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Etteth, Shankar Ravi – Dorf der weißen Witwe, Das

Ein Diplomat der madagassischen Botschaft in Neu Delhi wurde in einem verschlossenen Zimmer mit einer nicht auffindbaren Waffe ermordet. Die Polizei schickt Anna Khan, die neue stellvertretende Kommandeurin, um den rätselhaften Mord zu lösen. In der Botschaft trifft Anna auf Jay Samorin, der von seinem Freund, dem madagassischen Botschafter, ebenfalls zur Klärung des Mordes gerufen wurde. Samorin ist Karikaturist im Ruhestand, der als selbsternannter Hobby-Profiler das Böse erforscht. Und auf mirakulöse Weise kann Samorin den Fall tatsächlich mit höchster Konzentration im Schnellverfahren lösen.

Bestanden zunächst einige Misstöne zwischen der Kommandeurin Khan und Samorin, entwickelt sich bald eine Liebesbeziehung zwischen den unterschiedlichen Ermittlern. Anna hat mehrere Jahren Polizeidienst in Kaschmir geleistet. Im Kampf gegen Terroristen, die ihren Ehemann ermordeten, hat sie dort im Einsatz 58 Menschen getötet. Als Top-Ermittlerin macht sie Karriere. Der feinsinnige Karikaturist Samorin, der ausgebildeter Kalari-Kämpfer ist und eine Fossa, eine seltene und überaus tödliche Wildkatze, als Haustier hält, hat sich vor einiger Zeit fast völlig aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen. Dennoch scheint die beiden mehr als die ‘Faszination am Bösen’ zu verbinden.

Während sich die Protagonisten näher kommen, lösen sie weitere, auf eigenwillige Art verstrickte Verbrechen um Leidenschaft, Untreue, Erpressung, Mord und Genmanipulation. Bei diesen Ermittlungen wird immer deutlicher, dass Samorin das Geheimnis seiner Kindheit lösen muss: den Mord an seiner Mutter, für den man seinen Vater erhängte. Und auch der berühmte Künstler Dhiren Das, den Samorin ebenfalls seit seiner Kindheit kennt, scheint bei all diesen Verbrechen eine seltsame Rolle zu spielen. Über allem schwebt das Böse, aber kann die Lösung aller Rätsel im Dorf der geächteten Witwen liegen?

Und kann derartiger Stoff funktionieren? Das moderne Delhi, mit seinen Bars, Ausstellungen und schillernden (Schwulen-)Szenen. Der Kaschmir-Konflikt, Kriege mit Pakistan, Terroristen. Zwei traumatisierte Protagonisten, die zu Superhelden stilisiert sehr menschlich agieren. Eine nymphomane Schwägerin, eine tödlich erkrankte Schwiegermutter, ein eitler Künstler, der Samorins alter ego zu sein scheint. Politik, Genmanipulation, Krishna. Indiens wechselvolle Geschichte voller Mythen und Legenden. Verstoßene Witwen in Brindaban, auf denen ein Fluch liegt und die man zur Prostitution zwingt.

Es schwant einem nichts Gutes. Und in der Tat wirkt „Das Dorf der weißen Witwe“, betrachtet man allein Handlung und Storyline, wie eine ungeschickt überladene Komposition. Aber Etteth spielt nicht nur mit allem, was zur Hand ist, mit allen Genres à la Bollywood-Kino, er karikiert und stilisiert nicht einfach, er zaubert auch auf mysteriöse, poetische Weise ein indisches Paradies voller Farben, Licht und Schatten, flirrender Hitze und Schwüle. Man hört, man riecht, man schmeckt ein Indien, das derart mit Exotika überladen scheint, dass es sich selbst entlarvt und doch als traumähnliche Vision erhalten bleibt. Vor allem die Kindheitserinnerungen Samorins sind von feinster poetischer Kraft, die in ihrer strahlenden Schönheit der Oberfläche gerade eben das Grausame darunter verbergen. So grandios und voller Zauber findet man selten Texte; wer z. B. die Romane der Hawaii-Trilogie von Susanna Moore kennt, kann sich eine Vorstellung von Etteths Sprachvirtuosität machen.

Als Krimi ist „Das Dorf der weißen Witwe“ jedoch besser nicht zu lesen, das könnte zu Enttäuschungen führen. Die Lösung des Diplomatenmordes ist eine Farce oder eine Parodie, und die vielen Wendungen des Romans verwirren zwar in ihrer Vielzahl, bleiben jedoch nie lange undurchschaubar, so dass sich wirkliche Spannung nicht einstellt.

Was bleibt ist Etteths Stil – von Licht und Schatten durchflutet, melancholisch schwebend, voll subtiler Details und prächtiger Schönheit. Bloß, was wollte Etteth sagen? Ich weiß es nicht. Aber das „Das Dorf der weißen Witwe“ könnte ein wahrer Bestseller sein, so kühn und intensiv wie Murakamis „Gefährliche Geliebte“. Vielleicht wollte der Autor, wie er es seinem Protagonisten Samorin in den Mund legt, ein Kritiker des Universums sein und hat sich dabei in seinem eigenen Text verzettelt. Das allerdings wohl nicht willkürlich, sondern eher mit reflektierter Methode, aber unergründlicher Absicht. Das ist schade, sollte aber nicht vom opulenten Lesegenuss abhalten!

© _Anna Veronica Wutschel_
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Mainka, Martina – Satanszeichen

Es sind nur noch drei Tage bis Weihnachten, als kurz vor Mitternacht eine Frauenleiche auf dem verlassenen Gelände des Güterbahnhofs gefunden wird. Bei der Obduktion stellt sich heraus, dass der oder die Täter den Körper der jungen Frau mit einem Pentagramm, dem Satanssymbol, versehen haben. Die Ermittlungen ergeben, dass es sich bei der Toten um Delia Landau handelt, die als freie Journalistin arbeitete. Da weder im beruflichen noch im privaten Umfeld jemand sagen kann, mit welchem Thema bzw. welchen Recherchen sich Delia Landau vor ihrem Tod befasste, liegt die Vermutung nah, sie sei okkulten Kreisen, Satanisten, auf die Spur gekommen, die eine Enthüllungsreportage verhindern wollten. Allerdings ergeben die Untersuchungen im Mordfall Landau ein seltsam zerrissenes, ambivalentes Persönlichkeitsbild der Toten, die in gleich mehrfacher Hinsicht ein Doppelleben geführt zu haben scheint. Kaum deuten die Spuren darauf hin, dass es sich bei der Tat eventuell doch um ein Beziehungsdrama handeln könne und das Symbol des Pentagramms die Polizei nur in die Irre führen sollte, werden zwei weitere junge Frauen ermordet – und auch ihre Leichen sind mit dem Satanszeichen versehen …

Mit Elza Linden hat Martina Mainka eine herrlich nikotin- und koffeinsüchtige Kommissarin ins beschauliche Freiburg geschrieben, die sich mit ihrer leicht unkonventionellen, spröden Art eigentlich problemlos eine größere Fan-Gemeinde ermitteln sollte! (Ein wenig verwirrend ist der Untertitel: ‚Der erste Fall für Elza Linden‘, da ich bislang annahm, besagte Kommissarin Linden habe bereits in Mainkas Erstling „Angelika ist tot“ ihr Debüt gegeben). In dem angenehm zurückhaltend erzählten Privatleben der Protagonistin und einem in der Vergangenheit liegenden tragisch-traumatischen Ereignis liegen so viel Substanz, dass man sich – ich nehme es vorweg – wohl auf weitere spannende Fälle um Elza Lindens Team freuen darf. Elzas Kollegen sind ebenfalls authentisch und skurril genug, um im Laufe der Ermittlungen für Abwechslung zu sorgen.

Eine besondere Stärke der Autorin liegt vor allem darin, Situationen wie auch Dialoge lebendig werden zu lassen, Atmosphäre zu kreieren. Nur selten wirkt der Stil etwas gesucht pathetisch, und manchmal treffen die Formulierungen knapp daneben – es sei denn, man mag z. B. Männer, deren Augen ‚an Honig auf warmem Toast‘ erinnern – Appetit macht es ja … Ansonsten liest sich der Text aber durchweg flüssig und, obwohl oder gerade weil die Autorin ihre Protagonistin aus der Ich-Perspektive erzählen lässt, nehmen die anderen Figuren mit ihrem jeweils eigenen Stil und Charakter Form an. So werden die Szenerie Freiburgs wie auch die Figuren überzeugend lebendig. Und auch der Fall ist glaubwürdig. Einerseits wirkt er im Nachhinein betrachtet extrem konstruiert, andererseits aber auch raffiniert gesponnen. Ganz massiv werden Spuren gelegt, die auf sehr unterschiedliche mögliche Verdächtige und mögliche Motive deuten. Der Haken an dem Ganzen ist jedoch, dass Martina Mainka offensichtlich ihrem Fall eine Botschaft unterlegt. Die darf hier natürlich nicht verraten werden – sie wirkt allerdings leider der Spannung von „Satanszeichen“ entgegen. Eine m. E. ganz bewusste Entscheidung der Autorin, die jedoch damit aus der spannenden Story mit ihren okkulten Ansätzen letztlich das Geheimnisvolle, Mysteriöse wieder herausschreibt. Denn gerade der Zweifel und das Ungewisse hätten die Spannung verstörend zuspitzen können.

So ist „Satanszeichen“ ein klassischer Polizeikrimi, der allein seiner Protagonistin und den Ermittlungen sowie den damit einhergehenden Irrungen folgt. Ein Krimi, der allerdings auch immer nur an der Oberfläche der (psychologischen) Abgründe kratzt, die sich der Text vor allem durch die unzähligen Spuren, die er legt, selbst eröffnet. Das abschließende Fazit kann jedoch nur zur Lektüre raten, denn auch wenn die Autorin wesentlich skrupelloser im Sinne der Spannung hätte vorgehen können und trotz meiner leichten Vorbehalte bezüglich einiger Formulierungen – die übrigens ein etwas gewissenhafteres Lektorat herausgearbeitet(, dafür einige Kommata eingefügt) hätte – gereicht die Grundidee zum Bestseller. Daraus wird in der Ausführung ein sehr passabler Krimi, der wiederum vor allem durch seine Protagonistin besticht.

© _Anna Veronica Wutschel_
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Alef, Rob – Bang Bang stirbt

„Entweder Schwein essen oder Mensch werden!“ Die Rote Bete Fraktion, eine Truppe von Fun-Guerilleros, wütet in Berlin und macht der SoKo für Veganischen Terrorismus schwer zu schaffen. Steakhäuser, Hutgeschäfte, Zoohandlungen und Metzgereien werden überfallen, um die fleischlose Message zu verbreiten. Der Spaß hört spätestens dann auf, als der Panda Bang Bang, Publikumsliebling im Zoologischen Garten, gekidnappt wird – eine nicht ganz ungefährliche Angelegenheit, denn obwohl der behäbige Bang Bang im Zuge der Resozialisierung inzwischen am liebsten vom Sofa aus Videos wie „Peking Opera Blues“ und „Rasierte Thai-Muschis IV“ guckt, war er doch einst ein skrupelloser Mafiakiller.

Kein leichter Fall also für Kommissar Pachulke, der die Tage bis zur Pensionierung ebenso gewissenhaft zählt wie seine Büroklammern und eigentlich nur der einen Frau sehnsuchtsvoll hinterher jagt, (Ähnlichkeiten zu Judith Kuckarts „Bibliothekar“ mögen rein zufälliger Natur sein, lesen sich aber so oder so beeindruckend). Aber auch Pachulkes Team, Zabriskie und Dorfner, ist nicht immer ganz bei der Sache: Zabriskie trinkt ihren Whiskey immer ’straight‘ und sucht bei attraktiven, kooperationsbereiten Zeugen zweckdienlich gern den intimeren Kontakt; während Dorfner völlig in der Arbeit für den von ihm gegründeten ‚Freundeskreis für rechtsstaatliche Folter unter Beachtung der Menschenwürde‘ aufgeht.

Der entführte Bang Bang wird zwischenzeitlich zum Politikum. Sollte es möglich sein, dass gar der ‚Regierende Bürgermeister Und Geliebte Bausenator‘, Staatssekretär Prunk oder der windige Blaschko von Goltz Dreck am Stecken haben? Um die Täter zu überführen, kann Pachulke lediglich auf zwei Beweisstücke zurückgreifen, auf eine Gabel und einen Klops. Und er sollte sich beeilen, denn mittlerweile pflastern Leichen den steinigen Ermittlungsweg …

Der ‚Ausschuss für Alles‘ beschließt frenetisch, endlich erpressbar zu sein, und unter der Ägide des ‚Regierenden Bürgermeisters Und Geliebten Bausenators‘ werden organisierte Selbstmordkommandos zum wichtigen Wirtschaftsfaktor, und Trümmerfrauen und -Männer bekommen endlich wieder eine Aufgabe. Was macht es da für einen Unterschied, ob man in 123 oder 321 Jahren den Schuldenberg abgetragen hat – die Wirtschaft boomt – hemmungslos – ebenso wie die Dolcevita.

Ein nervenaufreibender ‚zynischer Politthriller‘, wie es der Verlag behauptet, ist „Bang Bang stirbt“ nicht unbedingt. Eher eine Polit-Satire, eine famos komponierte, sarkastische Retrospektive, die auf die nahe Zukunft projiziert wird. Brillant geschrieben und überzeugend bis ins abstruseste Detail, führt „Bang Bang stirbt“ in ein haarsträubendes Berlin, das mit ausgefeilten Spitzfindigkeiten, echten Typen von nebenan und zynisch überspannten Visionen die Gegenwart ebenso seziert und zitiert wie eine völlig normale (?) Zukunft anvisiert.

Aber was ist mit Bang Bang? Muss Bang Bang wirklich sterben? Kann Pachulke den Fall lösen? Nun, die Auflösung ist weitaus realistischer als in manch einem anderen Krimi – und wenn der Spannungsbogen auch ab und an ein wenig ins Wanken gerät, einige Handlungsstränge sich im Sand oder sonst wo verlieren; das alles überspielt Alef mit seinem furiosen Stil, der ihm wie en passant aus der Feder zu fließen scheint. Der lustschwache, kulinarisch verwöhnte Bambusbär – der in Gefangenschaft tatsächlich durch Panda-Pornos zur Reproduktion animiert wird – ist Kult. Und „Bang Bang stirbt“ ein Muss!

© _Anna Veronica Wutschel_
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Mason, Richard – unsichtbare Vierte, Die

Bereits sein erster Roman „Der Liebesbeweis“, den Richard Mason mit gerade achtzehn Jahren verfasste, überzeugte Kritiker und Leser von der erzählerischen Virtuosität des Jungautors. Und tatsächlich erzählt Mason so kraftvoll und dabei so feinsinnig und federleicht, dass man seine Bücher – einmal begonnen – nur äußerst ungern aus der Hand legt.

„Die unsichtbare Vierte“ brilliert durch unendlich viele kleine Szenen, die sich vielversprechend wie schimmernde Perlen aneinander reihen. Szenen, die sich dann jedoch leider nicht gänzlich zur strahlenden Kette, zum überzeugenden Ganzen zusammenfügen wollen.

Denn auch wenn Richard Mason sich fünf Jahre Zeit genommen hat, um „Die unsichtbare Vierte“ zu komponieren – fünf Jahre übrigens, die er als Albtraum voller Selbstzweifel beschreibt -, verführt der Roman vorwiegend durch sein kunstvolles Arrangement, das mit Sprache, mit Zeitebenen sowie den Perspektiven seiner Figuren, drei unterschiedlichen Stimmen, gewandt zu jonglieren weiß.

In vier große Kapitel unterteilt Mason die Handlung. In ICH lernt der Leser zunächst die drei Protagonisten kennen: Julian, den etwas blassen Lehrer; Jake, den süchtigen, einst gefeierten inzwischen jedoch konzeptlosen Konzept-Künstler, und Adrienne, die Tochter aus mondäner New Yorker Gesellschaft, die einen erfolgreichen, viel älteren Filmproduzenten geheiratet hat. So unterschiedlich sich ihr Leben gestaltet hat, verbindet sie doch ein tragisches Ereignis, das mehr als ein Jahrzehnt zurückliegt. Denn alle drei fühlen sich in gewisser Weise für den Tod von Maggie – der unsichtbaren Vierten – verantwortlich.

In den Kapiteln DAMALS und WIR lässt Mason seine Figuren aus ihrer Jugend erzählen. Die Wege der vier kreuzten sich endgültig in Oxford, wo sich ihr Schicksal auf dramatische Weise für immer miteinander verknüpfte. In WIR nimmt der Roman die Züge des im englischsprachigen Raum sehr beliebten College-Mystery an, weshalb man „Die unsichtbare Vierte“ wohl des Öfteren mit Donna Tartts Weltbestseller „Die geheime Geschichte“ verglichen hat. In dem letzten Teil, HEUTE, treffen Julian, Jake und Adrienne nach über einem Jahrzehnt wieder zusammen – und erneut nimmt ihr Treffen einen schrecklichen Ausgang.

Ein US (WIR – so der Originaltitel) hat es letztlich niemals gegeben. Eigentlich war Maggie, Julians Schwester, die mit ihrem ungestüm charmanten wie dominanten Charakter Jake zu ihrem Liebhaber und Adrienne zu einer ihrer Freundinnen machte, das Bindeglied dieses tragisch endenden Quartetts.

„Die unsichtbare Vierte“ bezaubert – wie gesagt – durch Masons Geschick, mit Sprache wunderbare Atmosphäre und elegante, anekdotenhafte Szenen zu schaffen. Als Geschichte jedoch überzeugt „Die unsichtbare Vierte“ nicht gänzlich. Unzählige Zufälle lassen teilweise Zweifel an dem Plot aufkommen. Und auch die Figuren bleiben eher blass, ihre Motive und Beziehungen nicht immer nachvollziehbar – Was z. B. treibt Adrienne in Julians Arme und über Monate in sein Bett? Da klingen auch die ein oder andere philosophisch moralische Betrachtung und Hobbes zitiertes Weltbild zu kurz und zu unmotiviert an, um dem Text ernsthaft mehr Tiefe zu verleihen. Tragisch ist die Geschichte in vielfacher Hinsicht. Vor allem, da die drastisch grausamen, aber doch letztlich banalen College-Streiche, die Maggie inszeniert, um Gerechtigkeit herbeizuführen, für alle Beteiligten ein so schlimmes Ende nehmen. „Der kurze, reizvolle Augenblick, in dem aus einem Spiel das Leben wird – und dann der Tod.“ Wobei jedoch eigentlich die Unfähigkeit der Figuren zur Kommunikation das tragischste Moment der gesamten Geschichte ist.

„Die unsichtbare Vierte“ ist ein tragisch schöner, virtuos erzählter Roman, der jedoch an Logiklücken und der zu zahmen Umsetzung eines extremen Charakters kränkelt. Hätte Mason auf das Nachbeben, das die übrig gebliebenen drei Figuren noch Jahre später erschüttert, verzichten wollen, wäre der Roman vielleicht ein spannender Krimi aus der Sparte College-Mystery geworden. Mason jedoch zielt auf die erzählte Gegenwart ab, um die Auswirkungen von Maggies Tod zu verdeutlichen. „Die unsichtbare Vierte“ ist spannend, aber trotz Todesfällen nur bedingt als Krimi zu lesen. Denn Mason konzentriert sich nicht explizit auf Spannung und Thrill, sondern verlässt sich ganz auf seine Figuren. Ob diese Konstellation den Leser letztlich in den Bann zieht, muss jeder selbst entscheiden, so wie der Autor sich das vorstellt: ‚Ich möchte, dass die Leser bewegt sind, aber ich möchte auch, dass jeder Leser den Text auf seine eigene Weise erfährt.‘

© _Anna Veronica Wutschel_
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Wilson, Robert – Toten von Santa Clara, Die (Javier Falcón 2)

Es ist ein altbekanntes Dilemma: Männer mittleren Alters verändern sich nicht mehr!
Diese Behauptung könnte auf Erfahrungswerten beruhen, stammt in diesem Falle aber nicht von mir, sondern ist ein Zitat des Autors Robert Wilson. Und dieser stand somit vor einem Problem: Denn eine glaubwürdige Figur eines Leiters der Mordkommission bedarf einiger (Dienst-)Jahre und einer gewissen Lebenserfahrung – ist somit ein Mann ‚in den besten Jahren‘. Ein interessanter Protagonist jedoch braucht die Chance, sich zu entwickeln, sich von festgefahrenen Gewohnheiten und dem Alltagstrott zu befreien. Um diese komplexe Kernfrage zu lösen und seinem Protagonisten die Möglichkeit eines Neuanfangs zu bieten, ließ Wilson seinen Inspector Jefe Javier Falcón in „Der Blinde von Sevilla“ ein sehr persönliches, traumatisches Ereignis durchleben, das sein gesamtes Selbstbild bis in die Grundfesten erschütterte und einen Nervenzusammenbruch auslöste.

„Der Blinde von Sevilla“ wurde zu einem kleinen Meisterwerk, das sich jedoch vorrangig durch die tragischen Familienverhältnisse und den Seelenstriptease des Protagonisten Falcón auszeichnet. Es ist außergewöhnlich, wie es Wilson gelingt, das Große im Kleinen zu spiegeln – also Weltgeschichte im persönlichen Drama einzufangen. Die Demontage der Persönlichkeit Falcóns, die Zerstörung der übergroßen Vaterfigur, des Künstlers Francisco Falcón, reflektiert die Zerstörungswut und Tragik eines gesamten Jahrhunderts. Dabei tritt jedoch der überaus brisante Fall der eigentlichen Todesermittlung etwas in den Hintergrund, sodass Wilson zwar vollendet, mit großem Anspruch und überaus spannungsvoll das Krimi-Genre erweiterte – seine Aufmerksamkeit aber für meinen Geschmack zu sehr auf seinen gebrochenen Protagonisten richtete.

Im vorliegenden Folgeband „Die Toten von Santa Clara“ begegnet man einem immer noch etwas instabilen Falcón, der sich über die aktuelle Lage seiner Psyche nicht ganz sicher zu sein scheint und der sein ’normales‘ Auftreten tragikomisch auf seinen Tablettenkonsum zurückzuführen weiß. Nichtsdestotrotz scheint Falcóns Selbstbild wieder gefestigter und selbstsicherer, sodass er gleich zu Beginn der Ermittlung einen komplexen Kampf an mehreren Fronten aufnehmen kann.

Zunächst einmal begegnet er Consuelo Jimenéz, einer überaus beeindruckenden Frau, die in „Der Blinde von Sevilla“ eine bedeutende Rolle spielte. Weiterhin trifft er zum ersten Mal nach einem Jahr auf den Staatsanwalt Esteban Calderón, der mit Falcóns Exfrau Inés verbandelt ist und diese Beziehung demnächst vor dem Traualtar legalisieren will. Allein diese beiden Begegnungen bieten genug Zündstoff, um Falcóns aufgewühltes (Innen-)Leben auf Trab zu halten. Aber dann ist da letztlich noch dieser seltsame Todesfall, den die Staatsanwaltschaft allzu rasch als Selbstmord abhaken möchte.

Gerufen wird Falcón in das gepflegte barrio (Vorort) Santa Clara, wo der Bauunternehmer Rafael Vega nach der Einnahme von Abflussreiniger tot in der Küche aufgefunden wurde. Im Schlafzimmer findet man seine ermordete Frau Lucía. Die Tat wirkt wie ein typischer Selbstmordpakt, bei dem der Mann zunächst seine Frau und dann sich selbst tötet. Doch bei genauerer Betrachtung will nicht jedes Detail in dieses Szenario passen, und Falcón entschließt sich zu ermitteln.

Überaus seltsam scheint die Notiz, die bei dem Toten gefunden wird: ‚… in der dünnen Luft sein, die ihr atmet, vom 11. September bis zum Ende…‘ Mit diesem kryptischen, fast poetischen Hinweis auf das Datum eines Terroranschlags macht Falcón sich auf die Suche nach den Hintergründen im Umfeld der Toten, nach einem Motiv für einen eventuellen Mörder. Dabei trifft er in der Nachbarschaft der Vegas nicht nur auf besagte Consuelo Jimenéz, sondern auch auf das amerikanische Pärchen Krugman und den alternden Schauspieler Pablo Ortega.

Während sich im Verlauf der Ermittlungen Falcón immer wieder der Frage stellen muss, ob sein Instinkt ihn trügt und der Todesfall Vega vielleicht doch ’nur‘ ein Selbstmord war, offenbaren seine Befragungen die seltsamsten Erkenntnisse: So erfährt Falcón nach und nach, dass der Tote Vega in seiner Freizeit gern schlachtete, offensichtlich Kontakte zur Russenmafia pflegte und ein obskures Doppelleben zu verbergen schien. Falón erfährt, dass die Fotografin und femme fatale Madeleine Krugman ein Foto von einem völlig verstörten Falcón in ihrer Sammlung präsentieren kann. Desweiteren stürzt sich ein Nachbar in die Jauchegrube, die einst sein eigenes Haus war, und Falcón glaubt, er müsse sich um dessen Sohn kümmern. Ein Polizist begeht Selbstmord. Und wie auch noch der moderne Sklavenhandel, ein Netzwerk Pädophiler, die Russenmafia und Geheimdienste ins Spiel kommen, scheint schwer vorstellbar und wäre wohl bei vielen Autoren in eine schier unglaubliche Farce abgedriftet. Doch kann man beruhigt Robert Wilson vertrauen, der, wie es wohl die wenigsten Autoren vermögen, grandios aktuelles Weltgeschehen wie Historie in den Alltag seiner Figuren einflechten kann und dabei an Glaubwürdigkeit noch gewinnt.

Wer am Ende alle Ereignisse auf Haupt- und Nebenschauplätzen chronologisch zusammensetzt, erkennt, welcher Fülle an Verbrechen und Tätern Falcón auf die Spur kommt. Das aber gelingt Wilson in einem erstaunlich gemächlichen Tempo, bei dem die Kunst der Konversation im Vordergrund steht, sodass die Figuren an ungeahnter Tiefenschärfe gewinnen.

Einen minimalen Einwand möchte ich allerdings nicht verschweigen: Wilsons Frauenfiguren irritieren mich. Allesamt ein wenig überzeichnet und durchweg alle so reizvoll und lockend, wie das Weib nun einmal sein soll. (Die Ex-Nonne Ferrera, die nun in Falcóns Team ermittelt, einmal ausgenommen.) Zwar differenziert Wilson den Grad der Verlockung, doch bleiben die Frauenfiguren zu sehr Statistinnen, an denen sich die Herren abarbeiten dürfen. So kann man Falcón moralisch bald auf die Schulter klopfen, wenn er die Spielchen der femme fatale, die ihn eben noch reizte, schnell angewidert ablehnt. Und wer könnte nicht einen heißblütigen Staatsanwalt ob seiner tragischen Obsession ebenso beneiden wie bedauern oder gar verurteilen? Für Maddy Krugman zumindest, der wir von Beginn an nur ‚auf den Hintern schauen‘, hätte ich mir gern etwas mehr Substanz als das alte Spiel des Jagens und Gejagtwerdens gewünscht.

Der Stil von „Die Toten von Santa Clara“ scheint simpel, ist aber gesucht präzise und abgründig im Hinblick auf Details, die vor allem ein Panorama aufgewühlter Seelen unter der normal anmutenden Oberfläche offenbaren. Es ist famos, mit welcher subtilen Ruhe Falcón an den glänzenden Fassaden kratzt, bis der Schein von Glück, Frieden und Normalität einstürzt. Ein gekonnter Schachzug ist dabei die gewählte Kulisse des maravillosa Sevillas – der Stadt der Lebensfreude, die dem Leser sehr plastisch und verlockend vor Augen tritt, gerade weil Wilson hinter die Front der Fröhlichkeit schaut.

Die Bücher aus der Javier-Falcón-Serie bieten spannungsreiche Einsichten in weltliche Abgründe und sind ein absoluter Garant für beste Unterhaltung auf überdurchschnittlichem Kriminalroman-Niveau. Was das Genre Krimi betrifft, sind „Die Toten von Santa Clara“ eindeutig eine Steigerung zum ersten Band der Serie!

„Die Toten von Santa Clara“ sind im neu gegründeten Verlag |Page & Turner| als schön und einfallsreich gestaltetes Hardcover erschienen; ein spannendes Interview mit dem Autor zu diesem Text findet sich hinter folgendem Link: http://www.curledup.com/intrw2.htm.

© _Anna Veronica Wutschel_
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Müller, Karl-Georg & Patrick / Roth, Manfred / Franke, Jürgen E. – Cuanscadan – Tor nach Erainn (Midgard)

„Cuanscadan“ ist ein Quellenbuch zum Fantasy-Rollenspiel MIDGARD. Es beschreibt das Fürstentum und die Stadt Cuanscadan, die als Tor nach Erainn bezeichnet wird. Erainn, ein an der irischen Mythologie orientiertes Land, wird ebenfalls näher unter die Lupe genommen. Der Band schließt mit vier groben, aber ohne großen Aufwand vorzubereitenden Abenteuerskizzen und dem komplett ausgearbeiteten Abenteuer „Das Auge des Wüstengottes“.

Die Autoren Karl-Georg Müller und Manfred Roth haben sich im mit ca. 75 Seiten umfangreichsten Teil des Quellenbandes ganz dem Fürstentum Cuanscadan und dem gleichnamigen Fürstensitz gewidmet. Der Name Cuanscadan bedeutet „Hafen der Heringe“, und so ist es nicht erstaunlich, dass die Hafenstadt vor allem von Fischfang und Handel lebt.

Nach einem kurzen Überblick über die landschaftliche Lage des Fürstentums widmet man sich der bewegten Geschichte der Gegend. Die Ureinwohner, die Ffomor, vermischten sich immer wieder mit Einwanderern, seien es Valianer, Twyneddin oder sogar Exilhuatlani. Letztere haben einige kleine Siedlungen im Fürstentum gegründet. Seit ungefähr zwanzig Jahren lenkt Fürst Amhairgin die Geschicke der Stadt. Eine Veränderung, die nicht jeder gutheißt, wie man später anhand der Beschreibung mehrerer Geheimgesellschaften erkennen kann.

Kaum ein Mond vergeht in Cuanscadan ohne ein Fest oder einen Feiertag. So feiert man die Ankunft des ersten Lachses genauso gern und ausgiebig wie das erste Bier der letzten Ernte, das natürlich ausgiebig getestet wird. Der Erainner versteht eindeutig etwas vom Feiern.

Der kurze allgemeine Überblick über die Stadt Cuanscadan, der die wichtigsten Orte und Stadtviertel beschreibt, wurde leider ein wenig unübersichtlich gestaltet. Es fehlt hier eine Legende, mit deren Hilfe man auch aktiv nach einem Ort suchen könnte, ohne sich erneut den gesamten Text zu Gemüte zu führen. Der Gebäudeindex ist auf S. 85 versteckt, hilft jedoch nur bedingt, da die Einwohner nicht explizit irgendwelchen Gebäuden zugeordnet werden können.

Anschließend wendet man sich dem Kernstück des Quellenbuches zu: der Beschreibung ausgewählter Bewohner und Örtlichkeiten der Stadt. Diese Darstellung folgt dem aus „Corrinis – Stadt der Abenteuer“ bekannten Schema, d.h. es werden nur die wichtigsten Spieldaten der Bewohner angegeben, meist nur Abenteurerklasse und besondere Eigenschaften.

Bei den Beschreibungen der Stadtbewohner und Örtlichkeiten zeigt sich das Talent der Autoren, mit wenig Text viel auszusagen. Die Einwohner werden so plastisch dargestellt, dass man mehrfach meint, den Fischgeruch eines Händlers oder das Duftwasser der Parfümerie wahrnehmen zu können. Über das Verhalten gegenüber Abenteurern braucht man sich in den seltensten Fällen Gedanken zu machen, denn selbstverständlich wird das normale Gebaren der Bewohner beschrieben.

Hinter der Fassade vieler Einwohner lauern Geheimnisse, die ein Spielleiter problemlos in Abenteuer einfließen oder gar als Anregung für solche nutzen kann. Wirken einige Cuanscadaner auf den ersten Blick normal, offenbart sich in einem Nebensatz ein kleiner Abgrund. Als harmloseres Beispiel sei hier ein Fährmann genannt, dessen Frau ihn nur selten zu Gesicht bekommt, es sei denn, das Hochwasser macht ihn beschäftigungslos, „was meist im Herbst geschieht, weshalb seine Kinder in den Sommermonaten geboren wurden. Bis auf eines …“.

Dieser augenzwinkernde Humor zieht sich durch die gesamte Stadtbeschreibung. Deshalb macht schon das Lesen jede Menge Spaß. Wie muss das erst sein, wenn man diese Bewohner am Spieltisch zum Leben erweckt? Ich kenne so einige Stadtbeschreibungen, doch so lebendig wie Cuanscadan wurde bisher keine andere Stadt geschildert. Diese Darstellung passt wie die Faust aufs Auge zum lebenslustigen Volk der Erainner.

Die wichtigsten Gebäude der Stadt, u. a. der Garten Nathirs, die Wachen und die Verwaltung werden ausführlich beschrieben. Dabei wurden zahlreiche hübsche Karten in den Text integriert. Ein eigenes Kapitel befasst sich mit diversen Geheimgesellschaften Cuanscadans, die sich auch gegenseitig Konkurrenz machen. Auch hier sind jede Menge Abenteuerideen angerissen.

Dún Cloighteach, die Burg des Fürsten Amhairgin, wird in Form einer Reisebeschreibung näher unter die Lupe genommen. Man erfährt nicht nur, wer dort lebt und wie die Gebäude aussehen, sondern erhält auch einen tiefen Einblick in die politische Lage der Region, die alles andere als stabil ist. Dem Ränkespiel am Hof ist Tür und Tor geöffnet, was zu einem großen Teil auch an der Abstammung des Fürsten und seinen persönlichen Vorlieben liegt. Ein gefundenes Fressen für jeden Spielleiter.

Das Kapitel „Meine Ankunft in der Bardenschule“ vermittelt viel vom Flair dieser Ausbildungsstätte. Zum Schluss des ersten Teils des Quellenbandes wird der Silberne Turm des Erzmagiers Ultan ay’siochan ausführlich beschrieben. Dort könnte ein hervorragender Zauberer unter den Abenteurern eines Tages vom Erzmagier selbst unterrichtet werden.

Jürgen E. Franke gibt auf den nun folgenden 40 Seiten einen allgemeinen, aber doch detaillierten Überblick über das Land Erainn. Den wichtigsten Landschaften, Pflanzen, Tieren und Fabelwesen wird jeweils ein kleiner Absatz gewidmet. Einigen ungewöhnlichen Kreaturen, dem Weißfalken, einem Naturgeist namens Rutacorcach und dem Leprachán gönnt man eine ausführliche Darstellung. Letztere beherrschen zwei neue Zaubersprüche.

Der Bevölkerung Erainns, die sich aus diversen Bevölkerungsgruppen zusammensetzt, wurde ein umfangreiches Kapitel gewidmet, das sich mit ihrer Abstammung, Kleidung und Geschichte befasst. Ein wichtiges Kapitel sind die Aussprachehilfen für die unserer Zunge doch recht fremdartigen Namen.

Die Siedlungsformen und die wichtigsten Städte und Ortschaften des Landes werden zwar knapp, aber mit Informationen voll gepackt vorgestellt. Eine Übersichtskarte Erainns hilft bei der Planung von Reisen innerhalb des Landes. Die Gesellschaft der Erainner ist eher am Landbesitz als an der Abstammung orientiert, doch zeigt sich auch hier die Vielschichtigkeit des Landes. Den Kriegern der Schlange ist der Ehrbegriff sehr wichtig, was sich auch in der Kriegsführung bei Streitigkeiten untereinander auswirkt. So wurde manche Schlacht Erainns ohne einen einzigen Todesfall ausgefochten, weil die Anführer in einem Zweikampf über Sieg oder Niederlage entschieden.

Dass Erainner fast so viel Wert auf Gesetze zu legen scheinen wie Valianer, war mir neu. Erklärt wird dies mit der fast schon religiösen Bedeutung, die sie dem Recht beimessen. Dementsprechend ausführlich wird auf Recht und Gesetz eingegangen. Familien und Sippen, Wirtschaft und Unterhaltung sind Kapitel, die Erainn zusätzliches Leben einhauchen.

Der naturverbundene Glaube der Erainner und seine Beschäftigung mit der Grünen Magie, der Magie der Natur (Dweomer), werden ausführlich dargestellt. Leider wurde die Beschreibung des Glaubenszentrums Teámhair als Reisebericht dargestellt. Die erzählende Heilerin verzichtet bei fast all ihren Sätzen auf Verben, was das Lesen ihrer Beschreibungen sehr anstrengend macht. An dieser Stelle hätte ich mir eine blumigere Schreibweise wie die eines überschwänglichen Barden gewünscht. So wirkt das vermutlich faszinierende Teámhair leider sehr trocken.

Dass die Erainner ein sehr lebenslustiges Volk sind, wird durch die Beschreibung einiger Zaubertänze wieder einmal bestätigt. Die Tänze erschienen ursprünglich bereits im |Gildenbrief| 46, wurden allerdings an die vierte Auflage der Regeln angepasst. Außerdem ist es jetzt auch möglich, die Tanzschritte unabhängig von der Zauberwirkung des Tanzes zu lernen, was besonders bei den Gruppentänzen von Vorteil ist.

Für Abenteurer aus Erainn bietet das Quellenbuch die Rasse der Elfenmenschen an, eine recht häufig vorkommende Personengruppe, die sowohl von Elfen bzw. Coraniaid und Menschen abstammen. Die neue Charakterklasse der Fionnacórach (Rechtfinderin), eine magiebegabte Ermittlerin, verfügt über Zauber, die sich an Heilerinnen anlehnen, ergänzt um etliche Informationszauber. Es handelt sich dabei um eine durch die Wichtigkeit der Gesetze und der Heilerinnen gut in die Kultur integrierte neue Klasse.

Der dritte große Abschnitt des Quellenbuches bietet vier Abenteuerskizzen von Karl-Georg und Patrick Müller und ein Abenteuer von Ulf Zander & Andreas Mätzing. In „Noch eine Diebesbande“ dürfen die Abenteurer Dieben hinterherjagen und auch bei „Sport ist Mord“ ist der Titel Programm. Beides sind kurze Szenarien, die geschickt in die Stadt Cuanscadan einführen. Letzteres ist zwar kurz gehalten, aber einmal mehr verbirgt sich mehr hinter den Fassaden als nur einfacher Mord. Die Abenteuerskizzen „Freiheit für Ceallach an’ailgin“ und „Der Kult der Blauen Auster“ beschäftigen sich mit den ansässigen Geheimgesellschaften. Alle vier Abenteuerskizzen kann man sofort in Szene setzen, ohne viel Arbeit investieren zu müssen. Gleiches gilt für das bereits in |Spielwelt| 37 veröffentlichte, komplett überarbeitete Abenteuer „Das Auge des Wüstengottes“. Anders als die Abenteuerskizzen handelt es sich hierbei nicht um ein Stadtabenteuer, sondern eher um ein kleines Dungeon, das nicht zu unterschätzende Gefahren für die Abenteurer bereithält.

Ein kleines erainnisches Wörterbuch rundet dieses Quellenbuch ab. In einer Kartentasche am Ende des Bandes wurden ein großformatiger, schwarzweißer Stadtplan Cuanscadans und eine Farbkarte des Fürstentums untergebracht.

„Cuanscadan“, das Tor zu Erainn, der Hafen der Heringe ist ein absolut hervorragendes Quellenbuch. Die Lebendigkeit der Bewohner, ihre Abgründe, ihre Besonderheiten und nicht zuletzt die mitgelieferten Abenteuer laden zu sofortigem Spiel ein. Die Beschreibung des Landes Erainn gibt einen zwar kurz gefassten, aber dennoch gelungenen Überblick dieses bisher leider vernachlässigten Landstrichs. Hoffentlich löst Cuanscadan in Zukunft Corrinis als populärste Stadt Midgards ab.

© _Hornack Lingess_
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Baker, Richard / Stout, Travis / Wyatt, James – Vergessene Reiche: Spieler-Handbuch Faerûn

|“Die Helden der Vergessenen Reiche sind so unterschiedlich und vielfältig wie die Regionen, aus denen sie stammen. Diese Sammlung faerûnischer Informationen und Geheimnisse erlaubt Ihnen, endlos viele verschiedene Charaktere zu generieren und auszurüsten, die alle gegen die Herausforderungen, die ihnen bevorstehen, wohlgefeit sind. Von Völkern über Talente, Zauber und Prestigeklassen bis hin zu magischen Gegenständen und vielem mehr bringt das SPIELER-HANDBUCH FAERÛN den Kampagnenhintergrund der Vergessenen Reiche auf den Stand der Edition 3.5, lässt einige alte Lieblingsinhalte der Versionen 1.0 und 2.0 wieder aufleben und enthält zudem ganz neues Material zur Charaktergenerierung.“| (Herstellerinformation)

Das SPIELER-HANDBUCH FAERÛN ist ein Hardcover im DIN-A4-Format mit 224 Seiten. Der Entwurf des Buches stammt von Richard Baker, Travis Stout und James Wyatt. Die Übersetzung ins Deutsche wurde von Stefan Kreksch und die Umschlagillustration von Adam Rex gefertigt. Das Buch ist ein Ergänzungsband für die Kampagnenwelt Vergessene Reiche der „Dungeons & Dragons“-Edition 3.5 und baut unter anderem auf folgende Quellen auf: KAMPAGNEN-SET: VERGESSENE REICHE, MONSTER FAERÛNS und MAGIE FAERÛNS.

Die ersten beiden Seiten nach dem ausführlichen Inhaltsverzeichnis widmen sich einer Einleitung, wie das Buch verwendet werden kann, es gibt eine Kapitelübersicht, Informationen darüber, welche Bücher man benötigt, um das Buch überhaupt nutzen zu können, und welche weiteren Bücher für die Kampagnenwelt der Vergessenen Reiche bereits erschienen sind.

Kapitel 1: „Regionen und Talente“ widmet sich dann den schon im Kampagnen-Set aufgeführten Regionen und damit verbundenen Starttalenten für die verschiedenen spielbaren Völker. Hierbei wurden einige Änderungen an den Vorgaben des Kampagnen-Sets vorgenommen. Es wurden unter anderem die bevorzugte Klasse für eine bestimmte Region weggelassen oder regionale Talente attraktiver gemacht, um einen Spieler für die Mühe, seinem Charakter eine Herkunft zu geben, zu belohnen. Insgesamt 45 Seiten widmen sich neuen Statistiken, den verschiedenen Völkern der Menschen, den Heimatregionen auch nichtmenschlicher Volksgruppen und den überarbeiteten Talenten für die Kampagnenwelt.

Kapitel 2: „Prestigeklassen“ stellt 20 Prestigeklassen für faerûnische Charaktere vor. Auf 33 Seiten werden dem Leser zum Großteil überarbeitete Prestigeklassen präsentiert. Die meisten Überarbeitungen fallen nicht schwer ins Gewicht, nur der ehemalige Harfner-Kundschafter und nun Harfneragent und die Hathran haben sich zum Teil drastisch verändert. Die Klassen Erzmagier, Hierophanten und Roter Magier sind nicht enthalten, da die überarbeiteten Versionen im SPIELLEITER-HANDBUCH zu finden sind.

Im Kapitel 3: „Domänen und Zauber“ werden auf 49 Seiten Klerikern spezielle Talente spendiert, die zusätzliche Klerikerzauber auf verschiedenen Graden ermöglichen und weitere Fähigkeiten verleihen; es gibt umfassende Zauberlisten, die alle (überarbeiteten) Zauber aus dem KAMPAGNEN-SET, MONSTER FAERÛNS, MAGIE FAERÛNS, VÖLKER FAERÛNS dem UNTERREICH, dem SPIELER-HANDBUCH und diesem Buch beinhalten. Abgeschlossen wird das Kapitel durch die Beschreibungen der Zauber aus diesem Buch.

Kapitel 4 widmet sich magischen Gegenständen. Es werden ergänzende besondere Eigenschaften für Waffen und Rüstungen beschrieben und auf insgesamt neun Seiten neue Artefakte aller Arten aufgeführt. Die Gegenstände sind auf die Kampagnenwelt abgestimmt und im Detail beschrieben.

Kapitel 5: „Epische Stufen in Faerûn“ befasst sich auf dreizehn Seiten mit den epischen Stufen von einigen der in Kapitel 2 vorgestellten Prestigeklassen und zwei weiteren: dem nesserischen Arkanisten und dem Zauberfeuer-Hierophanten. Dazu gibt es neue epische Talente und neue epische Zauber.

Kapitel 6: „Die Kosmologie Torils“ umfasst 30 Seiten, die sich dem Ebenenreisen, den Merkmalen der Ebenen und Ebenenbeschreibungen widmen. Die hier vorgestellten und beschriebenen Ebenen der Vergessenen Reiche unterscheiden sich im Aufbau von der Kosmologie, wie sie das SPIELLEITER-HANDBUCH vorgibt, und ergänzen das Material aus dem KAMPAGNEN-SET.

Kapitel 7: „Das Kampagnentagebuch“ besitzt sechs Seiten, auf denen dem Leser nahe gebracht wird, wie die offizielle Zeitlinie in die eigene Kampagne eingebaut werden kann und welche großen Ereignisse unlängst in dieser Linie geschehen sind. Daraus ergeben sich auch Ereignisse und Gerüchte, die knapp angerissen werden.

Im Anhang mit 20 Seiten geht es noch um Psioniker in Faerûn, ihr Verhältnis zum Gewebe, ihre Organisation und eine psionische Prestigeklasse, den Gedankendieb. Daran schließt sich Material aus dem Buch der widerwärtigen Finsternis (BOOK OF VILE DARKNESS) und dem Buch der löblichen Taten (BOOK OF EXALTED DEEDS), auf die Vergessenen Reiche abgestimmt, an. Zum Schluss gibt es noch eine Regelvariante für mächtige Völker mit Stufenentsprechung und wie man sie noch in das Spiel einbinden kann.

Wer diesen Ergänzungsband liest und bereits über andere Bände zu dieser Kampagnenwelt verfügt, wird auf gewohnte Kost stoßen. Möglichst knappe Abschnitte und Absätze mit möglichst viel Information. Sehr viele übersichtliche Tabellen, ein ausführliches Inhaltsverzeichnis in gewohnter und deshalb immer noch toller optischer Aufmachung.

Positiv sind die Kästen zu bewerten, in denen dem Leser immer wieder kurz erläutert wird, was und warum es sich geändert hat. Dem Leser wird so die Möglichkeit verschafft, die Arbeit der Autoren und Verlage besser nachzuvollziehen. Auch die Karten und die Illustrationen sind stimmungsvoll aufgemacht und unter dem Strich überdurchschnittlich gelungen.

Besonders nützlich sind Kapitel 1 und Kapitel 6. Die Angaben aus Kapitel 1 über die Völker der Menschen helfen dem Spieler, einem Charakter viel mehr Individualität und Atmosphäre zu verleihen und helfen auch Spielern, die sich den Kopf über das körperliche Aussehen ihres Charakters zerbrechen. Kapitel 6 ergänzt das Kapitel über die Götter und Ebenen im Kampagnen-Set und liefert viele Informationen, die ein Spielleiter für die Vergessenen Reiche bei Ebenenreisen einfach braucht. Kapitel 5 wird alle Spieler/leiter freuen, die sich in epischen Gefilden tummeln und nach der Erweiterung der Prestigeklassen und neuen Talenten wie Zauber hungern. Die Zusammenfassungen der Roman- bzw. der Abenteuerserien „Die Rückkehr der Erzmagier“ und „Der Krieg der Spinnenkönigin“ sind eine gelungene Hilfestellung für Spielleiter, die dieses Material verwenden wollen, besonders wenn man es nicht direkt kennt.

Was fehlt, sind ein Index und hier und dort ein zumindest stimmungsvoller Text aus den Reichen. Da es sich um ein maßgeschneidertes Produkt für eine Kampagnenwelt handelt und das Buch damit nicht dem Anspruch der universellen Verwendung gerecht werden muss, hätte es sich angeboten, zumindest mit kurzen Texten für atmosphärische Einschübe zu sorgen. So sind die Texte in dieser Form stellenweise zu trocken und das Buch lädt nicht zum Schmökern ein. So wäre es zum Beispiel vorteilhaft gewesen, wenn Kapitel 5 mehr als nur erweiterte Prestigeklassen, Talente und Zauber enthalten hätte; zum Beispiel Ideen zu einer epischen Kampagne, Stichpunkte zum täglichen Leben einer Legende in Faerûn – ungemein nützlich für Spielleiter, die sich damit herumschlagen. Auch ist die Vielzahl an Prestigeklassen nicht unbedingt nötig. Sicherlich ist es schön, so viele Möglichkeiten wie machbar abzudecken, auf der anderen Seite scheint man anzunehmen, die Grundklassen seien zu langweilig, um ohne eine Prestigeklasse einen interessanten Charakter ausmachen zu können. Und auch neue Zauber braucht es eigentlich kaum, wird ein Spieler dadurch nur noch mehr zum Suchen und Auswählen genötigt.

Als Fazit kann man das Buch einem Fan der Vergessenen Reiche unbedenklich empfehlen, schon allein, weil es die bisher auf deutsch erschienen Bücher der Edition 3.0 regeltechnisch auf den neusten Stand bringt. Handwerklich ist das Buch gute Qualität, aufgrund des speziellen Inhaltes nur eingeschränkt für andere Kampagnenwelten einsetzbar. Es fehlt vielleicht ein wenig an Atmosphäre in den Texten für den vollen Preis des Buches, aber wenn man in den Vergessenen Reichen spielt, ist es kein Fehlkauf.

© _Sebastian Hogrebe_
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Pratchett, Terry – Ab die Post

Ein Buch, das mit einer Hinrichtung beginnt, hat schon etwas Eigenartiges an sich. Stammt das Werk auch noch aus der Feder von Terry Pratchett, kann man sicher sein, dass es mit den Merkwürdigkeiten nicht allein dabei bleibt. „Ab die Post“ heißt der neue Roman des humorvollen Briten, der im |Manhattan|-Subverlag bei |Goldmann| erschienen ist und als ein 444 Seiten starkes, gebundenes Hardcover daherkommt. Das sehr hübsche Titelbild von Paul Kidby zeigt den Helden des Romans und seine Mistreiter auf einem riesigen Haufen Briefe.

Feucht von Lipwig heißt der junge Mann, der zu Beginn der Ereignisse von „Ab die Post“ den Kopf von einem freundlichen Henker durch die Schlinge gelegt bekommt. Doch das Schicksal meint es gut mit dem Kleinkriminellen, denn anstatt dem Sensenmann entgegenzutreten, wird die Hinrichtung nur vorgetäuscht und er landet beim Patrizier, der ihm die freie Stelle des Postministers von Ankh-Morpork anbietet. Bei der Auswahl zwischen Erhängen und einem Job bei der Post fällt es dem versierten Betrüger nicht schwer, sich für die gesündere der beiden Alternativen zu entscheiden. Wobei er aber schon einen Fluchtplan schmiedet, der jedoch jäh durch Herrn Pumpe, einen stattlichen Golem, gestoppt wird, der vom Patrizier engagiert wurde, um Feucht von Lipwig von nun an zu begleiten/bewachen.

Als der sympathische Gauner dann seine zukünftige Arbeitsstätte und sein Personal begutachtet, fällt er aus allen Wolken: Das Postamt ist bis unters Dach gefüllt mit Briefen, die seit zwanzig Jahren auf ihre Zustellung warten, und bei den beiden übrig gebliebenen Angestellten handelt es sich um einen uralten Mann, Herrn Grütze, und einem Nadeln sammelnden und leicht einfältigen Jungen, der sich Stanley nennt.

Nach einigen anfänglichen Schwierigkeiten beginnt Feucht von Lipwig Gefallen an der Sache zu finden, denn seine Fähigkeiten im Umgang mit Menschen (oder besser gesagt in der Manipulation der Menschen) machen aus ihm einen ganz ordentlichen und sogar beliebten Postminister. Als er sich auch noch in die „Golemrechtlerin“ Fräulein Liebherz verguckt, legt er sich richtig ins Zeug, um den Postladen wieder auf Vordermann zu bringen.

Doch es gibt da eine Partei, die ganz und gar nicht mit den Bemühungen des neuen Postministers glücklich ist, nämlich die Betreiber des Großen Strangs, der Semaphorengesellschaft, die bisher mit ihren Klackertürmen das Monopol der Nachrichtenübermittlung in Ankh-Morpork und der weiteren Umgebung besaßen.

Der Kopf dieser Gesellschaft, Reacher Gilt, ist ein machthungriger, skrupelloser Geschäftsmann, dem man nachsagt, dass er ein Auge auf den Thron des Patriziers geworfen haben soll. Seit die Semaphorentürme in seiner Hand sind, kommt es immer wieder zu Ausfällen, die vor allem durch die sehr einschneidenden Einsparungen verursacht werden, die Gilt der Gesellschaft auferlegt hat. Bisher war das allerdings kein Problem, doch nun läuft dem Strang die Kundschaft weg, die nun lieber Briefe verschickt und sogar anfängt, Briefmarken zu sammeln. Als Feucht von Lipwig dann den Großen Strang noch herausfordert – er behauptet, er könne eine Nachricht schneller nach Gennua bringen als der Strang –, sieht Gilt die Chance, den Postminister endlich loszuwerden. Doch dieser bekommt von unerwarteter Seite Hilfe.

Auf den ersten Blick erscheint die Geschichte des jungen Gauners, der einen Laden wieder auf Vordermann bringt, sich dabei verliebt und letztendlich dabei seine gute Seite entdeckt, sehr hollywoodesk – und ja, sie ist es auch. Doch wer Pratchett kennt, der weiß, dass es auch zwischen den Zeilen viel zu entdecken gibt, und so auch in seinem neuesten Werk, das nur so von Andeutungen und Anspielungen auf die wirtschaftlichen Zusammenhängen unserer schönen globalen Welt strotzt. In den humoristischen Schafspelz der Scheibenwelt verpackt, erzählt er von Vorständen, die sich auf dem Rücken eines Unternehmens bereichern, von egoistischen Geschäftsgebaren, von feindlichen Übernahmen und ausgebeuteten Belegschaften. Also alles Themen, denen es weder an Aktualität noch an Brisanz mangelt. Es ist auch immer wieder faszinierend, wie Pratchett Dinge aus ‚unserem modernen und zivilisierten Leben‘ nimmt und sie in seine Fantasywelt einflechtet; wer sich bei den Jungs des „Rauchenden Gnus“ an die „einsamen Schützen“ aus der Akte-X-Serie erinnert fühlt, dürfte da gar nicht so verkehrt liegen. Die beliebten Darsteller der Scheibenwelt-Serie (Rincewind, die Wache, die Hexen) kommen in „Ab die Post“ gar nicht oder nur am Rande vor, was vielleicht den einen oder anderen Fan nach „Kleine freie Männer“ und dem „Weiberregiment“, in denen sie auch nicht vorkamen, ein wenig enttäuscht. Diese können sich aber freuen, denn der nächste Scheibenweltroman wird ein waschechter Stadtwachen-Krimi.

Was Pratchett in „Ab die Post“ abgeliefert hat, ist ein sehr netter Roman, der die Vielseitigkeit der Scheibenwelt um eine weitere Facette ergänzt. Es gelingt ihm in gewohnt gekonnter Manier, Sachverhalte aus der realen Welt in die Scheibenwelt einzubauen, ohne dabei lächerlich oder gar albern zu wirken. Obwohl das Buch einige Längen hat, ist es für jeden Terry-Pratchett-Fan ein Muss.

© _David Grashoff_
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Iggulden, Conn – Imperator: Das Feld der Schwerter (3)

Das Jahr 60 vor Christi Geburt: Ein Mann in der Blüte seines Lebens, den Kopf voller Träume, Ziele und Ideologien, verlässt mit tausenden von Männern die spanischen Küsten. Gaius Julius Cäsar hält nichts mehr in dem Land am Mittelmeer. Als Prätor wurde er in die römische Provinz entsandt, um mit seinen Männern den Einfluss des Stadtstaates in westlicher Ausdehnung zu sichern und die Mächtigen des römischen Senats mit spanischem Gold zu speisen. Doch seine Ideen haben Flügel, erheben sich weit über die Grenzen Spaniens und die ihm dort gegeben Möglichkeiten. Er will etwas verändern, die Gedanken des Revolutionärs Marius aufgreifen und in seinem Rom verwirklicht sehen.

Doch die grausame Ermordung seiner Frau erstickt jeden Funken von Leidenschaft im Herzen des Cäsar. Schließlich hatte er durch sein Amt in Spanien Abstand zu diesem Schicksalsschlag gewinnen können, doch genau wie sein Gut und seine Familie hatte er auch seinen Enthusiasmus in Rom zurückgelassen. Bis zur Erschöpfung hatte er sich der Verwaltung Spaniens verschrieben, sich ein unmenschliches Maß an Arbeit aufgebürdet, doch Bedeutung hatte es nur wenig für ihn. Gemeinsam mit seinem besten Freund Brutus und seinem Neffen Octavian hatte er wenigstens die Trauer über den grausamen Mord an seiner Frau in Rom verdrängen können und Abstand zu den immer wiederkehrenden Bildern in seinem Kopf geschaffen.

Schließlich hat er in den Weiten Spaniens sogar den Funken für neuen Lebensmut in den Armen einer Frau wiederentdeckt. Eine tüchtige Geschäftsfrau namens Servilia, die Mutter des Brutus, fasziniert ihn vom ersten Augenblick an und eine knisternde Spannung liegt zwischen den beiden. Ihre Leidenschaft und Hingabe schaffen es, die Mauern des später größten Mannes Roms einzureißen und seine Begeisterung freizusetzen.

Er setzt sich zum Ziel, seinem Vorbild Alexander dem Großen nachzueifern und den Ruhm des Römischen Reichs zu mehren, neue Welten zu entdecken und Gerechtigkeit zur Maxime der Politik zu machen. Diesen ehrgeizigen Ambitionen steht in erster Linie der Machthunger der römischen Optimaten entgegen. Sie fürchten Einbuße an Einfluss, sollten die Popularen, die Volksfreundlichen, die Entscheidungsgewalt im Staat innehaben.

So muss sich Cäsar, nach Rom zurückgekehrt, in den wenigen Tagen bis zur Wahl der Konsuln an allen Fronten behaupten: Einerseits will er das Volk mit Ehrlichkeit von sich überzeugen, andererseits um die Unterstützung der scheidenden Amtsinhaber buhlen, denn mit Crassus und Pompeius stehen ihm der Wohlhabendste und Einflussreichste Roms gegenüber. Während Crassus sich fast ein wenig zu schnell zu Cäsar bekennt, hadert Pompeius lange, und selbst als er ihm seine Unterstützung zusichert, ist er dem aufstrebenden Mann aus dem Geschlecht der Julianer nicht besonders zugetan. Mit Schwertkämpfen, der Zerschlagung der Verschwörung des Catilina, Reden vor dem Volk, Gerichtsfällen und seiner dominanten Präsenz schafft es Cäsar letztlich, für das nächste Jahr das Amt des Konsuls zu gewinnen.

Noch vor der ersten Senatssitzung beschließen Pompeius, Crassus und Cäsar in einer geheimen Vereinbarung die Aufteilung der Macht und der größtmöglichen Durchsetzung der Ziele jedes Einzelnen. Zum einen erhält der geldgierige Crassus das Handelsmonopol Roms, Pompeius kann seine vorherige Macht als Konsul weiterhin geltend machen und auch Cäsar zieht folgenschwere Vorteile aus diesem Triumvirat: Nach der halben Amtszeit, in der er grundlegend verändernde Beschlüsse durchsetzen will, beendet er seine Tätigkeiten in Rom und erhält das Recht, ohne Rechenschaft ablegen zu müssen mit seinem Heer Gallien zu erobern. Nie zuvor hatte in der römischen Geschichte ein Feldherr so freie Hand gegenüber dem Senat. Die Verwirklichung der jeweiligen Ziele ist den drei Männern nur möglich, da Cäsar die pikanten Vorlieben seines Amtskollegen Bibulus nicht verborgen bleiben und er ihn so vollkommen in der Hand hat.

Der Reise über die Alpen in das vollkommen unbekannte Gebiet im Norden steht nun nichts mehr im Weg. In beeindruckender Weise erobert er die Regionen Galliens und es dauert nicht lange, bis ganz Gallien in Aufruhr ist. Die gallischen Stämme sind verzweifelt und fürchten, von dem eindrucksvollen Heer aus Rom überrannt zu werden. Diese Furcht ist keineswegs unbegründet, doch erst der Stammesführer der Arverner, Vercingetorix, wagt es, Cäsar die Stirn zu bieten. In einem eindrucksvollen, lang währenden Gefecht kämpfen nicht nur Armeen gegeneinander, sondern vor allem auch zwei stolze Männer. So ist es auch Vercingetorix, der Cäsar erstmals gefährlich nah an den Rand einer totalen Niederlage führt …

Spätestens zu diesem Zeitpunkt im Buch meint man, die Gallischen Kriege, die Wahlen der Konsuln oder Cäsars Verwaltungszeit in Spanien am eigenen Leib miterlebt zu haben, so bildgewaltig präsentiert Autor Conn Iggulden die Ereignisse im ersten Jahrhundert vor Christus. Es ist nicht nur ein historischer Schmöker, es ist ein Roman voller Abenteuer, Liebe, Freundschaft und Politik, so ansteckend mitreißend und lebendig, obwohl die Helden der Vergangenheit angehören.

Der Leser fühlt sich mit dem größten Imperator aller Zeiten menschlich verbunden und erlebt Geschichte hautnah, anstatt nur darüber zu lesen. Dies liegt insbesondere auch daran, dass der Autor auf die Erwähnung von Daten verzichtet und die Ereignisse nicht mit Begriffen der Geschichtsforschung belegt. Beim Lesen spürt man die ungehaltene Freude des Autors an dem historischen Stoff. In mancherlei Hinsicht hat Iggulden sicherlich die Lücken der Geschichte mit den Freiheiten eines Autors ausgefüllt, aber dies stärkt nur den Charme des Buches. Dort, wo in den Lexika der Bibliotheken nichts über das Liebesgeflüster zwischen Cäsar und seiner geliebten Servilia steht, wo die Feste im Kreise der Freunde nicht dokumentiert wurden, dort verbindet Iggulden meisterlich Fiktion und Fakt.

© _Stefanie Borgmann_
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Williams, Tad – Shadowmarch: Die Grenze

Es schien wie in einem vergessenen Zeitalter, dass die Wesen jenseits des undurchdringlichen Nebels sich regten und die Lande der Menschen mit Krieg überzogen. Doch der Konflikt hatte nur ausgesetzt. Noch immer forderten die Elben die Gebiete zurück, die ihnen vor langer Zeit an die Menschen verloren gingen. Sie hatten sich nur hinter ihren Zauberwall aus Nebelschwaden und grausamen Illusionen zurückgezogen, um nun das zu beanspruchen, was in ihren Augen schon immer ihnen gehörte.

Die Menschen und auch die Funderlinge in der Südmark haben dabei ihre eigenen Probleme. Ihr Herrscher ist einer Hinterlist zum Opfer gefallen und wird gegen Lösegeld vom Lordprotektor von Hierosol festgehalten. Immer abenteuerlicher werden die Forderungen. Schließlich wagt es der Entführer, die Hand der Fürstentochter zu beanspruchen. Briony Eddon ist davon wenig begeistert und auch ihr Zwillingsbruder hält nicht viel davon. Doch was sind die Überlegungen von Kendrick, der als Stellvertreter seines Vaters über die Mark wacht? Die verschiedenen Berater, Vasallen und Verbündeten bedrängen den jungen Mann. Doch bevor er seine Überlegungen kundtun kann, wird er grausam ermordet. Ausgerechnet der Schwertmeister soll der Attentäter gewesen sein.

Schlimmer könnte es kaum kommen. Die Feinde vor den Toren der Stadt, die Intrigen im Reich und zwei junge Menschen, die sich den Thron und die schwere Bürde teilen müssen, den unmöglichen Aufgaben gerecht zu werden. Doch es |kommt| noch schlimmer.

Die Geschichte der Schattenmark beschäftigt sich nicht nur mit den Erlebnissen der Herrschenden, sondern bezieht eine Vielzahl von Figuren mit ein, deren Schicksal direkt, indirekt oder scheinbar gar nicht mit dem des Landes verbunden ist. Die Rollen der Protagonisten reichen von dem zwergenähnlichen Funderling Chert Blauquarz bis hin zu Qinnitan, der hundertsten Frau des mächtigen Herrschers des Reiches Xand.

Tad Williams begnügt sich nicht damit, die Geschichte einiger weniger Persönlichkeiten und ihres Landes zu erzählen, er zeichnet das Schicksal einer ganzen Welt in seiner neuen Serie. Der vorliegende erste Band ist nur der Anfang, aber ein ereignis- und umfangreicher.

Irritiert mag der geübte Fantasyleser von den „neu“ erfundenen Spezies sein, die doch so sehr dem typischen Zwerg oder dem typischen Dunkelelf oder sonst einer bekannten Fantasyspezies ähneln. Natürlich leben die Pseudozwerge unter der Erde, natürlich haben sie Steine lieb und auch das Gold und sind auch nicht besonders groß. Aber sie Zwerge zu nennen – so das Buch – wäre eine infame Beleidigung. Nach kurzem Nachdenken und einem amüsierten Kopfschütteln gewöhnt man sich daran, die Zwerge halt jetzt Funderlinge zu nennen.

Die Schilderung der Protagonisten ist dem Autor nur bedingt gelungen. Die psychischen Probleme des albtraumgeplagten Barrick kommen genauso wie die emanzipatorischen Wünsche von Briony nur hölzern und klischeehaft herüber. Das mag daran liegen, dass Williams einen strengen und regelmäßigen Wechsel zwischen den Handlungssträngen und Protagonisten durchzieht und gleichzeitig einen hohe Geschwindigkeit der Handlung vorantreibt. Da bleibt scheinbar wenig Raum für die glaubhafte und überzeugende Darstellung des Innenlebens der handelnden Personen.

Tad Williams ist, wie vorauszusehen war, ein sehr gutes, unterhaltsames und spannendes Buch gelungen. Doch stellt es inhaltlich und auch vom Stil her keine Besonderheit dar. Es ist ein gutes Fantasybuch geworden, das es in der Qualität und dem Einfallsreichtum vielfach auf dem Literaturmarkt gibt. Die Erwartungen an den Autor nach der grandiosen „Otherland“-Serie haben sich nur zum Teil erfüllt. Trotzdem kann man jedem Fantasyfan das Buch und vermutlich auch die Folgebände anraten, denn in Hinsicht auf gut lesbare Unterhaltung und Spannung bekommt man hier garantiertes Lesevergnügen geboten.

© _Jens Peter Kleinau_
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Hayder, Mo – Tokio

Mo Hayder sah als Teenager ein Foto von einem japanischen Soldaten, der einen chinesischen Zivilisten enthauptet. Als sie dieses Bild Jahre später in Tokio wiederentdeckte und ihr selbst japanische Freunde nichts über das Massaker von Nanking berichten konnten, war ihr Interesse an einem Kapitel japanischer Geschichte geweckt, das bis heute von offizieller Seite mit Vorliebe verschwiegen wird. („Tokio“ soll nicht in Japan erscheinen!)

Auch die Protagonistin Grey in Hayders neuem Roman „Tokio“ hat in frühen Jahren ein Foto aus Nanking gesehen und ist, gerade weil ihre Umwelt die Existenz des Fotos wie auch die historischen Kriegshandlungen leugnet, besessen von der Idee, die Wahrheit herauszufinden. Grey, die den größten Teil ihrer Jugend in einer psychiatrischen Klinik verbracht hat, ist besessen davon, ihre Zweifel und die Ungewissheit zur Gewissheit werden zu lassen.

‚Geh und Beweise es‘, hatte ihr eine Zimmergenossin aus der Klinik mit auf den Weg gegeben. Und für Grey, die nach Jahren in der Psychiatrie die eigene Persönlichkeit als kranken Psycho-Freak mit perversen Neigungen wahrnimmt, sind die historischen, totgeschwiegenen Ereignisse inzwischen ebenso wichtig wie die eigene Heilung geworden; erst wenn sie beweisen kann, dass die Gräuel von Nanking nicht ihrer kranken Fantasie entsprungen sind, sieht sie eine Chance, in das Leben zurückzukehren.

Labil und voller psychischer wie physischer Narben reist Grey nach Tokio, um einen chinesischen Wissenschaftler aufzusuchen, der im Besitz eines Filmes sein soll, in dem das Massaker von Nanking dokumentiert ist. Shi Chongming, ein einstmals freigeistiger, inzwischen desillusionierter Intellektueller, arbeitet als Gastprofessor in Tokio. Er ist Opfer und Überlebender der japanischen Kriegshandlungen, die neben dem Film, in dessen Besitz er gelangt ist, auch in seinem Tagebuch aufgezeichnet sind. Diese Niederschrift eines (Kriegs-)Tagebuchs aus Nanking führt den Leser alternierend mit der Handlung der Gegenwart in den Winter 1937, in das von Japanern besetzte Nanking.

Für jeden Wissenschaftler ist es eigentlich eine Ehre, an der Todai-Universität, der berühmtesten Universität Japans, zu forschen und zu lehren; doch Shi Chongming hat neben seiner offiziellen Verpflichtung einen weiteren, sehr persönlichen Grund für seinen Aufenthalt in Japan. Das Auftauchen der ‚verrückten Fremden‘, die die Vergangenheit aufleben lassen will und ihn in ihrer Besessenheit ‚attackiert wie eine Hornisse‘, stürzt den alten Chinesen in eine tiefe Krise.

Gray arbeitet inzwischen aus Geldnot in dem Nachtclub |Some like it hot| als Hostess. Dort lernt sie den mächtigen Yakuza-Chef Fuyuki und dessen brutale, geheimnisvolle, geschlechtlich nicht zu identifizierende Krankenschwester Ogawa kennen. Diese Bekanntschaft öffnet ihr unerwartet die Türen zum abweisenden und widerstrebenden Chinesen Shi Chongming. Plötzlich schlägt dieser Grey einen Deal vor: Er wird auf ihr Anliegen eingehen und ihr den Film zeigen, wenn sie ihm ein Elixier bringt, ein Tonikum, dem Shi Chongming schon lange auf der Spur ist und dessen Geheimnis sich in Fuyukis Besitz befinden soll.

Grey scheint indes dem mysteriös abweisenden Charme Tokios und seiner Nachtclubs zu erliegen. Und auch ihr rätselhafter Mitbewohner Jason, der ihr mit seiner Vorliebe für Scheußlichkeiten seltsam nahe zu stehen scheint, lenkt sie von ihrer ursprünglichen Absicht ab, Shi Chongmings Film um jeden Preis zu sehen. Doch dann geschehen entsetzliche Dinge und Grey begibt sich in größte Gefahr. Dabei ist sie nicht nur außerstande, die Bedrohung, die sich immer enger um sie knüpft, richtig einzuschätzen, Grey kann nicht einmal ahnen, inwieweit die Tragödie ihres eigenen Lebens mit der grausamen Vergangenheit und der brutalen Realität der Gegenwart verwoben ist!

Mit „Tokio“ verlässt Mo Hayder den Londoner Schauplatz, wo ihre beiden Bestseller „Der Vogelmann“ und „Die Behandlung“ um Detective Inspector Jack Caffery angesiedelt waren, und wendet sich einem historischen Ereignis und einer fernöstlichen Kulisse zu. „Tokio“ ist ein atemberaubend dichter Thriller, in dem die Spannung Seite um Seite steigt.

Dabei erzählt Mo Hayder eher geruhsam, mit einer poetischen Trägheit, die sie in einem perfekt abgestimmten Tempo, das sich sachte über Anspielungen, Andeutungen, Vor- und Rückgriffe im Geschehen überaus brutal an Perversionen, Morde und skrupellose Gräuel annähert. Durch diese beeindruckende Ökonomie der Information, mit der Hayder optimal kalkuliert umzugehen weiß, aber auch durch eine traumhaft märchengleiche Kulisse eines nächtlichen Tokios spitzt sich die Spannung in jeder Szene weiter zu.

Mo Hayder, die früher einmal selbst in Tokioter Nachtclubs gearbeitet hat, ist für die Recherche zu „Tokio“ zwanzig Jahre später noch einmal in die Rolle einer Hostess geschlüpft, um dem mysteriösen und brutalen Mordfall an Lucie Blackman, einer in Tokio arbeitenden englischen gaijin (Hostess), nachzuspüren. Es liegt wohl an diesen persönlichen Erfahrungen, dass das traumähnlich gezeichnete Nachtleben Tokios so real wird. Eine Welt voller authentischer Sonderlinge, die alle am Rande der Gesellschaft leben: Mama Strawberry, die Nachtclubbesitzerin, die gern wie Marilyn Monroe aussähe, Ogawa, die sadistische Krankenschwester, oder Jason, der perverse Sonderling – all diese Figuren geben „Tokio“ einen Reiz, der sich aus Sympathie und Unverständnis, Faszination und Abscheu zusammensetzt.

Mo Hayder versteht es meisterhaft, auf dem schmalen Grat zwischen Abscheulichkeit und Faszination, dem Schönen und dem durch und durch Bösen zu wandeln. Sie lotet das Böse aus, lässt sich auf alle menschlichen Schattierungen von schamlos über verdorben bis auf wirklich böse ein – und das mit einer unübersehbaren Schwäche für Freaks. So durchschreitet Mo Hayder Grenzen, bringt uns Figuren und Ereignisse näher, die sonst so brutal und unmenschlich scheinen, dass wir uns eher schaudernd von ihnen abwenden. Schuld und Unwissenheit ziehen sich leitmotivisch durch den Text, eine meines Erachtens sehr konstruktive Kategorisierung, die das Böse nicht oberflächlich zu verurteilen aber zu orten scheint.

„Tokio“ ist ein sehr grausames Buch, das sich in seiner fiktiven Authentizität auf einer teilweise surreal anmutenden, dem Stil entspringenden Schönheit und Poesie trägt. Als Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit der Geschichte ist „Tokio“, das ein breites Publikum erreichen wird, bedeutsam. Als Literatur wie auch als Thriller ist „Tokio“ in seiner naiven Unschuld wie seiner abgrundtief pervers-brutalen Abscheulichkeit einfach umwerfend und Nerven aufreibend bis zum Finale!

© _Anna Veronica Wutschel_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.X-Zine.de/ & http://www.krimizeit.de/ veröffentlicht.|

http://www.mohayder.net

Weitere Rezensionen bei |Buchwurm.info|:
[Der Vogelmann 1632
[Die Behandlung 1635

Higuri, You – Mondkönig, Der (Ludwig II., Band 1)

Ludwig II. von Bayern – Über den Wolken kreisend wie ein Adler, der abgewandt von prosaischer Realität majestätisch seine Schwingen erhebt, und mit seinem Anmut dem Ideal der Freiheit in jeder Bewegung huldigt. Es ist die Bürde seines Schicksals und die Last seiner Geburt, dem bayerischen Volk gerecht zu werden und um ihres Wohles willen das Land zu regieren. So ruht alle Entscheidungsgewalt auf seinen Schultern. Doch Ludwig II. ist ein Gefangener im goldenen Käfig seiner politischen Macht und der Wirklichkeit des Krieges. Der „Märchenkönig“ lebt für die Oper Wagners und sehnt sich nach der Gesellschaft seiner älteren Cousine Elizabeth, Kaiserin von Österreich. Sie ist es, die einen Weg in die Traumwelt des Königs findet und sein Leid teilt. Allerdings kann auch sie ihn nicht vor der Gefahr wahren, die außerhalb der Grenzen seines Landes und innerhalb der Wände seines Schlosses auf ihn lauern. Bismarcks preußische Vorgehensweise mit „Eisen und Blut“ strebt die Institutionalisierung eines deutschen Großreiches an. Aus Loyalität zu seiner geschätzten österreichischen Verwandten und als Protest gegen den Militärstaat muss sich Ludwig dieser Konfrontation stellen. Gleichzeitig wächst der Unmut inmitten der verarmten Bevölkerung über die kostspieligen Eskapaden und Skurrilitäten des Königs. Ein enormes Vermögen investiert der Liebhaber des Schönen und Herrlichen in die Errichtung von architektonischen Meisterwerken und die Förderung der musikalischen Künste Wagners. So unvergleichlich die Oper eines der größten Komponisten sein mag, wie sehr das Schloss Neuschwanstein als imposantes Manifest monarchischer Herrschaft anrührt – ein Volk, das dem Tod näher als dem Leben ist und dessen Oberhaupt geringes Interesse an ihrem Grund und Boden zeigt, sieht in solchen Werken lediglich die vergebene Möglichkeit, den Hunger Vieler zu stillen. Doch nicht nur das scheinbar machtlose Volk äußert Missfallen an dem königlichen Verhalten, auch die elitäre, konservative Beamtenschaft formuliert Kritik an der Regierungsweise und kann auf Dauer einen solchen König nicht hinnehmen.

Dies alles liegt fernab der Wahrnehmung des Königs. Zwar beweist Ludwig entgegen seiner Natur durchaus strategisches Geschick und scharfsinnigen Verstand, doch seine Seele erblüht lediglich in Gegenwart seines Begleiters Hornig. Als Ludwig den gutherzigen Jungen beim Diebstahl erwischt, nutzt er diese Situation kaltblütig aus. Ohne Rücksicht auf Recht und Gefühle stillt Ludwig sein Verlangen an dem außerordentlich attraktiven Mann und befriedigt seine unbändige Leidenschaft. Entgegen jeder Erwartung erduldet Hornig zunächst nur aus Schuld- und Pflichtgefühl gegenüber seinem Herrscher dieses Verhalten Ludwigs. Mit verführerischer Laszivität und emotionaler Hingabe gewinnt der bayrische Herrscher schließlich das Herz des jungen Mannes. Weder die Öffentlichkeit noch Hornigs proletarischer Zwillingsbruder könnten eine solche Verbindung akzeptieren. Folglich überwindet sich Ludwig zu einer Heirat mit der Herzogin Sophie Charlotte, ihres Zeichens eine Verwandte Elizabeths von Österreich. Diese hat ihr Herz schon seit einer Ewigkeit an den glamourösen Herrscher Bayerns verloren und akzeptiert blind vor Glück diese Verbindung. Das kühle und reservierte Verhalten Ludwigs rufen in ihr mehr und mehr Zweifel an der Aufrichtigkeit seiner Gefühle hervor und dieses Misstrauen findet Bestätigung, als sie ihren Geliebten in der Gegenwart seines Begleiters beobachtet. Glühender Hass weicht im Herzen der Herzogin schon bald aufrichtigem Mitleid für das unglückselige Schicksal Ludwigs, der nie Erfüllung in seinem Schicksal erfahren wird. Nachdem die Verlobung aufgekündigt ist, scheinen sich die Ereignisse zunächst dem Guten zuzuwenden. Elisabeth besucht ihren „kleinen“ Cousin und gemeinsam hängen sie ihrem Traum von Freiheit nach. Doch die idyllische Ruhe wird von mehreren Attentaten auf die Kaiserin beeinträchtigt und empfindlich gestört. Als die Ereignisse vor ihrer Aufklärung stehen, werden düstere Geheimnisse enthüllt und provozieren Konflikte.

Dieser historische Manga ist geprägt von geschichtlicher Genauigkeit in Kombination mit einer fesselnden emotionalen Komponente. In erster Linie steht die private Person Ludwig II. im Vordergrund und weniger der politische Akteur. Die Mischung von Fakt und Fantasie entfernt den Staub von den Geschichtsbüchern und weckt das Interesse, diese Epoche genauer zu beleuchten. Abschließend muss ausdrücklich erwähnt werden, dass es auch zur expliziten Darstellung der Shonen-Ai-Beziehung zwischen Ludwig und seinem Begleiter kommt, an dem sich weniger liberale Geister stoßen könnten. Ansonsten lässt sich abschließend nur ausdrücklich eine Empfehlung für dieses Werk aussprechen. Wer Angst hat, wegen Suchtgefahr sein Vermögen in eine endlose Serie zu investieren, dem sei gesagt, dass bereits nach dem dritten Band der Vorhang für Ludwig II. fällt.

© _Stefanie Borgmann_
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Hohlbein, Wolfgang – Verfluchten, Die (Die Chronik der Unsterblichen, Band 8)

Seit einer Ewigkeit – und das ist hier wörtlich zu verstehen – reisen die Gefährten Andrej Delany und der Nubier Abu Dun nun bereits durch die Weltgeschichte. Das Rätsel um den Ursprung und die Geheimnisse ihrer Existenz als Vampyre treibt sie unermüdlich voran. Mehr als einmal haben sie auf ihrer gemeinsamen Reise Kopf und Kragen riskiert, nur um einer noch so vagen Spur nachzugehen. Mehr als einmal musste ihre Freundschaft einer Zerreißprobe standhalten und mehr als einmal war das Angebot aufzugeben allzu verführerisch. Und doch haben sie ihren Weg nie aus den Augen verloren.

Länger als ein Menschenleben währt nun schon ihre Freundschaft, die im fernen Transsylvanien des 13. Jahrhunderts unter einem unglücklichen Stern begonnen hat. Als Feinde standen sich die beiden ungleichen Charaktere auf dem Sklavenschiff des Nubiers gegenüber und kämpften erbarmungslos auf Leben und Tod.

Nun stehen sie Seite an Seite im Sand der lybischen Wüste und haben Jahrhunderte ins Land gehen sehen, Kriege ausgefochten und nur in wenigen Momenten gespürt, wie sich Frieden im Herzen anfühlt. Beide haben sie auf dem langen Weg Geliebte und Freunde verloren und einzig die Erkenntnis gewonnen, dass Vertrauen und Aufrichtigkeit zu den rarsten Eigenschaften der Menschen gehören. Geblieben ist ihnen ihre Freundschaft, die unter der Fassade von sarkastischen Sticheleien tiefer geht, als sie sich jemals eingestehen würden. Bis jetzt.

Nachdem sie gemeinsam Himmel und Hölle erlebt haben, droht nun das Band zwischen ihnen zu zerreißen. Der Grund – wie könnte es anders sein – sind eine Frau und unangenehme Erinnerungen an längst vergangene Zeiten.

Seit Tagen sind die beiden Helden von einem Meer aus Sand und Fels umgeben und fernab jeglicher Zivilisation – so scheint es. Doch ehe sie sich der Gefahr bewusst werden, tritt ihnen eine Horde Sklavenhändler entgegen. Zwar bedarf es nur weniger Schwerthiebe und Faustschläge um der Situation Herr zu werden, doch insbesondere bei Abu Dun hinterlässt diese Begegnung Spuren.

Er vermutet hinter diesen Sklavenhändlern jene Organisation, die auch ihn einst versklavte und, als Folge dieser Gefangenschaft, auf den Weg brachte, selbst Sklavenhändler zu werden. Nach unablässiger Suche scheint der Nubier nun dem Versteck dieser Bande auf die Schliche gekommen zu sein. Doch der einzige Weg, Zugang zu ihrer Festung zu bekommen, scheint, sich freiwillig in die Hände seiner Todfeinde zu begeben. Andrej, der nur wenig Begeisterung für dieses selbstmörderische Vorhaben aufbringen kann, bringt es dennoch nicht über das Herz, seinen Freund im Stich zu lassen.

Doch als sie dem Oberhaupt Ali Jhin und seiner Räuberhorde unbewaffnet gegenübertreten, kommen ihnen berechtigte Zweifel am Sinn ihres Plans. Etwas voreilig scheinen sie sich in dieses Abenteuer gestürzt zu haben.

Als wäre diese Erkenntnis nicht Strafe genug, muss Abu Dun zusehen, wie sein bester Freund dem Zauber einer mysteriösen und unheimlichen Frau verfällt – Meruhe, Gefangene und im selben Moment Herrin der Sklaven mit uneingeschränkten Befugnissen.

Nicht das erste Mal bedroht eine Frau das Schicksal ihres gemeinsamen Weges, aber nie stand ihre Freundschaft derart auf Messers Schneide. Zu allem Überfluss in einem Moment größter Bedeutsamkeit für die beiden Vampyre, denn sie treffen auf Wesen ihrer Art, die so alt wie die Erde selbst sind. Noch nie waren sie so nahe daran, das Geheimnis um ihre Unsterblichkeit zu lüften.

An dieser Stelle wäre es fatal, auch nur ein weiteres Wort zum Inhalt zu verlieren, denn Wolfgang Hohlbein schafft es über die gesamten 530 Seiten, die Spannung auf einem abscheulich hohen Niveau zu halten. Abscheulich, weil der Leser des Gefühls der inneren Anspannung und nervenzerreißenden Erwartung auf die folgenden Seiten einfach nicht abkömmlich wird. Um nicht vollständig das Nervengerüst zum Einsturz zu bringen, spickt Hohlbein den Text mit feinsten Spitzen schwarzen Humors und einem guten Maß an Action. Für Liebhaber der Buchreihe sind diese Kriterien wohl aber eher sekundär. Was zählt, ist schließlich der Inhalt. In diesem Punkt lässt es sich leider nicht ohne kritische Worte auskommen.

Ein Manko, das auch in den Vorgängerbüchern schon zum Tragen kam, ist die Wiederholung einiger Handlungsschemata. Die schöne Unbekannte mit dem dunklen Geheimnis, die Freundschaft der Protagonisten auf dem Prüfstand, .. alles schon gehabt. Was in Band sieben noch ungeheuer gestört hat, kompensiert Hohlbein hier durch die Dynamik seiner Erzählung und gleicht es durch Fortschritte in der Gesamthandlung aus. Explizit soll das heißen, dass der rote Faden, die Suche nach dem Geheimnis der Unsterblichkeit, endlich weitergesponnen wird. Während die vorangegangenen Episoden eher schmückendes Beiwerk waren (man hätte sicherlich inhaltlich auf Band 3 und 7 gut verzichten können), wird hier wieder fokussiert und der Blick auf das Wesentliche gerichtet. Zumindest in dem Rahmen, den ein weiterer inhaltlicher Schwerpunkt des vorliegenden Bandes ihm lässt. Denn bedeutsam ist selbstredend auch der längst überfällige Einblick in die Vergangenheit des Nubiers. Während Andrejs Geschichte bereits mit den ersten Bänden wesentlich abgedeckt ist, bleibt Abu Dun über lange Strecken zweidimensional. Allein aus diesem Grund ist das Buch bereits ein Gewinn für die Serie.

Summa summarum lässt sich festhalten: Nichts Neues, aber viel Gutes. Der achte Band der |Chronik der Unsterblichen| macht endlich wieder Lust auf mehr.

© _Stefanie Borgmann_
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Marillier, Juliet – Königskinder, Die (Unter dem Nordstern 1)

In den letzten Jahren haben die australischen Autorinnen unaufhaltsam den deutschen Markt erobert. Nach Sara Douglass und Elisabeth Haydon erscheinen nun auch von Juliet Marillier verstärkt Romane. Schon bei |Knaur| ist eine Trilogie um „Die Tochter der Wälder“ erschienen, in der sie die Zeit des 9 Jh. lebendig werden lässt und ihre keltischen Wurzeln heraufbeschwört.

In ihren neuen Zyklus „Unter dem Nordstern“ entführt sie den Leser in eine frühere Zeit. Im Schottland des 6. Jahrhunderts ringen mehrere gälische und piktische Königreiche um die Macht. In dieser Zeit wird Bridei in Wales geboren, doch seine Eltern geben ihn schon früh in die Obhut des Druiden Broachan, der ihn mit in den fernen Norden nimmt. Von nun an ist das Leben des Kindes von Lernen bestimmt. Dazu gehören nicht nur Lesen, Schreiben und Lehren über die Natur und das Recht, sondern auch handfestere Tugenden wie die Kriegskunst.

Unter den zufriedenen Blicken des alten Druiden und seines Haushaltes entwickelt sich Bridei prächtig. Nur in einem wehrt er sich gegen das Machtwort seines Ziehvaters und der anderen. Er will das zur Wintersonnenwende gefundene Mädchen nicht seinem Schicksal überlassen. Obwohl es kein Mensch zu sein scheint, möchte er die Kleine immer in seiner Nähe wissen und sich um sie kümmern.

So bleibt die kleine Tuala auch im Haushalt des Druiden und widersteht mehreren Versuchen, sie loszuwerden, wenn Bridei nicht da ist und über sie wachen kann. Mit zunehmendem Alter lässt sie sich weniger gefallen, erfährt aber auch von ihrer Herkunft durch zwei geheimnisvolle geflügelte Wesen. Diese machen ihr klar, dass sie ein Kind des Waldes ist – ein Feenmädchen, das den Göttern näher steht als den Menschen.

Als sie fast fünfzehn Jahre alt ist, gibt es jedoch kein Ausweichen mehr. Menschen, die sie früher gemocht haben – so wie ihre Amme, ziehen sich von Tuala zurück, und der Druide verlangt von ihr, dass sie sich nun entweder entschließt, einen Mann zu heiraten, oder aber in die Schule der Weisen Frauen zu gehen.

Das Mädchen hat keine andere Wahl, denn Bridei weilt mittlerweile in einem anderen Haushalt, um dort seine Studien zu vertiefen und eine erste Bewährungsprobe in der Schlacht hinter sich zu bringen. Denn mittlerweile ist er ein Mann und man darf ihm nicht länger vorenthalten, welches Schicksal man ihm zugedacht hat …

Magische Waldwesen, ein Kind, das zwischen den Welten steht und ein auserwählter Junge, der erst noch seine Lehrzeit hinter sich bringen muss – das sind genau genommen die Zutaten fast aller Fantasy-Romane, in denen die mythische Vergangenheit Englands mitsamt den keltischen Wurzeln heraufbeschworen wird.

Da macht auch „Die Königskinder“ keine Ausnahme. Zwar sind Bridei und einige andere Figuren historisch belegte Personen, aber da hört es auch schon auf. Da man im Grunde sehr wenig über die Pikten, ihre Kultur und den Kontrakt/die Vermischung mit anderen Völkern – gerade zu dieser Zeit – weiß, nimmt sich Juliet Marillier die Freiheit, eine Ausbildung zu schildern, die sich überhaupt nicht von denen anderer keltischer Helden unterscheidet.

Da gibt es den weisen Lehrmeister, der seinen Schüler manchmal auch recht despotisch in die Schranken weist, den jungen und allzu klugen Helden, der zu viel zu oft hinterfragt, und das geheimnisvolle Mädchen, das seinen mystischen Weg erst noch entdecken muss und irgendwie doch zu seiner Gefährtin bestimmt ist.

Etwa die Hälfte des Buches wendet Juliet Marillier für die Kindheit von Bridei und Tuala auf, erst dann wird es spannender, als beide ihre eigentlichen Wurzeln entdecken und feststellen müssen, dass sie auch Feinde haben, die ihnen ans Leben oder sie grob voneinander trennen wollen. Es geht dabei sehr gefühlvoll zu – Bridei kommt lange nicht darüber hinweg, dass ein väterlicher Freund den für ihn bestimmten Becher mit Gift getrunken hat.

„Die Königskinder“ dürfte vor allem Lesern gefallen, die von gefühlvollen keltischen Helden und einer scheinbar magischen Liebesgeschichte nicht genug bekommen können und denen es auch nicht wichtig ist, dass die eigentliche Handlung kaum Geheimnisse birgt und eher flach dahinplätschert.

Alle anderen Leser dürften sich mehr oder weniger durch den zähen Roman mit seinen erheblichen Längen, altvertrauten Klischees und flachen Charakteren quälen und ihn vielleicht noch vor dem Ende genervt beiseite legen.

© _Christel Scheja_
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Kellerman, Jonathan – Pathologe, Der

Jeremy Carrier hält sich für keinen besonderen Menschen – zumindest bis Jocelyn auftaucht und eine heftige Beziehung mit ihm beginnt. Doch dann wird Jocelyn brutal ermordet und Jeremy steht ganz oben auf der Liste der Verdächtigen.

Ein halbes Jahr später werden drei Protituierte ermordet, und wieder wird Jeremy, der sich gerade von dem Schock erholt hat, von der Polizei verdächtigt. Da tritt der Pathologe Arthur Chess an Jeremy heran und führt ihn in eine geheimnisvolle Gruppe ein. Nach dem abendlichen Treffen verschwindet Chess plötzlich, dafür erhält Jeremy merkwürdige Botschaften, die ihn wohl alle in eine Richtung stoßen sollen.

So beginnt Jeremy seine eigenen Nachforschungen, während die Polizei ihn noch immer verdächtigt und teilweise auch beschattet. Der Chirug Dirgrove erweckt sein Misstrauen, nachdem dieser seine neue Freundin Angela Rios belästigt. Jeremy findet heraus, dass Dirgroves Vater ein überführter Serienmörder gewesen ist.

Doch dann verschwindet Angela plötzlich spurlos. Dirgrove hat ein Alibi, denn er wurde von Jeremy bei einem heimlichen Stelldichein mit einer Internistin beobachtet, als andernorts eine weitere Prostituierte grausam ermordet wurde.

Wer ist der wahnsinnige Serienmörder, dessen Spur sich über fast alle Kontinente nachvollziehen lässt? Und in welchem Verhältnis steht dieser zu dem verstorbenen Serienmörder, der Dirgroves Vater war?

Ein besserer Titel für dieses Buch würde wohl „Die Sünden der Väter“ lauten. Kellerman stellt unbewiesene Theorien vor, die manch unbedarften Menschen erschrecken könnten. Und vor allem tut er zwei Dinge: Er erzählt schlecht und kennt sich offensichtlich nicht in dem Metier aus, über das er schreibt.

Nur so kann ich erklären, dass Jeremy Carrier im Klappentext und auch zwischendurch immer wieder als Psychologe betitelt wird, anderenorts dann wieder als Psychiater auftritt – zwei völlig verschiedene Berufszweige. Und wenn dann noch Freud herbeigezogen wird, zweifle ich daran, ob der Autor wusste, was er da alles zusammenmengte.

Kellermans Schreibstil ist noch mit viel Wohlwollen als provokant und schnodderig zu betiteln, seine Charakterzeichnungen schwanken zwischen archetypisch und unglaubhaft. Was er versucht, mit Trauer zu erklären, ist außerhalb des guten Geschmacks. Alles andere, Beschreibungen (die ohnehin das äußerliche Maß nie überschreiten), Erklärungen und Dialoge lassen den Roman langatmig und langweilig werden. Keineswegs Thrillereigenschaften.

Ich möchte es nicht beschreien, aber offensichtlich zehrt Jonathan Kellerman vom Ruf seiner Frau, der Krimikönigin Faye Kellerman, anders kann ich mir sein Renommé nicht erklären. Da sollte er das Schreiben wohl doch besser seiner Gemahlin überlassen.

Alles in allem ist „Der Pathologe“ ein mehr als enttäuschendes Buch, dessen Titel mal wieder irreführt. Das Klinikmilieu geht vollkommen unter, dafür gibt grauenhafte Figuren und eine zähe Handlung, die irgendwie nie wirklich weitergeht. Nicht zu empfehlen.

_Christel Scheja_
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McKenna, Juliet E. – Ryshads Rache (Die Welt von Einarinn)

„Ryshads Rache“ ist nach „Diebesgut“ der zweite Roman aus der „Welt von Einarinn“. Die einzelnen Bände beziehen sich zwar aufeinander, sind aber auch unabhängig voneinander lesbar.

Aus den Trümmern eines gefallenen Imperiums versuchen die Menschen des Festlandes nun, das alte Wissen – auch und vor allem über die Magie – wieder zu bergen. Doch sie sind nicht alleine. Die Elietimm, ein Volk aus dem hohen Norden, sind ebenfalls auf der Jagd nach Artefakten und bereit, skrupellos und grausam ihre eigene Magie einzusetzen und über Leichen zu gehen.

Ryshad, eingeschworener Mann des Hauses D´Olbriot, wird dazu abgestellt, den Zauberern von Einarinn weiter zu dienen, nachdem ihn der Erzmagier persönlich angefordert hat. Denn Ryshad besitzt durch einen früheren Auftrag schon Erfahrung im Aufspüren von alten Artefakten und in Begegnungen mit den Elietimm.

Diesmal haben er und der Magier Shivvalan die Aufgabe, einen alten Zauberer aus seinem Exil zurückzuholen und zu den Magiern zu bringen, denn er besitzt Wissen über eine Enklave von Überlebenden aus früheren Zeitaltern. Doch auch die Elietimm sind auf der Jagd …

Deshalb bitten Ryshad und Shiv nun auch wieder Livak um Hilfe, die Diebin und Spielerin, die ihnen schon einmal so hilfreich zur Seite stand. Während die junge Frau eher unwillig ist, scheint ihre Freundin Halice um so interessierter. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg.

Doch dann wird Ryshad von seinen Freunden getrennt und in die Sklaverei verschleppt. Während seines Lebens als Diener auf dem Aldabreshin-Archipel muss er nicht nur mit der fremdartigen Kultur zurecht kommen, sondern auch mit Entsetzen feststellen, wie weit die Macht der Elietimm bereits reicht.

Und nicht zuletzt erweist sich sein Schwert als letzter wertvoller Schlüssel, um die Enklave zu finden und die dort Eingeschlossenen vor dem mörderischen Eisvolk zu retten. Ryshad muss es nur gelingen, der Gefangenschaft zu entfliehen und nach Hause zurückzukehren …

„Ryshads Rache“ ist ein Fantasy-Abenteuer, das ohne exotische Wesen auskommt, aber allein schon durch die allgegenwärtige Magie und die fremden Kulturen einen farbenprächtigen Hintergrund bietet. Man merkt zwar, dass man den Teil einer Serie vor sich hat, da die Bedrohung durch die Elietimm nicht verschwindet, auch wenn es Ryshad und Co. wieder gelingt, ihnen eine Schlappe zuzufügen, die Handlung ist aber in sich geschlossen und bietet ein zufrieden stellendes Ende.

Juilet E. McKenna gelingt es, ihren Figuren durch Schwächen und eigensinnige Marotten Leben einzuhauchen und gleichermaßen glaubwürdige Männer- wie auch Frauencharaktere zu erschaffen, die die Handlung durch ihre Aktionen vorantreiben, auch wenn sie manchmal ein wenig zu geschwätzig sind.

Dazu kommt ein gesundes Maß an Action, so dass Leser, die spannende Fantasy-Abenteuer mögen, eine unterhaltsame Lektüre vorfinden werden.

_Christel Scheja_
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Banker, Ashok K. – Dämonen von Chitrakut, Die (Ramayana 3)

Für Rama könnte es jetzt so einfach sein. Sein größter Feinde Ravana lebt zwar noch, doch der Asuraherrscher Lankas liegt im Koma, seine Dämonen bekriegen sich gegenseitig und rotten sich dabei fast aus. Dasaratha, Ramas Vater, scheint es wenig besser zu gehen, und Sita, die tapfere Prinzessin aus Mithila, ist jetzt seine Frau.

Doch kaum ist er wieder zu Hause, gehen die Probleme los. Während des Willkommens-Rituals für die jungen Bräute stört Kaikeyi die Riten und besteht darauf, dass diese wiederholt werden – für die Paare ein Unglücksomen. Dasaratha hat einen Rückfall, von dem er sich kaum erholen kann. Und dann taucht Kaikeyi wieder auf und bittet den Maharadscha um die Einlösung eines alten Versprechens.

Was sie verlangt, bricht Dasarathas Widerstand vollkommen: Bharat, ihr Sohn, soll Thronfolger werden und Rama in die Verbannung in den gefürchteten Dämonenwald gehen. Dasaratha aber hat keine andere Wahl, als ihr ihre Wünsche zu erfüllen, nicht ahnend, dass die Hexe Manthara Macht über seine zweite Königin ausübt.

Rama geht klaglos in die Verbannung, Sita und Laksman folgen ihm unaufgefordert. Dasaratha stirbt noch am gleichen Abend, und der Weg für die Dämonen wäre jetzt frei, gäbe es da nicht auch noch Bharat …

Was Banker da vollbringt, grenzt ans Unmögliche. Und doch gelingt es ihm mit jedem Buch, die faszinierende Welt des alten Indien farbenprächtig und in neuer Sprache zu erzählen, ohne dass etwas verloren ginge. Eine Leistung, die ihn, und diesen Vergleich treffe ich wirklich nicht oft und schon gar nicht leichtfertig, fast auf eine Stufe mit Tolkiens Mittelerde stellt.

Natürlich gilt nach wie vor: Wer einfach gestrickte Fantasy ohne ein bisschen Kopfarbeit sucht, dem wird das Ramayana sicher nicht in die Hände fallen. Diese Fantasy geht weit über das übliche Spektrum dessen hinaus, was die großen Verlage bieten. Offensichtlich traut man entweder der Zielgruppe mehr zu oder man will endlich doch mal die Leser ansprechen, die aus dem Konzept herausfallen, das die großen Verlage ansonsten nach Schema F (mit kleinen und seltenen Ausnahmen, die aber umso wertvoller sind) verlegen. Ich wünschte mir wirklich, dass es dem Ramayana gelänge, ähnlich wie dem „Herrn der Ringe“, den Weg hinaus aus der „Schmuddelecke Fantasy“ zu schaffen und dadurch auch dafür zu sorgen, ein ganzes Genre „gesellschaftsfähiger“ zu machen.

Im dritten Band des Zyklus lässt Banker es diesmal, ganz nach der Vorlage, ein wenig ruhiger angehen, wenn auch der erste Teil sehr rasant wirkt und die Handlung sich zu überschlagen scheint. Aber spätestens, wenn Rama wirklich loszieht in die Verbannung, nimmt der Autor sich mehr Zeit dafür, die Umgebung zu schildern, die Hindernisse, die den jungen Prinzen auf seinem Weg erwarten. Ebenso hervorragend gelungen sind die verschiedenen Charakterstudien der drei Hauptprotagonisten Rama, Sita und Laksman. Vor allem der Unterschied zwischen den beiden Brüdern tritt im Verlauf der Handlung immer klarer zu Tage, etwas, was mir im Original nicht so ins Auge gefallen ist.

Aber trotz der augenscheinlichen Ruhe gärt es weiter. Kaum wagt man als Leser, das Buch aus der Hand zu legen. Denn früh ist klar: Was auch immer Rama und seine Gefährten in den vierzehn Jahren ihrer Verbannung erwarten mag, es wird nicht sonderlich angenehm und sicherlich spannend. Da stört es auch nicht, dass der Titelheld sich von Kampf und Waffen abwenden will. Man spürt, es kommt noch etwas hinterher.

Und tatsächlich taucht eine schon vertraute Gestalt aus dem ersten Buch wieder auf. Doch seinerzeit noch im Auftrag Ravanas als Spionin unterwegs, ist sie jetzt in eigener Sache aktiv. Und wie eine echte Rakshasa würde sie dafür sogar über Leichen gehen.

Der Cliffhanger, den Banker diesmal einbaut, tötet mir jetzt schon den letzten Nerv, denn das vierte Buch ist noch gar nicht angekündigt. Und gerade hier und jetzt wäre es beinahe lebenswichtig – so scheint es zumindest – zu wissen, wie es denn nun weitergeht und ob die drei Gefährten überleben. Aber jetzt ist das lange Warten auf den vierten Band angesagt, oder die entsprechende Lektüre des „alten“ Ramayanas.

Mein Fazit ist auch hier wieder: Außergewöhnliche Fantasy, außergewöhnliche Geschichte, außergewöhnliche Bilder. Ein außergewöhnliches Buch, das aber keine leichte Kost ist. Dennoch lohnt es sich auf jeden Fall. LESEN!

_Christel Scheja_
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Heitz, Markus – Trügerischer Friede (Ulldart – Zeit des Neuen 1)

Man kann wohl mit Fug und Recht behaupten, dass Markus Heitz in den letzten Jahren der Shooting-Star der deutschen Fantasy gewesen ist. Er schrieb sich mit seinem Ulldart-Zyklus und den Abenteuern um „Die Zwerge“ in das Herz seiner Leser.
So sind Fortsetzungen einfach ein Muss. Nicht nur der dritte Band seiner „Zwergen“-Saga wird im Winter 2005 erscheinen, nun liegt auch der Auftakt seiner Fortsetzung der „Ulldart“-Saga vor.

Die Handlung des Buches beginnt nur wenige Wochen nach den in die „Quellen des Bösen“ geschilderten Ereignissen. Mortva Nesreca und Govan konnten besiegt, die Rückkehr des finsteren Gottes Tzulan verhindert werden. Die Völker Ulldarts sind wieder frei von der Knute der tarpolschen Dynastie und kehren in ihr gewohntes Leben zurück. Wo Städte und Länder in Trümmern liegen, beginnen die Menschen den Wiederaufbau.

Diejenigen, die sie knechteten, sind verschwunden oder tot, die neuen Herrscher versprechen eine Zeit des Friedens, der Freiheit und des Glücks. Alles Dunkle scheint vertrieben zu sein und ein neuer Friede die Hoffnung der Menschen zu schüren.

Selbst Lodrik, der das ganze Unheil verursachte und sich am Ende auf die Seite der Befreier stellte, ist nur noch ein blasser Schatten, der sich immer tiefer in die Welt der Toten verliert und von seiner Leidenschaft zur Nekromantie gefangen nehmen lässt. So gut er kann, unterstützt er seine Frau Norina, die die Herrschaft über Tarpol übernommen hat, und beobachtet wohlwollend seine Söhne, die auf Ulldart geblieben sind, der eine als Prinz, der andere als Ritter im Orden der Schwerter. Nur sein Liebling, Lorin, ist auf den Kontinent zurückgekehrt, auf dem er aufwuchs, um sich dort um die Probleme zu kümmern, die er zurückgelassen hatte.

Doch der Friede ist trügerisch.

Einerseits gibt es noch immer Kämpfe mit den menschlichen Dienern Tzulans zu Land und zu Wasser, andererseits sind noch längst nicht alle Spuren der dunklen Herrschaft geborgen und vernichtet worden. Finsteren Artefakten und Monstern müssen sich die Helden in tapferen Kämpfen stellen. Doch das sind nur die offensichtlichen Gefahren.

Im Verborgenen arbeitet Aljascha an ihrer Rache an Lodrik und versucht sich neue Macht zu schaffen. Sie ist nicht allein. An ihrer Seite wächst rasend schnell der von Mortva Nesreca gezeugte Sohn heran und zeigt vielversprechende Anlagen. Bald schon muss Lodrik erkennen, dass er nicht der Einzige ist, der sich auf Totenmagie versteht und seine Ränke in den Schatten spinnt. Er hat eine ernst zu nehmende Gegnerin bekommen, die mehr weiß als er. Nicht zuletzt tauchen Fremde auf, die die Kensustrianer als Verräter bezeichnen und ihre Auslöschung fordern. Die dunkle Zeit ist also noch nicht vorüber …

Ohne seinen Helden Ruhe zu gönnen, setzt Markus Heitz die Abenteuer auf Ulldart so logisch fort, wie man es erwarten konnte. Weder die Schatten Tzulans noch die überlebenden Gegenspieler haben aufgegeben, und um das alles noch ein wenig zu würzen und den Kämpfen wieder eine größere Dimension zu verleihen, gibt es zum Ende des Buches hin noch eine weitere Gefahr, die vom Meer heraufzieht und für einigen Ärger sorgen wird.

Gewohnt routiniert spult der Autor seine überwiegend actiongeladenen Szenen in sechs bis acht Handlungsebenen ab. Man erfährt, was Lorin in seiner Wahlheimat anstellt, wie Lodrik durch die Gegend schleicht und Norinas Versuchen zu regieren zuschaut, oder beobachtet auch Aljasha in ihrem Exil. Die meisten der alten Hauptfiguren werden mit Szenen bedacht, einzig Waljakow und Storko, die ehemaligen Erzieher Lodriks, scheinen wie vom Erdboden verschluckt.
Interessanterweise scheint kaum eine der Figuren aus ihren bitteren Erfahrungen gelernt zu haben. Weder hat es Aljasha aufgegeben, sich Sorgen um ihre Schönheit zu machen und sich Männer ins Bett zu holen, noch hat Lodrik seine jugendliche Naivität verloren und ist ganz verwundert, dass für seine Norina die Überraschung, die er ihr bereitet, keine ist, sondern eher das Gegenteil. Dadurch wirkt er eher wie ein Hobby-Nekromant, der mit seinen Kräften gerne herumspielt, aber nicht die Verantwortung sehen will, die er eigentlich trägt. Magie ist, wie auch die – überraschenderweise in den Hintergrund getretenen – neuartigen Waffen es sind, Mittel zum Zweck.

Die Charaktere – egal ob altvertraut oder neu eingeführt – sind immer noch auf wenige Charakterzüge reduziert und haben sich kaum oder nur oberflächlich weiterentwickelt.

Mit Frauenfiguren hat Markus Heitz weiterhin seine Probleme, zum eigensüchtigen und sexbesessenen Luder Aljasha, dem blassen Weibchen Norina, das vor Bescheidenheit nur so strotzt, und der geschlechtslosen Magierin Sosha ist nur noch eine kalte grausame Hexe gekommen, die für ihre Macht teuer bezahlt hat.

Die Handlung des Romans ist zwar rasant und actionreich, allerdings lässt sich mittlerweile auch eine gewisse Routine im Stil des Autors nicht abstreiten; Teile des Buches lesen sich wie eine Fantasy-Nummern-Revue, deren Inhalte man irgendwo genau so bereits gelesen hat, entweder bei ihm selber oder bei anderen.

Man merkt, dass Markus Heitz sich vor allem an sein Zielpublikum aus dem Rollenspiel- oder Games-Bereich richtet, das die klassische Figurenzusammensetzung, das vertraute Setting in einer pseudomittelalterlichen Welt und die traditionellen Geschehnisse wiedererkennen wird, das vordergründige Action liebt, in der es kracht und zischt, und das letztendlich mit leisen Andeutungen, undurchschaubaren Grauzonen oder tiefgründigen Charakterentwicklungen nicht so viel anfangen kann.

Was bleibt, ist ein gefällig geschriebener Roman ohne wirkliche Höhen und Tiefen, der den derzeitigen Massengeschmack zufrieden stellt, aber für ältere und erfahrenere Leser nichts Besonderes bietet.

„Trügerischer Friede“ ist zwar der Auftakt eines neuen Zyklus, doch sollte man für wirklichen Lesegenuss auch die vorhergehenden sechs Bände kennen, da Markus Heitz darauf verzichtet, die altbekannten Helden und Ereignisse noch einmal ausführlich vorzustellen. Das Ende bleibt leider weitestgehend offen – Fortsetzung folgt.

_Christel Scheja_
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Sturgeon, Theodore – goldene Helix, Die

Ende 2003 erschien bei |Shayol| „Lichte Augenblicke“, der erste Teil einer Sammlung ausgewählter Kurzgeschichten von Theodore Sturgeon. Mehr als ein Jahr danach ist nun mit „Die goldene Helix“ der zweite und abschließende Teil erschienen. Das Vorwort stammt diesmal von Ray Bradbury und ist genauso wie die Geschichten für diese Ausgabe neu übersetzt worden.

Den Anfang macht „Der Mann, dem das Meer abhanden kam“, eine Story, in der der Erzähler den Leser direkt anspricht und uns eine Strandszene vermittelt, mit einem spielenden Jungen und einem kranken Mann, der das Meer betrachtet. Beide sind miteinander verbunden: der Alte, der an der Taucherkrankheit leidet, und der Junge, der ihm Mut zusprechen will und sich an seine eigenen Taucherfahrungen erinnert. Dabei gehen allwissender Erzähler, alter Mann und Junge ineinander über, es ist nie ganz klar, wessen Blickwinkel man gerade betrachtet. Die Geschichte erscheint wie viele andere von Sturgeon nicht als SF, auch wenn sie mit diesem Etikett versehen ist. Der Autor spielt mit Illusionen und Gedankenbildern, erst am Schluss lichtet sich der Nebel der Wahnbilder.

Bei der nächsten Geschichte mit dem Titel „Biancas Hände“ stehen genau diese im Mittelpunkt. Bianca ist ein behindertes Mädchen, das bei seiner Mutter wohnt, Ran ist ein junger Mann, der als Hilfskraft in einem Café arbeitet. Er verliebt sich, aber nicht in sie, sondern in ihre Hände. Die Geschichte beschreibt diese merkwürdige Beziehung, dabei werden immer nur ihre Hände beschrieben, der Rest des Körpers dagegen ausgeblendet. Die ganze Geschichte ist eher verstörend und man weiß nicht so recht, ob dies nun schon Horror ist oder etwas anderes.

Richtiggehend klassisch erscheint einem dagegen „Herr Costello, Held“. Die Geschichte wird uns erzählt von einem Zahlmeister, auf dessen Schiff Herr Costello mitreist. Wie sich bald zeigt, ist dieser Costello ein ehemaliger Politiker, Intrigant und Manipulator. Zunächst bringt er die Schiffsgemeinschaft auf seine Seite, zerstört alte Loyalitäten und sät Misstrauen und Zwietracht. Im zweiten Teil setzt er sein Werk auf einem Planeten fort und etabliert dort eine Kollektivgesellschaft, in der man nie einsam ist. Doch dabei scheint er in den Augen des Zahlmeisters, der uns berichtet, ein freundlicher und ehrbarer Mann zu sein.

„Es“ ist klassischer Horror. Eine einsame Farm in den USA, auf der zwei Brüder, eine Frau und ein kleines Mädchen leben. Das Grauen dagegen lauert im Wald auf seine Opfer. Das Monster ist nicht böse, es hat keine Ziele, es tötet einfach. Dabei ist die Handlung geradlinig und kommt ohne viele Schleifen oder Hintergedanken aus.

Ganz anders dagegen „Das andere Geschlecht“. Wie der Titel nahelegt, geht es um Mann und Frau und Frau und Mann und alles, was dazwischen liegt. Ein Biologe, der die Leichen eines bei einem Raubüberfall getöteten Pärchens untersuchen soll, und eine Reporterin, die daraus eine Story machen will, sind die Hauptpersonen. Doch dann sind da noch die merkwürdigen Leichen, die in Flammen aufgehen, als der Mann sein Büro verlässt. Und während er noch in dieser Nacht seine Traumfrau trifft, findet sie am nächsten Tag ihren Traummann. Um aber zu erkennen, was sie wirklich wollen, brauchen sie beide ein Wesen, das weder männlich noch weiblich ist. Letztlich geht es hier also um das altbekannte Spiel zwischen Mann und Frau, doch Sturgeon nutzt die phantastischen Möglichkeiten der SF, um noch eine Variante einzubringen.

In „Denkweise“ berichtet uns der Ich-Erzähler, ein SF-Autor, der früher als Seemann gearbeitet hat, von einem Freund mit einer ganz besonderen Art, an Probleme heranzugehen. Bezugspunkt der Handlung ist der Bruder dieses Freundes, der unheilbar erkrankt ist und dessen Körper einfach zu zerfallen scheint. Die Frage, die sich stellt: Wer ist schuld an dieser Krankheit? Wer ist überhaupt an etwas schuld? Bringt die Pistole einen Menschen um, oder der, der abdrückt?
Und was ist schlimmer: Hass oder Gleichgültigkeit? Diese Geschichte regt zum Nachdenken an, in erster Linie schockt sie aber.

„Die Fähigkeiten Xanadus“ weist dagegen wieder die Merkmale auf, an denen man SF erkennen kann. Die Menschheit hat sich über die Galaxis ausgebreitet und dabei sind die verschiedensten Kulturen entstanden, doch bei allen gibt es noch die alte Sprache, die als Verständigungsmittel genutzt wird. Nun landet ein Raumfahrer aus einer hoch technisierten Kultur auf dem Planeten Xanadu, dessen Bewohner vergleichsweise primitiv leben. Sie bauen ihre Häuser ohne Wände, sie kennen keine Regierung – und sie verrichten ihren Stuhlgang in der Öffentlichkeit. Wie sich herausstellt, ist die Kultur der scheinbaren Barbaren sogar älter als seine eigene, doch der Raumfahrer kann sich nicht erklären, warum sie so leben. Er selbst ist mit klaren Zielen gekommen: Er soll herausfinden, ob es sich für seine Welt lohnt, diesen Planeten zu erobern.

Den Abschluss bildet die namensgebende „goldene Helix“, die auch die längste Geschichte dieses Bandes ist. Eine Gruppe von Kolonisten, die auf dem Weg zu ihrer neuen Heimat ist, erwacht aus dem Kälteschlaf, nur um festzustellen, dass sie nicht mehr auf dem Raumschiff, sondern auf einem völlig fremden Planeten sind. Dorthin gebracht wurden sie von merkwürdig golden schimmernden Wesen, deren Zeichen eine goldene Helix ist. Diese Geschichte entstand im Herbst 1953, ein halbes Jahr, nachdem Watson und Crick das Doppelhelixmodell der DNS vorgestellt hatten. Sturgeon spinnt darin seine eigenen Vorstellungen über die Entwicklung der Menschheit und der Evolution aus.

Ergänzt werden die Geschichten von bibiographischen Informationen sowie einem Anhang von Hans-Peter Neumann und Hannes Riffel mit den in der englischen Sammelausgabe bisher erschienenen Texten und einer Übersicht über die auf Deutsch erschienenen Sammelbände mit Geschichten von Sturgeon sowie seiner Romane. Neben den durchgehend guten Neuübersetzungen erkennt man vor allem daran den hohen Anspruch des Verlags an die beiden Erzählbände.

Sturgeon selbst ist ein faszinierender Autor. Er schafft es, den Leser mit den ersten Sätzen neugierig zu machen, das Wichtigste kurz vorzustellen, so dass es einem vorkommt, als ob man Bescheid wüsste, nur um einige Seiten später überrascht zu werden. Und dabei gelingt ihm das Kunststück, dies alles auf wenigen Seiten auszubreiten. Er wird zu Recht als ein Meister der Kurzgeschichte bezeichnet.

Die hier ausgewählten Geschichten sind sehr unterschiedlich, SF und Non-SF wechseln sich ab. Es ist für jeden Geschmack etwas dabei, aber es wird auch jeder eine Geschichte finden, die ihm nicht zusagt. Seien es der geradlinige Horror in „Es“ oder die verwirrenden Geschehnisse in „Die goldene Helix“. Trotzdem bietet sich der Band gerade für diejenigen an, die Kurzgeschichten eher skeptisch gegenüberstehen, denn Sturgeon kann doch davon überzeugen, dass es auch auf wenigen Seiten möglich ist, vieles zu sagen, ohne dass die Geschichte bedeutungsüberladen wirkt.

_Konrad Schwenke_
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Köster-Lösche, Kari – Mit der Flut kommt der Tod

Liebhaber historischer Romane dürften mit dem Namen Kari Köster-Lösche einiges verbinden: „Die Hakima“, „Die Heilerin von Alexandria“, „Die Wagenlenkerin“, um nur drei ihrer aktuell am meisten gefragten Werke zu nennen. Spielen manche ihrer Geschichten an fernen Schauplätzen, in längst vergangenen Zeiten, so findet die gebürtige Lübeckerin auch immer wieder direkt vor ihrer Haustür Stoff für spannende Erzählungen. Hexenwahn und Pestilenz im Tondern des 17. Jahrhunderts beispielsweise, oder die Konflikte zwischen Aberglaube, Fortschritt und der Naturgewalt der Meeres, spannend in Szene gesetzt in der Novelle „Das Deichopfer“. Es zeigt sich also, auch das norddeutsche Land besitzt narratives Potenzial. Mehr noch, die einzigartige Region Friesland, seit Jahrhunderten bestimmt durch das Ringen zwischen Mensch und Meer, scheint auch exotischen Örtlichkeiten, wie zum Beispiel dem antiken Griechenland, als Romanbühne den Rang ablaufen zu können. Mit ihrer aktuellen Erzählung (im August 2005 erschien noch „Mit Kreuz und Schwert“, der Abschluss ihrer Sachsen-Trilogie) widmet sich Kari Köster-Lösche nun ihrer ganz persönlichen, neuen Heimat. „Mit der Flut kommt der Tod“ spielt auf der Hallig Langeneß – ein von Watt und Wasser umschlossenes Stück Land, zwischen Föhr, Pellworm und der schleswig-holsteinischen Küste. Seit über zehn Jahren schon wohnt die Autorin zusammen mit ihrem Mann auf der lang gestreckten Marschinsel, sammelt Spuren der Inselhistorie, malt Aquarelle, erforscht das Watt und betreibt ein eigenes Museum. „Eigenes Erleben ist besser als jede Recherche“, sagt sie und man spürt die Wahrheit dieser Worte deutlich in jeder Zeile ihres neuen Romans. Authentisch und lebendig tritt dem Leser das Halligleben von vor über hundert Jahren vor Augen.

Erzählt wird die Geschichte des Husumer Wasserbauinspektors Sönke Hansen. Im Jahr 1894 wird er auf eine heikle Mission geschickt: Er soll auf der Hallig Nordmarsch-Langeneß die Voraussetzungen für den Bau eines Steindamms ausloten, womit die Insel dauerhaft vor dem nagenden Zahn der Nordsee geschützt werden könnte. Dabei ist die Frage des Deichbaus von politischer Brisanz, denn auf dem Festland steht man den Halligen durchaus skeptisch gegenüber. Die Bewohner seien rückständig, der Unterhalt der Halligen würde nur Kosten verursachen und nichts einbringen und obendrein stellten die vorgelagerten „Inseln“ ein militärisches Hindernis für die deutsche Flotte dar. Nichtsdestotrotz besteht Berlin darauf, dass die Sache in Augenschein genommen wird. Hansen selbst sieht die Bredouille schon früh auf sich zukommen: Seinen Vorgesetzten war er schon immer ein Ärgernis, zu unpatriotisch, zu unpreußisch. Dass er mit der Tochter eines Optanten – Bewohner von Nordschleswig, die sich nach der Übernahme Schleswig-Holsteins durch Preußen in Folge des deutsch-dänischen Krieges von 1864 für die dänische Staatsbürgerschaft entschieden – verlobt ist, macht die ganze Angelegenheit nur komplizierter. Obendrein sympathisiert er mit den eigenwilligen Halligbewohnern und denkt nicht daran, sie dem Schicksal der Nordsee zu überlassen. Doch der Oberdeichgraf erwartet, dass Hansen auf seiner Mission scheitern wird und die störenden Inseln den Fluten der See überlassen werden. Noch bevor Sönke Hansen überhaupt einen Fuß auf die Hallig Nordmarsch-Langeneß gesetzt hat, steht er bereits am Scheideweg: Den Zorn seiner Vorgesetzten riskieren und für den Deichbau plädieren, oder die Hallig und ihre Bewohner sich selbst und somit dem Untergang überlassen und dadurch seinen Herren nach dem Munde reden? Als Hansen schließlich auf Nordmarsch anlangt, wird die ganze Sache durch das skeptische Verhalten der Einheimischen noch weiter verkompliziert. Niemand will etwas mit den Bürokraten vom Festland zu tun haben und ein Steindeich würde nur Scherereien verursachen! Als die Flut eines Tages auch noch eine Leiche an den Strand spült, nimmt Hansens Mission langsam bedrohliche Züge an. Zumal der Tote dem Wasserbauinspektor auf den ersten Blick wie aus dem Gesicht geschnitten scheint. Was geht hier draußen vor, in den grauen Weiten des Watts? Was hat es mit dem merkwürdigen Segler auf sich, den einige Halligbewohner des Nachts erspäht haben wollen? Und was ist mit Gerda – Hansens Verlobte –, die seit seinem Aufbruch aus Husum spurlos verschwunden ist? Sönke Hansen muss all sein Können in die Wagschale werfen, um Licht ins Dunkel zu bringen, welches die Hallig langsam beschleicht.

Kari Köster-Lösche erzählt in „Mit der Flut kommt der Tod“ eine spannungsgeladene Geschichte vor einem ganz besonderen Hintergrund. Liebevoll wird das Leben auf der Hallig skizziert, so dass man sich als Leser bald selbst in der von Wind und Wellen umschlungenen Weite der nordfriesischen Vorküste wähnt. Haupt- wie Nebencharaktere kommen allesamt als Unikate daher und bereichern die Erzählung mit ihren eigenen, individuellen Facetten. Als historischer Roman verwendet die Geschichte einige Begriffe, die den meisten Lesern wohl eher unbekannt sind, doch ein ausführliches Glossar am Ende des Buches verschafft hier zügig Abhilfe. Desweiteren erleichtert eine Liste der auftretenden Personen die handlungsinterne Übersicht, während zwei Karten für geographische Orientierung in der friesischen Küstenregion sorgen. Insgesamt ein sehr empfehlenswerter Roman, der eine faszinierende Atmosphäre heraufbeschwört. Meer und Mensch und Mehr.

_Michel Bernhardt_
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