieser Wendung auf sich hat.

Demnach ist Hermann Kermit Warm ein Erfinder höchsten Grades. Sein Vater ist ein deutscher Einwanderer und war ein gescheiterter Uhrmacher. Der Sohn suchte sein Glück im Westen, im Gelobten Land, wo das Gold in den Bächen nur aufs Heben wartet. Doch anders als all die anderen Idioten mit ihren Sieben hat Warm eine industrielle Methode ersonnen, mit der sich ganze Seen voll Gold über Nacht vom Gold befreien lassen – mit Chemie!

Es ist diese chemische Formel, hinter der der Kommodore her ist, klarer Fall, denkt Eli. Und Morris, der Agent, muss auf Warms Idee hereingefallen sein, denn er hat offenbar Warms Expedition den Sacramento hinauf finanziert und ausgerüstet. Nun müssen sie schon fast in Indianerland angekommen sein. Die beiden Revolverbrüder machen sich auf den Weg, um die Goldsucherexpedition zu überfallen und Warm zur Rechenschaft zu ziehen.

Doch vor Ort verlaufen die Ereignisse völlig anders als erwartet. Denn der unbekannte Faktor ist eben jene chemische Substanz, deren Wirkung sich als verhängnisvoll erweist …

_Mein Eindruck_

Eli ist der melancholische Beobachter und Denker, der das unmotivierte Töten verabscheut und sich nur in Notwehr verteidigt – in der Regel. Charlie hingegen liebt das Schießen, kennt keine Angst, denn er weiß, dass er immer der Schnellere ist. Bis zu jenem verhängnisvollen Tag, an dem Charlies Schusshand verletzt wird. Von da ab verändert er sich auf für Eli nahezu unheimlich Weise. Auf einmal Eli zum Hüter seines Bruders. Das hat weitreichende Folgen.

In der Auseinandersetzung mit Warm und Morris hätte Charlie ohne sein Handicap sicherlich nicht gezögert, alle über den Haufen zu schießen, um kurzen Prozess zu machen. So aber beginnen die beiden Gunmen mit dem Mann, auf den sie angesetzt wurden, zu reden und erfahren, wie die Dinge in Wahrheit stehen.

Wieder einmal hat sie der Kommodore hinters Licht geführt, sie angelogen und ausgenutzt. Das Gefühl, keinen Deut besser zu sein als all die Gold suchenden Idioten in den kalifornischen Bergen, ist kein angenehmes, findet Eli. Er beschließt, sich der Unternehmung des deutschen Chemikers anzuschließen. Denn ein Mann, der ein gewisses Alter erreicht hat, muss an seinen Lebensabend und sein Auskommen denken, oder? Was wäre besser als ein See voller Gold? Und sobald er den geleert hat, wird Eli mit dem Auftraggeber abrechnen. Allerdings hat er die Rechnung ohne die Chemie gemacht …

|Kapitalismus|

Dies ist kein Öko-Western, no way, Mister. Der Roman schildert eine groteske Odyssee durch ein neues Eldorado, wo sich Gold- und Glückssucher die Zukunft mit den Baronen streitig machen, die wiederum Revolvermänner einsetzen, um ihren Willen durchzusetzen. Es ist eine Zukunft im Aufbau, aber was für eine. Es ist Raubtierkapitalismus in Reinkultur, der hier am Werk ist. Und wer nun an ungesicherte, ungezähmte Börsengeschäfte denkt, der sich wohl nicht verkehrt. Alle arbeiten sich in den Abgrund, und wen kümmert’s, wenn es links und rechts der eigenen Ellbogen Opfer gibt.

|Freunde|

Charlie ist einer voller Ellbogen, doch Eli, sein ungleicher Bruder, denkt darüber nach, was eigentlich passiert – und aus welchen Gründen. Hat eine Hexe sie beide mit einem Fluch belegt? Wer kann das schon genau sagen. Denn weit und breit gibt es keinen Priester, mit dem man darüber debattieren könnte. Gut möglich, dass Tub, das alte Pferd mit dem Hängerücken, der beste Freund in der Wildnis ist. Mit einer wahren Rosskur schafft es Eli, Tub zu einem verlängerten Leben zu verhelfen. Eli ist ja so was von sentimental und dämlich, findet sein Bruderherz.

|San Francisco|

Einer der Höhepunkte der Erzählung ist sicherlich das Kapitel über San Francisco. Wer jemals dort war, weiß, dass es dort Russian Hill und Chinatown gibt, die noch heute an Siedler aus aller Herren Länder erinnern. Anno 1851 ist alles im Aufbau, wird niedergebrannt, wieder aufgebaut, als gäbe es keine Zeit zu verlieren, und natürlich sind die Preise für alles und jedes, von der Hure bis zum Pferd, geradezu exorbitant im Vergleich zum Hinterland.

Auch hier behaupten sich die Brüder, als hätten sie es jeden Tag mit der lebenden Hölle zu tun. Allerdings sind sie froh, endlich herauszukommen und der Warm-Expedition zu folgen. Sie ahnen nicht, was sie erwartet, haben keinen Plan, aber sie sind entschlossen, das Beste draus zu machen. So ist es eigentlich bis heute, und die Republikaner predigen immer noch: „Starve the Beast – hungert die Regierung aus!“, als wären alle noch Pioniere an der Grenze zur Wildnis.

|Krisengewinn|

Mitte des 19. Jahrhunderts gab es eine weltweite Krise, die die USA ganz direkt zu spüren bekamen: Die Hungersnot in Irland brachte nicht nur etwa die Hälfte der Bevölkerung um, sondern trieb auch den Rest zur Auswanderung in die USA. Ende 1848 waren alle März-Revolutionen der reformwilligen Bürger gescheitert, die Reaktion der adeligen und besitzenden Stände hatte gesiegt. Politische und soziale Reformer (Heine, Börne und viele andere) wurden ins Exil nach Frankreich getrieben – oder gleich weiter über den Atlantik, wollten sie nicht im Kerker der Landesfürsten landen.

1849 platzte in diese Krisenstimmung die Nachricht von den Goldfunden in Kalifornien. Wie günstig also, dass die Vereinigten Staaten gerade den Krieg gegen Mexiko gewonnen hatten und ihr Staatsgebiet um ein Drittel erweitern konnten! Nun gehörte Kalifornien, vordem spanisch und mexikanisch, zum Staatsgebiet der USA. Dort gab es ungeheuere Pfründe zu verteilen, und die Landbarone konnten ihren Claim abstecken. Der „Kommodore“ und Mr. Mayfield, der eine eigene Stadt sei Eigen nennt, sind im Roman Beispiele dafür.

Die Handlanger dieser Barone sind Gunmen wie die Sisters Brothers. Die Ironie der Handlung besteht nun genau darin, die Stützen dieser Konstruktion als wacklig, illegitim und vorübergehend zu präsentieren – ein „Haschen nach Wind“, wie der Prediger Salomo schreibt. Folglich ist auch das Treiben der Sisters Brothers ohne jedes Fundament, ein reines Zuträgergeschäft, ein Leben von der Hand in den Mund. Am Schluss haben sie genau das Gleiche gewonnen wie alle anderen, denen wir im Buch begegnen: absolut nichts. Die Endstation heißt „Hotel Mama“. Immerhin: Sie haben überlebt. Wenn das kein Witz ist.

|Das Sublime|

Es gibt nur sehr wenige Augenblicke, in denen die Brüder eine höhere Ebene der Existenz und Erkenntnis erreichen. Einer davon ist das Tagebuch von Agent Morris. Der andere Moment ist jenes nächtliche Ereignis, als sich durch das Wunder der Chemie das Gold am Grund des Bibersees zeigt. Das ganze Wasser strahlt golden, als wäre die Sonne hineingefallen.

Doch wie man schon an den vielen dialektischen Wendungen oben gemerkt hat, folgt auf diesen Moment, in dem sich das Erhabene zeigt, der blanke Horror, verursacht ebenfalls durch die Chemie. Die Aussage ist ziemlich klar: Durch unsere Technologie – Chemie, Physik, Informatik – sind wir gleichermaßen in der Lage, die Welt in ein Paradies oder in eine Hölle zu verwandeln. Der Schlüssel zur Wahl, was wir wollen, liegt in uns selbst.

_Die Übersetzung _

Die sprachliche Leistung des Übersetzers Marcus Ingendaay ist schlichtweg superb. Sie hat mich immer wieder begeistert, besonders wenn der Stil genau jener nahezu antiken Zeit um 1850 angepasst ist. Die Menschen dachten anders als wir, folglich sprachen und schrieben sie auch ganz anders.

Die verschiedenen Stilebenen genau wiederzugeben, gelingt Ingendaay immer wieder mit verblüffender Detailgenauigkeit. Auf diese Weise wird jede Seite nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich und gedanklich zu einer Entdeckung. Die Druckfehler, die ich trotz allem fand, hielten sich sehr in Grenzen. Es handelt sich meist um falsche Endungen, also das Übliche.

_Unterm Strich_

Ich habe das Buch in einem Rutsch durchgelesen, also in wenigen Tagen. Nicht nur, dass die Kapitel kurz und die drei teile überschaubar sind, hilft bei der Bewältigung. Vielmehr sind es die ungewöhnlichen Szenen, mit denen der Autor an jeder Ecke aufwartet. Der Leser ahnt nie, was auf der nächsten Seite an grotesken oder makabren Wundern auf ihn wartet.

In der Mitte erfährt die Handlung, wie es sich gehört, eine unerwartete und fundamentale Wendung. Die Reise auf den Spuren Warms führt ins Ungewisse, wo keine der gewohnten Regeln mehr gelten und unerhörte Finge geschehen können. Es bleibt dem Leser nichts anderes übrig, als die Seiten in sich aufzusaugen. Eine Wendung jagt die Nächste, und was als packende Auseinandersetzung beginnt, wandelt sich unversehens zur Tragödie und von da zur Komödie.

Mit anderen Worten: Der Western ist ein literarisches Wunderwerk, und man muss kein Westernliebhaber wie ich sein, um seinen Gefallen daran zu finden. Allerdings seien zartbesaitete Gemüter eindringlich gewarnt: Schreckliche Dinge geschehen, und wer sich vor Blut und Gewalt fürchtet, sollte das Buch gar nicht erst aufschlagen.

|Gebunden: 352 Seiten
Originaltitel: The Sisters Brothers (2011)
Aus dem US-Englischen von Marcus Ingendaay
ISBN-13: 978-3442547005|
http://www.randomhouse.de/manhattan

Rönkä, Matti – Bruderland (Viktor Kärppä 2)

_|Viktor Kärppä|:_

Band 1: [„Der Grenzgänger“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7978
Band 2: _“Bruderland“_
Band 3: [„Russische Freunde“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7947
Band 4: [„Entfernte Verwandte“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7955

_Das Wiesel mausert sich zum Chefdiplomaten zwischen den Fronten_

Viktor Kärppä hat sein Auskommen: Er lebt von seinem kleinen Autobahnkiosk, geringfügigen Schiebereien und dann und wann sogar versteuerten Gelegenheitsjobs. Doch der launische Polizist Korhonen reißt ihn aus seiner Idylle heraus. Erneut ist ein Jugendlicher in Helsinki an verunreinigtem Heroin gestorben und Viktor soll herausfinden, wer das gefährliche Rauschgift nach Finnland schmuggelt. Widerstrebend und auf seine sehr eigenwillige Art macht er sich an die neue Aufgabe und gerät bald einmal mehr zwischen die Grenzen von legal und illegal, Polizei und Mafia, Finnland und Russland, Bruderhass und Familienzusammenhalt. (Verlagsinfo)

_Der Autor_

Matti Rönkä, geboren 1959 in Nord-Karelien, ist Journalist. Er hat sowohl in den printmedien als auch beim Radio gearbeitet und ist heute Chefredakteur und Nachrichtensprecher beim finnischen Fernsehen. Jeder Finne kennt ihn als „Mister Tagesschau“ – und als Autor sehr erfolgreicher Krimis. Rönka lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Helsinki. Er wurde mit dem Finnischen, dem Nordischen und dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet. (Verlagsinfo)

Für seinen ersten Roman „Der Grenzgänger“ wurde Rönkä sowohl mit dem „Deutschen Krimipreis 2008“ als auch mit dem finnischen Krimipreis 2006 ausgezeichnet. Der Autor erhielt außerdem den Nordischen Krimipreis 2007.

_Hintergrundinformationen _

Folgendes Wissenwertes berichtet der Autor in seinem Nachwort zu „Entfernte Verwandte“:

Auf mütterlicher Seite ist Viktor Gornojewitsch / Kärppä ein Karelier. Diese bilden ein eigenes Volk, dessen Sprache eng mit dem Finnischen verwandt ist. Nach dem finnischen Bürgerkrieg von 1917/18, der auf die Unabhängigkeit von Schweden folgte, flohen viele der unterlegenen „Roten“ vor den bürgerlichen „Weißen“ nach Russland. Hier wollten sie das Arbeiterparadies aufbauen. Während der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre kamen selbst Finnen aus den USA und Kanada hierher nach Karelien.

Auf der väterlichen Seite jedoch ist Viktor Ingermanländer. Diese siedelten in einem schmalen Streifen nordöstlich von St. Petersburg. Es sind Finnen, die im 17. und 18. Jahrhundert von den Schweden angesiedelt wurden, um die lutherische Kirche im Osten zu stärken. Rund 200.000 Finnen pflegten die finnische Kultur usw. Doch besonders zu Stalins Zeiten wurden Finnen verfolgt, in Lager gesteckt, Familien auseinandergerissen und Bevölkerungsteile in ferne Gegenden Russlands vertrieben.

Im 2. Weltkrieg eroberte die deutsche Wehrmacht Ingermanland, um Leningrad einzuschließen. Die dort lebenden menschen wurden nach Finnland umgesiedelt. Dort schlossen sie Ehen mit Finnen und adoptierten verwaiste Kinder. Ingermanländische Männer, die (1939/1940) in finnische Gefangenschaft geraten waren, schlossen sich der finnischen Armee (1941-45) an, wo sie „Stammesbataillone“ bildeten. Den Ingermanländern wurde insgeheim eine gesicherte Zukunft in einem „Großfinnland“ versprochen.

Nach dem verlorenen Krieg 1944 mussten allen Sowjetbürger zurück in die Sowjetunion, darunter an die 60.000 Ingermanländer mit zahlreichen Adoptivkindern. Manche blieben mit gefälschten Papieren in Finnland oder flohen nach Schweden. In der Sowjetunion wurden die Ingermanländer erneut zerstreut, doch vielen gelang es, sich in Russisch-Karelien, Estland oder Ingermanland niederzulassen. Nach 1990 erlaubte Finnland den Ingermanländern die Rückkehr nach Finnland. Etwa 30.000 Ingermanländer erlangten so die finnische Staatsangehörigkeit, doch sie sprachen kein Finnisch und waren entwurzelt. So erging es auch Viktor.

_Handlung_

Nach seinen Abenteuern in „Der Grenzgänger“ rackert Viktor wieder auf dem Bau, macht aber für Kumpel Karpow auch halblegale Sachen. Viktors Freundin Marja weil in den USA zu einem Studienaufenthalt, und sie finden beim Mailen heraus, dass sie einander fehlen. Als Brüderchen Alexej nach dem Tod der Mutter endlich eine Genehmigung zur Auswanderung bekommt, will auch der Neuzugang untergebracht und mit Arbeit versorgt sein. Der ehemalige Ingenieur wird erst einmal in einer Werkstatt eingestellt und erweist sich dort als Verkaufsgenie für Motoröl.

Alles scheint in Butter zu sein, als Teppo Korhonen von der Kripo auftaucht und Viktor ordentlich Feuer unterm Hintern macht. Wieder ist ein finnischer Junge an schlechtem Heroin verreckt, nun werden andere Saiten aufgezogen. Und da Viktor sowieso Korhonen noch einen Gefallen schuldig sei, könne er gleich mal anfangen, nach dem Importeur dieses Teufelszeugs Ausschau zu halten. Und wehe, es sind die Russen! Dann könne sich Viktor schon bald auf ein Donnerwetter gefasst machen. Viktor glaubt nicht, dass Alexej etwas damit zu tun hat. Oder doch?

Doch die Finnen sind nicht die Einzigen, die den Heroinimporteur suchen. Weil sowas die internationalen Beziehungen beschädigen könnte, sucht die Petersburger Unterwelt selbst nach den Konkurrenten in Helsinki. Viktor freut sich wenig über das Wiedersehen mit einem ehemaligen Kollegen aus der Spezialtruppen-Ausbildung in der alten Sowjetunion. Und Nazarjan ist begleitet von einem „Kühlschrank“ namens Gerasimow, der ebenso kalte Augen aufweist – ein Killer, wie er im Buch steht.

Da kommt auch ein Wiesel wie Viktor ins Frösteln. Er ruft bei Onkel Oleg in Petersburg an; wenige Tage später erhält er eine Einladung ins Allerheiligste der Petersburger Unterwelt. Dort schmiedet man große Pläne für die Zukunft Russland, und wolle Viktor dabei nicht in verantwortungsvoller Position mitmachen? Viktor konzentriert sich lieber auf das Naheliegende, nämlich auf die Suche nach dem Heroinimporteur. Als ein ihm vertrauter Name genannt wird, läuft es ihm eiskalt über den Rücken: Es ist ein guter Freund.

Doch als sich Viktor aufmacht, den Freund vor den Killern der Petersburger Mafia zu schützen, stellt er sich zwischen alle Fronten …

_Mein Eindruck_

Was sich schon im Debütroman „Der Grenzgänger“ angedeutet hat, wird in „Bruderland“ zur Spezialität ausgebaut: ein ehemaliger Russe, der aber eigentlich Finne ist (s. o.) wird zur Schachfigur, die sich im Spannungsfeld von Fremdenhass, Integration und biografischen Altlasten zu behaupten versucht. Mit der Finnin Marja hat Viktor die Chance, die Integration zu schaffen – obwohl Marjas Familie auch schön eigenwillig ist.

Vorbei ist es nun mit den literarischen Vorbildern Dashiell Hammett und Raymond Chandler, denn der Autor hat nun seinen eigenen Weg gefunden. Alle folgenden Krimis (siehe meine Berichte) passen in das oben gezeichnete Muster, das der Autor auf vielfältige Weise zu variieren weiß. Es eignet sich, um diverse soziale Brennpunkte kritisch ins Auge zu fassen. In „Bruderland“ sind es Heroinimporte, in „Grenzgänger“ waren es Produktfälschungen, Schmuggel und Menschenhandel.

Während der wie stets völlig durchgeknallte Kommissar Korhonen unserem helden das Leben schwer macht, kann er swich eines leisen Misstrauens gegen den eigenen Bruder nicht erwehren. Denn Alexej pflegt zwielichtigen Umgang mit Leuten, die selbst schwerbewaffnet auf eine feuchtfröhliche Feier gehen. In einer kritischen Situation bereinigt Viktors beherztes Eingreifen die Lage – und zugleich lernt er eine attraktive Frau mit dem verlockenden Namen Helena kennen. Es dauert aber nur Monate, bis die zu ihrem Ex zurückfindet, der Viktor als „Russen-Romeo“ abqualifiziert.

Ganz allmählich dreht der Autor den Spannungshahn auf. Zu den besten Sequenzen des Romans gehört zweifellos der Besuch in St. Petersburg. Viktor hat einige Zeit hier verbracht. Doch so prächtig die Bauten der Stadt an der Newa sind, die immerhin Putin und Medwedjew hervorgebracht hat, so zwielichtig sind die noblen Vertreter der Petersburger Unterwelt. Sie wollen ein neues Russland aufbauen, und ihr Sprecher weist ein Kleine-Jungen-Gesicht auf, das nicht allzu entfernte Ähnlichkeit mit dem des ehemaligen KGB-Offiziers Wladimir Putin aufweist. Man kann sich leicht ausmalen, in wessen Taschen die künftigen Reichtümer Russlands fließen sollen. Ohne Viktor!

Natürlich muss auch die eigentliche kriminalistische Handlung zu ihrem Finale finden. Ich darf verraten, dass der Autor einige explosive Momente bzw. Effekte aufzubieten weiß. Klare Botschaft: Es herrscht Krieg in Helsinkis Straßen. Doch wer der eigentliche Heroinimporteur ist, den Korhonen sucht, wird dabei eher Nebensache. Mehr darf nicht verraten werden, aber auch diese Identität dient dem Autor zu belegen, dass Finnland in Gefahr ist: von innen wie von außen. Die Frage ist, ob Leute wie Viktor Kärppä geeignet sind, diese Gefahren abzuwenden.

_Die Übersetzung _

Die Übersetzerin legt ein großes Gespür für die korrekte Wortwahl an den Tag, so dass der deutsche Stil meist ganz natürlich klingt, ganz besonders auf der Ebene der Umgangssprache. Stilistische und semantische Schnitzer wie in „Grenzgänger“ habe ich mir keine notiert. Aber es ist nicht einfach für den deutschen Leser, finnischen Sprachwitz nachzuvollziehen. Warum ist es beispielsweise lustig, dass Korhonen den Spitznamen „Teppo“ erhält, obwohl er korrekt „Terho“ heißt? Ein Glossar oder Fußnoten wären hilfreich gewesen.

_Unterm Strich_

Ich habe den gesamten Roman auf nur zwei Bahnreisen gelesen. Die Seiten lesen sich quasi wie von selbst, denn entweder sind die Szenen spannend oder schön schräg – was in Finnland ja recht einfach ist. Der Autor kennt seine Landsleute bestens und weiß ihre Eigenarten – in jedem Haus gibt es mindestens eine Sauna – durchaus amüsant zu würdigen. Ein oder zwei ordentliche Showdowns bilden schließlich das actionmäßige Sahnehäubchen, das den Leser zufrieden zurücklässt.

Diesen Krimi sollte man nicht unbedingt als ersten Kärppä-Roman lesen, denn sein Inhalt bildet nur eine (die zweite) Station in der chronologisch weiterentwickelten Biografie der Hauptfigur. Viktors Leben mit Marja, aber auch mit Alexej wird in den Folgeromanen enger, leider auch seine Bekanntschaft mit den Spionen in der russischen Botschaft zu Helsinki.

Weil eine ganze Reihe von Nebenschauplätzen eine Rolle spielen, könnten Zweifel aufkommen, ob es sich überhaupt um einen Krimi handelt. Aber die Form des Krimis hat sich in ihrer Tradition gewandelt, vor allem seit den Krimis von Sjöwall/Wahlöö um den schwedischen Kommissar Beck. Nun werden auch sozialpsychologische Missstände für würdig befunden, untersucht zu werden, und was könnte dafür eine bessere Bühne abgeben als ein klassischer Culture Clash? Finnen, Russen und drittens Leute wie Viktor, die irgendwo dazwischen stehen – hier trifft West- auf Osteuropa.

|Taschenbuch: 222 Seiten
Originaltitel: Hyvä veli, paha veli (2003)
Aus dem Finnischen von Gabriele Schrey-Vasara
ISBN-13: 978-3894255633|
http://www.grafit.de

Neuschaefer, Katharina – Vom Ende der Zeit – Ragnarök (Nordische Sagen 4) (Lesung)

_|Nordische Sagen|:_

Folge 1: [„Odin, der Göttervater“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7836
Folge 2: [„Die Erschaffung der Welten“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7748
Folge 3: [„Thor, der Donnergott“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=8000
Folge 4: _“Vom Ende der Zeit – Ragnarök“_

_Der Wolf rennt, der Drache fliegt: Endkampf um Asgard_

Nachtschatten, kein Mond, nur Finsternis liegt über den drei Welten. Das Unheil, das die Seherin lange vorhergesehen hat, ist nun eingetreten: Ragnarök, die Götterdämmerung hat begonnen. Die Kinder Lokis, des listigen Riesen, reißen sich los, der Wolf rennt, die Midgard-Schlange kommt an Land und Hel, die Totengöttin, sammelt auf ihrem wundersamen Schiff Naglfar alle dunklen Gestalten von Niflheim. Ihr Ziel ist Asgard. Möge es brennen!

Der Verlag empfiehlt die Lesung ab 7 Jahren.

_Die Autorin_

Katharina Neuschaefer studierte Musikwissenschaft und Germanistik und arbeitet als Radiojournalistin und Moderatorin bei Bayern 4 Klassik. Sie ist Autorin und Regisseurin zahlreicher Hörspiele und Musikgeschichten für Kinder. Für ihre journalistische Arbeit wurde sie mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Sie erzählt die altisländischen Edda-Sagen neu und bietet sie sortiert dar.

_Der Sprecher_

Peter Kaempfe studierte von 1974 bis 1978 Schauspiel in Hannover. 1980 gründete er die Theater-und Musikcompagnie „Pompoffel“ in Bremen und spielte von 1984 bis 1990 bei der Bremer Shakespeare Company. 1990 gründete er gemeinsam mit zwei Kolleginnen DAS TAB. Er lebt in Bremen und arbeitet als Schauspieler, Sprecher, Autor und Regisseur. Für Igel-Genius nahm Peter Kaempfe die Reihe „Griechische Sagen“ auf, dazu die Jury der hr-2 Hörbuchbestenliste: „Die Interpretation von Peter Kaempfe muss überragend genannt werden“. Seine Aufnahme der „Ilias“ wurde 2006 für den Deutschen Hörbuchpreis nominiert.

Produzent war Leonhard Huber.

_Handlung_

Es gab eine Zeit, da lebten die Götter, die Menschen und Elben, die Zwerge und Riesen sowie die Unterirdischen noch in verbundenen Welten. In dieser Zeit saß in jeder Vollmondnacht eine Wölwa oder Seherin auf einem Hügel nahe dem Götterreich Asgard. Ihr inneres Auge blickte in die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft und nichts blieb der zauberkundigen Frau verborgen. Selbst die Götter baten sie um Rat, um an ihrem ewigen Wissen teilzuhaben. Wer in jenen besonderen Nächten zu der Seherin auf den Hügel stieg und sich zu ihr ans Feuer setzte, erhielt Auskunft …

„Man muss die Götter warnen, was auf sie zukommt!“, drängt der Besucher, doch die Wölwa winkt ab: Was nun folgt, ist alles längst vorbestimmt. Es geht los, als die magische Fessel, die den Fenriswolf, Lokis monströses Kind, sich losreißt und aus der finsteren Atla-Schlucht gen Asgard rennt.

Nach dem tragischen Tod Balders, der durch Lokis List durch seinen eigenen Bruder Hödd getötet wurde, herrscht in den Herzen der Asen der Fimbulwinter. Auch Odin hat keinen, dem er die Schuld geben kann, denn Loki ist wohlweislich spurlos verschwunden. Um Loki zu finden, befragt Odin das Haupt Mimirs. Doch in Lokis Hütte findet er nichts als ein verbranntes Fischernetz. Ein Hinweis, dass Loki ein Fisch geworden ist. Also werfen sie ein raffiniertes Netz aus, in dem sich ein riesiger Lachs verfängt: Loki! Doch ihn in der Atla-Schlucht zu fesseln, nütze ihnen nichts, höhnt der Riese: Seine Kinder werden alle Asen vernichten und Walhall zerstören. Seltsamerweise bleibt Lokis Frau Sigin weiterhin bei ihm.

|Ragnarök|

Odin bereitet Asgard auf die kommende Schlacht gegen die Riesen und Ungeheuer vor. Die Vorzeichen sind schlecht. Die Weltenesche wirft ihre Blätter ab, denn der Drache Nidhöggr hat ihre Hauptwurzel durchgebissen – der Baum stirbt. Die Nornen, die am Fuße der Esche, wo die Quelle Urd entspringt, existieren, geben Odin keine Antwort. Thor malt sich die Runen der Rache auf die Wange. Er ist kampfbereit.

Doch die Gegenseite ist es auch. Die Totengöttin Hel, Lokis Tochter, versammelt das Heer der Unterwelt und der Riesen im Niflheim-Wald. Sobald der Hahn dreimal gekräht hat, können sie sich nach Asgard einschiffen und dort losschlagen. Der Wolf Sköll verschlingt die Sonne, der Wolf Hati den Mond. Nacht fällt, und Sterne regnen vom Himmel. Gebirge wanken, Beben versetzen die Menschen in Panik. Der Hahn Fjallar kräht zum ersten Mal …

Odin wundert sich, wo nur sein Heer bleibt. Doch die Zwerge erstarrten im Sonnenlicht. Der Herr der Lichtalben Wölundr weigert sich zu kämpfen: Wir sind Bewahrer, nicht Zerstörer.“ Wenigstens Freya zieht in die Schlacht, und dann sind da ja noch seine 13 Walküren, die Schlachtenmädchen Odins. Er stimmt sie auf die Schlacht ein: „Für Asgard!“

Da erscheinen die Riesen unter Lokis Führung. Sie haben mit ihrem Schiff Naglfar den Regenbogen Bifröst befahren, doch da stößt der Wächter Heimdall in sein Horn, und Walhalls 514 Tore schwingen auf, um je 800 Krieger zu entlassen. Odin reitet an ihrer Spitze den Feuer- und Eis-Riesen entgegen. Schon bald brennt Asgard. Und dann kommen die Ungeheuer …

_Mein Eindruck_

Wie oben ersichtlich, ist dies der vierte und letzte Teil der Serie über Nordische Sagen. Der Text ist leicht verständlich, wenn auch die Ereignisse, von denen die Wölwa berichtet, mitunter etwas wunderlich sind, ganz sicher aber heroisch und finster. Die finale Schlacht um das Götterreich Asgard erinnert in ihren Duellen und bizarren Teilnehmern zuweilen an Tolkiens Schlacht auf den Pelennor-Feldern im 3. Band des „Herrn der Ringe“. Und selbstverständlich kannte der Altenglisch- und Altnordisch-Experte Tolkien die isländische Edda, in denen Ragnarök geschildert wird. Die nordischen Vorlagen für Tolkiens Erfindungen wurden mehrfach nachgewiesen, u.a. von Tom Shippey.

Die Schlacht ist einerseits das von der Seherin vielfach vorhersagte Ereignis, so dass der Hörer froh ist, wenn es nun endlich zum Höhepunkte der Saga kommt. Andererseits ist der Anlass ja ein recht trauriger: der Untergang der Götter. Doch für eine gewisse Spannung sollte beim Hörer die Frage sorgen: „Wenn die Götter doch alle mit besonderen Superfähigkeiten ausgestattet sind, wie kann es dann sein, dass sie gegen ein paar poplige Riesen und Ungeheuer unterliegen sollen?“

Nun, die Schilderung der Schlacht zeigt, dass es keineswegs so einfach ist: Die Götter sind wenige, die Riesen sehr viele. Letztere dezimieren die krieger, die Walhall aufzubieten hat, ganz erheblich. Doch statt dieser quantitativen Erwägungen sind vielmehr die qualitativ wertvolleren Zweikämpfe von größerem Interesse. Die skandinavischen Altvorderen haben sich ja bei den Ungeheuern ja etwas gedacht, als sie sie erfanden. Alle Ungeheuer sind Symbole für große, als böse bezeichnete Mächte.

Die Midgardschlange steht für die stürmische, verschlingende See. Der Riesentöter Thor ist ihr designierter Erzfeind. Das Duell der beiden ist grandios (siehe Titelbild). Weitere Symbolkraft haben der Fenriswolf und der Feuerriese Surtur. Der Feuerriese vernichtet erst die Weltenesche, stößt dann aber in der Kriegsgöttin Freya auf einen Gegner, der ihm Paroli zu bieten weiß. Der Fenriswolf will Frigg, Odins Gemahlin angreifen. Doch was macht sie? Sie stößt sich den Dolch in die Götterbrust und verflucht ihn! Ja, so waren die stolzen Wikingerfrauen – oder hätten es zumindest sein sollen, ginge es nach den Dichtern.

Und das Ende des Obergottes? Kann der Erschaffer der Welten seiner Nemesis, dem Fenriswolf, widerstehen? Das soll hier nicht verraten werden, aber es ist ein Ende, das eine Menge Fragen aufwirft. Der Schluss ist tröstlich: Die Götter der Altvorderen sind tot, es leben die neuen Götter! Die Erde erneuert sich. Doch etwas hat überlebt, und so geht alles von vorne los.

|Der Sprecher|

Peter Kaempfe ist ein Routinier, wie man an seiner ruhigen Vortragsweise erkennt. Ert tritt hinter der Erzählerin Wölwa und dem Erzählten zurück, haucht aber unversehens den Figuren wieder Leben ein, wenn Emotionen gefragt sind. Zu diesen Figuren gehört in erster Linie der Göttervater selbst. Man merkt Odin an, dass er seinen Zorn mühsam unterdrückt, wenn er mit Loki und dem Anführer der Lichtalben spricht. Es läuft nicht alles rund, könnte man sagen.

Da dies eine Schlacht mit wahnsinnig vielen Akteuren ist, ist es sehr ratsam, schon die vorherigen Teile der Saga gehört zu haben. Dann kann man auf die bisherigen Kenntnisse über die Figuren zurückgreifen und braucht keine Hilfestellung von Seiten der Dialogführung („Thor donnerte“ usw.). Wer ein gutes Gedächtnis besitzt, erkennt auch die wichtigsten Stimmen wieder: Thor, Odin, Loki usw.

Der Sprecher schafft es mit Leichtigkeit, die Kontraste zwischen den heldenhaften Asen und den niederträchtigen Ungeheuern herauszustreichen. Die Stimme des Fenriswolfs kann einem Hörer, zumal einem jungen, durchaus kalte Schauder über den Rücken jagen.

|Die Musik|

Die Instrumente sind ganz einfache, aber sehr alte: eine afrikanische Krugtrommel; ein Balafon, „die afrikanische Urform des Marimbaphons“ (eine Art Xylophon also); eine tibetische Handtrommel, chinesische Glocken, Zimbeln, Klangschalen und Becken, außerdem ein „traditionelles finnisches Saiteninstrument“, eine „tibetische Trompete“, ein Saxophon, Bass und „verschiedene traditionelle Flöten“.

Man sieht also, dass hier auf sehr ursprüngliche Klänge geachtet wurde. Die entsprechenden Melodien sind ebenso urtümlich, lassen sich aber noch in manchen (abgelegenen) Weltgegenden erlauschen. Es ist, als würde der Hörer in die ferne Vergangenheit lauschen. Das finde ich höchst passend, wenn es um Geschichten über die Entstehung der Welten geht.

Die Musik mischt sich niemals in den Vortrag ein. Nach einem stimmungsvollen Intro hören wir sie stets nur als Intermezzo zwischen Textabschnitten. So haben wir Zeit, das Gehörte zu verdauen. Das Outro geleitet uns wieder uns wieder aus der Lesung hinaus, als würden wir eine andere Zeit verlassen.

|Das Booklet|

Das Booklet ist ein wichtiges Hilfsmittel für den Hörer, um sich in der Vielzahl der im Vortrag geschilderten Welten zurechtzufinden. Zweitens bietet diese Darstellung auch einen Stammbaum für die wichtigsten Asen und ihre Kinder. Das Booklet liefert also erhellende Zusammenhänge, die sich angesichts der verzweigten Handlung und der Vielzahl der Namen als höchst willkommen erweisen.

_Unterm Strich_

Der actionreiche Abschluss der vierteiligen Serie mutet mit seiner Götterdämmerungs-Stimmung ein wenig wie der letzte Band des „Herrn der Ringe“ an: Die Entscheidung muss fallen, wenn Asen und Riesen ihren uralten Zwist, der mit Odins Mord an einem Riesen begann (s. Teil 1), zu Ende bringen – koste es, was es wolle.

Über Action kann man sich nicht beklagen, denn nicht nur gibt es zahlreiche Duelle, die schon lange angekündigt sind (Thor vs. Jörmungand, Odin vs. Fenriswolf, Surtur gegen Freya, Loki gegen den Rest), sondern auch heldenhafte Szenen, die man nur in nordischer Sagas finden kann. So etwa jene Konfrontation zwischen Fenrir, dem schrecklich groß gewordenen Wolf und Frigg, Odins Gattin. Sie gibt sich lieber die Kugel, pardon: den Dolch, als ihm zum Opfer zu fallen.

Ja, und was ist nun mit unserer Gewährsfrau, der Seherin Wölwa (eine Bezeichnung, die wahrscheinlich doppelt gemoppelt ist)? Auch sie hat ihre Rolle in der finalen Schlacht zwischen Göttern und Riesen zu spielen. Auf welcher Seite sie steht, soll hier nicht verraten werden, doch man kann es sich eigentlich denken. Sie stirbt den ehrenvollen Tod einer Heldin. Wer hätte das vorher gedacht?

Doch keine Angst: Dass die Asen verlieren, bedeutet nicht das Ende der Welt! Sie erneuert sich wieder, als hätte eine Schlange ihre Haut abgestreift, und ein neuer Frühling bricht für Midgard und die überlebenden Asen an. Alsdann – auf ein Neues!

|Das Hörbuch|

Peter Kaempfe trägt die Erzählung der Seherin routiniert und zurückhaltend vor. Er haucht den Figuren Leben ein, wenn es darauf ankommt, ohne sie jedoch allzu sehr individuell zu charakterisieren. Dennoch konnte ich Odin stets von Thor auseinanderhalten, und die schrecklich fauchenden Stimmen von Jörmungand und Fenrir sind unvergesslich.

Die bemerkenswert instrumentierte Musik hebt den musikalischen Beitrag über das gewohnte Maß hinaus. Zwischen Dramatik, Trauer und Romantik wechselt der Ausdruck fortwährend, aber stets passend zur jeweiligen Szene. Die exotischen Instrumente – und evtl. sogar ein paar Soundeffekte – sorgen für ein ungewöhnliches Hörerlebnis. Dies ist beileibe kein Hollywood-Soundtrack!

Das Booklet liefert willkommene Zusatzinformationen für den erwachsenen Hörer und Leser, so etwa einen Stammbaum. Ich hätte mir aber auch ein Glossar vorstellen können, in denen die sprechenden Namen der Figuren erklärt sind. „Gyllfaxi“ heißt beispielsweise „Goldfell“ (abgeleitet davon ist Gandalfs Pferd „Shadowfax“). „Angrboda“, man ahnt es fast, bedeutet „Unheilsbotin“. Doch was ist mit Garm, Sköll (?) und Hati, den Hunden und Wölfen, die im Ragnarök eine Rolle spielen? Weil das Glossar fehlt, muss man zur Wikipedia greifen. Dort sind alle Namen genau erklärt.

|2 Audio-CDs
Spielzeit: 115 Minuten
ISBN-13: 9783893533398|
http://www.igel-records.de

Neuschaefer, Katharina – Thor, der Donnergott (Nordische Sagen 3) (Lesung)

_|Nordische Sagen|:_

Folge 1: [„Odin, der Göttervater“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7836
Folge 2: [„Die Erschaffung der Welten“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7748
Folge 3: _“Thor, der Donnergott“_
Folge 4: „Vom Ende der Zeit – Ragnarök“

_Vom betrogenen Donnergott: der Anfang vom Ende der Götter_

Nachtschatten, kein Mond, nur Finsternis liegt über den drei Welten. Lediglich im Osten der Nacht geht ein bläulich flackernder Lichtpunkt auf: Lokabrenna, der Hundsstern. Wer in dieser Nacht die Zeichen zu deuten weiß (wie Wölwa, die Seherin), weiß, dass nur noch der mutigste aller Götter die Mächte der Finsternis aufhalten kann: Thor, der Herr des Gewitters, der Riesentöter mit dem Donnerhammer Mjöllnir, der schon viele Schlachten geschlagen hat.

Aber diesmal braucht selbst Thor, Odins ältester Sohn, die Hilfe eines Freundes… (erweiterte Verlagsinfo)

Der Verlag empfiehlt die Lesung ab 7 Jahren.

_Die Autorin_

Katharina Neuschaefer studierte Musikwissenschaft und Germanistik und arbeitet als Radiojournalistin und Moderatorin bei Bayern 4 Klassik. Sie ist Autorin und Regisseurin zahlreicher Hörspiele und Musikgeschichten für Kinder. Für ihre journalistische Arbeit wurde sie mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Sie erzählt die altisländischen Edda-Sagen neu und bietet sie sortiert dar.

Weitere NORDISCHE SAGEN:
1) Die Erschaffung der Welten
2) Odin
3) Vom Ende der Zeit – Ragnarök

_Der Sprecher_

Peter Kaempfe studierte von 1974 bis 1978 Schauspiel in Hannover. 1980 gründete er die Theater-und Musikcompagnie „Pompoffel“ in Bremen und spielte von 1984 bis 1990 bei der Bremer Shakespeare Company. 1990 gründete er gemeinsam mit zwei Kolleginnen DAS TAB. Er lebt in Bremen und arbeitet als Schauspieler, Sprecher, Autor und Regisseur. Für Igel-Genius nahm Peter Kaempfe die Reihe „Griechische Sagen“ auf, dazu die Jury der hr-2 Hörbuchbestenliste: „Die Interpretation von Peter Kaempfe muss überragend genannt werden“. Seine Aufnahme der „Ilias“ wurde 2006 für den Deutschen Hörbuchpreis nominiert.

Produzent war Leonhard Huber.

_Inhalte_

Es gab eine Zeit, da lebten die Götter, die Menschen und Elben, die Zwerge und Riesen sowie die Unterirdischen noch in verbundenen Welten. In dieser Zeit saß in jeder Vollmondnacht eine Wölwa oder Seherin auf einem Hügel nahe dem Götterreich Asgard. Ihr inneres Auge blickte in die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft und nichts blieb der zauberkundigen Frau verborgen. Selbst die Götter baten sie um Rat, um an ihrem ewigen Wissen teilzuhaben. Wer in jenen besonderen Nächten zu der Seherin auf den Hügel stieg und sich zu ihr ans Feuer setzte, erhielt Auskunft …

Diesmal weist die Wölwa auf den Unheil kündenden Hundsstern Lokabrenna (Sirius) und beginnt vom traurigen Schicksal Thors zu erzählen, dem Riesentöter, dessen Nemesis an einem schrecklichen Ort namens Eisenwald gezeugt und geboren wurde. In dessen Tiefen lebt Angrboda, die alte Hexe, und eines Tages bekommt sie Besuch von einem dunkel verhüllten Besucher, der eigentlich seine Heimstatt in Asgard hat. Nach angemessener Zeit erblickt das erste ihrer grausigen Kinder das düstere Licht dieser Welt…

Unterdessen liefert sich Odin, der Obergott, ein Wettrennen mit dem Riesen Rumnir, bis sie in Asgard eintreffen. Der Riese nennt Thor einen Feigling. Diese Beleidigung will der Donnergott umgehend ahnden, doch sein bester Berater, der Riese und Feuergott Loki, bittet ihn, das Gastrecht zu bedenken: Das Leben des Gastes ist heilig. Thor trollt sich zornig. In der Festhalle betrinkt sich Rumnir, bis er endlich die Wahrheit spricht: „Wir werden euch alle wegmachen!“

Als Rumnir die Möbel zu Kleinholz zerlegt und sich an den hübschen Asinnen vergreift, ruft Odin seinen Sohn zurück. Wer gibt Thor Carte blanche, doch der fordert Rumnir lediglich heraus, an einem Ort von dessen Wahl ein Duell auszutragen. Rumnir nennt den Eisenwald. Thor und sein Knecht Tjalfi begeben sich per Streitwagen an diesen gruseligen Ort. Rumnir ist schon da, wie eine Steinlawine. Da taucht in Adlergestalt auch Loki auf, Thors Berater. Listigerweise berät er nicht nur Thor, sondern auch seinen Gegner Rumnir. Rumnir wirft einen riesigen Wetzstein, doch Thors Hammer Mjöllnir trifft das Geschoss im Flug. Der Wetzstein zerbricht, doch ein Splitter bleibt in Thors Kopf stecken. Ein weiterer Hammerwurf erledigt den Riesen.

„Nicht alle Riesen sind schlecht“, findet Thor mit Blick auf Loki. Doch er soll bald eines Besseren belehrt werden. Denn auf einmal ist sein Hammer verschwunden und seine Frau, die schöne Sif, wird von einem Unbekannten ihres strahlenden Haars beraubt und muss fortan ihre Glatze verbergen …

_Mein Eindruck_

Wie oben ersichtlich, ist dies der dritte Teil der vierteiligen Serie über Nordische Sagen. Der Text ist leicht verständlich, wenn auch die Ereignisse, von denen die Wölwa berichtet, mitunter höchst wunderlich sind. Dies sind eben nicht die Vorstellungen der Antike oder der nordamerikanischen Völker über die Weltentstehung, sondern eben die düstere nordische Variante.

Aber geschickt wird jede Art von nationalistischer Überhöhung vermieden, damit ja kein Teutonenkult geweckt wird. In der Tat veranlasst so manche Episode den Hörer zum Schmunzeln. Humor und dunkle Vorahnung halten sich mit der Action die Waage.

|Die Story|

Die drei Hauptakteure sind Odin, Thor und Loki. Während es Odin und Thor immer wieder mit den aufmüpfigen Riesen aufnehmen, die die Menschen in Bedrängnis bringen, spielt Loki eine zwielichtige Rolle. Odin und Thor sind Handelnde, Loki hingegen ist ein listenreicher Denker und Manipulator. Wir erfahren (jedenfalls nicht auf diesem Hörbuch) nie genau, ob er hinter all dem Ungemach steht, das Thor zustößt. Ein ums andere Mal wird Thor, der Riesentöter, die rechte Hand Odins, beleidigt und lächerlich gemacht. Doch wenn die rechte Hand versagt, ist der Angriff auf den Obergott nicht weit …

Loki scheint ein Berater und helfer der Asen zu sein. Nachdem der schönen Sif das Haar geraubt wurde (was sie zur kreischenden Verzweiflung trieb), begibt sich Loki als einziger in das Reich der Dunkelalben und zwerge, um diese Wunderschmiede um entsprechende Meisterstücke zu bitten. Er stellt dieses Anliegen so listenreich an, dass schon nach kurzer mehrere Meisterwerke den Asen präsentiert werden können.

Sif braucht kein Kopftuch (oder gar eine Burka) mehr zu tragen, sondern bekommt eine Perücke aus purem Gold, die exakt genauso aussieht wie ihr natürliches Haar – und außerdem viel wertvoller ist – und außerdem zauberbehaftet wie alle Zwergendinge. Odin erhält den Ring Draupnir, den Träufler, der jede Nacht weitere Goldringe hervorbringt, und den stets treffsicheren Speer Gungnir. Das dritte Stück ist der Hammer Mjöllnir, der immer trifft und danach zu seinem Herrn zurückkehrt. Das letzte Stück ist ein goldener Eber, den Freyr bekommt. Alle diese Geschenke werden beim Ragnarök eine Rolle spielen. Als Lohn verspricht Loki den konkurrierenden Zwergenschmieden, für sie beste PR in Asgard zu machen – aber jedem einzeln…

Weitere Wettkämpfe Thors betreffen den Riesen Geirröd, der ebenso wie Thor falsch spielt, und mit dem Utgard-Loki. Hierbei unterliegt Thor schmählich, doch wieder hat der Riese ihn gelinkt. Denn wie die Zwerge können auch Riesen mit „Glamour“, dem Illusionszauber, auch Riesen hereinlegen.

|Lokis geheime Kinder|

Die Erkenntnis, dass sein bester Freund Loki ihn verraten hat, wird Thor schon bald das Herz brechen. Doch zunächst bereitet Loki, der Riese, seine Rache an den Asen vor. Er zeugt mit der Hexe Angrboda drei Ungeheuer:

1) den Fenriswolf Fenrir, der von Stund immer weiter wächst und dereinst Odin verschlingen wird;

2) Jörmungand, die Midgard-Schlange, die schon bald so groß wird, dass sie ganz Mittelerde umschlingen und die Gezeiten auslösen kann; sie ist die spezielle Feindin Thors;

3) schließlich Hel, die Totengöttin, deren eine Gesichtshälfte wunderschön ist, deren andere aber einem Totenschädel gehört; sie bekommt ein eigenes Reich in der Unterwelt und reitet ein fahles Pferd.

Dreimal muss sich Thor seiner Nemesis Jörmungand stelle; das dritte Mal bringt die Entscheidung, wenn sich der Fenriswolf losreißt und Ragnarök beginnt. Die Asen binden die drei Ungeheuer an jeweils andere Orte. Doch wie lange werden die Fesseln halten? Solche und weitere Fragen werden erst im letzten Teil beantwortet.

|Der Sprecher|

Peter Kaempfe ist ein Routinier, wie man an seiner ruhigen Vortragsweise erkennt. Ert tritt hinter der Erzählerin Wölwa und dem Erzählten zurück, haucht aber unversehens den Figuren wieder Leben ein, wenn Emotionen gefragt sind. Zu diesen Figuren gehört in erster Linie Thor, den er als kernigen Kämpfer darstellt, der leicht in Rage gerät. Thor bildet zum hinterlistigen Loki einen großen Kontrast, denn Loki spricht sanft, beschwichtigend, leise und fast schon demütig – das genaue Gegenteil seiner Taten.

Die Wölwa-Szene bildet den erzählerischen Rahmen für die Szenen aus Thors „Leben“. Sie spricht stets leise, denn sie ist uralt, doch auch sie kann durchdringend wirken, wenn sie das kommende Unheil, das sich zusammenbraut, voraussagt. Und nein: Sie darf den Namen des Verräters unter den Asen nicht preisgeben.

Die Wölwa lenkt unseren Blick quasi auf die Szene im Eisenwald, ein kalter, dunkler Ort, wo sich das Böse sammelt und neues Unheil gebiert. Diese Szenen sind, mit der passenden Musik untermalt, schön schaurig.

|Die Musik|

Die Instrumente sind ganz einfache, aber sehr alte: eine afrikanische Krugtrommel; ein Balafon, „die afrikanische Urform des Marimbaphons“ (eine Art Xylophon also); eine tibetische Handtrommel, chinesische Glocken, Zimbeln, Klangschalen und Becken, außerdem ein „traditionelles finnisches Saiteninstrument“, eine „tibetische Trompete“, ein Saxophon, Bass und „verschiedene traditionelle Flöten“.

Man sieht also, dass hier auf sehr ursprüngliche Klänge geachtet wurde. Die entsprechenden Melodien sind ebenso urtümlich, lassen sich aber noch in manchen (abgelegenen) Weltgegenden erlauschen. Es ist, als würde der Hörer in die ferne Vergangenheit lauschen. Das finde ich höchst passend, wenn es um Geschichten über Thor und seine Heldentaten geht.

Die Musik mischt sich niemals in den Vortrag ein. Nach einem stimmungsvollen Intro hören wir sie stets nur als Intermezzo zwischen Textabschnitten. So haben wir Zeit, das Gehörte zu verdauen. Das Outro geleitet uns wieder uns wieder aus der Lesung hinaus, als würden wir eine andere Zeit verlassen.

|Das Booklet|

Das Booklet ist ein wichtiges Hilfsmittel für den Hörer, um sich in der Vielzahl der im Vortrag geschilderten Welten zurechtzufinden. Vier Welten sind abgebildet: Asgard, Heim der Asen / Götter; daneben Vanheim, Heim der Vanen; darunter Midgard alias Mittwelt, wo Menschen, Riesen (in Jötunheim) und Zwergen existieren: schließlich ganz unten Niflheim, wo Drache, Wölfe und die Totengöttin existieren.

Zweitens bietet diese Darstellung auch einen Stammbaum für die wichtigsten Asen und ihre Kinder Thor usw. Vor allem die zusätzliche Liste der Riesen ist hilfreich, denn ihre Namen werden häufig ganz anders geschrieben als ausgesprochen. Das Booklet liefert also erhellende Zusammenhänge, die sich angesichts der verzweigten Handlung und der Vielzahl der Namen als höchst willkommen erweisen.

_Unterm Strich_

Ich konnte diese über zwei Stunden lange szenische Lesung nur in vier Teilen bewältigen. Erstens gibt es sehr viele Episoden zu erleben, zweitens eine Unzahl von fremdartigen Namen zu merken (die selten mit ihrer Schreibweise übereinstimmen). Drittens ist es schwierig, einen Spannungsbogen zu entdecken. Immerhin entsteht eine gewisse Anspannung, wenn die Seherin immer wieder auf die Ungeheuer aus dem Eisenwald hinweist, die Götter wie Thor vernichten werden.

Aber was, so fragte ich mich, tragen Episoden wie Thors Kampf gegen die Eisriesen und den Utgard-Loki zum übergreifenden Thema bei? Immer wieder illustrieren sie, dass Thor ein ums andere Mal gegen die Riesen versagt und seinem Namen „Riesentöter“ Schande einbringt. Alles, was Loki unternimmt, ist hingegen interessant, ganz besonders sein Besuch bei den Zwergenschmieden.

Am witzigsten ist vielleicht die Episode mit dem unbekannten Lockenräuber, der Thors Frau Sif eine Glatze hinterlässt. Auch die Identität des Besuchers, der Angrboda im Eisenwald Hallo sagt und mit ihr Ungeheuer zeugt, bleibt vorerst im Dunkeln (ich habe oben mal wieder alles verraten). Da kommt durchaus Neugier und ein leichtes Gruseln auf.

|Das Hörbuch|

Peter Kaempfe trägt die Erzählung der Seherin routiniert und zurückhaltend vor. Er haucht den Figuren Leben ein, wenn es darauf ankommt, ohne sie jedoch individuell zu charakterisieren. Vor meinem geistigen Auge wurde Thor durchaus lebendig, vor allem, wenn er in Relation zu anderen Figuren wie den Riesen und zu Loki gesetzt wird. Thor ist zwar ein Kämpfer, aber kein Denker, und hat Loki über kurz oder lang leichtes Spiel mit ihm.

Bemerkenswert ist die Vielfalt an Riesen, der der Riesentöter begegnet. Vom tumben Golem und den pöbelnden Thrym reicht die Palette über den listigen Geirröd bis zum täuschenden Utgard-Loki, der Thor dreimal hereinlegt. Von Loki, der ja auch ein Riese ist, ganz zu schweigen. Gegenüber den anderen Genossen nimmt sich Loki sehr ungewöhnlich aus. Wohl deshalb kann es ihm gelingen, die Asen zu täuschen.

Die bemerkenswert instrumentierte Musik hebt den musikalischen Beitrag über das gewohnte Maß hinaus. Das Booklet liefert willkommene Zusatzinformationen für den erwachsenen Hörer und Leser. Die vorliegende CD ist nur ein Viertel des Gesamtwerks, und man sollte möglichst auch die anderen drei Teile hören, insbesondere „Odin“ und „Ragnarök“.

|2 Audio-CDs
Spielzeit: 145 Minuten
ISBN-13: 9783893533282|
http://www.igel-records.de

Carter, Chris – Kruzifix-Killer, Der (Lesung)

_Der Killer mit dem Doppelkreuz_

Die Leiche einer wunderschönen jungen Frau, bestialisch verstümmelt, doch keinerlei Spuren – bis auf ein in ihren Nacken geritztes Doppelkreuz. Es ist das Zeichen eines vor Jahren hingerichteten Serienmörders. Detective und Profiler Robert Hunter aus L.A. wird schnell klar, dass der Kruzifix-Killer lebt. Er mordet auf spektakuläre Weise weiter. Und er ist Hunter immer einen Schritt voraus – denn er kennt ihn gut. Zu gut. (Erweiterte Verlagsinfo)

_Der Autor_

Chris Carter wurde 1965 in Brasilien als Sohn italienischer Einwanderer geboren. Er studierte in Michigan forensische Psychologie und arbeitete sechs Jahre im Psychologenteam der Staatsanwaltschaft. Dann zog er nach Los Angeles, wo er als Musiker Karriere machte. Gegenwärtig (2009) lebt Carter in London.

_Der Sprecher_

Achim Buch, geboren in Rheinbach bei Bonn, gehört zum Ensemble des Dt. Schauspielhauses Hamburg. Er studierte an der Folkwang-Hochschule in Essen. Danach war er in Essen, Wiesbaden, Mannheim, Frankfurt/Main und am Thalia Theater in Hamburg engagiert. Ab 2000 arbeitete er als freier Schauspieler am Dt. Schauspielhaus Hamburg , am Staatsschauspiel Dresden, am Residenztheater München, am Renaissancetheater Berlin und am Schauspielhaus Bochum.

Regie im Eimsbütteler Tonstudio führte Margrit Osterwold.

_Handlung_

|PROLOG|

Robert Hunter von der Mordkommission von Los Angeles bekommt am 5. August einen Anruf. Mit einer verzerrten Roboterstimme fragt der Anrufer, ob er wisse, wo sein Partner Carlos Garcia sei. Weiß Hunter wirklich nicht. Der anonyme Anrufer lotst ihn in den Keller des Gebäudes, wo Hunter endlich Garcia sieht. Er hängt mit den durchbohrten Handgelenken an einem Kreuz und hat eine stählerne Dornenkrone auf dem Kopf.

Garcia befindet sich hinter schusssicherem Plexiglas, hinter dem Hunter einen Tisch mit einem Herzmonitor und einer digitalen Zeitanzeige erblickt. Der Anrufer verlangt von ihm, die Tür zu öffnen und Garcia binnen 60 Sekunden herauszuholen, sollen nicht er und der Gekreuzigte durch im Käfig deponierten Sprengstoff sterben. Doch welcher von vier Knöpfen ist der richtige, um die Tür zu öffnen? Die Zeit verrinnt, als Hunter rät…

|Fünf Wochen vorher|

Robert Hunter wird von Carlos Garcia nachts um drei Uhr angerufen. Mit einem Brummschädel und einem Filmriss erwacht Hunter im Bett einer Frau, die er nicht wiedererkennt. Garcia sagt, es sei dringend, er müsse zu einem Tatort kommen. Hunter lässt sich von Isabella, so heißt die Schöne, ihre Telefonnummer geben und haut ab, indem er ein Taxi nimmt. Wo sich sein eigenes Auto befindet, hat er vergessen.

Die Adresse, die Garcia ihm gegeben hat, befindet sich in den Wäldern über Los Angeles, in einem Forsthaus, das von Polizeiautos umstellt ist. Garcia führt ihn hinein, wo schon Captain Balter und der Forensikleiter Dr. Winston auf den Profiler warten. Sie weisen ihn auf die Leiche, die an der Wand hängt. Dr. Winston berichtet, jemand habe der jungen Frau bei lebendigem Leib die Gesichtshaut entfernt und sie sehr lange gefoltert. Nirgendwo finde sich Blut, als muss die Häutung woanders erfolgt sein. Das eingeritzte Doppelkreuz in ihrem Nacken deutet auf ein religiöses Ritual hin. Dem widerspricht die äußerst methodische Vorgehensweise des Täters.

Hunter muss seinem neuen Partner Garcia erklären, was das für ein Symbol ist: Das heidnische Doppelkreuz aus einem aufrechten und einem umgedrehten Kreuz deute auf eine zweischneidige Schwertklinge hin, im übertragenen Sinne auf ein verlogenes Doppelleben. Es war das Zeichen des Kruzifix-Killers, der bis vor anderthalb von Hunter und seinem Partner, dem mittlerweile verstorbenen Scott Wilson, gejagt wurde. Mike Farlowe wurde aufgrund der gefundenen Indizien in seinem Wagen der Prozess gemacht, er zum Tode verurteilt und mittels Giftspritze hingerichtet. Aber Hunter hatte stets seine Zweifel, es mit dem Richtigen zu tun zu haben. Nun schlägt der Kruzifix-Killer wieder zu. Diesmal könnte es der Echte sein.

Die Kripo lässt das gehäutete Gesicht der Getöteten mit Hilfe spezieller Software rekonstruieren. Da sie in Topform war und teure Hautcremes verwendete, vermutet Hunter, sie sei ein Model oder so gewesen, doch Garcia ist realistischer: eine Edelnutte. Sie wurde mit Liquid Ecstasy betäubt. In den zahllosen Fitness-Studios von L. A. werden sie nicht fündig. Dafür erkennt der wichtigste Dealer von L. A. das von Hunter präsentierte Phantombild. Es könnte sich um Jenny Farnborough handeln, meint D-King, eine seiner „Freundinnen“. Er hat jede Menge davon.

Gerade als Hunter mit Isabella ein Mittagessen im Restaurant vereinbart hat, ruft der anonyme Anrufer erneut an: Hunter könne ein weiteres Opfer verhindern, wenn er wisse, wer in einem bestimmten Hunderennen gewinne. Was für ein Scheißspiel, denkt Hunter, versucht aber sein Bestes. Es ist nicht gut genug. Der Killer sagt ihm, wo er die Leiche finden könne. Da sitzt er gerade mit Isabella beim Essen. Ihm ist der Appetit gründlich verdorben.

Der Tote ist ein mit Bakterien vergifteter Anwalt, der ein Doppelleben führte – welche Überraschung. George Slater war verheiratet, liebte aber auch einen Puertorikaner namens Rafael. Wieder findet sich im Nacken das Doppelkreuz, sonst aber keine Spur – außer einem europäischen Perückenhaar. Sicher eine falsche Fährte. Carlos Garcia sucht vergeblich nach einer Verbindung zwischen den Opfern, wie seinerzeit Hunter und Wilson während der ersten Mordserie. Zwecklos, meint Hunter.

Doch dann kommt den beiden Kommissar Zufall zu Hilfe. Oder ist eine ausgetüftelte neue Strategie des Killers? D-King, König der Zuhälter, bekommt sehr diskret eine DVD-Aufnahme zugespielt, in der seine verschwundene Jenny einen grauenhaften Tod stirbt. Und der Ort, wo diese Aufnahmen entstanden, lässt sich durchaus binnen zwei Tagen herausfinden …

_Mein Eindruck_

Anders als der religiös inspirierte Titel vermuten lässt, handelt es sich hier keineswegs um einen Dan-Brown-Verschnitt, der nach dem Prinzip einer Schnitzeljagd abläuft. Vielmehr ist dies ein Thriller, der in der Großstadt spielt, Großstadt-Typen aufbietet und sich mit den Sünden und Lastern der Metropolen befasst. Der Vatikan ist weit entfernt, und nicht einmal das titelgebende Kruzifix ist ein richtig christliches, sondern vielmehr ein heidnisches Symbol.

Das fehlende religiöse Motiv ist einer der vielen Gründe, warum Hunter und seine beiden Partner aus den beiden Mordserien so lange im Dunkeln tappen. Sie können keine Verbindung zwischen den Opfern herstellen. Die Lösung fällt Hunter erst ein, als ihm das Gesicht des Arbeitgebers einer weiteren verschwundenen Frau bekannt vorkommt, er es aber zunächst nicht zuordnen kann. Es bedarf eines weiteren Schlüssels – den ihm D-King unbeabsichtigt liefert -, damit sich Hunter an einen üblen zurückliegenden Fall aus Beverly Hills erinnert.

Wie es sich gehört, steht Hunters Name als Liste als Letzter auf der Liste der Opfer, an denen sich der Täter rächen will. Doch bis Hunter dies erkennt, ist es für ihn bereits zu spät. Denkt jedenfalls der Leser bzw. Hörer, der hier vom Autor gehörig an der Nase herumgeführt wird. Als sich Hunter in der Bredouille befindet, scheint er völlig hilflos ausgeliefert zu sein. Doch wie so viele Eindrücke in dieser Geschichte ist auch diese Annahme nicht ganz zutreffend…

Der Autor hält uns auf diese Weise mit seinen Wendungen immer wieder auf Trab und bei der Stange. Schauder erregende Motive wie Snuff Movies, in denen ein Opfer erst lange gefoltert und dann getötet wird (vgl. den Film „8 mm“ mit Nicholas Cage), sind nur gruseliges Detail, die grausamen Tötungsmethoden ein weiteres.

Dabei lässt sich der Autor einen genialen Kniff einfallen, um Hunter vom wahren Täter und dessen Identität abzulenken. Ist dieser Kniff plausibel, mag man sich fragen, aber wir sind in dieser Hinsicht keine Fachleute, der Autor (siehe oben) jedoch schon: Er war forensischer Psychologe. Mehr darf zu diesem Rätsel nicht verraten werden, aber der Showdown zwischen Hunter und seinem Möchtegern-Mörder ist ein spannungsreicher Dialog, in dem sich beide gegenseitig überlisten wollen.

Und wie es sich gehört, wird ganz am Schluss in klassischer Manier alles bis ins Kleinste erklärt. Darin folgt Chris Carter klassischen AutorInnen wie Agatha Christie oder Sax Rohmers Detektiv Nero Wolfe. Hauptsache, kein Leser oder Hörer beschwert sich danach, er habe nix kapiert oder Löcher in der Logikkette gefunden. Soweit ich anhand dieser gekürzten Hörbuchversion beurteilen kann, hat Carter alle solchen Löcher gestopft.

Nur an einer Stelle lässt Carter einen Ballermann wie einen Kistenteufel aus einem Nebenraum auftauchen und losfeuern. Das wirkt in der Kurzfassung ziemlich unvermittelt. Der Hoppla-Effekt wird hier mit der Action kombiniert, um einen toten Punkt in der Handlung zu überwinden. Nicht gerade die subtilste Erzählweise.

_Der Sprecher_

Dem Sprecher Achim Buch merkt man es an, dass er ein gestandener Schauspieler ist. Er kann mühelos einen Akzent annehmen und ihn einer Figur wie Isabella geben, die vorgibt, von Italienern abzustammen (wie der Autor selbst). Tatsächlich ist es von höchster Ironie, dass Isabella eine Rolle wie eine echte Schauspielerin spielt – und wird nun von einem Schauspieler dargestellt. Warum sie diese Rolle spielt, darf hier nicht verraten werden.

Auch die Tonhöhe wechselt Buch recht mühelos. D-Kings Mann fürs Grobe Jerome sowie der Bodybuilder Joe Bowman sprechen tiefe, maskuline Sätze, die Mädels klingen natürlich recht hoch und viel sanfter. Unter Einsatz eines Tonfilters verwandelt sich seine Stimme in die eines Roboters, hinter dem der Sprecher praktisch jedes Geschlecht verbergen könnte. Dies gehört zu den vielen Kniffen, um die wahre Identität des Killers zu verschleiern.

_Unterm Strich_

Ohne dass nun ein großer Erkenntniswert über die menschliche Natur dabei vermittelt würde, schafft es die Geschichte doch, den Thrillerfreund permanent zu unterhalten. Die Frage, wann wird der verrückte Killer unserem Ermittler-Cop eine weitere durchgeknallte Aufgabe stellen, sorgt nach einer Weile für Spannung. Ebenso die Frage, ob es den beiden Ermittlern gelingt, das fehlende Stückchen im Puzzle zu finden und das Rätsel zu lösen, das die Identität des Täters und den Zusammenhang zwischen seinen mittlerweile neun Opfern umgibt. Diese Lösung ergibt sich erst nach etlichen Umwegen.

Wenn man etwas erkennt, so die Tatsache, dass sich in den heutigen USA Menschen eine neue Identität wie einen neuen Satz Klamotten zulegen können. Sie können wie Schauspieler in einem neuen Leben auftreten, das sie sich selbst schaffen können. Beglaubigungen wie Geburtsurkunden, akademische Titel oder Zeugnisse lassen sich allesamt fälschen – schwupps hat man einen besseren Job. Doch wehe dem Kerl oder der Frau, der oder die sich auf solche Identitäten verlässt. Das kann schnell ganz böse enden.

|Das Hörbuch|

Die Geschichte hat mich bei der Stange gehalten, und dem Sprecher ist es gelungen, die Dialoge abwechslungsreich genug zu gestalten, dass ich mich nie gelangweilt habe. Nur an ein paar Stellen merkt der aufmerksame Zuhörer, dass der Text kräftig gekürzt wurde.

|4 Audio-CDs mit 277 Minuten Spieldauer
Gelesen von Achim Buch
Originaltitel: The Crucifix Killer (2009)
Aus dem US-Englischen übersetzt von Maja Rößner
ISBN 978-3-86909-030-6|
http://www.hoerbuch-hamburg.de

_Chris Carter bei |Buchwurm.info|:_
[„Der Kruzifix-Killer“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6340

Rönkä, Matti – Grenzgänger, Der

_Auftritt des Wiesels: Der Privatdetektiv zwischen allen Fronten_

Viktor Kärppä ist russischer Emigrant – und ein Mann mit vielen Fähigkeiten. Da sein Diplom der St. Petersburger Sportakademie in Finnland nichts wert ist, hat er in Helsinki ein Detektivbüro eröffnet. Viktor nimmt Aufträge aller Art an und dient vielen Herren auf beiden Seiten der finnisch-russischen Grenze.

Nun soll er im Auftrag des Antiquars Aarne Larsson dessen Ehefrau Sirje finden, die spurlos verschwunden ist. Ein Routinejob, denkt Viktor. Doch die Suche nach der jungen Frau stört die Kreise gnadenloser Gangster. Denn bald stellt sich heraus, dass Sirje die Schwester des estnischen Drogenkönigs Jaak Lillepuu ist. Viktor gerät in das Fadenkreuz russischer Spione und estnischer Schmuggler, und als wäre das nicht genug, sitzt ihm noch der exzentrische Kommissar Korhonen im Nacken. (Verlagsinfo)

_Der Autor_

Matti Rönkä, geboren 1959 in Nord-Karelien, ist Journalist. Er hat sowohl in den Printmedien als auch beim Radio gearbeitet und ist heute Chefredakteur und Nachrichtensprecher beim finnischen Fernsehen. Jeder Finne kennt ihn als „Mister Tagesschau“ – und als Autor sehr erfolgreicher Krimis. Rönkä lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Helsinki. Er wurde mit dem Finnischen, dem Nordischen und dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet. (Verlagsinfo)

Für seinen ersten Roman ›Der Grenzgänger‹ wurde Rönkä sowohl mit dem ›Deutschen Krimipreis 2008‹ als auch mit dem finnischen Krimipreis 2006 ausgezeichnet. Der Autor erhielt außerdem den Nordischen Krimipreis 2007. (Verlagsinfo)

Bereits erschienen:

„Bruderland“
[„Russische Freunde“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7947
[„Entfernte Verwandte“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7955
„Zeit des Verrats“

_Hintergrundinformationen _

Folgendes Wissenswertes berichtet der Autor in seinem Nachwort zu „Entfernte Verwandte“:

Auf mütterlicher Seite ist Viktor Gornostajew / Kärppä ein Karelier. Diese bilden ein eigenes Volk, dessen Sprache eng mit dem Finnischen verwandt ist. Nach dem finnischen Bürgerkrieg von 1917/18, der auf die Unabhängigkeit von Schweden folgte, flohen viele der unterlegenen „Roten“ vor den bürgerlichen „Weißen“ nach Russland. Hier wollten sie das Arbeiterparadies aufbauen. Während der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre kamen selbst Finnen aus den USA und Kanada hierher nach Karelien.

Auf der väterlichen Seite jedoch ist Viktor Ingermanländer. Diese siedelten in einem schmalen Streifen nordöstlich von St. Petersburg. Es sind Finnen, die im 17. und 18. Jahrhundert von den Schweden angesiedelt wurden, um die lutherische Kirche im Osten zu stärken. Rund 200.000 Finnen pflegten die finnische Kultur usw. Doch besonders zu Stalins Zeiten wurden Finnen verfolgt, in Lager gesteckt, Familien auseinandergerissen und Bevölkerungsteile in ferne Gegenden Russlands vertrieben.

Im Zweiten Weltkrieg eroberte die deutsche Wehrmacht Ingermanland, um Leningrad einzuschließen. Die dort lebenden Menschen wurden nach Finnland umgesiedelt. Dort schlossen sie Ehen mit Finnen und adoptierten verwaiste Kinder. Ingermanländische Männer, die (1939/1940) in finnische Gefangenschaft geraten waren, schlossen sich der finnischen Armee (1941-45) an, wo sie „Stammesbataillone“ bildeten. Den Ingermanländern wurde insgeheim eine gesicherte Zukunft in einem „Großfinnland“ versprochen.

Nach dem verlorenen Krieg 1944 mussten allen Sowjetbürger zurück in die Sowjetunion, darunter an die 60.000 Ingermanländer mit zahlreichen Adoptivkindern. Manche blieben mit gefälschten Papieren in Finnland oder flohen nach Schweden. In der Sowjetunion wurden die Ingermanländer erneut zerstreut, doch vielen gelang es, sich in Russisch-Karelien, Estland oder Ingermanland niederzulassen. Nach 1990 erlaubte Finnland den Ingermanländern die Rückkehr nach Finnland. Etwa 30.000 Ingermanländer erlangten so die finnische Staatsangehörigkeit, doch sie sprachen kein Finnisch und waren entwurzelt. So erging es auch Viktor.

_Handlung_

Viktor Kärppä alias Viktor Nikolajewitsch Gornostajew sitzt in seinem Detektivbüro in Helsinki, als Aarne Larsson eintritt. Larsson ist ein Antiquariatsbuchhändler um die sechzig, der seine Frau Sirje, 35, seit Anfang Januar vermisst. Sie ist spurlos verschwunden. Selbst die Polizei hat die Suche aufgegeben, denn sie mischen sich nicht in die Angelegenheiten von Gangstern ein.

Gangster?, stutzt Viktor und schaut noch mal in Larssons detaillierten Unterlagen nach. Da steht’s: Sirjes estnischer Mädchenname lautet Lillepuu. Ihr Bruder ist der estnische Drogenkönig Jaak Lillepuu. Au Backe, denkt Viktor. Auch sein Auftraggeber Gennadi Ryschkow warnt ihn vor Jaak Lillepuu. Ein knallharter Typ, mit dem man sich nicht anlegen sollte. Na, prächtig.

Ryschkows Partner Karpow beklagt sich, dass ihm und Ryschkow unbekannte Gangster eine Lagerhalle voll geschmuggelten Alkohols und gefälschter Zigarettenpackungen ausgeräumt hätten. Und den Wächter Jura hätten sie gleich mitgenommen. Dieser Jura taucht im Kofferraum eines japanischen Autos in einer Tiefgarage wieder auf. Allerdings in Einzelteilen. Was die Kriminalbeamten Teppo Korhonen und Ypi Parjanne neugierig darauf macht, ob wohl Kärppä etwas darüber weiß. Immer nett, wenn die Kripo morgens um drei auf einen Plausch vorbeischaut. Besonders ohne Schlüssel. Dass selbst Korhonen, der Viktor als Informant benutzt, über die Suche nach Sirje Bescheid weiß, findet Viktor auch nicht gerade beruhigend. Wer weiß noch davon?

Die letzte Spur von Sirje Larsson verliert sich in einem verfallenden Mietsblock voller Esten, Finnen und Ingermanländer. In der bezeichneten Wohnung ist sie nicht, wohl aber eine attraktive Psychologiestudentin namens Marja Takal, die Viktor äußerst interessant findet. (Er wird sie später heiraten.) Mit ihrer Hilfe hört er sich weiter um.

Aufschlussreicher ist ein Besuch in Estland bei Sirjes Eltern. Während ihr Vater recht verschlossen und abweisend wirkt, ist ihre Mutter recht besorgt. Aber hier finden sich keine Spur und kein Hinweis auf Sirje. Der Vater erwähnt, dass Sirjes Bruder Jaak Lillepuu am Telefon meinte, das interessiere ihn nicht. Doch als Jaak auf der Fähre zurück nach Helsinki persönlich auftaucht, klingt das ganz anders. Er legt Kärppä über die Reling, so dass dieser einen intensiven Blick auf die trügerischen Wellen der kalten Ostsee werfen kann. Die mit einem Messer unterstrichene Botschaft ist deutlich: Finger weg von dieser Sirje-Sache!

Die Botschaft kommt durchaus an. Doch als Kärppä sieht, dass Jaak eine Zigarette aus einer Packung raucht, die kürzlich aus Karpows Lagerhaus geklaut wurde, zählt er zwei und zwei zusammen. Hier ist etwas oberfaul, und er gedenkt, der Sache auf den Grund zu gehen. Er stößt auf gefälschte Leichen und einige unangenehme Wahrheiten …

_Mein Eindruck_

Wer seinen Dashiell Hammett und Raymond Chandler kennt, der weiß, dass kaum eine der Figuren, die in dieser Geschichte auftauchen, die ist, die sie zu sein vorgibt. Viktor Kärppä lernt noch auf die harte Tour, dass das Leben einen doppelten Boden hat und er sich beeilen sollte, dies mal nachzuprüfen, auf dass er nicht ins Bodenlose falle. Sein Fehler ist nur, dass er nicht annimmt, dass selbst der doppelte Boden noch eine weitere Ebene haben könnte.

Jeder verfolgt seine eigenen Absichten und andere müssen dafür die Zeche zahlen. Das war schon in den alten Noir-Krimis von Chandler & Co. so. Nach dem Fall des Eisernen Vorhang schicken sich die Russen und Esten an, Finnland zu überrennen und mit gefälschter Schmuggelware zu überschwemmen. Kein Wunder, dass ihnen Nationalisten wie Larsson in die Quere kommen können.

Zu den Russen zählt Kärppä natürlich selbst, und dass er einst bei einer Spezialeinheit der Russischen Armee ausgebildet wurde, kommt ihm jetzt zupass. Tarnen, spionieren, täuschen und tricksen, das liegt dem „Wiesel“, wie sein Name bedeutet, im Blut. Und diese Tatsache reibt ihm Teppo Korhonen bei jeder sich bietenden Gelegenheit unter die Nase. Allerdings verdankt es Viktor diesen Fähigkeiten sowie seinen guten Kontakten in die Leningrader Unterwelt, dass er noch am leben ist.

Eine der wichtigsten Szenen, die Kärppäs Hintergrund beleuchten, dreht sich um sein in Ingermanland zurückgebliebenes Mütterchen. Die alte Frau hat das Putzen übertrieben und einen Herzanfall erlitten. Wer kümmert sich um sie, wer kommt für die Klinikkosten auf, wer transportiert ihre Söhne Alexej und Viktor hin und zurück? Viktor ist auf viele zwielichtige Leute angewiesen, in deren Schuld er ungern stehen möchte.

Zu diesen Leuten gehören auch sein Auftraggeber, Mentor und Chef Ryschkow. Kann Kärppa diesem Mann, der in vielen Halbweltprojekten seine Finger drin hat, wirklich trauen? Chandler-Kenner würden rufen: „Niemals!“ Warum sollte Kärppä auf solche Rufer hören? Nun, spätestens dann, als er sich in Jaak Lillepuus Organisation einschleusen lässt und dort unerwartet viele Gesichter sieht, die er ganz woanders vermutet hatte. Die Rückfahrt mit der estnischen Fähre mündet in einen spannenden Showdown.

_Die Übersetzung_

Die Übersetzerin legt ein großes Gespür für die korrekte Wortwahl an den Tag, so dass der deutsche Stil meist ganz natürlich klingt. Mit zwei dubiosen Ausnahmen. Auf S. 16 heißt es: „Ich verkaufe also kaum fiktive Prosa“, sagt der Antiquar Larsson. Bei uns sagt man allerdings nicht „fiktive Prosa“, denn dass Prosa-Geschichten fiktiv sind, versteht sich ja von selbst. Man sagt daher „fiktionale Prosa“, also erzählende Prosa. „Fiktiv“ steht nur deshalb da, weil am Ende des Absatzes die Rede von Fiktion vs. Fakten ist.

Auf S. 67 steht der Satz “ …Ryschkow hatte möglicherweise zu enge Verbindungen zur FSP oder anderen Nachfolgeorganisationen des KGB.“ Korrekt wäre FSB, wie es ja dann auch in späteren Rönkä-Romanübersetzungen heißt. Den FSB gibt es bis heute.

_Unterm Strich_

Für sein Krimidebüt verlässt sich Matti Rönka auf die erprobten Kniffe der Altvorderen und Meister dieses Fachs. Trau keinem, der dich beauftragt oder dich um einen Gefallen bittet, sollte sich Viktor Kärppä hinter die Ohren schreiben. Und was du siehst, ist nicht unbedingt das, wofür du es hältst. Es ist eine Welt der Fälschungen, in der es keine festen Identitäten mehr gibt, keine festen Loyalitäten, und schon gleich gar keine Wahrheiten.

Aber es gibt die Stimme des Blutes. Sie ruft rein und wahr über viele Meilen hinweg. So findet Viktor Kärppä flugs ans Krankenbett seiner Mutter und trifft dort seinen Bruder. Schon bald werden sie in Rönkäs Romanen Seite an Seite auftauchen. Aber auch die Liebe kann ehrlich sein, und so kommt es nicht von ungefähr, dass Viktor Kärppäs letzter und dringendster Hilfruf nicht an Alexej gerichtet ist, sondern an seine Freundin Marja. Was wird sie damit machen? Diese Seite der Geschichte ist Rönkäs unverwechselbarer Beitrag zum Genre.

Jeder Krimi von Matti Rönkä bietet lohnende Krimilektüre (siehe meine Berichte). Das vorliegende Debüt erhielt so viele Auszeichnungen und Lorbeeren, dass ich sie hier lieber nicht aufzählen möchte. Sie könnten unglaubwürdig wirken. Das soll keinesfalls davor abschrecken, sich den 220-Seiten-Krimi in ein bis zwei Tagen zu Gemüte zu führen.

|Taschenbuch: 222 Seiten
Originaltitel: Tappaja näiköinen mies, 2002;
Aus dem Finnischen von Gabriele Schrey-Vasara
ISBN-13: 978-3894255602|
http://www.grafit.de

_Matti Rönka bei |Buchwurm.info|:_
[„Russische Freunde“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7947
[„Entfernte Verwandte“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7955

Martin, George R. R. – Sturm der Schwerter (Das Lied von Eis und Feuer 5)

_|Das Lied von Eis und Feuer|:_

01 [„Die Herren von Winterfell“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3637
02 [„Das Erbe von Winterfell“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7222
03 [„Der Thron der Sieben Königreiche“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3651
04 [„Die Saat des goldenen Löwen“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7864
05 _“Sturm der Schwerter“_
06 „Die Königin der Drachen“
07 „Zeit der Krähen“
08 „Die dunkle Königin“
09 „Der Sohn des Greifen“
10 „Ein Tanz mit Drachen“ (23.07.2012)

_Viele Anfänge, keine Entscheidungen: Aufmarsch zum Showdown_

„Das Lied von Eis und Feuer“, so heißt das ambitionierte Großprojekt von George R. R. Martin auf dem Gebiet der epischen Fantasy. Die vier ersten Bände davon sind bereits auf Deutsch erschienen (hier auf acht Bände verteilt), die nächsten zwei erscheinen im Mai und Juli 2012 auch bei uns. „Sturm der Schwerter“ ist die erste Hälfte des Originalbandes „Storm of Swords“.

Der Zyklus lässt sich zum Besten einordnen, was diese Literaturgattung bisher hervorgebracht hat. Mehrere Handlungsstränge aufgreifend, bietet Martin einen Blick auf eine farbenprächtige Welt voller Gegensätze, ein buntes Gewimmel verschiedenster Schicksale, verstreut vom kargen, frostklirrenden Norden bis zu den orientalisch prächtigen Ländern des Sommers.

Eine Welt, in der die Jahreszeiten sich über Jahre erstrecken können und auf einen milden langen Sommer ein umso härterer Winter folgt. In diesen Wintern erwachen im Norden dunkle Mächte. Und der jetzige Sommer währt bereits die Rekordzeit von zehn Jahren … Doch noch ist die Witterung wohlgesonnen, und die Menschen sind mit ihrem eigenen Streit beschäftigt. Aber das Blatt wendet sich allmählich …

_Der Autor_

George R. R. Martin, 1948 in Bayonne/New Jersey geboren, veröffentlichte seine ersten Kurzgeschichten im Jahr 1971 und gelangte damit in der Fantasy-Szene zu frühem Ruhm. Gleich mehrfach wurde ihm der renommierte Hugo Award verliehen. Sein mehrteiliges Epos Das Lied von Eis und Feuer wird einhellig als Meisterwerk gelobt, dessen neunter Band im Mai 2012 auf Deutsch erscheint. George R. R. Martin lebt in Santa Fe, New Mexico. (Erweiterte Verlagsinfo)

_Handlung_

Davos der Schmuggler, der in der Schlacht um die Hauptstadt Königsmund, ein Schiff kommandiert hat, ist auf einem einsamen Felsen gestrandet und stillt seinen Durst aus Regenwasserpfützen, als sich am Horizont ein Segel abzuzeichnen scheint. Ist dies seine Rettung aus den Qualen von Hunger, Durst und Einsamkeit? Davos hat noch eine Mission vor sich: eine Hexe zu töten.

|Jon Schnee|

Lord Starks Bastard Jon Schnee, der sich der Schwarzen Bruderschaft angeschlossen hat, ist an der größten Expedition der Grenzer von der Mauer beteiligt, die man in den letzten Jahren gesehen hat. Jon ist ein Warg und mit dem Zweiten Gesicht begabt, so dass er mit den Augen seines Schattenwolfs Geist „sehen“ kann, wie sich die größte Ansammlung von Wildlingen, Riesen usw., die man bislang gesehen hat, jenseits der Mauer in Bewegung setzt, um die Mauer anzugreifen. Wehe dem Königreich von Westeros, wenn sie sie überwinden können!

Doch die Patrouille von Qhorin Halbhand, der er sich angeschlossen hat, wird von einem anderen Geistwandler in Adlergestalt entdeckt und verfolgt. Ihre Chancen auf ein Überleben in der eisigen Wildnis jenseits der Mauer sind gleich null. Damit wenigstens Jon, immerhin der Spross eines Fürsten, überlebt, greift Qhorin zu einer verzweifelten Maßnahme: Jon soll überlaufen, um die Pläne von Manke Rayder, dem König-jenseits-der-Mauer, zu erfahren. Und um ein glaubwürdiger Verräter zu sein, soll Jon seinen Bruder Qhorin vor Zeugen töten. Wird der verwegene Plan aufgehen?

|Daenerys|

Die einzig wahre Thronerbin von Westeros, Daenerys Targaryen, segelt mit ihren drei Drachen – den einzigen auf der Welt – vom äußersten Osten zurück nach Pentos. Sie befindet sich mit ihren getreuesten Untergebenen an Bord von drei Handelsschiffen Illyrios, eines Kaufmanns, der bereits ihren Bruder Viserys unterstützte. Seine zwei Söldner, ein alter „Knappe“ und ein Eunuch, haben ihr in Quarth das Leben gerettet, sagen sie.

Doch Ser Jorah, der verbannte Ritter und treuester Berater, traut den beiden nicht und vertraut Daenerys seine Zweifel an. Ihr wurde prophezeit, sie werde dreimal verraten werden, wegen Blut, wegen Gold und in der Liebe. Was, wenn Illyrio, der scheinbar so loyale Mäzen, sie an den Feind meistbietend verraten hätte? Was erwartet Daenerys in Pentos – eine Invasionstruppe für Westeros oder der Kerker? Schon einmal hat es ein Kaufmann in Quarth auf ihre unschätzbar wertvollen Drachen abgesehen.

Ser Jorahs Vorschlag lautet daher: „Segelt Astapor und heuert mit Illyrios Handelsware eine Armee treuer Unbefleckter an, also Sklavensöldner, und reist dann über Land nach Pentos, was wenigstens nicht so gefahrvoll ist wie zur See.“ Dann küsst er die halbnackte Königin und macht ihr einen Heiratsantrag. Denn schließlich müssen für DREI Drachen auch DREI Reiter gefunden werden …

|Bran Stark|

Winterfell ist zerstört und niedergebrannt, nur Bran und zwei Begleiter konnten entkommen. Bran Stark ist zwar ein Krüppel, seit Jaime Lennister ihn aus dem Turmfenster gestoßen hat, doch wenn er als Warg seinen Geist in seinen Schattenwolf versenkt, kann er laufen wie ein Prinz der Wälder. Immer öfter und länger unternimmt er deshalb diese köstlichen Geistreisen mit Sommer.

Leider reißen ihn seine zwei Begleiter Meera und Jojen Reet, zwei „Froschfresser“ aus dem östlichen Mündungsdelta, immer wieder aus diesen Trancen, denn schließlich muss auch sein eigener Körper bei Kräften bleiben. Vor die Wahl gestellt, sich durch Kriegsgebiet nach Norden durchzuschlagen oder seiner Vision zu folgen, entscheidet er sich für Letzteres. Doch um die dreiäugige Krähe zu sehen, muss er die Mauer des Nordens überwinden und ins gesetzlose Land dahinter vorstoßen.

|Sansa Stark|

Prinzessin Sansa, die ältere Tochter des enthaupteten Lord Eddard Winterfell, sieht sich in der Gefangenschaft zu Königsmund, wo die Königin sie als Geisel hält, unvermittelt von neuen Freundinnen umgeben: den Angehörigen der neuen Braut von König Joffrey, Margaery Tyrell von Rosengarten. Die Brautmutter besonders erweist sich als erfahrene Intrigantin und verkuppelt die nunmehr solo lebende Sansa an einen Gutserben, der nur den winzigen Nachteil hat, ein Krüppel und Schöngeist zu sein. Sansa freut sich schon auf ein angenehmes Eheleben im sonnigen Süden.

Zu dumm, dass Lord Tywin Lennister, mittlerweile die Hand des Königs, genau die gleiche Idee hat – für die verwitwete Königin. Und wer soll nun Sansas Hand erhalten? Sein Sohn Tyrion glaubt, sich verhört zu haben …

|Arya Stark |

Sansas unternehmungslustige Schwester Arya befindet sich derweil auf einem Kurs, der sie nach Norden führen soll, doch nachdem ihre Identität von versprengten Resten des Nord-Heeres aufgedeckt worden ist, nimmt man sie und Gendry, den Bastardsohn von König Baratheon, gefangen, um sie Lord Beric Dondarrion auszuliefern. Und der lebt nun mal weit im Süden. Und es heißt, er sei unsterblich. Unverhofft stößt sie bei ihm auf Sandor Clegane, den Bluthund des früheren Königs. Und mit dem hat Arya noch eine alte Rechnung zu begleichen.

|Lady Catelyn|

Die Mutter der beiden, Lady Catelyn, hat unterdessen eine verzweifelte Entscheidung getroffen, um Sansa und Arya aus der Gefangenschaft auszulösen: Sie will Jaime Lennister, den Königsmörder und Bruder der Königin, nach Königsmund schicken, damit Königin Cersei im Austausch die zwei Mädchen freigibt. Doch der Auftrag, den sie der bewaffneten Kämpferin Brienne gegeben hat, stößt in den vom Krieg verwüsteten Landen auf unerwartete Hindernisse …

|Tyrion Lennister|

Tyrions Liebe zu Shae nimmt verzweifelte Ausmaße an. Er ist zwar durch die fehlende Nase entstellt, doch sie liebt ihn immer noch. Allerdings sind ihre Treffen, die der undurchsichtige Eunuch Varys arrangiert, eine ständige Gefahrenquelle für sie beide. Sollte Tyrions Vater Tywin oder gar die Königin von Shae erfahren, wäre ihr Leben keinen Pfifferling mehr wert – und das von Tyrion womöglich mit.

Deshalb steht Tyrion dem Vorschlag bzw. der Forderung seines Vaters, Sansa Stark wegen ihres Anspruchs auf ein Königreich im abtrünnigen Norden zu heiraten, gar nicht ablehnend gegenüber. Und die zur Frau erblühte Sansa ist kein Mädchen, das Tyrion von der Bettkante stoßen würde (anders als etwa Lady Arryn). Aber kann Tyrion wirklich Shae behalten, wenn er verheiratet ist? Der Versuch, seinen Kuchen zu essen und zugleich behalten, ist schon des öfteren schiefgegangen.

_Mein Eindruck_

Die Heere sind in Bewegung gesetzt, zumindest diejenigen, die nach den ersten Schlachten noch übrig geblieben sind. Das wichtigste und am wenigsten beachtete Heer ist das von Manke Rayder, dem König jenseits der Mauer. Es schickt sich an, eben diesen Schutzwall zu überwinden, die Schwarze Wache wegzufegen und das Tor zum Süden zu öffnen. Dann werden Zombies und die Anderen über den Norden herfallen, der nicht mehr von den Starks bewacht wird: Winterfell wurde niedergebrannt.

Tief im Süden rollt neuer Ärger auf Königsmund zu, wie Tyrion Lennister feststellen muss: Die Adligen der südlichsten Region Dorne kommen zu König Joffreys Hochzeit und werden in der Hauptstadt auf ihre Erzfeinde, die Adligen aus Roesengarten treffen. Das sollte für einen hübschen Konflikt sorgen, freut sich Tyrion, der seiner Schwester, Königin Cersei, jedes Unglück von Herzen gönnt.

Auch weit im Osten braut sich Ungemach zusammen. Daenerys ist es endlich gelungen, eine schlagkräftige Streitmacht aufzustellen. Das heißt, sie hat sie einfach von den Sklavenhändlern „gekauft“ – und dann eben diese Händler eliminieren lassen. Nun stehen ihr die Unbefleckten zur Verfügung, Eunuchen, die keinen Schmerz und kein Mitgefühl kennen, dafür aber jede Menge Waffenkünste. Und es sind nicht bloß Hunderte, sondern Zehntausende. Mit ihnen könnte sie es sogar gegen die Dothraki aufnehmen. Allerdings braucht sie nun einen Weg, um sie alle nach Westeros zu transportieren. Doch dabei wird ihr Ser Jorah gerne Rat geben.

Die einzigen Enttäuschungen, die ich in dem Buch bislang erlebte, sind die unvollendeten Handlungsfäden von Arya, Bran und Jaime sowie das seltsame Geschick von Sansa. Statt nämlich mit der 13-jährigen die Ehe zu vollziehen, verspürt der Gnom Tyrion Mitgefühl für das an ihn verschacherte Kind und überlässt ihr die Wahl, wann es dazu kommen soll. Er hat ja immer noch seine Hure Shae. Allerdings muss er sich nun allerlei Spott und Kritik anhören. Und eine Ehe, die nicht „nach angemessener Frist“ vollzogen worden ist, kann vom Hohen Septon annulliert werden. Das würde Lord Tywin sicher nicht gefallen, der sich das Erbe der Starks unter den Nagel reißen will.

_Die Übersetzung _

Ein umfangreicher Anhang mit den einzelnen Herrscherhäusern von Martins Phantasiewelt macht es deutlich: Hier treten sehr viele Leute auf die Bühne, die die Welt bedeutet. Und nicht alle treten lebend ab. Denn wie das unter den Edlen so ist und dem Leser von Shakespeare sattsam bekannt: Es kann der Klügste nicht in Frieden regieren, wenn es dem Ehrgeizigen nicht gefällt.

Der Interessent sollte darauf achten, die überarbeitete Fassung zu lesen, denn in ihr sind alle Eigen- und Ortsnamen auf den drei Landkarten eingedeutscht und Fehler der Erstauflage ausgemerzt. Äußerst hilfreich sind die Landkarten, auch wenn man sich so manche davon etwas detaillierter gewünscht hätte.

|Fehlerübersicht|

Auf S. 450 steht „Marum“ statt „Warum“.

S. 583: „Der Mann war klein [ -] obzwar für Tyrion jeder Mann groß war -, hatte – spärliches braunes Haar …“. Zunächst fehlt ein Gedankenstrich, dann haben wir einen zu viel. Die beiden Lektoren hätten hier besser aufpassen müssen.

Auf S. 584 steht „größzügig“ statt „großzügig“. Es gibt noch einige solche Flüchtigskeitsfehler mehr.

Kein Fehler ist jedoch auf S. 608, dass das Wort „Dolch“ zweimal in einem Satz auftaucht. Die Figur, ein Bruder der Nachtwache, wird einfach so genannt. Und natürlich geht es um Sams Dolch aus valyrischem Stahl, mit dem er einen der unheimlichen Anderen getötet hat.

_Unterm Strich_

Für diese erste Hälfte des Gesamtbandes habe ich mehrere Wochen benötigt. Der Grund ist einfach: Es finden lediglich Auf- und Umstellungen von Figuren statt, aber keine eigentlichen Entscheidungen von Konflikten. Der Autor baut jede Menge Spannungsbögen auf, doch die wenigsten davon werden auch zu Ende geführt. Am Schluss hat man zwar eine ganze Reihe von Entwicklungen gesehen, aber deren Ziele und Zwecke sind noch unklar. Deshalb kann mein Rat nur lauten: sofort weiterlesen!

Hinweis: Die 2. Hälfte von „Storm of Swords“ trägt den deutschen Titel „Die Königin der Drachen“.

|Taschenbuch: 768 Seiten
Originaltitel: A Storm of Swords, pp. 1-438 inkl. Appendix (2000)
Aus dem US-Englischen von Andreas Helweg, in überarbeiteter Übersetzung
ISBN-13: 978-3442268467|
[www.randomhouse.de/blanvalet]http://www.randomhouse.de/blanvalet

_George R. R. Martin bei |Buchwurm.info|:_
[„Der Heckenritter“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4443
[„Fiebertraum“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5451
[„Adara und der Eisdrache“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5857

Rönkä, Matti – Entfernte Verwandte

_Finnen-Krimi für den langen Atem_

Helsinki 2006: Viktor Kärppä führt gerne mal billigen Fusel aus Russland ein, um ihn teuer weiterzuverkaufen. Ansonsten sind seine Geschäfte durchaus legal. Okay, da sind die zwei Wohnungen, die er an einen russischen Gangster vermietet hat. Aber was geht das Viktor an? Das ändert sich, als er dort kiloweise Drogen findet. Und kurz darauf ein entfernter Verwandter ermordet wird … (Verlagsinfo)

_Der Autor_

Matti Rönkä, geboren 1959 in Nord-Karelien, ist Journalist. Er hat sowohl in den Printmedien als auch beim Radio gearbeitet und ist heute Chefredakteur und Nachrichtensprecher beim finnischen Fernsehen. Jeder Finne kennt ihn als „Mister Tagesschau“ – und als Autor sehr erfolgreicher Krimis. Rönka lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Helsinki. Er wurde mit dem Finnischen, dem Nordischen und dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet. (Verlagsinfo)

Bereits erschienen:

„Der Grenzgänger“
„Bruderland“
[„Russische Freunde“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7947
„Zeit des Verrats“

Hinsichtlich des Hintergrunds bitte meine Rezension zu „Russische Freunde“ lesen. Danke.

Folgendes Wissenswertes berichtet der Autor in seinem Nachwort zu „Entfernte Verwandte“:

Auf mütterlicher Seite ist Viktor Gornojewitsch / Kärppä ein Karelier. Diese bilden ein eigenes Volk, dessen Sprache eng mit dem Finnischen verwandt ist. Nach dem finnischen Bürgerkrieg von 1917/18, der auf die Unabhängigkeit von Schweden folgte, flohen viele der unterlegenen „Roten“ vor den bürgerlichen „Weißen“ nach Russland. Hier wollten sie das Arbeiterparadies aufbauen. Während der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre kamen selbst Finnen aus den USA und Kanada hierher nach Karelien.

Auf der väterlichen Seite jedoch ist Viktor Ingermanländer. Diese siedelten in einem schmalen Streifen nordöstlich von St. Petersburg. Es sind Finnen, die im 17. und 18. Jahrhundert von den Schweden angesiedelt wurden, um die lutherische Kirche im Osten zu stärken. Rund 200.000 Finnen pflegten die finnische Kultur usw. Doch besonders zu Stalins Zeiten wurden Finnen verfolgt, in Lager gesteckt, Familien auseinandergerissen und Bevölkerungsteile in ferne Gegenden Russlands vertrieben.

Im II. Weltkrieg eroberte die deutsche Wehrmacht Ingermanland, um Leningrad einzuschließen. Die dort lebenden Menschen wurden nach Finnland umgesiedelt. Dort schlossen sie Ehen mit Finnen und adoptierten verwaiste Kinder. Ingermanländische Männer, die (1939/1940) in finnische Gefangenschaft geraten waren, schlossen sich der finnischen Armee (1941-45) an, wo sie „Stammesbataillone“ bildeten. Den Ingermanländern wurde insgeheim eine gesicherte Zukunft in einem „Großfinnland“ versprochen.

Nach dem verlorenen Krieg 1944 mussten allen Sowjetbürger zurück in die Sowjetunion, darunter an die 60.000 Ingermanländer mit zahlreichen Adoptivkindern. Manche blieben mit gefälschten papieren in Finnland oder flohen nach Schweden. In der Sowjetunion wurden die Ingermanländer erneut zerstreut, doch vielen gelang es, sich in Russisch-Karelien, Estland oder Ingermanland niederzulassen. Nach 1990 erlaubte Finnland den Ingermanländern die Rückkehr nach Finnland. Etwa 30.000 Ingermanländer erlangten so die finnische Staatsangehörigkeit, doch sie sprachen kein Finnisch und waren entwurzelt. So erging es auch Viktor.

_Handlung_

Der Bauunternehmer Viktor Kärppä kämpft an mehreren Fronten gleichzeitig. Seit seine Lebensgefährtin Marja eine kleine Tochter namens Anna hat, fordert sie von Vitjuha mehr Erfüllung seiner Vaterpflichten. Doch in der Firmenkasse herrscht Ebbe, die nach Flutung verlangt. Das Baugeschäft bringt wenig ein, also hat Viktor an den Exilrussen Maxim Frolow zwei Wohnungen vermietet. Weil ihm Frolow auch noch Schwarzarbeiter andrehen will, schaut Viktor mal nach dem Rechten. Was er findet, schockt ihn.

In Wohnung Nr. 1 hat Frolow ein Bordell eingerichtet. Wenigstens verrät ihm die Prostituierte, was es mit Frolows Geschäften auf sich hat: Menschen- und Drogenhandel beispielsweise. In Wohnung Nr. 2 findet er einen Junkie im Heroinrausch vor. Na prächtig, denkt Viktor, und es ist auch noch Slawa, den er als Hausmeister eingestellt hat, um ihn von der Straße zu holen. Das hat man nun von der Nächstenliebe. In einem Versteck findet er mehrere Kilo Rauschgift, das Frolow hier wohl gebunkert hat.

Bevor man jemanden verrät, sollte man unter Russen immer erst prüfen, über welche Verbindungen das Ziel verfügt. Deshalb schaltet Viktor den Kulturattaché der russischen Botschaft in Helsinki. Mit anderen Worten: den Chefspion Putins in Finnland. Alexander Malkin liefert auch die entsprechenden Informationen über Frolows Verbindungen: einen Esten und einen Tschetschenen. Der Este Wadim besorgt das Rauschgift, aber der Tschetschene Imran ist wahrscheinlich ein Terrorist. Das baut Viktor richtig auf. Er verweist Slawa sicherheitshalber des Landes, bevor der sich zusammenbrauende Ärger blutig wird.

Eines Tages steht eine Frau mit einem Jungen vor der Tür, und Marja ärgert sich erneut: Is Viktors Haus jetzt zum Asylantenheim erklärt worden? Aber nein. Xenja ist die Frau von Pawel, seinem Vetter 2. Grades, und Sergej ist ihr Sohn. Pawel, der aus dem russischen Ingermanland (s. o.) stammt, sollte hier in Finnland ein paar Wochen oder Monate auf dem Bau schwarz arbeiten, erzählt sie, doch er habe nie wieder etwas von sich hören lassen. Blutsbade verpflichten ihn, Xenja und Sergej aufzunehmen. Wenigstens dies versteht Marja.

Inzwischen sind die Cops Viktor auf den Fersen, denn sie versuchen, etwas über seinen angeblichen „Partner“ Maxim Frolow herauszufinden. Als auch noch Frolows Handlanger Wadim und Imran ihn einzuschüchtern versuchen, weil sie alles über Slawas Verschwinden erfahren haben, ist das Maß voll. Viktor besorgt sich eine Lebensversicherung in Gestalt des gebunkerten Heroins in seiner Wohnung. Die Prostituierten bringt er bei seiner Sekretärin Oksana unter.

Doch wo ist nur Vetter Pawel abgeblieben, fragt sich Viktor, der von seine Kusine Xenja täglich neu daran erinnert wird. Als ein Pärchen die verbrannte Leiche von Pawel auf einer versteckten Baustelle findet und gleich danach der Cop Teppo Korhonen bei Viktor auftaucht, äußert Viktor seinen Verdacht gegen Frolow, der ja solche Schwarzarbeiter als moderne Sklaven ausbeutete.

Kurz darauf ist Xenja verschwunden. Viktor und sein Assistent Matti Kiuri ahnen Schlimmes. Sie bewaffnen sich bis an die Zähne und rasen los, um Maxim Frolow einen längst überfälligen Besuch abzustatten …

_Mein Eindruck_

Wie schon in „Russische Freunde“ und „Zeit des Verrats“ setzt sich der Autor kritisch mit dem neuen Finnland auseinander, das offenbar von vielen Russen besiedelt wird. Nicht zuletzt auch von Russen, die ehemals Finnen waren, also Karelier und Ingermanländer (s. die Hintergrundinformation). Welche Moral und Absichten hegen diese Zugewanderten, fragt der Autor, und das Urteil fällt nicht immer positiv aus.

Maxim Frolow ist der ultimative Gangster, der sich als Biedermann ausgibt. Doch Drogen- und Menschenhandel sind für ihn kein Problem. Hauptsache, seine Schergen, der Tschetschene und der Este, machen für ihn die Drecksarbeit, solange er seine weiße Weste behalten kann. Natürlich versucht er, auch so „aufrechte“ Zuwanderer wie Viktor Kärppä zu korrumpieren. Doch dabei löst er einen alten Konflikt aus, der ihn Viktor zum Feind macht: die entfernten Verwandten erheben ein Anrecht auf Viktor – und ausgerechnet einen davon, Pawel, hat Frolow als modernen Sklaven ausgebeutet und dessen Witwe und Waisensohn hinterlassen. (Wer jetzt an antike Mythen denkt, liegt genau richtig.)

Sicher, Viktor ist selbst kein Ruhmesblatt in der Geschichte der Ex-Karelier. Und ebenso wenig sind es wohl seine Vorväter gewesen, wie wir aus seinen Erinnerungen und Träumen erfahren. Darutner waren Rebellen, aber auch Kollaborateure mit dem russischen System. Und schließlich hat Mütterchen Russland selbst dafür gesorgt, dass aus Viktor etwas Rechtes wurde: Es bildete ihn zum Soldaten der Spezialtruppen ebenso aus wie zum Skilaufweltmeister – eine körperliche Kondition, die ihm auch heute noch, rund 20 Jahre später, zustatten kommt.

Die causa Frolow zwingt Kärppä, das listenreiche Wiesel, sich für eine Seite zu entscheiden. Der Moment dafür lässt sich genau bezeichnen. Viktor hat Frolows Drogenversteck in Ruhe gelassen, obwohl das Rauschgift ein Vermögen wert ist. Erst als der Tschetschene und der Este ihm und Matt Kiuri drohen, sieht Kärppä den Zeitpunkt gekommen, sich die Heroin-Kilos anzueignen – sie liegen ja in seiner eigenen Wohnung – und als Lebensversicherung zu verwenden. Er denkt nicht im Traum daran, das Teufelszeug selbst zu verhökern. Damit würde er sich auf eine Stufe mit Frolow stellen.

Eine zweite, finale Wendung erfolgt, als Pawel, Xenjas mann, tot aufgefunden wird und Xenja selbst verschwindet. Wurde sie entführt, fragen sich Viktor, Matti, Sergej und schließlich auch Marja. Nur ein Besuch bei Frolow kann Aufklärung bringen. Doch was dann folgt, ist alles andere als das, was der Leser, der amerikanische Krimikost gewöhnt ist, erwartet hat.

_Die Übersetzung_

Zur Übersetzung gilt, was ich bereits über „Russische Freunde“ und „Zeit des Verrats“ schrieb:

„Die Übersetzerin hat nicht nur die wechselnden Ebenen des sprachlichen deutschen Stils gut getroffen, sondern auch unzählige kulturelle Details Finnlands und Russland sicher übertragen. Inwieweit sie dabei eigene Formulierungen hat einfügen müssen, bleibt unklar. Jedenfalls hat sie dazu keine Fußnoten bemüht, die manchen Lesern ja so lästig fallen.

Weil es keine Fußnoten gibt, muss man sich aber auch mit der Tatsache abfinden, dass manche der russischen Ausdrücke, die Viktor benutzt, einfach so stehen bleiben. Es sind allerdings nie ganze Sätze, so dass man die Wörter leicht online nachschlagen kann.“

Diesmal hat Gabriele Schrey-Vasara zwei Fehler gemacht. Der Erste findet sich auf Seite 154: „… den Gegner mit einem skrupellosen Angriff überrempeln.“ Korrekt wäre natürlich „überrumpeln“. Das (An-) Rempeln wäre viel zu schwach und wirkungslos.

Das erste Wort auf S. 233 lautet „Kriminalmeister“. Unter diesem finnischen Polizeidienstgrad, dem offenbar untersten bei der Kripo, kann sich der deutsche Leser leider nichts vorstellen. Hier wäre die deutsche Dienstgradentsprechung besser gewesen.

_Unterm Strich_

Für meinen dritten Rönka-Roman habe ich etwas länger als sonst benötigt. Der Auftakt scheint kein Ende zu nehmen, und die Mitte scheint nirgendwohin zu führen. Erst der Abschluss der vielen ausgeworfenen Handlungsfäden erfolgt mit der angemessenen Spannung und Action. Andererseits lebt dieser Roman von seinen inneren Kontrasten.

Der Handlungsstrang um den Karelier Pawel Wadajew beispielsweise ist sehr subjektiv im Erzählstil des persönlichen Erzählers gehalten, so dass wir zwar viel von seiner schlichten Denkungsart mitbekommen, aber reichlich wenig von Außenwelt. Es ist fast schon ein innerer Monolog, ähnlich einem der zahlreichen Träume, die Viktor Kärppä erlebt.

Dann wieder erlebt Kärppä mit seinem Spezialfreund Korhonen von der Kripo einen merkwürdigen Dialog nach dem anderen. Der kleine Sergej, Xenjas Sohn, erklärt Teppo Korhonen für „plemplem“, und damit hat er völlig recht. Allerdings versteckt der Finne mit seiner überdrehten Art nicht nur seine Verzweiflung über seine eigene Familie (drei Frauen!), sondern auch die wachsende Frustration über permanente dienstliche Zurücksetzungen. Muss er sich doch neuerdings von einem jungen Schnösel herumkommandieren lassen!

Dem stehen die harten Fakten gegenüber, die Kärppä schrittweise über Frolow ans Tageslicht fördert: der Handel mit harten Drogen aus Estland, die Zuhälterei mit russischen und estnischen Frauen, schließlich der Menschenhandel mit Fremdarbeitern wie Pawel Wadajew. Kärppä, das alte Wiesel, erkundigt sich erst einmal, wie die Russen überhaupt zu Frolow stehen, bevor er ihn sich vornimmt. Weder die Petersbürger Unterwelt noch die Spione in der russischen Botschaft würden Frolow auch nur eine Träne nachweinen, ganz im Gegenteil.

Deshalb scheint Viktor der Menschheit in Form der finnischen Gesellschaft einen Gefallen zu tun, wenn er Frolow zur Rede stellt, wo Xenja abgeblieben sei. Doch das, was er vorfindet, entspricht ganz und gar nicht seinen Erwartungen. Mehr darf nicht verraten werden. Man sieht also, dass man für diesen Kärppä-Krimi einen etwas längeren Atem mitbringen sollte. Aber das Finale entlohnt für die Mühe voll und ganz.

|Hinweis|

„Entfernte Verwandte“ sollte um der Chronologie der Ereignisse willen nach „Russische Freunde“ und vor „Zeit des Verrats“ gelesen werden. Der Hauptgrund ist der, dass der kleine Sergej, Xenjas Sohn, in „Russische Freunde“ noch nicht da ist, in „Zeit des Verrats“ aber gar nicht mehr erklärt wird. Die Erklärung liefert nur der Roman dazwischen, eben „Entfernte Verwandte“.

|Originaltitel: Isä, poika ja paha henki, 2008;
Taschenbuch: 253 Seiten
Aus dem Finnischen von Gabriele Schrey-Vasara
ISBN-13: 978-3404166633|
http://www.luebbe.de

_Matti Rönkä bei |Buchwurm.info|:_
[„Russische Freunde“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7947

Rönkä, Matti – Russische Freunde

_Die finnisch-russische Connection: Buddy Movie oder Actionkrimi? _

Viktor Kärppä ist cool und smart – und hat eine Spezialausbildung der Russischen Armee hinter sich. Nun lebt er friedlich in Helsinki. Bis das Haus, das er mit seiner Lebensgefährtin Marja eingerichtet hat, niederbrennt. Ursache: Brandstiftung. Kärppä hat sich in Russland offenbar jemanden Großes zum Feind gemacht. Er musst dorthin reisen und sich in die Höhle des Löwen begeben … (Verlagsinfo)

_Der Autor_

Matti Rönkä, geboren 1959 in Nord-Karelien, ist Journalist. Er hat sowohl in den Printmedien als auch beim Radio gearbeitet und ist heute Chefredakteur und Nachrichtensprecher beim finnischen Fernsehen. Jeder Finne kennt ihn als „Mister Tagesschau“ – und als Autor sehr erfolgreicher Krimis. Rönkä lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Helsinki. Er wurde mit dem Finnischen, dem Nordischen und dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet. (Verlagsinfo)

Bereits erschienen:

1) Zeit des Verrats
2) Entfernte Verwandte
3) Bruderland
4) Der Grenzgänger

_Handlung_

Der Mann, der sich jetzt Viktor Kärppä nennt und in einem Vorort von Helsinki mit seiner Lebensgefährtin Marja lebt, frönte nicht immer einer so friedlichen Existenz als Hersteller von Fertigbauhäuschen. Er war mal in einer Spezialeinheit der russischen Armee, hat auch noch Verbindungen zur dortigen Halb- und Unterwelt. Russische Freunde, denkt Vitja, kann man immer brauchen.

Ganz besonders dann etwa, als zwei geschniegelte Typen in Geschäftsanzügen bei ihm auftauchen und verlangen, dass er alle seine Firmen – und es sind schon eine ganze Reihe – auf sie überschreibt. Wenn er wisse, was gesund für ihn ist. Viktor denkt gar nicht daran und hält die beiden Typen hin, die bald von handfesten Typen in Anoraks gefolgt werden. Er überschreibt seine Firmen in ein zugriffssicheres Dickicht von Holdings und Briefkastenfirmen, während er sich in St. Petersburg erkundigt, wer eigentlich dahintersteckt.

Als die Russen sein schönes neues Haus abfackeln, befindet sich zum Glück Marja nicht darin. Aber jetzt ist klar, dass sein Bruder Aleksej Marja bei ihrer russischen Familie verstecken und Viktor schleunigst abhauen muss. Bevor sie ihn in seiner Lagerhalle aufspüren, wo er seine falschen Pässe und Kreditkarten hervorholt, stößt er auf Teppo Korhonen, den finnischen Polizisten, der unbedingt Lorbeeren mit der Lösung eines „großen Falls“ ernten möchte. Der alte Cop hat neue Ehren offenbar dringend nötig. Und so tut sich Viktor notgedrungen mit ihm zusammen. Denn Korhonen hat wenigstens einen fahrbaren Untersatz.

Allerdings sind ihnen die russischen Verfolger auf den Fersen. Während sich das ungleiche Duo seinen Weg freikämpft, versucht Kärppä herauszufinden, wer ihm ans Leder will. Und die Hinweise sind nicht gerade vielversprechend. Er wird sogar bereits entlang der finnisch-russischen Grenze von den Leningrader Mafiabossen und ihren Helfern erwartet, heißt es.

Aber ein Ass hat Viktor noch im Ärmel, denn er war nicht umsonst in der Roten Armee Hauptmann. Im hintersten Nordfinnland macht er zusammen mit Korhonen über die Grenze und begibt sich mit Hilfe seiner ehemaligen Armeegenossen in die Höhle des Löwen. Das ist bestimmt das Letzte, was der unbekannte Feind von ihm erwarten würde, oder?

_Mein Eindruck_

Falsch gedacht, denn der „Feind“ sitzt ganz woanders, wie ja schon der Buchtitel andeutet. Genug verraten! Die Figur des Viktor Kärppä alias Kornojewitsch macht die Krimireihe, die Matti Rönkä kontinuierlich ausbaut, so einzigartig und unverwechselbar. Er ist ein Grenzgänger, der es aus der ehemaligen Sowjetunion in den reichen Westen geschafft hat.

Denkt er. Leider findet das nicht jeder gut, den er hinter gelassen zu haben meint. Es gibt „russische Freunde“ jenseits der finnischen Grenze, die ihm mal so, mal so gegenüberstehen. Viele sind in der Halbwelt, in die Militärangehörige und Geheimdienstler gerutscht sind. Manche sind immer noch beim Militär und retten Viktor den Hintern. Sogar alte Geheimdienstcodes des FSB kann er noch (wenigstens einmal) verwenden. Dieser Hintergrund zusammen mit seiner Spezialausbildung zu einem eiskalten Killer machen Viktor zu einem Protagonisten, von dem sich der Actionfreund einiges erwarten darf.

Dummerweise will Viktor ein friedlicher Zivilist sein, dem nichts so zuwider ist wie aufzufallen. Ganz besonders in Finnland, seiner neuen Heimat, wäre es äußerst lästig, wenn die Behörden auf ihn aufmerksam würden, denn er denkt gar nicht daran, irgendwelche Steuern zu bezahlen. Auch Marja, seiner Angebeteten, ist ein Besuch vonseiten der Cops – oder gar von Gangstern – nicht zuzumuten, findet er.

Leider hat er aber dann doch eine polizistische Klette am Hintern, und das ist kein anderer als der unverwechselbare Teppo Korhonen. Teppo scheint der übliche trinkfreudige Saunagänger zu sein, als den man sich mancherorts einen typischen finnischen Mann vorstellt. Doch unter seiner sangesfreudigen Art verbirgt Teppo großen Schmerz, ein humanes Gemüt und sogar einen Cop, der, wenn’s darauf ankommt, auch mal die Knarre zum Einsatz bringt. So rettet er etwa Viktors Hintern, als der in der Klemme steckt. Teppo ist dafür sogar barfuß durch Brennnesseln getapst – wie er nicht aufhört, Viktor jammervoll in Rechnung zu stellen.

Dieses dynamische Duo verkörpert das neue Finnland, das voller Fremder ist. Viele Exilrussen stoßen auf alteingesessene Finnen, die ihnen erst einmal misstrauisch gegenüberstehen. Diese Russen bringen natürlich ihre Eigenheiten mit, so etwa die Steuerhinterziehung, die Schwarzarbeit und vieles mehr. Andererseits bieten sie Cops wie Korhonen einen Zugang zum Riesenreich der Russen, von dem ja ein kleiner Teil, nämlich Karelien, einmal finnisches Staatsgebiet war.

Vielfach wird im Buch an die Winterkriege 1941 bis 1944 hingewiesen, als Sowjets und Finnen (und zeitweilig auch die deutsche Wehrmacht) dieses Gebiet umkämpften (es gibt dazu auch den Spielfilm „Beyond the Frontline“ von 2004). Die finnischen Soldaten, die sich damals für Karelien und die finnische Freiheit „opferten“, sind in den finnischen Legenden längst zu Märtyrern und Helden verklärt worden, ganz besonders der Nationalheld General Mannerheim.

Über den Umweg Viktor Kärppä gelingt es dem Autor, diese finnische Eigenart zu relativieren und einer ganz leisen Kritik zu unterziehen: Übertreiben es die Finnen nicht ein bisschen mit ihrer Heldenverehrung? Der Autor, selbst ein bekannter TV-Journalist, hält seinen Landsleuten den Spiegel vor.

Doch er vergisst nicht, dass er den Leser auch unterhalten muss. Nach einem Mittelteil mit vielen verschlungenen Wendungen und tröpfchenweise errungenen Informationen, der einem humorvoll-ironischen Budday Movie sehr ähnelt, findet der Roman doch noch zu einem mit Action und Spannung geladenen Finale. Hier trifft Viktor endlich auf seinen eigentlichen Gegner. Er denkt, er hat alle Trümpfe in der Hand, doch er lässt sich ablenken. Unversehens hat der Gegner die besseren Karten. Korhonen zum Einsatz!

_Die Übersetzung _

Die Übersetzerin hat nicht nur die wechselnden Ebenen des sprachlichen deutschen Stils gut getroffen, sondern auch unzählige kulturelle Details Finnlands und Russland sicher übertragen. Inwieweit sie dabei eigene Formulierungen hat einfügen müssen, bleibt unklar. Jedenfalls hat sie dazu keine Fußnoten bemüht, die manchen Lesern ja so lästig fallen.

Weil es keine Fußnoten gibt, muss man sich aber auch mit der Tatsache abfinden, dass manche der russischen Ausdrücke, die Viktor benutzt, einfach so stehen bleiben. Es sind allerdings nie ganze Sätze, so dass man die Wörter leicht online nachschlagen kann.

_Unterm Strich_

Der Krimianteil eines solchen Spannungsroman wird vom Autor zwar nie vernachlässigt, aber auch nicht allzu sehr hervorgehoben, vor allem nicht im Mittelteil. Dort merken wir dann, dass es dem Autor um den Kultur-Clash geht, wenn ehemalige Russen wie Viktor Kärppa und alteingesessene Finnen wie Teppo Korhonen aufeinandertreffen. Dann bekommt jede Kultur mitsamt ihren Helden ihr Fett weg. Der Leser, der schon einiges über die Finnen weiß, etwa durch Arto Paasilinnas humorvolle Romane, ist dabei zweifellos im Vorteil. Denn es gibt im Buch weder ein Glossar noch Fußnoten.

Ich fand diese Konstellation jedenfalls recht erfrischend. Kärppä ist einerseits nicht der eiskalte russische Killer, sondern ein Möchtegern-Zivilist, der sich widerwillig russischer Eigenheiten bedienen muss. Sein Buddy wider Willen, der finnische Polizist Teppo Korhonen, andererseits verdeckt seine Fachkompetenz gekonnt hinter dem Klischee des sanges- und trinkfreudigen Saunagängers.

Von dieser Fassade sollte man sich nicht täuschen lassen. Wie in einem Road Movie müssen sich die beiden Männer, der russische Beinahegangster und der finnische Kommissar, miteinander anfreunden. Da kann es schon mal passieren, dass Teppo friedlich einkaufen geht, während Viktor kurz mal die Verfolger zu Kleinholz zerlegt – mit einer Botschaft an deren Auftraggeber, versteht sich.

Diese Doppelbödigkeit macht den eigentlichen Reiz des Romans aus. Das Finale jenseits der Grenze liefert dann das Sahnehäubchen auf der Spannungsseite. Ganz nebenbei lernen wir genau diese Grenzgegend genau kennen, und hier scheinen sich noch eine Menge zwielichtige Gestalten herumzutreiben. Wer will, könnte also locker mal rübermachen, entweder nach Russland oder in den glorreichen Westen. Viktors Wohlergehen jedoch hat bei alten Freunden Neid und Minderwertigkeitsgefühle geweckt. Ob die ihn einfach so ungeschoren reich werden lassen? Zweifel sind angebracht.

|Originaltitel: Ystävat kaukana, 2005
189 Seiten
Aus dem Finnischen von Gabriele Schrey-Vasara
ISBN-13: 978-3404160273|
http://www.bastei-luebbe.de

Milne, Alan Alexander – Pu der Bär. Illustriert und mit einem Nachwort von Harry Rowohlt

_Ein abenteuerlicher Ausflug zu seltsamen Tieren_

Der Autor Milne schrieb die Geschichten für seinen kleinen Sohn Christopher Robin Milne, dessen Stofftiere als Vorbilder für die Figuren des Buches dienten. Im Mittelpunkt steht Winnie der Pu alias Pu der Bär. Pu ist ein gutmütiger, etwas langsamer und vergesslicher Zeitgenosse, der in seiner Freizeit vor allem gefällige Lyrik verfasst und Honig nascht:
Singt Ho! Der Bär soll leben! / Es ist mir egal, ob Schnee oder Regen, / Meine Nase riecht Honig auf allen Wegen! […] Singt Ho! Leben soll Pu! / Er braucht einen kleinen Mundvoll ab und zu! (Pu der Bär, Hamburg 1989, S. 111)
Pus bester Freund ist „Ferkel“ (engl. Piglet), ein ängstliches, niedliches Schweinchen. In und um den Hundertsechzig-Morgen-Wald leben außerdem:
• die altkluge Eule „Oile“ oder „Eule“ (engl. Owl),
• der depressive und schnell gelangweilte Esel „I-Aah“ (engl. Eeyore),
• Kaninchen (engl. Rabbit), ein Kaninchen mit harter Schale, aber ausgesprochen weichem Kern,
• die Kängurumutter „Känga“ (engl. Kanga) und ihr Junges Klein-Ruh (engl. Roo),
• sowie der kleine Junge Christopher Robin als ursprünglicher Adressat der Geschichten.

http://en.wikipedia.org/wiki/Winnie-the-Pooh

_Der Autor_

Alan Alexander Milne, 1882 in London geboren und 1956 gestorben, war 1906 bis 1914 Journalist beim Satiremagazin „Punch“, Autor mehrerer Lustspiele und bedeutender englischer Kinderlyriker. Inspiriert zu den Pu-der-Bär-Geschichten wurde er von seinem Sohn Christopher Robin.

„Die Originalausgabe erschien am 14. Oktober 1926 im Londoner Verlag Methuen & Co. unter dem Titel Winnie-the-Pooh. Der zweite Band The House at Pooh Corner folgte 1928. Vom selben Autor erschienen die Kindergedichtbände „When We Were Very Young“ (1924) und „Now We Are Six“ (1927), die zum Teil auf demselben Figurenkosmos aufbauen. Alle vier Bände wurden von Ernest Shepard illustriert.

Die Geschichten um Pu wurden mit großem Erfolg in zahlreiche Sprachen übersetzt; auf Deutsch erschien Band 1 als „Pu der Bär“ bereits 1928, Band 2 als Pu baut ein Haus erstmals 1954. 1996 erschien eine Gesamt-Neuübersetzung von Harry Rowohlt. Die beiden Gedichtbände wurden 1999 in einem gemeinsamen Band unter dem Titel „Ich und Du, der Bär heißt Pu“ übersetzt.“ (Wikipedia)

_Die Geschichten_

Es ist nun mal so, dass Christopher Robin seinen Dad bittet, Winnie-der-Pu Geschichten zu erzählen. Und da Christopher Robin ein ganz lieber Junge ist und weil Pu-der-Bär am liebsten Geschichten über sich selbst hört, erzählt Dad Geschichten über Pu – der aber eigentlich Eduard Bär heißt und ein Teddy ist, der Christopher Robin gehört.

|1) Pu und die Bienen|

Es gibt nichts, was ein Bär lieber mag als Honig. Als Pu nun ein Gesumm hört und feststellt, dass sich das Gesumm hoch oben in einem Baum befindet und von Bienen stammt, schließt er daraus messerscharf, dass wo Bienen hoch oben sind, dort auch Honig sein muss – und er folglich hinaufklettern muss.

Bären sind wirklich große Denker, wie jedes Kind weiß. Aber nicht so gute Kletterer. Und deshalb bricht der Ast, auf den Pu klettert, und er fällt und fällt und fällt noch tiefer, bis er auf den Boden plumpst. Er denkt nach und hat eine Idee. Er bittet seinen lieben Freund Christopher Robin, ihm einen Luftballon zu leihen. Christopher Robin hat sogar zwei von einer Party übrig. Damit schwebt Pu auf die Höhe des Bienennestes – aber weiter kommt er nicht, denn es weht kein Wind. Was jetzt? Christopher Robin hat eine treffsichere Lösung …

|2) Pu und der Kaninchenbau|

Pu besucht seinen Freund, das Kaninchen, in seinem Bau. Kaninchen ist sehr vorsichtig, wie sich das für Tiere, die im Hundertsechzig-Morgen-Wald leben, gehört. Aber schließlich steckt Pu seinen Kopf durch den Vordereingang, so dass es sehen kann, wer es ist. Pu zwängt sich durch das Loch und isst. Weil das Essen bei Kaninchen so hervorragend ist, kommt er aber nicht wieder hinaus, sondern bleibt stecken. Was jetzt?

Der herbeigerufene Christopher Robin sagt ihm, dass er eine Woche warten müsse, bis er wieder so dünn sei, dass er durchpasse. Zum Glück hat jeder Kaninchenbau einen Hinterausgang, sonst wären für Kaninchen magere Zeiten angebrochen!

|3) Pu und Ferkel jagen ein Wuschel |

Pu besucht seinen Freund Ferkel im Wald. Es lebt in einer großen Buche und vor seiner Wohnung steht das Schild BETRETEN V. So habe sein Großvater geheißen, beteuert Ferkel. Soso. Und wie wärs mit einer Jagd auf Wuschel? Ferkel ist sofort dabei, und zusammen ziehen sie los, um Wuschelspuren zu suchen.

Tatsächlich stoßen sie fast sofort auf eine vielversprechende Spur in der Nähe der Buche. Als sie ihr neugierig, kommen erst eine Spur, dann noch eine und noch eine hinzu, bis sie vier Spuren folgen. Das sind aber eine Menge Wuschel hier! Bloß ist kein Einziges zu sehen. Das schon etwas müde Ferkel verabschiedet sich, um eine „Morgensache“ zu erledigen. Kaum ist es fort, als Pu von oben einen Pfiff hört. Es ist Christopher Robin, der auf einem Ast der Buche sitzt. Christopher Robin erklärt ihm, wie die vier Spuren der unsichtbaren Wuschels zustande gekommen sind. Pu nennt sich „verblendet“. Christopher Robin nennt ihn den besten Bär der ganzen Welt. Und wer könnte Christopher Robin widersprechen?

|4) I-Ah verliert einen Schwanz und Pu findet einen|

Pus Freund I-Aah, der alte graue Esel, weiß nicht, wie er sich fühlen soll: Er kann seinen Schwanz nicht finden. Pu ist ein feiner Kerl und verspricht, den verlorenen Schweif wiederzubeschaffen. Als Erstes geht er zu Eule, denn Eule weiß alles, was irgendjemand im Hundertsechzig-Morgen-Wald über irgendwas wissen kann.

Pu ist verblüfft von den zwei Schildern an Eules Tür im Baum. Wer klopft, signalisiert, dass er „KAINE NTWORT“ erwartet, und wer den Klingelzug betätigt, will, dass ihm NTWORT zuteilwird. Also tut Pu beides, nur um sicherzugehen. Eule erzählt, Christopher Robin habe die Schilder beschriftet. Das erklärt die Rechtschreibung. Eule meint, man müsse eine Belohnung auf den verlorenen Schwanz aussetzen, dann, wieso er sowohl eine Klingel als auch einen Türklopfer habe. Daraufhin schaut sich Pu den Klingelzug noch einmal GANZ GENAU an …

|5) Ferkel trifft ein Heffalump|

Christopher Robin bemerkt beim Picknick mit seinen Freunden Pu und Ferkel, er habe ein Heffalump gesehen. Die Freunde gehen nach Hause, rätseln aber, wie so ein Wesen aussehen mag. Um es herauszufinden, beschließt Pu, eines zu fangen. Aber wie, wenn man nicht weiß, was es mag, wo es lebt und wie groß es ist? Deshalb erbittet er Hilfe von Ferkel, der stolz darauf ist, dass Pu ihn fragt.

Sie beschließen, eine tiefe Grube zu graben und darin einen Köder aufzustellen. Da Pu Honig mag, dürfte das mysteriöse Heffalump auch nichts gegen Honig haben, und so holt er aus seinem Regal im Speisezimmer einen ganzen Topf voll Honig. Leider überlebt der Honig die Reise zur Grube nicht, denn Pu will sicher sein, dass nicht etwa ein Stück Käse am Boden des Topfes verborgen ist. Nur ein kleiner Rest am Boden des Topfes ist übrig.

In der Nacht findet Pu keinen Schlaf. Er träumt von riesigen Heffalumps, die sich über den Honigtopf hermachen. Er springt aus dem Bett, um die Grube zu kontrollieren. Am Morgen findet Ferkel tatsächlich ein schreckliches Wesen in der Grube, das schreckliche Laute ausstößt. Entsetzt eilt er zu Christopher Robin. Als der das „Heffalump“ erblickt, fängt er an zu lachen …

|6) I-Aah hat Geburtstag und bekommt zwei Geschenke|

I-Aah, der alte graue Esel, bläst Trübsinn am Bach. Als Pu das sieht und nach dem Grund fragt, erzählt I-Aah, dass er heute Geburtstag hat. Aber sieht Pu vielleicht Frohsinn und Tanz? Nein, denn es ist niemand da, um mit ihm diesen Anlass zu feiern. Da beschließt Pu, I-Aah mit einem Geschenk aufzumuntern, geht nach Hause und findet dort Ferkel vor der Tür. Dem erzählt er von I-Ads Trübsinn.

Während Pu einen Honigtopf besorgt – an dem sich Ferkel nicht beteiligen kann, danke – , überlegt Ferkel, was es dem alten Grauohr schenken kann, um ihn aufzumuntern. Einen Ballon vielleicht? Ja, einen schönen roten Ballon!

Doch als es bei I-Aah eintrifft, ist der Ballon nur noch einen geplatzter Fetzen und Pu bringt keinen vollen, sondern einen leeren Honigtopf. Dennoch freut sich I-Aah, dass sich so viele Leute an seinen Geburtstag erinnert haben. Und der leere Topf erweist sich in der Tat als nützlich: Der leere Ballon passt exakt hinein …

|7) Känga und Klein Ruh kommen in den Wald und Ferkel nimmt ein Bad|

Als Känga und ihr Kind Klein Ruh im Hundertsechzig-Morgen-Wald auftauchen, fragen sich die Tiere, woher sie kommen und was sie hier wollen. Sie beschließen, dass die beiden wieder verschwinden sollen. Kaninchen als der Schlaueste heckt einen genialen Plan aus, um dies zu erreichen. Sobald sie Klein Ruh entführt haben, wollen sie Känga dazu erpressen, wieder zu verschwinden, dann könne sie Ruhs Aufenthaltsort erfahren.

Für die Ausführung des Plans sind der Einsatz von Pu-Bär als Ablenkung und Ferkel als Ruh-Ersatz vorgesehen. Alles klappt wie am Schnürchen, doch als Ferkel in Kängas Wohnung eintrifft, während Ruh bei Kaninchen weilt, dreht Känga den Spieß um …

|8) Christopher Robin leitet eine Expotition zum Nordpohl|

Eines Tages beschließt Christopher Robin, mit allen seinen Freunden eine Expedition zu unternehmen, um den Nordpohl zu entdecken. „Was ist eine Expotition?“ will Pu wissen. Christopher Robin versucht es ihm zu erklären: „Alle gehen hintereinander, um etwas zu entdecken. Hol Proviant!“ „Proviant?“ „Sachen zum Essen.“ Das lässt sich Pu nicht zweimal sagen, und er sagt seinen Freunden, was abgeht und dass sie mitkommen sollen.

Nur einmal fragt Christopher Robin seinen Freund Kaninchen an einer Stelle des Weges heimlich: Wie sieht er aus, der Nordpohl?“ Kaninchen wusste es mal, beteuert er, aber er hat es vergessen. Pu singt ein Lied über die Expotition, das sehr schön ist, aber das Ferkel nicht versteht.

O-Ton: „Nach kurzer Zeit waren alle oben im Wald versammelt, und die Expotition fing an. Zuerst kamen Christopher Robin und Kaninchen, dann Ferkel und Pu; dann Känga mit Ruh in ihrem Beutel und Eule; dann I-Ah; dann, zum Schluss, Kaninchens sämtliche Bekannten-und-Verwandten.“

Als sie sich am Bach ausruhen, geht Klein Ruh, der Sohn von Känga, ins Wasser, um sich zu waschen. Und kaum hat man sich’s versehen, schwimmt er auch schon davon! Känga schreit auf, er werde ertrinken, und alle beeilen sich, den Kleinen zu retten. Bis es Pu gelingt, einen Stock über den Bach zu halten, an den sich Klein Ruh klammern und an dem er herausklettern kann.

Während Klein Ruh jubelt, dass er erstmals geschwommen sei, schaut Christopher Robin Pu genau an und fragt ihn, woher den Stock genommen hat. Pu weiß es nicht. Christopher Robin erklärt, dass Pu den Nordpohl gefunden hat und stellt ein Schild auf, um dies zu dokumentieren. Ein historischer Augenblick im Hundertsechzig-Morgen-Wald.

|9) Ferkel ist völlig von Wasser umgeben|

Es regnet und regnet und regnet, tagelang. So lang, bis Ferkel in seiner Baumwohnung völlig von Wasser umschlossen ist. Es fühlt sich einsam. Was jetzt wohl seine Freunde machen? Mit einem Freund wäre es viel angenehmer. Da fällt ihm ein, was Christopher Robin machen würde: eine Botschaft in einer Flasche verschicken! Diese Flaschenpost verschickt Ferkel als Hilferuf. Wird sie ankommen?

Jedenfalls nicht so bald. Denn Pu, der glorreiche Entdecker des Nord-Pohls, schläft den Schlaf der Gerechten, dann wartet er auf einem Ast, auf dem ihm zahlreiche Honigtöpfe Gesellschaft leisten. Es regnet weiter, bis sich der Fluss auch zu Christopher Robin ausgebreitet hat, der plötzlich auf einer Insel lebt!

Pu entdeckt Ferkels Flaschenpost, und weil er nur den Buchstaben P in „PFERKEL“ lesen kann (er ist ja von kleinem Verstand), denkt er, sie sei für ihn. Was völlig zutreffend ist. Mit einem kleinen Schiff namens „Der Schwimmende Bär“, das aus einem leeren Honigtopf besteht, segelt er zu seinem besten Freund. Christopher Robin liest sie ihm vor. Ferkel ruft sie zu Hilfe! Doch wie sollen sie zu Ferkel gelangen?

Da hat Pu erneut einen umwerfenden Gedankenblitz. Und Christopher Robins Regenschirm spielt dabei eine wichtige Rolle …

|10) Christopher Robin lädt zu einer Pu-Party ein|

Weil es Pu gelungen ist, sowohl den Nord-Pohl zu entdecken als auch Ferkel zu retten, will Christopher Robin Pu zu Ehren eine Party feiern. Eule soll alle Freunde einladen. Was der weise Freund auch tut, auch wenn sich der griesgrämige alte I-Aah sehr darüber wundert. Alle, alle kommen. Christopher Robin hat für Pu ein tolles Geschenk. Das kann er ihm aber erst überreichen, nachdem sich I-Aah, der ein wenig verwirrt ist, für diese Feier zu SEINEN Ehren bedankt hat …

_Mein Eindruck_

Die Tiere in diesem kleinen Arkadien des Hundertsechzig-Morgen-Waldes (auf der gleichen Farm übrigens, auf deren Anwesen Rolling-Stones-Gitarrist Brian Jones den Tod fand) erinnern an kleine Erwachsene. Sie haben ihre Eigenarten und werden durch sie charakterisiert. Der kindliche Leser kann sie leicht als verkappte Erwachsene durchschauen: I-Aah ist der einsame Griesgram, Eule verbirgt sein Nichtwissen hinter langen, komplizierten Wörtern und Kaninchen ist praktisch die Schlange im Paradies. Es ist das einzige Wesen, das kein Vertrauen für Fremde und Zugezogene aufbringt (in der Känga-Episode).

Känga und Ruh sind eine alleinstehende Mutter und ihr Kind – etwas sehr Ungehöriges in postviktorianischen Zeiten. Vielleicht dachten sich die erwachsenen (Vor-) Leser, sie sei eine Soldatenwitwe, deren Mann im 1. Weltkrieg fiel. Und dann sind da noch das kleine Ferkel und natürlich die Titelfigur Pu. Ferkel ist so klein und schutzbedürftig, dass er praktisch zu Pus kleinem Neffen oder Patenkind wird.

Pu ist „ein Bär von sehr wenig Verstand“, wie er behauptet, aber eine um die andere Episode belegt, dass dies ganz und gar nicht der Fall ist. Er hat zwar ein sehr kurzes Gedächtnis, aber dafür ein großes Gemüt und einige geniale Geistesblitze, so etwa die Sache mit dem Regenschirm, der als Boot dienen kann. Pu ist auch ein feiner Dichter. Seine Verse sind zwar sehr schlicht, aber für jedes Kind nachvollziehbar.

Und er sorgt dafür, dass die Komödie nicht zu kurz kommt. Durch seine Gier nach dem letzten Rest Honig, der sich in dem als Köder aufgestellten Honigtopf befinden muss, fällt er in die selbstgegrabene Grube, stülpt sich den Topf übern Kopf – und torkelt unversehens als schröckliches „Heffalump“ herum. Das kindliche Ferkel ist zu jung, um Bär und Heffalump zu unterscheiden, Christopher Robin ist jedoch alt und klug genug, den Bär im Heffalump zu erkennen.

Für seine Tiere spielt der etwa vier Jahre alte Christopher Robin den Vater, aber auch Freund und Partner. Er kann zwar keine Rechtschreibung – statt „Nord-Pohl“ schreibt er „Not-Pohl“ – , aber dafür leitet er Partys und „Expotitionen“. Wie viele Kinder fallen ihm fiktive Dinge ein, so etwa Heffalumps und Wuschel, denn die Welt ist noch ein magischer Ort.

|Das Rätsel|

Der eigentliche Knackpunkt des Buches ist jedoch die Erzählsituation. Sie ist ebenso merkwürdig, wie die Geschichten erzählt sind. Christopher Robins Vater hat früher schon Geschichten von Pu erzählt (in „When We Were Very Young“ und „When We Were Six“), denn Pu ist bekanntlich Christopher Robins Teddybär. Aber diesmal bittet ihn sein Sohn, Geschichten FÜR Pu zu erzählen.

Bisher dachte Vater, dass Pu „Eduard Bär“ geheißen habe, aber jetzt erfährt er von Christopher Robin, dass Pu jetzt „Winnie DER Pu“ heiße und sich „J. Sanders“ nenne, weil dieser Name an seiner Wohnung stehe. Hm, was für ein Durcheinander, denkt Vater vielleicht insgeheim, aber er will seinem lieben Sohn keinen Wunsch abschlagen und beginnt, ihm Geschichten ÜBER und MIT Pu zu erzählen.

Der Schluss ist ebenso seltsam. Ohne jeden Übergang springt der Erzähler, also Vater, zusammen mit Christopher Robin aus der letzten Geschichte heraus und wieder zurück in die Erzählsituation. 18 Zeilen sind diesem Epilog, der eigentlich keiner ist, reserviert. Christopher Robin geht zurück zur Tür, den Teddybär Pu hinter sich herziehend. Jetzt heißt es genau aufpassen! Und dann geht erst Christopher Robin die Treppe hoch, eine Sekunde später jedoch auch Pu hinter ihm her, rumpeldipumpel. Ist Pu nun lebendig oder nicht? Diese Frage muss der kleine Leser selbst entscheiden.

|Abenteuer|

Nur scheinbar leben Pu und seine Freunde abgeschieden am Waldrand. Es ist ein idealisiertes Britannien, wie man es nur südlich und westlich von London findet, in den sogenannten „Home Counties“, also Gründer-Grafschaften Sussex, Essex, Surrey, Berkshire (und früher gab es auch Middlesex). Die Endsilbe -sex weist auf die Sachsen hin, die das Gebiet eroberten und besiedelten. Das Königreich Wessex hat nur in der Literatur existiert, etwa bei Thomas Hardy.

Diese Gegend scheint so sicher zu sein, sicherer geht’s gar nicht. Und doch gibt es Gefahren. Da ziehen Fremde wie Känga und ihr Klein Ruh zu, werden gleich verdächtigt und Opfer einer Kindesentführung. Eine riesige Überschwemmung macht alle zu vereinsamten Opfern – was den ewigen Pessimisten I-Aah überhaupt nicht aus der Fassung bringt. Nur gute Einfälle wie die Flaschenpost Ferkels und die zwei „Schiffe“ Pus helfen den Bewohnern.

Auch Expeditionen bringen nicht immer nur Freude. Klein Ruh nutzt sie beispielsweise, um schwimmen zu lernen. Schon wieder spielt Wasser eine unheilvolle Rolle: Es nimmt ihn mit auf eine Reise, die ihn das Leben kosten könnte. Ein Glück, dass ihn die solidarische Hilfe der Freunde aus dem Fluss klettern lässt – an jenem Pfahl, der wenig später zu solchem Ruhm als der „Nord-Pohl“ kommen soll. Und Pu ist sein Entdecker! (Mehr zum „Pohl“ unter „Übersetzung“.)

Gegenseitige Hilfe aus Freundschaft und Solidarität ist die positive Kraft in dieser kleinen Gemeinschaft. Aber es gibt auch entgegengesetzte Kräfte. Pus unersättlicher Appetit auf Honig entfremdet ihn sich selbst und lässt ihn als „Heffalump“ erscheinen. Die Angst vor Fremden führt zur Kindesentführung, unter der Känga zu leiden hat. Und die alten Gestalten Eule und I-Aah sind nicht wirklich eine Hilfe, sondern verwirren lediglich den Verstand.

_Die Übersetzung_

Harry Rowohlt hat das Buch kongenial erzählt, mit viel Lautmalerei wie „rumpeldipumpel“ oder „holterdiepolter“. Auch Pus Gedichte fand ich sehr gelungen. Aber nicht immer erschließt sich einem der Wortwitz des englischen Originals. Das beste Beispiel ist die Sache mit dem Nord-Pohl.

Im Englischen bezeichnet das Wort „pole“ sowohl einen Pfahl als auch einen Pol. Der Autor machte daraus ein Wortspiel, das im Deutschen nur dann nachzuvollziehen ist, wenn man ein Norddeutscher ist. Denn dort bezeichnet „Pohl“ einen Pfahl, wie es der Übersetzer auch an einer Stelle gleichsetzt. Wenn also Christopher Robin den Nordpohl mit einem Pfahl (Pohl) bezeichnet und das zugehörige Schild daran mit „Notpohl“ beschriftet, so ist das nichts als die reine Wahrheit.

_Schilder_

Überhaupt Schilder. Es gibt in diesem Kinderbuch jede Menge davon, viel mehr als in jedem anderen Kinderbuch, das ich kenne. (Man erinnert sich vielleicht an Bilbo Beutlins Schild am Garteneingang „Betreten verboten. Außer für Verwandte.“) Aber von diesen Schildern ist kein Einziges ernstzunehmen, was auf die satirische Absicht des Autors schließen lässt.

Alle Aufschriften sind nämlich entweder bruchstückhaft und erhalten darum eine andere, erdichtete Bedeutung. Oder sie sind so unkorrekt geschrieben, dass sie jeden Sinn verlieren (wie „Notpohl“). Hier führt der Autor erwachsenes Streben nach Ordnung ad absurdum. Der Gipfel in dieser Hinsicht bildet das Schild „J. Sanders“ an der Tür von Pus Wohnung: Es hat rein gar nichts mit dem Bewohner zu tun.

Semiotiker hätten ihre helle Freude daran: Das Bezeichnete (Pu) stimmt mit dem Bezeichnenden (Schild) nicht überein und überführt so den Bezeichner (Urheber) als Narren – oder als spielenden Schalk.

_Die Zeichnungen_

Dieses Buch war von Anfang ohne die Zeichnungen von Ernest H. Shepard undenkbar. Die meist niedlichen kleinen Figuren sind zur Inkarnation der erzählten Figuren geworden, ähnlich wie die Figurenzeichnungen Tenniels zu den beiden ALICE-Büchern. Aber es gibt auch große Zeichnungen, so etwa ganze Bäume, die so hoch wie die Seite sind. Das wird etwa nötig, wenn Pu zu den Bienen hinaufkraxelt oder wenn Christopher Robin Eule besucht.

Manchmal sind auch ganze Handlungsabläufe zu bewundern, die fast an ein Daumenkino erinnern. Das wird besonders deutlich, wenn man sich anschaut, wie Pu versucht, auf einem Honigtopf Boot zu fahren. Die beiden können sich nicht entscheiden, wer oben sein und steuern soll. Dinge entfalten unversehens eine geheime Tücke des Objekts. Das passt bestens zur Erzählung.

Die einzige Figur, die nie in Erscheinung tritt, ist der Erzähler selbst: Christopher Robins Vater. Vielleicht war das der Grund, warum der Autor eifersüchtig auf den Zeichner wurde, wie Peter Hunt in „An Introduction to Children’s Literature“ (siehe meinen Bericht) auf Seite 114 (Anmerkung 18) berichtet. Und da Christopher Robin eine echte Person war, hat er zeit seines Lebens unter den Pu-Geschichten zu leiden, das Opfer des Kults, den sein Vater ausgelöst hatte (ebenda, Anmerkung 19).

_Unterm Strich_

Ich bespreche die Ausgabe der Süddeutschen Zeitung von 2005. Sie folgt der Ausgabe des Züricher Atrium-Verlags von 1987 sowie des Dressler-Verlags von 1999 und umfasst sowohl die Gedichte und Kapitelüberschriften als auch sämtliche klassischen Zeichnungen von Ernest H. Shepard. Es handelt also um eine Fassung, die dem Original und dessen Bestandteilen so nahe wie möglich entspricht.

Man findet Versionen, die viel modernere Zeichnungen aufweisen. Aber kaum eine kommt mit dem lebhaften Sprachduktus daher, den Harry Rowohlt seinem Text verliehen hat. Bei der „verrückten Teeparty“ im letzten Kapitel etwa „knallt“ Christopher Robin seinen Löffel auf den Tisch, statt dezent damit zu klopfen. Sofort herrscht Schweigen in der seltsamen Tier-Runde.

Es gäbe noch zahlreiche weitere Beispiele. Aber es zeigt, dass der Text zum VORLESEN gedacht und auch entsprechend übersetzt worden ist. Bei seinen Lesungen hat Rowohlt wohl auch die Tierstimmen entsprechend nachgemacht: das Brummen von Pu, das griesgrämige Wiehern von I-ah, das Quieken von Ferkel, die Stottern und Zischen von Eule, das schnelle Mümmeln von Kaninchen usw. Er hat mehrere Hörbücher aufgenommen, die bestimmt sehr lustig sind.

Die Eigenarten dieser Figuren ergeben ein kleinen Mikrokosmos, in dem zunächst alles harmlos idyllisch zu sein scheint, Doch die Idylle trügt: Hier finden Kindesentführungen, Expeditionen, Rettungsaktionen, ein Honigraub sowie Überschwemmungen statt. Fallgruben werden ebenso gebaut wie riskante Flugexpeditionen unternommen.

Der einzige Souverän in diesem Land ist ein Mensch, nämlich das Kind Christopher Robin. Erwachsene haben hier nichts zu melden, wie ihre absurden Schilder beweisen. Deshalb tritt der Erzähler auch nie selbst auf, allenfalls in der Einleitung und am Schluss. Hier gibt es für das kleine Kind viel zu lernen, es wird dargeboten auf fantasievolle, schalkhafte Art und Weise. Es ist so viel zu lernen, dass ich jedes Mal nur ein oder zwei Kapitel zu lesen wagte, um ordentlich darüber nachdenken zu können. So hat die Lektüre mehrere Tage gedauert. Aber sie war den Ausflug in den sonderbaren Hundertsechzig-Morgen-Wald wert.

Hinweis: Es gibt zwei Fortsetzungen, nämlich „Pu baut ein Haus“ und „Warum Tieger nicht auf Bäume klettern“.

|Gebunden: 135 Seiten
Originaltitel: Winnie the Pooh, 1926
Aus dem Englischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Harry Rowohlt
ISBN-13: 978-3866151024|

_|A. A. Milne bei |Buchwurm.info|:_
[„Das Geheimnis des roten Hauses“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5617